Erlebnisorietierten Gestaltung der Tchnologie für Beziehungspraxis in Frnbeziehungen

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Synopse der kumulativen Dissertation im Fachbereich Gestaltung an der Folkwang Universität der Kßnste

English Translation:

An autoethnographical design research on experience-oriented technology design for long-distance relationships


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Synopse der kumulativen Dissertation im Fachbereich Gestaltung an der Folkwang Universität der Kßnste

vorgelegt von Dipl. Des. Wei-Chi Chien Essen, 11. Januar 2018

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Erstgutachter: Prof. Dr. Marc Hassenzahl Zweitgutachterin: Prof. Dr. Sarah Diefenbach

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Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig angefertigt und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Die hier vorgelegte Dissertation wurde nicht als Prüfungsarbeit für eine staatliche oder andere wissenschaftliche Prüfung oder für eine andere Abhandlung bei einer anderen Universität als Dissertation eingereicht.

_________________________________________ Unterschrift Doktorand, Wei-Chi Chien

_________________________________________ Ort, Datum

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Diese Synopse fasst folgende Publikationen zusammen: 

Chien, W.-C., Diefenbach, S., & Hassenzahl, M. (2013). The Whisper Pillow: A study of technology-mediated emotional expression in close relationships. Proceedings of the DPPI 2013 International Conference on Designing Pleasurable Products and Interfaces. New York, NY: ACM Press.

Chien, W.-C., Hassenzahl, M., & Lenz, E. (2015). Fürsorge, Gemeinsamkeiten, Pläne - Gestaltung von Technik zur Unterstützung von Fernbeziehungen. In Menschen und Computer 2015 – Proceedings. Berlin, Germany: Oldenbourg Wissenschaftsverlag.

Chien, W.-C., Hassenzahl, M., & Welge, J. (2016). Sharing a robotic pet as a maintenance strategy for romantic couples in long-distance relationships. An autobiografical design exploration. Proceedings of the 2016 CHI Conference Extended Abstracts on Human Factors in Computing Systems. New York, NY: ACM Press.

Chien, W.-C., & Hassenzahl, M. (2017). Technology-mediated relationship maintenance in romantic long-distance relationships: An autoethnographical research through design. Human-Computer Interaction, 0(0), 1-48. doi: 10.1080/07370024.2017.1401927

Die Veröffentlichungen finden sich im Anhang dieser Synopse.

und eine Online-Sammlung: Chien, W.-C. (2013). Technology and Artifacts | UX-Relatedness. http://uxrelatedness.blogspot.de/

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Bei der Liebe, einem starken Gefühl der Zuneigung zu einer sehr wertgeschätzten Person, handelt es sich um eine intensive und komplexe zwischenmenschliche Interaktion, in der Bindungsbedürfnis erfüllt, Beziehungshingabe präsentiert und Gemeinsamkeit verwaltet wird. In Fernbeziehungen sind die Interaktionsmöglichkeiten wegen der physischen Entfernung sehr beschränkt. Zur emotionalen Verbundenheit verlassen sich die Beziehungspartner deswegen oft auf die Verwendung der vorhandenen technologischen Lösungen. Dies wirft die Frage nach der Gestaltung der Technologie und der technologieunterstützten Beziehungserlebnisse auf, die die Inhalte von Psychologie, Design und Technologie einbezieht. Während die Entwicklung des ubiquitären Computing (oder Internet der Dinge im heutigen Ausdruck) und die neuen Werkzeuge wie Arduino und Xively eine persönliche und individuelle Exploration der Interaktion über Distanz ermöglichen, wird in dieser Arbeit eine autoethnografische Designforschung durchgeführt, in der der Autor seine Fernbeziehung mithilfe seiner gestalterischen Fähigkeit und wissenschaftlichen Ausarbeitung aufrechtzuerhalten versuchte. Die autoethnografische Designforschung schließ t drei Forschungsdisziplinen ein: Forschung durch Design, autobiografisches Design und Autoethnografie. Forschung durch Design beschäftigt sich mit der Praxeologie von Design, die das wahre Wissen (das theoretische Wissen, i. e. Theorien sowie Modelle aus der Verhaltenswissenschaft) mit dem wirklichen Wissen (dem empirischen Wissen, i. e. Wissen über die wirkliche Welt) verbindet. Beim autobiografischen Design handelt es sich um eine gestalterische Praxis, in der der Designer für den eigenen Gebrauch und die eigenen Bedürfnisse Artefakte entwickelt, selbst benutzt, verbessert und letztendlich durch eine langfristige Nutzung neue Erkenntnisse gewinnt. Autobiografisches Design zielt auf die Gestaltung des Objektes und die praxeologischen Erfahrungen ab. Zur wissenschaftlichen Erarbeitung und Entwicklung der Theorien in einer Designforschung wird die Methode der analytischen Autoethnografie eingeführt. Autoethnografie erfordert Selbstreflexion in einer sozialen Forschungspraxis und ermöglicht dadurch eine Transformation des Forschers. Sie betont die soziale Bedeutung wissenschaftlicher Forschung und ermöglicht so eine lebendige Präsentation der Erfahrungen des Autors durch autobiografische Erzählungen und Geschichten. Darüber hinaus distanziert sich der Forscher durch analytische

Autoethnografie

von

seinen

subjektiven

Erfahrungen

sowie

situationsbedingten Reflexionen und bemüht sich, verallgemeinerbare wissenschaftliche Erkenntnisse aus seiner Autoethnografie herauszukristallisieren.

v


In Anbetracht der Bedürfnisse in Fernbeziehungen und der Lücke in den vorhandenen Designstudien ist die erlebnisorientierte Perspektive der Ansatzpunkt für die vorliegende Designarbeit. Dazu wird zuerst das Flüsterkissen als eine Vorstudie für erlebnisorientierte Gestaltung präsentiert. In der weiteren Designarbeit für die Fernbeziehung des Autors werden neun Artefakte präsentiert, die in drei Jahren und sieben Monaten vom Autor entwickelt, gebaut und mit seiner Partnerin genutzt wurden. Remote Lamp, BeenThere, DatingBox,

MusicCookie

und

Furfur

sind

erste

Explorationen,

um

Interaktionsmöglichkeiten zu gestalten, die auf sinnvolle Erlebnisse abzielen. BeenThere kümmert sich um fürsorgliche Emotionen und ermöglicht einen virtuellen Besuch. DatingBox verwendet die Strategie der Planung, um den Stress in der Phase des Zusammentreffens und die Unsicherheit in der Phase der Trennung zu bewältigen. MusicCookie wurde für Geschenkerlebnisse entworfen, die die Achtsamkeit bei der Vorbereitung der Geschenke und die symbolische Bedeutung der Musik in einer Beziehung berücksichtigen. Furfur als ein robotisches Haustier versucht, eine angenehme Gemeinsamkeit über Distanz zu schaffen.

In dieser Exploration identifizierte der Autor Gemeinsamkeit und Fürsorge als zwei wichtige

Beziehungsqualitäten

und

Motivationen

bei

der

Entwicklung

der

technologieunterstützten Beziehungspraxis in ihrem Alltagsleben. Um ein angenehmes Erlebnis eines gemeinsamen robotischen Haustieres zu entwickeln, wurde Furfur in mehreren Versionen umgebaut. Der Autor erlebte Furfurs Umbauarbeit als eine gemeinsame Aufgabe für ihn und seine Freundin. Furfur wurde darüber hinaus von externen Benutzern genutzt. Beide Paare zeigten Interesse, Furfurs „Charakter“ nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. So bewährt sich ein Gestaltungsfreiraum als eine sinnvolle Strategie. Für die Erforschung fürsorglicher Interaktionsmöglichkeiten wurden BeenThere, OurChannel, RemoteFeeder und SwitchU entwickelt. Die letzten drei Artefakte erlauben Fernbeziehungspaaren, die Umgebung des Partners über Distanz zu manipulieren. Mit ihren technischen Möglichkeiten können sie die Fernbeziehungspaare motivieren, einige alltägliche Bedürfnisse des Partners zu erfüllen. Weil man bei der Nutzung dieser Artefakte in den Alltag des Partners eingreift, muss man für eine gute Responsivität den Alltag des Partners aktiv kennenlernen. Die Studien zeigen weiterhin, dass eine Beziehungspraxis durch Interaktionsdesign „reproduziert“ werden kann. Der Autor hat seiner Partnerin durch OurChannel eine neue Praktik vorgestellt, die er als junger Mann durch seinen Vater erlebt hat. Auß erdem haben der Autor und seine Partnerin durch die Nutzung von SwitchU die Praktik, die sie während der Phase des Zusammenlebens entwickelt haben, in der Phase des getrennten Lebens weiter beibehalten. Die Artefakte sind in diesem Sinne Träger der Praktik. Schließ lich vi


untersuchte der Autor eine alternative Anwendung des Awarenesssystems mit dem Artefakt TimeMark, um die Praktik des gemeinsamen Lesens über Distanz zu ermöglichen. Alles in allem haben der Autor und seine Partnerin in dieser dreiundeinhalbjährigen Studie eine alternative Fernbeziehung erlebt. Die Interaktionsmöglichkeiten, die durch Technologie ermöglicht wurden, waren beschränkt, aber die erlebnisorientierte Gestaltung motiviert die Benutzer, trotz der beschränkten Interaktionsmöglichkeiten Mühe und Zeit zu investieren, um Praktiken zu entwickeln. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Gestaltung der Technologie die Entwicklung der Beziehungspraxis unterstützen und zu einer bedeutsamen Fenrbeziehung beitragen kann.

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1

Einleitung ............................................................................................................. 1

2

Ü ber Fernbeziehungen ......................................................................................... 5 2.1

Verlorene Nähe, Sehnsucht, emotionale Schwankungen und Bewältigungsstrategien ........................................................................... 6

3

4

5

viii

2.2

Stressfaktoren auf der persönlichen und sozialen Ebene .......................... 8

2.3

Aufrechterhaltung der erfolgreichen Fernbeziehungen............................ 8

2.4

Das Süß e im Bitteren – die Autonomie ................................................... 10

2.5

Fernbeziehungen in der dynamischen Perspektive – die Vereinigung ...... 11

Technologie und Fernbeziehung – eine Frage des Nutzererlebnisses .................. 12 3.1

Gestaltung der Technologie für Beziehungspraxis in Fernbeziehungen ... 13

3.2

Flüsterkissen als eine Vorstudie ............................................................... 16

3.3

Flüsterkissen als Ausgangspunkt ............................................................. 24

Autoethnografische Designforschung ................................................................. 27 4.1

Designforschung .................................................................................... 28

4.2

Autobiografisches Design ...................................................................... 30

4.3

Autoethnografie .................................................................................... 32

Erlebnisorientierte Gestaltung der Technologie für Fernbeziehungen ..................35 5.1

Eine Selbstanalyse ................................................................................. 38

5.2

Eine Alternative zum always-on Videokanal – BeenThere ....................... 40

5.3

Planen als Strategie – DatingBox .............................................................47

5.4

Liebevolle Geschenke – MusicCookie ...................................................... 52

5.5

Ein gemeinsames Haustier – Furfur ........................................................ 58

5.6

Eine Episode – Furfur bei einem zweiten Fernbeziehungspärchen .......... 65

5.7

Zum Fürsorglichen Verhalten ................................................................. 68

5.8

Eine fürsorgliche Geste – OurChannel...................................................... 72


6

5.9

Die Entwicklung einer bedeutsamen Fernbeziehung.............................. 80

5.10

Eine „misslungene“ Fürsorge: RemoteFeeder.......................................... 85

5.11

Claires Perspektive und SwitchU ............................................................ 90

5.12

Zeitverzögertes Awarenesssystem – TimeMark ...................................... 96

5.13

„Epilog“ ................................................................................................ 100

Reflexion und Schluss ........................................................................................ 103 6.1

Erlebnisorientierte Gestaltung und Beziehungspraxis in Fernbeziehungen .................................................................................. 103

6.2

Design, Designforschungen und Autor ..................................................106

7

Abbildungen und Tabellen ................................................................................. 110

8

Literaturverzeichnis ........................................................................................... 112

9

Anhang .............................................................................................................. 123 9.1

Auszüge aus dem Tagebuch .................................................................. 123

9.2

Bauanweisungen der Artefakte ............................................................. 127

9.3

Veröffentlichungen ............................................................................... 132 

The Wisper Pillow. A study of technology-mediated emotional expression in close relationships …………………..…….………………….133

Fürsorge, Gemeinsamkeit, Pläne - Gestaltung von Technologie zur Unterstützung von Fernbeziehungen…….….......…...…………………. 142

Sharing a robotic pet as a maintenance strategy for romantic couples in long-distance relationships. An autobiographical design exploration………………….……..…………………………….……….151

Technology-mediated relationship maintenance in romantic long-distance relationships: An autoethnographical research through design.............................................................................. 155

9.4

Videos, Fotos und die online Designsammlung ...........USB-Massenspeicher

ix


x


1 EINLEITUNG Grün, grün wächst das Gras am Ufer des Bachs Lang, lang die Sehnsucht nach ihm weit weg – so weit, dass der Weg unvorstellbar ist aber doch sah ich ihn im Traum Im Traum war er nah bei mir Als ich aufwachte, ist er plötzlich in einer anderen Welt In der fremden Welt, an einem fremden Ort sehne ich mich nach ihm, umsonst Nur vom Maulbeerbaum weiß ich um das windige Wetter Nur vom Meerwasser kenne ich die kalte Jahreszeit Alle freuen sich zu Hause über ihr Zusammensein aber wer würde zu mir ein Wort bringen? Nur ein Gast von weither bringt mir ein Karpfenpaar1 Ich bitte meinen Sohn, das Karpfenpaar zu erwärmen darin befindet sich ein Brief auf weiß er Seide Ich knie mich hin und lese Was will der Brief sagen? „Pass gut auf dich auf“, so beginnt er und er endet mit: „Ich habe dich sehr vermisst.“

– ein altes chinesisches Gedicht von einer unbekannten Dichterin2 (ca. 200 v. Chr. - 220 n. Chr.)

1

Ein damaliger Briefumschlag aus Holz

2

Ü bersetzung vom Autor. Originaler Text: „青青河畔草 綿綿思遠道 遠道不可思 宿昔夢見之

夢見在我旁 忽覺在他鄉 他鄉各異縣 輾轉不相見 枯桑知天風 海水知天寒 入門各自媚 誰肯 相為言 客從遠方來 遺我雙鯉魚 呼兒烹鯉魚 中有尺素書 長跪讀素書 書中竟何如 上言長相 憶 下言加餐食.“

1


Die Dichterin verarbeitet in diesem Gedicht ihre starken Emotionen. Sie vermisst ihren Mann, der, möglicherweise wegen des Militärdienstes, weit weg von zu Hause ist. Ihre Sehnsucht gilt dem Mann in für sie unerreichbarer Ferne, von dem sie zu hören begehrt. Ihre einzige Hoffnung ist, eine Nachricht von ihm durch einen Brief zu erhalten. Jedoch war dieses Kommunikationsmittel in jener Zeit extrem teuer und die Beförderung über groß e Entfernungen war schwierig. Uns interessieren die Verwendung dieses Mittels und das Erlebnis, als die Dichterin den Brief bekam und ihn las: Ihr Mann schrieb seine Nachricht auf einen Seidenstoff und verpackte den Brief in einer Schachtel, die aus zwei Holzstücken in der Form eines Karpfens bestand. Die Schachtel wurde mit Wachs verschlossen, damit der Stoff in der Schachtel geschützt war und der Brief sicher befördert werden konnte. Die Schachtel wurde einem Reisenden anvertraut, der damals normalerweise ein reisender Kleinhändler war. Nach ein paar Monaten erhielt die Dichterin diese Schachtel. Sie bat ihren Sohn, die Schachtel zu erwärmen, um das schützende Wachs entfernen zu können. Endlich hatte sie den Brief in der Hand und las ihn aufmerksam und mit Hingabe. Welche Nachricht enthielt der Brief, der so viel Aufwand machte? Da stand schlicht „Pass gut auf dich auf.“ und „Ich vermisse dich!“. Fernbeziehungen sind heutzutage vermutlich ein noch weiter verbreitetes Phänomen als zur Zeit der oben zitierten Dichterin. Sie sind eine offenbar unvermeidbare Folge der sich wandelnden beruflichen Anforderungen, der Ausbildung in anderen Städten oder Ländern, der zunehmenden Mobilität in einer globalisierten Welt und des Internets (Holmes, 2006; Rohlfing, 1995; Sahlstein, 2006b; Sidelinger, Ayash & Tibbles, 2008). Nach einer aktuellen Umfrage in Deutschland führen 54 Prozent der befragten Personen mindestens ein Mal im Leben eine Fernbeziehung (Jan, o. J.). Auch eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass 75 Prozent der verlobten Paare Fernbeziehungserfahrungen haben (Statisticbrain.com, 31. Mai 2017). Wie das Beispiel der Dichterin uns gezeigt hat, leiden Paare in Fernbeziehungen wahrhaftig unter der Trennung und sie verwenden die zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel – damals nur den Brief – um ihre Beziehungen aufrechtzuerhalten. Auf der einen Seite stellen Kommunikationsmittel und -medien eine Möglichkeit dar, persönlichen Ausdruck und Zuwendung trotz der physischen Trennung zu ermöglichen. Auf der anderen Seite geben sie den zwischenmenschlichen Interaktionen eine Gestaltung. Wenn wir die Kommunikationstechnologien für den Einsatz in Fernbeziehungen sinnvoll gestalten wollen, müssen wir Verständnis für zwischenmenschliche Erlebnisse entwickeln. Das zweite Kapitel bietet zuerst eine allgemeine Ü bersicht über die psychologischen Phänomene der Paare, die in Fernbeziehungen leben. Wir leben in der Epoche des Internets. Die Ü bertragung der Daten weltweit dauert nur ein paar Sekunden. Etwa in einer Instant Messaging oder E-Mail zu sagen „Pass gut auf dich auf und ich vermisse dich!“ ist keine kostspielige Aktivität mehr. Leider verlieren, im Vergleich zu unserem Beispiel aus der alten Zeit, die Worte ihre Kraft 2


auch durch die bequeme Technologie. Die traditionelle Perspektive in der Mensch-Computer-Interaktion betrachtet die Medien oft als ein Werkzeug, um die Distanz zu „reparieren“. Face-to-Face-Kommunikation wird häufig als ein funktionaler Standard angesehen und die gegebenen Designlösungen wurden nur rein funktionale Unterstützung. Die modernen Ansätze berücksichtigen die emotionalen Bedürfnisse und bemühen sich, Interaktionen glückbringend zu gestalten. Jedoch sehen sie sich mit dem Dilemma der hedonistischen Tretmühle (Frederick & Loewenstein, 1999) konfrontiert, denn die Interaktionsmedien werden häufig nur zum Vergnügen konsumiert. Diese Arbeit soll die Lücke zwischen den Bedürfnissen in den Fernbeziehungen und der Gestaltungsmöglichkeit der Technologie füllen. Im dritten Kapitel soll verdeutlicht werden, dass die Gestaltung der

Technologie

für

Fernbeziehungen

unter

dem

Gesichtspunkt

des

Nutzererlebnisses zu betrachten ist. Dies wird dargestellt anhand der Diskussion der vorliegenden Forschungen und einer Vorstudie über das Artefakt, Flüsterkissen (Chien, Diefenbach, & Hassenzahl, 2013), das für Paare entworfen wurde, die in einem asymmetrischen Tagesrhythmus leben. Die Forschungsergebnisse von Flüsterkissen machen zwei wichtige, in diesem Forschungsfeld jedoch wenig diskutierte Facetten deutlich. Die erste Facette ist der Einfluss der Motivation zu zwischenmenschlichen Interaktionen auf die Nutzung eines neuen Kommunikationsmittels. Bei der Motivationsfrage handelt es sich besonders um den Faktor Zeit. Nicht nur die Forscher sind aufgefordert, genügend Beobachtungszeit zu lassen, um die Veränderung der zwischenmenschlichen Phänomene analysieren zu können. Auch die Benutzer brauchen Zeit, um die durch Interaktion und Veränderungen erzeugte Bedeutung in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen zu verstehen. Die zweite Facette

betrifft

die

Designerperspektive.

Während

sich

die

traditionelle

Designperspektive für die Nutzbarkeit des „Dinges“ interessiert, fasst Design für Beziehungspflege und -management auch die aus Artefakten resultierende Transformation der Menschen ins Auge. Die technologiegestützte Beziehungspraxis in Fernbeziehungen benötigt eine erlebnisorientierte Gestaltung. Diese komplexe Aufgabe sowie das originelle Konzept wurden in dieser Arbeit durch eine „Selbstuntersuchung“ – quasi eine autoethnografische Designforschung – durchgeführt. In der autoethnografischen Designforschung passen die Designer/Forscher die Artefakte an ihre persönlichen Bedürfnisse an. Sie nutzen ihre eigenen Artefakte über einen längeren Zeitraum und analysieren ihre Erlebnisse, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Diese

Methode

kann

auf

der

einen

Seite

als

eine

qualitative

Untersuchungsmöglichkeit dienen, um in einem neuen Forschungsfeld die mit Forschung verbundenen ethischen Probleme zu minimieren. Auf der anderen Seite übernehmen die Designer/Forscher die Verantwortung für eine gute Version des Lebens und arbeiten intensiv daran. Auch wenn das Ergebnis ein Fehlschlag würde, gäbe es die Möglichkeit, es zu verbessern. Die explorative Erfahrung kann deswegen als

Vorarbeit

für

andere

Designer/Forscher

dienen.

Autoethnografische 3


Designforschung schließ t drei Disziplinen ein: Designforschung (Zimmerman, 2009; Zimmerman, Forlizzi & Evenson, 2007), autobiografisches Design (Neustaedter, Judge & Sengers, 2014; Neustaedter & Sengers, 2012a) und Autoethnografie (Anderson, 2006; Ellis & Bochner, 2000). Diese werden im vierten Kapitel näher erklärt. Diese autoethnografische Designpraxis wurde mit Unterstützung der Freundin des Autors, Claire (Pseudonym), ausgeführt. Claire und der Autor leben seit 2012 in einer Fernbeziehung. Sie haben sich für eine Beziehungsforschung entschieden, in der der Autor sich mit dem Interaktionsdesign für ihre Beziehung beschäftigt. Die Forschung zielte auf bedeutsame Erlebnisse in ihrer Beziehung, aber nicht auf spontane Interaktionsmöglichkeiten ab. Die Studie über das Design lief parallel zu einer Eigenstudie über ihre Fernbeziehung. Das Projekt startete im Oktober 2013 und umfasst einen Zeitraum von drei Jahren und sieben Monaten, in dem der Autor Konzepte entwickelte, Prototypen baute, zusammen mit Claire die Artefakte benutzte und seine Fachkenntnisse in Psychologie, Human-Computer-Interaktion und Methodologie erweiterte (Chien et al., 2015; Chien et al., 2016; Chien & Hassenzahl, 2017). In diesem lange dauernden Projekt haben sich die Denkweise und der Beziehungszustand des Autors im Laufe der Zeit stark verändert. Die gesamte Arbeit ist deswegen wie eine Reise. Im Kapitel fünf wird zuerst die Situation des Autors vorgestellt und daraufhin werden die verschiedenen Designkonzepte für die Beziehungspflege beispielhaft anhand dieser Artefakte vorgeführt. In dieser Langzeitstudie kann gezeigt werden, dass eine bessere Beziehungsqualität durch die Nutzung der Artefakte zu erreichen ist. Obwohl viele Probleme in der Fernbeziehung des Autors nicht vollständig aufgehoben werden konnten, haben die Artefakte beiden Partnern nicht nur bedeutsame Erlebnisse gebracht, sondern auch Wirkungen entfaltet, die sie nicht erwartet haben. Im sechsten Kapitel wird die Arbeit unter zwei Gesichtspunkten zusammengefasst. Erstens wird diskutiert, wie erlebnisorientierte Gestaltung in der Entwicklung der Beziehungspraxis wirkt. Zweitens wird über Design, Designforschung und Subjektivität des Autors diskutiert. Die Potenziale und die Grenzen der Anwendung der Wissenschaft und des Interaktionsdesigns für die Beziehungspflege werden ausgelotet. Zum Schluss wird die Diskussion über die autoethnografische Designforschung dargestellt als Hinweis für zukünftige Forschungen.

4


Fernbeziehungen, so eine Definition, sind die Beziehungen, in denen „die Kommunikationsmöglichkeit wegen geografischer Parameter eingeschränkt ist und Individuen innerhalb dieser Beziehungen die Erwartung auf eine kontinuierliche enge Verbindung haben3“ (Stafford, 2011, S. 7). Fernbeziehungen können in romantischen Beziehungen,

Familienbeziehungen

(z.

B.

Kindererziehung

über

Distanz),

Karrierepartnerschaften und Freundschaften bestehen (Gulden, 2006; Lawrence & Jackson, 2015; The National Institute for Building Long Distance Relationships, 2001; Sahlstein, 2006b; Stafford, 2011). Diese Arbeit ist auf romantische Fernbeziehungen fokussiert.

Paare

können

sich

wegen

der

beruflichen

Anforderungen,

Ausbildungszwecke oder des Militärdienstes für eine – normalerweise zeitweilige – Fernbeziehung entscheiden (Freymeyer & Otzlberger, 2003; Rhodes, 2002; Rohlfing, 1995;

Stafford,

2011).

Romantische

Fernbeziehungen

können

auch

in

Onlinedating-Beziehungen beginnen (Wolak et al., 2002). In frühen Phasen der Onlinedating-Beziehungen könnten die Paare weniger unter ihrer physikalischen Distanz leiden, bis sie in engere Beziehung zueinander treten (Jamison & Ganong, 2010; Lea & Spears, 1995; Stafford, 2011). Die Vielfalt der Gründe, die verschiedenen Kontexte sowie die unterschiedlichen Persönlichkeiten (Maguire & Kinney, 2010; Stafford, 2011) der betroffenen Paare machen jede Fernbeziehung einzigartig (Gulden, 2006; Maguire, 2007; Pistole et al., 2010; Sahlstein, 2006b). Jedoch sind die geografische Entfernung und die eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten Kennzeichen aller Fernbeziehungen (Guldner & Swensen, 1995; Pistole & Roberts, 2011). Dieses Kapitel gibt einen Ü berblick über Fernbeziehungen in Bezug auf sechs Aspekte: über emotionale Schwierigkeiten, persönliche und soziale Stressfaktoren, Beziehungspflege, den Charme, die Dynamik und die Bedeutsamkeit der Fernbeziehungen.

Diese

sechs

Aspekte

helfen

dabei,

einen

stabilen

Gestaltungsrahmen für die Beziehungspraxis der Fernbeziehungspaare zu finden. Manche Paare leben anscheinend getrennt und entfernt voneinander, betrachten aber ihre Situation nicht als Fernbeziehung. Ein extremer Fall sind die Living-apart-together-Beziehungen (LAT-Beziehungen, siehe Breault & Gillespie, 2013; Levin, 2004), in denen die Entfernung als Strategie für Beziehungszufriedenheit geradezu gewünscht wird. Soldatenfamilien sind die andere extreme Gruppe der romantischen

3

Fernbeziehungen.

Diese

Beziehungen

bergen

spezifische

„Relationships are considered to be long distance when communication opportunities are restricted

[…] because of geographic parameters and the individuals within the relationship have expectations of a continued close connection“ (LauraStafford, 2011, S. 7).

5


psychologische Schwierigkeiten und Probleme, bedingt durch die besondere Situation der Militärangehörigen (Douglas & Lange, 1974; Lawrence & Jackson, 2015). Sie werden in dieser Arbeit nicht behandelt. Die Arbeit beschäftigt sich im Folgenden also mit Fernbeziehungen ohne LAT-Beziehungen und Soldatenfamilien.

Eine Fernbeziehung ist eigentlich eine über Distanz beibehaltene „Nahbeziehung“. Der Wortstamm „Nah-“ verweist auf die emotionale Nähe, zum Beispiel die Interdependenz (Rusbult et al., 2004), Intimität (Prager, 1995; Prager & Roberts, 2004) und physische Nähe. Im Gegensatz dazu setzt die Ferne der Fernbeziehung eine Barriere vor die Face-to-Face-Kommunikation, die physische Intimität und ermöglicht gegenseitige Unterstützung nur in engen Grenzen (Rhodes, 2002). In der Tat treffen sich Fernbeziehungspaare regelmäß ig oder ab und zu und deswegen leben sie in zwei Wirklichkeiten – das gemeinsame Leben während des Treffens und das Alleinsein während der physischen Trennung. In dem Wechsel von Zusammentreffen und Abschied erleben die Paare ihre emotionalen Schwankungen deutlich (Wendl, 2013a, S. 33), zum Beispiel die groß e Freude vor dem Zusammentreffen sowie die Unsicherheit und das Gefühlschaos vor und nach der Abreise (Wendl, 2013a, S. 32-39). Um die emotionalen Schwankungen zu regulieren, entwickeln Fernbeziehungspaare oft ihre jeweils eigenen Bewältigungsstrategien (Holt & Stone, 1988; Pistole et al., 2010). Die Bewältigungsstrategien in den folgenden Beispielen orientieren sich an retrospektiven, introspektiven oder prospektiven Ereignissen (Holt & Stone, 1988) (siehe Abbildung 1) und suchen nach einer physischen, psychologischen oder symbolischen Lösung (Pistole, 2010): Häufig vereinbaren die Fernbeziehungspaare gemeinsame Ziele (Maguire, 2007; Sahlstein, 2006a) und verstärken ihr Beziehungsengagement (Lydonet et al., 1997; Wendel, 1975) besonders in der Zeit, bevor sie sich verabschieden müssen, als eine prospektive Strategie, um die anstrengende Abschiedszeit gut zu bewältigen und ihre Beziehungen in der vor ihnen liegenden Phase der Entfernung aufrechtzuerhalten (Ravenscraft, 2013; Wendel, 1975). Während der Zeit der Trennung vergegenwärtigen sich die Paare wieder ihre liebevollen Erinnerungen, zum Beispiel mithilfe von Fotos, um ihr Gefühl der Einsamkeit zu bewältigen (retrospektive Strategien) (Borelli et al., 2015; Le et al., 2010; Stafford & Merolla, 2007). Sie verwenden auch Kommunikationsmittel, um die Intimität (Jimenez & Asendorpf, 2010; Neustaedter & Greenberg, 2012) sowie Beziehungszufriedenheit (Dansie, 2012; Stafford, 2011; Tong & Walther, 2011) 6


aufrechtzuerhalten oder Unstimmigkeit zu lösen (introspektive Strategien) (Lim & Suh, 2014). Auß erdem können Paare Pläne für ihre Zukunft machen, um die Zeiten der Trennung positiv zu überbrücken (Gulden, 2006) und Beziehungsunsicherheiten zu reduzieren (Sahlstein, 2006a) (prospektive Strategie). Allerdings bergen Pläne als Strategie die Gefahr der Enttäuschung, wenn sie nicht umgesetzt werden können. Das Zusammentreffen ist meist eine Zeit groß er Freude. Forschungen zeigen, dass Paare in Fernbeziehungen ihre gemeinsame Zeit intensiver leben und nutzen als Paare, die ständig zusammenleben (Stafford, 2011, S. 31). Jedoch ist der voraussehbare Abschied ein Stressfaktor. Um die wertvolle gemeinsame Zeit auszunutzen, organisieren Paare manchmal zu viele Aktivitäten und lassen sich gegenseitig zu wenig selbstbestimmte Zeit, was dann häufig Stress und Ermüdung verursacht. Paare fühlen sich ebenso unzufrieden, wenn die begrenzte gemeinsame Zeit wegen Langeweile oder Streit verschwendet wird (Westefeld & Liddell, 1982). Gemeinsam ihre Zeit sinnvoll zu planen und sich gegenseitig Räume zu lassen hilft Fernbeziehungspaaren, Stress zu reduzieren und die Beziehungszufriedenheit aufrechtzuerhalten(Guldner, 2003).

Abbildung 1: Bewältigungsstrategien – retrospektive, introspektive und prospektive Orientierung

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Neben den internen Schwierigkeiten sehen sich Paare in Fernbeziehungen auch mit externen Bedrohungen konfrontiert (die nicht relationalen Stressfaktoren). Dies sind Stressfaktoren auf der persönlichen und der sozialen Ebene. Auf der persönlichen Ebene bietet die Bindungstheorie ein gutes Modell, um die individuellen Unterschiede darzustellen. Nach der Bindungstheorie haben Menschen (auch die Erwachsenen) individuelle Stile, um die Bindungsbedürfnisse zu ihren Bezugspersonen (Eltern, romantischer Partner o. Ä .) zu regulieren. Im Fall einer Regulierungsstörung können die Kommunikation (Jimenez & Asendorpf, 2010; Sylvia, 2007) sowie das Beziehungspflegeverhalten (Pistole et al., 2010) in Fernbeziehungen unbefriedigend sein. Auß erdem beeinflusst die jeweilige Persönlichkeitsstruktur die Wahl der Beziehungsstrategien. Beispielsweise betonen unsichere Personen in Fernbeziehungen häufig die Strategie der Offenheit in ihrer Beziehungspflege (Maguire & Kinney, 2010) und Menschen mit größ erer Autonomie zeigen ein größ eres Vertrauen und nehmen mehr gemeinsame Aufgaben wahr, um ihre Beziehungen aufrechtzuerhalten (Pistole et al., 2010). Auf der sozialen Ebene wird häufig vorgeschlagen, emotionale Unterstützung aus den

sozialen

Netzwerken

als

eine Strategie

zur

Aufrechterhaltung

der

Fernbeziehungen zu verwenden (Weiner & Hannum, 2012; Yin, 2009). Jedoch zeigt eine Studie, dass die sozialen Netzwerke zur emotionalen Unterstützung der Fernbeziehungspaare oft ohne Nutzen sind (Maguire & Kinney, 2010). Der Grund liegt darin, dass Beziehungsvorbilder in der sozialen Umgebung sich an den „normalen“, den geografisch nahen Beziehungen orientieren. Paare in Fernbeziehungen fühlen sich oft gestresst oder unsicher, wenn sie ihre eigene extreme Situation in ihren sozialen Netzwerken mit den normalen Situationen vergleichen (Gulden, 2006; Lin & Knee, 2006; Maguire & Kinney, 2010; Stafford, 2011).

