-ZEITSCHRIFT FÜR DIE ARBEITSWELT
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Einkommen: 89 Tage unbezahlt – das kostet der kleine Unterschied die Frauen Seite 4
Bildung: Das Bildungssystem enthält zu viele Hürden und Sackgassen für Junge Seite 5
Gastkommentar: Nationalratspräsidentin Barbara Prammer sagt, Bildung schafft Gerechtigkeit Seite 12
LEISTUNGSTRÄGERIN
© ÖGB/Paul Sturm
Seite 3
BILDUNGSANGEBOT 2012
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VERLAGSPOSTAMT 1230 WIEN
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Solidarität
editorial
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AKTUELL Dauerthema: Pensionen
Ablenkungsmanöver? Mit seltsamen Zahlen und Argumenten wird das Pensionssystem krankgeredet.
Kinderarbeit in den Ländern der Dritten Welt, Todesfälle in chinesischen Bergwerken, weil nicht in die Sicherheit investiert wird, rechtlose Näherinnen in Bangladesh: Ausbeutung und Grauen gibt es viel in der Arbeitswelt – aber nicht bei uns in Europa. Wirklich nicht? Auf südspanischen Gemüseplantagen müssen MigrantInnen aus Nordafrika unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten. Bis Südspanien sind es zwar einige Tausend Kilometer, aber auch das ist nicht weit weg von uns, denn nur so bekommen wir im Winter billige Paradeiser und Gurken in die Supermärkte. Wem Spanien zu weit ist, der kann den Blick zur ungarischen Grenze richten: Im Burgenland arbeiten ungarische und rumänische SaisonarbeiterInnen in der Landwirtschaft unter unwürdigen Bedingungen, zu Hungerlöhnen und ohne sozialen Schutz. Vor einigen Jahren entdeckte der ÖGB in Oberösterreich, dass eine Firma Montagearbeiter aus Indonesien wie Sklaven hielt. Am Welttag für menschenwürdige Arbeit machen daher Gewerkschaften weltweit, von Spanien bis Österreich, für menschwürdige Arbeit mobil (Seiten 9, 11).
Impressum: Herausgeber: Österreichischer Gewerkschaftsbund, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1. Medieninhaber: Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes GmbH, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel. 01/662 32 96-0, Fax 01/662 32 96-39793, E-Mail: Renate.Wimmer@ oegbverlag.at, www.oegbverlag.at. Herstellerin: Leykam Druck GmbH & Co KG, 7201 Neudörfl, Bickfordstr. 21. Verlagsort: Wien. Herstellungsort: Neudörfl. Chefredaktion: Nani Kauer. Kaufmännische Leitung: Christoph Höllriegl. AutorInnen: Florian Kräftner, Amela Muratović, Katja Dämmrich, Christian Resei, Michaela Hubweber, Sonja Adler, Dr. Heike Hausensteiner, Luzia Janoch. Layout/Grafik/Bildredaktion: Stephanie Guberner, Isabelle Carhoun. Anzeigen: Mag. Thomas Aichelburg-Rumerskirch, www.brandcom.at, soli@brandcom.at. Sekretariat: Sonja Adler, Johanna Kastner. Lektorat: Renate Nebehaj-Neuber. Redaktionsadresse: 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel.: 01/534 44-39262, Fax: 01/534 44-39916, E-Mail: soli@oegb.at WWW: http://www.oegb.at/soli Für unverlangt eingesendete Manuskripte und Fotos keine Gewähr. Nachdrucke, auch auszugsweise, nur mit Zustimmung der Redaktion und mit Quellenangabe. Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.“
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»Nicht immer über weniger Ausgaben reden, sondern auch über mehr Einnahmen.« ÖGB-Präsident Erich Foglar
Manöver 1 Golden Handshake: Finanzministerin Fekter hatte vorgeschlagen, die steuerliche Begünstigung von etwas, das sie „Golden Handshake“ nennt, zu streichen. Gemeint sind aber z. B. freiwillige Abfertigungen, Kündigungsentschädigungen oder Vergleichszahlungen; diese Zahlungen bezeichnet die Ministerin als „Privileg“ und als „Anreiz, in Frühpension zu gehen“. Die volle Besteuerung würde ArbeiterInnen und Angestellte, die ihren Job verlieren, besonders hart treffen. „Das kommt einer Verhöhnung jener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleich, die für einen Arbeitsplatzverlust nichts dafür können“, sagen ÖGBPräsident Foglar und AK-Präsident Tumpel.
Manöver 2 Invaliditätspensionen: Aussagen über den einfachen Zugang zur Invaliditätspension sind Märchen, ÖGB-Präsident
© ÖGB/Schreiner
NANI KAUER
Menschenwürde
Panikmache. „Die Pensionen kosten zu viel“, „die Leute gehen zu früh in Pension“ – das sind die häufigsten Aussagen zum Pensionssystem. „Auch für den ÖGB ist es wichtig, die Sozialsysteme ständig zu überprüfen, zu verbessern und effizienter zu machen“, sagt ÖGB-Präsident Erich Foglar. „Das heißt aber nicht, dass man das gesamte Pensionssystem ständig krankreden und Kürzungen oder Einschnitte als einzigen Ausweg darstellen darf.“
Foglar erwartet, dass man dem vehementer widerspricht. Auch die Zahlen sagen das Gegenteil: 2010 sind knapp 60 Prozent aller Anträge auf Invaliditäts-/Berufsunfähigkeitspensionen abgelehnt worden, nur knapp 40 Prozent wurden bewilligt. Zwei weitere Zahlen zeigen, dass sich wohl kaum jemand diese Pensionsarten erschwindeln würde: Männer bekommen knapp über 1.000 Euro, Frauen knapp unter 800 Euro. Foglar: „Die Menschen werden durch ihre Arbeit zu krank, um weiter arbeiten zu können, das ist Fakt.“
Manöver 3 Generationenkonflikt schüren: Die Alten leben auf Kosten der Jungen – die werden einmal keine Pensionen mehr haben. Das dient allein dazu, einen Keil zwischen ältere und jüngere Generationen zu treiben. Dabei machen Einschnitte bei den jetzigen und baldigen PensionistInnen die Pensionen junger Menschen nicht sicherer. Die beste Garantie für sichere Sozialsysteme auch in Zukunft sind und bleiben ausreichend Arbeitsplätze mit existenzsichernden Einkommen. Ein „Generationen-Scan“, wie ihn Integrationsstaatssekretär Kurz
vorschlägt, ist nur ein Generationen-Spaltungsinstrument, mehr nicht.
Neue Einnahmen „Anstatt ständig über weniger Ausgaben zu reden, muss endlich über steigende Einnahmen geredet werden“, sagt ÖGB-Präsident Erich Foglar. „Die schafft man einerseits mit Wachstum und Beschäftigung, andererseits aber auch mit der Erschließung neuer Einnahmequellen.“ Das geht für den ÖGB von der Wertschöpfungsabgabe über Erbschaftssteuer bis zu Vermögenssteuern (siehe Seite 3).
Todesfälle: Alfred Ströer & Hugo Pepper
Wir trauern Zeitzeugen gestalteten Jugend- und Bildungsarbeit im ÖGB mit. Verluste. Innerhalb nur eines Monats verstarben zwei sehr engagierte Demokraten, Gewerkschafter und Antifaschisten: Alfred Ströer (Foto links) und Hugo Pepper. Schon in ihrer Jugendzeit haben sich beide für ihre Überzeugungen in lebensgefährliche Situationen gebracht. Ströer, gelernter Werkzeugmacher, entstammte einer Arbeiterfamilie und war unter den Nationalsozialisten wegen Hochverrats inhaftiert. Als „Wehrunmündiger“ wurde er später zur berüchtigten Strafkompanie einberufen und geriet gegen Kriegsende in britische Gefangenschaft. Beide waren bis zuletzt als Zeitzeugen unermüdlich im Kampf gegen den Faschismus tätig.
Engagierte Gewerkschafter Knapp nach Kriegsende fassten Ströer und Pepper Fuß im neu gegründeten ÖGB. Pepper war von 1951 bis 1962 im Bildungsreferat des ÖGB tätig. „Gewerkschaftliche Bildungsarbeit hat zum Ziel, den BetriebsrätInnen Wissen und Rüstzeug zu vermitteln, um ihrem Engagement für Gerechtigkeit und Solidarität zum Durchbruch zu verhelfen – nach dieser
Maxime engagierte sich auch Hugo Pepper“, würdigt ÖGBPräsident Erich Foglar den engagierten Gewerkschafter.
