Trouble in Paradise. Skulpturen in den Gehegen des Tiergarten Schönbrunn

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Trouble in Paradise


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STEINBRENER/DEMPF

TROUBLE IN PARADISE SKULPTUREN IN DEN GEHEGEN DES TIERGARTEN SCHÖNBRUNN SCULPTURES IN THE ANIMAL ENCLOSURES OF SCHÖNBRUNN ZOO

Herausgegeben von Christoph Steinbrener, Rainer Dempf und Bernhard Kellner

Textbeiträge von Dorothée Bauerle-Willert Ernst Strouhal

Gespräche mit Steinbrener/Dempf Dagmar Schratter


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EXPEDITION I NS TI ERREICH Steinbrener/Dempf im Gespräch EXPEDITION I N TO THE AN I MAL K I NGDOM A Conversation with Steinbrener/Dempf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 S K U L P T U R E N I N D E N G E H E G E N D E S T I E RG A RT E N S C H Ö N B RU N N S C U L P T U R E S I N T H E A N I M A L E N C L O S U R E S O F S C H Ö N B R U N N Z O O . . . . . . . 19 Eisenbahnschienen im Bison-Freigehege Railway Track in the Bison Enclosure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Autowrack im Nashorn-Gehege Car Wreck in the Rhino Enclosure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Giftfass im Korallenriffbecken Toxic Waste Barrel in the Coral Reef Basin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Sperrmüll im Kroko-Pavillon Bulky Refuse in the Crocodile Pavilion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Schneehütte am Elefantenpark Schneehütte (Snow Cabin) at the Elephant Enclosure

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

Ölpumpe im Humboldt-Pinguin-Becken Oil Pump in the Humboldt Penguin Basin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

D ORO T H É E B AU E R L E -W I L L E RT DA S Z U R E C H T R Ü C K E N DE R S C H AU LUS T Einige Gedanken zu „Trouble in Paradise“ von Steinbrener/Dempf P U T T I NG C U R IO S I T Y I N I T S PL AC E A few thoughts about “Trouble in Paradise” by Steinbrener/Dempf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 DE R T I E RGA RT E N A L S S P I E GE L DE R GE S E L L S C H A F T Ein Gespräch mit Dagmar Schratter, Direktorin des Tiergartens Schönbrunn, Wien T H E Z O O A S A M I R ROR OF S O C I E T Y A Conversation with Dagmar Schratter, Director of the Schönbrunn Zoo, Vienna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 ERNS T S TROUHAL VOM P ROJ E K T E I N E R Ä S T H E T I S C H E N M E N AGE R I E Ein Nachtstück anlässlich der Ausstellung „Trouble in Paradise“ von Steinbrener/Dempf A B OU T A P ROJ E C T F OR A N A E S T H E T IC M E N AGE R I E A nocturne on the occasion of the exhibition “Trouble In Paradise” by Steinbrener/Dempf . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 A U S WA H L B I B L I O G R A F I E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 BIOGRAFI EN

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

M I T A R B E I T E R , A U S F Ü H R E N D E F I R M E N . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 D A N K . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 S P O N S O R E N . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

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EXPEDITION I NS TI ERREICH

EXPEDITION I N TO THE AN I MAL K I NGDOM

Steinbrener/Dempf im Gespräch

A Conversation with Steinbrener/Dempf

Bernhard Kellner „Gesellschaftliche Sachverhalte bis zur Kenntlichkeit entstellt“ – mit diesem Satz wurden eure früheren Arbeiten charakterisiert. In der aktuellen Arbeit ‚Trouble in Paradise‘, die derzeit im Wiener Zoo zu sehen ist, beschreitet ihr neue Wege. Der Satz scheint aber immer noch zu stimmen. Wie kam es zu diesem Projekt, könnt ihr ein paar seiner Entwicklungslinien beschreiben? Christoph Steinbrener Wir wollten etwas Einmaliges machen. Wie aber macht man etwas Einmaliges? Nachdem es auf der Welt kaum mehr etwas zu entdecken gibt, weil die großen Eroberungen und Entdeckungen schon gemacht sind, kann man eigentlich nur mehr in Mikrokosmen eindringen. Dort lassen sich noch Lebensformen erforschen. Die Wiener Einkaufsstraße, die Jesuitenkirche, der Schönbrunner Tiergarten, das alles sind Mikrokosmen, kleine Städte in der Stadt, komplexe, hierarchisch gegliederte Systeme. Jeder Mikrokosmos hat seinen „Bürgermeister“ und seine ganz besondere Aufgabenverteilung. Unser Interesse für den Mikrokosmos Zoo hat uns dazu gebracht, uns etwas einfallen zu lassen. Rainer Dempf Sich etwas einfallen lassen heißt, x Mal hingehen und beobachten, wie die anderen Zoobesucher schauen. Ich fand es interessant, wie viele unterschiedliche Ansichten zum Phänomen Zoo es gibt. Wir waren auch überrascht, dort so viele Bekannte zu treffen, Leute, von denen wir nicht gedacht hätten, dass sie Besitzer von Jahreskarten für den Tiergarten sind. Dann willst du natürlich wissen, was sie daran so fasziniert, wie ihr Blick auf den Mikrokosmos Zoo funktioniert. Er scheint ja für viele tatsächlich der „Notausgang zur Natur“ zu sein, den Ernst Strouhal in seinem Essay erwähnt. CS Der Umsetzung eines Projekts geht selbstverständlich immer eine sehr genaue Recherche voraus. Zwischendurch jonglieren wir in endlosen Besprechungen mit unseren Eindrücken und sammeln Ideen. Dann kommt das Pingpong-artige Ausarbeiten der Fotomontagen, ein Dialog in Bildern, aus dem sich dann erste Konturen einer Gesamtheit entwickeln. Zu diesem Zeitpunkt ist uns noch überhaupt nicht klar, wie realistisch ein solches Projekt ist, und ob es sich überhaupt argumentieren lässt. Vielleicht lässt sich unser Zugang am Besten mit einer Expedition vergleichen. RD Expedition ist ein guter Ausdruck dafür, wobei uns die Forschungsreise in den einen Mikrokosmos automatisch auch in andere Mikrokosmen führt. Die Idee, im Zoo

Bernhard Kellner “Social circumstances distorted until recognizable” – your earlier works were described using this sentence. In your current work, “Trouble in Paradise”, which is currently being shown in the Vienna Zoo, you are treading new paths. But the sentence still seems to apply. How did this project come about? Can you describe a few of its lines of development? Christoph Steinbrener We wanted to do something unique. But how can you do something unique? Now that there is hardly anything more to discover in the world, because the great conquests and discoveries have already been made, you can only penetrate more into microcosms. You can still explore forms of life there. The Viennese shopping street, the Jesuit church, the Schönbrunn zoo: these are all microcosms, small cities in the city, complex, hierarchically structured systems. Each microcosm has its “mayor“ and its very special division of tasks. Our interest in the microcosm zoo prompted us to think of something new and unique. Rainer Dempf To think of something new and unique means going there x times and observing how the other zoo visitors look at things. I find it interesting that there are so many different opinions about the phenomenon zoo. We were also surprised to meet so many people we know there, of whom we never would have thought that they had annual passes for the zoo. Of course, you want to know what fascinates them there, how their outlook of the microcosm zoo functions. It really seems to be the “emergency exit to nature,” which Ernst Strouhal mentions in his essay. CS Implementing the project of course requires very precise research in advance. In the meantime, we juggle our impressions in endless discussions and gather ideas. Then photomontages are formulated in ping-pong fashion, a dialog in pictures, from which the initial contours develop into a whole. At this time, we are not at all certain whether such a project is realistic and whether reasons can be given for it at all. Perhaps our process can be compared best with an expedition. RD Expedition is a good expression for that, whereby the field trip into a microcosm takes us automatically into another microcosm. For example, the idea to install an oil pump in the zoo took us to the mineral oil cosmos of the OMV (Austrian Mineral Oil Administration). We went to Gänserndorf, a place northeast of Vienna. It looked like a restricted area of nuclear facilities in the USSR. We got access to an area, in which the scrapped grasshopper