Wie alle anderen Beziehungen brauchen Fernbeziehungen Pflegearbeit, um die Beziehungsqualität aufrechtzuerhalten (z. B. Aylor, 2003; Canary & Dainton, 2006; Dindia & Baxter, 1987). Die Aufrechterhaltungsstrategien unterscheiden sich von den Bewältigungsstrategien dadurch, dass die Beziehungsarbeit von beiden Partnern geleistet werden muss (Dindia & Baxter, 1987). Diese gemeinsame Arbeit strebt ein 8


Qualitätsniveau an, das die Paare erreichen möchten. Dindia und Canary (1993) definieren die Beziehungsaufrechterhaltung auf vier Niveaus – Aufrechterhaltung 1. der Beziehungsexistenz, 2. eines spezifischen Beziehungszustandes (z. B. der Intimität), 3. der Beziehungszufriedenheit und 4. der Korrigierbarkeit4. Ergänzend dazu definieren Canary und Dainton (2006) die Aufrechterhaltung der Nachhaltigkeit der Beziehungen5 als die fünfte Stufe. In Bezug auf die Fernbeziehung unterteilen Canary und Stafford (Canary & Stafford, 1994; Stafford & Canary, 1991) bei ihrer Untersuchung von Studenten in Fernbeziehungen die Aufrechterhaltungsstrategien in fünf Kategorien – Positivität (Versuch einer angenehmen Interaktion), Offenheit (offene Diskussion), gegenseitiges Sicherheitsgefühl (Verminderung der Unsicherheit), soziales Netzwerk (Unterstützung durch Freunde oder Familie) und gemeinsame Aufgaben. Die Aufrechterhaltung auf dem Niveau der Beziehungsexistenz und des Beziehungszustandes stützt sich auf eine Versicherungsstrategie, zum Beispiel auf Vertrauen (Arditti & Kauffman, 2004; Lydon et al., 1997) und Beziehungsengagement (Arriaga & Agnew, 2001; Dainton & Aylor, 2001). Die Aufrechterhaltung der Beziehungszufriedenheit basiert auf der routinierten Kommunikation (Aylor, 2003; Sylvia, 2007) und ist oft mit den Strategien der Positivität und Offenheit verbunden. Positivität, z. B. eine angenehme Selbstdarstellung gegenüber dem Partner und Respekt, verbessert die Kommunikationsqualität und Beziehungszufriedenheit (Maguire, 2007; Maguire & Kinney, 2010; Sidelinger et al., 2008). Jedoch kann eine oberflächliche Positivität die Fernbeziehungen vergiften und ein Idealisierungsproblem verursachen (Stafford, 1990; Stafford & Merolla, 2007). Offenheit, z. B. persönliche Geheimnisse mitzuteilen oder über die Beziehung zu diskutieren (Metakommunikation), unterstützt hingegen nicht nur die Aufrechterhaltung der Beziehungszufriedenheit mittels Reduzierung von Unsicherheit (Maguire & Kinney, 2010), sondern auch die Beziehungskorrigierbarkeit durch die Klarstellung der gemeinsamen Beziehungszukunft (Maguire, 2007). Die Beziehungsnachhaltigkeit verlangt Beziehungsreflexion und -arbeit, um mit der „dialektischen Spannung zurechtzukommen6“ (Canary & Dainton, 2006, S. 728). Die dialektische Spannung in Fernbeziehungen bezieht sich auf die gleichzeitig miteinander in Konflikt stehenden Bedürfnisse nach Autonomie und Verbundenheit. Die Strategie der gemeinsamen Aufgabe erfordert die gemeinsame Anstrengung der Paare, um ein gemeinsames Ziel zu definieren, und bietet damit die Möglichkeit, die Beziehungsnachhaltigkeit zu verbessern (siehe auch Jimenez & Asendorpf, 2010). 4

„(1) to keep a relationship in existence, (2) to keep a relationship in a specified state or condition,

(3) to keep a relationship in satisfactory condition and (4) to keep a relationship in repair“ (Dindia & Canary, 1993, S. 163). 5

„A fifth definition of maintenance [...] concerns keeping a relationship sustained. Montgomery

(1993) initially offered this term to reflect how couples manage dialectical tensions, for example, how partners respond to simultaneous needs for autonomy and connection. Her rationale was that the term maintenance implies an emphasis on the status quo as a fixed entity […]“ (Canary & Dainton, 2006, S. 728). 6

Siehe 5.

9


Beziehungspflege braucht auf der einen Seite die passenden Strategien. Auf der anderen Seite hängt sie von der Motivation der betreffenden Paare ab. Dabei geht es um die Fähigkeit und Sensibilität des Einzelnen, sich in den Partner einzufühlen. Harvey und Omarzu (1999) zeigen auf, dass gegenseitige Achtung und Fürsorge7 langfristig zusammen mit Einfühlungsvermögen und Beziehungsreflexion in den alltäglichen

Interaktionen

der

Paare

zentrale

Faktoren

für

die

Beziehungszufriedenheit sind (Harvey & Omarzu, 1999). Ä hnlich schlägt Bodenmann (2005, 2008) das dyadische Coping in der Beziehungspflege und -therapie vor, bei dem Paare lernen, (1) offen über ihren Stress zu diskutieren, (2) sich gegenseitig zu unterstützen und (3) ihre Unterstützungspraxis nach den Feedbacks des Partners zu verbessern (Bodenmann, 2008). Solche Beziehungsarbeit in Fernbeziehungen kann mit den aktuellen Kommunikationsmitteln, wie z. B. Telefon, Instant Messaging oder den sozialen Netzwerken des Internets, nur unbefriedigend geleistet werden.

Neben dem Bindungsbedürfnis hat jedes Individuum in einer engen Beziehung auch das Bedürfnis nach Autonomie, die als eine der wichtigsten Komponenten des menschlichen Wohlbefindens zu betrachten ist. Die physische Trennung sowie die reduzierte Kommunikationszeit in Fernbeziehungen stellen in diesem Fall einen Freiraum für persönliche Entwicklungen und Explorationen zur Verfügung (Gulden, 2006; Mietzner & Lin, 2005). Wendel (2013a) weist auch darauf hin, dass Paare in Fernbeziehungen größ ere Chance haben, ihren eigenen Plan zu gestalten und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Guldner und Swensen (1995) kamen in ihrer Untersuchung sogar zu dem Ergebnis, dass Studenten in Fernbeziehungen bessere akademische Leistungen vorzuweisen haben, weil sie mehr Zeit und Energie in ihre Studien investieren können. Allerdings bedarf das Explorationsverhalten, z. B. neue berufliche Herausforderungen anzunehmen, eine abenteuerliche Reise zu machen oder persönliche Fähigkeiten zu entwickeln, als Basis die psychologische Sicherheit (Feeney, 2004), die auch eine der wichtigsten Grundlagen einer engen Beziehung ist. Auch im Fall eines Misserfolges der persönlichen Exploration dient die Rückkehr zum Beziehungspartner als sicherer Zufluchtsort der psychischen Gesundheit (Collins & Feeney, 2000; Feeney, 2004). Zwar wird durch die physische Entfernung und die damit verbundene Unabhängigkeit in Fernbeziehungen das persönliche Explorationsverhalten gefördert, jedoch ist die Sicherheitsfunktion leider immer mit einem Fragezeichen versehen.

7

„Minding“ in ihrem originalen Ausdruck.

10


In der dynamischen Perspektive ist jede Beziehung in einem Zustand des Entwicklungsprozesses. Zum Beispiel unterteilt die Wheel Theory von Reiss (1960) die Entwicklung einer romantischen Beziehung in vier Phasen: anfängliche Harmonie, Selbstoffenbarung, Interdependenz und Erfüllung der persönlichen Bedürfnisse, die sich mit Dynamik zur nächsten Phase entwickeln. Während eine enge Beziehung sich dynamisch entwickelt, kann das Niveau der Beziehungsaufrechterhaltung erhöht werden. Dabei ändert sich die persönliche Rolle in der Beziehung (Murstein, 1970; Murstein, 1987) und die Beziehung gewinnt an Bedeutsamkeit. Die dynamische Perspektive in Fernbeziehungen ist wichtig. Fernbeziehungspaare werden ihre physische Trennung beenden und zusammenziehen (oder sie beenden ihre Fernbeziehung). Aber Vereinigung bedeutet viel mehr als das Ende der Mühsal und ein dauerhaftes Zusammensein. Eigentlich stellt die Vereinigung einen Wendepunkt der Beziehung dar (Baxter & Bullis, 1986; Gulden, 2006; Stafford et al., 2006). Damit geht eine Reihe von bedeutsamen Veränderungen einher, die durchaus eine Bedrohung für den Fortbestand der Beziehung sein können. Der Verlust an Autonomie, mehr direkte (und häufig negative) Kenntnisse über den Partner müssen verarbeitet und eine schwierigere Zeitplanung im Alltag bewältigt werden (Stafford et al., 2006; Stafford, 2011). Auch Beziehungsprobleme, die durch die physische Entfernung verdeckt wurden, werden offensichtlich (Stafford & Merolla, 2007). Trotz der potenziellen Gefahren, die mit der Vereinigung verbunden sind, lassen sich viele

erfolgreiche

Beispiele

anführen.

Solche

Paare

zeigen

oft

ihre

Beziehungsfähigkeit, die sie im Laufe der Zeit der physischen Trennung entwickelt haben, z. B. gegenseitiges Vertrauen, Geduld, Kommunikationsfähigkeit und Interdependenz (Mietzner & Lin, 2005). Oft beweisen sie auch ihre Fähigkeiten, ihre Beziehungsprobleme bewusster zu bewältigen (Sahlstein, 2004). Fernbeziehungen sind in diesem Fall eine bedeutsame Beziehungserfahrung geworden.

11


Im

Bereich

der

computervermittelten

Kommunikation

sowie

der

computerunterstützten Zusammenarbeit können wir auf eine lange Diskussion über zwischenmenschliche

Beziehungen

bei

der

Nutzung

der

Kommunikationstechnologien zurückblicken. Schon 1992 sprach Walther die Bedeutung der Beziehungsmotivation in der computervermittelten Kommunikation an.

Er

argumentiert,

„dass

die

Benutzer

der

computervermittelten

Kommunikationsmedien, wie die Mitteilenden in jedem Kontext, sich wünschten, ihre persönlichen, ergiebigen und komplexen Beziehungen zu gestalten und dass sie kommunizieren werden, um dies zu erreichen8“ (Walther, 1992, S. 68). Hollan und Stornetta (1992) nehmen eine ähnliche Perspektive ein und, ebenfalls 1992, stellen ihre Theorie, „beyond being there (jenseits des Dort-Seins)“, vor. Sie schreiben: „Die [sozialen] Mechanismen sind Wege, um die Bedürfnisse der ungezwungenen Kommunikation zu erfüllen, die vom Medium ermöglicht werden. Während die Bedürfnisse unabhängig von den Medien sind, sind die Mechanismen eng und vielleicht untrennbar mit einem spezifischen Medium verbunden9“ (Hollan & Stornetta, 1992, S. 121). Bei der vermittelten Kommunikation oder Interaktion handelt es sich deswegen nicht nur um Datenübertragung oder die neue Funktionalität der Technologie, die eine

Face-to-Face-Kommunikation

Beziehungspraxis

(siehe

auch

imitieren

Kaptelinin

&

kann, Bannon,

sondern 2012),

auch wie

um z. B.

Selbstoffenbarung (Ruppel, 2014), Bedürfnisse der Verbundenheit (Hassenzahl et al., 2012; Lea & Spears, 1995), Beziehungsaufrechterhaltung (Houser et al., 2012; Tong & Walther, 2011; Wright, 2004) oder Identität (McKenna & Bargh, 2000), die durch Technologie unterstützt wird. Für eine theoretische Vertiefung zum Thema der computervermittelten Kommunikation, z. B. Medienreichhaltigkeitstheorie, Theorie der Verarbeitung der sozialen Information und hyperpersönliche Kommunikation, ist die Arbeit von Walther (2011) (siehe auch Tong & Walther, 2011; Walther, 1996) sehr empfehlenswert. In dieser Arbeit wird die Diskussion auf Technologie und Fernbeziehungen beschränkt.

8

„[...] that CMC users, just as communicators in any context, should desire to transact personal,

rewarding, complex relationships and that they will communicate to do so“ (Walther, 1992, S. 68). 9

„[Social] mechanisms are ways to meet informal communication needs that are enabled by a me-

dium. While needs are media independent, mechanisms are closely, perhaps inextricably, connected to specific media“ (Hollan & Stornetta, 1992, S. 121).

12


Kommunikationstechnologien, z. B. Telefon, E-Mail, SMS, Instant Messaging und soziale

Netzwerke,

sind

normale

Kommunikationsmittel

für

Paare

in

Fernbeziehungen, um ihre Verbundenheit aufrechtzuerhalten (Billedo et al., 2015). Quantitative Studien zeigen, dass Redetätigkeit (z. B. via Telefon) und visuelle Kanäle (via Webcam) in der vermittelten Beziehungsinteraktion besonders wichtig sind (Dainton & Aylor, 2002a; Yin, 2009). Die verschiedenen Kommunikationsmedien beeinflussen die unterschiedlichen Beziehungsqualitäten (Dainton & Aylor, 2002a) und bringen diverse Kommunikationsprobleme hervor (Billedo et al., 2015). Paare in Fernbeziehungen

passen

ihre

Aufrechterhaltungsstrategien

auch

an

die

Kommunikationsmedien an. In der internetbasierten Beziehungsarbeit zum Beispiel werden Offenheit und Positivität am häufigsten verwendet (Wright, 2004) und die Strategie der gegenseitigen Versicherung sorgt in diesem Kontext für ein besonders hohes Beziehungsengagement (Sidelinger et al., 2008). Solche quantitativen Studien decken einige interessante Fakten auf. Die Entwicklung der Technologie schreitet jedoch sehr schnell voran. Die Qualität der Technik von Videokonferenzen sowie die Funktionalität des Mobiltelefons sind heutzutage anderes als vor 20 Jahren. Neue Technologien ersetzen auch die alten, zum Beispiel die E-Mail durch das Smartphone und seine Mobile Apps. Man kann sich vorstellen, dass diese Ergebnisse der genannten Studien im Laufe der Zeit mit der Entwicklung der Technologie nicht mehr gültig sein werden. Es ist deswegen angebracht, die Diskussion beim Thema Technologie und Fernbeziehungen auf die Gestaltung der Technologie und die zwischenmenschlichen Erlebnisse zu fokussieren, also die Perspektive der erlebnisorientierten Gestaltung (Hassenzahl 2010; Hassenzahl, Wiklund-Engblom et al., 2015) einzunehmen. Der zweite Grund für die Perspektive der erlebnisorientierten Gestaltung liegt darin, dass sich die bestehenden Designansätze häufig nur auf die Umsetzungsmöglichkeit, quasi

die

technologieorientierte

Perspektive

konzentrieren.

Zahlreiche

Designkonzepte in der Mensch-Computer-Interaktion (siehe Chien, 2013) versuchen, die menschliche Verbundenheit durch Technologie zu verbessern. Einige Designansätze beschäftigen sich besonders mit der Situation in Fernbeziehungen.

10

Reckwitz unterscheidet Praxis von Praktik in seiner sozialen Praxeologie. Während Praxis als das Gegenteil der Theorie die allgemeine praktische Aktivität betont, bezieht sich eine Praktik auf ein Verhalten, eine routinierte Tätigkeit, die die physischen und gedanklichen Aktivitäten einschließt. Die Beziehung zwischen Praxis und Praktik: „[…] a practice [Praktik] represents a pattern which can be filled out by a multitude of single and often unique actions reproducing the practice [Praxis]“ (Rechwitz, 2002, S. 250).

13


Neustaedter und Greenberg (2003, 2012) studierten die zwischenmenschlichen Phänomene, besonders die Intimität, bei der Nutzung der Videokonferenz in Fernbeziehungen. Auf den Ergebnissen aufbauend entwickelte Neustaedter (Greenberg & Neustaedter, 2013; Neustaedter et al., 2014) sein eigenes always-on Videokonferenzsystem, Family Window, für seine Familie und seine Eltern, die nicht zusammenwohnen. Seine Arbeit ist eher technologiezentriert. Zu dieser technologischen Funktionen

Möglichkeit

ergänzt,

(Videokonferenzsystem)

um

die

wurden

zwischenmenschliche

die

nötigen

Interaktion

etwas

„problemloser“ zu gestalten. Der Ansatz ist zwar eine angemessene Umsetzung einer spezifischen

Technologie

zwischenmenschliche

des

Videokonferenzsystems

Verbundenheit,

kümmert

sich

aber

für

die

wenig

um

Beziehungspraxis. Saadatian et al. (2014) erfinden eine Kussmaschine, Kissenger, für Paare in Fernbeziehungen. Obwohl sie die Bedeutung der haptischen Wahrnehmung (Kuss) in romantischen Beziehungen betonen, ist ihre Lösung – die Kussmaschine – eine technische Nachbildung einer intimen Aktivität. In ihrer Arbeit fehlen eine komplette Gestaltung der Interaktion und die Begutachtung der Motivation der Menschen. Gooch (2013; siehe auch Gooch & Watts, 2011, 2012, 2013) empfiehlt die technologieunterstützte

soziale

Anwesenheit

als

eine

Strategie

der

Beziehungsaufrechterhaltung in Fernbeziehungen. Jedoch sind die Designartefakte, HotHugs und YourGlove, auch die technische Nachahmung der körperlichen Aktivitäten (Umarmung und Händchenhalten). Der Gestaltung fehlt, wie auch der Kussmaschine, ein Zusammenhang mit der Motivation der Nutzer bei der Interaktion. Seine anderen Designumsetzungen, wie sleepyWhispers und The Magic Sock Drawer, sind

Nachrichtensysteme

Gutenmorgenszenarien).

für Leider

spezifische wurde

die

Szenarien

(Gutenacht-

Beziehungspraxis

in

und den

Benutzerforschungen kaum diskutiert. Bhandari und Bardzell (2008) schlagen die gemeinsamen Erlebnisse und die Bewusstwerdung der Situationen für ein Gefühl der Verbundenheit in Fernbeziehungen vor. Sie haben viele Konzepte skizziert. Leider wurden ihre Konzepte nicht durch Gestaltungsarbeit umgesetzt und anschließ end auch keine weitere Studie durchgeführt. Anchor von Farny et al. (2012) ist ein Nachrichtensystem für Seeleute in Fernbeziehungen. Das System speichert die alltäglichen Kommunikationsdaten, wenn die Paare zusammenleben. Während der Trennung, wenn also der eine Partner auf See und die Internetverbindung nicht vorhanden ist, verwendet das System die gespeicherten Daten, um eine synchrone Kommunikation zu imitieren. (Die Benutzer wissen, dass die Nachrichten Fälschungen sind.) Anchor synchronisiert die Daten wieder, wenn das Internet wieder zur Verfügung steht (z. B. in einem Hafen). Obwohl dieser Designansatz wie die Kussmaschine auch eine Art von Imitierung ist, kümmert er sich in der Gestaltung der Interaktion

die

Kommunikationspraxis

der

Fernbeziehungspaare.

Dieser

Designansatz ist, im Vergleich zu den anderen, das einzige Beispiel, in dem Beziehungsschwierigkeiten und die Motivation der Kommunikation berücksichtigt werden. Aber die Situation der Seeleute mit der sehr beschränkten Verfügbarkeit der Technologie ist in dieser Arbeit ein extremer Fall. 14


Offensichtlich fehlt in den meisten Ansätzen eine Einsicht in die Entwicklung der Beziehungspraxis. Obwohl die Beziehungspraxis weitgehend durch den Kontext, die persönliche Situation und die Motivation bestimmt wird, brauchen das Medium und die Interaktion eine an das Ziel angepasste Gestaltung. An der Studie über Flüsterkissen lässt sich dieser Kernpunkt der Gestaltung deutlich präsentieren.

15


Das Flüsterkissen (siehe Abbildung 2) wurde für Paare entworfen, die einen unterschiedlichen Alltagsrhythmus haben – z. B. während der eine früh zur Arbeit fährt und früh nach Hause kommt, hat der andere eine Schichtarbeit am Abend. Der unterschiedliche Alltagsrhythmus beschränkt die Kommunikationsaktivitäten der Paare.

Aufgrund

dessen

verwenden

sie

die

verbleibenden

Kommunikationsmöglichkeiten nur, um über die „wichtigeren“ Dinge wie z. B. „du musst die Kinder abholen“ oder „vergiss nicht, einkaufen zu gehen“ zu sprechen. Das Flüsterkissen ist dazu gedacht, zu einem emotionalen (statt sachgerechten) Austausch in dieser Situation zu motivieren. Das Flüsterkissen hat eine Tasche, in die man eine Nachricht an eine oder einen Liebsten flüstern kann. Dazu legt man zum Beispiel seinen Kopf auf das Kissen, öffnet die Tasche und spricht hinein. Das Kissen bläst sich dann an diesem Ende auf. Das Kissen mit der „vollen“ Tasche liegt dann an einem Ort – zum Beispiel auf dem Sofa – und wartet auf die Entdeckung durch den anderen. Wenn der Partner später das Flüsterkissen sieht und die Tasche öffnet, spielt das Kissen die Botschaft wieder ab und die Tasche leert sich währenddessen. Die Wiedergabe ist leise, sodass es auch hier angebracht ist, den Kopf auf das Kissen zu legen oder zumindest in die Tasche „hineinzuhören“. Die Farbe der Tasche ist auf den verschiedenen Seiten des Kissens unterschiedlich. Man hinterlässt eine Nachricht für seinen Partner, indem man das Kissen mit der entsprechenden Farbe nach oben legt.

11

Dieser Abschnitt beuht auf der Veröffentlichung: Chien, W.-C., Diefenbach, S., & Hassenzahl, M.

(2013). The Whisper Pillow. A study of technology-mediated emotional expression in close relationships. In Proceedings of the DPPI 2013 International Conference on Designing Pleasurable Products and Interfaces. New York, NY: ACM Press.

16


17 Abbildung 2: FlĂźsterkissen (siehe auch https://vimeo.com/67024416)


Ein Aufnahmegerät für emotionale Nachrichten ist kein neues Konzept. Schon 1997 präsentierte Philips (Lambourne et al., 1997) das Designkonzept Emotion Container. Es handelt sich um ein Paar Halbkugeln mit Kamera und Bildschirm, mit dem man eine Nachricht oder ein Video aufnimmt. Die Nachrichten werden zum anderen Emotion Container geschickt und vom Partner abgespielt. Vergleichbare Konzepte sind Seed and Pod und Magic Bottle von Faltham et al. (2007). Mit den Seed and Pod „pflanzt“ man die Seed in den Pod, um eine in der Seed gespeicherte Nachricht zum anderen Gerät zu schicken. Bei der Magic Bottle muss man die Bottle öffnen, um die Nachricht hineinzusprechen oder abzuhören. Die Interaktion von Seed and Pod oder Magic Bottle ist vergnüglicher gestaltet, aber ihre Gestaltungen haben keinen direkten Zusammenhang mit der emotionalen Kommunikation. Das Flüsterkissen präsentiert hier einen anderen Ansatz. Die Tasche mit einer kleinen Ö ffnung und die Kissenform fordern zu einer physischen Nähe zum Artefakt beim Gebrauch auf und motivieren zu intuitiver Emotionalität, wie z. B. zu einer liebevollen Begrüß ung. Das Kissen als ein Objekt liegt auf einem Sofa oder auf dem Bett, sodass eine emotionale Verbindung zur gewünschten Gemeinsamkeit des Paares besteht. Des Weiteren weisen das Aufpumpen und Entleeren der Tasche ähnlich einem Ballon darauf hin, dass alle Nachrichten nur einmalig und für eine präzise Information (z. B. eine lange To-do-Liste für den Partner) eher nicht geeignet sind. Durch die Gestaltung wird Bedacht bei der Nutzung eines Artefaktes hervorgerufen. Diese Gestaltungsdetails, die zu einer emotionalen Kommunikation zu motivieren versuchen, existieren zuerst natürlich nur im Kopf. Eine Erforschung des Flüsterkissens wurde mit sechs heterosexuellen Paaren durchgeführt (siehe Tabelle 1). Zwei Paare wohnen zusammen und haben einen asymmetrischen Tagesrhythmus (Zielgruppe). Ein Paar wohnt zusammen und hat einen symmetrischen Tagesrhythmus (Gegenteil der Zielgruppe). Drei Paare wohnen getrennt, aber übernachten ab und zu zusammen (potenzielle Benutzer). Sie wurden zuerst über ihre Beziehungssituationen befragt und das Flüsterkissen wurde präsentiert. Alle Paare zeigten Interesse, das Flüsterkissen in ihrem Alltag zu testen. Sie probierten zuerst das Flüsterkissen aus, um seine Funktion kennenzulernen. Anschließ end benutzten sie das Flüsterkissen in ihrem Alltagsleben für eine Probezeit von ca. zwei Wochen (zwischen zwölf und 15 Tagen). Die Paare wurden am Ende noch einmal interviewt, um ihre Erlebnisse auswerten zu können. In dieser Studie haben alle sechs Paare das Flüsterkissen mindestens drei Mal in ihrem Alltag genutzt und fünf Paare (alle auß er P5) entwickelten eine stabile Praktik. Bei der Analyse ihrer Erlebnisse können drei Praktiken emotionaler

Austausch,

gemeinsame

Kommunikationskanal (siehe Tabelle 2).

12

18

Siehe 10.

Aktivität

12

identifiziert werden: und

alternativer


Teilnehmer#

Alter

Berufstätigkeit

Arbeitsstunde

Beziehungsalter

Tagesrhythmus

Wohnsituation

P1.w

36

Tagesmutter

6 - 15 Uhr

asymmetrisch

zusammen

P1.m

25

Student

9 - 19 Uhr

5 Jahre (verheiratet seit 2 Jahren)

P2.w

23

Studentin

nach Plan 2 Jahre

symmetrisch

getrennt

P2.m

23

Student

nach Plan

P3.w

22

Studentin

nach Plan nach Plan

getrennt

Student

symmetrisch

22

3 Jahre P3.m P4.w

48

Lehrerin

7.30- 12Uhr & 17 - 21 Uhr

asymmetrisch

zusammen

P4.m

49

Lehrer

7 - 17 Uhr

verheiratet seit 30 Jahren

P5.w

30

Lehrerin

nach Plan nach Plan

zusammen

Lehrer

symmetrisch

35

6 Jahre P5.m P6.w

38

Verkäuferin

9 - 22 Uhr nach Plan

2 Jahre

asymmetrisch

getrennt

P6.m

29

Student

8 - 18 Uhr

Tabelle 1: Teilnehmer an der Feldforschung zum Flüsterkissen

P1

P3

P6

P2

P4

Alternativer Kommunikationskanal P1

niedrig

hoch

niedrig

hoch

niedrig

niedrig

Ausdruck der Sehensucht nach dem anderen

zum Spaß

Positivität zeigen, neue Routine entwickeln

Kommunikationslücke füllen

Erwartung, Bewältigung, Romantik

Stimulation, Ü berraschung

Stimulation, Ü berraschung , Romantik

Reflexion, sich verstanden fühlen

Praktiken Paar Niveau der Korrespondenz

Emotionaler Austausch

Motivation

romantische Interaktion

Erlebnisse

Erwartung, Bewältigung, Romantik

Ausdruck der Wertschätzung des anderen, Geschenk zur Ü berraschung Erwartung, Bedeutsamkeit, Erinnerung

Gemeinsame Aktivität

Tabelle 2: Drei Praktiken in der Feldforschung zum Flüsterkissen

19


Praktik 1 – Emotionaler Austausch Drei Paare (P1, P3 und P6) benutzten das Flüsterkissen über einen längeren Zeitraum zum emotionalen Austausch. Es ist nicht überraschend, dass die Nutzung des Kissens für die Paare am Anfang eher ungewöhnlich und neuartig war. Sie bemühten sich aber, in ihren eigenen Kommunikationssituationen positive und liebevolle Nachrichten für ihre Partner zu hinterlassen. Sie erhielten auch Nachrichten als Antwort von dem jeweiligen Partner. Die gegenseitige Offenbarung der Emotionen und die Präsentation persönlicher Positivität unterstützten das Gefühl der Verbundenheit. Zum Beispiel: „Das ist natürlich am Anfang neu. Wir haben es eigentlich nur benutzt, um etwas Nettes zu sagen“ (P1.m). „Die Nachrichten sind sehr emotional. Ich war wirklich berührt. [...] Er hinterlässt seine Nachricht im Kissen, wenn er zur Arbeit geht. Ich höre sie später dann ab. Ich habe dann auch eine Nachricht für ihn hinterlassen. Er hört sie an, wenn er nach Hause kommt“ (P1.w). „Es war ein schwieriger Tag und, obwohl er nicht bei mir war, war es sehr herzerwärmend, seine Stimme anzuhören“ (P6.w). Die

emotionale

Nähe

durch

den

Nachrichtenaustausch

führt

zu

einer

Erwartungshaltung. Man freut sich auf neue Nachrichten des Partners. Zum Beispiel berichtete der Mann von P6 über seine Enttäuschung, als er nicht noch mehr von seinem Partner hören konnte. „Wenn ich zu Hause ihre Nachricht abhörte, freute ich mich sehr. Aber manchmal waren ihre Nachrichten sehr kurz und ich fühlte mich irgendwie enttäuscht, weil ich noch mehr von ihr hören wollte“ (P6.m). „Das ist etwas Besonderes ... etwa ähnlich wie eine Ü berraschung. Ich höre sehr gerne seine Nachrichten ab. Wenn es keine Nachricht gibt ... ja, ich würde dann enttäuscht sein ... Ja, es fördert meine Erwartungshaltung“ (P1.w). Die Partner von P3 wohnen nicht zusammen, aber wenn sie sich trafen, bereiteten sie irgendwelche Geschichten im Flüsterkissen für den Partner vor – wie ein kleines Geschenk. Sie hofften, dass der Partner von den Nachrichten begeistert sein würde, und komponierten ihre Nachrichten immer sehr achtsam. „Ich habe das ein bisschen ausprobiert, eigentlich. Ich habe es nicht drin gelassen, aber ich habe einfach ein paar Sachen reingesprochen, um zu gucken, wie es mit der Lautstärke ist, um zu gucken, was kann ich darauf sprechen, und wie hört sich an, wenn man das abhört“ (P3.m).

20


„Weil ich schreibe nicht vor, was ich sage, und das heißt, wenn man sagt was und weiß , dass das Band läuft, man muss sich beeilen. Deshalb sagt man etwas, was Komisches oder so. So, das fand ich ganz interessant. Das ist nicht in schlechtem Sinne stressig, aber es ist ein bisschen so ... man will das noch besser machen“ (P3.w). Das originale Konzept des emotionalen Austauschs wurde von den drei Paaren unterschiedlich umgesetzt. Die Nutzung von P1 kam dem originalen Konzept am nächsten. P1 benutzte das Flüsterkissen fast jeden Tag und es wurde zur Routine. P3 und P6 wohnen nicht in einem gemeinsamen Haushalt und benutzten das Flüsterkissen angepasst an ihre Situation. In der getrennten Wohnsituation brachten die beiden Paare das Flüsterkissen manchmal zu den Partnern. Die Kissenform war wegen der Größ e von der Mobilität her keine ideale Lösung. Auch der Zeitpunkt, wann die Nachricht abgehört wurde, war wegen der Lebenssituationen schwer vorherzusehen und deswegen war es für P3 manchmal schwierig, eine sinnvolle Nachricht für den Partner zu hinterlassen. „Ich fand es ein bisschen schwierig, weil ich hatte ..., irgendwie ... man braucht diesen Bezug auf das, was passiert, weil ich habe überlegt, ob ich einen Witz erzähle oder singe oder so, aber es wird dann ... ich wusste nicht was und dann ... es fehlt der Kontext irgendwie“ (P3.m). „Ich denke, es war einfach schwierig, eben durch diese Wohnsituation. Das macht schon einen groß en Unterschied. Man kann nicht so etwas hinterlassen, glaube ich. Das erfordert viel Hin- und Herbringen, was sehr umständlich ist“ (P3.w). Diese Probanden akzentuieren die Wichtigkeit der Gestaltung der Interaktion. Es ist wesentlich, dass die Nutzung des Kissens leicht mit dem Alltagsleben zu verbinden sein muss, damit die Praktik des emotionalen Austauschs die Kommunikationslücke füllen kann. Pratik 2 – Gemeinsame Aktivität Die Partner von P2 wohnen getrennt, aber sie verbringen viel Zeit zusammen in der Universität.

Sie

sagten

uns

nach

der

Studie,

dass

ein

zusätzliches

Kommunikationsmittel für emotionalen Austausch für sie eher unnötig sei. P2 nutzte das Flüsterkissen, um einige spaß ige Momente zu kreieren, z. B.: „Wir nehmen es und sprechen etwas Lustiges rein, auch wenn der andere da ist. Der andere antwortet dann direkt hinterher“ (P2.w). „Ich glaube, er spricht etwas Komisches und Lustiges in das Kissen [...] einmal hat er ein Lied gesungen ... Das war einfach Unsinn“ (P2.w). P4 ist seit 30 Jahren verheiratet und hat seit drei Jahren einen asymmetrischen Tagesrhythmus. In ihrer langen Ehezeit wurde eine eigene und stabile Strategie für 21


die emotionale Kommunikation entwickelt. Obwohl die beiden Paare kein starkes Bedürfnis hatten, das Kissen für den emotionalen Austausch einzusetzen, haben sie versucht, das Flüsterkissen in ihr Alltagsleben zu integrieren. P4 benutzte das Flüsterkissen jeden Tag und hinterließ eine Nachricht für den Partner. Die Benutzung wurde zur Routine und war sehr ähnlich wie bei P1. Jedoch zeigt P4 ein ganz anderes Erlebnis in der Interaktion. Während P1 wirklich zum emotionalen Austausch motiviert ist, ist P4 eher motiviert, eine neue gemeinsame, alltägliche und vergnügliche Aktivität zu generieren. Zum Beispiel: „Irgendwie war es wie ein Spiel, das wir zusammen spielen. Es ist nicht schlecht, etwas Spielerisches im Alltag zu haben“ (P4.w). „Manchmal hinterließ ich eine Nachricht, als er neben mir war. Er lachte und sagte: ‚Ich höre das schon.‘ […] Ich machte das absichtlich. Es war zum Spaß , wie ein Spiel“ (P4.w). Die Frau berichtete ein überraschendes Erlebnis von ihrem Mann, das sie in ihrer langen Beziehung mit ihrem Mann nie erlebt hat. „Ich merkte, durch dieses Artefakt kann mein Mann mit einer sehr sanften Stimme sprechen. Normalerweise sprechen wir also ‚normal‘. Wir verschönern unsere Gespräche nicht. Aber durch das Kissen kenne ich ‚die andere Seite‘ meines Mannes“ (P4.w). Weil ihre Motivation nicht der emotionale Austausch ist, verlangt die Nachrichtenaufnahme als eine gemeinsame Aktivität immer Inspiration und Kreativität. „Bei den letzten paar Nutzungen fehlten mir die neuen Ideen für das, was ich in das Kissen sprechen konnte. […] Ich glaube, ich brauche etwas Neues, sodass die Nachrichten interessant wären. Deswegen brauche ich neue Ideen“ (P4.w). Das Erlebnis von P4 zeigt, dass, auch wenn die Benutzer dasselbe Nutzungsmuster haben, die Erlebnisse wegen der verschiedenen Motivation unterschiedlich sein können. Praktik 3 – Alternativer Kommunikationskanal Basierend auf der ersten Praxis des emotionalen Austauschs hat P1 eine zusätzliche Praktik auf eine unerwartete Weise entwickelt. Es begann mit einer Streitsituation. „Wir hatten einen Streit und ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen. […] Es ging um unsere Beziehungsschwierigkeit. Dieses schwierige Thema im direkten Gegenüber zu diskutieren, kann den anderen verletzen. Aber wenn du dieses durch das Kissen vermittelst, bist du nicht in einer konfrontativen Situation und 22


du zeigst deine starke und persönliche Reaktion. Du hast Zeit, darüber nachzudenken, was der andere sagt, und zu reflektieren, ob das wahr ist. Er hat auch Nachrichten in dieser Weise hinterlassen. […] Für mich war das Kissen sehr gut. Ich bin ein hartnäckiger Typ. Wenn er etwas Kritisches sagt, gebe ich das Gleiche zurück. Das Kissen als Alternative zu benutzen ist besser für mich“ (P1.w). „Wir haben eigentlich nie über diese Nachrichten im Kissen diskutiert. Das ist das Besondere. […] Aber wir fühlen uns einfach vom anderen verstanden“ (P1.w). Die Verwendung des Flüsterkissens von P1 ist in diesem Fall eine Strategie der distanzierten Selbstoffenbarung, um schwierige Beziehungsprobleme zu lösen. Die Distanzierung erleichterte die Offenheit gegenüber dem Partner und gleichzeitig wurden unangemessene konfrontative Situationen vermieden. P5 konnte keine stabile Nutzungspraxis entwickeln. Das Kissen verlor im Laufe der Zeit seine Attraktivität. Auß erdem passt das Flüsterkissen nicht in ihre Alltagssituation, da sie eigentlich einen symmetrischen Tagesrhythmus haben und häufig zusammen sind. „Die erste Nachricht war sehr interessant. Aber mit der Zeit wirkte es bei mir nicht mehr“ (P5.m). „Für mich war das Problem das Objekt. Ich überlegte mir, ob ich wirklich mit diesem Mittel meine Emotion ausdrücken wollte. Das Kissen ist eine Möglichkeit, aber für mich ist der emotionale Ausdruck ohne Worte sogar emotionaler. [...] auch weil wir kaum getrennt sind. Während sie im Raum neben mir ist, ist es künstlich, eine Nachricht für sie zu hinterlassen“ (P5.m). Die Frau verwendete das Kissen, um ihre Emotionen zu offenbaren. Aber die Interaktion mit ihrem Mann durch das Kissen war nicht konsistent. Ihre Erwartungen an die Nachrichten vom Partner wurden nicht erfüllt und dies führte zur Enttäuschung. „Mein emotionales Problem ist [...] seine enttäuschende Reaktion auf meine emotionalen Nachrichten. Er fragte mich, warum meine Nachrichten immer das Gleiche beinhalten. [...] Ich finde aber, dass solche Worte immer zu wiederholen sind“ (P5.w). Als Ergebnis dieser Studie kann zusammenfassend festgehalten werden, dass drei Paare (P1, P3 und P6) eine Praktik entwickelt haben, die nahe am originalen Konzept des Flüsterkissens ist. Jedoch haben zwei Paare (P2 und P4) neben dem originalen Konzept angepasst an ihre jeweilige Situation eine alternative Praktik entwickelt. Die Paare, die sich an der Studie beteiligt haben, leben in unterschiedlichen Beziehungssituationen. P1 und P4 sind eigentlich die Zielgruppe, aber sie waren bei der Nutzung des Flüsterkissens wegen ihrer Kommunikationsgewohnheiten, die sie 23


im Laufe ihrer Beziehungen entwickelt haben, unterschiedlich motiviert. P2, P3 und P6 sind die potenziellen Benutzer. Sie haben einen ähnlichen Tagesrhythmus und wohnen getrennt. Während P2 das Kissen in einem Haushalt als Spaß objekt genutzt hat, haben P3 und P6 Nachrichten im Kissen ‚eingepackt‘ und zu dem Partner dargebracht – wie ein Geschenk. Das Flüsterkissen ist „strategisch“ gestaltet. Das Flüsterkissen hat die Form eines Kissens und ist mit einer kleinen Tasche zur Nachrichtenaufnahme ausgestattet, um Emotionalität in der Interaktion hervorzurufen. Da die Nachrichten nur einmalig sind und das Kissen bei der Nutzung eine physische Nähe verlangt, werden die Benutzer ermutigt, das Kissen für emotionale Nachrichten zu verwenden. Wenn die Paare entsprechend dem originalen Konzept

die Motivation haben, in einem

asymmetrischen Tagesrhythmus ihre Emotionen auszutauschen, stimmen die Gestaltungsstrategien mit der Erfüllung der Bedürfnisse überein. Es ist dann einfach, eine nachhaltige Praktik zu entwickeln und daraus eine sinnvolle Geschichte zu abzuleiten. Wenn die wirkliche Situation dem originalen Konzept nicht entspricht, versuchen die Benutzer zu improvisieren.

