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Zwei Mitglieder des Internationalen Opernstudios erzählen, was der Krieg in der Ukraine für sie bedeutet

Der Krieg betrifft auch uns

Alina Shevchenko ist Pianistin und stammt aus der Ukraine, Ilya Altukhov ist Bassist und kommt aus Russland. Beide sind zurzeit Mitglieder im Internationalen Opernstudio. Sie erzählen, was der Krieg für sie persönlich bedeutet und warum sie es trotz allem wichtig finden, miteinander im Gespräch zu bleiben

Alina, wo genau kommst du her?

Alina: Ich bin in der Nähe von Donezk geboren und aufgewachsen und habe auch dort studiert. Als 2014 der Krieg begann, war ich gezwungen, mein Studium in Lwiw fortzusetzen. Meine Mutter ist in Donezk geblieben. Sie ist jetzt immer noch dort. Ich spreche jeden Tag mit ihr, und mein grösster Wunsch ist, dass sie mit meinen Grosseltern hierher kommt. Aber meine Grosseltern sind alt und weigern sich, die Ukraine zu verlassen.

Wie geht es deinen Verwandten jetzt?

Alina: Sie sind zutiefst schockiert und voller Angst. Der erste Schock kam 2014, als wir zum ersten Mal in die Luftschutzkeller mussten. Der schlimmste Moment damals war, als ich mich entschieden hatte, nach Lwiw zu gehen und mit dem Bus – wir hatten sehr mutige Busfahrer – trotz der Bombardierungen durch die Stadt fuhr. Es war nicht klar, ob ich meine Mutter jemals wiedersehen würde. Ich konnte dann zwar meine Mutter einige Male besuchen, aber es war nicht so einfach, in die besetzten Gebiete zu gelangen. 2018 wurde ich an der Grenze angehalten und verhört, in Anwesenheit von zwei Soldaten mit Maschinengewehren. Ich wurde gefragt, warum ich nach Donezk fahre; mein Telefon wurde durchsucht. Irgendwann hat man mir dann geglaubt, dass ich Musikerin bin und meine Eltern besuche. Nach diesem Vorfall bin ich nie mehr dorthin gefahren. Ich habe nun kein Zuhause mehr. Nach zwei Jahren Studium in Polen bin ich seit September hier im Opernstudio. Es war oft nicht einfach für mich, wenn alle an Weihnachten nach Hause fuhren und ich allein zurückblieb. Jetzt ist es noch viel schlimmer geworden, weil nicht nur meine Heimatstadt unter Beschuss ist, sondern die ganze Ukraine.

Ilya, woher kommst du?

Ilya: Ich komme aus Komsomolsk am Amur im fernen Osten. Ich nenne es das reale Russland. Die Menschen leben dort ganz anders als in Moskau oder St. Petersburg. Meine Sehnsucht nach meiner Heimat ist sehr gross. Eine Zeit lang habe ich im Musikensemble des Innenministeriums gearbeitet – dort wurden vor allem Volkslieder gesungen. Später bin ich nach Moskau gezogen und habe dort meine Frau kennengelernt; im Juli letzten Jahres haben wir geheiratet. Einen Monat nach der Hochzeit fing ich hier im Opernstudio an. Für uns ist es sehr schwer im Moment. Ich würde meine Frau sehr gern hierherholen, sie ist krank und braucht regelmässig Medikamente, und ich befürchte, dass sie diese Medikamente wegen der Sanktionen in Russland bald nicht mehr bekommen wird.

Wie stehst du zum Krieg?

Ilya: Dieser Krieg ist grauenhaft. Da, wo ich herkomme, wurde natürlich der Jahres tag des Sieges über Nazideutschland – des Sieges im «Grossen Vaterländischen Krieg» – gross gefeiert, wie im restlichen Russland auch. Aber nie haben die Veteranen von ihren Heldentaten im Krieg berichtet, sondern es wurde vom Krieg immer als von etwas gesprochen, das sehr grausam ist, ein Albtraum, und sich auf keinen Fall wiederholen darf. Deshalb war ich genauso schockiert wie Alina, als ich vom Angriff Russlands auf die Ukraine erfahren habe. Ich verstehe nicht, wozu dieser Krieg gut sein soll – und wie wir damit weiterleben sollen. Die Folgen dieses Angriffskriegs werden wir alle noch sehr lange spüren. Die angebliche Feindseligkeit der Ukrainerinnen und Ukrainer gegenüber der russischstämmigen Bevölkerung, die in der Ukraine lebt, die von der russischen Propaganda verbreitet wird – die mag es früher hier und da gegeben haben, aber jetzt wird Russland erst recht und verständlicherweise für lange Zeit der Feind der Ukraine sein.

