More than Honey. Vom Leben und Überleben der Bienen

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Markus Imhoof, geboren 1941 in Winterthur

(Schweiz), ist Regisseur und Drehbuchautor und gehört zu den wichtigsten Filmemachern in der Schweiz. Sein Spielfilm Das Boot ist voll wurde für den Oscar nominiert. Er ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin sowie der Academy of Motion © Anne-Cristine Jansson

Picture Arts and Sciences USA. Markus Imhoof lebt und arbeitet im Zürcher Oberland und in Berlin.

Claus-Peter Lieckfeld, geboren 1948 in

Hanstedt, ist neben Horst Stern Mitbegründer des Umweltmagazins Natur. Neben zahlreichen Veröffentlichungen in GEO, Die Zeit, National Geographic, für den WWF u.a., schrieb er auch Radio-Features und ist Autor zahlreicher Sach­

© Christian Kaiser

bücher.

Das weltweite Bienensterben ist kein Mysterium und keine Naturkatastrophe. Es ist die Summe all dessen, was wir den Bienen antun. Sie sterben an Pestiziden, an Überzüchtung und an Parasiten, mit denen sie ohne uns nicht zu kämpfen hätten. Die Bienen sterben am Menschen und seinen Versuchen, ein perfektes System zu verbessern. Im Buch More Than Honey zeigen Markus Imhoof, Regisseur des gleichnamigen Dokumentarfilms, und Journalist und Autor Claus-Peter Lieckfeld, wie Menschen in aller Welt von und mit der Honigbiene leben: im idyllischen Alpental, im Labor, auf horizontweiten Monokulturen – und in Gegenden, wo Bienen nicht mehr als Bestäuber zur Verfügung stehen. Sie porträtieren ein Verhältnis von Mensch und Biene, das es wieder ins Gleichgewicht zu bringen gilt, weil sich unsere Lebensbedingungen sonst radikal verändern werden.

ISBN 978-3-936086-67-6

www.orange-press.com

More Than Honey

Die Autoren

Markus Imhoof Claus-Peter Lieckfeld

Seit einigen Jahren alarmieren Meldungen über das Verschwinden der Honigbiene. Die Verluste betreffen uns alle: Ohne die Biene als Bestäuberin fielen dreißig Prozent der globalen Ernte aus.

Markus Imhoof Claus-Peter Lieckfeld

More Than Honey

Mensch und Honigbiene leben seit Jahrtausenden in enger Verbindung. Doch jetzt sterben die Bienen, weltweit – und Imker und Wissenschaftler rätseln, warum. Es geht dabei um mehr als Honig, es geht um die Welternährung. Ohne die Bestäubungsleis­tung der Bienen wäre ein Großteil der globalen Nahrungsmittelproduktion gefährdet. In More Than Honey stellen die Autoren Markus Imhoof und Claus-Peter Lieckfeld unsere kleinsten Nutztiere vor und zeigen, wodurch ihr Leben gefähr­det wird. Dazu lassen sie die menschlichen Protagonisten des gleichnamigen Dokumentarfilms zu Wort kommen – darunter einen Großimker, der jedes Jahr Zehntausende Bienenvölker in Trucks quer durch die USA transportiert; eine Züchterfamilie, die Bienenköniginnen in die ganze Welt verschickt; und eine Pollenhändlerin in China, wo Menschen Apfelbaumblüten unterdessen von Hand bestäuben.

Vom Leben unD Überleben Der Bienen

More Than Honey präsentiert Hintergründe zum Superorganismus Honigbiene, die nicht weniger faszinierend sind als die Bilder des Films.

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More Than Honey Vom Leben unD Ăœberleben Der Bienen

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Markus Imhoof | Claus-Peter Lieckfeld: MORE THAN HONEY – Vom Leben und Überleben der Bienen Freiburg: orange-press 2013 © Copyright für die deutsche Ausgabe 2013 bei orange Alle Rechte vorbehalten.

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Gestaltung: Katharina Gabelmeier Lektorat: Undine Löhfelm, Torben Pahl Gesamtherstellung: Westermann Druck, Zwickau Der Film MORE THAN HONEY von Markus Imhoof ist eine Koproduktion von zero one film, allegro film, Thelma Film und Ormenis Film Im Text angegebene URLs verweisen auf Websites im Internet. Der Verlag ist nicht verantwortlich für die dort verfügbaren Inhalte, auch nicht für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität der Informationen. ISBN: 978-3-936086-67-6 | www.orange-press.com

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Inhalt

Vorwort 9 Der Mensch lebt nicht vom Brot allein Die Biene im Big Business 17 Millionengeschäft mit Massentransport | Rätselhafter Bienentod | Nervengifte, Genmais und die Folgen | Indianerbienen Die Biene in der heilen Welt 39 Bienenrassen | Die Brutbiologie der Bienen | Bestäubung | Nektar, Pollen, Honig | Faulbrut und andere Krankheiten | Wesensgemäße Bienenhaltung | Der Schwarm | Biene und Wachs als Kulturbildner Die Biene im Labor 57 Der Bienenflug | Bekannte und unbekannte Sinne | Der Schwänzeltanz | Navigation nach Landkarte | Das Berufsleben der Biene Die Biene nach Wunsch 77 Zuchtziele und Zuchtverfahren | Bruder Adam und die Buckfast-Biene | Das Bienen- und das Imkerjahr | Die Honigernte | Propolis Der Mensch als Biene 129 Menschen als Ersatzbestäuber | Die Varroamilbe erobert die Welt | Gelée Royale | Bienen in der Stadt | Die neuen Imker Die Biene als ungezähmte Kraft 145 Mythos »Killerbiene« | Honig von Killerbienen | Imkern im Kampf mit der Milbe | Ein Gegner für Varroa destructor? Die Biene der Zukunft 163 Ein Erdteil ohne Varroa | Schlüsselfaktor Immunstärke | Verwandtschaft als evolutionäres Prinzip | Wildbienen und ihre Lebensräume

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Die Entstehung des Films More Than Honey 179