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eine Ölpumpe zu installieren, hat uns beispielsweise in den Mineralölkosmos der OMV (Österreichische Mineralölverwaltung) geführt. Wir gelangten nach Gänserndorf, eine Ortschaft nordöstlich von Wien. Dort sah es aus wie in einer Atomsperranlage der UdSSR. Wir bekamen Zugang zu dem Areal, in dem die ausrangierten Pferdekopfpumpen geparkt sind. Wir saßen an einem Besprechungstisch, an dem gut fünfzig Personen Platz gehabt hätten, aber unser Ansprechpartner war allein gekommen. Er ließ uns in dichtem Schneetreiben russische, amerikanische und österreichische Pumpentypen fotografieren. Die Fotomontagen, die wir aus diesen Bildern angefertigt haben, kursieren noch heute, obwohl man längst die tatsächlich im Zoo installierte nachgebaute Pumpe fotografieren könnte. BK Ihr betreibt eine Art visuelles Denken, das ohne Begriffe auskommt und seine Fragen auf rein optischem Weg entfaltet. CS Wir sind Visualisten, Utopisten, Moralisten. Wenn du gesellschaftliche Sachverhalte spiegelst, hast du es automatisch mit einer bestimmten Moral zu tun. Erst dadurch werden deine Bilder präzise. Bei Delete! war es das Markieren der Werbedichte, bei Trouble in Paradise geht um das Tier/Mensch-Verhältnis. Da steckt jeweils eine Überzeugung dahinter, die für Dritte unwesentlich sein mag, die aber für uns von Anfang an eine große Rolle spielt. „Seid realistisch, fordert das Unmögliche!“, hieß es in den 1960er Jahren. Im Grunde zielen wir mit jedem Projekt auf das Unwahrscheinliche oder gar Unmögliche. Deshalb kommt gleich nach der Idee und der Recherche die Überzeugungsarbeit. Wir rüsten uns mit Argumenten. RD Einerseits haben wir die „unwahrscheinliche“ Konzeption vor Augen, andererseits müssen wir auch wissen, wie die Leute auf der anderen Seite darüber denken, was sich die Bewohner der Mikrokosmen davon erwarten. CS Es ist immer wieder ein Balanceakt: Du fragst dich, was die Kaufleute in der Neubaugasse niemals machen würden. Sie würden auf keinen Fall ihre Werbeaufschriften und Preisbeschilderungen verschwinden lassen. Worüber könnten sich die Jesuitenpadres keinesfalls freuen? Wenn man ihr berühmtes Deckenfresko mit einem Großprint abdecken wollte. Und was wird der Zoo auf keinen Fall zulassen? Er wird sich mit Sicherheit keinen Müll in die Tiergehege schütten lassen. Wenn es schließlich doch geschieht, geht das gewöhnlich auf Kommunikation und diplomatische Interventionen zurück. Bei Trouble in Paradise verlief überraschender Weise alles ganz anders, die Direktorin des Schönbrunner Zoos, Frau Schratter, spricht auch im Interview darüber. Das wechselseitige Interesse war von Anfang an da. Hier lag die Schwierigkeit eigentlich nur in der gemeinsamen Modifikation der Objekte. Jedes Objekt musste auf seine Verträglichkeit für die jeweiligen Tiere hin angepasst werden.

pumps were stored. We sat at a discussion table that had room for about 50 people, but our contact person came alone. He let us photograph Russian, American and Austrian pump types during a heavy snowstorm. The photomontages, which we produced from the pictures, are still being used today, although the reconstructed pump actually installed in the zoo could already have been photographed. BK You pursue a kind of visual thinking, which does without terms and expounds its questions in a purely optical way. CS We are visualists, utopists, moralists. When you mirror social circumstances, you are automatically dealing with a certain morality. Your pictures only become precise through that. It was the highlighting of the great volume of advertising in Delete!, and it is a question of the relation between animals and humans in Trouble in Paradise. There is a conviction behind this, which might be insignificant for a third party, but which plays a big role for us from the start. “Be realistic, demand the impossible!” was a saying in the 1960s. In principle, we are targeting the improbably or even the impossible with each project. As a result, there is a lot of persuading to do after the idea and the research. We equip ourselves with arguments. RD On one hand, we have our “improbable” conception in view, and on the other hand, we also have to know how people on the other side think, what the inhabitants of the microcosm expect. CS It is a balancing act each time. You ask yourself what would the store owners in Neubaugasse never do. They would not hide their advertising and price labels in any case. What could the Jesuit priests not find any pleasure in at all? If you wanted to cover their famous ceiling fresco with a large print. And what a zoo not allow in any case? It would certainly not let any garbage be dumped in the animal enclosures. If this happens despite that after all, it is usually thanks to communication and diplomatic interventions. With Trouble in Paradise, everything proceeded surprisingly in a complete different manner; the director of the Schönbrunn Zoos, Ms. Schratter, also talks about that in the interview. Mutual interest existed from the start. The difficulty here was actually only in mutual modification of the objects. Each object had to be adapted to be compatible with the respective animals. RD This balancing act between our own ideas and openness in dealing with project partners gets us into strange situations time and again. Several people have wrongly maintained that we used the topic of environmental protection only to get into the zoo with our work. This is simply not true. I recently received an e-mail from the editor of an Austrian daily newspaper: “Completely off the record, were you thinking about something along an ecology line

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RD Dieser Balanceakt zwischen der eigenen Vorstellung und der Offenheit gegenüber den Projektpartnern bringt uns immer wieder in komische Situationen. Uns wurde von mehreren Seiten unterstellt, dass wir das Umweltthema nur als Vorwand genommen hätten, um mit unseren Arbeiten in den Zoo hineinzukommen. Das ist schlichtweg unwahr. Kürzlich bekam ich eine Mail von einer Redakteurin einer österreichischen Tagezeitung: „Ganz offrecords: Habt ihr euch zu den genialen Installationen etwas Ökomäßiges gedacht oder war das nur der Aufhänger für den Zoo?“ Die Leute glauben offenbar, sie hätten ein Rätsel durchschaut oder uns demaskiert. Es geht uns nicht darum, unsere „geniale“ Kunst zu präsentieren, für uns sieht das völlig anders aus. Wir erfahren im Lauf der Arbeit eine ganze Reihe unerwarteter Schichtungen, die sich uns auftun. Uns erschließt sich etwas. Es ist nicht so, dass wir mit einer vorgefertigten Idee kommen, die wir eins zu eins durchziehen wollen. Wir möchten wissen, wie die Zoo-Verantwortlichen, die Tierpfleger und auch die Besucher auf unsere Vorschläge reagieren. CS Natürlich stehen für uns das Skulpturale und die Wahrnehmungsfrage im Mittelpunkt. Unsere Arbeitsmethode funktioniert wie die Regiearbeit zu einem Film. Zuerst entsteht eine Idee, die in einer Art Storyboard zusammengefasst wird. Einzelne Bilder, die wir über eine große Ausstellung, eben den Zoo, verteilen wollen, oder einzelne Bilderfolgen, die eine gewisse Bewegung darstellen. Diese Bilder lassen wir von verschiedensten Spezialisten umsetzen. Den physischen Zugriff des Bildhauers, der in der klassischen Arbeit an seinem Stein pickelt und jeden Zieselierungsschritt mit eigener Hand vornimmt, gibt es bei uns nicht. Im Gegenteil, wir haben sogar die Pläne und Zeichnungen zum Projekt von Leuten aus unserem Team anfertigen lassen. Und auch bei der Rezeption haben wir ein Stück weit die Finger im Spiel, wir wollen die mediale Resonanz nicht nur dem Zufall überlassen. Insgesamt haben cirka zehn Leute an Trouble in Paradise aktiv mitgearbeitet. Die Textebene gehört ebenso dazu wie die Grafik, die wir bei den Beschilderungen an den Gehegen einsetzen. Das alles trägt zu dieser Ganzheit bei, die für unsere Arbeit essenziell ist. Wir fragen nicht, ob das Bildhauerei, Environmental Art oder Land-Art ist, wir benutzen alles, was nicht niet- und nagelfest ist, um unserem visuellen Ziel näher zu kommen. RD Dazu kommen die Fachleute, die uns aus dem jeweiligen Mikrokosmos entgegentreten. Im Jesuitenkosmos war es Pater Gustav Schörghofer als Fachmann für Jesuitendasein, der uns sein Universum vom Ordensgründer Ignatius von Loyola über Andrea Pozzo bis zum heutigen Kirchenalltag näherbrachte. In Trouble and Paradise sind es Zoologen und Tierpfleger, die mit uns in Dialog treten und teil-