Alina, wie hast du das Verhältnis von Russland und der Ukraine vor dem Krieg empfunden?

Alina: Wir waren im Grunde schon lange Opfer der russischen Propaganda. Die

Ukraine wollte unabhängig sein, und dazu gehörte auch die Pflege der ukrainischen Sprache und Kultur. Vor einiger Zeit ist dazu ein Gesetz in Kraft getreten, das im russischen Fernsehen als «Unterdrückung der russischen Sprache» kommentiert wurde. Dabei war es historisch gesehen viel häufiger umgekehrt – zur Zeit der Sowjetunion war es die ukrainische Sprache, die unterdrückt wurde, und ukrainische Kulturschaffende durften in ihrer Sprache nicht schreiben. Es gab grosse Umsiedlungsprojekte: Ukrainer wurden gezwungen, in den fernen Osten zu ziehen, und in der Ukraine wurden Russen angesiedelt. Heute ist die Ukraine eine Demokratie, wir haben Meinungsfreiheit – davon kann man in Russland nur träumen.

Ilya: Ja, das stimmt. Ich überlege mir oft, was ich wie ausdrücke. Es ist gefährlich geworden, etwas gegen die Mächtigen zu sagen. Für mich ist es geradezu absurd, wenn unabhängige Berichterstattung verboten wird mit dem Hinweis, es handle sich bei den entsprechenden Medien um ausländische Agenten. Wir kehren in die Stalinzeit zurück. Und nur die vollkommen Furchtlosen wagen es noch, gegen den Krieg auf die Strasse zu gehen.

Hast du auch hier in Zürich Angst, deine Meinung zu sagen?

Ilya: Wenn man in Russland erfährt, was ich denke und hier auch öffentlich sage, werde ich dort als Extremist gelten. Ich werde versuchen, in der nächsten Zeit nicht nach Russland zurückzukehren. Die Menschen in Russland gehen nicht in wirklich grosser Zahl auf die Strasse, weil sie wissen, was passiert, wenn sie festgenommen werden: Sie werden geschlagen und auf grausame Weise erniedrigt. Wer in einem russischen Gefängnis landet, gilt nicht mehr als Mensch und wird misshandelt. Und niemand wird je dafür bestraft.

Der ukrainische Regisseur Andrej Sholdak hat dazu aufgerufen, sofort jegliche Zusammenarbeit mit Vertretern russischer Kultur zu stoppen. Alina, ist es für dich in Ordnung, weiterhin mit Russen zusammenzuarbeiten?

Alina: Darüber habe ich lange nachgedacht. Ich glaube, wir sollten die Zusammenarbeit mit denjenigen Russinnen und Russen fortsetzen, die sich offen dazu bekennen, dass es sich um einen Angriffskrieg handelt, nicht um irgendeine Spezialoperation, und die sich für den Frieden aussprechen und dafür, dass Russland seine Soldaten aus der Ukraine abzieht. Indem wir die Beziehungen nicht ganz abreissen lassen, ermutigen wir hoffentlich andere dazu, ihre verständliche Angst zu überwinden und sich gegen den Krieg auszusprechen. Ich bin überzeugt davon, dass das dazu beitragen kann, den Krieg schneller zu beenden.

Im grossen Spendenkonzert des Opernhauses, bei dem ihr beide gemeinsam aufgetreten seid, war der bewegendste Moment für mich, als Ilya gesagt hat: «In meinen Adern fliesst russisches, ukrainisches, weissrussisches und kasachisches Blut. Wir dürfen einander nicht umbringen!»

Alina: Für mich war es sehr berührend, dass Ilya ein ukrainisches Lied gesungen hat. Ich fand das sehr mutig von ihm.

Ilya: Ich könnte tatsächlich Probleme bekommen deswegen. Meine Familie ist in Russland; sie unterstützt Putin. Auch meine Frau ist in Russland, sie ist gegen den Krieg. Um sie habe ich Angst.

Alina, kannst du deine Familie momentan irgendwie unterstützen?

Alina: Nein, es ist leider nicht möglich, ihnen Geld zu schicken. Ich kann hier protestieren, Benefizkonzerte geben. Aber zu den Menschen in den besetzen Gebieten kommt momentan überhaupt keine Hilfe. Trotzdem werde ich weitere Konzerte geben und weiter auf die Strasse gehen.