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Was die Neue Zürcher Zeitung am 24. Mai 2012 meldete, hätte es noch vor Kurzem nicht auf die vorderen Seiten der renommierten Schweizer Zeitung geschafft: »Bienenschmuggel aufgedeckt – Acht­ zig illegal importierte Bienenvölker vernichtet.« Was war passiert? Ein knapp dreißigjähriger Deutscher war Zollfahndern ins Netz gegan­gen, als er sogenannte Kunstschwärme – kiloweise aus ande­ ren Völkern ent­nom­mene Bienen mit separat verpackter Königin – ohne Grenzkont­rolle und damit illegal anbieten wollte. Unter den zwanzig Imkern, die er via Internet aus der Schweiz ins deutsche Grenz­gebiet gelockt hatte, befand sich auch ein Scheinkäufer vom Verein deutschschweizerischer Bienenfreunde. Der ließ den Deal in dem Moment auffliegen, als Cash gegen Bienen getauscht werden sollte. Plötzlich schwärmten nicht Bienen aus, sondern Grenzwäch­ ter. Und sie machten Beute. Die Zollfahndung Zürich stieß bei ihrer Aktion auf achtzig Schweizer Käufer, deren illegal importierte Völker sogleich restlos vernichtet wurden. Eine hohe Dunkelziffer nicht er­ mittelter Käufer blieb bestehen. Warum wurden die Völker umgebracht? Und wieso machte man so viel Aufhebens wegen eines Geldwerts von 135 Franken pro Bienen­ volk? Ausnahmsweise ging es der Zollfahndung in dem Fall nicht ums Geld. Es geht um den Fortbestand der Schweizer Bienenwelt. Illegal importierte Völker könnten Seuchenträger sein, könnten dem Bienensterben, das auch hier grassiert, mit weiteren Ausbruchsher­ den Vorschub leisten. In manchen Regionen der Schweiz haben bis zu siebzig Prozent der Bienenvölker den Winter 2011/2012 nicht überlebt. In Deutschland sind es nach Expertenschätzung bis zu einem Drittel der Völker – rund 300.000 von insgesamt rund einer Million –, die den Winter nicht überstanden haben.1 Auch in den USA sterben seit 2006 jährlich durchschnittlich ein Drittel aller Bienenvöl­ ker. Bei der Eurbee, einem internationalen Kongress von Bienenfor­

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Vorwort

»Der Bienenstaat gleicht einem Zauberbrunnen; je mehr man daraus schöpft, desto reicher fließt er.« Karl von Frisch

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein

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schern in Halle Anfang September 2012, hat Professor Robin Moritz bei seiner Eröffnungsrede vor dem weltweiten Zusam­menbruch der Bienenpopulationen gewarnt. Wenn jährlich siebzig Prozent der Kühe sterben würden oder auch nur dreißig Prozent der Hühner, würde überall der nationale Not­ stand ausgerufen. Der Tod der Bienen ist aber mindestens so drama­ tisch, ja folgenreicher. Die Biene ist unser kleinstes Nutztier. Im Spit­ zen­jahr 2007 hat sie uns weltweit eine Rekordmenge von 1,4 Millio­ nen Tonnen Honig eingebracht. Aber es geht bei der Frage nach den Konsequenzen dieser Entwicklung um viel mehr als nur um Honig, um More Than Honey. Eine erfolgreiche Bestäubung ist Voraussetzung dafür, dass Früchte geerntet werden können. Von den wichtigsten hundert Nutzpflanzen­ arten der Welt werden mehr als siebzig Prozent von Bienen bestäubt. Eine Kolonie Honigbienen kann täglich bis zu sieben Millionen Blü­ ten besuchen. Kaum vorstellbar, was ein Wegfall der bee power be­ deuten würde; was wäre, wenn die Honigbienen, deren Leistung die Menschheit seit Jahrtausenden kostenlos in Anspruch nimmt, es nicht mehr täten. Bienen sind für dreißig Prozent der globalen Ernte ver­ antwortlich, und wenn sie ausfielen, müssten wir auf jeden dritten Bissen verzichten. Es geht um nicht weniger als die Welternährung. Der Teller sähe trist aus ohne Bienen: Es würde vieles von dem feh­ len, was bunt, duftend, verführerisch ist. So unterschiedliche Pflan­ zen wie Äpfel, Kirschen, Spargel, Sojabohnen, Pfirsiche oder Gurken sind auf die Bestäubung durch Bienen angewiesen – insgesamt fast einhundert Obst- und Gemüsesorten. In einem Hamburger wäre kein Salat, keine Zwiebel, kein Ketchup und Fleisch von Kühen, die nie Klee gefressen haben. Übrig bliebe das Brötchen, dessen Weizen vom Wind bestäubt wird – die »Sättigungsbeilage«. Auf der Suche nach den Ursachen, warum uns die Honigbienen welt­ weit zu Milliarden und Abermilliarden verlassen, erfährt man nicht den Grund, sondern Gründe: Krankheiten, darunter solche, die sich epi­demisch ausbreiten; Agrargifte; Verarmung der Blütenlandschaft, also Hunger; aber auch sich verändernde klimatische Bedingungen und eine Schwächung der natürlichen Widerstandskraft der Bienen.

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Die Mehrzahl der Experten ist der Meinung, dass es die Summe vie­ler verschiedener, sich gegenseitig verstärkender Angriffe auf ihr Im­ mun­system ist, die schließlich katastrophale Lücken in die Welt­po­pu­ lation der Bienen reißt. Viele Imker sehen den Schuldigen vor allem in den Pestiziden. Wis­sen­ schaft­ler konnten nachweisen, dass 2008 im Rheintal über 11.000 Bie­nen­völker durch ein nikotinähnliches Nervengift, das bei der Mais­ aussaat verwendet wurde, umgekommen sind oder massiv geschä­ digt wurden. Am 10. März 2011 reagierten die Vereinten Nationen mit einer Stel­ lungnahme auf die Krisensituation: »Durch systemi­sche Insektizide, wie man sie beispielsweise zum Samenbeizen verwendet, die von den Wurzeln in die gesamte Pflanze und auch in die Blüten wan­ dern, können blütenbestäubende Insekten möglicherweise einer dau­erhaften Gifteinwirkung ausgesetzt sein. […] Laboruntersuchun­ gen haben gezeigt, dass diese Chemikalien einen Verlust des Orien­ tie­rungssinns bewirken können, dass sie das Gedächtnis und die Stoff­­wechselvorgänge im Hirn beeinträchtigen und zum Tod führen können.«2 Der UNO-Welternährungsbericht sagt zwar, dass die Menschheit nur mit einer kleiner strukturierten Landwirtschaft zu ernähren sei. In der Realität jedoch findet weiterhin das Gegenteil statt, weil Monokulturen rationeller zu bewirtschaften sind. Alle totalitären Systeme können nur mit einer brutalen Polizei überleben, im Fall der Monokulturen sind das die Pestizide. Sie halten die Schädlinge in Schach, die sonst ideale Lebensbedingungen vorfinden würden. Gift im Essen und Bienenverluste sind die Kollateralschäden, die da­ bei in Kauf genommen werden. Die Methoden der intensiven Land­ wirtschaft zur Rationalisierung und Effizienzsteigerung werden ger­ ne damit gerechtfertigt, dass die Welternährung anders nicht zu garantieren sei. »Die Menschheit hat sich der Illusion hingegeben, im 21. Jahrhundert durch technischen Fortschritt unabhängig von der Natur zu sein.«, so Achim Steiner, Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen.3 Zynisch formuliert, stellt sich also die Frage: Wollen wir gesund verhungern oder vergiftet überleben?