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with your ingenious installations, or was this only a gimmick for the zoo?“ They really believe that they had solved the puzzle or exposed us. It is not a question for us to present our “ingenious” art; it is something completely different for us. We experience a lot of unexpected levels during the course of our work, which open up before us. Something is revealed to us. It is not true that we come with a prefabricated idea, which we want to implement one-toone. We want to know how those running the zoo, the animal keepers and even the visitors react to our proposals. CS Of course, the plastic aspects and the question of perception are the focal points. Our work method is similar to the work of a director in a film. First, an idea takes shape, which is summarized into a kind of storyboard: individual pictures, which we want to distribute throughout a large exhibition, i.e., the zoo, or individual picture sequences, which represent a certain movement. We have these pictures realized by various specialists. The physical handwork of a sculptor, who chips away at each stone and makes each groove with his own hands in traditional work, does not exist in our work. To the contrary, we even have plans and drawings for the project produced by our staff. And we also have our hands in play in how the work is received; we do not want to leave the media reaction to chance. Overall, about ten people worked actively on Trouble in Paradise. This includes the text as well as the graphics, which we use on the signs at the enclosures. All of this contributes to the whole, which is essential for our work. We do not ask whether it is sculpture, environmental art or landscape art; we use everything that is not nailed down to get closer to our visual objective. RD In addition, there are the specialists, whom we encounter from the respective microcosm. In the Jesuit Cosmos, Father Gustav Schörghofer was our specialist for Jesuit life, who initiated us into his universe from the monastic order founder Ignatius von Loyola to Andrea Pozzo and all the way to current daily church life. In Trouble and Paradise, zoologists and animal keepers are the ones with whom we had dialogs and who even influenced the object shapes in part. It is important for us to see where our limits are. We need the external specialists, and dealing with their objections is part of our work. We can’t know that a priori. Insofar, each project is an experimental arrangement. CS None of our works is imaginable without its concrete context. The high-tech pictures from NASA, a view of the Earth from a space station, which we used in Jesuit Cosmos, only starts to live in the Baroque environment of the Viennese Jesuit church. The yellow covers from Delete! do not have any meaning without the geometric bodies of the signs and without the three-dimensional arrangement. In


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weise sogar auf die Form der Objekte einwirken. Es ist für uns wichtig zu sehen, wo unsere Grenzen liegen. Wir brauchen die externen Fachleute, das Eingehen auf ihre Einwände gehört zu unserer Arbeit. Wir können das nicht von vornherein wissen. Insofern ist jedes Projekt eine Versuchsanordnung. CS Keine unserer Arbeiten ist ohne ihren konkreten Kontext denkbar. Die Hi-Tec-Aufnahme von der Nasa, ein Blick auf die Erde aus der Sicht einer Raumstation, die wir im Jesuitenkosmos verwendet haben, beginnt erst im barocken Umfeld der Wiener Jesuitenkirche zu leben. Die gelben Überdeckungen aus Delete! haben ohne die geometrischen Körper der Schilder, ohne die dreidimensionalen Anordnungen keinen Sinn. Bei Trouble in Paradise gehören das Nashorn, das Autowrack und der Zuschauer zusammen. Der Schienenstrang im Bison-Gehege funktioniert nur in seinem konkreten Umfeld. Dort funktioniert er nicht nur inhaltlich, sondern auch formal, indem er nach vorne hin leicht abfällt, sodass man als Betrachter eine Aufsicht hat, wodurch die gesamte Anordnung besser sichtbar wird. Wir haben lange herumprobiert, wie der Abschluss nach vorne hin beschaffen sein sollte. Eine Zeit lang haben wir in Erwägung gezogen, eine Strauch dorthin zu pflanzen. Als wir die verlegten Schienen gesehen haben, wurde uns klar, dass alles nackt bleiben muss, sodass der Gleiskörper abrupt, ins Nichts hinein endet. Diese Schienen funktionieren allerdings nicht in ihrer ursprünglichen Bestimmung, kein Zug könnte darauf fahren. Die Körnung der Schüttung ist ideal für den Bison, er kann einigermaßen gut darübersteigen, für eine Lokomotive wäre sie nicht geeignet. RD Auch die verwendeten Nägel, so genannte Westernnägel, gehen auf den Bison zurück. Es durften keine Schrauben verwendet werden, also griffen wir auf Techniken zurück, die man im 19. Jahrhundert angewendet hat. Heute gibt es für diese Arbeit gigantische Maschinen, diese gelben Ungetüme, die wie riesige Insekten aussehen und agieren. Im Bison-Gehege musste alles händisch gemacht werden. Zudem musste alles in vier Stunden erledigt sein. Die Zooleute haben gesagt, zwei Stunden habt ihr noch, dann kommen die Bisons. Das hat den Arbeitseifer der Monteure enorm angestachelt. BK Es sind hier zwei Skulpturbegriffe im Spiel. Ein eng gefasster, statischer, der sich auf das ausgestellte Objekt bezieht, und ein weiter gefasster, dynamischer oder auch performativer, der Tier, Objekt und Betrachter als ein bewegtes Ganzes zusammenschaut. CS Natürlich sehen wir die Einbauten als Skulpturen, was übrigens nicht auf jede Installation zutrifft. Was sich bei den Krokodilen abspielt, ist streng genommen keine Skulptur, eher eine Rauminstallation.

