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IM EINKLANG MIT DEM NORDSEEKLIMA THALASSO
Stille, die ich in den Salzwiesen gerade so genossen habe, noch bewahren und nehme deshalb einen 2,4 km langen Umweg gerne in Kauf. Ich biege am KP 68 nicht links ab Richtung KP 58, sondern überquere die Straße und fahre in den Kleiweg. Dem folge ich 2,4 km. Felder, Wiesen und Bauernhöfe prägen die Landschaft. Der Weg ist stellenweise nicht in allerbestem Zustand, aber trotzdem mit dem E-Bike gut zu befahren. Wer das nicht möchte, der fährt auf dem gut ausgebauten Radweg an der Kreisstraße weiter Richtung KP 58.
In Westdorf, am KP 58, treffe ich wieder auf die Kreisstraße, der ich bis Nesse folge. Weit vor dem Dorf begrüßt mich die Nessmer Mühle, ein Galerieholländer aus dem 19. Jahrhundert.
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Mein Tipp: Wenn ihr euch für Funktechnik interessiert, besucht das „Funktechnische Museum Norddeich Radio e. V.“, das in der Mühle untergebracht ist.
Kirchen, Händler, Handwerker
Ich fahre den Radweg Richtung KP 16 bis zur St.-Marien-Kirche. Ein Blick auf die imposante, im 12. Jahrhundert aus Tuffstein gebaute Kirche lohnt sich allemal. Mit dem Pfarrhaus, dem Organistenhaus, dem externen Glockenturm und dem Friedhof steht hier der am besten erhaltene Kirchenkomplex Ostfrieslands. Die Kirche steht auf einer 5 Meter hohen Langwarft, einem künstlich aufgeschütteten Hügel, der vor dem Deichbau Menschen und Tieren Schutz vor Sturmfluten bot.
Hinter der Kirche biege ich links in die Westerlohne, dann rechts auf die Hauptstraße. Hier könnt ihr sehr schön den typischen Charakter einer Langwarft erkennen. Die Hauptstraße, die über die Warftkrone führt, bildet den Mittelpunkt des Dorfes. Alle Häuser stehen rechts und links von ihr. Kleine Gassen, die sogenannten Lohnen, führen von der Warftsohle hoch zur Hauptstraße.
Nesse entstand im 9. Jahrhundert als Handelssiedlung am Meer. Ja, ihr habt richtig gelesen. Bis Nesse reichte damals die Nordsee. Einige Jahrhunderte später prägten vor allem Handwerker das Ortsbild. Bäcker, Brauer, Schuster, Weber, Barbiere, Schneider, Schmiede, Uhrmacher … kurz gesagt, in Nesse bekam man im 18. + 19. Jahrhundert alles, was das Herz begehrte. An diese Zeit erinnern bunte Gildewappen, die an ehemaligen Handwerkerhäusern angebracht sind. Achtet darauf, wenn ihr durch den Ort schlendert.
KURZE VERSCHNAUFPAUSE!
Beine baumeln bitte!
Ich fahre jetzt wieder zurück durch die Westerlohne auf den Radweg Richtung KP 16, der sich am Ortsende von Nesse befindet. Hier biege ich links auf den Neßmergroder Weg Richtung KP 27.
Rechts eröffnet sich mir der Blick auf die Gasanlandestation der Firma Gassco. Im Jahre 1994 wurde die Erdgasleitung Europipe I von Norwegen nach Deutschland verlegt. Die 620 km lange Offshore-Pipeline durchquert die Nordsee von den norwegischen Gasfeldern in südliche Richtung. Sie führt durch die Accumer Ee zwischen den Inseln Baltum und Langeoog zum Festland bis zu dieser Gasanlandestation zwischen Nesse und Dornum.
Ansonsten radle ich durch eine rein bäuerliche Landschaft, fernab des Autoverkehrs. Eine ausgiebige Rast will ich mir auf der Baumelbank genehmigen. Ich freu mich jetzt richtig drauf. Es gibt nichts schöneres, als nach einer ausgiebigen Radtour die Beine (und die Seele) baumeln zu lassen. Das bringt die müden Beine wieder auf Trab. Probiert es aus! Die Bank ist von Nesse kommend etwas versteckt in einem Nebenweg, der rechts von der Straße abzweigt. Gebt acht, und werft in die rechts abbiegenden Wege einen Blick, um die Bank zu finden.