Das Gespräch führte Beate Breidenbach Unterkünfte für Geflüchtete gesucht

Lidiya Filevych, Sopranistin im Chor der Oper Zürich und gebürtige Ukrainerin, engagiert sich für Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine flüchten mussten. Die Situation in Zürich ist zurzeit chaotisch, die Behörden sind mit der grossen Zahl der Geflüchteten überfordert. Wenn Sie eine Unterkunft anbieten möchten, können Sie sich direkt mit Lidiya Filevych in Verbindung setzen; geben Sie dabei unbedingt an, wie viele Betten Sie zur Verfügung stellen können und wen Sie bereit sind, aufzunehmen (Frauen, Kinder, Familien, Haustiere etc.).

076 606 31 35 lidka.drymba@gmail.com

Man muss Vertrauen haben

Herr Homoki, welche Bedeutung haben Uraufführungen für ein Opernhaus?

Sie sind eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Es gab Zeiten, in denen man nur zu Uraufführungen in Opernhäuser ging. Das Phänomen, dass die Theater existierende Werke immer wieder aufführen, ist erst im 19. Jahrhundert entstanden. Heutzutage halten die Bühnen zwar in erster Linie das Repertoire von Monteverdi über Verdi und Wagner bis Bernd Alois Zimmermann lebendig, aber wir haben auch eine Verantwortung, in die Zukunft des Musiktheaters zu investieren. Die nehmen wir hier in Zürich ernst. Regelmässige Uraufführungen gehören zu unserem fest vereinbarten Leistungsauftrag.

Wie ist die Idee entstanden, den Schweizer Komponisten Stefan Wirth mit einem Opernauftrag zu betrauen?

Wir hatten vor einigen Jahren entschieden, Kompositionsaufträge speziell an die Schweizer Musikszene zu vergeben, die dann im kleineren Format auf unserer Studiobühne zur Uraufführung kommen sollten. Zwei neue Werke haben wir in dieser Reihe realisiert. Die dritte wäre Stefan Wirths Oper gewesen. Aber was er sich vorgenommen hat, wuchs in unseren Gesprächen deutlich über das Format einer Kammeroper hinaus, und da wir den Stoff und das kompositorische Temperament von Stefan Wirth sehr überzeugend fanden, haben wir beschlossen, die Uraufführung auf der Hauptbühne zu präsentieren. Die fiktive Geschichte über den Maler Vermeer und das von ihm porträtierte Mädchen mit dem Perlenohrring, die die amerikanische Schriftstellerin Tracy Chevalier in ihrem BestsellerRoman erzählt, ist sehr attraktiv. Es war nicht leicht, die Rechte dafür zu bekommen, weil es ein Stoff ist, der auch schon prominent verfilmt wurde. Die Begehrlichkeiten, was künstlerische Mitsprache und kommerzielle Verwertung angeht, waren von Seiten der Agenten zunächst gross. Aber die Schriftstellerin Tracy Chevalier selbst hat dann verstanden, dass wir hier kein Musical auf die Bühne bringen wollen, sondern avanciertes Musiktheater. Sie hat das Projekt sehr unterstützt. Die Produktion ist durch die CoronaPandemie noch einmal in schwierige Fahrwasser geraten, als sie zum ursprünglich geplanten Termin im Mai 2020 wegen des Lockdowns nicht stattfinden konnte. Wir konnten unser Girl aber zum Glück samt aller Engagements in die jetzt laufende Spielzeit verschieben, denn gerade eine Uraufführung will man natürlich auf keinen Fall absagen. Ich bin sehr glücklich, dass wir das nun doch noch hinkriegen.

Was kann eine Direktion zum Gelingen einer Uraufführung beitragen?

Sie muss das neue Werk in allen Phasen der Entstehung sorgfältig begleiten, Schwierigkeiten aus dem Weg räumen und die Realisierbarkeit im Blick haben. Aber das Wichtigste ist, dass man dem Künstler, dem man einen solch grossen Auftrag erteilt, Vertrauen schenkt und ihm die Freiheit gibt, das zu machen, was er sich vorgestellt hat. Darüber hinaus stehen wir natürlich in der Verantwortung, so eine Uraufführung seriös und möglichst hochkarätig zu besetzen. Ich denke, dass uns das bei Girl with a Pearl Earring gelungen, ist, denn wir konnten Thomas Hampson für die Rolle des Malers Vermeers gewinnen und haben mit Lauren Snouffer eine junge, hochbegabte Sopranistin für die Hauptrolle der Dienstmagd Griet engagiert. Die von mir besonders geschätzte Laura Aikin ist als Vermeers Gattin dabei. Ted Huffman ist genau der richtige Regisseur für diesen, unter einer stillen Oberfläche brodelnden Stoff, und unser Uraufführungsdirigent Peter Rundel ist ein Koryphäe im Umgang mit Partituren, die noch nie gespielt wurden.