Gewerkschaftliche Werte vermitteln Ströer arbeitete sich vom Jugendsekretär bis zum engsten Mitarbeiter des damaligen Präsidenten Franz Olah hoch. Die Arbeit mit Jugendlichen machte er mit Herz und mit großer Hingabe. Politische Arbeit von Jugend an, das war Teil seiner eigenen Biografie, und das wollte er so vielen jungen Menschen wie möglich vermitteln. Ströer blieb auch im Ruhestand aktiv: Er war unter anderem auch Direktor der BrunoKreisky-Stiftung für Verdienste um die Menschenrechte und trat immer wieder in der Öffentlichkeit als Zeitzeuge und Mahner gegen faschistische und rassistische Tendenzen auf. „Alfred Ströer war einer der maßgeblichen Architekten des ÖGB“, sagt Foglar. „Die Jugend von Solidarität und gewerkschaftlichen Idealen zu überzeugen, war, wohl auch als Lehre aus den Schrecken der Nazi-Herrschaft, für Alfred Ströer das wesentliche Leitmotiv seiner Arbeit.“
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SCHWERPUNKT
© ÖGB/Paul Sturm
Arbeiterinnen, Arbeiter, Angestellte, öffentlich Bedienstete: sie sind die wahren LeistungsträgerInnen.
Wer profitiert?
ÖGB-Urabstimmung:
ÖGB und AK fordern daher, dass die Superreichen endlich einen fairen Anteil der Steuerlast übernehmen, doch Finanzministerin Maria Fekter mauert: Entlastungen will sie nur für Top-Verdiener: „Ihre Vorschläge zur steuerlichen Entlastung für den Mittelstand entpuppen sich beim Nachrechnen als Entlastungen für ein paar Spitzenverdiener. Mit diesem Vorschlag ist weder dem Mittelstand noch den Familien geholfen. Mittlere Einkommen von 3.000 bis knapp 6.000 Euro brutto im Monat würden bei Fekters Vorschlag durch die Finger schauen“, analysiert Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB.
Mitstimmen
Leistung: Die wahren LeistungsträgerInnen zahlen viele Steuern.
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Vor zehn Jahren – zwischen 24. September und 19. Oktober 2001 – fand die erste Urabstimmung unter allen ÖGB-Mitgliedern statt. Der ÖGB hatte sich dazu entschlossen, weil die damalige ÖVP/FPÖ-Regierung mit ihrer Politik die ArbeitnehmerInnen massiv belastete, die Gewerkschaften schwächen wollte und Privatisierungen forcierte. 1,428.409 ÖGB-Mitglieder konnten in den Betrieben oder per Briefwahl abstimmen, sieben Fragen waren zu beantworten: Stärkung der Sozialpartnerschaft und der Mitbestimmung; Beibehal-
Wer kann was leisten? Die ArbeitnehmerInnen haben mit ihren Steuern den Reichen ihre Vermögen gerettet. Jetzt sollen die einen gerechten Beitrag zu den Kosten der Krisenbewältigungg leisten. Wer jeden Tag um vier Uhr früh zu arbeiten beginnt, damit rechtzeitig die frischen Semmerln auf die Frühstückstische kommen, der leistet einiges. Wer am Hochofen schwitzt, leistet Schwerarbeit. Wer am Oktoberfest mit 30 Kilo Maßkrügen beladen durch die Festzelte rennt: Die alle sind LeistungsträgerInnen.
Geld arbeiten lassen... Doch was leisten die, die es sich leisten können statt zu arbeiten ihr Geld arbeiten zu lassen? Für die Allgemeinheit leisten sie mit ihren Vermögen jedenfalls viel zu wenig: Der Anteil am Steuervolumen durch vermögensbezogene Steuern beträgt in Österreich gerade einmal 1,4 Prozent, zwei Drittel hin-
gegen zahlen die ArbeitnehmerInnen mit ihren Lohn- und Konsumsteuern. ÖGB-Präsident Erich Foglar bricht daher eine Lanze für die Vermögenssteuer. Der Staat werde mehr Einnahmen brauchen, um seine Schulden abzutragen, argumentiert er, und die müssten von jenen kommen, die „bisher beschämend wenig beigetragen haben“. Während die Leistungseinkommen, also die der arbeitenden Menschen, wegen Inflation und Steuer real kaum wachsen, werden die Vermögen immer größer. Die Millionärsdichte hat sich 2010 deutlich erhöht. Die Millionäre besitzen mittlerweile ein Drittel des privaten Finanzvermögens. Den reichsten zehn Prozent der Menschen
FRAGEN UND ANTWORTEN Wurde die Vermögenssteuer nicht aus gutem Grund abgeschafft? Die alte Form der Vermögenssteuer wurde vom damaligen Finanzminister Ferdinand Lacina abgeschafft, weil sie fast ausschließlich auf Betriebsvermögen eingehoben wurde. Auch Unternehmen, die Verluste geschrieben haben, haben gezahlt. Das hat vor allem die Grundstoffindustrie betroffen. Privatvermögen sind hingegen verschont geblieben. In der derzeitigen Diskussion geht es aber um die Besteuerung privater Vermögen. Auch Lacina tritt für eine Vermögenssteuer ein.
in Österreich gehören zwei Drittel des Finanzvermögens. Diese Vermögen wurden in der Finanzkrise mitsamt den Banken von den SteuerzahlerInnen gerettet. „Die Menschen sind nicht daran schuld, dass jetzt weniger Geld in den Staatshaushalt kommt. Die Budgetlöcher, die es in allen Staaten nun gibt, wurden von der Finanzkrise und den dadurch nötigen Bankenrettungs- und Konjunkturpaketen verursacht.“ Gerechtere Verteilung der Vermögen würde aber auch den Reichen nutzen, weiß der Wirtschaftsforscher Markus Marterbauer: „Ungleiche Verteilung führt dazu, dass nicht nur bei den Armen, sondern auch bei den Reichen die psychischen und körperlichen Erkrankungen steigen und die sozialen Probleme wachsen.“ (Siehe Seite 10)
Gerechtigkeit Nur mit den daraus entstehenden Budgeteinnahmen können wir uns eine Entlastung der Einkommen der arbeitenden Menschen leisten. Den ArbeitnehmerInnen muss mehr Netto vom Brutto bleiben.“ Daher müssten die Belastungen auf Arbeit gesenkt werden, und im Gegenzug müssten große Vermögen endlich angemessene Beiträge leisten. „Man kann es Vermögenssteuer oder Reichensteuer nennen – wir nennen es Gerechtigkeit.“
VERMÖGENSSTEUER – DAS ÖGB-MODELL • •
Ist Erbschaftsbesteuerung leistungsfeindlich? Der ÖGB fordert eine Erbschafts- und Schenkungssteuer für große Vermögen. Wer erbt, leistet nichts. Er/sie braucht für dieses Zusatzeinkommen keinen Finger zu rühren. Auch wer etwas geschenkt bekommt, hat dafür nichts geleistet. Und doch: Man muss keinen Cent Steuern bezahlen. Wer aber für das gleiche Einkommen hart arbeiten muss, liefert hingegen ca. 40 Prozent davon an Staat und Sozialversicherung ab. Der ÖGB fordert eine Erbschaftssteuer für große Erbschaften, nicht aber für das sprichwörtliche Sparbüchl, das die Oma dem Enkerl vererbt: „Jene Erbschaften, die durch eine Erbschaftssteuer spürbare Einnahmen bringen würden, spielen sich innerhalb der reichsten zehn Prozent der Menschen in Österreich ab.“
„Was wir brauchen, ist endlich mehr Gerechtigkeit im Steuersystem“, fordert Achitz. „Die Haltung des ÖGB ist und bleibt völlig klar: Wir wollen und brauchen die Besteuerung der Privatvermögen der Reichen, die 700.000 Euro überschreiten.