Mein Tipp: In Lenzi’s Tippbox versteckt sich hinter einem der vielen Tipps eine Baumelbankroute. Die Radroute führt euch durch das Dornumer Land entlang einiger Baumelbank-Standorte, die versteckt an landschaftlich reizvollen Plätzen stehen.
Nach ausgiebiger Beinebaumelei fahre ich weiter über KP 18 bis KP 11 in Dornumersiel. Ich biege links in die Hafenstraße ein und habe nach wenigen Metern das Reethaus am Meer, die Start- und Zielstation meiner Rundtour erreicht.
ROUTENVERLAUF:
Knotenpunkte
14 . 20 . 12 . 52 . 56 . 82 . 68 . 58 . 21 . 29 . 16 . 27 .18 . 11 . 14
Schwierigkeitsgrad: leicht Reine Fahrzeit: ca. 2 – 2,5 Stunden Distanz: 33,2 km Geschwindigkeit: Ø 19 km/H
Steigungen:
• 3 x den Deich hoch und runter • gut ausgebaute Radwege oder gering befahrene Nebenstraßen
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immer in bewegungbleiben
dornum – im mittelalter residierten hier die häuptlinge und hinterliessen uns ein prachtvolles barockschloss, eine burg und eine kirche mit zwei einzigartigkeiten.
Klar, dass solch prächtige Kulissen gerne für Veranstaltungen genutzt werden. Der Weihnachtsmarkt, die Ritterspiele, die Kunsttage, Lesungen, Konzerte, Kunsthandwerker- und Bauernmärkte – viele der Events sind weit über Ostfrieslands Grenzen bekannt. Das verdanken sie zu einem großen Teil Dornums historischem Ambiente. Seit 2019 sind Angie Certain-Plavenieks und Helge Plavenieks verantwortlich für die Veranstaltungskoordination in Dornum. Ich traf mich mit den beiden in der Wohnwerft, ihrem kleinen Lädchen im Herzen Dornums, in dem Angie Mode, Accessoires und Dekoartikel verkauft.
FL: Eure erste Saison als Veranstaltungskoordinatoren steht unmittelbar bevor. Was sind eure Aufgaben in diesem Job? ER: Wir sind für viele Events Projektleiter und natürlich die festen Ansprechpartner für alle Beteiligten während der Veranstaltungen hier in Dornum. Wir sorgen dafür, dass alle Aktionen koordiniert ablaufen und Absprachen eingehalten werden. Wir sind stets die ersten Ansprechpartner. FL: Damit tragt ihr einen großen Teil der Verantwortung für das Gelingen der Veranstaltungen hier in Dornum. SIE: Ja, wir müssen uns zunächst ein Bild von allem machen. Dazu gehört auch, die Aussteller der Märkte kennen zu lernen.
FL: Bauern – und Kunsthandwerkermärkte, der Weihnachtsmarkt, der Laternenmarkt. Das sind einige der jährlich wiederkehrenden Veranstaltungen. Habt ihr auch neue Veranstaltungen vorgesehen? SIE: Na klar, wir haben viele Ideen, kistenweise. Und die Dornumer kommen auch mit ihren Ideen zu uns. Der Bedarf an weiteren Veranstaltungen ist auf alle Fälle da. Das sehen wir an den vielen Menschen, die zu den Veranstaltungen kommen.
ER: Für dieses Jahr geht es zunächst einmal darum, die Sachen am Laufen zu halten. Man braucht eine lange Vorlaufzeit für die Organisation solcher Veranstaltungen. Es ist noch nicht einmal Ostern, und wir sitzen jetzt schon in den Planungen für den Weihnachtsmarkt am 2. und 3. Advent.
FL: Warum habt ihr euch beide für diesen Job entschieden? SIE: Wir sind 2011 nach Dornum gezogen. Haben unser sicheres Leben in Düsseldorf aufgegeben, um uns hier etwas Neues aufzubauen. Und wenn man selbständig sein will, muss man kreativ sein und sich mehrere Standbeine aufbauen.