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Es gibt jedoch auch Experten renommierter Bieneninstitute, zum Beispiel Dr. Peter Rosenkranz von der Landesanstalt für Bienenkunde der Universität Hohenheim, die nicht der Agrochemie die Schuld am Bienensterben geben: »Der wichtigste Faktor ist Varroa, der zweit­ wichtigste Varroa, dann kommt Varroa.«4 Sicher ist, dass diese aus China eingeschleppte Milbe der Honigbiene seit Ende der 1970er-Jahre entscheidend zu schaffen macht. Sie bei­ ßen sich bevorzugt an der Brut fest und leben vom Blut der Bie­nen. An den Bissstellen dringen außerdem Viren ein, welche die Flü­gel ver­kümmern lassen. Übertragen auf menschliche Proportionen ent­ spräche der Blutsauger der Größe eines Kaninchens. Die immensen Ausfälle im Volk führen zu Arbeitskräftemangel und damit zu schlech­ ter Brutversorgung und mangelnden Futterreserven. Das Volk wird schwach und kollabiert schließlich. Und mit ihm die Milbe? Leider nein. Schwächelnde Völker werden von anderen, stärkeren ausge­ raubt – wo sonst ließe sich Nektar leichter einsammeln, als da, wo er fertig verarbeitet eingelagert liegt. Den Raubzug nutzt allerdings auch die Varroa als Mitreisegelegenheit und zieht mit den Räubern in deren möglicherweise noch nicht infizierten Stock ein. Darüberhinaus gibt es noch ein knappes Dutzend schwerwiegender Krankheiten und Parasiten, welche die Honigbiene begleiten und von den Imkern mit zum Teil belastenden Medikamenten im Zaum gehalten werden. Kann das alles zusammen das Phänomen erklären, das unter dem Na­men Colony Collapse Disorder (CCD) bekannt geworden ist, das den plötzlichen Zusammenbruch kompletter Bienenvölker bezeich­ net? Vor allem in den USA, aber auch in Europa sind Imker seit eini­ gen Jahren damit konfrontiert, dass ihre Völker ohne jede Spur ein­ fach verschwinden. Auf gut mit Honig und Pollen gefüllten Waben sitzt nur noch die Königin mit ein paar wenigen Bienen. Alle andern sind weg, es sind auch keine Ammenbienen mehr da, um die verlas­ sene Brut zu füttern. Aber es liegen keine Bienenleichen im Stock, auch nicht vor dem Flugloch oder in der Nähe der Bienenkästen. Sie sind verschwunden, scheinbar grundlos, ohne vorausgehende Krank­ heitssymptome, und tauchen auch nirgendwo anders wieder auf.

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Angesichts der dramatischen Entwicklung beschäftigt sich weltweit eine wachsende Anzahl von Wissenschaftlern mit den Problemen der Honigbiene – in der Ursachenforschung und auf der Suche nach Lösungsansätzen. Auch manche Imker befassen sich mit Alternati­ ven zur konventionellen Bienenhaltung, um die natürlichen Lebensund Vermehrungsgewohnheiten der Tiere in den Mittelpunkt zu stel­ len. Es besteht Hoffnung, dass die Bienen auf diese Weise gestärkt werden, um aus eigener Kraft besser mit belastenden Umweltfak­ toren zurechtzukommen als schwache, »zahmgezüchtete« Bienen, die vollkommen auf flankierende Maßnahmen von Menschenhand angewiesen sind. Dabei halten sich die Bienen ohne menschliches Zu­tun schon seit mindestens 80 Millionen Jahren auf dem Planeten, vielleicht länger. Über diesen Zeitraum haben sie sich nicht nur an die ständige Verän­ derung ihrer Umwelt angepasst, sondern auch die Abläufe ihres Zusammenlebens perfektioniert. Bereits das älteste in Bernstein konservierte Exemplar rechnen Experten einer staatenbildenden Art zu. Straff organisiert, diszipliniert, effizient: Es ist kein Wunder, dass die Menschen schnell begriffen haben, was für ein hervorragender Kooperationspartner dieses Tier ist. Anders als ein Ackergaul oder ein Lastelefant muss die Biene nicht zu etwas gezwungen werden, was sie von sich aus nicht tun würde. Alles, wovon wir profitieren – Süßigkeiten herbeischleppen und die Voraussetzungen für erfolg­ reiche Ernten schaffen – tut sie sowieso und besser, als wir es ihr je bei­bringen könnten. Der Mensch muss nur ein bestehendes, funktio­ nierendes System kontrollieren. Doch jetzt wird offensichtlich, dass gerade die menschlichen Eingriffe in dieses funktionierende Sys­ tem es destabilisiert haben. In den USA soll ein Sechstel aller Bienenvölker von nur 308 Königin­ nen abstammen, was zu einer massiven Verarmung der genetischen Vielfalt geführt hat. Das weltweite Schwächeln der Honigbienen hat auch damit zu tun, dass der Genpool der Bienen immer weiter reduziert wurde. Die absolute Fokussierung vor allem auf Fleiß und Sanftmut ging auf Kosten der Lebensfähigkeit, der Vitalität. Wie der Film More Than Honey begleitet das gleichnamige Buch

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Menschen, die mit, für und von den Bienen leben: Groß­unternehmer, Imker, Züchter und Wissenschaftler. Es zeigt Menschen, die Bienen Tausende von Kilometern über den Kontinent fahren, sie mit der Post in die ganze Welt verschicken, sie durch Rassereinheit schützen möchten, ihnen ins Hirn schauen oder versuchen, sie durch die eige­ ne Arbeitskraft zu ersetzen. So unterschiedlich und zum Teil absurd die jeweiligen Herangehensweisen erscheinen, ist doch allen Beteilig­ ten gemeinsam, dass sie ihre Bienen lieben – und trotzdem geht es schief. Es wäre fatal, wenn das jahrtausendealte Verhältnis zwischen Mensch und Biene zu einem Krieg zwischen Zivilisation und Natur würde.

