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ALEXISONFIRE
from FUZE.94
Foto: Karo Schäfer (cateyephotography.com)
DRUCKBEFREIT. 13 lange Jahre haben uns ALEXISONFIRE warten lassen. Nach der Auflösung der Band im Jahr 2011 hatte niemand mehr so wirklich an neue Musik geglaubt. Selbst nach der Reunion 2015 und einigen Live-Shows machten ALEXISONFIRE über einen langen Zeitraum keine Anstalten, neue Musik zu veröffentlichen. 2019 dann endlich ein musikalisches Lebenszeichen in Form der Singles „Familiar drugs“ und „Complicit“. Die Gerüchteküche brodelte. Angeblich sei ein neues Album im Kasten, welches nur darauf wartet, veröffentlicht zu werden. Die Band selbst hielt sich in Interviews bedeckt, man habe ein paar Songs geschrieben, man könne aber auch einfach ab und an Singles herausbringen, ohne sich den Druck zu machen, ein neues Album veröffentlichen zu müssen. Im Frühjahr 2022 kam die erlösende Meldung: Album Nummer fünf mit dem Namen „Otherness“ würde im Juni erscheinen und wurde per neuer Single „Sweet dreams of otherness“ entsprechend angekündigt. Wir sprechen mit Goldkehle Dallas Green über die Umstände und die Motivation, wieso ALEXISONFIRE nach 13 Jahren mit einem neuen Album zurückkehren.
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13 Jahre sind eine lange Zeit. Wieso „Otherness“ und wieso ausgerechnet jetzt? Wie so oft im Leben kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an. Wir sind alle mit unseren anderen Projekten so beschäftigt, dass niemand geglaubt hätte, dass „Otherness“ bereits in 2022 erscheinen würde, hätte es die Pandemie nicht gegeben. Unser musikalisches Leben kam größtenteils zum absoluten Stillstand, Touren war nicht möglich, also ging es vorrangig darum, neue Musik zu schreiben. Hinzu kam der glückliche Zufall, dass wir zum ersten Mal seit Jahren alle in Toronto leben und es somit einfach leichter war, gemeinsam Musik zu machen. Wir haben also das Beste aus dieser dunklen Zeit gemacht. Wade hatte irgendwann einfach mal die Frage gestellt, ob wir nicht eine Runde jammen sollten. Wir haben uns getroffen und da war direkt wieder diese Energie und Kreativität. Wir haben innerhalb sehr kurzer Zeit ein paar neue Songs geschrieben und ein paar alte Ideen überarbeitet. Das hat sich verrückt gut angefühlt und irgendwann war uns klar, dass die Songs keine lose Ansammlung von Singles sein würden, sondern ein echtes Album. Wir hatten verdammt viel Spaß und haben uns keine Grenzen gesetzt. Zur richtigen Zeit gemeinsam am richtigen Ort zu sein und dann noch diese tief verwurzelten Gemeinsamkeiten und unsere Dynamik wiederzuentdecken, war der glückliche Zufall, der „Otherness“ geschaffen hat.
Wann nach der Reunion 2015 habt ihr zum ersten Mal über ein neues Album nachgedacht? Die Gerüchteküche brodelte ja bereits seit Jahren. Ich glaube, den Gedanken hatte jeder von uns bereits von Anfang an, als klar war, wir würden wieder gemeinsam auftreten. Wir sind so lange befreundet und haben so viel Spaß an ALEXISONFIRE und auch der Band so ziemlich alles zu verdanken. Allerdings war uns klar, dass es schwierig werden würde, das zu realisieren. Wade ist mit DOOMS CHILDREN und dem Schreiben von Filmmusik extrem beschäftigt. Ich bin dauernd mit CITY AND COLOUR unterwegs. Ratbeard ist Schlagzeuger bei BILLY TALENT. Jeder hat eine Menge um die Ohren und da ist es nicht einfach, gemeinsame Zeit zu finden, um Musik zu schreiben, geschweige denn zehn oder elf Songs. Wir haben also erst im Sommer 2020 entschieden, dass wir genug Material für ein neues Album an der Hand haben und das auch entsprechend veröffentlichen wollen.