FL: Das hört sich ganz schön mutig an, noch einmal neu anzufangen. Und dazu noch von einer attraktiven, lebendigen Großstadt mitten aufs platte, stille Land nach Ostfriesland … ER: (lacht) Och, ich bin gebürtiger Norderneyer, von daher ist mir Ostfriesland nicht fremd. Und Angie ist auch ein Nordlicht. Sie ist in Bremen aufgewachsen.
SIE: Wir haben beide lange in Düsseldorf gelebt und gearbeitet. Helge war da bereits selbständig und ich habe bei einer amerikanischen Unternehmensberatung gearbeitet. Da musste ich nebenbei auch die internen Veranstaltungen für die Geschäftsleitung vorbereiten und durchführen – und das weltweit. Zu der Zeit bin ich viel unterwegs gewesen. Das war natürlich spannend, bedeutete aber auch viel, viel Arbeit. Und als ich von der Firma aus nach Berlin versetzt werden sollte, wurde mir schnell klar, dass ich das nicht mehr wollte. Berlin – nein, nicht in so eine große Stadt ziehen!
ER: Zwischenzeitlich hatten wir bereits die Kapitänsvilla in Dornumergrode gekauft. Das sollte später unser Alterswohnsitz werden. Bis dahin wollten wir es an Feriengäste vermieten. So war jedenfalls der Plan (schmunzelt). Tja, und dann sind wir selbst eingezogen und leben jetzt seit 2010 hier in Dornum. Nebenbei vermieten wir noch einen Teil des Hauses an Feriengäste.
FL: Und wie gings dann hier weiter?
# Bietjet Platt kann ik ok proten.“
ER: Wir haben die Kulturwerft gegründet, eine Full-Service-Agentur für Veranstaltungen, Mediengestaltung und Künstlervermittlung.
SIE: Und Helge hat endlich sein Talent als Solo-Musiker entdeckt, und hat sich in der Region einen Namen als Songwriter gemacht. FL: Ja, das stimmt, man liest den Namen Helge Plavenieks oft in den Medien. Auf den Fotos bist du immer mit der Gitarre zu sehen. Seit wann spielst du schon?
ER: Das begann Anfang der 90er Jahre mit „Guns N‘ Roses“. Die Hard-Rock-Band war damals berühmt. Das wollte ich auch spielen können und hab mir das Gitarre spielen selbst beigebracht. Ich habe dann in Bands gespielt. Nie alleine. Mit den Soloauftritten bin ich erst hier in Dornum angefangen.
FL: Schreibst du auch eigene Songtexte? ER: Ja, schon von Anfang an. Ich konnte erst drei Akkorde, da hab ich bereits mein erstes Lied geschrieben. Erst auf Englisch, da muss man sich nicht so viele Gedanken
über den Sinn der Texte machen. Weil die meisten es eh nicht verstehen (schmunzelt). Mittlerweile schreibe ich nur noch deutsche Texte, obwohl es schwieriger ist.
FL: Wenn du die englische Sprache so gut beherrschst, wie siehts denn mit der plattdeutschen Sprache aus? Als Veranstaltungskoordinatoren habt ihr vorwiegend mit der einheimischen Bevölkerung zu tun. Und de proten meest Tied noch all Platt hier. ER: Bietjet Platt kann ik ok proten (lacht). Bei uns zuhause wurde kein Plattdeutsch gesprochen. Ich habe es von meinen Großeltern gelernt, bei denen ich als Kind viel war. Und Angie kann es zumindest verstehen. In Bremen spricht man das spitze Platt. Das ist schon ein wichtiges Thema hier und ich habe gemerkt, dass in Dornum überwiegend plattdeutsch gesprochen wird. Vor allem bei den Handwerkern. „Helge, kannst du overopt platt?“ haben die mich gleich gefragt. „Ick kann dat woll all vestaahn“, sage ich dann. Aber doch nicht alles, denn beim Aufbau des Weihnachtsmarktes am Schloss fiel ständig der Satz: „Geev mi eben en Blubber!“ Ich wusste beim besten Willen nicht, was das ist. Bis ich mitbekam, dass die damit eine Wasserwaage meinten. Blubber ist die Blase in der Waage.