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Der ÖGB fordert eine progressive Vermögensbesteuerung, d. h. je größer das Vermögen, desto höher der Steuersatz. Vermögen im Wert von weniger als 700.000 Euro sind von der Vermögenssteuer ausgenommen. Die klassischen „Häuslbauer“ haben also nichts zu befürchten: Laut Daten der Nationalbank (2008) liegt das durchschnittliche Immobilienvermögen bei rund 250.000 Euro – und wäre somit steuerfrei. Der Teil des Vermögens zwischen 700.000 und zwei Millionen Euro wird mit einem Steuersatz von 0,5 Prozent besteuert. Vermögen zwischen zwei und drei Millionen werden mit einem Prozent besteuert. Vermögensteile über drei Millionen werden mit einem Steuersatz von 1,5 Prozent belegt. Wer kein Vermögen über 700.000 Euro besitzt, muss auch keine Erklärung darüber abgeben. Das Steueraufkommen wird auf 2,5 bis 3 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
tung der Pflichtversicherung; Vereinbarung von Lohn-/ Gehaltserhöhungen und Arbeitszeiten weiterhin durch Gewerkschaften in Kollektivverträgen; Anspruch auf Abfertigung ab dem ersten Tag, auch bei Selbstkündigung; offener Bildungszugang ohne soziale Barrieren; Aufrechterhaltung der öffentlichen Dienste; kein Ausverkauf von öffentlichem Eigentum. Der ÖGB fragte seine Mitglieder ebenfalls, ob er zur Durchsetzung dieser Forderungen auch Kampfmaßnahmen ergreifen sollte. Über 800.000 Mitglieder stimmten mit und unterstützten die ÖGB-Forderungen. Die Urabstimmung wurde allgemein, auch außerhalb des ÖGB, als großer Erfolg bezeichnet. Ein unmittelbares Ergebnis war der Beschluss der „Abfertigung neu“, wie vom ÖGB gefordert. Weitere Aktionen, Demos und Streiks gegen die unsoziale Regierungspolitik folgten – nachfolgende Regierungen haben aus den Massenprotesten gelernt und die Ausgrenzung von ÖGB und Gewerkschaften beendet.
Adressänderungen:
Tel. 01/534 44-39100 Montag–Donnerstag 8–16.30 Uhr, Freitag 8–13 Uhr. Oder unter www.oegb.at
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FRAUEN
Nachrechnen:
Equal Pay Day: Einkommensschere bleibt groß
Null = Minus
89 Tage unbezahlt
Auftakt:
Mehr! Am 22. September haben die Kollektivvertragsverhandlungen für die 165.000 Beschäftigten in der Metallindustrie und im Bergbau begonnen. Die Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp fordern eine deutliche Lohnerhöhung über der Inflation, die im Schnitt der vergangenen zwölf Monate 2,7 Prozent betrug. „Die Unternehmen haben außerordentlich gut verdient. Die Auftragsbücher sind gefüllt. Der Metallindustrie in Österreich geht es sehr gut. Jetzt sind die Beschäftigten mit kräftigen Erhöhungen am Zug“, sagt Rainer Wimmer, Vorsitzender der Gewerkschaft PRO-GE. Informationen zu den Verhandlungen: www.proge.at, www.gpa-djp.at
© ÖGB/Reimer
Von Nulllohnrunden ist heuer, im Gegensatz zum Höhepunkt der Krise, bisher keine Rede – wir wollen aber dennoch daran erinnern, dass das die Beschäftigten auf Dauer teuer zu stehen kommen kann. Einmal auf zwei Prozent zu verzichten klingt vorerst nicht dramatisch. Rechnet man sich das aber durch, dann kommt man ganz schön ins Staunen: Einmal auf zwei Prozent zu verzichten – das wirkt sich das ganze weitere Arbeitsleben und sogar bis in die Pension hinein aus! Gut, dass die Gewerkschaften jedes Jahr für Brutto-Lohn- und Gehaltserhöhungen sorgen – noch besser wäre, es bliebe mehr Netto vom Brutto – siehe dazu Seite 3. Rechnen Sie selbst nach, wie viel Geld Sie verlieren würden: www.nulllohnrunde.at
Einkommensschere: ÖGB-Frauen fordern für 100 Prozent Leistung 100 Prozent Einkommen.
e t u e h Ab ? S I T A R G Das Schnitzel braten sie genauso knusprig, den Schweinsbraten genauso saftig und auch ihr Apfelstrudel ist nicht zu süß. Trotzdem verdienen Köchinnen in Österreich im Schnitt deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen. Gleiches gilt für Verkäuferinnen, Kellnerinnen oder Lehrerinnen. Eine Ärztin hat laut Rechnungshof im Monat sogar mehr als 2.000 Euro weniger im Börsel als ein gleich gut ausgebildeter Arzt. Im Ganzen verdienen Frauen in Österreich für die gleiche Arbeit durchschnittlich 24,3 Prozent weniger als Männer – das ist einer der schlechtesten Werte in der EU.
Eine Folge der Krise In Tagen gerechnet bedeutet der Einkommensunterschied, dass Männer am 4. Oktober (Equal Pay Day) bereits jenes Einkommen erreicht haben, wofür Frauen noch bis Jahresende arbeiten müssen. Statistisch gesehen sind Frauen für 89 Tage „unbezahlt“. „Auch wenn der
Equal Pay Day heuer fünf Tage später stattfindet als 2010, ist das kein Grund zur Freude. In der Wirtschaftskrise wurden viele Männer arbeitslos oder mussten auf Kurzarbeit umsteigen. Ihre Einkommen sind nicht im gleichen Ausmaß gestiegen wie die der Frauen. Wir wollen aber, dass Frauen und Männer gut verdienen“, erklärt Brigitte Ruprecht, ÖGB-Frauenvorsitzende.
Mindestens 1.300 Euro Die Gewerkschafterin macht sich daher auch für ein Mindesteinkommen von 1.300 Euro bei einem Vollzeitjob stark. Rund 85 Prozent der arbeitenden Frauen und 58 Prozent der Männer sind im Dienstleistungsbereich wie in der Pflege oder im Handel tätig. „Alle typisch ‚privaten‘ Frauenarbeiten, wie Betreuen und Pflegen werden als geringschätzig angesehen und daher schlechter bezahlt. Dabei sind das zukunftsorientierte Bereiche und die Tätigkeiten von unschätzbarem Wert“, sagt Rup-
EINKOMMEN IN STELLENINSERATEN Ein Erfolg der ÖGB-Frauen: Seit März muss in jeder Stellenanzeige stehen, wie viel man im inserierten Job mindestens verdienen kann – selbst dann, wenn nur nach einer geringfügig beschäftigten Aushilfe gesucht wird. Darüber hinaus muss auch auf die Bereitschaft zur Überzahlung hingewiesen werden. „Damit haben Frauen eine Hürde weniger, wenn es darum geht, gleich gut wie Männer bezahlt zu werden“, sagt ÖGB-Frauenvorsitzende Brigitte Ruprecht. Bislang wird das Gesetz von den meisten Firmen noch nicht befolgt. Ab 2012 drohen aber Sanktionen, Versäumnisse können dann bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft angezeigt werden.
Brigitte Ruprecht: „Her mit dem gleichen Lohn für gleiche Arbeit!“
© ÖGB
Ende September haben die Lohn- und Gehaltsverhandlungen für die Beschäftigten in der Metallindustrie und im Bergbau begonnen – oft als richtungsweisende Abschlüsse bezeichnet. Obwohl die Wirtschaft in einigen Bereichen in den vergangenen Monaten wieder besser läuft, mahnen manche Zurückhaltung von den Gewerkschaften ein.
recht. In zwei Drittel der Kollektivverträge ist der Mindestlohn bereits umgesetzt.
Einkommen unter der Lupe Erfahrungen zeigen, dass Frauen nicht nur nach Branche, sondern auch in den Betrieben geringer bezahlt werden als ihre Kollegen. Auch dem schieben die Sozialpartner einen Riegel vor: Heuer
mussten große Unternehmen erstmals ihre Einkommensberichte intern offenlegen. Das Gesetz wird stufenweise eingeführt, ab 2014 gilt es auch für Unternehmen mit mehr als 150 Beschäftigten. Heuer mussten knapp 200 Betriebe einen Bericht erstellen, zwei Drittel haben das bisher auch getan. Ruprecht: „Jetzt muss man sich genau anschauen, wie und warum Einkommensunterschiede zustande kommen. Manche sind erklärbar, bei manchen handelt es sich aufgrund alter Denkmuster um Diskriminierung.“
BEWERBEN – ABER RICHITG Tipps und Tricks für ein besseres Einkommen Einkommensunterschiede haben viele Ursachen, die nicht gerechtfertig sind. Oftmals erhalten Frauen zum Beispiel keine Zulagen oder ihre Vordienstzeiten werden nicht oder nur unzureichend angerechnet. Beim Bewerbungsgespräch ist es daher wichtig, den eigenen „Marktwert“ und die branchenübliche Bezahlung zu kennen. Tipps für Einkommensverhandlungen:
! Kollektivvertrag „checken“: der Kollektivvertrag verrät das Mindesteinkommen, und welche Zulagen und Sonderleistungen es in der Branche gibt. Ihre Gewerkschaft hilft gerne weiter. ! Lebensläufe werden oft nur überflogen. Daher Weiterbildungen und berufliche Erfahrungen in das Gespräch einbinden. Entsprechende Nachweise und Zeugnisse beim Termin nicht vergessen.
