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NORMANDIE
from FUZE.86
INNER CIRCLE. Für den NORMANDIE-Sänger Philip Strand gibt es viele Dinge, die düster, aber zugleich wunderschön sind. So etwa der Tod oder die Furcht, wobei ihr Schrecken darin liegt, wie unmittelbar sie uns betreffen. Die Angst hat für ihn etwas Schönes und Unausweichliches in der Art und Weise, wie sie unseren Körper warnt und hilft, uns vor Gefahren zu schützen. Auf ihrem neuen Album „Dark & Beautiful Secrets“ geht es um Gefühle wie diese, und auch wenn der Sound der Schweden musikalisch keinen solchen Einfluss offenbart, sehen sich die Musiker mit denselben dunklen Wassern gewaschen wie manche Black-Metal-Bands. Philip erzählt von der Beziehung zu ihren Fans im Internet, dem „Inner Circle“, und warum NORMANDIE, trotz Pandemie, so erfolgreich sind wie nie zuvor.
Soziale Medien und Dedikation Die enorme Hingabe der NORMANDIE-Fans reicht so weit, dass manche sich gar das Bandlogo tätowieren lassen, was für den Sänger ein krasser Ausdruck ist. „Das ist umwerfend, denn das zeigt, dass jemand in uns mehr sieht als bloß eine coole Produktion und ein paar nette Melodien.“ Es ist für den Musiker also selbstverständlich, viel Zeit in diese Fanbindung zu reinvestieren. Für eine Band wie NORMANDIE, die für ihre starke Verbindung zu ihren Fans bekannt ist, war diese Pflege angesichts der durch die Pandemie abgesagten Live-Konzerte jedoch schwierig.
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Doch auch in diesen schwierigen Zeiten setzen die Schweden auf die Nähe zu ihren Fans. In einer „Inner Circle“ genannten Facebook-Gruppe stehen die Musiker in engem Kontakt mit ihren Fans. Für Philip sind Social Media eine Möglichkeit, sich mit Menschen auszutauschen und zu verbinden, und keine Plattform, um seine Meinung in die Welt hinauszuschreien. Auch deshalb hat er den Newsfeed in seinem Web-Browser gänzlich ausgeblendet. Wäre es nicht für die Band, würde er Facebook wohl verlassen. Doch der „Inner Circle“ gibt ihm Hoffnung. „Ich liebe diesen Kreis und es ist überwältigend zu sehen, welche Art von Content unsere Fans kreieren.“
Streamingdienste Trotz der schwierigen Umstände befinden sich NORMANDIE in der Blüte ihrer Karriere und blicken insbesondere bei Spotify auf enorm starke Zahlen. In Hamburg gibt es knapp 2.800 Menschen, die die Band via Spotify hören. Die Hamburger Location, in der sie auf ihrer nächsten Tour auftreten werden, hat jedoch nur eine Kapazität von etwa 500 Leuten. Dass nicht jeder Spotify-Hörer automatisch ein richtiger Fan ist und auf Konzerte geht, ist der Band bewusst. „Die Menschen hören Song für Song und klicken vielleicht weiter, wenn es ihnen nicht gefällt. Außerdem kann mir ein Track einer Band gefallen, während ich aber kein Interesse daran habe, ein Konzert zu sehen. Ich habe gestern zum Beispiel SCOOTER gehört, würde mir aber nie ein Ticket dafür kaufen. Wenn diese 2.800 Leute alle eine CD gekauft hätten, dann wäre ich zuversichtlicher, dass sie alle auch zu einem Auftritt kommen. Aber für mich klingen 500 von diesen 2.800 Hörern auf Spotify schon nach einer großartigen Nummer!“
Generell ist er fasziniert von der Anzahl der monatlichen Klickzahlen, die auch mangels eines neuen Releases im letzten Jahr nicht gefallen sind. „Spotify ermöglicht es uns, dass wir Menschen erreichen, die nicht bereit sind, eine CD zu kaufen oder auf ein Konzert zu gehen.“ Die Kritik am Streaming-Giganten kann er dennoch nachvollziehen, sieht diese aber generell in der gesamten Musikindustrie. „Früher, als es noch Plattenläden gab, wurden große Bands von wichtigen Labels ebenfalls priorisiert und in prominenter Position direkt am Eingang platziert. Wo immer es einen Markt gibt, wird es Vorteile für die geben, deren Geldbörse besser gefüllt ist.“ Dass es einer Band wie NORMANDIE aber gelingt, monatlich über 250.000 Menschen mit ihrer Musik zu erreichen, ist ein großer Gewinn. Auch damit erklärt sich Philip das konstante Wachstum der Band, das auch ohne Veröffentlichung eines Albums in den Jahren 2019 und 2020 nicht gestoppt wurde. Re-Evaluation Was sagen diese Zahlen über die Selbstwahrnehmung einer Band und ihren Status, insbesondere nach einem Jahr wie 2020? „Ich denke, wir müssen neu bewerten, was Musik den Menschen bedeutet. Wir sind es so gewohnt und nehmen für selbstverständlich, dass Musik den Menschen so ‚ultra wichtig‘ ist. Aber am Ende des Tages hören die Leute Musik, wenn sie lernen, wenn sie Sport machen oder beim Kochen. Musik war mal etwas Neues und Aufregendes für jeden. Zwischen den Achtzigern und den Nullern war die Frage ‚Was ist deine Lieblingsband?‘ die allerwichtigste. Mittlerweile wohne ich mit jemandem zusammen, die sagt, dass sie ‚kein großer Fan von Musik‘ sei und die Stille mehr genießt. Insbesondere Live-Musik ist einfach nicht mehr für alle dasselbe wie früher.“ Dennoch gibt es Lichtblicke für den Sänger. „Uns schreiben oft Menschen, die uns erzählen, dass sie unsere Musik hören, während sie Sport treiben. Es fühlt sich großartig an zu wissen, dass es für Menschen die verschiedensten Gründe und Anlässe gibt, unsere Musik zu hören.“ Etwas Vergleichbares hat Philip auch bei sich selbst beobachtet. Er liebt zwar Filme, geht aber kaum ins Kino. „Filme genieße ich, wenn ich freitagabends daheim bin – so ist es für andere mit Musik.“
Diese Re-Evaluation bedeutet für NORMANDIE aber, dass Streaming-Plattformen einen ganz anderen Wert bekommen haben, so Philip. Letztlich ist der Sänger davon überzeugt, dass sie auf diesem Weg jede Menge neue Fans begeistern konnten. Er glaubt sogar, dass eine Plattform wie Spotify die Karriere von NORMANDIE stark gepusht hat und erst dadurch Konzerthallen mit einem Fassungsvermögen von 500 Menschen für sie erreichbar wurden. Denn auf diesem Wege werden vielleicht Fans gewonnen, die sich eventuell dem inneren Zirkel der Band anschließen und in die Musik von NORMANDIE verlieben. Rodney Fuchs