# Geev mi eben en Blubber.“
FL: Ihr habt euch in den letzten Jahren einige Standbeine aufbauen können: Ferienwohnungen, Kreativagentur, Musikbusiness, Veranstaltungskoordinatoren. Jetzt sitzen wir hier in diesem schnuckeligen kleinen Laden, in dem ihr viele schöne Dinge verkauft. Ich rate mal: Standbein Nummer 5? SIE: Richtig. Seit September 2017 haben wir den Laden. Und mittlerweile ist hier auch unser Büro eingerichtet.
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ER: Tja, wir sitzen hier sozusagen im Zentrum des Geschehens, im historischen Ortskern, in dem sich die ganzen Veranstaltungen abspielen. Das ist für uns als Koordinatoren ganz praktisch.
SIE: Auch die Veranstaltungsbesucher müssen an unserem Laden vorbei. Da schaut so manche Frau zum Schnüstern und Kaufen gerne mal rein. Für die Dornumer ist unser Laden ein Kommunikationszentrum geworden. Die kommen gerne zu einem Schwätzchen herein oder bringen Ideen für neue Veranstaltungen mit. Für Freunde der Livemusik machen wir in unserem kleinen Laden sogar ab und zu kleine Singer- und Songwriter-Abende.
FL: Ich habe gehört, dass beim Kauf des Hauses ein Schaf im Spiel gewesen sein soll? SIE: Ja, den Laden haben wir unserem Schaf zu verdanken, dass wir uns für unser Haus in Dornumergrode zugelegt haben.
FL: Aaahh, ich vermute als vierbeinigen Rasenmäher!
ER: Genau. Wir hatten bereits vor Jahren ein Auge auf das Haus hier geworfen. Da sollte es schon einmal verkauft werden. Aber das hat nicht geklappt. Jetzt waren wir auf der Suche nach einem Lagerraum für Angies Einrichtungsbestände. Sie arbeitet nebenbei noch als Homestagerin …
FL: Standbein Nr. 6! ER: Genau. Und da bekommt sie oftmals die Accessoires und Dekoartikel, mit denen sie die zum Verkauf stehenden Immobilien aufhübscht, von den Kunden überlassen. Mittlerweile war dafür in unserem Haus kein Platz mehr. Dem Schafhirten erzählten wir das so nebenbei. Und da fragte er uns, ob wir nicht Interesse an einem Laden in Dornum hätten, in dem wir die Artikel verkaufen könnten. Eben dieses Haus stand wieder zur Verfügung, und es gehörte seinem Vater. Eine Woche später hatten wir den Mietvertrag in der Tasche – und das Schaf im Garten!
FL: Habt ihr den Entschluss, in Düsseldorf alle Brücken hinter euch abzubauen und hier neu anzufangen, nie bereut? ER: Nein, keine Sekunde. Das war die richtige Entscheidung für uns. Es ist richtig, hier haben wir ein absolut anderes, ein neues Leben. Hier hat für uns ein komplett neuer Lebensabschnitt begonnen. Es ist diese Freiheit, die wir hier haben und schätzen. Ich möchte nicht ein volles Bankkonto gegen dieses Leben eintauschen. In Düsseldorf war alles geregelt. Da wusste man jeden Monat, was man auf dem Bankkonto hatte. Hier müssen wir wirklich viel dafür tun und kreativ sein, um uns einen gewissen Lebensstandard zu erhalten.
SIE: Natürlich war da zunächst auch eine große Unsicherheit da. Man muss viel Herzblut in all diese Dinge, die wir uns aufgebaut haben, einbringen, sonst läuft es nicht. Das Schönste ist: Wir machen jetzt das, was uns wirklich Spaß macht. Vorher waren wir angestellt, wir hatten unser Aufgabenfeld, dass abgearbeitet werden musste. Klar, war das auch super. Jetzt ist es anders. Für uns bedeutet dieses Leben mehr Lebensqualität. Wir leben, wo andere Urlaub machen. Darum beneiden uns vor allem unsere Gäste.
FL: Angie und Helge, ich danke euch für das interessante Gespräch. Ich wünsche euch brillante Ideen für neue Events in Dornum und – wie kann es anders sein – viele weitere erfolgreiche Standbeine.