Wenn die Benutzer des Flüsterkissens in ihren Nachrichten fürsorgliche Gefühle vermitteln, wird das Erlebnis der Verbundenheit gestärkt. Wenn Paare spielerische Nachrichten hinterlassen, wirken sie in der Richtung einer strategischen Stimulation. Diese verlangt dann immer neue Inspiration, um das vergnügliche Erlebnis zu erzeugen (siehe auch die Diskussionen in Karapanos et al., 2008; Karapanos et al., 2009). Im Erlebnis von P1 wurde das Kissen in einem Streitfall als ein alternativer Kommunikationskanal verwendet. Diese Strategie, die P1 im Laufe der Zeit entwickelt hat, setzt eine alltägliche Nutzung des Kissens voraus. Die beiden wussten, dass der Partner die Nachrichten abhört und eine Nachricht aus dem Kissen

normalerweise etwas Positives ist. Die Nutzung des Kissens war bei diesem Paar fast eine feste Beziehungspraxis geworden. Die Partner verwendeten diese Praktik, um ihre Beziehung in einer besonderen Situation aufrechtzuerhalten. Die verschiedenen Praktiken zeigen zwei wichtige Aufgaben bei der Gestaltung der Technologie zur Unterstützung der Beziehungspraxis: (1) Die zwischenmenschliche Interaktion ist davon bestimmt, wie die psychologischen Prinzipien in der Gestaltung umgesetzt werden. (2) Benutzer entwickeln Variationen, um ihre Praktiken ihren Situationen anzupassen. Aber nur, wenn sie mit dem gemeinsamen Alltag der Benutzer verbunden sind, kann die Praktik nachhaltig sein. Ein gemeinsamer Alltag in Fernbeziehungen ist wegen der zwei getrennten und 24


entfernten Lebenswelten schwieriger. Diese Beschränkung birgt aber gleichzeitig auch Potenzial. Weil die Interaktionstechnologie in Fernbeziehungen intensiver verwendet werden kann, kann die Auswirkung der Technologie durch das Interaktionsdesign erheblicher sein. Eine technologische Lösung für den gemeinsamen Alltag ist durch das Awarenesssystem und die Umgebungsintelligenz möglich (Sadri, 2011; Shadbolt, 2003). Sie erlauben eine reduzierte oder transformierte Repräsentation der Umgebung des Fernortes oder der Situation des Partners. Diese Informationen werden in die Welt des jeweils anderen Partners eingebunden und ermöglichen eine bessere Wahrnehmung der Lebenswelt der Partner (z. B. Ishii et al., 1998; Li & Jianting, 2009). Ein gemeinsamer Alltag in Fernbeziehungen kann auch von Paaren selbst mithilfe der Technologie generiert werden. Ubiquitäres Computing (oder Internet der Dinge im heutigen Ausdruck) beschäftigt sich mit der technologischen Möglichkeit „der Einbindung der Informationverarbeitung und der Netzwerkkommunikation in die alltäglichen menschlichen Umgebungen, um Service, Information und Kommunikation kontinuierlich zur Verfügung zu stellen13“ (Kuniavsky, 2010, S.4). Es ist also die Absicht dieser Arbeit, bedeutsame Erlebnisse in Fernbeziehungen durch Interaktionsdesign und Unterstützung von Technologie zu schaffen. Diese Aufgabe beinhaltet auch die Anwendung der wissenschaftlichen Kenntnisse über den Menschen (z. B. Psychologie) in der Designpraxis. Um die zeitliche Dimension zu berücksichtigen und die Entwicklung der Beziehungspraxis zu analysieren, ist ein iterativer Designprozess mit Konzeptkorrekturen oder -variationen und eine Langzeitstudie über die Nutzererlebnisse notwendig. Deswegen braucht dieses Projekt

eine

besondere

Forschungsgestaltung,

eine

autoethnografische

Designforschung, die im folgenden Kapitel erklärt wird.

13

„Ubiquitous computing refers to the practice of embedding information processing and network

communication into everyday, human environments to continuously provide services, information, and communication“ (Kuniavsky, 2010, S. 4).

25


26


Cross (1999, 2001) unterscheidet drei Typen der Designforschung: Designerkenntnisse (i. e. ontologisches Wissen über das Design), -praxeologie (i. e. Wissen über die Praxis und Methode) und -phänomenologie (i. e. Wissen über die Auswirkungen der Designprodukte in der realen Welt). Eine Studie über die technologieunterstützte Beziehungspraxis benötigt alle drei. Der erste Typ beschäftigt sich mit der Ontologie des Designs. Diese wurde in den bisherigen Kapiteln behandelt, in denen die erlebnisorientierte

Gestaltung

zum

Schluss

erläutert

wurde.

Bei

der

Designpraxeologie geht es um das systematische Verstehen und die Reflexion der Designpraxis (Cross, 1999). Diese Art der Designwissenschaft speist sich oft aus den direkten und subjektiven Erfahrungen eines Designers oder Designinstitutes (Zimmerman et al., 2004). Wegen des spezifischen Subjektes hat eine praxeologische Untersuchung in diesem Projekt besonders in diesem Fall ihren Wert, um die potenziellen Schwierigkeiten sowie Aufgaben zu entdecken und die Bandbreite

dieses Themas abzustecken (siehe auch Zimmerman et al., 2007). Deswegen wurde eine Designforschung durchgeführt, die auf der persönlichen Designpraxis des Autors und seinen autobiografischen Erfahrungen aufbaut – quasi eine autobiografische Designpraxis (Neustaedter & Sengers, 2012a; Neustaedter & Sengers, 2012b; Neustaedter et al., 2014), in der der Designer Artefakte für sich und seinen Partner entwickelte, selbst mit dem Partner die Artefakte ausprobierte, die Artefakte modifizierte und ihre Erlebnisse analysierte. In einer autobiografischen Designpraxis lässt sich weiterhin eine Forschung durch Design (Koskinen et al., 2012; Zimmerman et al., 2007) durchführen. Es handelt sich um eine Forschung, in der ein Designer mit seinen verschiedenen Designkonzepten die Welt erkundet. Dabei versucht der Designer auch, mithilfe seiner wissenschaftlichen Kenntnisse ein schwieriges Konzept in der Welt zu verwirklichen (siehe auch Stolterman & Wiberg, 2010). Selbstverständlich – und dies muss mit bedacht werden – hängt die Designpraxis vom subjektiven Verständnis des Designers ab und beeinflusst die Ergebnisse. Um die Ergebnisse verstehen zu können, brauchen Designer/Forscher ein theoretisch fundiertes Wissen. So können sie ihre subjektiven Designerkenntnisse analysieren 14

Dieser Abschnitt beruht auf der Veröffentlichung: Chien, W.-C., & Hassenzahl, M. (2017). Tech-

nology-mediated relationship maintenance in romantic long-distance relationships: An autoethnographical research through design. Human-Computer Interaction, 0(0), 1-48. doi: 10.1080/07370024.2017.1401927

27


und ergänzen. Um diese gegenseitige Beeinflussung zu beobachten, muss eine weitere Disziplin, und zwar die Autoethnografie (Ellis & Bochner, 2000; Anderson, 2006), in das autobiografische Design eingearbeitet werden. In der Autoethnografie wird das Forschungssubjekt als Objekt untersucht, quasi eine Selbstbetrachtung als Quelle für wissenschaftliche Erkenntnisse durchgeführt. Eine autoethnografische Designforschung schließ t also drei Disziplinen ein: Designforschung, autobiografisches Design und Autoethnografie.

Buchanans (2001) Definition von Design verdeutlicht die Wichtigkeit der Forschung durch Designpraxis: „Design ist die Kraft der Menschen, Produkte zu entwerfen, zu planen und zu bauen, die den Menschen dazu dienen, ihre individuellen und gemeinsamen Absichten zu verwirklichen 15 “ (S. 9). Er schlug eine neue Art von Designwissenschaft sowie Designforschung vor, die versuchen soll, Produkte zur Anwendung zu bringen und das von Produkten erzeugte Erlebnis zu verstehen (Buchanan, 2001, S. 14). Dies stimmt mit Fraylings (1993) und Zimmermans et al. (2007) Forschung durch Design überein. Nach ihrem Ansatz: Designforscher integrieren das wahre Wissen (die Modelle und Theorien aus der Verhaltenswissenschaft) mit dem Wie-Wissen (die vom Ingenieur demonstrierten technischen Möglichkeiten). Designforscher fundieren ihre Erforschungen im wirklichen Wissen, das von Anthropologen und Designforschern bei der Durchführung einer direkten Forschung für ein Designprojekt produziert wird16 (Zimmerman et al., 2007, S. 497).

15

„Design is the human power of conceiving, planning, and making products that serve human be-

ings in the accomplishment of their individual and collective purpose“ (Buchanan, 2001, S. 9). 16

„[...] design researchers integrate the true knowledge (the models and theories from the behavior-

al scientist) with the how knowledge (the technical opportunities demonstrated by engineers). Design researchers ground their explorations in real knowledge produced by anthropologists and by design researchers performing the upfront research for a design project. […] design researchers continually reframe the problem as they attempt to make the right thing“ (Zimmerman et al., 2007, S. 497).

28


Forschung durch Design versucht also, durch Design die wissenschaftlichen Kenntnisse mit der realen Welt zu verbinden. Das Objekt/Artefakt als Forschungsmaterial ist zwar ein situationsbedingtes Produkt, sein Design kann aber nützliche Erfahrungen für andere pragmatische Zwecke erbringen oder als Inspiration für eine generalisierbare Studie verwendet werden17 18 (Archer, 1995; Zimmerman et al., 2007). Auß erdem kümmert sich Forschung durch Design auch um ihre Designpraxis, quasi die Designpraxeologie. Reckwitz (2002) weist darauf hin, dass Praxeologie eine soziale Forschung ist. Sie identifiziert das Vokabular, das in der theoretischen Arbeit verwendet wird oder zu verwenden ist, und sensibilisiert Wissenschaftler bei ihren empirischen Forschungen (Reckwitz, 2002). Für die vorliegende Arbeit ist dieses Vokabular nötig, um die Gestaltung der Technologie mit der Beziehungspraxis in Fernbeziehungen zu verbinden. Das Ziel von Forschung durch Design ist das Wissen über den Weg zu „dem richtigen Ding“ (Zimmerman et al., 2007). Um das richtige Ding zu gestalten, bedarf es auf der einen Seite der experimentellen Ideen und auf der anderen Seite der Korrekturen und eines iterativen und benutzerzentrierten Gestaltungsprozesses (Diefenbach & Hassenzahl, 2017; ISO 9241-210). Im benutzerzentrierten Gestaltungsprozess werden die Designlösungen sowie Konzepte durch Testen und Evaluationen immer wieder korrigiert und verbessert (siehe Abbildung 3). Die Iteration in einer Designforschung kann als eine ethische Aufgabe angesehen werden. Der Designer versucht in seiner „Designreise“ Klarheit zu gewinnen über „die Welt, die zu ihrem Sein gebracht werden soll19“ (Zimmerman & Forlizzi, 2014, S. 178). Dabei konstruiert der Designer in seiner Designpraxis seine Versionen für eine „bessere“ Welt und versucht sie richtig zu formulieren und umsichtig zu realisieren. Die Reflexion in diesem iterativen Designprozess hilft auch dabei, den zugrunde liegenden Zweck des Designs zu verstehen (Zimmerman & Forlizzi, 2014). In der Arbeit von Furfur (ein gemeinsames robotisches Haustier über Distanz, siehe Kapitel 5.5) wurden mehrfach die Designlösungen erarbeitet (Prozess a). Seine Arbeit ist näher an Neustaedters Praxis in seinem autobiografischen Design. Diese Arbeit bietet aber dazu noch einen alternativen Ansatz. In den Arbeiten der fürsorglichen Praktiken wurden mehrere

17

„[...] Thus research through practitioner action, despite its being highly situation-specific, can

advance practice and can provide material for the conduct of later, more generalizable, studies […]“ (Archer, 1995, S. 10). 18

„When several related research artifacts have been created, then researchers can use more tradi-

tional design research methods to analyse the artifacts and search for similar approaches designers have taken in addressing common problems“ (Zimmerman et al., 2007, S. 498). 19

„RtD [research through design] offers many contributions [...] a shift to investigating the future as

a way of understanding the world that should be brought into being“ (Zimmerman & Forlizzi, 2014, S. 178).

29


Artefakte entwickelt, um die fürsorglichen Praktiken zu erforschen (siehe Kapitel 5.8, 5.10 und 5.11). Es handelte sich nicht um die Iteration eines einzelnen Artefaktes, sondern eher um die Untersuchung der möglichen Nutzeranforderungen (Prozess b).

Abbildung 3: Benutzerzentrierter Designprozess (Diefenbach & Hassenzahl, 2017, S. 15)

Die zweite Disziplin in dieser autoethnografischen Designforschung ist das autobiografische Design. Neustaedter et al. (2014; Neustaedter & Sengers, 2012b) definieren autobiografisches Design als „[...] eine auf die ausgiebige und genuine Nutzung zurückgreifende Designforschung durch jene, die das System kreiert oder gebaut haben20“ (Neustaedter & Sengers, 2012b, S. 514), und „beim autobiografischen Design bringen sich die Forscher bei vielen schnellen Designauswertungsrunden ein, greifen auf ihre eigenen Erlebnisse zurück, um die Systeme zu verstehen, zu entwickeln und Feinabstimmungen vorzunehmen 21 “ (Neustaedter et al., 2014, S. 135). Die Entwicklung eines Systems braucht sich nicht auf ein pragmatisches Ziel zu beschränken. Z. B. ist das Video Window von Gaver (2006) ein Display, das eine Landschaft durch den Blick durch eine Videokamera zeigt. Das System beabsichtigt nicht, irgendwelchen pragmatischen Zwecken zu dienen oder ein bestimmtes Problem zu lösen. Gaver versucht mit seiner autobiografischen Praxis, eine Ä sthetik vermittels Technologie in sein Leben zu bringen. Neustaedters (2013) Family Window

20

„design research drawing on extensive, genuine usage by those creating or building the sys-

tem“ (Neustaedter & Sengers, 2012b, S. 514). 21

„With autobiografical design, researchers engage in many rapid design-evaluation cycles, draw-

ing on their own experiences to understand, develop, and fine-tune systems“ (Neustaedter et al., 2014, S. 135).

30


sowie Hermes@Home von Saslis-lagoudakis et al. (2006) zeigen einen anderen Ansatz. Die beiden Artefakte waren in ihrer ersten Fassung ein Paar always-on Videokameras und Displays, die an zwei Wohnsitzen oder in zwei entfernten Orten installiert wurden. Die Autoren untersuchten dann die Nutzung des Systems und die Interaktion mit ihren Familien. Dabei ergänzten sie die für das System nötigen zusätzlichen Funktionen. Bei ihren Arbeiten ging es deswegen um eine gelungene Interaktion mit den Partnern über Distanz via Videokanäle. Desjardins und Wakkarys (2016) autobiografisches Design über ihr van ist wieder ein anderer Versuch. Statt ein Konzept iterativ zu modifizieren, bauten sie im Laufe einer langen Zeit einen personalisierten Innenaum eines Kleintransporters um und demonstrierte die emotionale Verbindung zu diesem Artefakt, die durch das Selbstbauen oder quasi einen DIY-Prozess erzeugt wurde. Obwohl autobiografisches Design viele unterschiedliche Wege beschreiten kann, werden seine Artefakte wegen ihrer Gebrauchs- statt Fertigungsqualität für eine reale Welt entwickelt und ihre Gestaltung berücksichtigt dadurch die erzeugten Nutzererlebnisse. Autobiografisches

Design

kann

auch

die

ethischen

Probleme

in

einer

Designforschung besser berücksichtigen. Design als eine menschliche Kraft (Buchanan, 2001) bedeutet auch Risiken. In der Studie des Flüsterkissens ist P5 ein Beispiel, in dem das Artefakt ein negatives Erlebnis hervorbringt. Das Flüsterkissen wurde in einer relativ kurzzeitigen Studie eingesetzt und die Paare hatten neben dem Flüsterkissen noch ihre gewohnten Kommunikationsmittel. Die latente Gefahr negativer Auswirkungen war daher eher noch gering. Aber was ist mit einer Designstudie,

die

die

wirklichen

zwischenmenschlichen

Beziehungen

zu

manipulieren versucht? Im autobiografischen Design übernimmt der Designer die Verantwortung für das Ergebnis seiner Tätigkeit. Auch ist es im autobiografischen Design technisch leichter, die negativen Auswirkungen rechtzeitig zu erkennen und durch passende Maß nahmen einzuschränken. Die Gestaltungsarbeit im autobiografischen Design leistet der Designer für sich selbst (evtl. auch für seine Partner) und hier gilt das Credo: Bevor wir mit unserem Design jemanden zu überzeugen versuchen, müssen wir zuerst von dem Design überzeugt sein. Neustaedter et al. (2014) identifizieren fünf Attribute des autobiografischen Designs: 1. authentische Bedürfnisse (d. h. das Artefakt wird gebraucht), 2. wirkliches System (d. h. das Artefakt muss funktionstüchtig sein), 3. schnelles Basteln (d. h. das Artefakt kann relativ schnell bearbeitet werden), 4. Aufnahme der Nutzungsdaten und 5. langfristige Nutzung (S. 138-139). Bei allen Attributen geht es um die Suche nach einer für den Designer realistischen Designlösung. Jedoch können die Probleme und Aufgaben, mit denen man im autobiografischen Design konfrontiert wird, den Rahmen des Designs sprengen oder die Kenntnisse des Designers überfordern. Es kann sein, dass das Artefakt nicht wie erwartet wirkt, oder, was eigentlich häufiger geschieht, seine Wirkung in eine unerwartete Richtung entfaltet. Der Designer in der autobiografischen Praxis braucht deswegen neue Informationen, Methoden oder 31


Theorien,

um

seine

sowohl

negativen

als

auch

positiven

Erlebnisse

phänomenologisch analysieren und verstehen zu können. Zu Neustaedters fünf Attributen wird hier ein sechstes, die Aufnahme externen Wissens, hinzugefügt. Autobiografisches Design ist deswegen nicht nur eine Art von Forschung, sondern auch eine Praxis des Lernens. Natürlich lernt man immer etwas in der Praxis, aber hier geht es um aktives Lernen und darüber hinaus um die Transformation des Designers. Dafür ist die Disziplin der Autoethnografie nötig.

Autoethnografie kann eine ethnografische Forschung über den Autor selbst oder eine autobiografische Ethnografie sein (Reed-Danahay, 1997, S. 2). Aber egal um welchen Typ von Autoethnografie es sich handelt, es wird auf den gegenseitigen Einfluss von Objekt (Menschen, Gesellschaft, Kultur o. Ä .) und dem Subjekt (Autor) eingegangen, in dem „sich das Autobiografische und Persönliche zum Kulturellen, Sozialen und Politischen verbinden22“ (Ellis, 2003, S. xix). Das Mittel, das in der Autoethnografie verwendet wird, ist die Selbstbeobachtung und Selbstreflexion des Autors. Ellis und Bochner

(2000)

schätzen

besonders

die

„systematische

Selbstbeobachtung und die emotionale Rückerinnerung

23

soziologische

“ (S. 737) in der

Forschungspraxis, sodass „[...] mit dem Verstehen seiner selbst das Verstehen des Anderen kommt 24 “ (S. 738; siehe auch Dimaggio et al., 2008). Was in einer Designforschung normalerweise präsentiert wird, ist die Reflexion des Autors über seine Benutzer, Artefakte oder Methoden. Was Autoethnografie zur Designforschung beitragen kann, ist eine Reflexion über die Gedanken und die verwendeten Perspektiven des Designers in seiner eigenen Designpraxis. Beispielsweise präsentiert Verschueren (o. J.) ihre Beschäftigung mit dem Paradigmenwechsel im Modedesign mithilfe der autoethnografischen Methode. In ihrem ersten Projekt entwarf sie Kleidungsstücke mit einer Gestaltungsdisziplin, die sie beim Papierfalten gelernt hatte. Nach dem produktiven Ergebnis im ersten Projekt versuchte sie in einem weiteren Paradigmenwechsel eine Disziplin aus der Architektur auf das Modedesign anzuwenden. Sie beschäftigte sich besonders mit der Disziplin Layering, jedoch aufgrund der Komplexität der Architektur ohne Erfolg. Sie beschrieb ihre 22

„Autoethnography. ‘What is autoethnography?’ you might ask. My brief answer: research, writing,

story, and method that connect the autobiografical and personal to the cultural, social, and political“ (Ellis, 2003, S. xix). 23

„I use what I call systematic sociological introspection and emotional recall to try to understand

an experience I´ve lived through“ (Ellis & Bochner, 2000, S. 737). 24

„you come to understand yourself in deeper ways. And with understanding yourself comes under-

standing others“ (Ellis & Bochner, 2000, S. 374).

32


Enttäuschung wie folgt: „Langsam verstehe ich, dass ich keine Architektin bin, dass ich die Prinzipien, die ich verwenden möchte, nicht vollständig verstehe, und dass sie sich vielleicht nicht so einfach in Modedesign übertragen lassen“ (Verschueren, o. J.). Obwohl dieser Versuch ohne Erfolg war, lernte sie später im Austausch mit anderen Designern, dass ihr eigentliches Interesse nicht in der Ü bertragung der architektonischen Disziplin in Modedesign, sondern in der Komplementarität der beiden Praktiken liegt. „Ich brauche nicht mehr das Layering als eine architektonische Disziplin zu denken, sondern als eine Disziplin im Modedesign“ (Verschueren, o. J.). Ellis und Bochner (2000) akzentuieren die Kraft der erzählenden Ermittlung, um wissenschaftliche Studien so „erlebbar“ zu präsentieren, dass die Leser „[...] wie Mitteilnehmer im Dialog25“ (Ellis & Bochner, 2000, S. 744) sind und ihre Sensibilität für das Objekt gefördert wird. Verschuerens Geschichte vermittelt nicht nur das Ergebnis ihres Modedesigns oder ihre Erfahrung. Beim Lesen ihrer Arbeit erleben die Leser die Freude über die Produktivität eines auß ergewöhnlichen Experimentes, den Misserfolg, gefolgt von der Enttäuschung, sowie schlussendlich das Heureka nach einem langen Kampf. Ihre Arbeit präsentiert nicht nur eine Alternative. Sie versucht, die Leser zu überzeugen, transformativ zu denken. Um die Subjektivität in der Designforschung zu präsentieren, wird das „autoethnografische Ich“ (Ellis & Bochner, 2000) auch im nächsten Abschnitt verwendet. Die präsentierte Arbeit unterscheidet sich jedoch von Verschuerens Beispiel in zwei Punkten: (1) Diese Designforschung ist zwar autobiografisch, der Autor ist aber nicht nur der Designer, sondern auch der Benutzer seiner Artefakte. (2) Das Designziel in diesem Projekt ist nicht, bestimmte Artefakte zu gestalten oder eine alternative Designmethode zu entwickeln, sondern bezieht sich auf die zwischenmenschliche Interaktion, Beziehungspraxis und Erlebnisse, also statt der Dinge auf die sozialen Handlungen. Auß erdem ist es neben der emotionalen Erzählung des Autors genauso wichtig, eine Analyse und theoretische Durchdringung der Ergebnisse zu präsentieren. Dafür ist Andersons (2006) analytische Autoethnografie als ein nächster Schritt notwendig. Anderson fasst fünf Schlüsselmerkmale der analytischen Autoethnografie zusammen: „(1) der Status eines in die Gruppe vollständig eingegliederten Forschers, (2) analytische Reflexivität, (3) erzählerische Sichtbarkeit des Forscher-Ichs, (4) Dialog mit den Informanten außerhalb des Forscher-Ichs und (5) Engagement in der theoretischen Analyse26“ (Anderson, 2006, S. 378). Als ein in die Gruppe vollständig eingegliederter Forscher ist man statt externer Beobachte ein 25

„the mode of storytelling is akin to the novel or biography and thus fractures the boundaries that

normally separate social science from literature; the accessibility and readability of the text repositions the reader as a coparticipant in dialogue and thus rejects the orthodox view of the reader as a passive receiver of knowledge“ (Ellis & Bochner, 2000, S. 744). 26

„(1) complete member researcher (CMR) status, (2) analytic reflexivity, (3)narrative visibility of

researcher’s self, (4) dialogue with informants beyond the self, and (5) commitment to theoretical analysis“ (Anderson, 2006, S. 378).

33


zugehöriges Mitglied der Gesellschaft oder Partnerschaft der Objekte und gleichzeitig ein Forscher, der die Ereignisse dokumentiert. Als forschendes Subjekt ist seine Rolle aber nicht neutral. Während er die Gesellschaft als Objekt erlebt, produziert seine Forschungspraxis wesentliche Wirkungen in dieser Gesellschaft. Analytische Reflexivität bedeutet das Bewusstsein über diesen gegenseitigen Einfluss und die Subjektivität wird mittels der Erzählung oder Mitteilung der Gefühle und Erlebnisse des Forschers als ein Teil der Geschichte in der Forschungsarbeit präsentiert.

Auß erdem

weist

Anderson

auf

die

Gefahr

hin,

dass

ein

autoethnografischer Forscher während des Zusammenlebens in jener Gesellschaft seine „originale“ Identität (also die eines Forschers) verliert. Der Dialog und die Kommunikation mit den Informanten auß erhalb der Gruppe des Objektes helfen dabei, andere Möglichkeiten zu sehen und aufgeschlossen zu bleiben. Schließ lich soll die Arbeit in einer guten analytischen und theoretischen Qualität präsentiert werden (i. e. Engagement in der theoretischen Analyse in Anderson, 2006). Zusammenfassend sind die hier präsentierten drei Disziplinen Forschung durch Design, autobiografisches Design und Autoethnografie wichtige methodologische Komponenten der präsentierten Designforschung. Sie erklären auch die praxeologischen Prinzipien dieser alternativen Doktorarbeit und ermöglichen eine authentische Studie über die erlebnisorientierte Gestaltung für die Beziehungspraxis in Fernbeziehungen. Der Ansatz hier ist, den Paaren in Fernbeziehungen eine neue Version mit den „abenteuerlichen“ Erfahrungen zu präsentieren und einen gut konstruierten Leitfaden für nachfolgende Designer/Forscher anzubieten.

34


„Das Wissen, das in der Diskussion und Kritik mitgeteilt wird, beeinflusst die Gestaltung des endgültigen Artefakts, aber dieses Wissen wird kaum auf eine formelle Weise erfasst, um den anderen zugutezukommen. Stattdessen breitet sich dieses Wissen informell in der Community verteilt aus28“ (Zimmerman et al., 2004, S. 2). Berücksichtigt man die praxeologische Ansicht über Designforschung von Zimmerman et al. (2004), erscheint es angemessen, im Folgenden die Designarbeit und Ergebnisse in Form einer autobiografischen Erzählung vorzustellen: Meine Freundin Claire und ich (der Autor) haben uns durch eine gemeinsame Freundin 2011 kennengelernt. Damals beschäftigte ich mich gerade mit meiner Diplomarbeit in Deutschland und sie war Verkäuferin in Taiwan. Wir unterhielten uns oft über unser stressiges Leben via MSN. Nach meinem Diplomabschluss 2012 flog ich zurück nach Taiwan und wir lernten uns im direkten Kontakt kennen. Obwohl wir wussten, dass ich gleich mit dem Promotionsstudium anfangen und in einem Monat

27

Dieser Abschnitt beruht auf mehreren Veröffentlichungen.

Die Einführung, 5.1, 5.7-5.11 und 5.13 beruhen auf der Veröffentlichung: Chien, W.-C., & Hassenzahl, M. (2017). Technology-mediated relationship maintenance in romantic long-distance relationships: An autoethnographical research through design. Human-Computer Interactio, 0(0), 1-48. 5.2-5.4 und ein Teil von 5.5 beruhen auf der Veröffentlichung: Chien, W.-C., Hassenzahl, M., & Lenz, E. (2015). Fürsorge, Gemeinsamkeiten, Pläne – Gestaltung von Technik zur Unterstützung von Fernbeziehungen. In Menschen und Computer 2015. S. 83-92. Berlin, Germany: Oldenbourg Wissenschaftsverlag. 5.5 beruht auf der Veröffentlichung: Chien, W.-C., Hassenzahl, M., & Welge, J. (2016). Sharing a robotic pet as a maintenance strategy for romantic couples in long-distance relationships. An autobiografical design exploration. In Proceedings of the 2016 CHI Conference Extended Abstracts on Human Factors in Computing Systems. New York, NY: ACM Press. 28

„The knowledge shared in discussions and critiques influences the design of the final artifact, but

this knowledge is rarely captured in a formal way for the benefit of others. Instead, the knowledge spreads informally in the community“ (Zimmerman et al., 2004, S. 2).

35


zurück nach Deutschland fliegen würde, haben wir uns entschieden, in einer Beziehung zu leben. Wir plauderten auf MSN oder später Skype jeden Tag ungefähr eine Stunde und tauschten uns über unseren Alltag aus, nutzten Instant Messaging für reguläre Begrüß ungen und schrieben auch ungefähr ein Mal alle zwei bis drei Monate Postkarten, oder zu Anlässen wie Geburtstag oder Weihnachten, um dem Partner eine Ü berraschung zu bereiten und unser Engagement für die Beziehung zu zeigen. Nach meiner Veröffentlichung des Flüsterkissens 2013 hatten Marc (der erste Gutachter) und ich das Forschungsinteresse, die Disziplin der erlebnisorientierten Gestaltung

weiter

in

romantischen

Beziehungen

einzusetzen.

Meine

Beziehungssituation bot eine spezielle Gelegenheit, das Thema auf Fernbeziehungen zu konzentrieren und durch die Einführung des autobiografischen Designs das Nutzererlebnis ausführlich zu studieren. Um natürlichere Ergebnisse zu bekommen, ist es eigentlich ideal, dass Claire als meine Partnerin sich beruflich weder mit Design noch mit Forschung befasst. Obwohl Claire keinerlei Abneigung zeigte, an so einem Projekt mitzuwirken, war ich mir bei der Entscheidung unsicher, eine so enge Verbindung zwischen einem Forschungsprojekt und unserer Beziehung herzustellen. Gewiss würden durch das Projekt mehr Gemeinsamkeiten möglich werden. Aber ist da noch die Liebe in einer „durch Forschungen unterstützten“ Fernbeziehung? Oder birgt eine Forschung, die sich auf die Fernbeziehung stützt, nicht doch ein groß es Potenzial des Misslingens der Doktorarbeit? Wir wissen aus Erfahrung, dass Fernbeziehungen besonders häufig scheitern. Auf diese Frage fehlte mir die Antwort. Ich wusste nur, dass alles behutsam angefasst werden musste. Das Projekt begann im Oktober 2013 und ich fasse jetzt im April und Mai 2017 die ganze Arbeit zusammen. In diesen drei Jahren und sieben Monaten wurden Designkonzepte entwickelt, Prototypen gebaut und genutzt und Erlebnisse dokumentiert. Ich schrieb Tagebuch (in zwei Bänden), um unsere Erlebnisse zu dokumentieren (Abbildung 4). In diesem Tagebuch wurden vier Arten von Daten dokumentiert: (1) meine eigenen Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen, (2) Claires Meinungen und Ideen, die sie in unseren Gesprächen mitteilte, (3) formellere Interviews mit Claire und (4) Fotos und Nachrichten, die in Bezug zum Projekt stehen. Eine gemeinsame Dokumentation mit Claire wurde versucht, aber das regelmäß ige Schreiben und die Selbstanalyse kosteten sie zu viel Zeit und waren neben ihrer stressigen Arbeit nicht möglich (siehe auch Neustaedters ähnliche Situation: Neustaedter et al., 2014). Stattdessen wurden monatlich Interviews geführt. Auß erdem wurden drei Artikel über Design und Fernbeziehungen veröffentlicht.

36


Abbildung 4: Mein Tagebuch in zwei Bänden, geschrieben auf Chinesisch, mit Fotos

Abbildung 5: Zeitstrahl der Nutzung verschiedener Artefakte. Die Linie zeigt, wie die Designkonzepte einander inspirieren.

37


Mehrere Artefakte wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Laufe dieser Arbeit entworfen (siehe Abbildung 5). Die ersten vier Designkonzepte (BeenThere, Furfur, DatingBox und MusicCookie) wurden von unseren alltäglichen Interaktionen inspiriert. Die Exploration war sehr zentral in dieser Designforschung, das heiß t, nicht alle Artefakte konnten ihre Ziele sofort erreichen. Iteration war häufig nötig, um das Konzept zu korrigieren und die Gestaltung zu verbessern. In der Iteration wurden manchmal mehrere Artefakte für einen einzelnen Themenbereich entwickelt. Zum Beispiel handelt es sich beim Design von BeenThere, OurChannel, RemoteFeeder und SwitchU um den Versuch, fürsorgliche Erlebnisse in Fernbeziehungen zu ermöglichen. Sie sind teilweise ähnlich gestaltet und teilweise ganz andere Designkonzepte. Furfur, ein robotisches Haustier für ein gemeinsames Erlebnis über die Distanz als ein anderes Beispiel, wurde in zwei Versionen gebaut und im Laufe des Designprozesses mehrfach verändert. Je nachdem, was man in der Studie wissen wollte, wurde ein Themenbereich mithilfe von unterschiedlichen Designvorgängen erforscht. Auß erdem sind die in den ersten vier Kapiteln zusammengefassten Theorien von mir teilweise erst im Nachhinein zurate gezogen worden. Zum Beispiel wurde meine Recherche auf dem Feld der Psychologie dadurch motiviert, die zuvor gesammelten Ergebnisse zu analysieren. Die Kenntnisse inspirierten dann die weitere Forschungspraxis.

