Herzbrechhotel

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Conny Habbel Franz Adrian Wenzl

HERZ BRECH HOTEL



Conny Habbel Franz Adrian Wenzl

HERZ BRECH HOTEL Mit einem Nachwort von Robert Pfaller



Hotel KUMMER Hotel FREMD Hotel ANGST Hotel ZORN Excelsior Hotel ERNST Hotel ZWEIFFEL Pension HUNGER Hostel BLUES Pension TRAUER Hotel LEIDEN Hotel TROST Hotel VERLOREN Landhaus TROST Pension FLUCHT







Eisbären

Zimmer 28, Ende des Ganges, sagt das Zimmermädchen, und durch die Tür rein! Darauf besteht sie: Durch die Tür! Als gäbe es hundert andere Arten, ein Hotelzimmer zu betreten. Als bestünde die Gefahr, dass ich ein Loch durch die Mauer stemme, um ins Zimmer zu gelangen, oder dass ich mich ganz flach mache und unter der Tür durchgleite. Der Raum selbst ist unauffällig. Türen, Tisch und Kasten in dunklem Furnier, die Wand gelbstichig, nur eine Seite des Doppelbettes bezogen. Vom Bild, das über dem Bett hängt, sind die Gäste, so das Zimmermädchen, immer alle begeistert. Immer. Alle. Es zeigt zwei rangelnde Eisbären, von denen einer, der kleinere, ein Eisbärenbaby noch, auf dem Bauch des größeren steht und von dessen starken Tatzen gehalten wird. Süß, sage ich. Ja, strahlt das Zimmermädchen – die Frau ist übrigens gut sechzig vorbei –, das habe ich mir gedacht, dass sie sagen werden, das Bild ist süß. Das sagen alle.

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Erwin und ich (und jeder, der Lust hat)

Das Wetter hält, es ist leicht bewölkt, wir haben einen Cateringservice engagiert. Die Getränke hat mein Cousin besorgt, er ist im Gastgewerbe und hat Konditionen. Erwins Vater hält dann eine Rede. Er sagt, es ist ein wichtiger Teil des Erwachsenwerdens, sich von seinen Träumen zu verabschieden, und er ist stolz darauf, dass wir uns von unseren Träumen verabschiedet haben und also erwachsen geworden sind. Meine Mutter grinst, sie ist auch stolz, aber nicht auf so einen Blödsinn. Eine Dame kommt und fragt, was wird denn hier gefeiert, aber wir sagen, das geht sie nichts an. Ganz höflich: Wir bitten Sie um Entschuldigung, aber das ist nicht Ihre Sache, das geht Sie nichts an. Als sie weg ist, sagt Erwin, die war sicher von der Regierung. Ich sage, das glaube ich nicht. Später versuchen einige Buben in den Bus zu spähen. Erwins Schwester verjagt sie. Sie ist nicht sehr hübsch und angeblich zu dumm zum Arbeiten, aber Kinder verjagen kann sie: He, wisst ihr, wie ein Skorpion einen anderen Skorpion umbringt? Er treibt ihm einfach den Giftstachel zwischen die Ringe des Panzers und presst ihm dann langsam sein Gift rein, so macht er das. Manchmal bleibt ein Skorpion hängen dabei und kommt nicht mehr los von seinem Opfer. Tagelang schleppt oft ein Skorpion die Leiche eines anderen Skorpions an seinem Schwanz herum. Und wisst ihr was? Diese Leiche frisst er dann nach und nach! Was meint ihr, wollt ihr einen Skorpion sehen? Im Bus habe ich einen. Für alles andere ist sie zu ungeschickt, aber zum Kinder Verscheuchen ist sie ideal.

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Durchs wilde Kurdistan

Im Wandregal meines Hotelzimmers steht dunkel eine Latte Bücher: Ein Ratgeber Wie man im Roulette gewinnt, eine abgewetzte Sommerliebe auf Sylt als Bastei-Lübbe-Taschenbuch, ein Fotoband mit dem Titel Herzbrechhotel und grob geschätzte sechzig Bände Karl May, zur Zierde. Die Hinterlassenschaft eines aus dem Haus gewachsenen Hotelierssohns. Ein zweiter Blick zeigt, dass es sich bei den Mays um keine Gesamtausgabe, keine Auswahl handelt, sondern um sechzigmal ein und dasselbe Buch: Durchs wilde Kurdistan. Auf dem immergleichen Umschlag ist sechzigmal das immergleiche Pferd gemalt, ein sich aufbäumender dunkelbrauner Hengst, dessen linkes Vorderbein gut einen halben Meter länger ist als das rechte und anatomisch unmöglich geformt. Als hätte das Pferd ein zweites Knie. Ich weiß nicht wieso, aber mich regt so etwas auf.