Foto NEU MS Gulfhöfe Architektur
Kontakt:
Veranstaltungskoordination Dornum Angie & Helge Plavenieks Neuhausen 11 26553 Dornum Telefon 04933 9928043
Traditionelle Friesentracht
der goldrausch der ostfriesen
minschen , mode und maneren
Verflixt und zugenäht! Manchmal ist das so eine Sache mit dem Schreiben. Du denkst, du hast ein interessantes Thema, doch es entpuppt sich als komplizierter als gedacht. Liegt es an mangelnden Fakten, am fehlenden Fotomaterial? Es ist wohl eine Mischung aus beidem. Die Geschichte, über die ich schreiben möchte, gehört zu einem großen Teil ins Reich der Legenden. Es ist eine Zeitreise ins 15. Jahrhundert, als in Ostfriesland mächtige Familienclans, sog. Häuptlinge, herrschten. Eine schillernde Persönlichkeit dieser Zeit war eine Frau: Folkeld (auch Foelke, Folkeldis Kampana), im Volksmund „Quade (Böse) Foelke“ genannt.
Eine Statue von ihr könnt ihr noch heute auf dem Vorplatz des Dornumer Wasserschlosses, der ehemaligen Norderburg, sehen. Um diese Burg rangt sich die Legende von Foelke. Es wird ihr vorgeworfen für mehr als einen Tod verantwortlich zu sein. Mit dem Friesenhäuptling Ocko I. tom Brok verheiratet, soll sie in schlimmster Art intrigiert haben. Das klingt nach spannendem Lesestoff. Ist es auch, aber beim Stöbern in alten Büchern schleicht sich ein ganz anderes Thema in den Vordergrund: Ich stolpere immer wieder über Begriffe wie Schersson, Pael, Esschar und Stukelband. Es ist die Kleidung der ostfriesischen Häuptlingsfrauen die hier beschrieben wird. Die fasziniert mich zunächst viel mehr als die angeblichen Untaten der Foelke Kampana.
Und nach meinem Abstecher in die Modewelt des 14. – 16. Jahrhunderts kann ich nur sagen: Wow, die war wahrhaft königlich! Unsere Vorfahrinnen waren prachtvoll ausgestattet!
Irene Steffens und Claudia Nordemann waren mir bei meiner Recherche behilflich. Vor rund dreißig Jahren übernahm Irene als Handwebmeisterin einen Laden in der Kirchstraße 13 in Dornum. Gemeinsam mit ihrer ersten Gesellin und heutigen Meisterin Claudia baute sie den Laden zu der Handweberei „Fiefschaft“ aus. Hier verkaufen sie neben Dekoartikeln vor allem modische Kleidung, Decken, Kissen usw. aus zum Teil handgewebten Stoffen. Spannend für mich: Die beiden sind Expertinnen in Sachen traditioneller ostfriesischer Trachten und alter Webtechniken. Für Tanzgruppen und Gästeführerinnen weben und nähen sie Kleidung nach historischen Vorbildern.
Ich besuche sie in ihrer Werkstatt auf dem großen Dachboden eines Bauernhauses in der Nähe von Dornum. Rund 20 Webstühle stehen hier, darunter alte, wertvolle Exemplare, an denen mit traditionellen Webtechniken Stoffe hergestellt werden. Der Name der Handweberei „Fiefschaft“ kommt von solch einer alten Webtechnik, bei der an einem Webstuhl mit fünf („fief“) Schäften gewebt wird.
„Wenn heutige Trachten angefertigt werden, sind sie eher nach den Festtrachten aus dem 18. Jahrhundert nachempfunden,“ dämpft Irene meinen Optimismus. Aus Foelke Kampanas Zeit sind keine Trachten erhalten geblieben, sondern nur alte Zeichnungen.
So weiß man, dass Silber und Gold bei den Ostfriesen tatsächlich eine große Rolle gespielt haben. Angeblich, weil Karl der Große ihnen gestattete, sich von Kopf bis Fuß mit Gold zu behängen, soviel sie nur tragen konnten, und zwar ohne Steuern darauf zu zahlen. Die Ostfriesinnen ließen sich das natürlich nicht zweimal sagen. Sie wollten mit dem französischen Landadel mithalten und sich ebenso prächtig herausputzen. Und Gold floss damals über den Seehandel reichlich nach Ostfriesland.