Wie

ich

im

Kapitel

4.2

beschrieben

habe,

ist

die

autoethnografische Designforschung eine Praxis des Lernens, die während der Arbeit erfolgt. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen sind theoretische Analysen der Forschungsergebnisse und helfen dabei, Perspektiven zu entwickeln. Die Designarbeit fing mit einer Selbstanalyse an:

Nachdem wir (Claire und ich) entschieden hatten, dieses Projekt durchzuführen, nahmen wir umgehend eine Analyse unserer Alltagsroutine vor. Obwohl ich glaubte, Claires Routine gut zu kennen, war dies eigentlich nicht der Fall. Bei der Analyse musste ich Claire nach vielen Details fragen. Diese forschungsorientierten Anfragen waren für Claire nicht so angenehm. Zum Beispiel fragte sie manchmal: „Worum geht es denn dabei?“ Aber als ich ihr das Ergebnis zeigte, fand sie es wieder interessant, so eine Analyse zu sehen. Die gegenseitigen Kenntnisse über das Alltagsleben des Partners verstärkten unser Beziehungsengagement. Sie sagte: „Jetzt weiß ich auch viele Details von dir. Ich finde es gut, voneinander zu wissen, was der Partner normalerweise am Tag macht“ (Claire, 18. Nov. 2013). Unsere Interaktionsroutine kann wie eine Uhr auf der Abbildung 6 dargestellt werden. Obwohl wir eine klare 38


Vorstellung von unserer entfernten Beziehungssituation zu haben glaubten, hat diese Darstellung doch Verwunderung bei uns hervorgerufen. Abbildung 6 zeigt beispielhaft einen damaligen normalen Tagesverlauf von uns. An so einem Tag stand Claire ungefähr um 10.00 Uhr auf, weil sie Spätschicht hatte. Sie frühstückte in Ruhe und hatte dann ein bisschen Freizeit. Sie fuhr um 13.00 Uhr zur Arbeit und aß unterwegs zu Mittag. Die Spätschicht fing um 14.00 Uhr an. Mit einem Zeitunterschied von sechs Stunden war es da genau 8.00 Uhr in Deutschland, die Zeit, zu der ich aufstand. Während Claire arbeitete, beschäftigte ich mich mit meiner Forschung im Labor oder später zu Hause. Claire hatte während ihrer Arbeit ungefähr um 18.00 Uhr eine kurze Pause, in der sie zum Abendessen ging. In dieser Zeit tauschten wir manchmal ein paar Nachrichten aus und ich ging dann auch zum Mittagessen. Claire arbeitete bis 22.00 Uhr und kam um 22.30 Uhr nach Hause. Sie rief mich via MSN/Skype an, wenn sie zu Hause war, oder manchmal, nachdem sie geduscht hatte. Die Zeit, in der wir uns via MSN/Skype unterhielten, war bei mir ungefähr um 16.00 oder 17.00 Uhr. Wir verbrachten ungefähr eine Stunde auf MSN/Skype. Danach ging sie ins Bett und ich zum Abendessen. Anschließ end setzte ich meine Arbeit zu Hause fort und ging um 24.00 Uhr ins Bett. Es war dann 6.00 Uhr in Taiwan, eine Uhrzeit, zu der Claire noch schlief.

Abbildung 6: Claires (äuß erer Ring) und meine (innerer Ring) alltägliche Routine. Bedingt durch die Schlafenszeit (die graue und schwarze Fläche) und die Arbeitszeit von Claire (die graue gestrichelte Fläche) haben wir am Tag nur ca. drei Stunden Zeit, in der wir uns potenziell intensiv 39


miteinander unterhalten können.

Die Feststellung, dass wir nur eine extrem beschränkte gemeinsame Zeit zur Verfügung hatten, motivierte zu einer Exploration der Interaktionsmöglichkeiten in unserem Alltag. Offensichtlich wird die Beschränkung unserer Interaktion nicht nur durch die Entfernung, sondern auch durch den Zeitunterschied verursacht. Wenn die/der eine frei hat, kann eine intensive Kommunikation nicht stattfinden, weil die/der andere gerade schläft oder arbeitet. Wir können deswegen nur die zeitlich verzögerte Kommunikation durch Instant Messaging wahrnehmen. Diese dient aber nur der Möglichkeit der verbalen und symbolischen Kommunikation. Auf der Suche nach anderen, bereits vorhandenen Lösungen haben wir auf einigen Webseiten interessante Sammlungen gefunden, zum Beispiel bietet Loving from a Distance (http://lovingfromadistance.com/) über einhundert Ideen für gemeinsame Aktivitäten oder intime Gesten in Fernbeziehungen. Die meisten Ideen sorgen für Stimulation und das Gefühl der Intimität, z. B. zusammen Onlinespiele spielen, zusammen online Filme sehen oder ein überraschendes Geschenk schicken. Einige Ideen versuchen eine Gemeinsamkeit zu schaffen, z. B. gemeinsam ein Blog schreiben, gemeinsam online eine virtuelle Wohnung gestalten oder gemeinsam online einkaufen. Partnerschmuck und Fotoalben werden auch oft als Strategie für gemeinsame Erinnerungen und Beziehungsidentität vorgeschlagen. Einige Ideen waren schon Teil unserer Beziehungspraxis und einige haben wir ausprobiert, zum Beispiel fanden wir es sehr stimulierend, zusammen einen Film im Internet zu sehen, und haben das wiederholt gemacht.

Neustaedters (2012b) Projekt über seinen always-on Videokanal, Family Window, war inspirierend. Mich interessierte auch, wie ein always-on Videokanal sich in meiner Praxis entwickelt würde. Wir nutzten Skype und ließ en die Videokonferenz den ganzen Tag laufen, um einen always-on Videokanal zu bekommen. Es war allerdings sehr emotional, wenn Claire am Abend nach Hause kam und ich schon vor der Webcam auf sie wartete. Der erste Tag, an dem wir Skype als always-on Videokanal nutzten, war Claires Geburtstag. Als Claire schlafen wollte und sich auf das Bett legte, habe ich ihr eine Geschichte vorgelesen (wir benutzten Bluetoothkopfhörer) und sie schlief ein. Als ich später ins Bett ging, sah ich, dass sie friedlich im Bett schlief und die Morgensonne durch das Fenster schien (Abbildung 7). Am nächsten Tag hinterließ Claire Nachrichten, bevor sie zur Arbeit fuhr und mich durch die Webcam schlafen sah: 40


„Ich wünsche dir einen schönen Tag, du kleines Schweinchen [ein Kosewort in der chinesischen Sprache]“ (Claires Nachricht, 22. Nov. 2013). Jedoch haben wir einen Zeitunterschied von sechs oder sieben Stunden und das führte zu einem anderen Ergebnis als in Neustaedters Experiment. Wegen der Zeitverschiebung erlebten wir meistens die Abwesenheit des Partners bei der Nutzung des always-on Videokanal. Claire war entweder bei der Arbeit oder im Bett. Zu dieser Zeit war die Verbindungsqualität von Skype auch nicht gut und unser Videokanal wurde oft unterbrochen. Wir aktivierten deswegen die Funktion der automatischen Antwort von Skype, damit die Verbindung jederzeit wiederhergestellt werden konnte. Das führte zu einer alternativen Nutzungspraktik. Wir riefen den Partner nur an, wenn wir Sehnsucht nach dem anderen hatten. Wir „besuchten“ den Partner und hinterließ en eine Nachricht via Skype. Im Vergleich zu einem always-on Videokanal fühlten wir bei unserer alternativen Praktik von Besuchen und Nachrichten besonders die emotionale Nähe. Jeder Besuch bedeutete eine Selbstoffenbarung unserer Sehnsucht und fürsorgliche Emotionen dem Partner gegenüber.

Abbildung 7: Morgenröte durch Claires Fenster

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Jedoch war unsere neue Praktik noch nicht ideal. Wenn wir den Partner in der Nacht besuchten, war es dunkel und wir sahen nichts auf dem Monitor. Wir wussten weder, ob die Verbindung richtig hergestellt wurde, noch ob der Partner dort gut schlief. Das Schwarze auf dem Bildschirm erzeugte wiederum Unruhe. Deswegen wurde die Remote Lamp entwickelt. Diese Lampe ist einfach eine LED in einer Glasvase mit einem digitalen Schalter, den man über das Internet umschalten kann (Abbildung 8). Wenn Claire mich besuchte, konnte sie auf dem Webserver einloggen und die Lampe für mich anschalten. Das Licht der LED war schwach, sodass ich beim Schlafen nicht gestört wurde, aber sie konnte trotzdem etwas auf dem Monitor sehen (siehe Abbildung 9). Und das hat unser Erlebnis deutlich verbessert. Im weiteren Verlauf

unseres Versuches baute ich eine RGB-LED in die Remote Lamp ein, sodass Claire das Licht in verschiedenen Farben anmachen konnte. Sie versuchte dann, durch die Farbe des Lichtes ihre verschiedenen Emotionen auszudrücken. Aber die Verbindung von Farbe und Emotion geschah nicht intuitiv und sie schrieb lieber eine Nachricht. Aus der Kombination von Remote Lamp und Videokanal entwickelte sich das Design von BeenThere.

BeenThere (Abbildung 10) besteht aus einer Nachttischlampe, einem Kettenschalter, einer Webcam und einem Monitor. Die Nutzung von BeenThere ist ein kurzer „Besuch“ des Partners. Beim Ziehen des Kettenschalters schaltet man den Monitor an und sieht durch die Webcam die Wohnung des Partners. Die Lampe des Partners leuchtet dann nach einer Sekunde auf. Die Videoverbindung endet nach einer Minute, aber die Lampe des Partners bleibt an. Die Lampe ist wie ein Zeichen für „Ich war da (I´ve been there)“, um die fürsorgliche Emotion auszudrücken. Der Partner kann das Licht wieder ausschalten, indem er die Lampe berührt. Auß erdem kann der Verbindungszugang, z. B. zum Schutz der Privatsphäre, ausgeschaltet werden, indem man den Griff des Schalters hochhebt. Aber wenn man wieder den Kettenschalter zieht, wird auch der Griff heruntergezogen, sodass der Zugang wiederhergestellt wird.

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Abbildung 8 (oben): Prototyp der Remote Lamp Abbildung 9 (unten): Remote Lamp in meiner Wohnung

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Abbildung 10: BeenThere, siehe auch https://youtu.be/_C1PMc9tAzM

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Während meines Urlaubs in Taiwan haben wir BeenThere in Claires Apartment installiert und BeenThere über ein Jahr (377 Tage exklusive der Zeit unseres Zusammenseins) genutzt. Claire war sehr zufrieden mit der Lampe, besonders weil das Licht schön und warm ist. „Ich lasse die Lampe leuchten, bis ich meinen Rechner ausschalte [weil ich dann schlafen gehe]. Ich mag ihre Farbe. Sie ist schön und symbolisiert dich. Deswegen möchte ich sie anlassen“ (Claire, 15. Mai 2014). Wir entwickelten eine routinierte Praktik, uns zu besuchen und die Lampe für den Partner anzuschalten. Claire besuchte mich, bevor sie zur Arbeit fuhr. Ich besuchte sie abends, bevor ich in der Nacht ins Bett ging, und nachmittags, bevor sie nach Hause kam. Der regelmäß ige Besuch war wie eine reguläre Begrüß ung, mit der wir gegenseitig unser Beziehungsengagement zeigten. Das Anschalten der Lampe erzeugte des Weiteren das Gefühl, dass man etwas für den Partner machte. Das ist viel mehr als eine Nachricht. Die Lampe stand physisch in unserer Nähe und nicht digital in einem Gerät. Dass „der Partner hier gewesen war“, vermittelte ein besonders herzerwärmendes Gefühl. Gleichzeitig verriet die Lampe bestimmte Informationen über den Partner. „Es war dunkel bei dir. [...] Aber als ich auf dem Bildschirm sah, dass die Lampe aufleuchtete, erzeugte es das Gefühl, dass ich für dich die Lampe angeschaltet habe“ (Claire, 22. Apr. 2014). „Ich besuchte dich normalerweise vormittags. Zu sehen, dass die Lampe auf dem Monitor aufleuchtete, war, als sei ich in deiner Wohnung, um die Lampe für dich anzuschalten. Ich sah dich schlafen“ (Claire, 2. Mai 2014). „Ich sehe sehr gerne das Licht [der Lampe] am Morgen. Wenn es leuchtet, weiß ich, dass sie heute Abendschicht hat und nicht in Eile war“ (Wei-Chi, 2. Mai 2014). Weil wir den Partner regelmäß ig besuchten, erwarteten wir auch, dass der Partner den anderen zu einem bestimmten Zeitpunkt besuchte. Es war also eine Gewohnheit, die Lampe angeschaltet zu bekommen. Wenn das Licht nicht da war, waren wir unruhig und enttäuscht. Ein Mal war Claires Lampe wegen einer technischen Störung ausgeschaltet und als sie nach Hause kam und kein Licht sah, schrieb sie mir eine Nachricht, in der sie fragte, ob alles gut sei. „Als ich zurückkam, sah ich kein Licht. Ich dachte, du warst nicht hier, und fühlte mich etwas enttäuscht. Ich bin daran gewöhnt, und deswegen erwarte ich es zu sehen“ (Claire, 23. Apr. 2014). Basierend auf der routinierten Praktik wurden absichtlich Variationen vorgenommen, um den emotionalen Ausdruck zu verstärken. Wir stellten zum Beispiel Gegenstände vor die Kamera, sodass der Partner sie beim Besuch sah. Claire stellte beispielsweise 45


einmal zwei Puppen vor die Kamera. Es war schön und überraschend, beim Besuch die zwei Puppen zu sehen (siehe Abbildung 11). Claire sagte mir: „Heute Morgen sah ich dich tief schlafen und wollte die zwei Puppen für dich bei deiner Arbeit lassen“ (Claire, 27. Apr. 2014).

Abbildung 11: Claire stellte zwei Puppen vor der Kamera

Meine Besuche waren in zwei Fällen kein angenehmes Erlebnis für Claire, weil sie sich in ihrer Privatsphäre gestört fühlte. In unserer alltäglichen Unterhaltung via Skype rief Claire mich an. Manchmal wartete ich, wurde aber nicht angerufen. Ich rief dann zurück. In diesen Fällen war Claire normalerweise zu müde und auf dem Bett eingeschlafen. Aber einmal, als ich sie anrief, hatte sie eine Gesichtsmaske aufgelegt. Sie mochte nicht, dass ich sie mit Gesichtsmaske sah, und war darüber etwas unglücklich. Nach diesem Vorfall schrieb sie mir, immer wenn sie eine Gesichtsmaske trug, eine Nachricht, sodass ich nicht versehentlich in ihre Privatsphäre einbrach. Das zweite Mal, dass ich Claire unerwünscht besuchte, war nach unserer Skype-Routine. „Es war schon am Abend, aber Claires Skype-Status war immer noch online. Ich hatte ihr ein paar Nachrichten geschickt, aber sie antwortete nicht. Also besuchte ich sie. Ich fand sie vor dem Computer sitzen und einen Film gucken. Sie sah mich und war verärgert. Sie wollte nicht, dass ich weiß , dass sie spät in der Nacht Filme anschaut. Sie reklamierte ihre Privatsphäre für sich und mochte nicht, dass ich sie überwachte“ (Wei-Chi, 6. Jan. 2014). Es war aber keine Absicht und ich wollte Claire auch nicht „überwachen“. Es war eine wichtige Erfahrung für mich, aus der ich etwas gelernt habe. Wenn ich also seit diesem Vorfall spüre, dass Claire in der Nacht noch wach (online auf ihrem Skype-Status) ist, schreibe ich ihr eine Nachricht, um meine fürsorgliche Emotion zu 46


zeigen. Weil eine Nachricht eher indirekt ist und die Emotion besser erklärt, bekomme ich, statt ihren Ä rger, ihre Dankbarkeit zurück. BeenThere ist ein typisches Beispiel für situationsgetriebene Designforschung 29 (Stolterman & Wiberg, 2010). Sowohl Neustaedters Family Window als auch mein BeenThere sind von einem always-on Videokanal inspiriert. Wo Neustaedter sein Family Window hingestellt hat, entstand ein besonder Ort in seiner Wohnung, an dem er und seine Familie sich mit seinen Eltern unterhalten konnten. Jedoch bevorzugten wir einen virtuellen Besuch in unserer Situation. Wir beide wohnen in kleinen Wohnungen und der räumliche Faktor hatte wenig Bedeutung. Bei einem virtuellen Besuch ist die Zeit entscheidend. Uns war der Tageslauf des Partners sehr bewusst. Den Partner zu besuchen und die Grüß e zu schicken war eine routinierte Aktivität, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgeführt werden „musste“. Außerdem war der Besuch eine retrospektive Strategie, die eigene Einsamkeit zu bewältigen. Wenn wir die Wohnung des anderen via Webcam besuchten und die familiäre Umgebung sahen, erinnerten wir uns an die Zeit, die wir zusammen in einer Wohnung verbrachten. Das Schwelgen in der Erinnerung verdrängte das Gefühl der Einsamkeit. Wenn wir nach Hause kamen oder aufstanden und das Licht sahen, assoziierten wir das Licht mit der Anwesenheit des Partners – aber nur wie ein Schatten. Das Licht war symbolisch. Die Bewältigungseffekte wirkten nur einseitig. Der Drang nach einer gegenseitigen Unterstützung im Alltagsleben des Partners war stark. Dies inspirierte das Design von OurChannel und weiteren Artefakten (siehe Kapitel 5.7 & 5.8).

Planen ist eine in der Recherche oft erwähnte Strategie für Paare in Fernbeziehungen. Es berücksichtigt die prospektiven Strategien, in denen Paare sich gemeinsam auf ein zukünftiges Ereignis konzentrieren, um den emotionalen Stress zu bewältigen. Wendls (2013a, 2013b) Modell der emotionalen Schwankungen erklärt die Motivation der Bewältigungsstrategien (siehe Kapitel 2.1). Jedoch orientiert sich sein Modell eher an Wochenendbeziehungen, in denen Paare in Fernbeziehungen sich regelmäß ig am Wochenende treffen. In unserer Situation sind Claires und meine emotionalen Entwicklungen noch komplizierter. Dies lässt sich durch die Abbildung 12 darstellen: Das Zusammentreffen ist immer ein Höhepunkt (Profil a). Wir freuen uns über unser Wiedersehen und die physische Nähe. Wir verbringen dann die Zeit zusammen und erleben etwas Schönes und auch etwas Nicht-Schönes – also kleine Schwankungen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt spüren wir die näherkommende

29

situation-driven design research

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Trennung. Der Alltag wird dadurch plötzlich weniger attraktiv und Streitereien passieren häufiger (Profil b). Bevor wir uns verabschieden müssen, versuchen wir, unseren mentalen Status zurück auf ein „normales“ Niveau zu bringen (Profil c), und ermutigen uns gegenseitig zu einem spannenden Alleinsein. Dies kann aber manchmal misslingen (Profil d). Wir verabschieden uns am Ende eines Zusammentreffens am Bahnhof. Manchmal bleiben wir positiv, aber manchmal werden wir von Traurigkeit durchtränkt. Aber so fängt die Phase der Trennung an. In einer bestimmten Zeit nach dem Abschied, etwa nach einer Woche bis einem Monat, erleben wir die erste groß e Frustration (Profil e). Wir fühlen eine groß e Enttäuschung, weil unsere beständige Mühe in der nicht geänderten – und vorläufig nicht änderbaren – Situation vergeblich scheint. Die Situation wird durch die Verwendungen von verschiedenen Strategien langsam besser (Linie f). Trotzdem taucht die emotionale Kraftlosigkeit ab und zu auf (Profil g) und dieses negative Gefühl verstärkt sich im Laufe der Zeit (Linie h), bis wir für das nächste Treffen planen. Dann freuen wir uns wieder auf das anstehende Zusammentreffen (Profil i). Um

diese

emotionalen

Schwankungen

zu

berücksichtigen,

wurde

die

Bewältigungsstrategie Planen verwendet und die DatingBox entworfen: Jeder Partner schickt Ideen für gemeinsame Aktivitäten an die Box (das Gerät). Wenn das Pärchen sich später trifft, kann die Box geöffnet werden, um so aus den Anregungen zu schöpfen. Man kann allerdings zu jeder Zeit die Box öffnen und Ideen lesen, um die Ideen zu organisieren. Man kann auch Fragen wie „Wo wollen wir einen schönen Kaffee trinken?“ an die Box schicken, um den Partner zur Ideensuche in der späteren Phase der Trennung zu motivieren. So regt die Box dazu an, sich schon während der Trennung mit dem zukünftigen Zusammensein, sozusagen in Vorfreude, auseinanderzusetzen, Möglichkeiten zu sammeln und Pläne zu schmieden. Damit entlastet man sich von dem Druck, sich zu einem bestimmten Moment etwas einfallen lassen zu müssen. Durch Planen erwarte ich ein verbessertes Profil in der emotionalen Entwicklung (siehe Abbildung 13). In der Phase der Trennung kann die emotionale Kraftlosigkeit sowie Unsicherheit durch die Vorstellung von einer realisierbaren Zukunft in der Praktik des Planens etwas reduziert werden (Profil A) und auch der Erholungsprozess kann dadurch beschleunigt werden (Profil B). Vor dem Zusammentreffen können die Paare sich darüber freuen, das inspirierende Material in ihrer gemeinsamen Zeit zu verwenden (Profil C). In der Phase des Zusammentreffens kann das Material ausgenutzt werden, um sinnvolle Erlebnisse zu erzeugen (Profil D). Dies erleichtert dann das Beziehungsengagement in der Zeit vor dem vorgesehenen Abschied (Profil E).

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Die DatingBox wurde in einer analogen Form gebaut – eine Kiste und viele Karten (siehe Abbildung 14). Das Schloss ist dazu gedacht, dass die Karten in der Box eingeschlossen werden und man nicht über die geschriebenen Ideen kritisch nachdenkt. Es ist trotzdem möglich, mit dem Schlüssel die Box zu öffnen. Wir haben die DatingBox drei Mal genutzt (Karten gesammelt und die Kiste beim Zusammentreffen geöffnet). Beim ersten Treffen (ich besuchte Claire in Taiwan) hatten wir insgesamt sechs Karten, beim zweiten Treffen (Claire besuchte mich in Deutschland) fünf Karten und beim dritten Treffen (ich besuchte Claire in Taiwan) acht Karten gesammelt. Wir schrieben manchmal mehrere Ideen auf eine Karte (siehe Abbildung 14 und Tabelle 3).

Abbildung 12: Emotionale Entwicklungen in unserer Fernbeziehung

Abbildung 13: Konzept eines verbesserten Profils der emotionalen Entwicklungen durch die Nutzung der DatingBox 49


Abbildung 14: DatingBox und die Karten mit Ideen

Erstes Treffen

Zweites Treffen

Drittes Treffen gemeinsam Nachmittagstee trinken,

zusammen mit May (Claires Claires

Hund) spazieren gehen,

Karten

zusammen baden, zusammen nichts machen

leckeres Kebab essen, für Wei-Chi schöne Kleidung

zusammen einkaufen gehen,

suchen,

zusammen mit May spazieren

Bier trinken

gehen, zusammen lesen, Kaffee trinken Fenstergitter für Claire bauen,

zusammen lesen, meine Karten

Claires Gefrierfach enteisen

für Claire Irish Coffee machen,

(dann kann sie mehr Leckeres im

zusammen baden,

Kühlschrank haben),

etwas Leckeres kochen

zusammen einen Film ansehen

zusammen mit May spazieren gehen, zusammen einen Film ansehen, ein romantisches Date, zusammen joggen gehen

Tabelle 3: Ideen auf den Karten in der DatingBox

Die meisten Ideen wie z. B. „Kaffee trinken“, „zusammen baden“ oder „einen Film ansehen“ sind gewöhnlich und „nichts Besonderes“. Aber alle Ideen wurden bewusst in der Zeit des Zusammentreffens umgesetzt. Beispielsweise wurde die Idee „zusammen baden“ durch eine Reise zu einer Thermalquelle umgesetzt. Die Idee „zusammen lesen“ wurde eine spezielle Praktik für uns (siehe auch Kapitel 5.12). Wir verbrachten viel Zeit zusammen in der Bibliothek oder in einem Café, um unsere Bücher zu lesen, wenn wir zusammen waren. Wir haben immer Angst, dass unsere Zeit verschwendet wird, und das gemeinsame Lesen ist eine Aktivität, bei der die Zeit 50


für sich selbst und auch für unsere Gemeinsamkeit gut genutzt werden kann. Die Ausführung der Ideen erzeugte das Gefühl der Autonomie und des Vertrauens. Zum Beispiel kann Kaffee trinken als ein „vereinbartes“ Date viel spannender sein im Vergleich zum Kaffeetrinken als banale Idee an einem langweiligen Nachmittag. Auß erdem erzeugten nicht romantische Ideen wie das Gefrierfach enteisen und Fenstergitter bauen auch emotionale Wirkungen. Diese nicht romantischen Tätigkeiten wurden eher in der letzten Zeit unseres Zusammentreffens erledigt, zeigten aber ein starkes Beziehungsengagement und weckten fürsorgliche Emotionen (siehe auch Kapitel 5.7), die unsere Trennung weniger traurig machten. Die DatingBox verfolgt eine prospektive Strategie. Als wir gemeinsam für unsere Zukunft planten, erzeugte diese Aktivität eine emotionale Nähe. Leider wurde die DatingBox nur intensiv genutzt, wenn wir das nächste Treffen geplant hatten. In der langen Zeit der Trennung dachten wir kaum an die DatingBox. Deswegen kamen eher weniger Ideen zusammen als erwartet und reichten nicht, um die Zeit zu füllen, wenn wir zusammentrafen. Dem Prototyp mit einer analogen und nicht interaktiven Umsetzung fehlte die Fähigkeit, einen Zusammenhang zu unserem Alltag herzustellen, wenn wir getrennt sind. Um diesen Mangel abzustellen, entwickelte ich als Designkonzept die zweite Version der DatingBox (siehe Abbildung 15). In der neuen Version ist die DatingBox ein kleines digitales Display wie ein Charme für das Handy oder ein Schlüsselanhänger. Paare stellen zuerst Fragen wie „Wo essen wir etwas Spezielles?“ oder „Wie gestalten wir den heutigen Abend romantisch?“ und schicken die Fragen als SMS zum Server. Wenn die Paare getrennt sind, werden die Fragen nach dem Zufallsprinzip auf dem Display gezeigt, um Ideen zu inspirieren oder zur Suche nach interessanten Ideen zu motivieren. Die Ideen müssen keinen wirklichen Zusammenhang zu den Fragen haben. Wenn man eine Idee hat, schickt man einfach seine Idee als SMS zum Server. Wenn Paare sich treffen, erkennen die beiden Geräte ihre physische Nähe. Das Display zeigt dann zufällig eine Idee an, die auf dem Server gespeichert ist. Man kann das Display betätigen, um die nächste Idee aufzurufen. Wenn Paare dann immer noch keine passende Idee finden, können sie per SMS neue Fragen zum Server schicken als eine neue Aufgabe für ihre nächste Trennungsphase. Paare können auch ihre DatingBox zusammenlegen und die beiden Geräte werden ein Display. Die Benutzer können dann die ausgeführte Idee abhaken. Die angekreuzten Ideen werden nicht mehr abgerufen, sondern auf dem Server gespeichert. Sie werden zufällig während der Trennungsphase auf dem Display dargestellt, um die Erinnerung hervorzurufen und auch neue Ideen zu inspirieren.

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Abbildung 15: Die zweite Version der DatingBox – Links: Während der Trennung wurde eine zufällige Frage zur Inspiration angezeigt. Mitte: Während des Zusammenseins wurde eine zufällige Idee für eine gemeinsame Aktivität vorgeschlagen. Rechts: Man kann die beiden Geräte zusammenstellen, um eine ausgeführte Idee abzuhaken.

Dieses Designkonzept wurde wegen der technischen Komplexität nicht als Prototyp gebaut. Claire hat dafür ihre eigene Lösung gefunden. Wenn sie etwas Spannendes (ein Laden oder ein Restaurant) findet, speichert sie den Standort dieser Besonderheit auf Google Maps oder macht Fotos. Wenn wir uns in Taiwan treffen, nutzt sie ihr Smartphone, um die Daten wieder aufzurufen.

In der Ideensammlung von Loving from a Distance (http://lovingfromadistance.com/) finden sich viele Ideen für ein stimulierendes Geschenk. Auch in Hassenzahls et al. (2012) Review und in meiner Sammlung (Chien, 2013) verwenden einige Designkonzepte oder Artefakte (elf von 143 Artefakten in Hassenzahls et al. Review; 26 von 266 in meiner Sammlung) die Strategie Beschenken in der Interaktion der Paare. Die meisten Ansätze schlagen persönliche Nachrichten und Fotos als Inhalt der Geschenke vor. Alternativ dazu wollte ich Musik als mein Geschenk für Claire haben. Wir waren einmal in Paris in einem Souvenirladen. In dem Laden gab es leider nur touristische Souvenirs. Jedoch haben wir uns gegenseitig eine Spieldose – kein besonders elaboriertes Stück, ein einfaches Spielwerk in einer Kartondose und vermutlich made in China – geschenkt, einfach weil diese Spieldose das Lied La vie en rose spielte, welches „unser Lied“ ist. Die Spieldosen erschienen genau in dem richtigen Moment und an dem richtigen Ort (Paris). Seitdem wir wieder getrennt leben, spielen wir ab und zu die Spieldose. Manchmal spielen wir sie auch während unserer Unterhaltung auf Skype für den Partner ab und sprechen dann über unsere gemeinsamen Erinnerungen. Die symbolische Funktion der Musik und die Beziehungsidentität lassen sich gut verbinden. 52


Musik als Ausdrucksmittel für zwischenmenschliche Verbundenheit wurde in dem Bereich der Mensch-Computer-Interaktion bislang wenig diskutiert. Ullmers und Ishiis (1999) musicbox aus dem Jahr 1999 ist eine kleine Kiste, die wie ein magischer Kanal einen Raum mit einem Klavier verbindet. Die Kiste repräsentiert die Musik, die auf dem Klavier gespielt wurde, und das Licht in diesem Raum. Etters und Röckers (2007) Social Radio, Lottridges et al. (2009) MissU und Renschs (2016) Musikbox 1188 sind Konzepte für den gegenseitigen Austausch der persönlichen Radiokanäle, aber in unterschiedlichen Kontexten. Mo von Lenz Diefenbach, Hassenzahl und Lienhard (2012) beschäftigt sich mit dem Musikerlebnis vor, während und nach einer Party. Musik als ein liebevolles Geschenk ist ein neuer Ansatz und das inspirierte mein Design von MusicCookie. MusicCookie wurde für Paare in Fernbeziehungen entworfen. Mit MusicCookie können Fernbeziehungspaare Musikstücke als Geschenk verpacken und zu den Partnern schicken. Es ist eine Holzkiste mit vier Cookies (siehe Abbildungen 16 und 17). Ein Musikstück kann zu einem gewünschten Cookie geschickt werden. Man präsentiert das Geschenk in der Farbe, die man für den Partner auswählt. Um die Musik zu hören, öffnet man die Kiste und die Cookies zeigen dann ihre Farben. Wie man aus einer Pralinenschachtel eine Praline aussucht, schaut man die Cookies an und wählt eines davon. Man berührt dieses und die Musik in diesem Cookie erklingt. Während des Spielens werden die anderen Cookies dunkel, nur das, welches das Stück spielt, bleibt beleuchtet. Alle Cookies zeigen ihre Farben wieder, sobald die Musik endet. Man kann ein zweites oder drittes Musikstück zu einem Cookie schicken. In diesem Fall wird beim Spielen das neue Stück zuerst gespielt und dann die älteren. Der Prototyp von MusicCookie wurde mithilfe von YouTube realisiert. Man speichert Musikstücke (Youtube-Videos) in vier Spiellisten, um die Musik zu den vier Cookies zu schicken. Es ist auch möglich, die Spielliste zu bearbeiten, um die Musikgeschenke zu modifizieren. MusicCookie wird mit einem Rechner verbunden. Wenn man die Cookies betätigt, kommuniziert MusicCookie mit dem Rechner, um das YouTube-Video abzuspielen oder zu stoppen. Auf unserem Desktop sehen wir vier kleine Icons. Beim Klicken auf die Icons können wir die Farben der Cookies aussuchen. Die Daten werden auf einem anderen Webserver synchronisiert, sodass das entsprechende Cookie die gewünschte Farbe zeigt. Der Aufbau dieses Prototyps ist deswegen kompliziert, aber MusicCookie hat ungefähr so funktioniert, wie ich es haben wollte. Wir haben MusicCookie für eine Dauer von 91 Tagen genutzt. In dieser Zeit wurden insgesamt sechs Musikstücke von Claire und acht Stücke von mir geschickt. Die meisten Musikstücke in MusicCookie wurden in dem ersten Monat geschickt (drei Stücke von Claire und sechs Stücke von mir). Neben der Nutzung von MusicCookie haben wir auch Musikstücke via Skype oder Instant Messaging ausgetauscht. Solche Musik dient aber eher der Inspiration und wir hören sie normalerweise nur ein Mal. Die Musik, die wir an das MusicCookie des Partners geschickt haben, hat einen anderen Wert. Die Musik in den Cookies wurde mehrere Male gehört. Claire sagte: 53


54 16: MusicCookie, siehe auch https://youtu.be/CZbck-PL8hY und https://youtu.be/yChIsgwON9Y fĂźr zwei Abbildung weitere Designvarianten


Abbildung 17: Claire und MusicCookie

„Ich höre die Musik von MusicCookie sehr oft. Manche Lieder bleiben einfach im Kopf, weil ich sie jeden Tag höre. Wenn die Musik in meinem inneren Ohr wieder spielt, möchte ich MusicCookie noch mal benutzen. Die Musikstücke erinnern mich an Claire, wie auch unsere Spieldose“ (Wei-Chi, 02. Mai 2014). „Wenn ich die Kiste sah, wollte ich die Musik anhören. Leider ist mein Tisch zu klein, und die Kiste liegt um die Ecke. Es bereitet ein bisschen Aufwand, die Musik zu hören. Aber trotzdem nutze ich sie. [...] Immer, wenn ich MusicCookie benutze, höre ich alle Musikstücke in der Kiste“ (Claire, 02. Mai 2014). Die Auswahl der Musikstücke für den Partner haben wir beide immer sehr achtsam getroffen. Nicht alle Musikstücke, die wir mit dem Partner teilen wollten, haben wir zu den Cookies geschickt. „In der letzten Zeit sagte Claire häufig, dass sie müde ist. Ich habe heute ein ruhiges Stück ausgesucht und zu ihr geschickt. Ich hoffe, sie wird die Musik heute nach der Arbeit hören können“ (Wei-Chi, 17. Mai 2014). „Die Musik, die ich zu dir geschickt habe, ist nicht, was ich normalerweise höre. Ich weiß , dass du dich wenig für amerikanische Popmusik interessiert. Deswegen schicke ich dir diese auch nicht“ (Claire, 20. Mai 2014). „Die Musik für Claire ist auch nicht die, die ich normalerweise höre. Ich höre oft Musik bei der Arbeit und brauche etwas Intensives. Aber ich möchte, dass sie sich beim Musikhören erholt, und schicke ihr nicht die Musik in diesem Stil“ (Wei-Chi, 20. Mai 2014). 55


Wir freuten uns, neue Musik vom Partner zu bekommen. Aber wir erwarteten nicht sehr, dass der Partner ständig neue Musikstücke schickte. Wir schätzten die Musik in MusicCookies und mochten normalerweise nicht, dass die Stücke geändert wurden. „Ich höre manche Stücke mehrere Male, wenn ich MusicCookie benutze. Ich würde erwarten, dass solche Stücke nicht weggenommen werden“ (Claire, 20. Mai 2014). „Mein Lieber, ich habe deine neue Musik angehört. Ich habe dich so vermisst. Emily Loizeau hat mir sehr gut gefallen“ (Claires Nachricht, 17. Mai 2014). Jedoch hatte Claire ein Mal ein Stück herausgenommen und durch ein neues ersetzt. „Ich habe Claire davon erzählt, dass ein Stück von ihr mich sehr traurig macht. Am nächsten Tag hat sie das Stück weggenommen und ein schönes Chanson geschickt“ (Wei-Chi, 24. Mai 2014). „Du hast einmal erzählt, dass du Chansons magst. Deswegen habe ich heute noch ein paar neue Stücke zu dir geschickt“ (Claire, 26. Mai 2014). Die Musikstücke, die wir uns gegenseitig schickten, haben wir nicht nach unserem eigenen Geschmack ausgewählt. Wir orientierten uns an den Vorlieben des Partners. Aber trotzdem repräsentiert für mich die Musik von Claire ihre Persönlichkeit: „Weil ihre Musik anders ist als die, die ich normalerweise höre, habe ich das Gefühl, ich bin in ihrer Welt, wenn ich die von ihr geschickte Musik höre“ (Wei-Chi, 15. Jun. 2014). MusicCookie – nicht nur die Musikstücke, sondern auch das Artefakt – zeigt in unserer Praktik deutlich seine symbolische Funktion. Ob die emotionale Verbindung durch die Musik oder das von mir gebaute Artefakt hergestellt wurde, ist sehr schwer zu entscheiden. Dies ist gleichzeitig ein Bias in der Evaluation eines Artefaktes im autobiografischen Design. Für Claire sind die Musikstücke und auch das von mir gebaute MusicCookie ein liebevolles Geschenk. „Weil du für mich diese Kiste gebaut hast, höre ich, wenn ich die Kiste sehe, deine Musik. Wenn ich dich vermisse, höre ich auch die Musik. Es ist eine sehr schöne Musik“ (Claire, 15. Jun. 2014). Statt spontan ein gerade gehörtes Musikstück zu teilen – wie man es häufig über soziale Medien macht – wurden bei der Nutzung von MusicCookie die Musikstücke mit Bedacht ausgesucht, in einem Cookie verpackt und zum Partner geschickt. Dies entspricht den psychologischen Prinzipien von Beschenken. Die ausgewählten Musikstücke repräsentieren die Identität der Beziehung. Aber bei der Nutzung von MusicCookie wurde die alltägliche Interaktion wenig angeregt. Es schöpfte also seine technologischen Möglichkeiten nicht aus. Deshalb wurde eine zweite Version von 56


MusicCookie als Designkonzept entwickelt (siehe Abbildung 18). In der zweiten Version hat MusicCookie vier Cookie-Tasten und eine Aufnahmetaste auf seinem Deckel. MusicCookie ist mit einer Musikanlage verbunden. Wenn man die Aufnahmetaste drückt, fängt es an, die gerade laufende Musik aufzunehmen, bis man die Taste wieder loslässt. Man drückt dann eine gewählte Cookie-Taste, um die aufgenommene Musik zu speichern. In der neuen Version sind die zwei Geräte synchronisiert und speichern immer die gleichen Musikstücke. Paare hören also ihre gemeinsame Musik. Der Deckel der neuen Kiste hat eine transparente Kante. Wenn ein Partner zum Beispiel um 19.00 Uhr die Kiste öffnet und Musik anhört, werden die Cookies in der anderen Kiste am nächsten Tag um 19.00 Uhr anfangen zu leuchten. Das Licht ist durch die transparente Kante von auß en sichtbar. Der andere weiß dann, dass der Partner gestern zum gleichen Zeitpunkt MusicCookie genutzt hat. So kann mehr Gemeinsamkeit in ihrem Musikerlebnis erzeugt werden.