! Wenn das gewünschte Einkommen nicht von Anfang an durchgesetzt werden kann, sollten Sie Neuverhandlungen nach der festgelegten Probezeit vereinbaren. Den Termin am besten fix ausmachen und sich vorab beim Betriebsrat darüber informieren, welches Einkommen im Unternehmen üblich ist. ! Weitere Tipps rund um das Bewerbungsgespräch sowie rechtliche Infos über Bezahlung und Gleichbehandlung enthält die ÖGB-Frauen-Broschüre „Gut verhandelt = besser bezahlt!“. Download unter: www.oegb.at/frauen
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BILDUNG
Bildung: Durchlässigkeit
Lobbyingregister:
Gelernt ist gelernt
Nicht für alle!
Wo man seinen Beruf erlernt, ist egal: Dennoch werden ausgebildete Junge als Lehrlinge bezahlt. „Wer eine Ausbildung abgeschlossen hat, soll auch entsprechend bezahlt werden. Derzeit schummeln sich aber viele Unternehmen daran vorbei“, kritisiert Jürgen Michlmayr, Vorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ), „denn oft werden Absolventen und Absolventinnen von berufsbildenden Schulen nicht als Fachkräfte eingestuft, sondern einfach nur als Lehrlinge bezahlt.“
Wo Lehrlinge oder SchülerInnen eingestuft werden, muss viel klarer geregelt werden.
Bei der Gewerkschaftsjugend haben sich mehrere HandelsschulabsolventInnen gemeldet, die statt als Bürokaufmann/-frau nur als Lehrling eingestuft wurden, und Tourismus-BHS-MaturantInnen, denen der Abschluss gerade nur ein Jahr Anrechnung für die Reisebüroassistenzausbildung eingebracht hat. Michlmayr: „Die Unternehmer sparen sich auf diese Art das höhere Gehalt, das sie eigentlich an die jungen ArbeitnehmerInnen zahlen müssten, und obendrein bekommen sie auch noch eine Lehrstellenförderung.“
Schuljahre anrechnen Für die betroffenen jungen ArbeitnehmerInnen fordert die Gewerkschaftsjugend echte Löhne/Gehälter statt der Lehrlingsentschädigung, und im Allgemeinen müssten Schul- und Lehrjahre
© ÖGB/Reimer
Beschwerden
bzw. -inhalte vollständig gegenseitig angerechnet werden. Eine veraltete Bestimmung im Berufsausbildungsgesetz (BAG) verhindert seit vielen Jahren eine wechselseitige Anrechnung von Schul- auf Lehrzeiten. „Gegen eine Reform wehrt sich die Wirtschaftskammer – obwohl deren Präsident Christoph Leitl in Sonntagsreden immer ein durchlässigeres Bildungssystem einfordert“, erklärt der Vorsitzende der Gewerkschaftsjugend.
Es war einmal Bis zum Jahr 1993 konnte man relativ leicht von der Schule in die Lehre und umgekehrt wechseln – es war im BAG beziehungsweise im Schulorganisationsgesetz (SchOG) festgelegt, dass die bereits gelernten Inhalte auch in der anderen Ausbildung anerkannt und angerechnet werden. Wer also schon einige Schuljahre in der Höheren Technischen Lehranstalt (HTL) verbracht hat, musste nicht als Lehrling im ersten Lehrjahr einsteigen. Und wer mit einer fertigen Lehre in der Tasche noch in der Schule weiterlernen wollte, ist in eine entsprechend hohe Klasse eingeschult worden. „Die Wirt-
schaft jammert immer wieder über einen angeblichen Fachkräftemangel – aber fertig ausgebildete SpezialistInnen will sie nicht ordentlich bezahlen“, kritisiert der ÖGJ-Vorsitzende.
Gesetzesänderung notwendig So lange BMHS-Abschlüsse nicht per Gesetz als Lehrabschlüsse anerkannt werden, wird sich an der Situation nichts ändern: „Die Unternehmen werden weiterhin lieber gut ausgebildete Schulabsolventen und Schulabsolventinnen als Lehrlinge aufnehmen, und sich weiter aus der echten Lehrlingsausbildung zurückziehen.“
Vorfälle rund um die Telekom und andere machen deutlich, dass gewerbsmäßiges Lobbying ganz klar geregelt und sanktioniert werden muss. Das neue Lobbyistengesetz soll vorsehen, dass sich auch die Kammern und der ÖGB in ein Register eintragen müssen. Bernhard Achitz, Leitender Sekretär im ÖGB, lehnt das entschieden ab: „Anerkannte Interessenvertretungen darf man nicht mit gewerblichen Lobbyisten vergleichen, die für Geld heute die eine und morgen eine andere Position vertreten.“ Die Sozialpartner haben daher in einem Lobbyistenregister nichts verloren – auch aufgrund rechtlicher Bedenken, denn es gibt zum Beispiel Gewerkschaftsrechte, die in der Menschenrechtskonvention verbrieft sind. Der ÖGB wird rechtliche Schritte prüfen. Für die gewerblichen Lobbyisten ist ein Register aber notwendig, damit klar wird, wer für wen arbeitet, wenn er Einfluss auf die Politik nimmt. Wie wichtig mehr Transparenz ist, zeigen aktuelle Korruptionsaffären. Hier wie bei diversen Skandalen um schwarzblaue Privatisierungen (z. B. Buwog) fallen immer wieder die Namen der immer gleichen Lobbyisten.
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ARBEITSWELT
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Pflege: Unterstützung auch für Selbstständige
Arbeiten im Grenzgebiet Internationales Gewerkschaftsprojekt bietet Rechtsberatung auf Slowakisch. Pflegepersonal. Laut Zahlen des Sozialministeriums brauchen in Österreich derzeit rund 425.000 Menschen ständige Pflege. Dass diese Zahl in Zukunft noch deutlich anwachsen wird, zeigen Prognosen der Statistik Austria. So soll die Zahl der über 75-Jährigen bis 2030 von derzeit 662.000 auf über eine Million steigen. Schon jetzt greifen Familienangehörige auf BetreuungsPflegepersonal aus der Slowakei: Für ÖsterreicherInnen notwendig, werden sie jedoch häufig von Vermittlungsagenturen ausgebeutet. Projekt ZUWINBAT versucht zu helfen.
personal aus dem Ausland, vor allem auf PflegerInnen aus der Slowakei, zurück. Die meisten von ihnen kommen über Vermittlungsagenturen nach Österreich, deren Geschäftspraktiken oft mehr als zweifelhaft sind. Der Gewerkschafter Emil Grula berät im Rahmen des EU-geförderten Projekts ZUWINBAT Slowakinnen, die als Pflegerinnen in Österreich arbeiten, und kennt die Probleme der Betroffenen. „Die Agenturen verlangen für ihre Vermittlung durchschnittlich 300 bis 400 Euro im Jahr. Es gibt aber auch Fälle, in denen 250 Euro im Monat verrechnet wurden, obwohl in der Slowakei für die Arbeitsvermittlung maximal 30 Prozent des ersten Monatslohns verlangt werden dürfen“, erzählt er.
Nicht fair In vielen Fällen würden rechtlich nicht abgedeckte Vertragsklauseln abgeschlossen. „Man drängt die Betroffenen häufig dazu, einen Vertrag auf Deutsch zu unterzeichnen, den sie gar nicht verstehen“, so Grula. Eine Kopie des Dokuments erhalten die ArbeitnehmerInnen in vielen Fällen nicht – was es ihnen erschwert, gegen den Arbeitgeber vorzugehen. ZUWINBAT unterstützt die Betroffenen daher gemeinsam mit den Gewerkschaften vida und GPA-djp. Unter anderem werden Rechtsberatung, Erklärungshilfen und Dokumente auf Slowakisch angeboten. Da die derzeitige Regelung der 24-Stunden-Betreuung den meisten ArbeitnehmerInnen kaum eine andere Wahl lässt, als auf selbstständiger Basis zu arbeiten, bieten die Gewerkschaften auch ihnen die Möglichkeit einer Mitgliedschaft. Michaela Hubweber
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Solidarität
REPORTAGE
Reportage: Zimmermädchen
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1. Gewerkschaftstag:
Kontrolle ist gut
Fürs Land
Alles hat seine Ordnung Neben perfekter Sauberkeit, sind auch viele andere Standards einzuhalten: etwa, wie Kleiderhaken zu hängen haben oder wie tief die Jalousie hinab gezogen wird. „Ich kontrolliere jede Ecke, das Zimmer muss tipptopp sein. Es gibt einen langen und einen kurzen Weg das Zimmer zu putzen: Betrachtet man die Fliesen nur von der Seite, fallen selten Flecken auf. Von oben ist jeder Fleck sichtbar.“ Vesna Dizdarevoc hat ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen, war bis zum Krieg in Ex-Jugoslawien in der Direktion der Bundesbahn beschäftigt. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, kam sie 1992 als Flüchtling nach Österreich. Ein Leben als Bedienerin, Stubenfrauen und in Folge als deren Vorgesetzte. Ein Zimmermädchen hat keinen einfachen Job, denn in einer Schicht müssen bis zu 19 Zimmer geputzt werden – da bleiben knappe 20 Minuten pro Raum.