„Wow, die waren wahrhaft königlich!“
Die Nationalfarbe der Ostfriesinnen war Rot. Man schnitt rotes Tuch oder Leinen alle zwei Finger breit voneinander und nähte es mit groben Stichen wieder zusammen. Die Kleider sahen deshalb wie plissiert aus. Das waren einfache Kleider, die dennoch bewundernswert gut gesessen haben sollen. Aber nun wirds königlich: Von oben bis unten waren die Kleider mit silbernen, oder vergoldeten Platten benäht, die in 4, 6, 8 oder 10 Längsreihen von oben nach unten liefen. Die Platten waren rund oder viereckig, zeigten Rosen, Löwen, Schwäne oder andere Bilder als Gravierung und waren durch Kettenglieder miteinander verbunden. Diese Streifenbänder aus Gold wurden Schersson genannt. Ich kann mir die Pracht und den Goldwert dieser Scherssons kaum vorstellen. Aber es wird noch besser: Oft hatten die Kleider noch goldbeschlagene Ärmel, mehrere Reihen der Goldplatten zogen sich von oben bis zu den Händen herunter. Auch ca. sechs bis sieben schwere Goldreife mit Glöckchen an den Verschlüssen trugen sie damals gerne als Armschmuck (von oben bis unten an jedem Arm wohlgemerkt!). Zum üppigen Kopf- und Gewandschmuck gehörte damals ein breites Stirndiadem, das Pael. Es bestand aus sieben mit Edelsteinen geschmückten Goldplatten. Die einzelnen Glieder waren mit Scharnieren verbunden und schmiegten sich von der Mitte aus immer schmaler werdend um den Kopf der Trägerin. Dann gab es noch den Esschart, große runde Spangen, die die Frauen sich wie Schilde vor die Brust schnallten. Manchmal waren bis zu fünf davon zu einer Art metallenem Mieder aus Gold zusammengefügt.
Aber auch die Alltagsbekleidung der Ostfriesinnen war keine gewöhnliche Tracht. Selbst zur Arbeit auf dem Feld ging man mit goldenen Schellen, Armbändern und Gürtel und legte besonders viel Wert auf seinen Haarschmuck. Der lange Zopf hinten wurde mit dem Stukelband geschmückt und verlängert: Das war eine äußerst lange Kette, reich verziert mit Glöckchen und kleinen Schmuckblättern. Sie endete in einem auffälligen Gehänge aus silbernen und vergoldeten Kügelchen an der Hüfte.
Aufgezeichnet hat diese wundervollen Trachten Unico Manninga, ein ostfriesischer Häuptling, der um 1560 lebte. Er hat mit seinen Aufzeichnungen, so erzählt mir Irene, nicht nur das erste ostfriesische, sondern damit zugleich das erste deutsche Trachtenbuch hinterlassen. Vielleicht ahnte er damals, dass die goldenen Zeiten der Häuptlinge bald vorbei sein würden und hinterließ deshalb seine für uns heute so wertvollen Notizen. Mit dem vergehenden Reichtum der Ostfriesen wurden diese „Wertanlagen“ wohl überwiegend wieder
in klingende Münze verwandelt – oder sie wurden Opfer der schweren Sturmfluten die bis zum 16. Jahrhundert Ostfriesland immer wieder heimsuchten … Man weiß es nicht genau.
Zu Foelke Kampana’s Zeit waren die großen Häuptlings-Clans mächtiger denn je. 1377 heiratete sie den Häuptling des Brokmer- und des Auricherlands Ocko I. tom Brok. Stellt euch die Hochzeit vor, all die prachtvollen Kleider der Frauen!
Das Eheglück der Foelke währte jedoch nicht lange. Infolge der Auseinandersetzungen mit einem anderen einflussreichen Häuptling fiel Ocko am 7. August 1389 in Aurich einem Mordanschlag zum Opfer. Chroniken berichten, dass Foelke für den Mord an ihrem Mann Rache nahm. Sie besiegte die Feinde ihres Mannes und lies all denen, die ihr in die Hände gefallen waren (angeblich 200 Mann), den Kopf abschlagen. Damals war das nicht weiter dramatisch. Es war übliche Praxis und wurde als
Traditionelle Handwerkskunst
verständlicher und zulässiger Akt in einer Fehde gewertet. Deshalb lautete denn auch das Urteil eines Chronisten über die derart reagierende Witwe: „se was en erbare vrowe“. Und auch andere Chronisten berichten vom Charakter der Foelke Kampana nicht, daß sie böse oder falsch, schwierig oder zornig, kurz: „quat“ gewesen sei, geschweige denn mordlüstern.