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Trouble in Paradise, the rhinoceros, the car wreck and the visitor belong together. The railway track in the bison enclosure only works in its concrete environment. It works there not only with respect to context, but also formally in that it slopes slightly down to the front, so that observers can see it; consequently, the complete arrangement can be seen better. We did a lot of experimenting to figure out how the end of the tracks facing to the front should be constructed. For a long time, we considered planting a bush there. When we saw the tracks after they had been laid, we realized that everything had to remain bare, so that the track abruptly ended in nowhere. But these tracks are not suitable for their original purpose; no train could run on them. The grain size of the track bed is ideal for the bison; he can cross it relatively well, but it would not be suitable for locomotive. RD The spikes used, which are called Western spikes, were used with the bison in mind. It was not permitted to use screws, and consequently we fell back on technologies that were used in the 19th century. Gigantic machines exist for this work today, those yellow monsters that look and act like enormous insects. Everything had to be done by hand in the bison enclosure. In addition, everything had to be finished within four hours. The zoo staff said that we had two more hours, and then the bisons would come. This stimulated the eagerness of those laying the track to get the work done enormously. BK Two terms of the plastic arts come into play here: a narrowly defined, static one that relates to the exhibited object, and a more far-reaching, dynamic or even performative one, which sees the animal, object and observer as a moving unity. CS Of course, we consider the built-in objects as sculptures, which does not apply to every installation by the way. The object in the enclosure of the crocodiles is not a sculpture in the strict sense of the word, but instead a space installation. RD Seen from the perspective of photography, it would not make sense to show the oil pump without animals and people. These are simply sculptures in enclosures, and we would never have thought of photographing the built-in objects without the surrounding area. CS That makes it interesting, and it become apparent in the photo. At the moment when the observer in the zoo is not visible, you could imagine that it is a photograph taken in the outdoors. An essential aspect of the work would be eliminated with that. Everything lives from the fact that these things happen in a zoo. That’s why we need the zoo visitors in our pictures; they are an essential element. RD Of course, that is something that is continually in motion. It happens on moving and immobile, rigid levels at the same time. A two-dimensional still-life photo is con-


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RD Von Fotografenseite her betrachtet, würde es keinen Sinn machen, die Ölpumpe ohne Tiere und Menschen abzubilden. Es sind eben Skulpturen in Gehegen, und wir kämen kaum auf die Idee, die Einbauten ohne das Umfeld zu fotografieren. CS Das ist interessant, im Foto kommt es ans Licht: In dem Augenblick, wo die Betrachter im Zoo nicht sichtbar sind, könnte man das Ganze für eine Aufnahme aus der Natur halten. Damit wäre ein wesentlicher Aspekt der Arbeit getilgt. Alles lebt von dem Umstand, dass diese Dinge im Zoo passieren. Deshalb brauchen wir in unseren Abbildungen den Zuschauer, er ist ein wesentliches Element. RD Natürlich ist das eine Sache, die ständig in motion ist. Sie passiert zugleich auf einer bewegten und einer unbewegten, starren Ebene. Ein zweidimensionaler Still wird schrittweise in ein dreidimensionales bewegtes Bild umgesetzt. Wenn die Fische am Giftfass vorbeischwimmen, ist diese Bewegung für den Betrachter von Bedeutung. Zuletzt wird die gesamte Anordnung im Katalog und in den Medien wieder in das zweidimensionale Medium transformiert. CS Aber auch die bewegten dreidimensionalen Bilder, haben etwas von Standbildern. Jedes Bild hat sein Vorher und Nachher. Das Giftfass wurde versenkt, bevor es im Korallenriff mit Algen überwuchert wird. Die Ölpumpe ist an sich beweglich, aber in einer bestimmten Position festgefroren. Das Auto beim Nashorn ist 250.000 Kilometer gefahren, bevor es im Teich zu liegen kam. Wenn man vor diesen Objekten steht und sie betrachtet, entwickelt sich automatisch eine kleine Geschichte im Kopf. Es gibt da ein narratives Element in unseren neuen Skulpturen, kleine offene Erzählungen, die sich aus dem Objekt und seinem Zusammenwirken mit den Tieren und dem Zufall ergeben. BK Es gibt eine interessante Passage bei Dorothée BauerleWillert. Sie stellt in ihrem Essay fest, dass ihr keine „verrätselnde“ Kunst macht, sondern „subversiv und listig, ohne Scheu vor Deutlichkeit“ agiert. RD Wir schrecken tatsächlich nicht davor zurück, die Gegenstände in ihrer charakteristischen Nacktheit zu präsentieren. Wir nennen sie Skulpturen oder Objekte, aber es sind letztlich nur Gegenstände, die einer künstlerischen Handschrift völlig entbehren: die Schienen, die vom Tischler nachgebaute Ölpumpe, das Giftfass aus dem Lagerhaus, die Badewannen usw., das sind keine Gegenstände, auf denen wir uns verewigt hätten. Und es sind im Übrigen auch keine Ready-Mades. CS Was ein Ready-Made ausmacht, ist ja, dass ein alltägliches Objekt unverändert ins Museum gestellt wird. Auch wenn man den Zoo als eine Art Museum definiert, findet

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verted into a three-dimensional, moving picture. When the fish swim past the toxic waste drum, this movement is significant for the observer. Finally, the complete arrangement is again transformed into the two-dimensional medium in the catalog and in the media. CS But the moving, three-dimensional pictures also have an element of stills. Each picture has its before and after. The toxic waste drum was lowered into the coral reef before it became overgrown with algae. The oil pump is theoretically movable, but it is frozen solid at a specific position. The car in the rhinoceros enclosure drove 250,000 kilometers before it ended its days in the pond. When you stand in front of these objects and observe them, a small story develops automatically in your head. There is a narrative element in our new sculptures, small open-ended stories, which arise from the object and its interaction with the animals and chance. BK There’s an interesting remark in Dorothée BauerleWillert’s piece. She stated in her essay that you do not make any “mystifying” art, but instead act “subversively and cleverly, without fear of clearness.” RD We really are not afraid of present objects in their characteristic nakedness. We call them sculptures, but in the end they are only objects without any artistic qualities: the tracks, the oil pumps reconstructed by carpenters, the toxic waste barrel from a warehouse, the bathtubs, etc., these are not objects that we immortalized. And they are not ready-mades either. CS What constitutes a ready-made is the fact that an everyday object is put in a museum unchanged. Even when you define a zoo as a kind of museum, you cannot find any object of ours that has not been manipulated. Even the waste for the crocodile pool was selected carefully and optimized for its temporary use. But the thing that we consider a lot more important in this context is the social function of art. When art fulfills a social function, the general understanding of it plays a significant role. We are operating in a field, in which social issues are dealt with and in which people meet, who do not have the same cultural background. The question arises from this of how you can transport a visual idea. Can a language of images be found that is understood by all in general? Linguistics often speak of a “lingua franca” in this context. The good for me is in an eye-catching style in contrast to the evil eye-catching style of the “New Leipzig School”, for example, where the eyecatching power was used only more for pictures of an intact and ideal world and which has become a synonym for me for the times of plenty before the crisis. BK There is also an element of surprise in your work, something mischievous, which can get the seriousness of the matter suddenly moving, like the small ‘a’ in the lettering ‘Paradise’,


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AU T OW R AC K I M NASHORN-GEHEGE