© ÖGB/Schreiner
Perfektion. Frau Vesna macht einen Kontrollgang im Doppelzimmer. Überprüft, ob die Laken gut gespannt sind, sich ja kein Staubkorn verirrt hat und Schubladen einwandfrei schließen. „Gerne bleiben irgendwo Haare übrig“, erklärt Vesna Dizdarevoc und setzt im Bad sicherheitshalber ihre Brille auf. Dizdarevoc ist seit elf Jahren Etagengouvernante – auch „Floorsupervisorin“ genannt – im edlen Hotel Intercontinental am Stadtpark. Erst wenn die Floorsupervisorin das Hotelzimmer frei gibt, darf es der Gast betreten. „In der Regel nehme ich immer ein kleines Tuch mit. Wenn sich aber Fehler wiederholen, muss ich mit dem Zimmermädchen reden.“ Kein Hotel, besonders ein gehobenes Haus, kann sich Schmutz und Defekte leisten.
© Harald Mannsberger/GdG-KMSfB-Archiv
Zimmer und Suiten sind das Aushängeschild eines Luxushotels, dafür sorgen Stubenmädchen.
»Es wird oft unter großem Zeitdruck gearbeitet, weil viele Gäste lange schlafen und spät aufstehen. Stubenfrauen haben keinen einfachen Job.« Rudolf Komaromy, Betriebsratsvorsitzender
Sind die Laken gut gespannt, hat sich ein Staubkorn verirrt: Vesna Dizdarevoc muss bei ihrem Kontrollgang auf jede Kleinigkeit achten.
Fairer Arbeitgeber
19 Zimmer pro Schicht: Ein fordernder Beruf.
„Es wird oft unter großem Zeitdruck gearbeitet, weil viele Gäste spät aufstehen“, weiß Betriebsratsvorsitzender Rudolf Komaromy, er ist auch der Bundesfachgruppenvorsitzende Tourismus in der vida. Niedrige Bezahlung, häufige Wochenendarbeit, körperliche Anstrengung und schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind das Los des Housekeepings. Doch das Intercontinental zahlt zumindest 40 Prozent über dem Kollektivvertrag. Manches im fordernden Job ist freilich auch amüsant: wie ein scheinbar leeres Zimmer, wo die Tuchent beim Aufbetten einen Schlafenden freigibt. In
einem internationalen Haus wie dem Intercontinental ist es üblich, dass Stubenmädchen über nationale Eigenheiten Bescheid wissen. Japaner baden häufig mit eigenen Ölen, die das Putzen der Wanne zur Qual machen. Arabische Gäste lassen sich häufig nur von Herren bedienen. Von den 332 MitarbeiterInnen im Intercontinental sind 50 im Hauskeeping als Stubenfrauen und Hausmänner tätig, sie stammen aus vielen verschiedenen Nationen. Für das Wohlgefühl der Gäste sind zu guter Letzt diese Frauen und Männer verantwortlich. Christian Resei
Der erste Gewerkschaftstag der GdG-KMSfB seit der Fusion fand Ende September unter dem Motto „Für unser Land“ statt. Die Delegierten debattierten über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, Kernforderung war die Einführung einer Vermögenssteuer. Gewerkschaftsvorsitzender Christian Meidlinger, der wiedergewählt wurde, warnte auch davor, Österreich dürfe keine „Steueroase für Reiche“ bleiben. Er forderte Gerechtigkeit bei der Finanzierung des Staates durch Steuereinnahmen. Vermögende würden in Österreich viel weniger Steuer als im EUDurchschnitt zahlen. Zudem sprach er sich gegen die Privatisierung kommunaler Einrichtungen aus. Zur Eröffnung hatten sich neben Bundespräsident Heinz Fischer unter anderem Sozialminister Rudolf Hundstorfer sowie die Präsidenten von ÖGB und Arbeiterkammer, Erich Foglar und Herbert Tumpel, eingefunden. Fischer würdigte in seiner Eröffnungsrede die Leistungen der Gemeinden: „Ich behaupte, zwischen der Lebensqualität des Landes und den Leistungen, die von den Gemeinden und Gemeindebediensteten erbracht werden, besteht ein unübersehbarer Zusammenhang.“
„Lesen ist Bildung. Bildung ist Zukunft.“ Erich Foglar ÖGB-Präsident
Österreich liest Österrei TTreffpunkt Bibliothek B 17.–23. 17 23 O 23 Oktober 2011 www.oesterreichliest.at
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RECHT
Pensionen: Grenzgänger
Deutsche Rente versteuern? Seit einiger Zeit müssen österreichische BezieherInnen von deutschen Pensionen in Deutschland eine Steuerveranlagung durchführen – kompliziert, aber die Arbeiterkammer berät. Migranten. 2011 stand ganz im Zeichen der Diskussion über die Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes für Menschen aus den „neuen“ EU-Ländern. Darüber konnte man schon einmal vergessen, dass auch ÖsterreicherInnen seit Jahrzehnten in die Rolle der Gastarbeiter geschlüpft sind. Tausende, die einen Teil ihres Arbeitslebens in Deutschland verbrachten, wurden kürzlich unangenehm an diese Zeit erinnert: vom Finanzamt Neubrandenburg, das ihnen eine Aufforderung schickte, ihre deutsche Pension, dort Rente genannt, rückwirkend ab 2005 in Deutschland zu versteuern.
Formulare ausfüllen und nach Neubrandenburg schicken“, sagt Werner Thum, Vorsitzender der ÖGB-PensionistInnen.
Deutsche Renten, z. B. bei der Arbeit im Münchner Hofbräushaus erworben, müssen in Deutschland – in Österreich aber nicht noch einmal – versteuert werden.
Der Hintergrund
Ältere verunsichert
© ÖGB/Reimer
153.000 wurden seit Sommer 2010 aufgefordert, die deutsche Einkommensteuer von ihrer deutschen Rente zu legen. „Bei vielen älteren Menschen hat das für große Verunsicherung gesorgt, weil sie schon seit Jahren ihre Rente nach Österreich geschickt bekommen, und auf einmal müssen sie komplizierte
Ab dem Veranlagungszeitraum 2005 zählen auch aus Deutschland stammende Renteneinkünfte zu den (deutschen) inländischen Einkünften. Bei Renten wird die Einkommensteuer nicht automatisch abgezogen, sondern man muss eine Veranlagung machen und die Steuer selbst überweisen. Thum: „Das ist zwar kompliziert, aber die deutsche Rente muss in Österreich nicht noch einmal versteuert werden. Das wird durch ein Doppelbesteuerungsabkommen ausgeschlossen.“ Allerdings erhöht sich durch die deutsche Rente die Bemessungsgrundlage für die österreichische Einkommensteuer – was dazu führt, dass der Steuersatz auf die österreichische Pension steigt. Wem das alles zu kompliziert ist, kann sich an die Beratungsstellen der Arbeiterkammern wenden: www.arbeiterkammer.at
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Solidarität
ARBEITSWELT
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EU-FinanzministerInnen:
Falscher Weg
© Waldhausl
ErntehelferInnen aus Rumänien und Ungarn haben kein leichtes Los bei der Arbeit in einigen Landwirtschaftsbetrieben im Burgenland.
Arbeitsmarkt: Ausbeutung auch in Europa, auch in Österreich
Almeria in Österreich?