Frischluft für die Drehscheibe

Schon häufig habe ich über Bühnenbilder auf Drehscheiben geschrieben und auch über Bühnenbilder, die sich selbst drehen können, aber noch nie über unsere in die Bühne eingebaute Drehscheibe. Diese wird in den nächsten Monaten sehr viele Einsätze haben, da fast alle Neuproduktionen auf ihr spielen: Girl with a Pearl Earring, Rheingold, Le nozze di Figaro, Walküre, das Ballett Nachtträume, Barkouf und Alice im Wunderland. Dazu kommen noch die Wiederaufnahmen von Dornröschen, Lucia di Lammermoor, Tristan und Isolde und Die Entführung aus dem Serail. Es ist also Zeit, ihr eine Kolumne zu widmen.

Wenn unsere Drehscheibe im Einsatz ist, hat sie einen Durchmesser von 15 m. Sie fragen sich jetzt sicher, wie sich um alles in der Welt bei einer Drehscheibe der Durchmesser ändern soll – dazu komme ich gleich. Sie kann sich lautlos unendlich langsam bewegen, doch wenn sich die 15 Tonnen schwere Scheibe schnell drehen soll, wird es laut: Die Scheibe klingt dann wie ein startendes Flugzeug. Ich musste mir allerdings sagen lassen, dass ich masslos übertreibe. Nicht übertrieben ist jedoch, dass man sie bei der maximalen Geschwindigkeit während musikalisch eher lauter Stellen auch noch in der letzten Reihe gut hören kann.

Das Besondere an unserer Scheibe ist, dass sie nicht da ist, wenn man sie nicht braucht: Die Scheibe ist in eine 16 x 16m grosse Fläche auf Rollen eingebaut, den Drehscheibenwagen, der auf unserer Bühne vor- und zurückfahren kann. Wenn man die Scheibe nicht braucht, fahren die Maschinisten den Wagen bis an die Rückwand der Bühne zurück. Da die Scheibe so gross ist, steht dann der vordere Teil des Drehscheibenwagens noch voll auf der Bühne. Um sie komplett von der Hauptbühne zu bekommen, löst die Bühnentechnik mit einem mehr als einen Meter langen Monsterschraubenschlüssel die Verbindungsschrauben entlang der Mittelachse der Scheibe und des Drehscheibenwagens. Nun sind die Drehscheibe und der Drehscheibenwagen in zwei Teile geteilt. Der Boden unter dem hinteren, an die Rückwand geschobenen Teil wird nun so tief abgesenkt, dass wir den vorderen Teil des Drehscheibenwagens mit dem vorderen Teil der Drehscheibe auf den hinteren Teil fahren können. Nun liegt unsere Scheibe in zwei Teile zerlegt auf der Hinterbühne, und man nimmt sie nicht mehr wahr, da sie auf Bühnenniveau abgesenkt ist.

Angetrieben wird die Drehbewegung von zwei Motoren, die in den vorderen Drehscheibenwagen eingebaut sind. Die Motoren treiben über ein Getriebe je zwei Reifen an, die an den Rand der Scheibe gedrückt werden und so die Scheibe drehen. Unsere Steuerung erlaubt es, beliebig viele Drehungen in alle Richtungen zu machen und auf jeder beliebigen Position anzuhalten. Aus technischer Sicht sind dabei nicht die schnellen Bewegungen problematisch, sondern die lautlosen, ganz langsamen: Bei den schnellen Bewegungen drehen sich die Motoren ausreichend schnell, um sich selbst kühle Luft zuzufächern. Drehen sie sich sehr langsam, gibt es keinen Luftzug, und die Motoren laufen heiss und schalten sich dann ab. Damit das nicht geschieht, stellen unsere Maschinisten kleine Ventilatoren in den Drehscheibenwagen, die den Motoren frische Luft zuführen.

Sebastian Bogatu ist Technischer Direktor am Opernhaus Zürich

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