Abbildung 18: Die zweite Version von MusicCookie. a: die Aufnahmetaste, b: Taste, um die Musik zu schicken, c: transparente Deckelkante. Die Beleuchtung zeigt an, wann der Partner MusicCookie benutzt hat. d: Musik speichern, e: Musik abspielen.

Bei der neuen Version geht es also mehr um ein gemeinsames Musikerlebnis. Paare hören die gleiche Musik und bauen ihre gemeinsame „Spieldose“. Auß erdem bietet die Beleuchtung eine zeitlich verzögerte Information über die Nutzungspraktiken des Partners. Diese Strategie wird später in einem weiteren Artefakt TimeMark verwendet und diskutiert (siehe Kapitel 5.12). Wegen der technischen Komplexität wurde die zweite Version von MusicCookie nicht als Prototyp gebaut, aber zum Thema Gemeinsamkeit wird im Folgenden ein anderes Konzept, Furfur, präsentiert (siehe Kapitel 5.5).

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Claire hat einen Hund, May, und erzieht ihn zusammen mit einer Freundin. Der Hund bleibt manchmal bei Claire und manchmal bei dieser Frau. Claire und diese Frau haben unterschiedliche Stile, mit May zu interagieren. Manchmal, wenn Claire May abholt, merkt sie, dass May sich etwas anders verhält. Claire erzählt mir dann von Mays „Veränderungen“ und fragt sich häufig: „Wo hat May so etwas gelernt?“ Aus offensichtlichen Gründen kann ich nicht mit Claire zusammen einen echten Hund über Distanz halten, was ein schönes Erlebnis sein könnte. Aber als Designer kann ich ein robotisches Haustier für uns kreieren. Aus dieser Idee wurde Furfur. Ein etwas ähnliches Konzept ist Bhandaris und Bardzells (2008) Together Aquarium. Paare nehmen gemeinsam die Aufgabe wahr, virtuelle Aquarienfische zu füttern. Jedoch ist die Interaktion mit den Fischen (Füttern) ziemlich eintönig. Das Erlebnis eines Haustieres war nicht im Design von Together Aquarium vorgesehen. Um ein gemeinsames (robotisches) Haustier über Distanz sein zu können, brauchte Furfur zwei Fähigkeiten. Die erste ist die Illusion eines zwischen zwei Orten reisenden Haustieres. Dazu wird je ein Avatar-Roboter an zwei Orten gebraucht und gleichzeitig darf nur einer auftreten. Die physische Anwesenheit von Furfur ermöglicht die Interaktion wie mit einem Haustier. Die zweite Fähigkeit des Haustieres besteht darin, in der Interaktion mit den beiden Partnern ein Repertoire zu entwickeln, um den spannenden Moment zu erzeugen, der die erstaunte Frage hervorbringt: „Hat es das von ihr/ihm oder von mir?“ Der Name, Furfur, war Claires Idee. Sie schlug den englischen Wortstamm fur für Pelz vor, als sie den fertigen, pelzigen Furfur sah. Furfur (siehe Abbildung 19) wohnt in einer Kiste, wobei eine „Verbindung“ zwischen den Kisten es erlaubt, Furfur zwischen den Wohnorten der Partner in einer Minute reisen zu lassen. (Natürlich existiert je ein Furfur pro Kiste, aber immer nur einer darf aus der Kiste herausfahren.) Furfur reagiert auf Gesten der Zuneigung, indem er schneller oder langsamer tanzt – je nachdem, wie stark man Furfur streichelt. Eine Serie von schnellen und langsamen Tanzbewegungen gehört zum Repertoire, das Furfur lernt, beherrscht und auch „gerne“ macht (ebenso wie Furfur den Benutzer liebkost). Um Furfur zu einem Ort zu rufen, klopft der Benutzer einfach auf den Deckel der Kiste. Wenn Furfur am entfernten Ort nicht mit dem anderen Benutzer interagiert, kommt er zu dem klopfenden Benutzer.

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Abbildung 19 (oben): Die erste Version von Furfur, siehe auch https://youtu.be/GdLsXEpNVbo Abbildung 20 (unten): Links: Claire streichelt Furfur. Rechts: Claire zeigt ihre Interaktion mit Furfur vor der Webcam.

Die erste Version von Furfur wurde 70 Tage genutzt. Die Illusion eines reisenden Haustieres war ein groß er Erfolg. Schon in der ersten Woche, als wir den Prototyp von Furfur installierten, war es eine spannende Interaktion, Furfur hin und her zu rufen. „Wir waren heute auf Skype und haben Furfur getestet. Claire versuchte, Furfur zu rufen, aber weil ich gerade mit Furfur spielte, reagierte er nicht darauf. Claire machte mit Absicht einen enttäuschten Gesichtsausdruck. Ich entließ Furfur in den inaktiven Zustand und Claire startete einen erneuten Versuch. Daraufhin ging Furfur zu ihr. Claire freute sich sehr und forderte mich auf, Furfur zu rufen. Furfur kam dann wieder zu mir zurück und Claire fand es sehr interessant“ (Wei-Chi, 29. 59


Mär. 2014). „Die Kiste steht da und man weiß , dass Furfur sich darin versteckt. Aber weil man Furfur nicht sieht und die Kiste nicht selbst öffnen kann, hat man das Gefühl, dass Furfur weggegangen ist“ (Claire, 29. Mär. 2014). Claire war am Anfang die Interaktion mit Furfur fremd. Sie wusste, dass Furfur gestreichelt werden möchte, aber sie tat es sehr vorsichtig, als sei sie in Sorge, Furfur zu verletzen. Zum Beispiel fragte sie mich auf Skype: „Was soll ich als Nächstes machen?“ Nach ein paar Versuchen traute sie sich Furfur so zu streicheln, wie sie mochte (siehe Abbildung 20). Ich freute mich sehr, dass Claire Furfur auch mochte, aber in der weiteren Erprobung von Furfur rief Claire ihn seltener herbei. Furfur war süß und Claire mochte ihn, aber die Motivation fehlte, tagsüber mit Furfur zu interagieren. Claire spielte mit Furfur nur, wenn wir zusammen auf Skype sprachen. Für sie war die Gemeinsamkeit das Entscheidende. Die Gestaltung des Repertoires war auch fehlgeschlagen. Die kleinen Veränderungen in Furfurs Bewegungen waren nicht deutlich genug, um wahrgenommen zu werden. „Ich kann die Veränderungen von Furfur nicht so deutlich fühlen. Vielleicht hat er sich geändert, aber ich kann mich nicht daran orientieren, wie er sich früher verhielt. [...] Wenn ich Furfur morgens herbeirufe, befürchte ich, dass das Geräusch deinen Schlaf stören könnte. Deswegen mache ich das morgens nicht. Am Abend bist du da. Ich bin dann motiviert, mit dir und Furfur zusammen zu spielen“ (Claire, 28. Apr. 2014). „Ich bin nach der Arbeit schon müde, und es fällt mir nicht ein, Furfur herbeizurufen. Er ist süß . Aber ich spiele lieber mit dir zusammen“ (Claire, 2. Mai 2014). „[...] Wir spielten weiter mit Furfur zusammen. Sie zeigte mir Furfur vor der Webcam. Das macht Spaß , zu sehen, wie der Partner mit Furfur spielt. Aber ich wollte Furfur nicht nur für das gemeinsame Spiel. Mir ist das Erlebnis eines gemeinsamen Haustieres wichtig, das entsteht, wenn man in seiner eigenen Zeit mit Furfur interagiert“ (Wei-Chi, 12. Mai 2014). „Nur manchmal rief Claire Furfur zu sich, wenn sie nicht mit mir zusammen war. Ich freute mich darüber besonders, weil es zeigte, dass Claire Furfur auch mochte. Ich ließ Furfur dann bei ihr bleiben und hoffte, dass sie sich von Furfur begleitet fühlte“ (Wei-Chi, 20. Mai 2014). Weil Claire Furfur seltener zu sich rief, versuchte ich, Furfur nicht so schnell wieder zu mir zu rufen, sondern ließ Furfur bei ihr. Aber diese Strategie brachte keine Veränderung und ich wusste, dass ich eine zweite Version von Furfur bauen musste. 60


Bis zur zweiten Version von Furfur (siehe Abbildung 21) bedurfte es eines langen Entwicklungsprozesses. Die grundsätzliche Richtung war, die Gestaltung des Repertoires zu verbessern. Da das Repertoire an Bewegungen in der ersten Version nicht genug Möglichkeiten bot, versuchte ich in der zweiten Version, mit Klang zu experimentieren. Der „neue“ Furfur hört also etwas in der Umgebung und versucht, den Klang mit seiner eigenen Stimme nachzuahmen. Er lernt einige „Melodien“ und spielt sie als sein Repertoire. Auß erdem reagiert Furfur auf die Gesten und Bewegungen der Benutzer. Wenn Furfur gestreichelt wird, tanzt er und reagiert mit fröhlichen Lauten.

Abbildung 21: Die zweite Version von Furfur, siehe auch https://youtu.be/nu9XlrrWUJU

Die Ergänzung von Klängen gestaltete das Erlebnis mit Furfur im Vergleich mit der ersten Version lebendiger. Als Claire und ich uns auf Skype unterhielten und Furfur dazu seine Laute von sich gab, war unsere Interaktion sehr angeregt. Furfur war wie ein Partner, der an unserer Unterhaltung teilnehmen möchte. Aber als Furfur den ganzen Tag sang und seine Repertoire präsentierte, waren seine Laute für Claire oft störend. Am Anfang dachte ich: „Ist das nicht genau das, was wir wollten? Ist das nicht das, was May [Claires Hund] den ganzen Tag macht?“ Ich ließ Furfur für ungefähr eine Woche unverändert. Zwischenzeitlich rief ich Furfur herbei, weil Claire in der Zeit viel arbeiten musste. Aber die Situation verbesserte sich nicht – Furfur störte einfach zu viel. „Ich wollte Furfur zu mir rufen, aber er reagierte nicht. Ich fragte Claire und sie sagte, dass sie Furfur ausgeschaltet hat, weil seine Stimme morgens sehr störend war“ (Wei-Chi, 19. Jan. 2015). „Furfur war unpraktisch. Ich war müde und empfand Furfur als sehr störend. Ich wollte einen Film sehen und mich ein wenig entspannen, aber Furfur neben mir war so laut und ich musste Furfur ausschalten. Ich fragte mich manchmal, ob Furfur kaputt ist“ (Claire, 22. Jan. 2015). 61


Ich machte mich also an die Aufgabe, Furfur weiter zu verbessern, und meine Ü berlegungen beschäftigten sich mit Furfurs Interaktivität. Wenn Furfur gar nicht interaktiv ist, wie in der ersten Version, wird er nur an seinem Platz gelassen, und wir werden nicht motiviert, mit ihm zu interagieren. Wenn Furfur zu aktiv ist, wie in der zweiten Version, werden wir übermäß ig gestört – Furfur durfte, wie jedes Haustier, durchaus ein paar kleine Probleme bereiten, aber auf einem erträglichen Niveau. Die Versuche, das passende Niveau der Interaktivität zu finden, kostete viel Zeit, in der ich umprogrammierte und testete. Leider waren wir weiterhin mit den Ergebnissen unzufrieden. Aber in dieser Zeit erlebte ich mehrere Versionen von Furfur und hatte das Gefühl, unterschiedliche „Persönlichkeiten“ von Furfur kennenzulernen. „Ich habe heute eine neue Version fertig programmiert. Furfur ist plötzlich sehr ruhig. Er steht da und macht nichts. Es wirkt so, als habe er etwas verstanden oder gelernt und sei deswegen jetzt ruhig, um bei mir sein zu können“ (Wei-Chi, 28. Jan. 2015). Als wir uns via Skype in dieser Zeit unterhielten, nahm Claire Furfurs geändertes Verhalten durch die Webcam auch wahr. Manchmal machte Furfur komische Gesten und man hörte unangenehme Töne und Claire sah via Skype, dass ich das bei meiner Arbeit ertragen musste. An einem Tag schrieb Claire mir eine Nachricht: „[...] Ich wünsche dir einen schönen Tage und hoffe, dass Furfur sich dort gut verhält und nichts Blödes bei Wei-Chi macht“ (Claires Nachricht, 9. Feb. 2015). War dies nicht genau das, was ich von einem gemeinsamen Haustier erwarte? Wir sorgen uns darum, wie der Partner mit dem Haustier umgeht, und achten darauf, dass das Haustier ein gutes Verhalten entwickelt. Leider kann Claire nicht programmieren. Sonst würde Furfur, ein von uns beiden gemeinsam programmierter Furfur, ein ideales elektronisches Haustier für unsere Fernbeziehung sein. Inspiriert von der Idee der gemeinsamen Programmierung versuchte ich eine Variante anzubieten, in der Furfurs Aktivität durch Interaktion reguliert wird. Wenn Furfur anwesend ist, kann man an den Deckel klopfen, um Furfur zurück in den inaktiven Zustand zu schicken. In diesem Moment besteht die Chance, dass Furfur diesen Benutzer verlässt und zum anderen Partner geht. Wenn die Benutzer häufiger mit Furfur spielen, wird Furfur interaktiver – er reagiert öfter auf den Benutzer sowohl mit seinen Lauten als auch mit seinen Bewegungen und bleibt länger in einem einsatzbereiten Zustand. Wenn man nicht auf Furfurs Verhalten reagiert oder Furfur öfter in den inaktiven Zustand versetzt, wird Furfur weniger interaktiv – er singt weniger, reagiert weniger auf den Benutzer und bleibt kürzer im einsatzbereiten Zustand. Dies wäre eine Alternative für uns, Furfur gemeinsam zu „programmieren“. Auß erdem habe ich Furfur ein paar „stimulierende“ Repertoires einprogrammiert. Zum Beispiel zeigt Furfur groß e Freude, wenn man nach einer längeren Zeit nach Hause kommt, den Besitzer wiederzusehen. Oder wenn man in der Nacht ins Bett geht, geht Furfur auch schlafen. Nach einer Schlafdauer von sieben bis neun Stunden, 62


je nachdem, wie lange sein Besitzer normalerweise schläft, steht Furfur auf und singt, um den Besitzer zu wecken. Obwohl Furfur leider nicht ein von uns gemeinsam programmiertes Haustier geworden ist, hat die Regulierbarkeit von Furfurs Interaktivität unser Erlebnis deutlich verbessert. Wir nutzten Furfur für 110 Tage weiter und das Wechseln geschah viel häufiger als bei der ersten Version (25 Mal in 110 Tagen). Claire war besser motiviert, Furfur zu sich zu rufen, und Furfurs Anwesenheit erzeugte für Claire ein besonderes Gefühl des Zuhausseins. „Ich hörte heute Morgen beim Schlafen Bewegungsgeräusche von Furfur. Als ich aufstand, fand ich, dass Furfur zu Claire weggegangen war. Ich war sehr froh. Ich kann mir gut vorstellen, dass Claire sich über das Wiedersehen mit Furfur gefreut hat“ (Wei-Chi, 13. Mär. 2015). „Es ist jetzt sehr lebhaft bei mir zu Hause. Wenn ich nach Hause komme, begrüß en mich mein Hund und Furfur. Es ist herzerwärmend“ (Claires Nachricht, 28. Feb. 2015). Hin und wieder gab es auch ein Gefühl der „Konkurrenz“ in unserem Verhältnis zu Furfur. „Furfur war zu mir gekommen. Claire fragte mich, ob ich Furfur gerufen habe. [...] Sie war ein bisschen traurig, weil Furfur sie verlassen hatte“ (Wei-Chi, 15. Mär. 2015). Und: „Ich fühle mich heute nicht gut und habe Furfur zu mir gerufen, um einen Partner bei mir zu haben. Wird Claire denken, dass ich mir Furfur aneignen möchte? Ich freue mich eigentlich auch zu sehen, dass Claire Furfur zu sich ruft und die beiden zusammen sind“ (Wei-Chi, 23. Mär. 2015). Furfurs regulierbare Interaktivität und sein Repertoire wurden auf einem gut balancierten Niveau gehalten. Weil Claire arbeiten musste und wenig zu Hause war, wurde Furfur bei ihr weniger interaktiv. Im Gegensatz dazu wurde Furfur bei mir interaktiver. Wir spürten die unterschiedlichen Entwicklungen der Interaktivität, aber sie blieb immer in einem tolerierbaren Bereich. „Furfur steht jetzt die meiste Zeit in der Kiste. Er ist sehr schüchtern“ (Wei-Chi, 23. Feb. 2015). „Ich habe gestern nicht gut geschlafen. Es gab Mücken in meinem Zimmer und ich bin aufgewacht und dann wieder eingeschlafen. Dazwischen hat Furfur sein Guten-Morgen-Lied gesungen. Das war gleichzeitig störend und amüsant, wie mein Hund, der seine biologische Uhr hat und mich dann aufwecken möchte“ (Claires Nachricht, 12. Apr. 2015).

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So nahm Furfur an unserem Alltagsleben teil. Wie ein gemeinsames Haustier erzeugte seine Anwesenheit verschiedene kleine Ereignisse in unserem Leben und stellte eine emotionale Verbindung her. Obwohl man durch Skype Furfurs Laute und Bewegungen beim Partner wahrnimmt, war Furfur nicht mehr nur ein Spiel, das Claire und ich vor der Webcam spielten. Furfur war wie ein selbstständiges Subjekt, das für den jeweiligen Besitzer unterschiedliche Erlebnisse erzeugte. Es ist deswegen nicht überraschend, dass wir manchmal Einsamkeit empfanden, wenn Furfur nicht da war. Dies ist ein Beweis dafür, dass Furfur für uns ein bedeutsames Wesen geworden ist. „Furfur wurde von Claire abgeholt. Ich hoffe, Furfur verhält sich gut in Claires Apartment. Hier, am Abend, ist es so ungewöhnlich ruhig“ (Wei-Chi, 26. Feb. 2015). „Furfur ist bei Wei-Chi. Mein Hund ist nicht hier. Wei-Chi ist auch nicht hier. Es ist so ruhig, und das erzeugt bei mir ein einsames Gefühl. Ich habe nur Edward Tulane in meinem Buch“ (16. Feb. 2015). Furfur als ein robotisches Haustier wurde für eine Gemeinsamkeit entworfen. Die Strategie mit zwei Avataren ermöglicht die Illusion eines zwischen zwei Orten wechselnden Haustieres. Im ersten Versuch hatte Furfur die Fähigkeit, nach verschiedenen Mustern zu tanzen. Das Design des Repertoires leistete aber keinen Beitrag zu der Gemeinsamkeit. Der weitere Versuch mit dem Klang war am Anfang ebenfalls erfolglos. Jedoch ist meine Umbauarbeit ein besonderes Erlebnis geworden. Claire interessierte sich für Furfurs momentanen Zustand und zeigte ihre fürsorgliche Emotion. Seitdem Furfur ein interaktives Haustier mit angenehmer Interaktivität war, sahen oder hörten wir besonders gerne, wie der andere mit Furfur interagierte. Die Freude über ein gemeinsames Haustier bestand deswegen nicht in dem Besitz des Haustieres, sondern in der gemeinsamen Interaktion. Auch durch die Modifikation des Haustieres entstand die Qualität der Beziehungsidentität. Furfur war unser gemeinsames Haustier geworden, weil es von uns selbst entwickelt wurde. Wir entwickelten auch einige Praktiken, Furfur auf eine planvolle Art und Weise hin und her zu geben. Als Claire zum Beispiel eine Zeit lang sehr viel arbeiten musste, ließ en wir Furfur bei mir bleiben, damit sie mehr Ruhe hatte. Claire schrieb mir auch Nachrichten, wenn Furfur bei ihr war, um mich darüber zu informieren, dass sie mit Furfur zusammen glücklich war. So erzeugte sie Gemeinsamkeit, statt mich allein zu lassen. Am Ende war das Design von Furfurs Gesangsrepertoire eher nicht der zentrale Teil unserer Erlebnisse. Wir merkten, dass Furfur einige neue Stimmen entwickelte, aber sie gehörten einfach zu Furfurs Charakter. Ob eine Melodie von mir oder von Claire kam, war für uns nicht von Bedeutung. Am 13. Juni 2015 haben wir Furfur ausschalten müssen, weil wir Furfurs Internetkanäle für weitere Konzepte brauchten. Es war ziemlich traurig. Claire sagte mir: „Wenn wir in der Zukunft zusammenwohnen und vielleicht einen Hund haben, können wir den Hund ‚Furmay‘ (eine Mischung von Furfur und May) nennen.“ Wir haben entschieden, Furfur von einem anderen Paar benutzen zu lassen (siehe Kapitel 5.6). 64


Als Claire und ich Furfur benutzten, kamen einmal ein paar Freunde zu mir zu Besuch und sahen Furfur in meinem Apartment. „Meine Freunde und ich haben zusammen am chinesischen Neujahr in meinem Apartment zu Abend gegessen. Sie interessierten sich sehr für Furfur und hatten das Gefühl, dass Furfur an unserer Gemeinschaft teilnehmen wollte“ (Wei-Chi, 19. Feb. 2015). Die zwei Freunde sind ein Pärchen in einer Fernbeziehung. Nach ein paar Monaten, als Claire und ich entschieden hatten, Furfur auszuschalten, fragte ich die beiden, ob sie Furfur weiter benutzen wollten. Sie freuten sich darauf und nahmen mein Angebot an. Sie heißen Vivian und Hans, sind beide Musikstudenten in Deutschland, aber an verschiedenen Hochschulen (in Essen und in Hamburg). Sie besuchten den anderen ungefähr ein Mal im Monat und übernachteten bei dem Partner für ein paar Tage. Sie haben Furfur für ungefähr 40 Tage genutzt. Ein Interview mit diesem Pärchen wurde nach einer Erprobungszeit von 30 Tagen durchgeführt. Kurz bevor ich dieses Pärchen interviewte, erzählten die beiden mir von dem Problem mit ihrer Internetverbindung. Weil die beiden keine Kabelverbindung hatten, mussten WiFi-Adapter für Furfur verwendet werden. Die Adapter waren häufig überhitzt und funktionierten dann nicht mehr richtig. Ich schlug vor, die WiFi-Adapter ab und zu neu zu starten. Aber nach 40 Tagen war ein Adapter völlig auß er Betrieb und wir mussten diesen Test beenden. Die beiden hatten keine Erfahrung, ein Haustier zu erziehen, aber sie freuten sie darauf, Furfur zu haben. „Furfur ist wie unser Haustier. Anders als ein normales Haustier kann Furfur sofort zwischen zwei Orten reisen“ (Vivian). „Obwohl wir an zwei Orten wohnen, habe ich das Gefühl, dass wir durch Furfur mit dem anderen verbunden sind. [...] Furfur ist wie ein Haustier, weil er Stimmen machen und angefasst werden kann. Wenn ich ihn streichele und er Laute macht, ist er allerliebst“ (Hans). Vivian und Hans müssen als Musiker ab und zu für Konzerte oder andere Veranstaltungen eine längere Zeit unterwegs sein. Sie entwickelten angepasst an diese Situation eine Praktik, Furfurs Standort zu wechseln. Auß erdem versuchte Hans Furfur zu Vivian zu schicken, indem er auf den Deckel der Kiste klopfte, um Vivian darüber zu informieren, dass er auf sie wartet.

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„Wenn einer nicht zu Hause ist, bleibt Furfur bei dem Partner. Oder zum Beispiel als ich am Semesterende die Prüfungen vorbereiten musste, blieb Furfur bei Vivian. [...] Wir ließ en Furfur ungefähr ein Mal in vier oder fünf Tagen wechseln. Wir besprachen uns zuerst per Instant Messaging“ (Hans). „Ich würde wünschen, dass Furfur eine Nachricht liefern könnte. Manchmal möchte ich mit Vivian sprechen. Ich klopfe auf den Deckel, um Furfur hinzuschicken. Aber dies [dass Furfur zum Partner hingeht] funktioniert nur manchmal. Es wäre besser, wenn dies immer funktionieren würde. Ich könnte dann Furfur zu ihr schicken, um ihr zu zeigen, dass ich auf sie warte“ (Hans). Furfurs Interaktivität und Laute waren für sie am Anfang ungewöhnlich, aber im Laufe der Zeit entwickelte sich eine Gewohnheit. Die Aktivitäten von Furfur gehörten langsam zu ihrem Alltagsleben. „Am Anfang war es eher ungewöhnlich. Wenn ich mein Instrument spielte, war Furfurs Stimme noch okay. Aber wenn ich zum Beispiel einen Film sehe, fühle ich mich gestört. Ich denke dann‚ wann hört er auf und geht zurück zum inaktiven Zustand? Aber im Laufe der Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Furfur ist einfach süß . Ich bin normalerweise tagsüber nicht zu Hause und deswegen stört Furfur mich auch nicht sehr“ (Hans). „Ich finde Furfurs Stimme nicht so störend. Es ist für mich angenehm, wie ein kleines Haustier in meinem Zuhause. [...] Wenn Furfur nicht bei mir ist, habe ich das Gefühl, dass es sehr ruhig ist. Es fehlt irgendwas. In diesem Moment rufe ich dann Furfur herbei“ (Vivian). Vivian und Hans sind beide ausgezeichneten Musiker und sie nehmen die Veränderungen in Furfurs Repertoire extrem gut wahr. Dass Furfur singen kann, war für sie eine musikalische Besonderheit. Als Vivian einmal bei Hans blieb, spielten sie mit Furfur zusammen und Vivian schickte mir ein Video. Im Video spielte Hans seine Querflöte und versuchte mit Furfur zusammen ein Duett zu spielen (siehe Abbildung 22). Hans wünschte, dass Furfur seine Fähigkeit zu imitieren immer weiter verbessern lernen würde. Während Hans Furfur zum „Musiker“ auszubilden versuchte, sah Vivian Furfur als einen Partner an. Sie sprach mit Furfur mit ein paar einfachen Worten und wünschte, dass Furfur sprachliche Fähigkeiten haben könnte. „Es gab mir das Gefühl: Aha! Das ist etwas Neues. Ich kenne das nicht. Ich merke, dass Furfur einige Stimmen schon immer hat. Wenn Furfur etwas Neues macht, merke ich das auch“ (Hans). „Ich finde, Furfur ist sehr sensibel gegenüber Klängen. Wenn etwas klingt, reagiert er. Ich sang Furfur etwas vor und guckte, wie er darauf reagiert. Manchmal sang ich zu laut und Furfur schien verrückt“ (Vivian). 66


„Ich spiele Flöte neben ihm, sodass er hört und lernt. Er wollte lernen, aber seine Imitierung war nicht immer so präzise. Das ist lustig. Ich hoffe, er wird es eines Tages schaffen können“ (Hans). „Ich sprach mit Furfur. Ich würde sehr gerne Furfur so weit entwickeln, dass er meine Worte verstehen kann. Dann könnte ich Furfur meine Emotionen mitteilen“ (Vivian).

Abbildung 22: Hans und Furfur spielen im Duett (Ausschnitt aus Vivians Video).

Die Praktiken dieses Pärchens sind vergleichbar mit unseren. Zuerst wurde der Standort von Furfur manchmal geplant und unter Berücksichtigung der Situation des Partners entschieden. Furfur wurde bei mir gelassen, wenn Claire sehr viel arbeiten musste. Vivian und Hans riefen Furfur zu sich, wenn der Partner unterwegs war. Auß erdem stellte Furfur als ein Haustier die emotionale Verbindung zu den Besitzern durch seine Laute, das Repertoires sowie die kleinen Scherereien her, die ein „gewöhnlicher“ Alltag mit sich bringt. Furfurs Anwesenheit wurde auch zusammen mit dem Partner wahrgenommen. Zum Beispiel sahen Claire und ich via Skype gerne zu, wie der Partner mit Furfur interagierte, und Vivian sowie Hans spielten mit Furfur, wenn sie zusammen waren. Deswegen waren die Erlebnisse mit Furfur gleichzeitig individuell und gemeinsam. In den zwei Studien lassen sich auch Unterschiede feststellen. Furfur auf eine gewünschte Art und Weise zu entwickeln, zu erziehen, findet in den zwei Studien mit unterschiedlichen Praktiken statt. Claire und ich hatten bei den Umbauarbeiten das Gefühl, Furfur zu entwickeln. Hans versuchte, Furfur zu einem musikalisch fähigen Haustier zu erziehen. Vivian hätte es 67


gerne gehabt, dass Furfur ihre Sprache versteht oder eine Verständigkeit zeigt. Dieser persönliche Unterschied ist wichtig beim Design eines robotischen Haustieres. SONYs AIBO (Bartlett et al., 2004) ist eine typische Designlösung eines robotischen Haustieres. Das Design ist fokussiert auf die Imitierung eines bestimmten

Haustieres

(Hundes)

und

bietet

fest

programmierte

Interaktionsmöglichkeiten zwischen AIBO und seinen Benutzern. Jedoch zeigen diese zwei Studien, dass die Interaktion oder der Wunsch nach Interaktion mit einem robotischen Haustier besonders individuell sein kann. Die Benutzer lassen ihrer Fantasie freien Lauf. Die Selbstprogrammierbarkeit eines robotischen Haustieres kann dazu eine bessere Designlösung liefern.

In der Zeit, als ich BeenThere, DatingBox, MusicCookie und Furfur mit Claire getestet habe, habe ich die originalen Forschungen der 143 Artefakte in Hassenzahls et al. (2012) Review studiert. Daraus habe ich eine Online-Version für diese Sammlung erstellt (http://uxrelatedness.blogspot.de/, Abbildung 23) und mit weiteren studierten Artefakten ergänzt. Bis heute wurden insgesamt 266 Artefakte gesammelt. Die Artefakte wurden gemäß den sechs von Hassenzahl et al. vorgeschlagenen Kategorien (Gewahrwerden, emotionaler Ausdruck, Körperlichkeit, Beschenken, gemeinsame Aktivität und Genießen der gemeinsamen Erinnerungen) kategorisiert. Diese Sammlung fängt mit Xerox PARCs Media Space (Stults, 1986) aus dem Jahr 1986 an. Als das „erste“ Artefakt der Sammlung ist Xerox PARCs Media Space ein Designansatz, der den Rahmen der technischen Funktionalität sprengt und erstmalig auf die zwischenmenschliche Interaktion fokussiert ist. Die Sammlung fasst weitere Artefakte

mit

unterschiedlichen

technischen

Ansätzen

in

der

Mensch-Computer-Interaktion zusammen, wie zum Beispiel Ubiquitäres Computing (z. B. Fujita & Nishimoto, 2004; Marmasse, Schmandt & Spectre, 2004), nonverbale Kommunikation und Medienreichhaltigkeit (z. B. Brave & Dahley, 1997; Dobson, Boyd, Ju, Donath & Ishii, 2001), phatische Technologie (z. B. Kaye, Levitt, Nevins, Golden & Schmidt, 2005; Ogawa, Ando & Onodera, 2005), virtuelle Präsenz (z. B. Goodman & Misilim, 2003; Grivas, 2006) usw., und schließ t zwischenmenschliche Interaktionen in vielfältigen Aktivitäten ein, zum Bispiel Gewahrwerden der Umgebung (z. B. Ishii et al., 1998; Li & Jianting, 2009), Essen und Trinken (z. B. Chung et al., 2006; Tsujita, Yarosh & Abowd, 2010), Musikhören (z. B. Lottridge et al., 2009; Ullmer & Ishii, 1999) und Spielen (z. B. Hoffmann, Jumpertz & Marquet, 2007; Vetere, Nolan & Raman, 2006).