CAR WRECK I N THE RHI NO ENCLOSURE

200 x 500 x 180 cm, Metall, Beton, Gesamtmasse 2700kg

200 x 500 x 180 cm, metal, concrete, total mass 2,700 kg

„Ich bin nicht schön… Die sind’s, die schön sind. Ich hatte unrecht! Oh, wie gerne wär ich wie die!… Jetzt ist es zu spät.“ Mit diesen Worten kommentiert Bérenger, der Held von Eugène Ionescos Theaterstück Die Nashörner sein blankes Entsetzen.1 Er war sich sicher, Daisy zu erobern, doch sie hatte sich anderwertig entschieden – für ein Nashorn. In Ionescos Drama verwandeln sich Menschen in Nashörner; das entspricht dem Zeitgeist, bringt bessere Panzerung und steigert die sexuelle Attraktivität. Nashorn-Männchen gelten seit jeher als uneinholbare Profis in Verführungsbelangen. Gelernt haben sie das unter Anleitung der NashornWeibchen, die bei der Partnersuche sehr wählerisch sind. Charles Darwin, der große Evolutionsforscher, nannte dieses Phänomen „sexuelle Zuchtwahl“ (sexual selection). Sie ist, neben der häufig missverstandenen „natürlichen Zuchtwahl“ (natural selection), die zweite Triebkraft der Evolution. Während die „natural selection“ für größtmögliche Anpassung an äußere Lebensumstände sorgt, verfolgt die „sexual selection“ feinere Ziele: Sie bringt die Schönheit ins Tierreich und generiert Formen wie z.B. das Pfauenrad, den Hahnenkamm und anderen tierischen Zierrat, die nichts mit „Kampf ums Dasein“ zu tun haben. Im Gegenteil, diese Ornamente der Natur schränken die Tiere eher ein oder schwächen sie gegenüber natürlichen Feinden. Die „sexual selection“ geschieht nach rein ästhetischen Kriterien der weiblichen Tiere, die Männchen haben sich diesen Anforderungen über Generationen hinweg genetisch angepasst. Für den Blick des Menschen auf das Tier hat diese Einsicht weitreichende Konsequenzen: Tiere sind zu kulturellen Zeichenprozessen fähig, rein visuelle Differenzierungen greifen in die Evolution der Organismen ein. Bérenger, dem Helden aus Ionescos Nashorn-Drama, wurde Daisys „sexual selection“ zum Verhängnis. Am Ende des Stücks packt er sein Gewehr und stürzt los. Womöglich war er der Fahrer des bordeauxroten Mercedes.

“I’m not beautiful … They’re the ones who are beautiful. I was wrong! Oh, how I would love to be like them! … Now it’s too late.” This is how Berenger, the hero of Eugène Ionesco’s play Rhinoceros, comments on his blank horror.1 He was sure of making a conquest of Daisy but she decides otherwise – for a rhinoceros. In Ionesco’s play people turn into rhinoceroses; this corresponds to the spirit of the times, provides better armour and increases sexual attraction. Male rhinos have always been regarded as unsurpassable master practitioners of the art of seduction. They learned this under the guidance of the female rhinos, who are most fastidious when it comes to choosing a partner. Charles Darwin, who formulated the Theory of Evolution, called this phenomenon sexual selection. Besides natural selection, which is frequently misunderstood, it is the second driving force of evolution. Whereas natural selection provides for the greatest possible adaptation towards the external circumstances of life, sexual selection pursues finer aims: it brings beauty into the animal kingdom and generates forms such as the peacock’s fan, the cockscomb and other forms of animal ornamentation which have nothing to do with the “struggle for existence”. On the contrary, these natural ornaments rather restrict the animals or make them weaker in face of natural enemies. Sexual selection takes place according to the aesthetic criteria of the female animals and the males have genetically adapted to these requirements over generations. This insight has farreaching consequences for the way in which humans look at animals. Animals are capable of cultural sign processes and purely visual differentiations intervene in the evolution of organisms. Daisy’s sexual selection becomes the undoing of Berenger, the hero of Ionesco’s Rhinoceros. At the end of the play he grabs his gun and rushes off. Perhaps he was the driver of the burgundy-red Mercedes. 1

Eugène Ionesco, Rhinoceros, and other plays, New York: Groove Press, 1960.

1

Eugène Ionesco, Die Nashörner. Schauspiel in drei Akten (Les Rhinocéros, 1958); aus dem Französischen von C. Bremer und H. R. Stauffacher, Frankfurt am Main 1996.

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D ORO T H É E B AU E R L E -W I L L E RT

DA S Z U R E C H T R Ü C K E N DE R S C H AU LUS T

PU T TI NG CUR IOSIT Y I N I T S P L AC E

Einige Gedanken zu «Trouble in Paradise» von Steinbrener/Dempf

A few thoughts about “Trouble in Paradise” by Steinbrener/Dempf

Der Mensch ist das Tier, das sich andere Tiere hält.

Humans are the animal that keep other animals.

Zuerst als Haustiere, dann viel später als Schautiere.

First as pets, then much later as exhibits.

Hans Blumenberg

Hans Blumenberg

Im Zoo von Asunción del Paraguay wohnen die Tiere sehr hierarchisch: Der Löwe residiert in einem stilisierten Palast im Kolonial-Stil. Der Tiger trabt in einer prächtigen Villa hin und her. Im Gehege des Adlers bildet eine nachgebaute Kathedrale, in der er allerdings seine Flügel nicht ausbreiten kann, das Refugium. Die einheimischen Tiere hingegen, das Gürteltier, das Wasserschwein, der Tapir, der Ameisenbär hausen entlang der Wege, in Favelas, in niedrigen, muffigen Käfigen, halb verfallen, wenn es regnet, im Matsch … Die Paradiesvorstellung, die in die Konstruktion der zoologischen Gärten hineinspielt, ist hier doch sehr geschrumpft, aus der Erfahrung der Rangordnung der Lebewesen heraus gebaut. Die Behausungen der Tiere folgen wohl nicht nur in Paraguay einem sehr menschlichen Wertesystem, das Benjamins Notat aus der Kindheit um Neunzehnhundert bestätigt und umdreht: „Wie man aus der Wohnung, wo einer haust, und aus dem Stadtviertel, das er bewohnt, sich ein Bild von seiner Natur und Wesensart macht, hielt ich es mit den Tieren des Zoologischen Gartens.“ 1 Wohl schon immer dekliniert der zoologische Garten Archetypen von Gesellschaftsgeschichte – und die troubles in paradise, mit denen Steinbrener/Dempf nun in Schönbrunn intervenieren, wären in Asunción, zumindest für einige Tiere, ein Déjà-vu. Heutige Tiergärten sind künstliche Landschaften, die uns eine Natur erleben lassen, wie wir sie erträumen: als friedliches Miteinander unterschiedlichster Erdenbewohner im ungebrochenen Idyll. Hier gibt es keinen sichtbaren Überlebenskampf, keine Angst vor dem Gefressenwerden, keine mühsame Nahrungssuche. Der Zoo ist ein Schutzraum, geschaffen von Menschenhand, in dem sich alle scheinbar wohlfühlen, die Pflanzen, die Tiere und vor allem diese Menschen, die im selbst erschaffenen Garten Eden als kleine Götter lustwandeln. Der zoologische Garten ist eine in die Zukunft gewendete Utopie des Tierfriedens, wie er bei Jesaja im 11. Kapitel, Vers 6 –8, entworfen wird, eine Metapher für das harmonische Zusammenleben der Tiere – eine Symbolik, an der noch Emir Kusturicas Film Underground von 1995 par-

In the Zoo in Asunción del Paraguay, the animals live very hierarchically. The lion resides in a stylized palace in colonial style. The tiger trots back and forth in a magnificent villa. In the enclosure of the eagle, a reconstructed cathedral provides him sanctuary, although he cannot spread his wings in it. On the other hand, the native animals – the armadillo, the capybara, the tapir and the anteater – live for better or worse along the paths in favelas, in low, stuffy cages, rather ramshackle and in mud when it rains. The conception of paradise, which extends to the design of the zoo, is very restricted here, constructed by the experience of the hierarchic order there. The housing of animals is not only based on a very human value system in Paraguay, which Benjamin’s comment confirms and reverses in Kindheit um Neunzehnhundert (trans.: Childhood in the 19th Century): “The way in which you create a picture of nature and its essence from the apartment or the city district where you live is also how animals in zoos are dealt with.” 1 Zoos have always classified archetypes of social history, and troubles in paradise, with which Steinbrener/Dempf are now intervening in Schönbrunn, would be a déjà-vu in Asunción, at least for a few of the animals. Today’s zoos are artificial landscapes, which let us experience nature as we imagine it: as peaceful co-existence of very different inhabitants of the Earth in a neverending idyll. There is no visible fight for survival there, no fear of being eaten, and no painstaking search for food. The zoo is a shelter created by humankind, where all apparently have a feeling of well-being: the plants, the animals and – above all – the people, who stroll god-like through the Garden of Eden they created. The zoo is a utopia of peace among animals applied to the future, as outlined by Isaiah Chapter 11, verses 6–8, a metaphor for the harmonic co-existence of animals, and symbolism, in which Emir Kusturica’s film Underground from 1995 participates, but undermines and subverts at the same time. In this film, the breakdown of the Yugoslavian society is anticipated in sinister sequential images of German air raids on Belgrade of April 1941, during which the