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Safari

Wie ich aufs Zimmer komme, sitzt da unerwartet mein Schwager auf dem Bett. Wobei: Schwager ist ein wenig übertrieben, ich kenne seine Schwester seit zwei Monaten. Was machst du denn da?, frage ich überrascht. Ich bewundere deinen Bettvorleger, sagt er, und meint den fast noch lebendigen Leoparden. Ich habe nämlich das „Safarizimmer“ bekommen. Immerhin ist es nicht die rundum verspiegelte „Star Wars“-Suite, auch wenn ich auf den geschmalzenen „Erlebnis“-Aufschlag für Speere, Masken und Baströckchen gut verzichten hätte können. Ich habe mir gedacht, sagt mein Schwager, wenn du schon einmal in der Stadt bist, dann sollte ich dir ein paar Lokale zeigen. Wir haben da ein paar erstklassige Cocktailbars, und gleich hier ums Eck gibt’s eine super Tequila-Bar, zum Vorglühen. Klingt nach einem weiteren „Erlebnis“, auf das ich verzichten könnte. Wenn ich könnte. Mach dir nichts draus, sagt der Leopard, irgendwann erwischt es einen jeden.

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Tauben

Nicht zu vergessen, die Religionslehrerin, die immer vom Samen des Guten geredet hat, den wir säen sollten, indem wir nicht begehren unseres Nächsten Radiergummi. Beim Wort Samen haben wir jedes Mal gekichert, natürlich, aber das hat die Lehrerin nicht gestört, sie hat es gar nicht gehört. Sie war ausschließlich auf den Heiligen Geist fixiert: Für jede mit Wasserfarben gemalte Taube gab es ein Plus.

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England

Wir werden vom Personal per Handschlag begrüßt und ungläubig gemustert – so weit gereiste Gäste gibt es hier selten. Überhaupt Gäste. Das Zimmer ist nur durch ein hochkomplexes Labyrinth zu erreichen – Stiege rauf, Stiege runter, den Gang lang, links, rechts, links – und überraschenderweise japanisch eingerichtet, mit Matten am Boden, obwohl Japan ziemlich weit weg ist von hier. Aber von hier aus kommt einem alles ziemlich weit weg vor. Das sogenannte Zentrum, eine Dreiviertelstunde entfernt, unterscheidet sich in Nichts vom Stadtrand. Es gibt kein Rathaus, keinen Dom, kein Reiterdenkmal, nicht einmal ein Restaurant. Nur Pizzaecken. Bei Nebel und mit ein bisschen gutem Willen kann man sich vorstellen, man ist in England und versteht nicht, was die Leute sagen.

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Rückflug

Ein leichtes Ruckeln beim Abheben genügt und der Mann im Sitz vor mir fängt an zu schluchzen. Erst bringe ich das Schluchzen gar nicht mit ihm in Verbindung. Er sieht ganz normal aus, seriös, aber er heult Rotz und Wasser und stößt eigenartige hohe Laute aus. Eine Stewardess kommt, um ihn zu trösten und ihm den Rücken zu reiben. Zwischen den Lauten sieht er zu ihr auf und man merkt, dass er keine Ahnung hat, was da mit ihm passiert. Schließlich bringt ihn die Stewardess in die Business Class, wo sie sich besser um ihn kümmern kann. Die Frau neben mir schnaubt auf, also wollte sie sagen, tja, so geht es auch.

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Fotoverzeichnis Hotel ANGST Bordighera, Italien Umschlag, S. 26/27, 28, 102/103

Hotel LEIDEN Leiden, Niederlande S. 64/65

Hostel BLUES Bratislava, Slowakei S. 89, 104 (Ausblick)

Pension TRAUER Dresden, Deutschland S. 50/51, 76/77, 114

Excelsior Hotel ERNST Köln, Deutschland S. 8/9, 15, 25, 31, 55, 58, 66/67

Hotel TROST Köln, Deutschland S. 12, 62

Pension FLUCHT Paaren im Glien, Deutschland S. 19, 20/21, 34/35, 40/41, 47, 53, 60 (Anreise), 84/85 (Ausblick), 100

Landhaus TROST Bad Tölz, Deutschland S. 36

Hotel FREMD Stuttgart, Deutschland S. 16/17, 73, 99, 112/113, 118, 120/121 Pension HUNGER Dresden, Deutschland S. 38, 82/83 (Anreise), 86/87 (Anreise), 106 Hotel KUMMER Wien, Österreich S. 45, 68/69, 108

Hotel VERLOREN Lokeren, Belgien S. 90/91, 93, 94 Hotel ZORN Noordwijk aan Zee, Niederlande S. 70, 110/111, 116/117 Hotel ZWEIFFEL Euskirchen, Deutschland S. 10/11, 22, 32/33, 42/43, 48/49, 56/57, 74, 78, 80, 96


Conny Habbel Künstlerin und Fotografin, geboren 1979 in Regensburg, lebt in München und Wien. Internationale Ausstellungen und Publikationen in den Bereichen Bildende Kunst und Kulturtheorie. Habbel ist Herausgeberin der Interviewreihe Wie geht Kunst?, ihre inszenierten Fotoserien Courage!, Go and fight! und Home ist he place you left wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. www.connyhabbel.net Franz Adrian Wenzl Autor, Sänger und Musiker, geboren 1976 in Steyr, lebt in Wien und München. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. mit der Rockgruppe Kreisky und als Freddie-Mercury-Impersonator Austrofred. Zuletzt erschienen die Alben Trouble (mit Kreisky, Buback 2011) und Mass in Heavy Minor (mit King of Japan, Echokammer 2012) sowie das Buch Du kannst dir deine Zauberflöte in den Arsch schieben – Mein Briefwechsel mit W.A. Mozart (als Austrofred, Czernin 2010).



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