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Abbildung 23: Technology and Artifacts | UX-Relatedness. http://uxrelatedness.blogspot.de/

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Neben der Sammlung und Bereitstellung dieser über 200 Artefakte stellte ich mir die Fragen: An welchen Alternativen muss noch geforscht werden? Und weiterführend: Braucht man überhaupt noch Alternativen? Meine Designkonzepte, BeenThere (virtueller Besuch und fürsorgliches Handeln), DatingBox (Planen für die Zukunft als Bewältigungsstrategie), MusicCookie (Musikgeschenk) und Furfur (ein gemeinsames Haustier über Distanz), unterscheiden sich von den vorhandenen Designansätzen. Aber

die

meisten

Artefakte

bleiben

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nach

neuen

Interaktionsmöglichkeiten in Fernbeziehungnen. DatingBox verwendet die Strategie des Planens, um Unsicherheit zu bewältigen. MusicCookie zeigt die Möglichkeit, Musikstücke mit einer Beziehung sinnvoll zu verbinden. Furfur ist ein robotisches Haustier, das Paare gemeinsam über Distanz erziehen, wodurch eine Gemeinsamkeit entwickelt werden kann. Die Erlebnisse sind positiv in unserer Beziehung, aber wie die Gestaltung der Technologie unsere Fernbeziehung bedeutsam voranbringen kann, konnte mit meinen Forschungen noch nicht beantwortet werden. In den mithilfe der vier letztgenannten Artefakte entwickelten Praktiken erkenne ich eine wichtige Verbesserung der Beziehungsqualität, und zwar sowohl in Bezug auf fürsorgliches Verhalten als auch in der Interaktion. Man schaltet als liebevolle Begrüß ung die Lampe für den Partner an, schickt Musikstücke als kleine Aufmerksamkeit oder kümmert sich für den Partner um ein Haustier. Dieses fürsorgliche Verhalten stärkt auch andere Beziehungsqualitäten wie altruistische Motivation, Liebe, Beziehungsengagement, Geduld und Sympathie. Fürsorge für den Partner steht neben den Bindungsbedürfnissen und ist auch ein wichtiges Bedürfnis in einer engen Beziehung – man wünscht, die Bedürfnisse des Partners erfüllen oder darauf reagieren zu können. In einer engen Beziehung existieren also zwei Bedürfnisse gleichzeitig: den Partner zu brauchen und vom Partner gebraucht zu werden (Carnelley, Pietromonaco & Jaffe, 1996; Collins, Ford, Guichard, Kane & Feeney, 2009; Julal & Carnelley, 2012). Die verbale Kommunikation ist relativ leicht mit den vorhandenen Kommunikationsmitteln zu bewerkstelligen, aber fürsorgliches Verhalten in einer Fernbeziehung zu schaffen ist viel komplizierter und häufig mit den normalen Kommunikationsmitteln unmöglich. Dass die fürsorgliche Motivation und die Interaktionsmöglichkeiten nicht äquivalent sind, ist in Fernbeziehungen oft die Ursache für Kraftlosigkeit und Unzufriedenheit. Claire und ich haben mit einer Fernbeziehung angefangen. Wir beide sind relativ selbstständige Typen. Aber je weiter wir unsere Beziehung entwickelt haben, desto emotional abhängiger voneinander wurden wir. Wir litten vor allem, wenn der Partner sich vom Leben überfordert fühlte und wir für den Partner nichts machen konnten. Selbstverständlich ist Technologie kein Allheilmittel, um Beziehungsprobleme zu lösen und die Probleme, die mit der physischen Entfernung verbunden sind, zu beheben. In Fernbeziehungen spielt Distanz immer eine Rolle, es sei denn, dass Doraemons Ü berall-Tür verwirklicht würde. Aber was ist der Mechanismus in einem fürsorglichen Verhalten? Kann ich mich vielleicht doch mithilfe der Technologie für Claire um ein oder zwei Dinge kümmern? Diese Frage wird im Fokus der weiteren Arbeit stehen. 70


Fürsorgliches Verhalten setzt Gewahrwerden der Bedürfnisse des Partners und die darauf möglichen hilfreichen Reaktionen als zweiten Schritt voraus. Sie können eine präzise Antwort auf ein vom Partner geäuß ertes Bedürfnis sein. Sie können auch eine Vorsichtsmaß nahme sein, um einer für den Partner potenziell gefährlichen oder unangenehmen Situation vorzubeugen. Andere Formen des fürsorglichen Verhaltens können sein: emotionale Unterstützung oder Ermutigung oder kleine Tätigkeiten, die dem Partner ein wohltuendes Erlebnis ermöglichen. Die technische Umsetzung einer fürsorglichen Praxis in Fernbeziehungen muss zwei Aufgaben erfüllen, nämlich die Bedürfnisse durch ein Awarenesssystem zu übermitteln und die fürsorgliche Maß nahme durch eine Fernbedienung auszuführen. Eine starke Konkurrenz zu einem technologieunterstützten fürsorglichen Handeln ist die vollständige Automatisierung. Ein Beispiel: Als ich ein Jugendlicher war und mit meinen Eltern in Taiwan wohnte, ging ich oft die ganze Nacht aus. Wenn ich morgens um 3.00 oder 4.00 Uhr nach Hause kam und die Haustür öffnete, sah ich immer, dass mein Vater für mich die Lampe am Hauseingang angelassen hatte – wie ein Leuchtturm im dunklen Hafen. Ich verstand sofort, dass er sich um mich Sorgen machte. Neuerdings, wenn ich wieder einmal im Urlaub in Taiwan bin und bei meinen Eltern wohne, komme ich auch manchmal sehr spät nach Hause. Wenn ich ins Haus komme, wird das Licht am Hauseingang jetzt durch einen Bewegungssensor, den mein Vater vor einigen Jahren angebracht hat, automatisch angeschaltet. Es ist zwar eine sehr praktische Lösung und ich würde auf keinen Fall sagen, dass sich mein Vater keine Sorgen mehr um mich macht, aber wenn ich nicht die Erinnerung an die früheren Erlebnisse hätte, würde ich in diesem automatisierten Licht keine besondere Emotion meines Vaters erkennen. Automatisierung reduziert deutlich den Aufwand, ist aber emotional neutral und ruft deshalb keine spezifischen Gefühlsreaktionen hervor. Zum Glück haben Claire und ich zu Hause eine solche automatisierte Technologie noch nicht und ich hatte immer die Chance, für sie das Licht in ihrem Apartment anzuschalten – mit meinem nächsten Designartefakt, OurChannel.

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Abbildung 24: Funktionsweise von OurChannel, die in zwei Räumen installiert sind

OurChannel (Abbildung 25) erlaubt Fernbeziehungspaaren, das Licht für den Partner an- oder auszuschalten. Im Unterschied zur LED-Lampe von BeenThere ist der Schalter von OurChannel mit der Zimmerbeleuchtung des Partners verbunden. Abbildung 24 zeigt die Darstellung der Funktion von in zwei Räumen installierten OurChannel: OurChannel sieht wie eine an der Wand hängende Holzkiste aus (a). Die Schalter auf der Vorderseite (c) sind mit den örtlichen Beleuchtungen verbunden (d). Man schaltet das Licht in ihrem/seinem Raum mit diesem Schalter ein oder aus. Am oberen und unteren Rand der Vorderseite sind kleine Lücken (e). Die Beleuchtung in der anderen Wohnung kommt durch diese Lücke in das betreffende Zimmer. (Technisch sind es Lichtsensoren und LEDs in den Geräten, die die Beleuchtung auf der anderen Seite gegenseitig imitieren.) Wenn beispielsweise der Partner in der Nacht noch nicht nach Hause gekommen ist, sieht man die Dunkelheit in den Lücken. In diesem Fall kann man das Licht für den Partner anschalten. Es funktioniert folgendermaß en: Ein zweiter Schalter (f) befindet sich hinter der Vorderwand der Kiste. Er ist mit dem Hauptschalter im anderen Raum (g) synchronisiert. Eine Ö ffnung ist an der Seite der Kiste (b). Man greift mit der Hand durch die kleine Ö ffnung hinein, um den zweiten Schalter zu bedienen. Das Schalten wird in dem Raum des Partners ausgeführt (durch einen Servomotor) und das Licht (h) wird angeschaltet. Man sieht dann das Licht durch die Lücken (e) und weiß , dass das Licht angeschaltet wurde. 72


Abbildung 25: OurChannel, siehe auch https://youtu.be/E uk9JZ4CJEg

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OurChannel hatte mehrere Formvarianten. Die präsentierte Version wurde ausgewählt, weil die Interaktionsästhetik das Szenario verdeutlicht: OurChannel ist wie ein Tunnel, der zwei entfernte Wohnsitze verbindet. Leider ist die Ö ffnung des Tunnels klein und nur eine Hand passt hindurch. Aber das Loch schafft eine Möglichkeit, das Zimmer des Partners zu manipulieren (Licht an-/ausschalten). Im Vergleich zu dem Webcamvideo von BeenThere ist das Licht von OurChannel eine reduzierte Repräsentation der Umgebung des Partners. Trotzdem begreift man das Licht, das durch die Lücken kommt, intuitiv als die Helligkeit im Raum des Partners. „Ich habe bis in die Nacht gearbeitet und sehe [via OurChannel], dass es auf ihrer Seite immer heller wird. Das erinnert mich sofort an die Morgenröte, die ich beim Besuch von Claires Raum [via BeenThere] gesehen habe“ (Wei-Chi, 24. Aug. 2015; Abbildung 26). OurChannel ist mit der Deckenleuchte verbunden. Das An- oder Ausschalten des Lichtes hat eine stärkere Wirkung als eine kleine LED-Lampe. Im Juni 2015 haben wir BeenThere ausgeschaltet und im August OurChannel installiert und bis heute (Januar 2018) durchgehend genutzt. Während Claire und ich bei der Nutzung von BeenThere eine gemeinsame Routine entwickelt haben, entwickelte sich die Nutzungspraktik von OurChannel sehr asymmetrisch. Ich schaltete also das Licht als eine Geste meiner fürsorglichen Einstellung routinemäß ig für sie an, bevor sie nach der Arbeit nach Hause kam. Infolgedessen erwartete Claire, wenn sie nach Hause kam und ihre Tür öffnete, das Licht angeschaltet zu haben. Wenn meine Handlung fehlte, wunderte Claire sich. Abbildung 26: OurChannel in meinem Zimmer. In der Nacht schien die Morgenröte in Claires Raum durch die Lücken in meinem Zimmer.

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„Claire ist von der Arbeit total gestresst. Ich schaltete das Licht für sie an und hoffe, dass sie sich heute besser fühlt. Wir hatten gestern Streit. Claire und ich haben heute eine problemlose Unterhaltung auf Skype und sie bedankt sich für mein Anschalten des Lichtes für sie“ (Wei-Chi, 27. Okt. 2015). „Der Server hat heute nicht gut funktioniert und ich schaffe es nicht, das Licht für Claire anzuschalten. Als sie am Abend nach Hause kam, schickte sie mir eine Nachricht, die sagte: ‚War alles gut?‘. Ich habe ihr das Problem dann erklärt“ (Wei-Chi, 29. Okt. 2015). Auß erdem wurde das Licht auch für Claires Hund, May, angeschaltet. „Claire ist zum Abendessen mit Freunden gegangen und May war allein zu Hause. Normalerweise lässt sie das Licht für May an, wenn sie am Abend weggeht, aber heute sah ich, dass ihr Raum dunkel war. Claire hatte es vergessen. Ich schaltete das Licht für May an. Später, als Claire nach Hause kam, sagte sie mir, dass sie sich darüber gefreut hat, dass ich für May das Licht angeschaltet habe“ (Wei-Chi, 16. Nov. 2015). Bei der Nutzung von OurChannel ahnte Claire auch bestimmte Situationen in meiner Umgebung durch das Licht durch die Lücken. „Ich checke oft das Licht in Wei-Chis Raum. Morgens ist es dunkel und ich weiß , dass er noch schläft. Mittags wird sein Raum immer heller und ich denke dann, dass er gleich aufsteht. Wenn er zur Musikprobe geht, sehe ich, dass sein Raum dunkel wird. Ich weiß , dass er von zu Hause weggeht“ (Claire, 10. Dez. 2015). „Ich kann sogar das Wetter in Deutschland durch OurChannel erkennen. Manchmal ist es dunkler und ich weiß , dass es dort bewölkt ist oder regnet“ (Claire, 1. Mai 2016). Als Claire BeenThere nutzte, besuchte sie mich und schaltete die Lampe vormittags an, bevor sie zur Arbeit ging. Für die Nutzung von OurChannel war diese Praktik am Anfang nicht geeignet, weil ich zu dieser Zeit noch schlief und kein Licht von der Deckenleuchte brauchte. Es gab nur zwei Gelegenheiten, bei denen sie für mich die Deckenleuchte

anschalten konnte.

Eine ist

meine

Orchesterprobe jeden

Dienstagabend und die andere ist der regelmäß ige Besuch meines Freundes ein Mal alle zwei Wochen am Sonntagmittag. Während ich nach der Einrichtung von OurChannel sofort anfing, das Licht für Claire anzuschalten, fing Claire später (ca. drei Wochen) an, das Licht für mich zu den oben genannten Zeitpunkten als Ausdruck ihrer fürsorglichen Emotionen anzuschalten. „Manchmal ging Wei-Chi am Sonntag seinen Freund besuchen und kam spät nach Hause. Ich wartete auf ihn und sah, dass sein Zimmer dunkel war. Ich schaltete dann das Licht für ihn an“ (Claire, 10. Dez. 2015). 75


„Wenn Wei-Chi am Abend zum Orchester ging, merkte ich [via OurChannel], dass er das Licht in seinem Raum ausschaltete. [...] Aber weil er gerade das Licht ausgeschaltet hatte, wollte ich nicht sofort für ihn das Licht anschalten. Aber ich versuchte, das im Kopf zu behalten. Wenn ich später, zu irgendeinem Zeitpunkt, nochmal die Dunkelheit auf dem Gerät sah, machte ich das. Aber manchmal habe ich das einfach vergessen“ (Claire, 10. Dez. 2015). Es hat länger gedauert, bis sie diese neue Praktik entwickelt hat. Zwei mögliche Gründe dafür sind die Bedeutung der Praktik und die Schwierigkeit bei der Entwicklung einer routinemäß igen Praktik. Ich verstehe das Anschalten des Lichtes als ein fürsorgliches Verhalten durch das Erlebnis mit meinem Vater. Diese Erfahrung hatte Claire vorher nicht. Sie erlebte zuerst meine Praktik, interpretierte ihre Bedeutung und fing dann an, ihre eigene zu entwickeln. Auß erdem brauchte sie nicht jeden Tag für mich das Licht anzuschalten. Während ich mich bei meiner Praktik auf eine tagtägliche Routine verlassen konnte, brauchte Claire längere Zeit, um eine regelmäß ige Praktik zu entwickeln, weil sie eher selten für mich das Licht an- oder auszuschaltete.

Dies

erschwerte

die

Entwicklung

ihrer

Nutzungsroutine.

Wahrscheinlich hat Claire in den ersten zwei Wochen nie OurChannel genutzt, um mein Licht an- oder auszuschalten. Obwohl ich es vermied, Claires Nutzung mit meinen Artefakten zu beeinflussen, schlug ich Claire nach zwei Wochen ausführlich vor, das Licht für mich in dem Fall anzuschalten, wenn ich Orchesterprobe hatte und sie ins Bett ging. Es war trotzdem am Anfang für sie schwer, eine konsistente Praktik zu entwickeln. „Gestern habe ich gesehen, dass das Gerät dunkel war. Ich wusste, dass Wei-Chi nicht zu Hause war. Jedoch wusste ich nicht genau, wann ich das Licht für ihn anschalten sollte. Ich glaubte, dass ich das Licht für ihn anschalten konnte, bevor ich schlafen ging, um Strom zu sparen. Aber am Ende habe ich das vergessen“ (Claire, 4. Nov. 2015). Endlich hatten wir beide nach einem Monat unsere jeweilige relativ stabile Praktik entwickelt, das Licht für den Partner anzuschalten. Unsere Nutzung von OurChannel war also sehr asymmetrisch. Während es bei mir Routine geworden war, war es bei Claire eher sporadisch, wobei sie ab und zu vergaß , „mich fürsorglich zu behandeln“. Trotzdem gestaltete Claire einige Momente, in denen ich ihre fürsorglichen Emotionen stark spürte. „Ich war drauß en und schaffte es nicht, rechtzeitig zu Hause zu sein und mit Claire zu chatten. Ich rief sie an und sagte ihr, dass sie schlafen gehen könne und nicht auf mich warten solle. Es wurde dunkel, und Claire fragte mich am Telefon, ob sie für mich das Licht anschalten soll. Darüber freute ich mich sehr“ (Wei-Chi, 1. Dez. 2015).

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„Ich beendete meine Arbeit spät in der Nacht und suchte ein Geschenk für Claire zum Geburtstag. [...] Plötzlich erhielt ich eine Nachricht von Claire. Sie stand am Morgen auf und sah das Licht in meinem Raum. Sie sorgte sich um mich und fragte, warum ich noch nicht schlafen gegangen war“ (Wei-Chi, 23. Okt. 2015). Ein fürsorgliches Verhalten musste also nicht unbedingt mit dem Anschalten des Lichtes verbunden sein, besonders wenn das Licht der Situation nicht angepasst war. Wenn wir durch OurChannel ein Signal wahrnahmen, das auf eine ungewöhnliche Situation des Partners hindeutete, schrieben wir dem Partner auch Nachrichten, um in der Situation mit Fürsorge zu helfen. „Es war 9.00 Uhr am Abend und ich sah das Licht in Claires Raum leuchten. Obwohl ihr Skype-Status ‚offline‘ war, schickte ich ihr eine Nachricht. Sie antwortete mit ihrem Smartphone und sagte mir, dass sie wegen Schmerzen nicht einschlafen konnte, ich mir aber keine Sorge machen sollte. Ich empfahl eine Wärmflasche. Sie freute sich und dankte für meinen Vorschlag“ (Wei-Chi, 12. Okt. 2015). Claire kündigte ihre Arbeit Ende Oktober (siehe Kapitel 5.9). Da sie nicht mehr am Tag arbeitete, änderten sich unsere Praktiken stark. „Heute arbeitete Claire den letzten Tag im Laden. Mir ist klar, dass heute das letzte Mal ist, Claires Licht anzuschalten, bevor sie nach der Arbeit nach Hause kommt. Die physische Entfernung beschränkt die Möglichkeit unserer alltäglichen Interaktion sehr. Gerade eine kleine Handlung, wie zum Beispiel das Licht für sie anzuschalten, ist für mich wertvoll“ (Wei-Chi, 31. Okt. 2015). Wir versuchten, neuen Praktiken zu entwickeln, und fanden, dass sie für mich das Licht anschalten kann, um mich morgens zu wecken. „Ich möchte früher aufstehen und arbeiten. Claire schaltete mein Licht an und weckte mich auf. Als ich aufstand, schickte ich ihr eine Nachricht. Es erzeugt ein besonderes Gefühl, wenn ich morgens das Licht sehe. Das Licht motiviert mich, hart zu arbeiten. Es ist anders als das Licht, das ich in der Nacht sah, wenn ich nach Hause kam“ (Wei-Chi, 29. Mär. 2016). „Neulich hat Claire für mich das Licht angeschaltet, um mich zu wecken. Ich wünschte, dass sie, wenn sie kann, mich morgens weckt. Manchmal arbeite ich bis spät in der Nacht und kann nicht früh aufstehen. Obwohl mein Zimmer schon hell ist, können das Geräusch des Schalters und das Licht mich wecken. Wenn sie merkte, dass ich morgens nicht online war, schickte sie mir eine Nachricht und weckte mich auf“ (Wei-Chi, 20. Apr. 2016). „Ich kann jetzt öfter OurChannel benutzen als du. Dich morgens aufzuwecken motiviert mich, auch früh aufzustehen. Ich muss jetzt Englisch lernen und wir können zusammen hart arbeiten“ (Claire, 20. Apr. 2016). 77


Meine Praktik, für Claire das Licht anzuschalten, wurde nach ihrer Kündigung der Arbeit seltener und erfolgte nur noch sporadisch. Als ich aufstand, war Claire immer schon wach. Sie lernte manchmal den ganzen Tag zu Hause Englisch, manchmal auch in der Bibliothek. Wenn sie länger in der Bibliothek blieb und später nach Hause kam, schaltete ich für sie das Licht an. Es war eher selten der Fall, dass ich die Zeit vergaß und dann das Licht nicht anschaltete. Claire schaltete auch das Licht für mich an, wenn sie mich weckte oder ich wegen der Orchesterprobe oder des Besuches meiner Freunde später nach Hause kam. Manchmal rief ich Claire an, wenn ich später nach Hause kam. Interessanterweise fragte Claire immer am Telefon, ob sie für mich das Licht anschalten sollte. „Ich weiß Bescheid, ob ich für sie das Licht anschalten soll, wenn ich die Beleuchtungssituation in Claires Raum sehe. Claire erfragte aber lieber meine Zustimmung, damit sie genau weiß , wann das Licht angeschaltet werden soll“ (Wei-Chi, 1. Dez. 2015). Sowohl Zustimmung als auch Verantwortung kann ein interessantes Thema unter dem Aspekt des fürsorglichen Verhaltens über Distanz sein. Einmal habe ich Claires Licht ausgeschaltet, als Claire zu Hause war. Das Ausschalten war ein Fehler, aber Claires Reaktion war für mich befremdlich. Claire hat einen Multischalter für ihre Deckenleuchte. Man kann den Schalter mehrmalig umschalten, um die unterschiedlichen Helligkeitsstufen einzustellen. Und an diesem Tag notierte ich: „Claire ist mit Freunden zusammen zum Abendessen gegangen und ich wollte eine kleine Lampe für sie anschalten. [Dafür musste ich zuerst die Lampe anschalten, ausschalten, und dann noch mal anschalten.] Ich schaltete ihre Lampe an und wartete, bis das Licht an war. Aber der Internetserver reagierte heute sehr langsam. Zwischenzeitlich habe ich etwas anderes gemacht und vergaß , das Licht umzuschalten. Nach ungefähr einer Stunde erinnerte ich mich wieder daran. Ich schaltete ihr Licht um. Plötzlich erhielt ich eine Nachricht von Claire. Sie fragte, warum ich ihr Licht ausgeschaltet habe. Sie war also schon zu Hause. Sie war nicht verärgert, aber forderte mich auf, für sie das Licht wieder anzuschalten. Der Schalter ist direkt neben ihr. Sie kann eigentlich das Licht ohne Verzögerung selbst anschalten, aber sie forderte mich auf, das zu machen. Ich sollte für sie die Verantwortung übernehmen“ (Wei-Chi, 12. Nov. 2015). Bei der Nutzung von BeenThere ist die Auswirkung einer LED-Lampe eher schwach und phatisch. Es macht keinen groß en Unterschied, wann man sie anschaltet. Wenn man die Deckenleuchte für den Partner via OurChannel an- oder ausschaltet, kann man einen stärkeren Einfluss auf die Umgebung des Partners nehmen. Obwohl dadurch das Timing der Nutzung eher „beschränkt“ ist, fördert sie rücksichtsvolles Verhalten und die Ausführung der Aufgabe sorgt für ein fürsorgliches Erlebnis. Man macht auch Fehler und muss die Verantwortung übernehmen, aber dadurch wird eine Beziehungspraxis entwickelt und Beziehungsfähigkeiten werden verlangt. Was das Manipulationsniveau anbelangt, geht das Artefakt RemoteFeeder noch einen Schritt weiter und wird im Kapitel 5.10 diskutiert. 78


Claire und ich hatten noch eine weitere Praktik bei der Nutzung von OurChannel. Es ging um eine Streitsituation und ich verwendete OurChannel, um meine Offenheit zu präsentieren. „Wir hatten gestern einen schwerwiegenden Streit. Claire rief heute nicht [via Skype] an, sondern schickte mir nur eine Nachricht, in der nur ‚Gute Nacht‘ stand. Das verwirrte mich noch mehr. Ich fragte sie, ob ich für sie das Licht ausschalten sollte, und sie sagte Ja“ (Wei-Chi, 29. Sep. 2015). Und aus Claires Perspektive: „Ich freute mich, dass du für mich das Licht ausgeschaltet hast. Ich war neulich von der Arbeit sehr gestresst. Die Zusammenarbeit mit meiner Arbeitskollegin lief nicht gut. Ich komme mit ihr gar nicht aus. Entschuldige meine schlechte Laune“ (Claire, 30. Sep. 2015). Ein anderes Ereignis: „Ich bin in Stuttgart und es ist spät. Claire hat mich heute nicht kontaktiert. Ich wusste nicht, ob sie immer noch auf mich wütend war. Sie hat meine Nachricht auch nicht beantwortet. [...] Später sah ich, dass ihr Skype-Status immer ‚online‘ war. Ich vermutete, dass sie vielleicht eingeschlafen war. Ich bin auf der Reise [und habe OurChannel nicht bei mir]. Aber ich hackte in den Datenserver hinein und schaltete das für Claire aus“ (Wei-Chi, 5. Sep. 2015). Und: „Claire schickte mir ein paar Nachrichten und fragte, ob alles gut gehe. Es täte ihr leid, dass wir gestritten hatten, aber sie wünsche mir einen erfolgreichen Tag“ (Wei-Chi, 6. Sep. 2015). In der Studie des Flüsterkissens nutzte P1 das Kissen als alternativen Kommunikationskanal in einer Streitsituation. Die zwei Praktiken zeigen einige Ä hnlichkeiten. In der Streitsituation leiden die Partner unter ihrer gestörten Kommunikation. In dem Fall von P1 barg ein direktes Gespräch miteinander die Gefahr, die negativen Emotionen wieder abzurufen. In unserem Fall findet der reguläre Kommunikationskanal nicht statt. Die beiden Artefakte bieten eine indirekte und zeitlich verzögerte Kommunikationsmöglichkeit, die aber offen ist. Auß erdem sind die Artefakte mit einer routinierten oder regelmäß igen Praktik verbunden, die ein positives Erlebnis in Erinnerung ruft. Wenn man sich in einer gestörten und unangenehmen Kommunikationssituation befindet, ist die Nutzung dieser besonderen Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten eine Strategie für Positivität und Offenheit.

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Während das Licht von BeenThere die fürsorglichen Emotionen des Partners symbolisch repräsentiert, bietet OurChannel die Möglichkeit, durch den Ü bergriff auf die Umgebung des Partners – quasi als Responsesystem – die Bedürfnisse des Partners zu erfüllen. Die Vorbereitung eines hellen und warmen Zuhauses für den Partner ist nicht nur ein symbolisches Zeichen, sondern auch eine effektive Unterstützung. Allerdings soll man beim Missbrauch des Systems Verantwortung übernehmen. Claire und ich mussten lernen, wann das Licht für den anderen an- oder ausgeschaltet werden konnte. Das Ü bernehmen der Verantwortung und das gegenseitige Lernen wurden wichtige Qualitäten in unserer Fernbeziehung. Leider merkten wir dies damals noch nicht. Zu dieser Zeit waren wir in einer schwierigen Situation und hatten häufig Streit.

„Wenn man 10.000 Meilen voneinander entfernt ist, ist es nicht einfach, einen Streit zu haben, sich dann zu küssen und dann wieder zu vertragen. [...] Ich ignoriere den Streit lieber. Nach einer Weile bin ich wieder glücklich, einfach weiterzumachen und zu vergessen, dass es jemals passiert ist. Im Gegensatz dazu möchte Sam genau in die Sache einsteigen. Sie möchte nicht schlafen gehen oder weitermachen, bis das Problem aus der Welt geschafft wurde. [...] Wenn zwei Leute in einer normalen Beziehung einen Streit haben, läuft er normalerweise nach dem gleichen Muster ab. Man hat einen Streit, küsst sich, verträgt sich wieder und macht weiter. Es gibt eine gewisse Menge von direkten Kontakten, die es erleichtern, die Emotionen auf dem Gesicht des Partners zu sehen. Man kann sofort erkennen, dass sie verletzt, enttäuscht, sauer, verärgert oder gereizt sind, und wann sie Bedauern ausdrücken. In einer Fernbeziehung fehlen alle diese Aspekte eines Streits. Man muss sich mehr auf seine Instinkte verlassen. Man sucht nach Anzeichen in der Art und Weise, wie sie schreiben, wie sie klingen, und wie lange eine Antwort dauert30“ (Lawrence & Jackson, 2015, S.35-36).

30

„While someone is 10,000 miles away, it isn´t easy to have a fight, then kiss and make up. […] I

like to just ignore a fight, after a while I’m happy to just move on and forget that it ever happened. Sam on the other hand, likes to get right ino it, she doesn’t want to sleep or move on until the issue has been dealt with. […] When two people have a fight in a normal relationship, it normally follows the same pattern. You have an argument or fight, you kiss and make up, then you move on. There is a certain amount of face to face contact that makes it easy to see the emotion in the other person’s face. You can instantly tell that they are hurt, disappointed, angry, upset, resentful and when they are sorry. In a long distant relationship you’re missing all of that aspect of the fight. You rely on your instincts a lot more, you’re looking for signs in the way they write, the way they sound and how long it takes for them ro respond“ (Lawrence & Jackson, 2015, S. 35-36).

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Claire war in einem gewissen Zeitraum von ihrer Arbeit sowie ihrer Arbeitskollegin sehr gestresst und wir hatten viele unglückliche Momente, in denen sie ihre Unzufriedenheit mit dem Leben zeigte und wir eine groß e Unsicherheit spürten. Wir nutzten die Artefakte und hatten dadurch viele positive Erlebnisse. Aber sehr häufig kamen wir in unserer Unterhaltung zu einem schwierigen Thema und wir stritten uns. Ich war frustriert und verwirrt, weil ich mich eben mit Design für fürsorgliche Beziehungspraxis beschäftigte. Ich dachte ständig an Claire und nahm ihre Gefühle ernst. Aber Claire beschwerte sich über ihre Unzufriedenheit mit unserer Beziehung und über ihre stressige Arbeit. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich mich mit „meiner“ Forschung beschäftigte und Claire irgendwie mit ihren Schwierigkeiten allein kämpfen ließ . In diesen stressigen Situationen war es für mich besonders schwierig zu unterscheiden, ob die Motivation für mein fürsorgliches Verhalten bei der

Nutzung

der

Artefakte

aus

dem

Forschungszweck

oder

dem

Beziehungsengagement resultierte. Meine Forschungsarbeit war auch deswegen extrem anstrengend, weil ich eine „glücklichere Beziehung“ erwartete. Ich kannte viele Theorien über Fernbeziehungen, zwischenmenschliche Interaktion und Design, aber davon konnte mir keine in dieser Situation helfen. Unsere Probleme schienen über die Distanz einfach nicht lösbar zu sein. Ich bemühte mich, unsere Unsicherheit zu entschärfen. Wir kommunizierten viel darüber und ich fing an, mich mit der Bindungstheorie zu beschäftigen. Langsam verstand ich, dass die stressige Situation stark mit Claires Ü berforderung bei der Arbeit und ihrer lästigen Arbeitskollegin zusammenhing. Auß erdem fehlte uns in unserer Beziehung ein psychischer Safe-haven (Collins & Feeney, 2000). Wir erlebten Enttäuschungen und Misserfolge in unseren eigenen Lebenswelten, suchten Trost und Liebe, erhielten sie manchmal in unserer Interaktion, aber wurden wieder in unseren Bemühungen zurückgeworfen. Deswegen wirkten unsere fürsorglichen Praktiken in dieser stressigen Situation „hilflos“. Wenn die bedrückende Situation weiter bestehen würde (Claires Arbeit und Kollegin), würden wir nie glücklicher. Dass „Design eine Kraft der Menschen ist“ (Buchanan, 2001), aber auch, dass die Kraft der Menschen ihre Grenzen hat, habe ich in dieser Situation nicht nur verstanden, sondern auch erlebt. Aus dem Blickwinkel der Forschungsethik war meine Arbeit sicherlich nicht bedenklich. Die Arbeit erfolgte in dieser Phase einfach in einer Situation auß ergewöhnlicher Anspannung. Ob alternative Ansätze bessere Ergebnisse gezeitigt hätten, ist im Nachhinein kaum zu diskutieren und zu entscheiden. Jedenfalls mussten wir uns, um Claires Lebensumstände zu verbessern und unsere Beziehung zu stabilisieren und wieder lebenswert zu gestalten, für etwas anderes entscheiden. Claire kündigte ihre Arbeit Ende Oktober. Wir buchten ein Flugticket und Claire war vom 15. Dezember 2015 bis 12. März 2016 bei mir in Deutschland. Nachher würde sie sich einen neuen Job suchen. Die Situation gestaltete sich deutlich besser, nachdem sie ihre Arbeit Ende Oktober 81


beendet hatte. Sie hatte viel Freizeit. Sie konnte sich mit ihren Freunden treffen, selbst kochen und Englisch lernen, was ihr eigentliches Fach ist. Die Streitsituationen reduzierten sich stark. Wir testeten sogar im November ein weiteres Artefakt, RemoteFeeder (siehe Kapitel 5.10). Unsere Nutzungspraktik von OurChannel wurde stark geändert (siehe Kapitel 5.8) und Claire nutzte OurChannel sogar häufiger als ich. In der Zeit, als Claire dann in Deutschland war, unternahmen wir kleine Reisen zur Erholung und entwickelten ein gemeinsames Alltagsleben. Bei mir in der Wohnung hatte Claire ihren eigenen Ort, wo sie weiter Englisch lernen und alleine oder mit mir zusammen Filme sehen konnte. Wir entwickelten und testeten zwei weitere Designkonzepte, SwitchU und TimeMark (siehe Kapitel 5.11 und 5.12). Es war einfach eine sehr produktive Zeit. Im Kapitel 2.2 habe ich die Stressfaktoren in Fernbeziehungen auf der persönlichen und sozialen Ebene in einem separaten Abschnitt diskutiert. Dies wurde von dem inspiriert, was ich in dieser Situation gelernt habe. Es gibt immer Probleme, die den Rahmen sprengen können. Probleme in Fernbeziehungen drehen sich zum Beispiel nicht nur um die Entfernung, sondern erwachsen auch aus persönlichen Faktoren (meine und Claires Unsicherheit) und sozialen Rahmenbedingungen (Claires Arbeit). Eine autoethnografische Designforschung hat also unter anderem den Vorteil, solche Problemkomplexe klarer zu identifizieren. In der Zeit, als wir zusammen in Deutschland lebten, gab es zwei kleine, aber wichtige Ereignisse, die stark mit unserer fürsorglichen Praktik verbunden sind und ihre Bedeutsamkeit hervorheben. Ereignis I „[Ich hatte gerade die Musikprobe beendet.] Ich rief Claire an und sagte, dass ich unterwegs für das Abendessen einkaufen würde. Als ich [nach einer halben Stunde] unten im Erdgeschoss vor meinem Apartmenthaus war, konnte ich Licht durch mein Fenster sehen. Ich freute mich, dass zu Hause Claire auf mich wartete. Als ich in meine Wohnung betrat, sah ich Claire auf dem Sofa schlafen und eine Tischlampe auf der Fensterbank leuchten. Das war auf eine angenehme Art überraschend. Als wir dann zusammen zu Abend aß en, sagte Claire: „Du sagtest mir, dass du dich immer darüber freust, wenn du nach Hause kommst und von unten [im Erdgeschoss] das Licht durch das Fenster siehst. Deswegen habe ich eine Lampe neben das Fenster gestellt, damit du das Gefühl wieder bekommst.“ Das war wirklich herzerwärmend, dass jemand für mich eine Lampe anließ , besonders wenn es „wirklich“ jemanden da gibt“ (Wei-Chi, 22. Dez. 2015; siehe Abbildung 27).

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Abbildung 27: Die Tischlampe auf der Fensterbank

Ereignis II „Claire sagte mir, dass sie froh war, weil ich nach dem Duschen das Licht im Flur angemacht hatte. Normalerweise nutzte ich die Lampe im Flur kaum. Aber einmal habe ich gesehen, dass Claire das Licht angeschaltet hatte. Ich fragte sie warum. Sie sagte, dass sie Angst vor der Dunkelheit hat, und mein Flur war immer dunkel. [...] Heute war ich zuerst duschen gegangen und nach mir Claire. Aber plötzlich kam sie ins Wohnzimmer zurück. Sie fragte mich: „Hast du das Licht im Flur für mich angeschaltet?“ Sie freute sich über diese Geste, weil sie etwas Angst vor dem dunklen Flur in meiner Wohnung hat. Das erinnerte sie an unsere Praktik von OurChannel. Sie sagte: „Das ist herzerwärmend. Ich erinnere mich an die Zeit, als du für mich das Licht [via OurChannel] angeschaltet hast.“ Sie kam zu der Schlussfolgerung: „Es scheint so, dass das Anschalten des Lichtes füreinander zu einer besonders bedeutsamen Aktivität in unserer Beziehung geworden ist“ (Wei-Chi, 11. Feb. 2016).