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tizipiert, sie aber zugleich unterhöhlt und konterkariert. In diesem Film wird der Zusammenbruch der jugoslawischen Gesellschaft in unheilvollen Bildsequenzen der deutschen Luftangriffe vom April 1941 auf Belgrad, bei denen auch der zoologische Garten getroffen wurde, vorwegenommen. Die künftigen Bürgerkriege, die Bombardierung Belgrads 1999 werden durch Tiger und Elefanten, die frei zwischen den Bombenruinen herumstreifen, durch Zebras, die in Panik durch das brennende Belgrad irren, durch den Löwen, der sich noch einmal vergebens aufbäumt, angekündigt: „Der aufgehobene ‚Tierfrieden‘ annonciert die Katastrophe des ‚bellum omnium contra omnes‘.“2 Das Wort „Paradies“ stammt vom avestischen „Pairidaeza“ ab und bedeutet – sehr treffend für die zoologischen Gärten – Umzäunung, wobei das Moment der Ausund Einschließung, der Exklusivität und Abgrenzung, das alle Paradiesvorstellungen begleitet, bereits mitschwingt. Und wie das Paradies ein Entwurf, ein Traum, ein Wunschbild ist, so treibt gerade dieser ein- oder verschließende Gestus, der die bürgerlichen Naturräume, die Zoos, die Parks, die Lustgärten konstituiert, ihre offensichtliche Künstlichkeit hervor. Die eingehegte Natur ist zunächst vor allem ein Raum für die lustwandelnde Öffentlichkeit: Eine simulierte Ursprünglichkeit, die Wildnis ist als Spektakel immer schon ein Fake und all diese Paradiese „sind dadurch definiert, daß in ihnen Löwen am wenigsten das sein können, was sie sind, zugleich aber an ihrem Wesen nicht leiden können …“3 Auch die Architektur der Wege, das Leitsystem, dem die Flaneure fast unwillkürlich folgen, vermitteln eher das Bild einer vollkommenen Landschaft als ein In-ihr-sein. Gegeben wird die angestrengte und notwendig unvollkommene Mimesis eines Naturraums, die Inszenierung von Natürlichkeit, und damit ein Zwilling der Kunst. Adorno hat deshalb auch vermutet, daß die zoologischen Gärten weniger Resultat bürgerlicher Naturaneignung, sondern eher Matrix von Naturwahrnehmung sind: „Die altertümliche Schönheit von Brehms Tierleben rührt daher, daß es alle Tiere so beschreibt, wie sie durch die Gitter der zoologischen Gärten sich darstellen, auch und gerade wenn phantastische Forscher mit Berichten über das Leben der Wildnis zitiert werden.“4 Hinzu tritt – bei Adorno – die Hoffnung auf eine bessere Gattung, die im Prinzip Arche Noah, dem die Zoos zugleich folgen, anklingt: Die Zoos „sind nach dem Muster der Arche Noah angelegt, denn seit sie existieren, wartet die Bürgerklasse auf die Sintflut.“ 5 Paradiesvorstellung und Untergangsfurcht liegen nahe beieinander. Die beiden Momente, Ausstellung der Natur als verbürgter Besitz und die Konstituierung neuer Räume sozialer Naturerfahrung, die Konstruktion urbaner Naturwel-

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zoo was also hit. The future civil wars, the bombing of Belgrade in 1999, are announced by tigers and elephants, who roam freely among the ruins of the bombing, by Zebras, straying in panic through burning Belgrade, by the lion, who rears up once again in vain. “The aborted ‘peace among animals’ announces the catastrophe of the ‘bellum omnium contra omnes’.” 2 The word “paradise” comes from the Avestan “pairidaeza” and means – very appropriately for a zoo – fencing, whereby there are overtones of the moment of exclusion and inclusion as well as exclusiveness and demarcation, which are contained in all ideas about paradise. And in the way in which paradise is a blueprint, a dream and an ideal, this enclosing or shutting off produces precisely the air of obvious artificiality that constitutes the bourgeois natural areas, zoos, parks and palace parks. Enclosed nature is above all a space for the public to stroll; a simulated naturalness, the wilderness as a spectacle has always been a fake and all these paradises “are defined by the fact that lion can least of all be that which it is, but at the same time is unable to suffer due to its essential being …” 3 The architecture of the paths, the guidance system, which the strollers follow almost unconsciously, communicates more a picture of a perfect landscape rather than the feeling of being in one. The result is a forced and necessarily incomplete mimesis of a natural area, the staging of naturalness and consequently a twin of art. Therefore, Adorno also assumed that zoos are less the result of bourgeois appropriation of nature, but instead more of a matrix of perceiving nature: “The old-fashioned beauty of “Brehm’s Life of Animals” consequently comes from the fact that he describes all animals as they are shown through the bars of a zoo, including and especially when fantastic researchers are quoted about life in the wilderness.” 4 In addition, there is the hope – in Adorno – for a better species, which is evoked in the principle of Noah’s Arch, and which the zoos follow at the same time: The zoos “are designed according to the model of Noah’s Arch, because the bourgeois has been waiting for the Flood since they came into existence.” 5 Imagination of how paradise is and fear of the end of the world are closely related. The two moments, exhibition of nature as staked-out property and the constitution new areas of social experience of nature, the engineering of urban nature worlds, are reflected in the very fast development of zoos from former nature parks and collections of the aristocracy, whereby the zoos founded earlier “follow the ideal of harmony between scientific education and consciousness of an aesthetics of nature in the practice of their architecture and display and organize a visit to the zoo more as a kind of literary experience corresponding to the old metaphor from