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1 vgl. »Milbe verbreitet tödliches Virus unter Bienen«, SpiegelOnline, www.spiegel. de/wissenschaft/natur/bienensterben-milbe-verbreitet-toedliches-virus-unter-bienen-a837744.html, 8. Juni 2012 2 United Nations Environment Programme (Hrsg.), UNEP Emerging Issues: Global Honey Bee Colony Disorder and Other Threats to Insect Pollinators 2010, S. 7 (übersetzt vom Autor) 3 »Bienensterben wird zum globalen Problem«, SpiegelOnline, www.spiegel.de/ wissenschaft/natur/uno-bericht-bienensterben-wird-zum-globalen-problem-a-750139. html, 10. März 2011 4 Richard Friebe, »Volk der Bienen, quo vadis?«, faz.net, www.faz.net/aktuell/ wissen/natur/bienensterben-volk-der-bienen-quo-vadis-1622343.html, 6. April 2011

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Es war einmal ein Imker, der im winzigen, winterkalten Blackfoot in Idaho, USA, darüber nachdachte, wie er die lange arbeitsfreie Win­ter­ zeit am besten nutzen könnte. Außerdem schien ihm der Gedan­ke verlockend, dass in wärmeren Gegenden die Flug- und Arbeits­zeit von Bienen naturgemäß länger sein müsste. Vielleicht, dachte sich der Mann, ließen sich seine Bienen vor Kälteeinbruch ins ferne, aber warme Kalifornien verfrachten, wo sie über ihre normale Jah­ resschicht hinaus Honig sammeln könnten. Das war 1894, der Mann hieß Nephi Ephraim Miller und gilt heute als Pionier der US-Wander­ imkerei im großen Stil. Nach einem erfolg­reichen Probelauf verlud er seine Völker in den kommenden Jahren jedes Jahr kistenweise auf die Eisenbahn und sah mit Freuden, dass sie an der Westküste gute Erträge einflogen – zu einer Jahreszeit, zu der sie daheim noch im Halbschlaf auf den Frühling warten würden. Es hätte N. E. – unter diesem Kürzel kennt ihn jeder, der sich für die große Geschichte des Geschäfts mit den Bienen in den USA interes­ siert – sicherlich noch mehr gefreut zu erfahren, dass sein Urenkel John in seine Fußstapfen treten würde. Mehr noch, John machte den Weg, den sein Urgroßvater als Erster einschlug, zum Highway. Aber davon lässt sich nicht berichten, ohne neu anzusetzen: beim kalifornischen Mandel-Imperium. Achtzig Prozent aller Mandeln, die weltweit verzehrt werden – sei es roh oder geröstet, gemahlen oder zu Marzipan verbacken – wer­ den in Kalifornien geerntet. Im Handelsjahr 2011/2012 schickte der Sonnenstaat mehr als 453 Millionen Kilogramm in den Export. China, Spanien, Deutschland, Indien und die Vereinigten Emirate sind die größten Abnehmer, und zu fünft teilen sie allein 53 Prozent der Gesamtmenge unter sich auf. Mehr als 76 Millionen Kilogramm gin­gen nach China, 222 Millionen Kilogramm blieben für den USBinnenmarkt.

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Die Biene im Big Business

Millionengeschäft mit Massentransport | Rätselhafter Bienentod | Nervengifte, Genmais und die Folgen | Indianerbienen

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Die Biene im Big Business

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Um eine so gewaltige Ernte einzufahren, muss zuvor in entsprechend gewaltigen Dimensionen bestäubt werden. Dreiviertel aller Bienen­ völker, die auf dem Gebiet der USA leben, um die 93 Milliarden Ein­ zelbienen, sind in gut vier Wochen im Februar und Anfang März un­terwegs, um auf rund 3.000 Quadratkilometern Mandelblüten zu bestäuben. Eine Armada von Lkws ist auf Achse, um sie in Scharen über Land zu fahren, in einer vom Menschen terminierten und ausgeführten Völ­ kerwanderung. Die durchschnittliche US-Biene braucht ihre Kondi­ tion darum nicht nur für die normale Bienenarbeit, sondern vor allem für den stressi­gen Transport auf den schier endlosen Highways. Es gibt Wander­imker aus Florida, die ihre Bienen im Februar nach Kalifornien zur Mandelblüte fliegen, anschließend nach Washington State zur Apfel- und Kirschblütenbestäubung, danach quer durch die USA zurück nach Florida zur Zitrusbefruchtung, dann abermals nach Neuengland in die blueberries und schließlich zur Überwinte­ rung zurück nach Florida. Einer der großen Bestäubungsunternehmer und Honigproduzenten der USA ist N.E. Millers Urenkel John, Jahrgang 1954. Honey reimt sich bei ihm auf money, dass wird schnell klar, als der durchtrainier­ te Hobby-Marathonläufer aus dem 310-Seelen-Nest Gackle in North Dako­ta von seinem Geschäft erzählt. Miller ist einer, der seine Bie­ nen liebt; seine dancing ladies nennt er sie. Gleichwohl beutet er sie aus. Er lebt diesen Widerspruch, weil sein Business anders nicht funk­tionieren würde: Ein gigantischer Verschleiß an Tierleben ist der integrierte Kollateralschaden. Die Miller‘schen Bienen, die unter permanenter Temperaturkontrol­le in Kartoffelkellern in Idaho überwintern, werden zwei Wochen vor der Mandelblüte aus ihrer Winterruhe geweckt. Es ist Januar, wenn ein Gutteil der 15.000 Bienenvölker per Sattelschlepper aus dem Winterlager in Idaho über den Donner-Pass zur Bestäubung nach Kalifornien verfrachtet wird, und die Fahrer müssen nicht selten Schneeketten anlegen. Von Ende Januar an verteilt Millers Mann­ schaft die Völker auf einer 200-Meilen-Strecke zwischen Modesto und Chico in schier endlosen Mandelbaumreihen. An den Bäumen