3,0 bis 3,5 Euro pro Stunde bar auf die Hand, kein Urlaubsund Weihnachtsgeld, keine soziale Sicherung bei Krankheit und Unfall: Ja, das spielt sich im östlichsten Bundesland Österreichs ab. Vor allem im Bereich der Landwirtschaft herrschen sehr große arbeitsund sozialrechtliche Missstände. Das ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass es sich hierbei um ArbeitnehmerInnen handelt, die kaum bis keine Deutschkenntnisse haben und nicht über ihre arbeitsrechtlichen Ansprüche Bescheid wissen. Nicht selten passieren Arbeitsunfälle, die Betroffenen werden dann rasch über die Grenze zur ärztlichen Versorgung gebracht. „Seit der Arbeitsmarktöffnung im Mai 2011 bemerken wir große Veränderungen. Etwa bei der Sozialversicherung werden ArbeitnehmerInnen auf 20 Wochenstunden rückgemeldet. In
stärkt rumänische ArbeitnehmerInnen in die burgenländische Landwirtschaft drängen und bereit sind, zu billigeren Stundenlöhnen zu arbeiten. Bernhard Achitz, Leitender Sekretär im ÖGB, erinnert in diesem Zusammenhang an das Lohn- und Sozialdumpinggesetz. „Die Betrugsbekämpfungsbehörde kontrolliert nun die Einhaltung der KV-Löhne, Unterentlohnung ist strafbar. Alle ArbeitnehmerInnen, egal ob aus Österreich oder aus dem Ausland, müssen vor Ausbeutung geschützt werden.“
Montagearbeiter aus Asien Bereits im Jahr 2006 machten Gewerkschaften auf katastro-
phale und menschenunwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen in Linz aufmerksam. Damals warf der ÖGB einem Linzer Unternehmen Sklavenhaltung vor. Etwa 150 Montagearbeiter aus Indonesien und Südkorea wurden von der Firma beschäftigt, sie waren für Abrissarbeiten verantwortlich. „Für die Spezialmonteure war eine 60-Stunden-Woche normal, außerdem hat der Stundenlohn 1,30 Euro betragen“, zeigte sich damals die Metallergewerkschaft frustriert, denn für diese Arbeiten lag der KV-Mindestlohn bei 10,50 Euro. (Mehr zu diesem Thema auf Seite 11.) Amela Muratović
Verdrängungswettbewerb Im Rahmen der ungarischen Rechtsberatung wurden seit 2004 insgesamt 32.331 Beratungen durchgeführt. Davon entfielen 29 Prozent auf LandarbeiterInnen. Seit der Arbeitsmarktöffnung berichten die LandarbeiterInnen, dass ver-
Tag des Sports 2011:
GewinnerInnen
© Gisela Ortner
Ausbeutung
manchen Betrieben wurde die gesamte Belegschaft von Vollzeit auf Teilzeit rückgemeldet“, erzählt Gerhard Michalitsch, Landessekretär ÖGB Burgenland. Im Rahmen der IGRBeratungstätigkeit (Zukunft im Grenzraum) berichteten ungarische ArbeitnehmerInnen unter anderem über sogenannte „Schwarze Listen“. ArbeitnehmerInnen werden eingeschüchtert gegen den Arbeitgeber vorzugehen, weil sie dann auf „Schwarze Listen“ kommen und auch von anderen Arbeitgebern in der Landwirtschaft gemieden werden. Weiters gaben sie an, dass sie während ihrem Arbeitsverhältnis für die Hälfte der Zeit keine Arbeitsgenehmigung hatten und nur für eine kurze Zeit bei der Gebietskrankenkasse angemeldet wurden.
© ÖGB/Reimer
Europa. In der spanischen Provinz Almeria werden Gemüse und Früchte für ganz Europa angebaut – unter menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen. Ohne die 120.000 ArbeitsmigrantInnen wäre das Wirtschaftswunder Almeria und das billige Gemüse in den heimischen Supermärkten nicht möglich. Katastrophale Zustände in der Landwirtschaft und Ausbeutung stehen aber nicht nur in Almeria an der Tagesordnung. Auch Österreich hat damit zu kämpfen.
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Billige Arbeitskräfte: Sie haben fast keine Deutschkenntnisse und wurden nicht über ihre Ansprüche informiert. Wer selbst nicht um sein Recht kämpft, geht mit leeren Händen nach Hause.
Rund 30.000 DemonstrantInnen aus vielen Ländern Europas haben Mitte September in Breslau/Polen – dort tagten zugleich die EU-FinanzministerInnen – deutlich gemacht, dass sie so lange auf Europas Straßen gehen werden, bis die Politik begreift, dass sie nicht länger gegen die Menschen handeln kann. „Unregulierte Finanzmärkte haben eine Kettenreaktion von Krisen ausgelöst, die Europa schließlich in die Schuldenkrise geführt haben. Die Politik lässt sich aber nun nicht davon leiten, was gut für die Menschen und die Volkswirtschaften ist, sondern hechelt den Entwicklungen auf den Finanzmärkten hoffnungslos hinterher – und lässt sich von den Empfehlungen der Rating-Agenturen leiten. Das ist eindeutig der falsche Weg“, sagte ÖGB-Präsident Erich Foglar in Breslau. Der ÖGB-Präsident bekräftigte auch, dass es eine stärkere europäische Integration nur bei einer stärkeren Einbindung der Sozialpartner geben kann. Dafür müsse auch akzeptiert werden, dass Löhne und Kollektivvertragsverhandlungen die alleinige Angelegenheit der Sozialpartner sind.
Am 24. September hieß es zum 11. Mal in Folge „Es lebe der Sport“. Am Wiener Heldenplatz konnten die GewinnerInnen des Solidarität-Preisausschreibens die Gelegenheit nutzen, im Zelt des „ROT-WEISS-ROTTeams“ Spitzen-AthletInnen persönlich kennenzulernen und Autogramme zu sammeln. Die GewinnerInnen erhielten außerdem VIP-Pakete sowie die limitiert gedruckte Sondermarke der Doppelweltmeisterin Elisabeth Görgl. Auch für Unterhaltung war gesorgt. Auf drei Bühnen fanden Konzerte sowie sportliche Darbietungen statt, und vielerorts konnten die verschiedensten Sportarten selbst ausprobiert werden.
Solidarität
Gewinnspiel: Spielefest 2011 Rasante Würfel-, spannende Strategie- oder knifflige Quizspiele, aber auch eine Reihe unkonventioneller Alternativen bietet der SpieleJahrgang 2011. Im Trend liegen flotte Spiele, bei denen man gleichzeitig um den Sieg wetteifert, statt geduldig zu warten bis man an der Reihe ist. Den besten Überblick über die neuen Spielideen verschafft man sich auch heuer wieder beim traditionsreichen Spielefest im Austria Center Vienna von 18. bis 20. November. Die Solidarität verlost unter ihren LeserInnen drei Spiele:
Voll in Fahrt: Ein rasantes Familienspiel, bei dem man rasch über das Ziel hinausschießt oder von den MitspielerInnen von den Gleisen geschubst wird.
Tohuwabohu: Partyspiel für Groß und Klein, es gilt bis zu 100 skurrile Aufgaben zu lösen.
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SERVICE Mahlzeit: Lettland
Roggenbrot und Brotbier Nachbars Küche, Teil 6: Viel Zeit ist notwendig, um Bier zu brauen, Sulz zu kochen und Brombeeren zu pflücken. Und ein Nachspeisenrezept. Geduld. „Zeit macht aus einem Gerstenkorn eine Kanne Bier.“ In Lettland darf die Zubereitung von Speisen von nationaler Wichtigkeit also eine Weile dauern; das ist gut, denn Sulz geht einfach nicht schnell. Mindestens drei Stunden sollte man Schweine- und Kalbsfüße schon auskochen, dann muss die Suppe noch auskühlen, bis man sie über Fleisch- und Gemüsewürfel gießen kann, wo sie dann gemütlich ausgeliert. Man sieht schon: Wie in der Gegend üblich, tendiert man auch im mittleren der drei baltischen Staaten zu deftigem Essen, mit vielen Anleihen der Küchen der wechselnden Fremdherrscher: Deutsche Hanse, Schweden, Russen, deutsche Nazis, wieder Russen – frei wurde Lettland erst mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991.
Sauermilch und Kefir! Von den Deutschen sind die Kartoffeln geblieben, das dunkel geschmorte Sauerkraut, von den Russen und Polen der Borschtsch und die Idee, etwas in Teig einzupacken: Piragi, mit Räucherspeck und Zwiebeln gefüllte Germteigbrötchen, sind der Imbiss der Wahl. Dazu je nach Tageszeit
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Von einem Apotheker erfunden: Balsam-Likör aus Birkenknospen, Beeren und Kräutern.
Bier, viel Tee, Milch, Sauermilch (Rugušpiens) oder Kefir. Kvass ist ein maximal schwach alkoholisches Getränk aus vergorenem Roggen(-brot ) und Hefe; oder aus Instantpulver, wenn die Zeit doch nicht so ausufernd vorhanden ist wie zum Brauen notwendig. Vorausgesetzt das Roggenbrot wird nicht zu Kvass verarbeitet oder gar aufgegessen, kann man es zu einer Nachspeise verarbeiten. Dafür 250 Gramm
trockenes Brot reiben, in Butter rösten und auskühlen lassen. Etwas davon in ein Glas geben, dann mit Obstler vermischte Brombeermarmelade darüberschichten, dann mit Vanillezucker geschlagenes Obers, und dann wieder von vorne ... mit Brombeeren servieren, entweder selbst gepflückt oder aus der Zentralmarkthalle in der Moskauer Vorstadt Rigas, die früher ein Hangar für Zeppeline war und heute einen der beein-
druckendsten Märkte Europas überdacht. Aber zurück zu den Waldfrüchten: Aus diversen Beeren, Kräutern und Birkenknospen entsteht der Rigas Melnais Balzams, ein schwarzer bittersüßer Balsam. Der hat für einen Likör beachtliche 45 Prozent Alkohol, muss aber gesund sein, denn er wurde 1752 von Abraham Kunze erfunden – und der war Apotheker. Florian Kräftner
Wirtschaft: Antwort auf die Krise
Gerecht verteilen! Die Krise kann nur durch den Ausbau des Sozialstaats langfristig bewältigt werden.