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ten, spiegeln sich auch in der rasanten Entwicklung der Zoos aus ehemaligen Naturparks und Sammlungen des Adels, wobei die älteren Zoogründungen, „in ihrer Architektur und Darstellungspraxis dem Ideal einer Harmonie von wissenschaftlicher Bildung und naturästhetischer Besinnung anhingen und den Zoobesuch – entsprechend der älteren Metapher vom ‚Buch der Natur‘ eher als eine Art literarischer Erfahrung organisierten“.6 Ganz romantisch sollten hier die Sonderungen von Natur und Geschichte aufgehoben werden in der ästhetischen Schau. „Die Ansicht“, schrieb Schelling, „welche der Philosoph von der Natur künstlich sich macht, ist für die Kunst die ursprüngliche und natürliche. Was wir Natur nennen, ist ein Gedicht, das in geheimer wunderbarer Schrift verschlossen liegt. Doch könnte das Räthsel sich enthüllen, würden wir die Odyssee des Geistes darin erkennen, der wunderbar getäuscht, sich selber suchend, sich selber flieht; denn durch die Sinnenwelt blickt nur wie durch Worte der Sinn, nur wie durch halbdurchsichtigen Nebel das Land der Phantasie, nach dem wir trachten.“7 Die Anschauung der Natur ist Rätsel- und Selbstbild zugleich. Die Schaulust, deren Eltern Curiositas und Fantasie sind, und die all diese Gänge begleitet, gibt es wohl nie abstrakt, sie wandelt sich im Laufe der Zeit, reflektiert die Kodierung der Wahrnehmung, die Projektionen, die Sehpraktiken, deren Ergebnis sie – auch – ist. Schaulust ist wohl immer auch wechselseitige Spiegelung, und als Neugierde eine Überschreitung der Ichgrenzen. „Reine Schaulust, Schaulust an sich gibt es nicht. Schaulust gibt es nur in ihren Verwandlungen, da sie stets aufs Neue, Unerhörte und nie Gesehene aus ist. Schaulust manifestiert sich erst am Objekt, an dem sie sich spielerisch abarbeitet und es so, wie sich selbst und den Blick den sie lenkt, verändert.“ 8 Mit Agamben könnte man den Menschen definieren als das Tier, das ins Museum, ins Kino, in Schausammlungen geht und sich in der Betrachtung amüsiert.9 Die Schaustellung der Tiere wurzelt wahrscheinlich in einer allegorischen Sicht, die ausgestellten Exemplare verwiesen als Repräsentanten auf die vielgestaltige Schöpfung und auf ihre Einheit in der wechselseitigen Spiegelung von Mikro- und Makrokosmos. Die Tiere wurden – auch – gelesen als Zeichen und Abbilder, sie sollten als Reflektoren unseres Wesens zur Selbstvergewisserung anregen. Zugleich schuf die höfische Curiositas einen Freiraum, der eine zwecklose Beschäftigung mit der Natur erst ermöglichte. Wie schnell diese Vorstellungen überholt und unzeitgemäß wurden, zeigt die rapide Veränderung der Strategien, denen die Einrichtung der Tiergärten folgte: der Vergleich des Zoos von Wien, der sich ja rühmen darf, der älteste der Welt zu sein, mit Berlin macht diesen Wandel deutlich: In

the ‘Book of Nature’.” 6 The separation of nature and history are to be abolished there very romantically in the aesthetic show. “The point of view,” Schelling wrote, “which the philosopher artificially formulates of nature is the original and natural one for art. What we call nature is a poem, which remains hidden in mysterious and wonderful writings. But the puzzle could be solved if we could recognize the odyssey of the spirit in it, which deceives wonderfully, searching for itself, fleeing from itself, because the sense only appears through the world of senses as through words, the fantasy land only as through subtranslucent fog, for which we are striving.” 7 The perception of nature is puzzle and self-image at the same time. The sensation-seeking, whose parents are Curiositas and fantasy and which accompanies all of these passages, never exists abstractly; it transforms itself over the course of time, reflects the encoding of consciousness, projections and the ways of looking at things, the result of which it – also – is. But sensation-seeking is always a mutual reflection and a crossing of the borders of oneself as curiosity too. “Pure sensation-seeking, sensation-seeking in itself does not exist. Sensation-seeking only exists in its transformations, because it is always directed at the new, unheard of and never seen. Sensation-seeking is only manifested in an object, which it works through and changes playfully as itself and the view that controls it.” 8 In agreement with Agamben, we could define humans as the animal, which goes into museums, cinemas and exhibitions and amuses itself in viewing them. 9 The exhibition of animals is probably rooted in an allegorical viewpoint; the exhibited specimens refer as representatives to multifaceted creation and its unity in the mutual reflection of microcosmos and macrocosmos. The animals were – also – read as signs and copies, and they were supposed to stimulate our being as reflections to practice self-reassurance. At the same time, the courtly Curiositas created leeway, which made pointless dealing with nature possible in the first place. How quickly these ideas became outmoded and dated is shown by the rapid change of strategies, which the facilities of zoos followed. The comparison of the zoo in Vienna, which can claim to be the oldest in the world, with Berlin makes this change clear. In the Vienna zoo, created from the menagerie of Maria Theresia and characterized by the courtly-imperial air for the longest time, the first animals were introduced in 1752: elephants and later wolves and bears too. The general populace was only allowed to peep at the animals shortly before the death of the empress and only when “properly dressed”. On the other hand, the Berlin zoo was a bourgeois endeavor and dedicated to providing entertainment in the metropolis. 10

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den Wiener Zoo, entstanden aus der Menagerie Maria Theresias und die längste Zeit vom höfisch-imperialen Gestus geprägt, ziehen 1752 die ersten Tiere ein: Elefanten, später auch Wölfe und Bären. Das Volk darf erst kurz vor dem Tod der Kaiserin und nur „ordentlich gekleidet“ zum Tiere gucken kommen. Der Berliner Zoo dagegen war eine bürgerliche Gründung und von Anfang an der großstädtischen Unterhaltung verpflichtet.10 Zoologische Gärten sind Schnittstellen, die von dem Leben der eigenen mit der je anderen Art zeugen. Ihre Gestaltung wirft das Selbstverständnis einer Gesellschaft, die ihren Platz in der Evolution immer neu definieren muß, auf sie selbst zurück. Der Zoo ist eine komplexe Inszenierung der sich wandelnden Kulturmodelle, die in der ungefährdeten Wahrnehmung des Schönen, des Fremden, des Kostbaren bereits modernes Konsum- und Freizeitverhalten prägen und hervorbringen. Nicht zufällig sind Kaufhäuser, Tiergärten und Museen Produkte derselben Zeit; die Tiere wurden in den Zoos präsentiert wie die Waren in den Schaufenstern und die Kunstwerke in den Museen, wo wir mit Herder „ohne National-, Zeit-, und Personalgeschmack das Schöne kosten, wo es sich findet …“ 11 All diese Errungenschaften des 19. Jahrhunderts bilden gleichsam neue ideologische Landschaften aus – in aller Willkürlichkeit. „Ihr Repertoire besteht aus Elementen, die einer gewachsenen Ordnung entzogen, bestimmten Klassifikationslogiken unterworfen und für die Öffentlichkeit inszeniert wurden. So entsteht eine künstliche, universal gültige Ordnung, in der die Exemplare jeder Tier- und Pflanzenart, jeder Gattung, letztlich alle je her vorgebrachten Dinge und Gedanken ihren Platz zugewiesen bekommen.“12 Und wie im Museum widerstreitende (Welt)bilder einträchtig nebeneinanderhängen, so lagert im Tiergarten der Löwe neben dem Lamm. Auch der Zoo ist ein dynamisches Tableau, in der eine Welt aller Zeiten, aller Weltenräume gleichsam organisch neben- und ineinander gebaut wird und existiert, der Stilpluralismus der Bauten und Gehege legt davon Zeugnis ab. Diese Paradiesvorstellung, die die zoologischen Gärten umrahmt, wird ganz aufklärerisch begleitet von Erziehungsgedanken, und Erziehung soll ja auch dereinst ein zumindest kleines Paradies auf Erden ermöglichen (vice versa sollen auch die Tiere im Zoo erzogen und ihrer grausamen Animalität entrissen werden) – und die Natur, die nach und nach ein starker Wert wird, ist dabei die beste Lehrerin. Zugleich lenkt die Natur ab vom Alltagskampf und gemahnt an unveränderliche Lebensprozesse. So heißt es aus anonymer Quelle anläßlich der Gründung des zoologischen Gartens in Frankfurt: „Von den politischen und socialen Kämpfen des Lebens wendet sich jeder mit Befriedigung zu der Betrachtung der Natur, um im

