Artikel Magazin Himmelblau _ RedRockRegion

Page 1

Bergwerksbahnhof in Fond-de-Gras: wahrgewordener Traum aller Modelleisenbahner

Wo die rote Erde lockt Transitland? Oase für Steuerflüchtlinge? Von wegen. Luxemburg hat so viel mehr zu bieten – zum Beispiel stillgelegte Bergbaugebiete, die die Natur eindrucksvoll zurückerobert hat Text: Cornelia Höchstetter, Fotos: Thekla Ehling

U

nverhofft fängt das erste grüne Paradies gleich hinter Dudelange an – und stimmt ein auf die versprochenen Naturschutzgebiete mit ihren vielen Wanderwegen. Dudelange, 50 Kilometer südlich von Luxemburg-Stadt, verbreitet zwar den eher spröden Charme alter Industrieund Bergbauorte, aufpoliert durch quietschbunte Fassaden der alten Arbeiterhäuser. Knapp 20.000 Menschen leben hier. Verlässt man aber das Stadtzentrum, geht es bald bergauf. Schroffe Felswände begleiten den frisch geschotterten Wanderweg. Rein in den Wald, der Verkehrslärm verstummt, und weiter über einen Wiesenpfad. Bis auf fast 400 Meter geht es hoch. Zarte Grashalme wippen hin

84

und her. Und dann, von der nächsten Böschung aus, blickt man auf eine imposante rote Steilwand, die das Naturschutzgebiet Haard zerteilt. Diese Felsen geben dem Südwesten Luxemburgs den Namen: Land der roten Erde. Die aufsehenerregenden Steilhänge sind Überbleibsel des Tagebaus. Unverändert ragen sie auf, seit die Bagger abgebaut wurden, und das ist über 40 Jahre her. Wer genau hinschaut, entdeckt im roten Stein winzige glitzernde Punkte: Eisenerz, der Stoff, auf den die Grubenbesitzer scharf waren. Daraus wurde jener Stahl gemacht, der für Luxemburgs Reichtum sorgte. Bis in die Siebziger-

jahre war der Süden des kleinen Landes mit den gut 500.000 Einwohnern grau und staubig. Dann lohnte sich der Bergbau nicht mehr, der Erzabbau wurde eingestellt – und die Natur durfte ohne Pflanzplan wuchern. Wie zum Beispiel in der Haard. Oder im stillgelegten Tagebau „Giele Botter“ bei Differdange, durch den ein Themenweg führt. Oder im dritten Naturschutzgebiet der Region, im Ellergronn, nahe Esch sur Alzette, Luxemburgs zweitgrößter Stadt. ­Faszinierend, wie sich das Grün innerhalb von 40 Jahren seinen Raum zurückerobert hat. Aus den geschmolzenen Steinen der Brennöfen, der Schlackenhalden, wurden ausgewachsene Biotope. Eidechsen lieben die


Caroline Cantanhede sitzt schwindelfrei auf den roten Felsen, übrig aus der Zeit des Bergbaus und heute ein Wanderparadies.

Hitze zwischen den langsam verwitternden schwarzen Steinritzen. Diese frische, junge Natur zu erleben, eine im ­Werden begriffene Wildnis, oder – umgekehrt betrachtet – diese langsam verschwindende Kulturlandschaft zu erkunden, das macht den Weg ins Land der roten Erde so reizvoll. Zumal darüber hinaus Bergbau­ museen, Naturzentren, Kultur und die Städte Abwechslung versprechen.

Die wissen gar nicht, wie schön es hier ist Dieser Meinung ist – von Berufs wegen ebenso wie aus Überzeugung – auch die Luxemburgerin Caroline Cantanhede, 31. Sie ist zuständig für das vor eineinhalb Jahren neu geschaffene Tourismusbüro im Süden Luxemburgs: „Red Rock Region“. Ihre Familiengeschichte ist typisch für die-

sen Winkel von Luxemburg: Ihr Großvater stammt aus Italien, ihr Vater ist Portugiese – beide kamen einst wegen der Arbeit unter Tage. „Mein Großvater war immer stolz auf seine Arbeit, auch wenn er von der Hitze und der unvorstellbaren Anstrengung erzählte“, sagt Cantanhede. Luxemburg hat heute einen Ausländerteil von etwa 45 Prozent, die Menschen stammen aus mehr als 90 Ländern. Wegen der Lage zwischen Belgien, Frankreich und Deutschland gibt es drei offizielle Amtssprachen: Französisch, Deutsch und „Lëtzebuergesch“ (Luxemburgisch). Deshalb heißt Dudelange auch Düdelingen oder Diddeléng. Cantanhede, in Luxemburg-Stadt geboren, spricht so ziemlich alle Sprachen. Sie hat in Deutschland studiert, lebt in Kayl – und regt sich temperamentvoll auf, wenn der Süden unterschätzt wird. Denn was fällt einem beim Namen Luxemburg gewöhnlich ein? Banken. Die Hauptstadt selbst. Dass es sich um das weltweit einzige Groß-

herzogtum handelt. Zuckersüße Teilchen aus der Konditorei. Billiges Tanken, etwa in Wasserbillig, wo sich an einer Spritmeile 20 Tankstellen aneinanderdrängeln. Luxemburg als Gründungsmitglied der Europäischen Union. In Sachen Urlaub hingegen fallen allenfalls die Mosel oder die Ardennen ein. Gewiss, dies ist viel für ein Land, das gerade 50 mal 80 Kilometer groß ist. Aber ehemalige Bergbaugebiete als Natur- und Kulturparadies? „Die meisten Leute wissen gar nicht, wie schön es hier ist!“, sagt Caroline Cantanhede lachend. Deshalb zeigt sie den Besuchern gerne Fond-de-Gras. Der ehemalige Bergwerksbahnhof wandelte sich zum Freilichtmuseum mit Industrie- und Eisenbahnpark. In den Siebzigerjahren taten sich Modelleisenbahner zusammen und kümmerten sich um die Dampfeisenbahn. Jeden Sonntag raucht die alte Lok. Romain Wirtz ist einer der Gästeführer hier: weißer, kurz geschnittener Vollbart, die Base-

85


EN

HAARD

DEUTS

XE UR

G

FRA

Übernachten

CHLAND

MB

86

Mit dem Auto zum Beispiel von Köln nach Esch sur Alzette: 230 Kilometer, zweieinhalb ­Stunden.