Nein, zu ihrem Namen kam Quade Foelke erst 1397 durch das wohl bekannteste –und auch literarisch verarbeitete – Familiendrama der ostfriesischen Geschichte: Foelkes Tochter Ocka war mit Lütet Attena, dem Sohn des Erbauers der Norderburg in Dornum, verheiratet. Die beiden bewohnten eine Burg in Nesse. Eine Infostele am Ortsende von Nesse verweist auf den ehemaligen Standort der Burg, wo sich ein Teil des Dramas abgespielt haben soll. Das Verhältnis zwischen dem jungen Ehepaar scheint nicht allzu gut gewesen zu sein. Und Okkas frühzeitiger und plötzlicher Tod – zu einem Zeitpunkt, als sich die Attenas und tom Broks eh als Todfeinde gegenüberstanden –mag daher von bösen Zungen ihrem Ehemann und ihrer Mutter angelastet worden sein. Denn die Legende sagt, dass Lütet seine Frau Ocka wegen Aufsässigkeit und Ehebruch ermordet habe – und zwar auf Anraten seiner Schwiegermutter! Daraufhin zog Foelke gegen die Attenas, siegte und übernahm kurzerhand die Burgen in Nesse und Dornum. Sowohl Lütet als auch sein Vater wurden auf ihren Befehl enthauptet. Mich wundert’s gerade, dass Hollywood dieses Familiendrama noch nicht entdeckt hat! Jedenfalls geht die Legende hier komplett an der Wahrheit vorbei und diffamiert Foelke als bösartige Person. Dabei hatte sie offiziell nichts mit der Hinrichtung zu tun, wenngleich sie Einfluss genommen haben mag. Es hätte nämlich auch die Möglichkeit der Begnadigung und Verbannung gegeben. Verantwortlich für den Tod Lütets und seines Vaters war Keno, ihr erwachsener Sohn. Der nahm damals die Norderburg ein und ließ Lütet und Hero Attena im Burghof köpfen, weil sie widerrechtlich Piraten aufgenommen hatten.
Weiter wird Foelke vorgeworfen, sie habe ihre beiden Neffen im Kerker elendig verhungern und ihren Stiefsohn ermorden lassen, um ihren Sohn Keno an die Macht zu bringen. Verleumdungen über Frauen waren zu der damaligen Zeit gang und gäbe. Es war eine moderate und oft angewandte Möglichkeit, sich unliebsame Frauen vom Halse zu schaffen oder in die Erbfolge einzugreifen. Und so stattete der Volksmund Foelke mit Zügen aus, die sie als grausame
Frau erscheinen ließen. Aber in Berichten, deren Wahrheit nicht zweifelhaft ist, kann man an ihr nur Eigenschaften nachweisen, die ihrer damaligen Zeit angehörten. Und damit genug der mittelalterlichen Vergangenheit. Lieber erzähle ich euch noch ein wenig über die Mode in Ostfriesland des 18. Jahrhunderts; denn da werde ich bei Irene und Claudia fündig.
MEINE LESETIPPS:
Tracht & Schmuck Altfrieslands
nach den Darstellungen im Hausbuch des Häuptlings Unico Manninga von Dr. Johannes C. Stracke.
Das historische Fachbuch, 1967 von der Ostfriesischen Landschaft herausgegeben, beschreibt genauestens das Lütetsburger Hausbuch, seine Zeichnungen, seine Entstehungsgeschichte und Urheber. Es gibt zudem eine Einordnung der Trachtensammlung in Geschichte, Kunst und Kultur. Sehr empfehlenswert. Im Buchhandel wohl nicht mehr erhältlich, aber in der Landschaftsbibliothek in Aurich. Einige der im Artikel gezeigten Bildmotive sind dem Buch entnommen.
Foelke Kampana
von Siever Johanna Meyer-Abich Band I und Band II.
Das Leben der Foelke Kampana (Quade Foelke) und der Tom Broks vom Aufstieg bis zum Zerfall ihrer Herrschaft. Ein Roman zur ostfriesischen Geschichte.