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Deutscher Film "24 Wochen" ist erster Berlinale-Beitrag einer Studentin 66. Berlinale 66. BERLINALE: Der deutsche Beitrag "24 Wochen" und andere Zeugnisse einer grausamen Welt. 1.
Julia Jentzsch und Bjarne Mädel in „24 Wochen“ Foto: friede Clausz Wenn eine Schwangere ihr Kind in der 24. Woche entbinden würde, käme es höchstwahrscheinlich lebend zur Welt. Entscheidet sich eine Frau für einen Spätabbruch, dann bekommt der Embryo im Mutterleib eine tödliche Spritze ins Herz. Danach muss die Mutter das tote Kind gebären. In Deutschland kann eine Frau für einen Abbruch nach der zwölften Woche entscheiden, wenn ihre eigene körperliche oder seelische Gesundheit stark gefährdet ist. Die Zahl der Spätabbrüche ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. 90 Prozent der Frauen, bei deren Kind das Down-Syndrom festgestellt wurde, entscheiden sich für einen Abbruch nach der 12. Woche. Warum? Egal, wie die Antwort lautet: Das ganze Leben wird danach nicht mehr sein wie vorher. In "24 Wochen", dem einzigen deutschen Film im Wettbewerb der Berlinale, beschäftigt sich Anne Zohra Berrached (33) mit jener extremen Entscheidungssituation, die der medizinische Fortschritt provoziert. Die Absolventin der Filmakademie Baden-Württemberg ist die erste Studentin, die es je mit ihrem Abschlussfilm in den Wettbewerb geschafft hat. Die Kabarettistin Astrid (Julia Jentzsch) und ihr Manager Markus (brillant: Bjarne Mädel) sind ein harmonisches Paar, sie haben schon ein Kind, die Karriere läuft, sie freuen sich auf das zweite. Als die Diagnose Down-Syndrom im vierten Monat kommt, dominiert erst die Zuversicht, aber nach und nach gerät die Sicherheit der Mutter ins Wanken. Im Versuch, die inneren Konflikte des Paares und der Mutter möglichst genau nachzuzeichnen, konfrontiert Berrached im Film ihre Schauspieler mit echten Hebammen und Ärzten und mit Informationen, die sie erst vor der Kamera erhalten. So entstehen teilweise dichte Bilder von
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Schmerz und Konflikt. Die wichtige Frage, wie es danach weitergeht, lässt der Film offen. Werbung
Als der italienische Filmemacher Gianfranco Rosi vor drei Jahren nach Lampedusa kam, da wollte er einen Zehnminüter über die Flüchtlingskatastrophe drehen, mit denen die ganze Welt den Namen der Insel verbindet. Rosi blieb länger. Tage und Nächte verbrachte er in der Welt eines Flüchtlingslagers. Einen Monat war er an Bord der Cigala Fulgosi, deren Besatzung versucht, Boote zu erreichen, bevor Menschen sterben. Auf Lampedusa traf er Menschen, deren Zuhause die Insel ist. Den kleinen Samuele, Tante Maria und Pietro Bartolo, den Inselarzt. Rosis Film "Fuocoammare" hat das Publikum der Berlinale am Samstag sehr berührt und ist ein früher Bärenkandidat – und wenn man sich bei der erwartbaren Kontroverse darum etwas wünschen könnte, dann vielleicht, dass er zur Primetime im Fernsehen liefe. Denn Rosi zeigt, was wir nur glauben, ohnehin zu wissen. Man kann einiges fragwürdig finden an der Erzählung, die als Dokumentarfilm rangiert. Zuallererst: Darf man sterbende Menschen zeigen? Nimmt die Kamera diesen Menschen, die da dehydriert, halb tot liegen und von Matrosen in Schutzanzügen versorgt werden, nicht das Letzte, was sie noch haben, nämlich ihre Würde? Allein bei den Worten von Pietro Bartolo könnte einem das Herz brechen, diesem Held im Arztkittel, der vor seinem Computer sitzt und niemanden anschaut, wenn er erzählt. : "Es brennt mir ein Loch in den Bauch, eine furchtbare Leere." 15 000 tote Kinder, tote Frauen, tote Männer. Jedoch hat Rosis Film einen Haken: Man kommt ins Zweifeln über den dokumentarischen Willen. Wenn er zum Beispiel die Flüchtenden zu Menschenlandschaften macht, zu einer ästhetisierten Karawane, eingehüllt in golden leuchtenden Isolationsdecken? Das Wettbewerbsprogramm macht am ersten Wochenende harte Schnitte, und so hat es das Drama "L’Avenir" (Die Zukunft) der französischen Filmemacherin Mia Hansen-Løve nach Rosis Realo-Schocker nicht leicht. "Ich dachte, Du liebst mich für immer und ewig", sagt Nathalie, als ihr Mann sie nach 25 Jahren für eine andere Frau verlässt. Es ist der Moment, in dem die Philosophie-Lehrerin (Isabelle Huppert) herauskatapultiert wird aus ihrer Welt, die so heil und sicher schien. Hansen-Løve porträtiert eine Frau, die ihre persönliche Vertreibung aus dem Paradies erlebt, während das Leben einfach so weitergeht. Nathalie verliert den Mann, die Mutter kommt ins Heim, ihr Verlag stellt ihre Essay-Reihe ein – zu gestrig. Immerzu ist Huppert von da an unterwegs, die Kamera folgt ihr, wie sie mit soldatisch beherrschter Miene im Stechschritt versucht, ihre Normalität am Laufen zu halten. Zur Ruhe zu kommen würde bedeuten, den Schmerz des Verlustes zu fühlen. "Oh, ein Paradies", sagt Nathalie, als sie ihren Doktoranden auf dessen Aussteigerhof besucht und es keine zwei Nächte aushält. Es ist nicht ihres. Mit poetischer Sprache und ergreifenden Schwarz-Weiß-Bildern taucht der Portugiese Ivo M. Ferreira seine Zuschauer in "Cartas da guerra" in ein Sehnsuchtsvollbad. Die Basis bilden die authentischen Liebesbriefe, die der junge Militärarzt António Lobo Antunes aus dem Kolonialkrieg in Angola 1971 an seine junge Frau in Lissabon schickt. Worte ungeheurer Zärtlichkeit und Sehnsucht begleiten Bilder, die mal grandiose Landschaften zeigen, mal das Alltagsleben aus dem Blickwinkel der Kolonialherren. Nach und nach fluten immer schlimmere Szenen von Krieg und der Sinnlosigkeit des Konflikts die Leinwand. Und das Imaginieren, Sehnen und Schwelgen wird zu einem überlebenswichtigen Gegengift in einer grausamen Welt.
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