Ranking: Was ist gefährlicher? Ein Turnschuh oder eine Taschenlampe? Die Spieler stellen die verrücktesten Vergleiche an, um kräftig Punkte zu sammeln.
Gewinnfrage: Wann fand der „Welttag für menschenwürdige Arbeit“ statt? Einfach Frage beantworten, Antwort bis 25. Oktober einsenden an soli@oegb.at oder Solidarität, Johann-BöhmPlatz 1, 1020 Wien
Comeback. Die Wirtschaftskrise war da, und alle, die jahrelang dem Rückzug des Staates das Wort geredet hatten, waren auf einmal überzeugt von einer aktiven Interventionspolitik. Rettung von Banken und Investitionen in Konjunktur und Arbeitsplätze verhinderten eine Depression wie in den 1930erJahren. Doch leider, dieses Comeback des Keynesianismus war nur von kurzer Dauer, kritisiert der Wirtschaftsforscher Markus Marterbauer in seinem neuen Buch: „Der Stabilisierungserfolg (…) bedeutet noch lange keine erfolgreiche Bewältigung der Krise selbst. Denn diese müsste bei den tieferen Ursachen ansetzen: der hohen Ungleichheit der Verteilung von Vermögen und Einkommen, den zunehmenden Ungleichgewichten in der Weltwirtschaft und der Dominanz
der liberalisierten Finanzmärkte und Banken.“
Verursacher der Krise Die Wirklichkeit sieht anders aus: Durch die Bankenrettung sind Staatsschulden entstanden – öffentlich behauptet wird aber, dass diese Schulden die Ursache der Krise waren. Also müssen sie nun abgebaut werden, am besten über Kürzungen der Ausgaben, sprich: beim Sozialstaat. Marterbauer rechnet aber vor, dass Sozialstaaten Krisen sogar verhindern können. Hätte es etwa in den USA und in Spanien Sozialwohnungen und Mietobergrenzen gegeben – hätte es zu keiner Immobilien- und Kreditblase kommen müssen, die die Krise ausgelöst haben.
Marterbauers Antwort Marterbauers offensive Ant-
wort auf die Krise lautet: Verteilungsgerechtigkeit erhöhen, Sozialstaat ausbauen. Das würde sich rechnen: Ein höheres Angebot an sozialen Dienstleistungen, zum Beispiel in Kinderbetreuung und Altenpflege, sowie Arbeitszeitverkürzung schaffen Arbeitsplätze. Und arbeitende Menschen zahlen Einkommensteuer. Sie konsumieren und zahlen Mehrwertsteuer. Von Steuersenkungen profitieren hingegen vor allem die Haushalte mit den höchsten Einkommen – die sparen aber 60 Prozent von diesem Zusatzeinkommen. Beim untersten Einkommensdrittel hingegen gehen 80 Prozent in den Konsum. Langfristig sieht Marterbauer ein zusätzliches Potenzial von bis zu 700.000 Menschen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen würden: Arbeitslo-
Markus Marterbauer: Zahlen bitte! Die Kosten der Krise tragen wir alle. Deuticke, 18,40 Euro. Bestellungen unter
www.oegbverlag.at/ fachbuchhandlung se, Frauen, die statt Kinder und Alte zu pflegen lieber Vollzeit arbeiten würden, Menschen, die jetzt vorzeitig in Pension gehen müssen, weil sie zu krank zum Arbeiten sind, usw. … Wenn die Wirtschaft also vor Arbeitskräftemangel warnt, entgegnet Marterbauer: „In den 1970er-Jahren bezeichnete man die gleiche Situation als Vollbeschäftigung.“ Florian Kräftner
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Solidarität
INTERNATIONAL
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Finanztransaktionssteuer:
Gibt‘s bald?
Katastrophale Arbeits- und Lebensbedingungen in Almeria: Profiteure sind die Wirtschaft und KonsumentInnen - auch in Österreich.
Kampagne: Welttag für menschenwürdige Arbeit
Menschen im Fokus Ausbeutung. Anlässlich des „Welttages für menschenwürdige Arbeit“ (WMFA) beteiligen sich Millionen Menschen an den zahlreichen Aktivitäten. Auch dieses Jahr: Am 7. Oktober machten ArbeitnehmerInnenrechtsorganisationen überall auf der Welt – von Fidschi im Osten bis Hawaii im Westen – zum vierten Mal in Folge für menschenwürdige Arbeit mobil. Obwohl die Aktionen in den Ländern auf unterschiedliche Themen eingehen, war der Fokus heuer in erster Linie auf prekäre Beschäftigungsformen und die Förderung ei-
ner globalen Regulierung des Finanzsektors gerichtet.
Zur Kasse bitte! „Nachdem sie bereits für die Rettung der Banken gezahlt haben, werden die ArbeitnehmerInnen jetzt erneut für die Krisenbekämpfung zur Kasse gebeten, da durch die Kürzungen im öffentlichen Dienst Leistungen und Zuschüsse verringert werden. Zudem haben die Betriebe mit Unterstützung einiger Regierungen einen unerbittlichen Angriff auf die Löhne und die Arbeitsplatzsicherheit gestartet“, er-
klärte IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow. Angesichts von 205 Millionen Menschen ohne Arbeit ist die Förderung nachhaltiger Lösungen wichtiger denn je. Derzeitige Prognosen gehen davon aus, dass in dem kommenden Jahrzehnt mit weiteren 45 Millionen jungen arbeitslosen Menschen zu rechnen ist. Gelingt es nicht die Wirtschaftspolitik so umzugestalten, dass menschenwürdige, nachhaltige Arbeitsplätze geschaffen werden, so hätte das katastrophale soziale und wirtschaftliche Folgen für die Zukunft.
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Internationaler Gewerkschaftsbund ruft weltweit zu Taten auf. Prekäre Verhältnisse Viele junge Menschen und Frauen stehen in unsicheren und unvorhersehbaren – sogenannten prekären – Arbeitsverhältnissen. Geprägt ist prekäre Arbeit durch atypische Arbeitsverträge, begrenzte oder überhaupt keine Sozialleistungen oder gesetzliche Ansprüche, geringe Arbeitsplatzsicherheit, eine kurze Dauer des Arbeitsvertrages, niedrige Löhne und ein hohes Risiko in Bezug auf Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Amela Muratović
Reichensteuern:
Gibt’s schon
EU: Medizin und Pflege
Immer weniger Ärzte? ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit gefährdet Versorgung vor allem im Baltikum und am Balkan. Tschechien übernehmen dann Slowaken/-innen, die dann in der Slowakei fehlen.
Mangel an Pflegepersonal Beim Pflegepersonal ist die Situation noch krasser. 7.000 Pflegekräfte, vor allem in der mobilen Hauskrankenpflege und im Langzeit-Pflegebereich, fehlten hierzulande zu Jahresbeginn. Schätzungsweise 600.000 KrankenpflegerInnen werden in den nächsten zehn Jahren europaweit fehlen. Die Gründe dafür: Die Menschen werden immer älter, freie Stellen werden selten nachbesetzt, die Arbeitsanforderungen sind relativ hoch – und Beschäftigte, die in einem anderen Land arbeiten, weil sie dort mehr verdienen, fehlen in ihrem Herkunftsland. Letzteres stellt besonders die Länder des Baltikums und des Balkans vor große Probleme, die Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerung sicherzustel-
len. Auf EU-Ebene kennt man die Situation: 2010 forderten die GesundheitsministerInnen der 27 Mitgliedsländer die EU-Kommission auf, bis 2012 Maßnahmen vorzulegen.