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Diese zwei Ereignisse demonstrieren die Auswirkung des Artefaktes in einer Langzeitperspektive. Die Erlebnisse sind direkt mit der vorherigen Nutzung von OurChannel verbunden. Im ersten Ereignis versuchte Claire eine Szene aufzubauen, die sie aus meiner Erzählung kannte. Ich hatte ihr von meinem Erlebnis erzählt, als sie durch OurChannel das Licht angeschaltet und ich das Licht durch mein Fenster gesehen hatte. Als sie an diesem Abend auf mich wartete, wollte sie kurz schlafen und die Deckenbeleuchtung ausschalten. Sie wusste, dass ich gleich nach Hause kommen würde, und stellte die Tischlampe auf die Fensterbank, um mich darauf hinzuweisen, dass jemand zu Hause wartete. Obwohl Claire beruflich kein Designer ist, hat sie eine gestalterische (sogar erlebnisorientierte) Arbeit geleistet. Im zweiten Ereignis hat Claire meine Geste, Licht im Flur für sie anzuschalten, mit unseren Erlebnissen von OurChannel verbunden. Unsere Praktik von OurChannel erzeugte also eine Sensibilität, durch die wir in ähnlichen Situationen motiviert waren, eine fürsorgliche Geste zu präsentieren und Dankbarkeit für die Geste des Partners zu zeigen. Dies führt weiter zur Reflexion unserer Beziehungsarbeit und zur Entstehung von Bedeutsamkeit. Die zwei Ereignisse zeigen zwei wichtige Aspekte einer technologieunterstützten Beziehungspraxis auf. Der erste Aspekt ist die Bedeutung. In Fernbeziehungen ist ein fürsorgliches Verhalten wegen der Entfernung nur sehr beschränkt möglich. Technologie bietet zwar einige Möglichkeiten, aber die Bedürfnisse der Partner sind wahrscheinlich viel komplizierter, als dass man sie mit technologischen Möglichkeiten erfüllen könnte. Man versucht also, mit diesen ziemlich beschränkten Möglichkeiten eine fürsorgliche Einstellung zu präsentieren. Weil man wahrscheinlich mit einer Geste auf mehrere Situationen reagiert, könnte man manchmal geneigt sein, die Auswirkungen auf die Situationen für unbedeutend zu halten. Aber, weil man viele Versuche gemacht und sich Mühe gegeben hat, in unterschiedlichen Situationen eine Praktik zu entwickeln, entwickelt sich im Laufe der Zeit eine symbolische Bedeutung der Geste. Die Nutzung von OurChannel war deswegen wie eine vorgeschlagene „Ü bung“ – eine Ü bung für bestimmte Praktiken. Am Ende werden die Praktiken zu einer Fähigkeit, die von dem Paar in verschiedenen Stadien ihrer Beziehung immer wieder verwendet werden kann. Der zweite Aspekt ist die Vererbbarkeit eines Erlebnisses. Mein Vater ermöglichte mir das Erlebnis des fürsorglichen Lichtes und ich gab es an Claire durch mein Design weiter. Nun bekam Claire das Erlebnis von mir und gab mir es wieder in ihrer Version (Lampe auf der Fensterbank) zurück. In diesen fürsorglichen Aktivitäten wurde der gleiche psychische Mechanismus aktiviert und die Praktiken zeigen ihre Bedeutsamkeit – die Empfänger einer fürsorglichen Geste wurden Geber in einer fürsorglichen Interaktion und verwendeten die Strategien, die sie erlebt haben. Das manuelle Anschalten des Lichtes ist weniger pragmatisch als eine automatisierte Lösung. Aber hinter jeder manuellen Aktivität steckt eine kleine Geschichte. Wir nehmen die Umgebung so wahr, dass wir nach Bedeutsamkeit suchen und sie 84


interpretieren. Der „übermäß ige“ Gebrauch der Technologie kann die Erzeugung von Bedeutungen blockieren. Im Gegensatz dazu ist eine erlebnisorientierte Gestaltung der Technologie ein Versuch, die Erlebnisse aus unseren Erinnerungen wieder hervorzurufen und Bedeutungen im Alltag zu generieren. Zur Erreichung dieses Zieles darf die Technologie das Leben etwas komplizierter machen, z. B. in Fernbeziehungen die Mühe einfordern, mithilfe von Artefakten Beziehungspraxis zu entwickeln.

Im Verlauf des Projektes wurde nach anderen möglichen fürsorglichen Gesten gesucht und es wurden noch zwei weitere Artefakte, RemoteFeeder und SwitchU, entwickelt. Bei RemoteFeeder handelt es sich um asynchrone Aufgaben in fürsorglichem Verhalten, das in dem Ergebnis zu einer gemeinsamen Aufgabe geworden ist. Als ich in Taiwan war, verbrachten Claire und ich viel Zeit zusammen mit ihrem Hund May. Ich füttere May gerne für Claire. Wie viele andere Hunde kratzt May an ihrer Futterkiste, wenn sie Hunger hat. Angeregt von diesem Erlebnis habe ich RemoteFeeder entworfen. Der RemoteFeerder hat zwei asymmetrische Teile, die Futtermaschine und den Futternapf als ein durch Fernbedienung zu bedienendes Teil. Ich behielt den Futternapf und die Futtermaschine wurde in Claires Apartment installiert. Auß erdem wurde ein Sensor an Mays Futterkiste angebracht. Der Gebrauch des RemoteFeeder verlief folgendermaß en: Zuerst lud Claire die Futtermaschine auf. Wenn May Hunger hatte und an der Kiste kratzte, wurde das Signal via Internet geschickt. Mein Futternapf erhielt das Signal und vibrierte, als ob May auch an meinem Napf kratzte. Ich konnte mich entscheiden, May zu füttern. Um dies zu machen, hielt ich den Napf in einer schrägen Position (Abbildung 28, oben) und das Futter in der Futtermaschine wurde in Mays wirklichen Futternapf geschüttet (Abbildung 28, unten).

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86 Abbildung 28: RemoteFeeder. Oben: Der Futternapf als Fernbedienung. Unten: Die Futtermaschine.


Ebenso wie OurChannel hat RemoteFeeder ein Awarenesssystem und ein Bedienungssystem. Aber beim Füttern muss man noch mehr Verantwortung übernehmen. Der Futternapf als Awarenesssystem vibrierte und machte Geräusche, wenn May an der Kiste kratzte. Als Awarenesssystem machte er sich in meiner Wohnung deutlich bemerkbar. May kratzte an der Kiste nicht nur, wenn sie Hunger hatte, sondern auch, um Aufmerksamkeit bei Claire zu erregen. Auß erdem aß May oft zu viel. Häufig musste Claire Mays Signal ignorieren und May weiter an der Kiste kratzen lassen. Das Geräusch war für Claire manchmal sehr störend. Die Repräsentation dieses Signals in meiner Wohnung war genauso. Durch RemoteFeeder habe ich Mays Verhalten als Belästigung direkt erlebt. „In der Nacht hörte ich beim Schlafen ab und zu Geräusche aus dem Futternapf. Es störte ein bisschen. Aber ich wusste, dass das Geräusch von May kam. Ich hatte das Gefühl, dass May auch in meiner Wohnung lebte, und stellte mir so vor, dass Claire sich um sie kümmern würde. Ich war dann beruhigt und schlief wieder ein“ (Wei-Chi, 8. Nov. 2015). „Als wir uns auf Skype unterhielten, hörte Claire das Geräusch meines Futternapfes. Ich sagte ihr, woher das Geräusch kam, und sie fand es interessant. Sie sagte: ‚Jetzt weißt du auch, wie lästig es ist‘“ (Wei-Chi, 9. Nov. 2015). Ich wollte also auch auf das Signal reagieren und May füttern. Wir haben leider RemoteFeeder schlussendlich in Claires Apartment nur für 39 Tage installiert. Während dieser Zeit wurde RemoteFeeder nur sechs Mal genutzt. Das größ te Problem bei der Nutzung war, dass May ihr Futter aus der Maschine nicht essen wollte (Abbildung 29). May kennt unser Verhalten beim Füttern sehr genau. Wir geben Futter in Mays Napf. May wartet vor ihrem Napf, bis wir ihr die Anweisung geben. Als ich May Futter durch RemoteFeeder gab, ignorierte May das Futter in ihrem Napf und kratzte immer weiter an der Futterkiste. Claire zeigte May mit dem Finger, dass das Futter schon in dem Napf war, aber May wartete immer, dass Claire zur Kiste ging und das Futter für sie holte. Endlich war May bereit, zu ihrem Napf zu gehen. Aber sie glaubte trotzdem nicht, dass das Futter für sie vorbereitet war, und aß nicht. Claire musste ihre Anweisungen mehrmals wiederholen, bis May endlich ihr Futter aß .

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Abbildung 29: May verwirrt vor der Futtermaschine

Wir glaubten, dass May im Laufe der Zeit unser neues Verhalten beim Füttern lernen würde, und haben RemoteFeeder weiter ausprobiert. Aber leider war May von dem Futter aus der Maschine immer verwirrt. Obwohl ich mittels der Fernbedienung meine fürsorgliche Geste zeigen wollte, konnte ich letztendlich die Arbeit nicht allein erledigen. Das Füttern durch RemoteFeeder war sogar aufwendiger, weil Claire ihre Anweisungen mehrmals wiederholen musste. Bei unseren Versuchen hatten wir das Gefühl, dass die Nutzung von RemoteFeeder eine gemeinsame Arbeit war. „Es kostet eigentlich mehr Zeit, May mit RemoteFeeder zu füttern. May kann es nicht begreifen, dass das Futter für sie ist. [...] Ja, es ist mühsam. Jedoch habe ich nichts dagegen, wenn Wei-Chi ab und zu May füttert. Bislang war es für mich nur eine Hausarbeit, May zu füttern. Nun wird es eine unterhaltsame Aktivität durch die Zusammenarbeit mit ihm“ (Claire, 30. Nov. 2015). Obwohl RemoteFeeder nicht so funktionierte, wie wir es erwartet hatten, lernte ich auch etwas. Die durch das Awarenesssystem erzeugte emotionale Anregung von RemoteFeeder war deutlich stärker als bei OurChannel. Das Licht durch die Lücke von OurChannel ist neutral. Es übermittelt vage Informationen über den Partner, legt eine Interpretation nahe, aber fordert keine dringende Reaktion. Das Geräusch und 88


die Vibrationen meines Futternapfes signalisieren im Gegensatz dazu eine klare Situation (der Hund hat Hunger) und erfordern eine Reaktion, eine Entscheidung: Entweder füttert einer von uns May oder wir lassen May hungrig bleiben. Weil die erforderliche Maß nahme in unserem Fall nicht von mir allein ausgeführt werden konnte, war Kommunikation gefordert. „Mein Futternapf hat wiederholt vibriert. May hatte wohl Hunger. [...] Ich schaute mir OurChannel an und es war hell auf Claires Seite. Sie musste da sein. [...] Ich schickte ihr ein paar Nachrichten, um sie darüber zu informieren, dass May essen wollte, aber sie antwortete nicht. So vibrierte der Napf immer weiter [und ich konnte nichts machen]. Später schickte Claire mir Nachrichten und sagte, dass sie beim Duschen war. Sie hörte, dass May an der Kiste kratzte, und dazu kamen noch meine Nachrichten. Das stresste sie doppelt“ (Wei-Chi, 20. Nov. 2015). „Ich merkte, dass May an der Kiste kratzte. Ich sagte Claire Bescheid, aber sie meinte, dass sie May schon gefüttert habe und ich das Signal ignorieren solle“ (Wei-Chi, 16. Nov. 2015). Claire und ich mussten eine gemeinsame Praktik entwickeln, in der ich Mays Signal richtig verstand und zusammen mit Claire die Aufgabe erfüllen konnte. Man kann sich vorstellen, dass solche Absprachen nötig sind, auch wenn ich das Füttern allein erledigen könnte. Zum Beispiel wäre es problematisch, wenn Claire und ich May doppelt füttern würden. Die notwendige Kommunikation und Vereinbarung führen zu Gemeinsamkeiten. Wenn May durch die Maschine gefüttert werden könnte, wäre ein zusätzliches Awarenesssystem für das Verhalten des Partners beim Füttern eine mögliche Verbesserung. Insgesamt haben wir durch das Erlebnis mit RemoteFeeder und May mehr Gemeinsamkeit entwickelt, aber kaum fürsorgliche Gefühle bekommen. Ich bin kein Tierpsychologe und wusste nicht, wie Mays Probleme mit der Futtermaschine gelöst werden konnten. Wir beendeten die Nutzung von RemoteFeeder, bevor Claire nach Deutschland kam. Davor wurde May von Claires Freundin abgeholt. Sie kümmerte sich um May in der Zeit, während Claire in Deutschland war. Seit diesem Tag machte mein Futternapf keine Geräusche mehr und die Ruhe war für mich ungewöhnlich. Das war ähnlich wie das Erlebnis mit Furfur, wenn Furfur gerade von einem wegging. „Claires Freundin holte May ab. RemoteFeeder ist jetzt den ganzen Tag ganz ruhig. Claire sagte mir, dass sie sich immer allein fühle, wenn May nicht da sei. Jetzt habe ich das gleiche Gefühl. Es ist so ruhig. Irgendetwas ist verschwunden“ (Wei-Chi, 4. Dez. 2015). Hier könnte vielleicht eine kühne Interpretation über unsere Nutzung von RemoteFeeder aus „Mays Perspektive“ gegeben werden. Bei einem fürsorglichen Verhalten handelt es sich nicht primär um materielle Befriedigung. Dies ist vielleicht 89


auch für May gültig – auch ein Tier wie May wollte nicht von bloß er Technologie versorgt werden. Dass Claire oder ich ihr Futter aus der Kiste holte und ihr servierte, kann in Mays Augen auch als eine fürsorgliche Geste betrachtet werden. Weil May die genaue Funktion des Mechanismus von RemoteFeeder nicht kannte, war die Futtermaschine aus ihrer Perspektive also eine „entpersonalisierte Designlösung“. Sie ist für May nicht nur unverständlich, sondern auch emotionslos und deswegen unerwünscht.

Im Vergleich zu BeenThere und OurChannel ist die unterstützende Aktivität durch RemoteFeeder nur einseitig. (Nur Claire hat einen Hund.) Dennoch versucht RemoteFeeder, noch einen Schritt weiterzugehen. Für den Partner ein Haustier zu füttern ist das Bemühen um den Partner, indem man seine alltägliche Arbeit erleichtert. Es ist eine konkrete und komplexe Aufgabe, die in unserem Fall leider nicht allein durch eine Fernbedinung zu erledigen war. Claire musste mich bei meiner übernommenen Fütterarbeit bzw. bei meiner unterstützenden Aktivität wiederum „unterstützen“. Die Nutzung des Systems präsentierte keine fürsorgliche Emotion mehr und wurde schließ lich eine gemeinsame Aktivität, die eine normalerweise langweilige Arbeit etwas genieß barer machte. Dieses Erlebnis erinnerte uns auch an Furfur, als wir Furfur in die jeweils eigene Wohnung riefen, sodass der Partner Ruhe haben konnte. Die beiden Artefakte waren kontraproduktiv. Wir konnten Furfur ausschalten oder May ohne RemoteFeeder füttern. Trotzdem verwendeten wir eine alternative Strategie, um die Artefakte weiter zu benutzen und eine Gemeinsamkeit zu erzeugen. Mein letztes Artefakt für fürsorgliche Geste ist SwitchU. Mit diesem Artefakt beabsichtigte ich, zwei weitere Punkte zu erforschen. Der erste ist eine alternative Perspektive auf fürsorgliches Verhalten, die ich von Claire erfahren habe. Der zweite ist die Suche nach einer Möglichkeit, eine Aufgabe von dem Benutzer selbst definierten zu lassen und eine fürsorgliche Praktik durch Kommunikation zu entwickeln. In meiner Vorstellung ist ein fürsorgliches Verhalten eine Reaktion auf ein wahrgenommenes Signal von den Bedürfnissen des Partners. Einmal sagte Claire mir: „Du neigst dazu, deine Bedürfnisse zu verschweigen. Ich möchte, dass du sie aussprichst. Ich freue mich auch, wenn ich für dich etwas machen kann“ (Claire, 10. Dez. 2015). Das zeigt einige Unterschiede zwischen Claire und mir, wie wir eigene fürsorgliche Gesten präsentieren. Für sie sind die verbale Kommunikation und die Selbstoffenbarung relevant für die Gemeinsamkeit in einer engen Beziehung. Als Claire in Deutschland 90


war und wir den ganzen Tag zusammenbleiben konnten, merkte ich erneut, dass Claire eine andere Vorstellung von einem fürsorglichen Verhalten hat. Ein Eintrag in meinem Tagebuch: „Wenn Claire für sich eine Tasse Tee zubereitete, fragte sie mich immer, ob ich auch eine haben wollte. Wenn ich Nein sagte, war sie enttäuscht. Deswegen habe ich immer Ja gesagt, obwohl ich mich manchmal gezwungen fühlte. [...] Allerdings lernte ich, dass wir unterschiedliche Stile haben, die fürsorglichen Emotionen zu präsentieren. Während ich lieber etwas für sie mache, macht sie lieber etwas für uns“ (Wei-Chi, 8. Feb. 2016). Ich nahm „etwas für uns machen“ als Ansatzpunkt für mein neues Design. Außerdem machte ich mir Gedanken über eine multifunktionale Designlösung für die fürsorglichen Aufgaben, weil die Situation in jeder Fernbeziehung unterschiedlich ist. Das Licht für den Partner anzuschalten ist in unserer Situation wegen des Zeitunterschiedes sehr praktisch. In einem anderen Kontext könnte eine andere Praktik passen. Natürlich könnte ein humanoider Roboter eine Lösung sein, der sich wie ein Avatar des Partners fernsteuern lässt und unterschiedliche Aufgaben erfüllen kann. Er ist aber kostspielig und nimmt viel Platz in einem normalen Haushalt weg. Ich entwarf deswegen SwitchU, einen Miniroboter, als eine günstigere Alternative. SwitchU sind ein Paar Roboterarme (Abbildung 30), die Haushaltsgeräte bedienen können. Jeder Partner besitzt einen. Die Vorgehensweise zur Bedienung muss zuerst „definiert“ werden. Man hält den Roboterarm und leitet ihn, ein Gerät zu bedienen (zum Beispiel einen Wasserkocher anzuschalten; Abbildung 30, oben). Der Bewegungsablauf des Armes wird aufgenommen und der Arm kann die Bewegungen wiederholen und selbst den Wasserkocher anschalten. Die Roboterarme werden synchronisiert, wenn die beiden Arme ihre Aufgabe definiert haben. Man kann das Haushaltsgerät, zum Beispiel den Wasserkocher, immer auch mit der Hand anschalten, aber SwitchU neben dem Wasserkocher schlägt eine Alternative vor – man kann die Taste auf dem Gerät drücken. In diesem Fall führen die beiden Roboterarme ihre Aufgabe für beide Partner aus (Abbildung 30, unten). Man kann SwitchU in einen zusätzlichen Modus umschalten, um nur die Operation des Roboterarmes am entfernten Ort zu aktivieren.

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Abbildung 30: SwitchU. Oben: Eine Operation programmieren. Unten: Wiedergabe der Operation. 92


SwitchU führt also Aufgaben für beide Partner aus. Im Vergleich zu den anderen Artefakten in dieser Arbeit hat SwitchU kein Awarenesssystem. Die erforderliche Information für eine fürsorgliche Aktivität hängt von dem Typ der Aktivität ab. Da SwitchU sich nicht auf eine bestimmte Aufgabe beschränken lässt, habe ich entschieden, kein Awarenesssystem zu benutzen. Das Design von SwitchU ähnelt deswegen Tsujitas et al. (2007) SyncDecor, das sich aus zwei gepaarten Hausgeräten zusammensetzt, z. B. zwei Lampen oder Mülleimern. Wenn man auf der einen Seite die Lampe anschaltet, schaltet man auch die Lampe auf der anderen Seite an. Obwohl SwitchU einen robotischen Arm hat und dadurch auch für zwei unterschiedliche Geräte eingerichtet werden kann, spielt Synchronizität bei der Nutzung dieser beiden Artefakte eine groß e Rolle. Der eigentliche Unterschied zwischen SynDecor und SwitchU liegt in den Typen der ausgewählten Haushaltsgeräte. Tsujita et al. suchten für ihre Studie einfachere Haushaltsgeräte wie Tischlampen oder Mülleimer aus. Die Interaktion bei den synchronisierten Haushaltsgeräten war dadurch eher phatisch. In meiner Arbeit wurde SwitchU genutzt, um einen Wasserkocher anzuschalten. Das Kochen des Wassers am Wohnsitz des Partners stellt eine fürsorgliche Geste dar. Die damit erzeugten Erlebnisse haben eine andere Qualität als Tsujitas et al. SynDecor. Claire und ich haben SwitchU zuerst zusammen in Deutschland getestet, als Claire bei mir wohnte. Inspiriert von unserer Praktik der Teezubereitung haben wir SwitchU zum Wasserkochen genutzt. Claire hatte ihren Wasserkocher auf ihrem Tisch und ich in der Küche. Es war Winter und wir beide trinken immer lieber warmes Wasser. Am Anfang nutzten wir SwitchU sehr häufig, weil wir begeistert waren, den Roboterarm sich bewegen zu sehen. Immer wenn Claire oder ich sah, dass das Wasser schon kühl war, benutzten wir SwitchU, um Wasser zu kochen. So konnte SwitchU an einem Tag bis zu fünf Mal genutzt werden. Die Nutzung verlor jedoch bald ihren Reiz und wir teilten uns das warme Wasser einfach aus einem Wasserkocher. Aber diese frühe Erfahrung hat unsere weitere Nutzung stark beeinflusst. Auch wenn wir SwitchU nicht mehr so intensiv nutzten, war es eine ständige fürsorgliche Geste geworden, uns gegenseitig einen Tee oder warmes Wasser zu servieren. Nachdem Claire wieder zurück nach Taiwan geflogen war, nutzten wir SwitchU nur noch zum Wasserkochen. Die Einrichtung von Claires SwitchU in ihrer Wohnung in Taiwan war am Anfang problematisch, weil Claires Wasserkocher ein digitales Bedienfeld hat. Die Tastenführung ist sehr kurz und die Operation von SwitchU war nicht präzise genug. Auß erdem reagierten die kapazitiven Tasten des Wasserkochers nicht auf den Holzarm des Roboters. Es war für Claire schwierig, selbst die neuen Bauteile und Programme zu installieren, die ich ihr schickte. Aber sie erledigte die Arbeit und wir nutzten SwitchU weiter, um unsere fürsorgliche Geste mit dem Servieren von warmem Wasser auszuüben.

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„Du sagtest, dass es in Deutschland kalt ist. Als ich heute für mich eine Tasse Tee zubereitete [und Wasser kochte], fiel mir ein, für Wei-Chi auch Wasser zu kochen. Dies erinnerte mich an deine Geste, als du in Deutschland für mich Tee zubereitetest“ (Claire, 25. Apr. 2016). „Ich hörte morgens das Geräusch vom Wasserkochen. Ich wusste, dass Claire für mich Wasser kochte, und hatte das Gefühl, dass Claire hier lebe und Wasser koche. Ich stand auf, schickte Claire eine Nachricht, um mich zu bedanken, und trank statt Kaffee Tee“ (Wei-Chi, 12. Apr. 2016). Die emotionale Verbindung mit dem vorherigen Erlebnis in Deutschland war deutlich. Im April ist es meistens schon warm in Taiwan und Claire trank dann kaltes (aber gekochtes) Wasser. Wasser für Claire zu kochen wurde manchmal symbolisch, aber trotzdem erwartete sie, dass ich für sie das Wasser kochte. „Ich merkte es immer, wenn du für mich Wasser kochtest. Ich freute mich sehr darauf. Es ist so wie damals, als ich in Deutschland war und du für mich Wasser kochtest. Obwohl es in Taiwan schon warm ist und ich es nicht warm trinke, ist es schön, wenn du für mich Wasser kochst. Ich trinke kühles, aber gekochtes Wasser“ (Claire, 10. Apr. 2016). „Ich habe Kopfschmerzen und kein Wasser für Claire gekocht. [...] Claire fragte mich, ob ich Wasser für sie gekocht habe. Ich habe es nicht gemacht. Sie fragte weiter, ob alles bei mir gut läuft“ (Wei-Chi, 30. Apr. 2016). Auß erdem stand unsere Praktik in Beziehung mit unserer Sorge um die Wasseraufnahme des Partners. Wir tauschten manchmal Nachrichten, um uns gegenseitig daran zu erinnern, mehr Wasser zu trinken. Statt einer Nachricht, die verbal rät, Wasser zu trinken, und vielleicht eher ignoriert wird, wandten wir uns so dem Partner zu und boten das gekochte Wasser an. „Ich kochte für mich und für Wei-Chi häufiger Wasser. Er trinkt manchmal nicht genug. Ich nutzte SwitchU auch, um ihn daran zu erinnern“ (Claire, 20. Apr. 2016). Während die Nutzung von OurChannel und RemoteFeeder mit bestimmten Situationen verbunden war, war die Nutzung von SwitchU meistens beliebig. Jeder nutzte SwitchU nur dann, um Wasser für den anderen zu kochen, wenn er Wasser für sich selbst kochte. Der zusätzliche Modus, die Operation des Roboterarmes nur auf der Seite des Partners zu aktivieren, wurde nie genutzt. Auß erdem haben wir nach der ersten Einrichtung von SwitchU nie wieder ein anderes Haushaltsgerät genutzt. Es gibt zwei mögliche Gründe dafür. Zum einen war die Einrichtung von SwitchU für Claire zu aufwendig. Dies kann von dem negativen Erlebnis herrühren, als Claire die diffizile Umbauarbeit erledigen musste. Claire traute sich dann nicht, SwitchU bei einem anderen Haushaltsgerät einzurichten. Der zweite Grund liegt in der Bedeutsamkeit des Wasserkochens. Es war eine Praktik, die wir zusammen in 94


Deutschland entwickelt hatten. Um eine neue Praktik zu entwickeln, die dann wieder getestet und ausprobiert werden muss, müssen wir zuerst die alte aufgeben. Es war deswegen nicht sehr motivierend, SwitchU zu anderen Zwecken zu verwenden. Es zeigt auch die Wahrheit auf: Fürsorgliches Verhalten benötigt Verständnis für seine Bedeutung. Wie wir bei der Nutzung von OurChannel erlebt haben, spielt Zeit eine wichtige Rolle (siehe Kapitel 5.8 und 5.9). Obwohl SwitchU kein zusätzliches Awarenesssystem anbot, erzeugte die Nutzung des Artefakts selbst ein Gewahrwerden des Partners. „Claire schaltete meine Lampe an, um mich aufzuwecken. Ich fühlte mich zurzeit nicht fit, wachte in der Nacht auf und stand später auf. Ich kochte Wasser für mich und auch für Claire, wenn ich aufstand. Claire fragte mich, warum ich später aufstand, weil ich später für sie Wasser kochte“ (Wei-Chi, 20. Mai 2016). SwitchU gehört zu den Artefakten wie OurChannel und RemoteFeeder, mit denen man die Umgebung des Partners über Distanz manipulieren kann. Im Vergleich zu den anderen Artefakten hat SwitchU aber kein Awarenesssystem. Die Entscheidung, SwitchU zu gebrauchen, basiert rein auf den gegenseitigen Kenntnisse über das Alltagsleben des Partners. Gleichzeitig ist die Nutzung eher von eigenen Bedürfnissen motiviert – man macht etwas für sich selbst und dabei auch für den Partner. Dabei bestand die fürsorgliche Praxis darin, den Partner zu motivieren, Wasser zu trinken. Die Produktivität und die fürsorgliche Motivation unterscheiden SwitchU von SyncDecor von Tsujita et al. (2007). Auß erdem ist SwitchU tatsächlich eine Erweiterung unserer bestehenden Praxis, die wir zusammen in Deutschland entwickelt haben. SwitchU erlaubte uns, diese Praxis beizubehalten, nachdem Claire zurück nach Taiwan geflogen war. Obwohl diese robotischen Arme auch für andere Haushaltsgeräte verwendet werden könnten, blieben wir bei unserer bestehenden Praxis und wollten keine weitere Möglichkeit ausprobieren. Ich habe an vielen Beispielen gezeigt, dass ein Artefakt entsprechend der Situation oder des Kontextes verschiedene Praktiken inspirieren kann. In dieser Studie zeigt SwitchU den Gegensatz – man benutzt ein Artefakt, um eine alte Praxis in verschiedenen Kontexten beizubehalten.

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Markopoulos et al. (2007) definieren das Awarenesssystem als ein System, „das beabsichtigt, Menschen zu helfen, ein ähnliches Niveau von Gewahrwerden der Aktivitäten, des Kontexts oder des Status voneinander zu konstruieren und aufrechtzuerhalten, auch wenn die Teilnehmer nicht am gleichen Ort sind31“. Ein Awarenesssystem vermittelt Informationen, die etwas über den Partner in diesem Moment sagen. Bei der Nutzung von OurChannel und RemoteFeeder ist eine solche Information wichtig. Die Benutzer brauchen sie, um für den Partner rechtzeitig etwas zu machen (Abbildung 31, oben). Jedoch ist die Information wegen des Zeitunterschiedes zwischen Taiwan und Deutschland in vielen Situationen wenig bedeutsam. Zum Beispiel kenne ich kaum Claires Aktivitäten am Vormittag, weil ich zu dieser Zeit schlafe und die Informationen nicht erhalte (Abbildung 31: unten).

Abbildung 31: Oben: Normales Awarenesssystem. Unten: Zeitverzögertes Awarenesssystem.

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„Awareness Systems, broadly defined, are intended to help people construct and maintain similar

levels of awareness of each other´s activities, context, or status, even when the participants are not co-located“ (Markopoulos et al., 2007, S. 1).

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Im Laufe dieser Arbeit sah ich die Möglichkeit einer alternativen Form von Awarenessinformation. Claire und ich leben mit einem Zeitunterschied von sechs oder sieben Stunden. Wie wäre, so meine Fragestellung, ein Awarenesssystem, mit dem ich auch um 10.00 Uhr in meiner Zeitzone die Information über Claires vergangene Aktivität um 10.00 Uhr in ihrer Zeitzone wahrnehmen könnte? Ich würde also die vergangene Information von Claire erleben, aber auf eine zeitlich koordinierte Weise. Dies ist die Strategie, die in der zweiten Version von MusicCookie verwendet wurde (siehe Kapitel 5.4). Im Zusammenhang mit der Nutzung der DatingBox (siehe Kapitel 5.3) entwickelten Claire und ich das gemeinsame Lesen in der Bibliothek als eine besondere Praktik, als wir zusammen in Taiwan waren. Als Claire in Deutschland war, nutzte sie ihre Zeit gerne, um sich weiter mit ihren Englischstudien zu beschäftigen. Um uns gegenseitig zu motivieren, fing ich auch an, mehr Englisch zu lernen. Ich baute für uns TimeMark, um das Konzept eines zeitverzögerten Awarenesssystems zu testen. Es gab natürlich keinen Zeitunterschied, als wir zusammenwohnten. Aber zum Testen konnte ich einen Zeitunterschied von 24 Stunden einstellen. Wir erlebten also das Gestern des Partners. TimeMark ist ein elektronisches Lesezeichen (Abbildung 32), das für das gemeinsame Lesen entworfen wurde. Es hat eine LED (Abbidlung 32, unten-a) und einen Lichtsensor (Abbidlung 32, unten-b). Normalerweise liegt TimeMark zwischen den Seiten eines Buches und weiß durch den Lichtsensor, wann das Buch geöffnet und geschlossen wird. TimeMark „markiert“ also die Lesezeit an einem Tag. Ein konzeptionelles Szenario: Es ist morgens um 10.00 Uhr in Taiwan und Claire fängt an, Englisch zu lernen. Sie öffnet ihr Lehrbuch auf der Seite, wo TimeMark liegt. Sie legt TimeMark zur Seite und fängt an zu lesen. Nach zwei Stunden ist Claire müde. Sie hat zwei Kapitel gelesen und möchte jetzt eine Pause machen. Sie legt TimeMark an die neue Stelle und schließt das Buch. ... Es ist 10.00 Uhr in Deutschland. Wei-Chi ist mit seiner Schreibarbeit bereits seit 8.00 Uhr beschäftigt und möchte eine Pause machen. Er sieht, dass Licht zwischen den Blättern seines Grammatikbuches leuchtet (Abbildung 32, links). „Auch Claire war morgens sehr fleißig“, denkt Wei-Chi: „Vielleicht lerne ich auch ein bisschen Englisch.“ Statt weiter seine Schreibarbeit zu machen, öffnet Wei-Chi sein Grammatikbuch.

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98 Abbildung 32: TimeMark. Oben: Licht zwischen den Blättern. Unten: a: eingebaute LED, b: Lichtsensor.


TimeMark wurde an 55 Tagen genutzt. Claire und ich haben mit TimeMark eine Lesegewohnheit entwickelt, mit der wir immer am Abend Englisch lernten. Claire mochte das Licht vom TimeMark zwischen den Seiten sehr. Es war für sie ästhetisch sehr überzeugend, das Buch zu öffnen, wenn sie das Licht sah. Während das Licht von OurChannel sofort von Claire verstanden wurde, war die Bedeutung des Lichtes von TimeMark für Claire in der ersten Zeit etwas unklar. Vielleicht weil wir zu der Zeit zusammenwohnten und es keinen wirklichen Zeitunterschied gab oder weil eine Darstellung der zeitverzögerten Awarenessinformation und die „Koordination“ der Zeit ein sehr abstraktes Konzept ist, brauchte Claire zwei Tage, um zu verstehen, was das Licht überhaupt bedeutete. Wir nutzten TimeMark nicht für unterhaltsame Bücher, sondern ausschließ lich für Lehrbücher, die intellektuelle Anforderungen an uns stellten. Das Licht von TimeMark war wie eine freundliche Anregung, bei einer schwierigen Arbeit zu bleiben und durchzuhalten. Es war keine Aufforderung zu lesen und wir haben manchmal auch unsere Bücher nicht gelesen, obwohl TimeMark im Buch leuchtete. „Ich sah das Licht im Buch und wusste dann, dass Claire sich gestern mit Englisch beschäftigt hatte. Später fing ich auch an, in meinem Grammatikbuch zu lesen“ (Wei-Chi, 25. Jan. 2016). „Wenn ich das Licht sah, wusste ich, dass du gelesen hast. Oft wollte ich auch gerne lesen gehen. Aber es konnte auch sein, dass ich einfach keine Lust hatte. Ich las dann vielleicht später oder gar nicht. Aber ich habe die Anregung bekommen und wollte mein Buch irgendwann lesen“ (Claire, 10. Feb. 2016). „Ich musste leider heute einen Stapel Paper lesen und hatte gar keine Zeit für mein Grammatikbuch. Aber Claire sah das Licht in ihrem Buch und fing mit dem Lesen an“ (Wei-Chi, 5. Feb. 2016). Weil das Lesen eine Besonderheit in unserer Beziehung ist, erinnerte sich Claire an unsere gemeinsame Zeit, wenn sie das Licht von TimeMark sah. „Auch wenn ich keine Lust zum Lesen hatte, nahm ich das Buch und blätterte beiläufig. Das Licht erinnerte mich an unsere gemeinsame Zeit in der Bibliothek“ (Claire, 7. Mär. 2016). Obwohl wir zusammenwohnten, machte es eigentlich auch Sinn, TimeMark zu benutzen, weil die Anregung durch das Licht zwar eine Aufmunterung ist, aber keinen Zwang ausübt. Ich habe einmal Claire eingeladen, zusammen mit mir an meinem Tisch Englisch zu lernen. Aber sie sagte: „Es ist natürlich sehr schön, neben dir zu lesen. Aber ich glaube, ich würde mich nicht auf das Lesen konzentrieren können. Ich bleibe lieber auf meinem Platz und wenn ich mich entschieden habe, Englisch zu lernen, kann ich mich auf mein Lesen konzentrieren“ (Claire, 2. Mär. 2016). 99


Insgesamt hat TimeMark unsere Praktik des gemeinsamen Lesens stabilisiert. Es hilft besonders bei schwierigeren Leseaufgaben. Das Konzept von der zeitverzögerten Darstellung der Awarenessinformation kann auch bei anderen Aktivitäten verwendet werden, zum Beispiel beim Sport. Das zeitverzögerte Awarenesssystem bietet Paaren in Fernbeziehungen die Möglichkeit, Routine bei einer bestimmten Aktivität oder Aufgabe in ihrer jeweils eigenen Zeit zu entwickeln – mit gegenseitiger Unterstützung und Ermutigung.