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ist noch kein Blatt, die Blätter kommen erst nach den Blüten. Und dann heißt es gebannt warten, bis diese aufgehen. Die Bienen bekommen so lange Zuckerwasser vorgesetzt. Wenn es so weit ist beginnt der Bestäubungseinsatz. Normalerweise würden die Tiere an dem neuen Ort erst Orientierungsflüge unternehmen. Aber die Bienen von John Miller haben sowieso keine Wahl, als die sie umgebenden Mandelbäume anzufliegen. Es gibt weit und breit keine andere Blüte. Ab Mitte Februar ist das wellige Land blütenrosa. Am 1. März stehen die Mandeln in Hochblüte, und gut zwei Wochen später beginnen die pollination guys eilig, ihre Völker wieder einzusammeln und ab­ reisefertig zu machen. Die Mandelfelder sind extre­me Monokulturen, alles, was da sonst noch blühen und Bienen er­näh­ren könnte, wird akribisch weggespritzt – schon deshalb, damit sich die Bienen nicht von anderen Blüten ablenken lassen. »Sie sollen das tun, wofür sie be­zahlt werden, Mandelblüten bestäu­ben«, sagt Mil­ler, der pro Volk im Mandeleinsatz bis zu 150 Dollar kassiert. Multipliziert mit 15.000 Völkern macht das für vier Wochen Bestäubungs­dienst 2,25 Millio­ nen Dollar. Für die Mandelbarone der Westküste sind das 28 Prozent ihrer Ge­ samtproduktionskosten. Das mag viel sein, aber es gibt keine ande­ ren »Arbeitskräfte« oder Maschinen, die diese Arbeit zu vergleich­ baren Kosten leisten könnten. Nur mit der Honigbiene lassen sich punktgenau solche wohlorganisierten Heere von Zeitarbeitern auf­ stellen. Miller hat auch dafür einen dieser Kommentare, die ihn zum favorite bee guy of America gemacht haben, zumindest bei der Presse und als Talkshowgast: »Bestäubung ist ein Hurenjob: Ich kom­ me nachts, trage Schleier, sie bezahlen mich, ein paar Wochen spä­ter rufen sie mich an und sagen, ich soll mich gefälligst wieder vom Acker machen!« Wenn die Völker nach getaner Arbeit von Kalifornien aus wei­ter­ trans­­portiert werden, gilt es Hitzeschlachten zu bestehen. »Man kann eine Lastwagenladung voller Bienen in zwei Stunden totko­ chen«, sagt Miller, »etwa wenn die Fahrzeuge in einen Stau geraten oder mit Motorschaden liegenbleiben.«

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Die Trucker fahren fast nonstop, halten nur selten, und dann meist, um Wasser über die Schutzplanen zu spritzen, unter denen die Kis­ ten mit den Bienen fest verzurrt liegen. Die Fahrer trinken so wenig wie möglich, um auch noch Pinkelpausen einzusparen. Jeder Trans­ port ist ein Wettlauf mit dem Tod: Würde – bienenschonend – nur in den kühleren Nachtstunden gefahren, könnte man nicht genug Strecke machen und so die Tiere durch die Gesamtdauer on the road überfordern. Also brettert man auch unter praller Sonne da­ hin. Das wiederum können die Völker nur dann überstehen, wenn bei hoher Reisegeschwindigkeit genug Fahrtwind unter die Halte­ netze fasst. Es ist ein Knochenjob für Menschen und für die Tiere genauso. Aber man habe keine Wahl, sagen die bee guys. Keine Wahl haben auch die mexikanischen Wanderarbeiter, die das Spritzgeschäft in den Mandelplantagen erledigen. Gespritzt wer­ den vor allem Fungizide, Antipilzmittel, ohne die Kaliforniens gigan­ tische Mandelmonokultur auf der Stelle einknicken würde. Wie für alle Monokulturen gilt, dass sich spezialisierte Schadorganismen ex­ ponentiell vermehren können, wenn ihr Wirt quasi unbegrenzt zur Verfügung steht. Schilder an den Zufahrtswegen machen darauf aufmerksam, dass ein erhöhtes Krebsrisiko in Kauf nimmt, wer die Plantage betritt. Die Warnhinweise stehen nicht zum Schutz der Arbeiter da – die we­ nigsten der Mexikaner können Englisch –, sondern um Schadenser­ satz­forderungen abzuwenden. Mit den Mandeln ist es wie anders­ wo auch, wo Landwirtschaft im wirklich großen Stil betrieben wird, einerlei ob man Tiere in Ställe pfercht oder Pflanzen auf Äckern aus­bringt: Ohne unterstützende Agrochemie geht nichts mehr. Gespritzt werden muss in die offene Blüte, also tagsüber, wenn die Zeitarbeitsbienen unterwegs sind. Nachts würden sich die Spritzmann­ schaften verirren. Dass die Sammlerinnen mit dem Nektar die Wirk­ stoffe eintragen, die Pilze und deren Sporen abtöten, spielt unter Renditegesichtspunkten allenfalls eine sekundäre Rolle: Mandelblü­ tenhonig ist sowieso so gut wie ungenießbar und wird in den Waben belassen, geschädigt wird »nur« die Bienenbrut, die der FungizidHonig beeinträchtigt oder sogar umbringt. Aber im Mandelgeschäft

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ist es ökonomischer, die Verluste der Imker »einzupreisen«, als auf brachiale, bienenschädliche Spritzmittel­einsätze zu verzichten. Miller selber stöhnt: »Es ist ein Pakt mit dem Teufel.« Das Geschäftsjahr von Miller ist eine eng gestaffelte Abfolge von Transporten, Bienenarbeitseinsätzen, der Prozedur des »Splitting«, knapp bemessenen Ruhepausen und Überwinterung. Während der kurzen Winterruhe werden von John Miller die Ge­ schäftsbedingungen für die kommenden Einsätze ausgehandelt. Sogenannte bee broker (Bienenmakler) vermitteln dabei zwischen Nachfragern, zum Beispiel den Mandelproduzenten Kaliforniens und den Pfirsichbauern in Georgia auf der einen, und Dienstlei­ stern, den Bienenhaltern in den ganzen USA, auf der anderen Seite. Es geht um viel Geld. »I hear the sound of money«, sagt Miller, wenn seine Bienen in die Mandelfelder ausfliegen, und dieser Klang des Geldes ist ein Summ- und Brummton, wie ihn nur Bienen anstim­men können. Meist zu Beginn der Bestäubungsperiode trifft Miller irgendwo in den endlos scheinenden Baumreihen Kaliforniens seinen Freund MacIlvaine, einen Mandelfarmer, mit dem er schon seit vielen Jahren zusammenarbeitet. Die almond guys und mehr noch die bee guys sind wertkonservative Leute. Richtige Freundschaften sind es nicht, aber erprobte Ge­schäftspartner werden nicht fallengelassen, nur weil irgendwo irgendwer eine Handvoll Dollars mehr verspricht. Und viele Bienenhalter sind nicht nur wert-, sondern stockkonserva­ tiv. John Miller gehört zwar nicht dazu, er hat sich aber trotzdem erheblich über eine Wählerinitiative »Imker für Obama« aufgeregt. Ein bee guy ist Republikaner, punktum! Was Miller nicht davon ab­ hält, dem Demokraten Obama vorzuschlagen, Bienen­stöcke aufs Weiße Haus zu setzen. Miller ist groß im Wanderimkergeschäft, jedoch nicht der Größte in der Branche. Das ist sein Kollege Richard Adee aus dem Nachbar­staat South Dakota, der 23.000 Völker besitzt und sie ähnlich wie Miller über die Highways bewegt. Wenn die Mandelblüte sich dem Ende zuneigt, rollt ein Teil der Miller‘schen Trucks vom Südwesten der USA ganz in den Norden an