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Zoos are interfaces, which produce life from the life of some in another way. Their design reflects the self-understanding of a society, which must continually redefine its place in evolution. The zoo is a complex setting in scene of a changing model of culture, which characterizes and highlights modern consumption and recreation behavior in unendangered perception of the beautiful, the strange and the precious. It is not by chance that coffee shops, zoos and museums are all products of the same time; animals are presented in zoos like goods in display windows and artworks in museums, where we savor “the most beautiful without national, temporal or personal taste where it exists …” as Herder postulated it. 11 All of these achievements of the 19th century create a new ideological landscape at the same time – with all its arbitrariness. “Its repertoire is composed of elements, taken out of an organic order, subjected to specific classification logic and staged for the public. As a result, an artificial, universally valid order is created, in which the specimens of each animal and plant species, each genus, in the end all presented things and thoughts are assigned their places.” 12 Similar to in a museum where contradictory (world) views hang harmoniously next to each, a lion is kept next to a lamb. A zoo is also a dynamic tableau, in which a world of all eras, all environments are constructed and exist more or less organically next to and within each other; the pluralism of styles of the structures and enclosures bear witness to this. The idea of paradise, for which a zoo provides the setting, is accompanied informatively by educational objectives, and education is also to enable at least a small paradise on Earth one day (vice versa, the animals are to be disciplined in a zoo and their cruel animalism eradicated); and nature, which is becoming a strong value over time, is the best teacher for this. At the same time, nature distracts our attention from everyday struggles and reminds us of the unchangeable processes of life. For example, an anonymous source from the founding of the zoo in Frankfurt states: “Everyone turns to the consideration of nature with satisfaction and away from the political and social struggles of life to find refreshment and new strength in looking at and recognizing nature’s creations and eternal laws.” 13 As art, nature stimulates “everyone, regardless of his or her level of education, equally attractive and wonderful, equally inexhaustible and eternally anew” 14, according to an optimistic reference in the “Vossischen Zeitung” at the founding of the Berlin zoo. And the bourgeois zoo founders announced full of hope that the consideration of the animals would teach you in a pleasurable way “the basic conditions for reasonable execution of your life’s purpose” and the time spent in free nature shall cause “the general


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Anschauen und Erkennen ihrer Schöpfungen und ewigen Gesetzte Erquickung und neue Stärkung zu finden.“13 Wie die Kunst so regt auch die Natur „jeden, auf welcher Bildungsstufe er auch stehe, gleich anziehend und wunderbar, gleich unerschöpflich und ewig neu“ 14 an, so eine optimistische Referenz in der „Vossischen Zeitung“ zur Gründung des Berliner Zoos. Und hoffnungsfroh verkünden die bürgerlichen Zoogründer, dass die Beobachtung der Tiere, die auf vergnügliche Art „die Grundbedingungen zur verständigen Durchführung ihrer Lebenszwecke“ lehren und der Aufenthalt in der freien Natur „das Volk langsam, aber nachhaltig versittlichen und einsichtsreifer werden“ lässt. Den endlosen grauen Häuserschluchten, der Tristesse des Mietwohnungen in den modernen Metropolen stellten sich die zoologischen Gärten als exotische Refugien entgegen, als ob sie mit dem Großstadtgetümmel jenseits der Mauern nichts zu tun hätten. Wildnis und Weltstadt schienen durch die Gittertore, bewacht von steinernen Elefanten und marmornen Löwen säuberlich geschieden. Doch wie die Gittertore waren und sind diese Trennlinien porös und durchlässig, wobei die Gegensätze ineinander umschlagen können – der Zoo wird dann zur wohlgeordneten Stadt, die Metropole zur exotischen Wildnis, zum Großtadtdschungel. Eine Umkehr, die schon Benjamin beschreibt, wenn er sich in der „Wildnis um den großen Stern“ in Berlin verirrt 15. Auch die Anschauung der Tiere, der Landschaften selbst war infiziert von den Klischees, den Imaginationen des Fremden, wie sie das städtische Publikum als Gegenbild ausbrütete, ganz von ihrer urbanen Vorstellungswelt geprägt – ein unauflösliches Ineinander widerstreitender Bilder und Codes. Dem hektischen Großstadtleben, dem Tumult, den Sinnesreizen stellen sich die zoologischen Gärten also nicht nur als Erziehungsanstalt gegenüber. Sie stillen auch – und ziemlich ungefährlich – den Erlebnishunger, den das öde Alltagsleben gebiert. Die Anforderungen des modernen Lebens finden in der Freizeit und der Frage, was sinnvolle Freizeitbeschäftigung sei, ihren Kontrapart. Die Großstadt – der Ort der Eingriffe von Steinbrener/Dempf – ist Brenn- und Kristallisationspunkt des modernen Lebens und seiner Grundlagen: Arbeitsteilung, Produktion, Tausch, Konsum. Der anstrengende Lebensrhythmus und die monotone Arbeit giert nach Kompensation, nach Freizeit, Freiheit und Abenteuer. In den sich rapide entwickelnden Metropolen, mit ihren raschen Wechseln von äußeren und inneren Eindrücken, fällt es natürlich schwer, der Signaturenlehre zu vertrauen, die in der Zeichenschrift der Natur die Offenbarung Gottes zu entziffern vermag. Mit Simmel wird der Mensch ein Umhergetriebener, den Schocks der Wahrnehmungsüberflutung ausgesetzt. Die Umwelt wird zu einer beweglichen Leere, in der der Pas-

populace to become more moral and have a more mature view of matters.” A zoo as an exotic refuge contrasts with the endless, gray street canyons, the misery of rental apartments in modern metropolises as if the zoos had nothing to do with the hustle and bustle of large cities on the other side of their walls. Wilderness and metropolis seem cleanly separated by the grated gates guarded by stone elephants and marble lions. But similar to the grated gates, the separating lines were and are porous and permeable, whereby the contradictions can become reversed: the zoo becomes the wellordered city and the metropolis an exotic wilderness, a big city jungle. This is a reversal that Benjamin already described when he lost his way in the “wilderness around the big star” in Berlin 15. The looking at animals, the landscape itself was infected by the clichés, the imagination of the other, as it hatched out the urban public as contrasting picture, completely characterized by its urban world of imagination – an irreconcilable interconnection of conflicting images and codes. Consequently, zoos are not only contrasted to hectic city life with its tumult and sensory stimuli as educational institutes. They also satisfy – and without danger to a great extent – the hunger for experience, which tedious everyday life begets. The demands of modern life find their counterpart in recreation and the question about what meaningful recreational activity is. The big city – the place of the interventions of Steinbrener/Dempf – is the focal and crystallization point of modern life and its basic principles: division of labor, production, exchange and consumption. The strenuous rhythm of life and monotonous work craves for compensation, for spare time, freedom and adventure. In the rapidly developing metropolises with their quickly changing impressions from outside and within, it is of course difficult to trust the doctrine of signatures, which pretends to decode the Revelations in the signal elements of nature. Simmel postulates people as wayless wanderers at the mercy of the shock of a flood of perceptions. The environment becomes a mobile emptiness, in which passersby move; trust in the metaphysical harmonia naturae has long since ceased to exist. Both – always strangely linked – moments, the hunger for sensory stimuli and the breakdown of the idea of a harmony of nature and culture to be found in new “natural” spaces such as zoos form the starting point of the six interventions of the artist duo Steinbrener/Dempf. Subversive and clever, without fear of clearness, without “artificial” mystification, the curiosity about the enclosed ideas of pictures in zoos is put in its place. The expectations of an idyll, paradise-like intact nature, collaborate in the setting into scene. Flotsam of civiliza-

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