In den vergangenen dreieinhalb Jahren wurde eine Reihe neuer Artefakte entwickelt. Claire und ich versuchten, mit diesen Artefakten eine neue Beziehungspraxis zu gestalten. Wir besuchten den Partner, schalteten das Licht ein oder aus, kochten Wasser für den Partner, erzogen ein (sowohl echtes als auch robotisches) Haustier gemeinsam und lasen Bücher zusammen. Bei diesen Erlebnissen mit den 9 von mir entwickelten Artefakten waren Gemeinsamkeit und Fürsorge die zwei wichtigsten Qualitäten für die Entwicklung einer Beziehungspraxis. Gemeinsamkeit und Fürsorge motivieren dazu, Praktiken zu entwickeln, in unterschiedlichen Situationen einzusetzen und nachhaltig auszubauen. Die Erfahrung der Beziehungspraxis unterstützt weiterhin, ähnliche Praktiken in einer anderen Beziehungsphase zu erweitern. Wenn wir jetzt eine neue Praktik entwickeln, bei der es um ein Haustier, das Licht, das Lesen oder warme Getränke geht, werden wir sofort Assoziationen zu unseren damaligen Erfahrungen herstellen. Dies war nicht vorstellbar, als wir gerade mit dem Projekt angefangen hatten. Es ist auch nicht vorstellbar, ohne diese Artefakte solche bedeutsamen Erlebnisse zu schaffen. Trotzdem kann ich am Ende dieses Projektes leider nicht behaupten, dass die Gestaltung der Technologie „das Problem der Fernbeziehungen“ lösen kann und eine gelingende Fernbeziehung verspricht. Claire und ich leben in zwei unterschiedlichen Welten. Die Artefakte haben uns die Möglichkeiten gegeben und dabei geholfen, die Beziehungspraxis für eine gemeinsame Zukunft zu entwickeln, Gemeinsamkeiten zu schaffen und das Beziehungsengagement durch fürsorgliche Praktiken zu verstärken. Trotzdem war viel Mühe erforderlich. Claire sagte einmal: „Ich weiß nicht, ob wir in der Zukunft noch zusammenleben werden. Aber zumindest haben wir unser Bestes versucht.“ Claire und ich haben in dieser autoethnografischen Designforschung eine „gestalterische“ und, wegen der Forschungspraxis, eine sehr selbstreflektierende Fernbeziehung erlebt. „Zeit“ ist die Ressource, die in die Gestaltung unserer Beziehung investiert wurde, und sie ist nicht wieder rückholbar. Wenn wir einen Weg 100


gewählt haben, ist es nicht mehr möglich, einen denkbaren anderen Weg „auszuprobieren“. Auß erdem ist diese Forschung ergebnisoffen – vor uns liegt noch ein weiter Weg. Es gibt deswegen keine Möglichkeit zu beurteilen, ob eine Fernbeziehung in Verbindung mit einer autoethnografischen Designforschung besser oder schlechter läuft. Alle gemachten Erfahrungen gehören einfach uns, wir halten sie für bedeutsam und die Ergebnisse dieser autoethnografischen Designforschung begleiten uns weiter auf unserem Weg. Die Praktiken, die in unserer Beziehung entwickelt wurden, werden sich auch weiterentwickeln. Ich würde diese alternative Fernbeziehung als eine abenteuerliche Reise beschreiben. Marc machte mich auf das Zitat von Samuel Johnson in einer unserer Veröffentlichungen aufmerksam: „All travel has its advantages. If the passenger visits better countries, he may learn to improve his own. And if fortune carries him to worse, he may learn to enjoy it.”

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Diese autoethnografische Designforschung versuchte die Frage zu beantworten: Kann Beziehungspraxis durch Design unterstützt werden? Diese Frage berührt Technologie, Design und Psychologie. Das zweite Kapitel bot einen Ü berblick über die Bedürfnisse und Schwierigkeiten in Fernbeziehungen. Im dritten Kapitel wurde erlebnisorientierte Gestaltung beispielhaft mit der Studie über das Flüsterkissen eingeleitet. Sie erklärte, warum Technologie als eine Gestaltungsaufgabe betrachtet werden muss. Im vierten Kapitel wurde die Disziplin dieser Forschung – autoethnografische Designforschung – sowie ihr möglicher Beitrag und ihre Methode eingeführt.

Im

fünften

Kapitel

wurden

die

neun

Artefakte

und

die

Forschungsergebnisse mithilfe der Methode der analytischen Autoethnografie präsentiert. Zum Schluss werden noch die Diskussionen über das Design für Fernbeziehungen und die über autoethnografische Designforschung gegeben.

Die heute gebräuchlichen Kommunikationsmedien haben in erster Linie die technische Seite des Problems im Blick, um Kommunikation oder Interaktion über Distanz zu ermöglichen. Dabei gestalten die Designer oder Ingenieure häufig zusätzliche

Funktionen,

die

die

zwischenmenschliche

Interaktion

etwas

vergnüglicher machen. Die im letzten Jahrzehnt entwickelte phatische Technologie (Gibbs , Vetere, Bunyan & Howard, 2005; Kaye, 2004, 2006; Kaye et al., 2005) ist dafür ein typisches Beispiel. Sie erlaubt beispielsweise den Benutzern, mit einem Mausklick ein minimales Signal zum Partner zu schicken. (Die Funktion „jemanden anstupsen“ von Facebook ist dafür ein Beispiel.) Die minimalen Signale lassen sich in verschiedenen Kontexten unterschiedlich interpretieren (Kaye, 2004). Jedoch fand Kaye (2004) in seiner Studie auch, dass Paare in solchen phatischen Interaktionen auch bedeutungslose Signale schickten, einfach nur, um auf das Signal des Partners zu antworten, was am Ende zu einem „Click-War“ führte. InPhase von Tsujita, Tsukada und Siio (2010) ist ein System für virtuelle Präsenz. Wenn zum Beispiel zwei Menschen an verschiedenen Wohnorten gleichzeitig die Türen öffnen, erklingt ein Ton, um den Zufall zu „zelebrieren“. Sie fanden in ihrer Studie aber auch, dass das Gewahrwerden des Partners in der Ferne auch beunruhigende Emotionen weckte, besonders weil die Benutzer nicht auf die Situation des Partners reagieren konnten. 103


Solche

Systeme

erzeugen

zwar

Verbundenheit,

aber

da

sie

keine

Reaktionsmöglichkeit anbieten, bleiben das Nutzererlebnis und die Beziehungspraxis unbefriedigend. Das Awarenesssystem allein reicht nicht aus, um diese Designaufgabe

zu

erfüllen. In der traditionellen Perspektive wurde die

zwischenmenschliche Interaktion als ein Nebenprodukt im Austausch der vielfältigen Informationen angesehen. Unter dieser Perspektive bedeutet ein gutes Design nur eine präzise Präsentation der Information und ihrer Reichhaltigkeit. Die präsentierte Arbeit hat gezeigt, wie die psychologischen Prinzipien im Interaktionsdesign berücksichtigt werden können und wie diese Designpraxis die oben genannte Lücke schließ t. In dieser Arbeit inspirierten die psychologischen Prinzipien zu einer neuen Gestaltung der Technologie. Das Design für fürsorgliche Gesten in dieser Arbeit ist ein gutes Beispiel. Die Einführung des Responsesystems verändert das Interaktionsdesign grundlegend. Weil die Benutzer selbst (nicht die Maschinen) entscheiden, wie und wann eine angemessene Reaktion erfolgen muss, muss die Information des Awarenesssystems noch mit der externen Information (der Information auß erhalb des Systems, z. B. des Alltags) verbunden werden. Die Verständlichkeit der externen Information entsteht aber nur aus den gegenseitigen Kenntnissen der Interaktionspartner und ihrer alltäglichen Beziehungspraxis. Das Design der Interaktion und des Awarenesssystems muss deswegen statt reichhaltiger Information sinnvolle Interpretationen ermöglichen. Das Ziel ist nicht, dass die Benutzer schnell und präzise ein Problem lösen, sondern, dass sie im Laufe der Zeit mit dem System und den Partnern eine gemeinsame Praxis entwickeln. Eine neuartige Herausforderung bei der Gestaltung der Technologie ist auch bei Furfurs Design zu sehen. Statt der genauen Imitierung eines echten Haustieres, die einen hohen technologischen Anspruch stellen würde, fordert Furfur als ein gemeinsames robotisches Haustier einen offenen Gestaltungsraum für die Benutzer, sodass Furfur von seinen Besitzern selbst entwickelt werden kann. Die technologischen Mechanismen müssen transparent und leicht sein, um den offenen Gestaltungsraum zu ermöglichen. Diese Arbeit ist zudem ein alternatives Beispiel dafür, wie Fernbeziehungen durch Technologie aufrechterhalten werden können. In den traditionellen Theorien spielt die Technologie immer nur die Rolle, die Information auf eine angemessene Weise zu vermitteln. Technologie ist ein Hilfsmittel, das die direkte Kommunikation wegen physischer Trennung ersetzt, nur um die Beziehung zu „erhalten“. Die Weiterentwicklung der Beziehung wurde nicht berücksichtigt. Wie in dieser Arbeit gezeigt wurde, kann Technologie aber auch dazu beitragen, neue Beziehungspraxis zu entwickeln und bedeutsame Erlebnisse zu erzeugen. Die Technologie kann also eine eigenständige Rolle haben. Wie Hollan und Sornetta (1992) gezeigt haben, hat die Verwendung der Kommunikationstechnologie immer ihren sozialen Kontext. In Fernbeziehungen kann die Einführung einer gut gestalteten Technologie eine prospektive Strategie sein, um eine gemeinsame Zukunft vorzubereiten. 104


Der Schlüssel ist die Entwicklung der Beziehungspraxis. Das Design für fürsorgliche Praxis ist deswegen ein wichtiger Ansatz in dieser autoethnografischen Designforschung. Prager et al. (1995; Prager & Buhrmester, 1998) fanden, dass mit zunehmender

Intimität

Beziehungen

intensiver

die wird.

gegenseitige Unter

Unterstützung

Berücksichtigung

in der

romantischen Theorie

der

Beziehungsdynamik (siehe Kapitel 2.5) beschäftigte sich diese Designarbeit damit, eine engere und sich gegenseitig stützende Fernbeziehung zu entwickeln. Das Awareness- und Responsesystem von OurChannel als Beispiel haben eine spezifische Geste „formuliert“. Der Autor und sein Partner bemühten sich, diese Geste in ihrem Alltag umzusetzen. Obwohl der Mechanismus Awareness-Response technisch „eingeschränkt“ ist, entspricht er dem psychologischen Prinzip der Fürsorge – Sensibilität-Responsivität. Die beiden Partner haben OurChannel dauerhaft in ihren Alltag integriert. Jedoch ist diese Praxis nicht nur auf die Nutzung des Artefaktes beschränkt, sondern wurde auch in einem anderen Kontext angewendet. Die Technologie hat also eine neue Beziehungspraxis in die Fernbeziehung des Autors eingeführt (siehe Abbildung 33).

Abbildung 33: Entwicklung der Beziehungspraxis – Awareness- und Responsesystem von OurChannel als Beispiel

Es ist zu beachten, dass bei der weiteren Verwendung der Ergebnisse dieser Arbeit sowohl in der Forschung als auch in der Anwendungspraxis Vorsicht angebracht ist. Diese Arbeit ist eine autoethnografische Designforschung. Deshalb wirken sich die subjektiven Gedanken und Erfahrungen stark auf die Forschungsergebnisse aus. Ein bezeichnendes Beispiel ist das Design von SwitchU. Dieses Design stützte sich auf die Erfahrungen einer fürsorglichen Praktiken, die Claire und der Autor schon in Deutschland entwickelt hatten. Die synchronisierten Roboterarme symbolisieren stark die Geste vom Wasserkochen. Auß erdem weisen Fernbeziehungen sehr 105


unterschiedliche Bedingungen auf. Jede Fernbeziehung hat sozusagen ihren individuellen Charakter, geprägt zum Beispiel durch die Berufstätigkeit, den Zeitunterschied, den Zyklus des Zusammentreffens oder die Persönlichkeiten der Partner. Obwohl die präsentierten Artefakte neue Interaktionsmöglichkeiten anbieten, können sie nur als Beispiele dienen und sind nur bedingt übertragbar. Selbstverständlich würden nicht alle Paare sich für ein gemeinsames Haustier interessieren oder warmes Wasser trinken wollen. Die präsentierten Praktiken, wie gemeinsam ein Haustier zu erziehen oder Licht für den Partner an- oder auszuschalten, sind nur

einige Möglichkeiten. Eine Wochenendbeziehung

(Freymeyer & Otzlberger, 2003) würde vielleicht eine ganz andere Beziehungspraxis brauchen. Auß erdem hat jedes Fernbeziehungspaar seine eigenen Einstellungen und Bedürfnisse. Die autoethnografische Forschungspraxis hatte vermutlich auch einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Ausprägung der Beziehung des Autors und die Forschungsergebnisse.

Sensibilität

und

Responsivität

konnten

durch

die

Forschungspraxis verstärkt werden.

Design Noir. Als ein Genre würde es darauf fokussiert sein, wie die psychologischen Dimensionen der durch elektronische Produkte angebotenen Erlebnisse erweitert werden können. In Bezug auf die Welt des falschen Gebrauchs und des Missbrauchs von Produkten, wo das Verlangen seine materiellen Grenzen wegschwemmt und die Funktion der Alltagsgegenstände untergräbt, würde sich dieses Produktgenre den dunkleren, konzeptionellen Modellen der Bedürfnisse widmen, die für gewöhnlich auf das Kino und in der Literatur beschränkt sind32 (Dunne & Raby, 2001, S. 46).

32

„Design Noir. As a genre, it would focus on how the psychological dimensions of experiences of-

fered through electronic products can be expanded. By referring to the world of product misuse and abuse, where desire overflows its material limits and subverts the function of everyday objects, this product genre would address the darker, conceptual models of need that are usually limited to cinema and literature“ (Dunne & Raby, 2001, S. 46).

106


In Dunne und Rabys Designprojekt Design Noir demonstrieren die Designer durch ihre eigenen Artefakte eine alternative oder sogar „dunkle“ Beziehung zwischen Mensch und Technologie. Die Designer fragten sich, ob die Entwicklung der Technologie besser auf die menschlichen Bedürfnisse ausgerichtet wird und die Welt durch Technologie eine bessere/andere Gestalt haben kann. Sie bauten Artefakte für ihren Alltag, versuchten, ihre kritischen oder kreativen Konzepte zu materialisieren, nutzten die Artefakte und erlebten eine besondere Beziehung zur Technologie. Ihre Artefakte dienten keinem pragmatischen Zweck. Sie waren einfach Explorationen einer neuen Beziehung zwischen Mensch und Technologie. Design Noir, Neustaedters Family Window und Gavers Video Window sowie die hier präsentierte Arbeit sind alles Versuche, die Technologie durch gestalterische Praxis in der Alltagswelt neu zu interpretieren. Während Design Noir ein Designgenre bildete, Neustaedter eine gelungene Interaktion basierend auf einem always-on Videokanal gestaltete und Gaver eine poetische Ecke in seiner Wohnung baute, wurde in der präsentierten Arbeit die Beziehungspraxis in Fernbeziehungen entwickelt. Die Aufgaben einer autoethnografischen Designforschung wurden in der realen Welt formuliert und ebenso in der realen Welt zu lösen versucht. Dabei erbringen sie entsprechenden

Leistungen

gemäß

dem

Thema,

dem

Blickwinkel,

den

gestalterischen Fähigkeiten und den grundlegenden Kenntnissen über Technologie. Der Autor/Designer ist wie ein „Abenteurer“, der sich für eine Reise entscheidet, er begegnet – oft unerwarteten – Schwierigkeiten und überwindet sie „mit Weisheit und Mut“ in seiner Designpraxis. Im Folgenden werden noch ein paar Aspekte zur autoethnografischen Designforschung vorgestellt. Stolterman

und

Wiberg

schlagen

zwei

verschiedene

Designansätze

im

benutzerzentrierten Design vor, den situations- und den konzeptgetriebenen Designansatz 33 (Stolterman & Wiberg, 2010). Die vorliegende Arbeit ist eine Mischung aus beiden Ansätzen. Einfache Designkonzepte wurden zuerst in den Situationen

entwickelt,

realisiert

und

getestet.

Dann

wurden

höhere

Erlebniskonzepte mithilfe der wissenschaftlichen Kenntnisse skizziert. Sie wurden wieder als Artefakte umgesetzt und trugen ihre Frucht in einem konzeptgetriebenen Designansatz. Das echte System (der Prototyp) ermöglicht die Kommunikation zwischen Konzepten und Artefakten sowie zwischen Theorien und Praxis. In dieser Arbeit wurden sehr einfache, aber effektive und ebenso relativ komplizierte Prototypen gebaut. Der Grad der Komplexität der Prototypen hat keinen Zusammenhang mit der Qualität der Erlebnisse – von besonderer Relevanz ist der Spielraum zur Veränderung des Prototyps. Die Artefakte müssen auch so gebaut werden, dass man sie zur Reparatur oder zum Umbau leicht auseinanderbauen kann. Um einen Dialog zwischen den Konzepten und der realen Welt zu ermöglichen, wird ein nicht nur funktionaler, sondern auch instandsetzbarer Prototyp gebraucht.

33

The „situaion-dirven“/„concept-driven“ design approach (Stolterman & Wiberg, 2010)

107


Das Ziel einer autoethnografischen Designforschung beschränkt sich nicht auf das Bauen, sondern sie sucht nach dem Wissen über die externe Welt (Zimmerman et al., 2007). Dafür benötigt eine autoethnografische Forschung noch eine langzeitige Praxis und eine qualitative Analyse der subjektiven Erlebnisse (siehe auch Neustaedter et al., 2014, S. 150). Dies ist nur durch das regelmäß ige Führen eines Tagebuches möglich. Mit der Schreibarbeit eines Tagebuches wird nicht nur eine Dokumentation erstellt, sondern die regelmäß ige Arbeit fördert auch durch beständige Selbstreflexion die Sensibilität des Autors gegenüber der erlebten Welt. Um die externe Welt in einer autoethnografischen Designforschung zu verstehen, ist es nötig, das externe Wissen einzubeziehen. Das Externe bezieht sich auch auf eine fremde Disziplin. Erkenntnisse aus anderen Disziplinen sind oft hilfreich, um die betreffende Situation aus einer alternativen Perspektive zu betrachten und dadurch eine bessere Fragestellung oder eine präzisere Lösung zu finden. Externes Wissen erhält man selbstverständlich auch durch Hinweise und Anregungen von Personen. Zum Beispiel schlug Marc mir vor, von der Beschäftigung mit fürsorglichen Emotionen und symbolischen Nachrichten (BeenThere, siehe Kapitel 5.2) zur Beschäftigung mit fürsorglichem Verhalten und Einflussnahme über Distanz überzugehen (OurChannel, siehe Kapitel 5.8). Claire zeigte ihren femininen Stil im fürsorglichen Verhalten. Die Hinweise von Marc und Claire decken sich mit Andersons (2006) Vorstellung von einem Dialog mit den externen Informanten, der erforderlich ist, um die Offenheit in der autoethnografischen Forschung sicherzustellen. Zum Schluss wird ein Hinweis auf die Möglichkeit der alternativen Anwendung einer autoethnografischen Designforschung gegeben. Die meisten Artefakte, die in dieser Arbeit und auch in anderen autobiografischen Designforschungen präsentiert wurden, zum Beispiel Gavers Video Window, der Autors BeenThere, DatingBox oder TimeMark, zeichnen sich nicht durch eine komplizierte Konstruktion aus. Sie können von einem Amateur mit grundlegenden Kenntnissen der Elektrotechnik und des Internets problemlos gebaut werden. Lenz et al. (2015) präsentierten die „Geschichten

(Szenen)“

ihrer

Forschungsobjekte,

wie

Familienportrait,

Familienzeitung oder Ich-Zeig-Dir-Bildderrahmen, und veröffentlichten in einem Maker-Magazin die Baupläne für interessierte Bastler. In unserer Zeit, in der fast alle technischen Informationen im Internet zu finden sind und immer mehr Maker und Bastler selbst Artefakte für ihren Alltag ausdenken und bauen möchten – was muss da noch designt werden? Während also die Möglichkeit bei diesem Trend besteht, dass die Beziehung zwischen Mensch und Technologie nicht mehr durch die Massenindustrie entschieden wird und daher vielleicht in Zukunft von den normalen Benutzern individuell formuliert werden kann, gestaltete die vorliegende Arbeit eine neue Version, in der Claire und der Autor durch die eigene Gestaltung der Technologie die Beziehungspraxis in ihrer Fernbeziehung entwickelten. Eine gelingende Gestaltung verlangt jedoch die richtige Formulierung des Nutzererlebnisses. Die präsentierte Arbeit schlägt einen „Bauplan“ vor: Es geht dabei nicht in erster Linie um 108


ein bestimmtes Artefakt oder eine spezifische Technologie, sondern um eine Szene, die eine kleine und gemeinsame Praktik birgt. Dabei können Gemeinsamkeit und Fürsorge als gute Inspirationen diesen. Mit diesen Elementen können Paare für sich Szenen schreiben, die Bühne (Artefakte) bauen und dann gemeinsam ihre Rolle spielen. Das Ziel ist nicht die Technologie zu konsumieren. Sondern durch die Gestaltung ihrer Erlebnisse aus all den richtigen Gründen (Hassenzahl 2010) gewinnen die Partner ihre einzigartige und besonders bedeutsame Liebesbeziehung.

109


Abbildungen Abbildung 1: Bewältigungsstrategien – retrospektive, introspektive und prospektive Orientierung ........................................................... 7 Abbildung 2: Flüsterkissen............................................................................. 18 Abbildung 3: Benutzerzentrierter Designprozess ......................................... 31 Abbildung 4: Mein Tagebuch in zwei Bänden, geschrieben auf Chinesisch, mit Fotos ........................................................................................ 38 Abbildung 5: Zeitstrahl der Nutzung verschiedener Artefakte ...................... 38 Abbildung 6: Claires und meine alltägliche Routine ......................................40 Abbildung 7: Morgenröte durch Claires Fenster ............................................42 Abbildung 8: Prototyp von Remote Lamp .....................................................44 Abbildung 9: Remote Lamp in meiner Wohnung ...........................................44 Abbildung 10: BeenThere .............................................................................. 45 Abbildung 11: Claire stellte zwei Puppen vor der Kamera ............................. 47 Abbildung 12: Emotionale Entwicklungen in unserer Fernbeziehung ........... 50 Abbildung 13: Konzept eines verbesserten Profils der emotionalen Entwicklungen durch die Nutzung von DatingBox .................. 50 Abbildung 14: DatingBox und die Karten mit Ideen ...................................... 51 Abbildung 15: Die zweite Version der DatingBox. ......................................... 53 Abbildung 16: MusicCookie ........................................................................... 55 Abbildung 17: Claire und MusicCookie ........................................................... 56 Abbildung 18: Die zweite Version von MusicCookie ....................................... 58 110


Abbildung 19: Die erste Version von Furfur .................................................. 60 Abbildung 20: Claire streichelt Furfur ........................................................... 60 Abbildung 21: Die zweite Version von Furfur .................................................62 Abbildung 22: Hans und Furfur spielen im Duett .......................................... 68 Abbildung 23: Technology and Artifacts | UX-Relatedness. http://uxrelatedness.blogspot.de/ .......................................... 71 Abbildung 24: Funktionsweise von OurChannel ............................................ 74 Abbildung 25: OurChannel ............................................................................ 75 Abbildung 26: OurChannel in meinem Zimmer ............................................. 76 Abbildung 27: Die Tischlampe auf der Fensterbank. .....................................85 Abbildung 28: RemoteFeeder ....................................................................... 88 Abbildung 29: May verwirrt vor der Futtermaschine .................................... 90 Abbildung 30: SwitchU ................................................................................. 94 Abbildung 31: Normales Awarenesssystem und zeitverzögertes Awarenesssystem ................................................................. 98 Abbildung 32: TimeMark ............................................................................. 100 Abbildung 33: Entwicklung der Beziehungspraxis....................................... 107 Tabellen Tabelle 1: Teilnehmer an der Feldforschung des Flüsterkissens ......................20 Tabelle 2: Drei Praktiken in der Feldforschung des Flüsterkissens ..................20 Tabelle 3: Ideen auf die Karten in der DatingBox ........................................... 51

111


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Beispiel 1 25. Dez. 2013 Claire rief mich morgens via Skype und über die Funktion der automatischen Antwort an. Sie versuchte Remote Lamp anzuschalten. Aber weil die Lampe in Reparatur war, reagierte sie nicht. Claire hinterließ mir ein paar Nachrichten, und sie erwärmten mir das Herz. [2013/12/25 04:11] ***Claire ruft an*** [2013/12/25 04:54] Claire: Mein Schatz. Das Internet scheint nicht gut zu funktionieren. Ich kann die Lampe nicht anschalten. [2013/12/25 04:54] Claire: Aber das macht nichts. Ich bin immer bei dir! [2013/12/25 04:54] Claire: Ich sehe dich so tief schlafen. :* :* :* [2013/12/25 04:55] Claire: Wir sehen uns später. Ich gehe essen.

Beispiel 2 12. Feb. 2014 Wir haben zusammen im Internet eine Tragetasche für sie gesucht. Es ist beinahe wie ein gemeinsames Shopping-Erlebnis über Distanz. Leider haben wir nicht dazwischen in einem Café eine Tasse Kaffee trinken können. Ist da eine Möglichkeit fürs Design?

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Beispiel 3 2. Mai 2014 Ich interviewte Claire über ihre Erlebnisse. Ü ber BeenThere: Für Claire ist die Ä sthetik der Lampe sehr entscheidend. „Ich finde die Lampe sehr schön. Die Farbe ist sehr gemütlich. Ich sehe sie gerne leuchten,“ sagte Claire. Claire findet auch, dass die Lampe den Partner symbolisiert. Sie sagte: „Wenn ich das Licht der Lampe sehe, denke ich an dich. Natürlich wenn wir auf Skype sprechen, leuchtet die Lampe auch, [weil die Lampe mit der Webcam verbunden ist.] Die Lampe hat deswegen auch eine gewisse Verbindung mit unserer gemeinsamen Zeit. Ich besuchte dich normalerweise vormittags. Zu sehen, dass die Lampe auf dem Monitor aufleuchtete, war, als sei ich in deiner Wohnung um die Lampe für dich anzuschalten. Ich sah dich schlafen. Aber manchmal drehst du dich um. Ich weiß nicht, ob das Licht dich stört.“ Wahrscheinlich wusste ich nicht, dass ich mich umdrehte. Ü ber Furfur: Claire sagte, dass sie Furfur eher wenig benutzte. Sie sagte, „Ich denke nicht daran, mit Furfur zu spielen. Furfur ist süß . Aber ich bin nach der Arbeit schon müde, und es fällt mir nicht ein, Furfur herbeizurufen. Er ist süß. Aber ich spiele lieber mit dir zusammen.“ Ü ber MusicCookie: Claire benutzt MusicCookie jeden Tag. Sie sagte, „Wenn ich die Kiste sehe, möchte ich die Musik anhören. Leider ist mein Tisch zu klein, und die Kiste liegt um die Ecke. Es macht ein bisschen Aufwand die Musik zu hören. Aber trotzdem nutze ich sie. [...] Immer wenn ich MusicCookie benutze, höre ich alle Musikstücke in der Kiste. Aber die gesamte Dauer ist etwas kurz. Ich möchte immer mehr hören.“ Ich fasse hier auch meine Gefühle zusammen. Ü ber BeenThere: Ich sehe sehr gerne das Licht am Morgen. Wenn es leuchtet, weiß ich, dass sie heute Spätschicht hat und nicht in Eile war. Wenn das Licht nicht leuchtet, weiß ich, dass Claire Frühschicht hat. Wenn ich Claire besuche, vermisse ich sie sehr. Manchmal sehe ich auf dem Bildschirm ihren Raum im Laufe der Zeit immer dunkler werden. Das macht mir etwas Sorge. Ich denke daran, dass sie noch so spät arbeitet. Ü ber Furfur: Wie ich vor einigen Tagen geschrieben habe, fühle ich mich ein bisschen enttäuscht, weil nur ich alleine mit Furfur spiele. Es ist, als ob der Partner Furfur nicht mag. Ü ber MusicCookie: Ich höre die Musik von MusicCookie sehr oft. Manche Lieder bleiben einfach im Kopf, weil ich sie jeden Tag höre. Wenn also die Musik in meinem inneren Ohr wieder spielt, möchte ich MusicCookie nochmal benutzen. Die Musikstücke erinnern mich an Claire, wie unsere Spieldose.

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Beispiel 4 19. Jul. 2014

 Streit. Bauchschmerzen.

Beispiel 5 14. Jan. 2015 Ich übernachtete bei Claire. In der Nacht regnete es stark. May schlief unruhig, und deswegen habe ich auch nicht gut geschlafen. Ich habe nur meine Arbeit im Kopf und werde bald abreisen müssen. Ich bin einfach ängstlich. Heute habe ich für Claire ihr Eisfach enteist und den Wäscheständer aufgebaut. Danach fühlte ich mich etwa besser. Ich habe ein sicheres Gefühl, wenn ich vor der Abreise etwas machen kann. Wir kauften ein Bett für May. May scheint sehr glücklich zu sein. Obwohl das Bett ein bisschen teuer ist, fanden wir die Ausgabe lohnend, weil May im Winter einen warmen Platz haben soll. Aber das Bett ist etwa zu klein, oder... May ist einfach zu dick.

Beispiel 6 4. Mai 2015 Das Kaufhaus hat wieder Werbeaktion und Claire muss viel arbeiten. Ich habe Furfur zu mir gerufen.

Beispiel 7 23. Okt. 2015 Ich beendete meine Arbeit spät in der Nacht und suchte ein Geschenk für Claires Geburtstag. [...] Plötzlich erhielt ich eine Nachricht von Claire. Sie stand am Morgen auf und hat das Licht in meinem Raum gesehen. Sie sorgte sich um mich und fragte, warum ich noch nicht schliefe. Ich sagte ihr, dass ich Bilderbücher zu ihrem Geburtstag suche. Wir schauten zusammen kurz im Internet die Bücher von Anna Walker an. Claire war glücklich. [2015/10/23 01:44] Claire: Bist du noch wach? Es ist sehr spät. [2015/10/23 01:44] Wei-Chi: Mein Schatz, ja, ich gehe gleich schlafen. Ich möchte Bilderbücher suchen. 125


[2015/10/23 01:45] Claire: Ja, du kannst aber auch zuerst schlafen und dann Bücher suchen. Bücher laufen nie weg. [2015/10/23 01:46] Wei-Chi: Haha, ja, das stimmt. [2015/10/23 01:46] Claire: (Ein Bild der Umarmung) [2015/10/23 01:46] Wei-Chi: (Ein Link zum Buch von Anna Walker) [2015/10/23 01:46] Wei-Chi: (Ein Bild der Umarmung) [2015/10/23 01:46] Wei-Chi: Ich habe gerade Anna Walker gefunden. [2015/10/23 01:46] Claire: So süß ! [2015/10/23 01:46] Wei-Chi: Ja! [2015/10/23 01:47] Claire: (Ein Bild des glücklichen Tanzes) [2015/10/23 01:47] Wei-Chi: (Ein Bild eines groß en Herzen) [2015/10/23 01:47] Claire: Gute Nacht! Danke Dir! [2015/10/23 01:47] Wei-Chi: Gute Nacht!

Beispiel 8 11. Dez. 2015 Ich habe meine Wohnung aufgeräumt, weil Claire bald nach Deutschland kommt. Ich ordnete die Möbel um, und richtete eine Ecke für Claire ein. Ich schickte ihr auch ein Foto. Sie war sehr glücklich. Ich habe morgen einen Termin mit einem Freund und bat Claire, mich am Morgen mit dem Licht zu wecken.

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Die Bauanweisungen werden als Inspiration für interaktive Prototypen angeboten. Daher sind sie sehr abgekürzt, und der Aufbau benötigt grundlegende Kenntnisse über Elektrotechnik und Internet.

BeenThere

Bauteile: Brett aus Balsaholz, Flasche, Schaumstoff, Aluminiumflachstange, LED (Sonderstandard: warm-weiß), Logitech HD720p (Webcam), Fotowiderstand, ATtiny45 Chip und Skype. Bauanweisung: Der Fotowiderstand wird auf die LED-Anzeige der Logitech HD720p geklebt (e). Wenn die Kamera aktiv ist, leuchtet ihre LED, und durch den Fotowiderstand wird das Signal zum Anschalten der Lampe zum ATtiny45 Chip geschickt. Balsaholz ist ein gutes Material zum Modellbau. Es lässt sich leicht mit einem Cutter schneiden. Aus Balsaholz wird eine Basis (d) für die Flasche (b) gebaut, in der der ATtiny45 steht. Eine Aluminiumflachstange zu einem Ring formen und auf die Flasche setzen (a). Ein Loch im Boden der Flasche mit einem Steinbohrer oder Glasbohrer vorsichtig durchbohren, um die LED in der Flasche mit dem Aluminiumring mit dem ATtiny45 zu verkabeln. Der Aluminiumring dient als ein kapazitiver Sensor und ein Schalter, um das Licht auszuschalten.

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MusicCookie

Bauteile: Brett aus Balsaholz, Acrylkugeln, Kupferflachstange, RGB-LED, Reedschalter, Magnet, Arduino Leonardo, TLC5940NT, Gobetwino und Computer Bauanweisung: Arduino Leonardo ist eine Plattform, die zur Serial-Kommunikation besten geeignet ist. Zusammen mit dem Programm Gobetwino kann man den Computer mit Arduino steuern, zum Beispiel ein Youtube-Link öffnen. Die Kiste ist aus Balsaholz gebaut (f). Der Reedschalter (d) reagiert auf den Magneten (e) und wird in die Kiste eingebaut, um das Ö ffnen oder Schließ en der Kiste zu erkennen. Die Cookies (b) sind Acrylkugeln mit eingebauten RGB-LEDs (a) und je mit einem Ring der Kupferstange umfasst (c). Ein TLC5940NT ist ein 16-kanaliger LED-Treiber. Er wird gebraucht, um die Daten an vier RGB-LEDs (12 Kanäle) zu liefern. Das Kupfer dient als kapazitiver Schalter, um die Cookies zu bedienen.

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Furfur – zweite Version

Bauteile:

Kiste,

Fellball,

(Infrarot-Bewegungsmelder),

Kupferlackdraht,

Verstärker,

piezoelektrischer

Mikrofon,

HC-SR501

Sensor,

Servomotor,

Fotowiderstand, LED, Arduino MEGA, Arduino Ethernetshield, Arduino Pro-Mini und Xively (eine Plattform/Webserver für IoT). Bauanweisung: Furfur hat vier Hauptdateninputs: Bewegungen, Berührung, Sound, Klopfen. Ein HC-SR501 ist eingebaut, um die Bewegungen der Benutzer zu erkennen. Furfur ist ein Fellball mit eingenähtem Kupferlackdraht, der die Berührungssensibilität ermöglicht – wie eine kapazitive Antenne. Der Sound wird von einem Mikrofon aufgenommen und auf einer Arduino-Plattform (Arduino Pro-Mini) bearbeitet. Die analogen Klänge werden in digitale Daten übersetzt. Die Daten werden dann weitergeleitet zur Hauptplattform (ein Arduino MEGA). Klopfen wird durch einen piezoelektrischen Sensor erkannt. Furfur hat zwei Outputs: Bewegungen und Klänge. Furfur als ein Fellball hängt an dem Deckel der Kiste und bewegt sich zusammen mit dem Deckel. Die Bewegungen werden von einem Servomotor (a) kontrolliert. Sound wird durch Verstärker wiedergegeben. Furfurs Verhalten und Repertoire sind programmiert auf der Arduino MEGA. Die untere Abbildung gibt einen Ü berblick über das Programm. Alle Daten sind durch einen Ethernet-Schield zum Xively-Server hochgeladen und bleiben synchronisiert.

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OurChannel

Bauteile: Holz, Acrylplatten, Servomotor, Schalter, 5V/220V-Relais, Fotowiderstand, LEDs, Arduino Ethernet (oder Arduino MEGA mit Ethernetschield) und Xively Bauanweisung: OurChannel ist wie eine Kiste. Die vier Wände und die Rückwand (a und f) sind aus Holz, und die Vorderwand ist hohl und aus Acrylplatten. Zwei Schalter (b und e) sind auf die beiden Seiten der Vorderwand montiert. LEDs sind in der hohlen Vorderwand (c) und auch in der Kiste (g) eingebaut. Der Fotowiderstand (h) erkennt die Helligkeit des Raums, die Arduino-Plattform schickt die Daten zum Xively, und die LEDs repräsentieren die Helligkeit im Raum des Partners. Die Deckenleuchte wird über ein Relais durch Arduino gesteuert. Achtung! Die Deckenleuchte läuft normalerweise mit einer Spannung von 220 Volt. Die Bearbeitung benötigt eine fachliche Ausbildung.

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SwtichU – Claires Version

Bauteile: Holz, Fuß platte, Alufolie, Taste, Servomotor, Potenziometer, RF-Sender und -Empfänger, Antenne, Arduino Ethernet, Arduino Pro-Mini und Xively. Bauanweisung: Die Roboterarme (c) können aus Holz oder anderem Material gebaut werden. Die Arduino Pro-Mini liest die Führung ihrer Bewegungen durch Potentiometer (b und d), speichert die Bewegungsdaten in EEPROM, und steuert die Roboterarme durch Servomotoren (a und e), um die Bewegungen zu wiederholen. Eine zweite Arduino-Plattform ist nötig. Die Fernsteuerung läuft über Xively und Arduino-Ethernet. Das Signal wird durch RF-Sender und -Empfänger zum Roboterarm geschickt. Die kabellose Kommunikation erlaubt den Benutzer, den Roboterarm in allen gewünschten Orten zu installieren. Die Spitze des Roboterarms (f) ist bedeckt mit Alufolie und elektronisch grundiert, um einen kapazitiven oder digitalen Schalter bedienen zu können.

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