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die kanadische Grenze zur Honigproduktion. Ein anderer Teil derer, die die Mandelbestäubung überlebt haben, bleibt vorerst in Kalifor­ nien, um »gesplittet«, also geteilt zu werden. Teilen ist das, was Imker rund um die Welt machen, wenn aus einem Volk zwei oder gar mehrere werden sollen. Aber Teilen ist nicht gleich Teilen; die Idee zum »Splitting unter Einsatz eines Förderbandes« kam Miller beim Fitnesstraining auf dem Laufband. Der Eingriff findet im Maßstab industrieller Tierhaltung statt, und es handelt sich dabei wohl um die größtmögliche Belastung, die Bienenvölkern zustoßen kann. Die Bienenkästen werden auf ein För­ ­derband gestellt, eine automatische Bürste wischt die Bienen weg, und eine Klinge kratzt Wachs ab, damit die Wabenrahmen leichter entnommen werden können. Dann separieren südafrikanische Gast­ arbeiter, die in ihrer Schutzkleidung aussehen wie Michelin-Männ­ chen, die Rahmen und sortieren sie je nach Art: Rähmchen mit Eiern, Rähmchen mit Arbei­terinnenbrut und Rähm­chen, die eingelagerten Nektar und Pollen enthalten. Andere Arbeiter verteilen die Rah­men – und zwar so, dass jeweils von »allem« etwas dabei ist – am Ende der Förderbandstraße in neue Kästen, die ansonsten leere Rahmen enthalten. Die sollen die Bienen jetzt neu bevölkern. Dann werden jeweils eimerweise Bienen darübergeschüttet. Meist handelt es sich dabei um Bienen, die sich zu Beginn vor den Schabern in Sicherheit gebracht haben und in Klumpen unter der Decke der Überdachung oder in den Bäumen kleben. So werden aus einem Volk im Handumdrehen vier. Lebensfähig ist so ein neues Kunstvolk aber erst, wenn ihm nach zirka drei Tagen eine noch unbefruchtete Königin implantiert wird. Miller kauft sie bei einem Züchter. Die »alte« Königin überlebt die Separierungstor­ tur in aller Regel nicht. Falls sie sich doch noch in einem der vier Bie­ nenhaufen befindet, bekämpft sie sich mit der neuen Königin, bis nur noch eine der beiden übrigbleibt. Diese gewaltsame Art der Völkervermehrung – etwa, als würde man das Haus einer Großfamilie oben aufreißen, die Menschen heraus­ greifen und wahllos mit Fremden auf neue Wohnungen verteilen, auf dass sie dort als neue »Familien« weiterleben – unterbindet auch

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den Drang der Bienen, zu schwärmen. Nach dieser Tortur gönnt Mil­ ler ihnen einen kurzen Erholungsurlaub inmitten kaliforni­scher Berg­ blumen, wo dann die neuen Königinnen auf Hochzeits­flug fliegen. Aber sobald sie Eier legen, müssen die Völker auf den 2.700 Kilome­ ter langen Rückweg nach Gackle, North Dako­ta, wo sie Honig für eine Marke namens »Dutch Gold Honey« sammeln. Ein Geschäfts­ partner von Miller ist der Ex-Radsportprofi Lance Armstrong, derzeit Triathlon-Athlet, der pikanterweise für gesundes Doping per HonigEnergizer wirbt, wenn er nicht gerade zu Dopingvorwürfen ganz anderer Art Stellung nehmen muss. Die Honigproduktion in den Som­mermonaten ist sozusagen der Zweitjob der Bienen – das große Geld fliegen sie in ihrer Hauptbeschäftigung als Bestäuber ein. In seinem Heimatort ist Miller nicht der Überflieger des US-Bienen­ geschäftes, nicht der TV-Plauderer und pointensichere Kommenta­ tor der Bienen- und Imkerwelt, sondern ein normaler Mitbürger. Ein hochgeschätzter allerdings, dazu noch ein Wohltäter, der sich für Jugendsport und eine lebendige Nachbarschaft engagiert. Das Land um sich herum nennt Miller »widow land«, es gehört zu gro­ ßen Teilen den Witwen von Farmern, die in der Mehrzahl deutsche Namen tragen. Bechtle, Bader, Müller, Dewald, Kaiser, Schüler heißen die Familien. Ihre Vorfahren haben vor einigen Generatio­nen die Imkerei und die Bienenfreundlichkeit aus der europäischen Heimat mit­gebracht. Seine Völker bei »den Deutschen« einzustellen ist für Miller naheliegend, aber wegen der Weite des Landes auch nicht ganz unkompliziert – ein logistisches Puzzlespiel. Und auch hier, fernab von den großen Monokulturen, sind die Bie­ nen Bedrohungen ausgesetzt, den »drei Ps«. Gemeint sind damit pestici­des, parasites and pasture loss – Insektengift, Parasiten und fehlen­des Blütenangebot durch Weidelandverlust. Pestizide und ihre Nebenwirkungen nehmen die meisten US-Bürger als gottgegeben hin, etwa wie die Erdanziehungskraft oder den Kapi­ talismus. Im Land der bis zum Horizont reichenden Anbauflächen gilt Landwirtschaft ohne Agrochemie als fast so unmöglich wie Wach­s­­tum ohne Sonne und Wasser. Big ist immer noch best – und big geht nun mal nur mit chemischem Flankenschutz. Das mag schon

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Naturwabe.


»Zitat ...«

John Millers Bienen bekommen Zuckerwasser – mit Antibiotika versetzt.

Zitierter/Bildzuschrift



Pollenhändlerin Zhang Zhao Su erklärt ihr Geschäft: In Südchina Apfelblüten kaufen ...

... den Pollen herauslösen ...

... abwiegen ...

... und in Tütchen verpacken, die dann im Norden verkauft werden.


Bestäubung von Menschenhand in Nordchina.


»Zitat ...« Zitierter/Bildzuschrift


ÂťKillerbienenÂŤ in Arizona.


Arbeiterinnen helfen der Königin beim Schlüpfen.

Hochzeitsflug. Nach der Begattung ...

... hat die Drohne ihre Aufgabe erfüllt und stirbt.