RUMEL ANGE

LU

Pol Zimmermann passt in die Luxemburger Tausendsassa-Art: Einerseits Naturbursche, andrerseits liebt er die Stadt. Seine Stammkneipe ist das „Pitcher“ am Rande der Altstadt von Esch. „Die Leute von hier wissen, was Schwerstarbeit ist“, sagt der Mann, der die Einheimischen „Minetter“ nennt, ähnlich dem französischen „mineur“, Bergarbeiter. Diesen auf Luxemburgisch „Biergaarbechter“ genannten Menschen ist die Bronze­

Anreise

DUDEL A N GE

GI

G

„Die Natur ist stärker als der Mensch. Wer das nicht glaubt, kann ins Ellergronn kommen“, sagt Pol Zimmermann, 27, dichte dunkle Haare und eine markante Brille. Er ist mit Leib und Seele Förster und Naturführer im Naturschutzgebiet Ellergronn. Seit 1988 hatte die Natur hier Zeit, die Industriebrache zu verwandeln. Es hat geklappt. Die Artenvielfalt hat alle Chancen bekommen. Jetzt flattern Schmetterlinge umher. Der Mutterboden auf dem kalkig-rotsandigen Grund ist jung, Pol Zimmermann nennt es „Pionierrasen oder Trockenrasen“, eine Heimat auch für Orchideen. Zimmermanns grünes Reich ist 110 Hektar groß, das entspricht 153 Fußballfeldern. „Alles Schweizer Käse.“ Pol Zimmermann deutet auf die eingesunkenen Mulden und Löcher im Waldboden. Die alten Gänge des Bergbaus, genannt „Galerien“, wurden gesprengt oder fielen ein. Dort sammelte sich Wasser, und das Ellergronn hat jetzt viele Teiche. Mit Schilf, quakenden Fröschen sowie umgestürzten Baumstämmen – ein Zuhause für Pilze und Flechten.

U

GIELE BOTTER FONDDEGR AS DIFFERDANGE L ASAUVAGE ESCH SUR ALZETTE

ELLERGRONN

ballkappe tief im Gesicht. „Was ich den Leuten erzähle, kenne ich noch aus meiner Kindheit“, sagt der ehemalige Werkmeister aus Pétange. Er weiß, wie die Gegend zu ihrer grauen Zeit aussah, und er genießt heute die roten Felsen und die grünen Hügel.

B

G

UR

CHLAND

MB

NKREIC H

LUXEM BURGSTA DT

R

XE

FRA

PÉTANGE

L U X E M

BEL

BEL

LU

DEUTS

GI

EN

land & see

NKREIC H

Dudelange: Hotel Restaurant Cottage. Kleine, moderne Zimmer, DZ ab 60 Euro. Tel.: +352 52 0591, www.cottageluxembourg.com Esch sur Alzette: The Seven Hotel, schick, ab 120 Euro. Tel.: +352 54 0228, www.thesevenhotel.lu Lasauvage: Le Presbytère, ruhig und idyllisch, ab 95 Euro. Tel.: +352 26 5862, www.presbytere.lu

Wanderungen Sentier des Mineurs: Bergarbeiterpfad von Pétange-RodangeDifferdange, 29 Kilometer, Schilder: gelber Punkt im blauen Pfeil.

Café „Bei der Giedel“ (o.) in ­Fond-de-Gras. Platz an der Sonne vor den ehemaligen Arbeiterhäusern (u.).

Naturschutzgebiet Haard: auf ehemaligen Tagebauflächen zwei ausgeschilderte Lehrpfade ab Dudelange und ab Rumelange. Giele Botter: Naturschutzgebiet, sehr gut ausgeschildert ab ­Friedhof in Pétange (Parken am Bahnhof). Etwa sieben Kilometer. Naturreservat Ellergronn bei Esch sur Alzette: ab Besucher­ zentrum verschiedene ausgeschilderte Rundwege von drei bis zehn Kilometern. Karten: www.tourisme.geoportail.lu Infos: Tourismusbüro Luxemburg Süd, 28b rue Dicks, L–4082 Esch sur Alzette, Tel.: +352 54 73835991, www.redrock.lu

figur gewidmet, die in Esch auf dem Markt steht. Ein schmales muskelbesetztes drahtiges Bürschlein. Die Schinderei von damals hat geprägt. „Wir Südluxemburger haben einen komischen Charakter: stur, aber gleichzeitig freundlich. Von der Lunge auf die Zunge“, grinst Pol Zimmermann. Deshalb gibt es kaum eine Wanderung, bei der man nicht einen Einheimischen trifft – und Geschichten aus der alten Bergbauzeit hört.

Sonntags mit der Dampflok „Train 1900“ von Pétange nach Fond-de-Gras fahren. Erwachsene zahlen neun Euro, Kinder sechs. Zum Beispiel am: • 7. September: Tag der Offenen Tür • 27. September: Aktionstag „Anno 1900“ Infos: www.fond-de-gras.lu



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.