Situation verbessern Wichtig seien in erster Linie „vernünftige Gehälter, wettbewerbsfähige Arbeitsbedingungen und Weiterbildungsmöglichkeiten“, unterstreicht Godfrey Perera, Generalsekretär der Europäischen Vereinigung der Arbeitgeber im Krankenhaus- und Gesundheitswesen. Die europäischen Sozialpartner verhandeln seit 2006 darüber und haben bereits einen Aktionsplan verabschiedet. In Österreich sollen im Rahmen eines „Pflegefonds“, über den nun verhandelt wird, auch die Arbeitsbedingungen der Gesundheitsberufe verbessert werden. Heike Hausensteiner
© Mauritius
Gesundheitsberufe. Langes Warten in der Ambulanz – das kennt man. Und die Wartezeiten dürften sich in den kommenden Jahren verlängern. Denn Europa geht das Gesundheitspersonal aus. Zwar hat Wien laut dem Institut für Höhere Studien um 72 Prozent mehr Ärzte/-innen als Restösterreich. Doch im Vergleich zu Deutschland und Frankreich ist die Ärztedichte sehr niedrig. Zudem werden im Gefolge der Wirtschaftskrise derzeit in den Wiener Spitälern (Turnus-) Arztposten eingespart. Anders in manchen Bundesländern: In Oberösterreich werden Turnusärzte/-ärztinnen gesucht. Das Krankenhaus Braunau zahlt Prämien an MitarbeiterInnen, wenn sie solche vermitteln. Dass tschechische MedizinerInnen in Nieder- oder Oberösterreich arbeiten, weil sie hier mehr verdienen, sind keine Einzelfälle. Ihre Jobs in
Seit Jahren trommeln Gewerkschaften und andere Organisationen für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Die Europäische Kommission hat diese für 2014 endlich angekündigt. „Die Umsetzung muss rasch und ohne Lücken erfolgen“, fordert ÖGBPräsident Erich Foglar. Insgesamt sollen die EUStaaten mit dieser Steuer 55 Milliarden Euro einnehmen können. „Der ÖGB wird den Entwurf kritisch bewerten und darauf achten, dass es keine Schlupflöcher gibt“, sagt Foglar. Mit der Finanztransaktionssteuer sollen Finanzmärkte stabilisiert und reguliert werden. Darüber hinaus ist die Steuer ein wichtiger Schritt zu mehr Gerechtigkeit. Denn während ArbeitnehmerInnen einen Großteil zur Finanzierung des Staates beitragen, gibt es immer noch Steuerprivilegien für Unternehmen und Reiche.
Liliane Bettencourt, reichste Frau Europas und Chefin von L’Oreal in Frankreich, der US-Investor Buffett, Ferrari-Chef Luca di Montezemolo und der heimische Bauunternehmer Haselsteiner: Sie alle haben eines gemeinsam, und zwar wollen sie mehr Steuern zahlen. Warren Buffett z. B. sieht nicht ein, dass er weniger Steuern zahlt als seine Sekretärin. In vielen Ländern gibt es bereits höhere Steuern für Reiche: In Frankreich zahlen seit kurzem Bezieher von Jahreseinkommen über 500.000 Euro bis 2013 eine Sondersteuer von jährlich drei Prozent. In den USA sollen jene, die mehr als acht Millionen Dollar pro Jahr verdienen in Zukunft 29 Prozent statt bisher 17 bezahlen. In Spanien müssen die rund 160.000 Menschen, deren Vermögen über 700.000 Euro liegen, 0,2 Prozent „Sonderabgabe“ zahlen. Italiener mit mehr als 300.000 Euro Jahreseinkommen zahlen ab Jänner drei Prozent Sondersteuer.
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Solidarität
MAGA ZIN/MEINUNG
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Reiche sollen zahlen! Obama macht ernst: Eine Reichensteuer, benannt nach dem superreichen Investor Warren Buffett, soll mehr Einnahmen in den USStaatshaushalt bringen. Gute Idee! Wirtschaftsforscher Marterbauer rechnet für Österreich vor: Wenn nur die 4.000 Reichsten, die über 23.000 Euro im Monat verdienen, statt 50 Prozent 60 Spitzensteuersatz zahlen, bringt das 300 Millionen im Jahr.
Alle sollen zahlen!
Illustration: Markus Szyszkowitz
Finanzministerin Maria Fekter ist sehr kreativ: Golden Handshakes voll besteuern – trifft alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, weil unter anderem auch Abfertigungen gemeint sind. Steuerliche Entlastungen für den Mittelstand: Das betrifft aber nur eine geringe Anzahl von Spitzenverdienern und Spitzenverdienerinnen. Wer zwischen 3.000 bis knapp 6.000 Euro brutto im Monat verdient, schaut durch die Finger.
Gastkommentar: Nationalsrats-Präsidentin Barbara Prammer
Bildung schafft Gerechtigkeit „Menschen muss es leicht und nicht schwer gemacht werden, sich immer wieder neues Wissen anzueignen.“ Politik, wie ich sie verstehe, muss vieles leisten, voran stehen für mich jedoch zwei Aufgaben: allen Menschen faire Chancen zu bieten und ihnen Zukunft zu eröffnen. Soziales und Bildung müssen im Mittelpunkt allen politischen Handelns stehen. Zentrales politisches Ziel ist und bleibt für mich eine gerechtere Gesellschaft; eine faire Gesellschaft, die allen Chancen eröffnet; eine soziale Gesellschaft, die auf Schwächere schaut, in der nicht Egoismus und Rücksichtslosigkeit dominieren; eine verlässliche Gesellschaft, in der gleiches Recht für alle gilt und durchgesetzt wird. Eine solche Gesellschaft kann nicht mit einigen wenigen Maßnahmen erreicht werden, vielmehr muss die gesamte Politik danach ausgerichtet sein.
Türen werden geöffnet Ein Schlüssel zu mehr Chancen und Möglichkeiten ist Bildung. Sie bietet keine Garantie für ein besseres, glücklicheres Leben, aber sie öffnet Türen. Aufgabe der Politik ist es, diese Türen zu öffnen. Was das bedeutet, ha-
be ich selbst erlebt: Im letzten Schuljahr, in der Maturaklasse, habe ich zum ersten Mal neue Schulbücher bekommen. Bis dahin musste ich mit alten,
»Ein Schlüssel zu mehr Chancen ist Bildung.« Barbara Prammer
übertragenen Büchern auskommen. Ich bezeichne mich deshalb als „Kind Kreiskys“, weil ich zu jener Generation gehöre, die von der Bildungsoffensive Anfang der 1970er-Jahre enorm profitiert hat. Damals wurden bestehende Barrieren abgebaut und allen gleicher Zugang zu Bildung ermöglicht, im Wissen, dass nur so eine gerechtere Gesellschaft herzustellen ist. Noch immer beeinflusst die soziale Hierarchie Bildungs- und somit Lebenschancen. Der Erwerb von Bildung ist freilich niemals abgeschlossen und somit keine Frage des Alters. Gerade in unserer dynamischen Zeit, in der sich Wissen ständig vermehrt, ist Erwachsenenbildung so eminent wichtig. Den
Menschen muss es leicht und nicht schwer gemacht werden, sich immer wieder neues Wissen anzueignen, um sich auf Neues einlassen zu können. Besonders wichtig ist das für Frauen, die sich vermehrt für technische Berufe interessieren sollten. Ich bin davon überzeugt, dass sie hier ebenso große Fähigkeiten haben wie Männer.
Reiche zur Kassa Eben weil Bildung keine Gewähr für Lebensglück ist, ist staatlicher Ausgleich notwendig. Es muss der Gerechtigkeit nachgeholfen werden, etwa in Form eines gerechten Steuersystems. Tatsache ist, dass jetzt die Finanz- und Wirtschaftskrise aufgearbeitet werden muss, sprich: dass die überschuldeten öffentlichen Haushalte stabilisiert werden müssen. Diese Lasten dürfen aber nicht ausschließlich den arbeitenden Menschen aufgebürdet werden. Wohlhabende, Reiche stärker zur Kasse zu bitten, ist ein Gebot der Stunde. Das ist die aktuelle Herausforderung. Sie deckt sich mit dem
Barbara Prammer, Nationalratspräsidentin und stellvertretende SPÖ-Vorsitzende
grundsätzlichen Ziel einer gerechteren Verteilung von Steuerlasten. Mit gutem Grund macht sich der ÖGB für vermögensbezogene Steuern und für eine Entlastung des Faktors Arbeit stark. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, eine Reform der Gruppenbesteuerung für Banken und Konzerne, die Begrenzung der Absetzbarkeit von Managergehältern gehören dazu. Im Gegenzug sollen mittlere Einkommen entlastet werden. Viel ist bereits geschehen, trotzdem ist – nicht nur in Österreich
– die Eröffnung von Bildungschancen ein Dauerthema. Für eine Politik, in deren Mittelpunkt die Menschen stehen, ist das ein klarer Handlungsauftrag: Chancen auf Bildung zu eröffnen und Zukunft zu ermöglichen. BUCHTIPP Barbara Prammer: „Wer das Ziel nicht kennt, wird den Weg nicht finden“, Styria, 2001 Zu bestellen in der ÖGB-Fachbuchhandlung: fachbuchhandlung@oegbverlag.at