Arbeiterinnenlarven in den Brutwaben.

Schon als Larve von der Varroa befallene Bienen schlüpfen mit verkrüppelten Flügeln.

Die Varroamilbe am Bienenkörper.


Honigwaben von ÂťKillerbienenÂŤ.


Im Jahr 1956 holte der schottische Zoologe und Bienenforscher Warwick Estavam Kerr 120 Bienenköniginnen der Art Apis mellifera scutellata aus Südafrika nach Brasilien, wo bis dato überwie­gend die Italienische Honigbiene Apis mellifera ligustica vertreten war. In einem Labor 130 Kilometer westlich von Rio de Janeiro begannen er und sein Team mit Kreuzungsversuchen von Scutellata mit Ligus­ ti­ca. Dass deren Ergebnisse eines Tages als »Killerbienen«-Zucht weltweit zu zweifelhaftem Ruhm gelangen würden, war zu dem Zeit­punkt nicht absehbar. Hintergrund für Kerrs Experimente war ein Auftrag der Brasiliani­ schen Regierung: Man suchte eine Biene, die mit den lokalen Klima­ verhältnissen besser zurechtkommen sollte als die importierte Rasse der Europäischen Honigbiene. Apis mellifera ligustica war bis ins 15. Jahrhundert weder in Nordnoch in Südamerika bekannt. Erst europäische Auswanderer und Siedler brachten das Insekt auf ihren Schiffen mit in die Neue Welt. Die abendländischen Honigbienenrassen, gewöhnt an milde konti­ nentale oder mediterrane Bedingungen, »funktionierten« auch in der Neuen Welt, zeigten sich aber im tropischen bis subtropischen Klima deutlich leistungsschwächer als in ihrer Heimat. Und so suchte Warwick Kerr knapp fünfhundert Jahre später nach einer Lösung, um dieses Manko zu beseitigen, indem er eine weniger hitzeanfällige afrikanische Biene mit europäischen Stämmen kreuzte. Er hoffte, die positiven Eigenschaften beider Rassen in einer Biene zu vereinen – die Sanftmut der europäischen und die Wärme­to­le­ ranz der afrikanischen Bienen. Das Ziel war eine leistungsfähige Biene, die dem Klima Südamerikas trotzen sollte. Kerr war durchaus darauf bedacht, seine Bienen nicht in die freie Wild­bahn entwischen zu lassen. Aber auch ein Test-Bienenvolk kann nicht in vollkommener Isolation gehalten werden. Bienen sind da­

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Die Biene als ungezähmte Kraft

Mythos »Killerbiene« | Honig von Killerbienen | Imkern im Kampf mit der Milbe | Ein Gegner für Varroa destructor?

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Die Biene als ungezähmte Kraft

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rauf angewiesen, dass die Arbeiterinnen Nahrung in Form von Nek­ tar und Pollen heranschaffen. Um zu verhindern, dass sich die neuen Hybridbienen ausbreiten, ließ Kerr spezielle Gitter vor den Fluglö­ chern anbringen – gerade weitmaschig genug, dass sich Arbei­ter­ bienen noch hindurchzwängen konnten, nicht aber die etwas grö­ ßeren Drohnen und Königinnen. Das schien sicher genug: Da sich nur diese Geschlechtstiere vermehren können, hätte die Absperr­ maßnahme normalerweise verhindert, dass dieses Bienenexperi­ ment unkontrolliert in die Freiheit gelangt – wenn nicht eines Tages ein besonders tierfreundlicher Mitarbeiter Kerrs das Gitter entfernt hätte. Ihm hatte es leid getan, dass die kleine Öffnung den Samm­ lerinnen bei der Heimkehr die Pollenhöschen auszog! 36 Königin­nen schwärmten aus und bauten eigene Völker auf. Und kurz danach begatteten deren Drohnen wiederum die ortsansäs­ sigen Ligustica – die unkontrollierte Kreuzung der beiden Rassen war eröffnet. Die Nachkommen kamen mit dem tropischen Klima hervorragend zurecht. Doch zum allgemeinen Entsetzen zeigten sie und ihre Nach­ folgegenerationen nicht die relative Sanftmut der afrikanischen Scutellata und schon gar nicht die ausgeprägte Sanftmut der euro­ päischen Ligustica-Drohnen, aus deren Erbgut sie hervorgegangen waren. Paradoxes Resultat war vielmehr: Mild + mild = wild. Die Afrikanisierten Honigbienen (AHB), wie der neue Mix bald genannt wurde, verteidigten ihren Stock mit einer Heftigkeit, die überraschte. Und erschreckte! Während bei den europäischen Tie­ ren meist nur wenige Wächterbienen den potenziellen Feind an­ greifen – Menschen oder Bären, die es auf die Lebensversicherung des Stocks, auf die Honigvorräte, abgesehen haben –, attackieren die Afrikanisierten Bienen zu Hunderten und verfolgen den An­ greifer über einen Kilometer und mehr. Tausende von Jahren der Domestizierung schienen wie weggeblasen. Es war ein wenig, als hätte man eine phlegmatische europäische Schoßkatze mit einer sanften ägyptischen gekreuzt und eine Wildkatze erhalten, die nicht einfach nur buckelt und faucht, sondern sofort mit ausgefah­ renen Krallen zuschlägt und beißt.

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Kerr und seine Kollegen versuchten, der Ausbrecher habhaft zu werden und sie zu vergiften. Aber die Geschwindigkeit, mit der sich ihre Züchtung ausbreitete, ließ ihnen keine Chance. Mit 300 bis 500 Kilometer pro Jahr eroberten die Afrikanisierten Honigbie­ nen den Kontinent, enterten die mittelamerikanische Landbrücke und nahmen von den 1980er-Jahren an die südlichen Staaten der USA ein. Im Jahr 2005 hatten sich die killer bees auf durchschnitt­ lich 700 Kilometer Breite, von Südkalifornien bis fast zum Mississip­ pi und mittlerweile auch in Florida, angesiedelt. Die hohe Ausbreitungsgeschwindigkeit hat wesentlich mit der Flug­ leistung der afrikanisierten Drohnen zu tun. Sie starten früher am Nachmittag und bleiben mehrere Stunden länger in der Luft als ihre europäische Konkurrenz. Außerdem fliegen sie schneller und sind so eher am Ziel, wenn sich eine paarungsbereite Königin zeigt. Kerr war ein junger Wissenschaftler von dreißig Jahren, als er ver­ sehentlich zum Vater des »Bienendesasters« wurde. Und er ver­ brachte bis ins hohe Alter einen Großteil seiner Zeit damit, die Hintergründe des Vorfalls zu erklären und Imker, Wissenschaftler und die Öffentlichkeit zu beschwichtigen. Aber er versuchte auch, in Brasilien wieder Sanftmut einzukreuzen. In einem Interview zum fünfzigsten Jahrestag des Killerbienen-Ur­ knalls im Jahr 2005 erklärte Kerr, warum diese Bemühungen schei­ terten: Die brasilianischen Imker machten nicht mit. Sie hatten sich schnell daran gewöhnt, dass die Afrikanisierten mit sechzig bis achtzig Kilogramm pro Jahr und Volk deutlich mehr Honig eintru­ gen als die Europäerinnen, bei denen fünfzig Kilogramm schon als sehr gute Leistung gelten.1 Die zusätzlichen Ausgaben für bessere Schutzkleidung und effektivere Räucherapparate, um gegebenen­ falls angreifende Bienen abzuwehren, fallen demgegenüber nicht wirklich ins Gewicht. Brasilien katapultierte sich in Kürze von nirgendwo zum sechst­ größten Honigexporteur der Welt, nach China, USA, Argentinien, Mexiko und Kanada (Stand von 2012). Besonders im Nordosten des riesigen Landes wurde Imkerei zu einem wichtigen volkswirtschaft­ lichen Faktor – in einer Region, in der zuvor die Europäerinnen nur

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schmale Erträge eingeflogen hatten. Und so erscheinen sogar die gesamtgesellschaftlichen Kosten im größten Flächenstaat Südame­ rikas plötzlich relativiert: »Früher«, so Kerr, »kamen in Brasilien im Schnitt 125 Menschen jährlich durch Insekten ums Leben, 25 davon durch Bienen. Durch unsere Bienenzüchtung stieg die Zahl auf 195 Bienentote. […] Wir haben allein in São Paolo an einer bestimmten Straße fünfmal so viel Verkehrstote jährlich.«2 Kerr erinnert sich noch lebhaft an den Umschwung von seinem »Frankenstein-Bienenzüchter-Image« zum Nimbus des Wohltäters: »Bis Anfang der 1970er-Jahre passierte es mir oft, dass auf Kon­ gressen die Ehefrauen von Imkern mit den Finger auf mich zeigten und ihren Kindern sagten: ›Das ist der böse Mann, der die Killer­ bienen gezüchtet hat!‹ So um 1974/75 kippte das dann plötzlich, und die Frauen sagten: ›Das ist der Mann, der unsere Landwirt­ schaft gerettet hat. Papi konnte sich wegen ihm einen neuen Trak­ tor kaufen, geh hin zu ihm und sag danke schön!‹«3 In den US-Südstaaten, die in den 1980-Jahren von Mexiko aus »kolo­ nisiert« wurden, gewannen die Killerbienen schnell den Status staats­ feindlicher Armeen. Ob mit oder ohne politischen Subtext – Furcht, Hysterie und Grusel versprechen allemal gute Geschäfte, und so wurde das Genre der Horrorfilme um die Unterabteilung Killerbie­ nen-Filme erweitert. Der japanische Film Genocide – Die Killerbie­ nen greifen an war 1968 ein früher Vertreter, etwas später folgten Terror aus den Wolken (1978) und Der tödliche Schwarm (1978), der mit beeindruckender Starbesetzung aufwarten konnte: Neben den Bienen wurden Michael Caine und Henry Fonda aufs Publikum losgelassen. Das Kinoplakat zeigte einen überdimensionierten Bie­ nenschwarm in Form und Größe eines Monster-Wirbelsturms, der bedrohlich über einer typischen amerikanischen Skyline schwebt. Es war die Zeit des Kalten Krieges und kein Klischee platt genug, um die Landsleute auf den Angriff aus dem Reich des Bösen (Killerbie­ nen bzw. UdSSR) auf die Helden des Guten (USA) vorzubereiten. Auch Jahre später taugte das Motiv noch für Variationen, mit An­ griff der Killerbienen (1995), Mörderischer Schwarm (2002) oder dem deutschen Film Die Bienen – Tödliche Bedrohung (2008).

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Auch in den Nachrichten stechen Killerbienen-Attacken – in Groß­ aufnahme zur besten Sendezeit einem Millionenpublikum vorge­ flimmert – noch mehr in die öffentliche Wahrnehmung als etwa Flächenwaldbrände oder herabfallende Kokosnüsse, die jeweils mehr Todesopfer in den USA fordern als Bienenattacken. Doch zugleich bremst das alles nicht die Nachfrage nach den leis­ tungsfähigen Honigproduzenten. »Jedes Jahr«, so Kerr, »kommen Imker aus den USA [nach Brasilien] und wollen unsere Bienen kau­ fen. Das machen wir aber nicht; die Einfuhr ist sowieso verboten.« Von diesem Widerspruch – einerseits panische Furcht vor den »Killern«, andererseits kaum verhohlene Begehrlichkeiten, wenn es um ihre Leistungen geht – hatte auch Regisseur Markus Imhoof erfah­ ren. Er beschloss, für sein eigenes »Bee Movie« die Kamera auch auf die Afrikanisierten zu richten. Konnte nicht in dem, was fast durch­gängig als Bedrohung wahrgenommen wurde, sogar ein Stück­ chen Rettung stecken – etwa für das Problem des weltweiten Bienen­ sterbens? In Fred Terry fand der Regisseur einen Südstaaten-Imker, zu dessen Lebensgeschichte die killer bees die Titelmelodie summen. Terry stammt aus dem südlichen Arizona und sieht aus, als sei er der Zwil­ lingsbruder von Burt Lancaster. Er ist ein charismatischer, guter Er­ zähler, geschult durch zahlreiche Vorträge und mehr noch durch seine Auftritte als Countrysänger – ein Glücksfall für einen Filme­ macher auf der Suche nach Protagonisten, die unangestrengt und präzise auf den Punkt erzählen können. Terrys Geschichte mit den sogenannten Killerbienen hat viele Poin­ ten. Es begann damit, dass er Anfang der 1990er-Jahre mitansehen musste, wie seine »guten«, zahmen Europäischen Bienen im heimi­ schen Oracle, Arizona, von Bienenkrankheiten und vor allem von Attacken der Varroamilbe arg gebeutelt wurden. Und weil er zur selben Zeit von »bösen« Bienen, tief im Süden, in Brasilien hörte – Bienen, die zwar wild, aber erstaunlich widerstandsfähig gegen Milben und andere Bienenquälgeister sein sollten –, wurde er hell­ hörig. Wie böse konnten Bienen sein, die sich gut gegen Epidemien aller Art hielten?

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