„Otherness“ fühlt sich so extrem druckbefreit an. Als hättet ihr euch zusammengesetzt und gesagt: Lasst uns einfach Spaß haben. Teilst du diese Meinung? Oh ja absolut. Du ahnst gar nicht, wie befreiend es sein kann, etwas tun zu dürfen, es aber nicht tun zu müssen. Wir sind über die Jahre alle als Künstler gereift und haben viele neue Facetten an der Musik kennen und lieben gelernt. Jeder hat seine individuellen Einflüsse, aber wir haben auch viele Dinge, die für uns gemeinsam sehr gut funktionieren. Wir sind etwa alle von der Rockmusik der Sechziger und Siebziger Jahre beeinflusst und
ich finde, das darf man dann auch hören. Wir hatten ja zumindest seit „Watch Out!“ schon die Einstellung, dass wir uns in keine Schublade pressen lassen wollten und vor allem anderen der Spaß im Vordergrund stehen sollte. Und ich finde, den Spaß hört man „Otherness“ einfach an. Dieses Glücksgefühl, endlich wieder gemeinsam Musik zu machen. Die Liebe zueinander und die Liebe zur Musik waren allgegenwärtig. Und ich glaube, das hört man der Platte einfach an.
Ihr habt mit eurer eigenen Tradition gebrochen, auf jedem Album elf Songs zu veröffentlichen? Zufall oder war dies bewusst so gewählt? Das war wirklich ein Zufall. Das Album hat sich mit den zehn Songs einfach fertig angefühlt. Da wollten wir nicht gezwungenermaßen noch ein zusätzliches Lied auf das Album packen. Vielleicht hat aber auch die Tatsache, dass „World stops turning“, der letzte Track auf dem Album über acht Minuten lang ist, dazu beigetragen zu sagen, okay der Song ist lang genug für zwei Lieder, dann passt das schon so.
Bei euren letzten Live-Shows habt ihr zu sechst auf der Bühne gestanden. Matt Kelly, der dich bereits seit Jahren bei CITY AND COLOUR begleitet, hatte euren Live-Sound um Keyboard respektive PianoParts erweitert. Wie kam es dazu? Matt ist ein enger Freund der Band und ist genial, wenn es um Harmonien geht. Er ist technisch extremst versiert, im Gegensatz zu uns anderen, und du brauchst ihm nur etwas vorzusummen und er weiß sofort, welche Harmonie passen würde oder wie man etwas gesanglich umsetzt oder auch mit Piano, Orgel oder Ähnlichem einen Song unterstützen kann. Es war dann Steeles Idee, Matt ins Studio einzuladen. Im Endeffekt hat er die gesamte Produktion begleitet und sehr viel zum Album beigetragen. Da war es naheliegend, ihn auch für die Live-Shows mitzunehmen, da einige Songfragmente ohne ihn einfach nicht funktionieren würden. Er bringt sich sehr viel ein und ist einfach ein guter Typ. Wir wollten live auch nicht mit Samples arbeiten, sondern jemanden dabeihaben, der die Parts organisch umsetzen kann.
„Otherness“ ist noch nicht veröffentlicht, aber habt ihr bereits einen Plan für die Zeit danach? Ich glaube, jetzt da wir unsere gemeinsame Kreativität und unseren Groove gefunden haben, werden wir auch nicht aufhören, gemeinsam Musik zu schreiben. Wir haben seit den Sessions zu „Otherness“ auch irgendwie immer weitergeschrieben. Will heißen es gibt bereits eine Handvoll neuer Songs. In welcher Form wir diese veröffentlichen werden, wissen wir zwar selbst noch nicht, aber wir können uns da auch vieles vorstellen. Ab und an eine Single veröffentlichen wie 2019 oder eben weiterschreiben und noch ein Album machen. Wie so oft machen wir uns aber auch da keinen Druck. Es muss einfach passen. Einerseits muss es zeitlich passen, aber auch das Bauchgefühl muss stimmen. Ich werde dieses Jahr auch noch ein neues CITY AND COLOURAlbum veröffentlichen, dass will natürlich auch entsprechend geplant und umgesetzt sein. George wird mit sei-
ner Band DEAD TIRED auch noch ein Album veröffentlichen. Du siehst, es wird nicht einfacher, aber wir bleiben dran.
Ihr habt gerade eine fantastische Südamerikatour hinter euch gebracht und spielt über den Sommer auf einigen Festivals. Uns interessiert natürlich brennend, wann ihr wieder nach Deutschland kommt? Das klingt jetzt wieder wie aus dem Buch der Standard-Rockstar-Sprüche, aber wir haben ja ein unheimlich gutes Verhältnis zum Touren in Deutschland und unsere Fans hier liegen uns sehr am Herzen. Daher kommen wir immer gerne nach Deutschland, sobald es die Zeit irgendwie zulässt. Momentan ist eine Europatour für den Herbst geplant, bei der wir definitiv auch Termine in Deutschland haben werden. Das wird super!
Es gibt da noch etwas, das vielen ALEXISONFIREFans auf der Seele brennt. Ihr hattet letztens eine Umfrage gestartet, bei der die Fans abstimmen sollten, welches eure zwanzig wichtigsten Songs sind. In diese Top 20 wurde „Thrones“ gewählt. Ein Song, bei dem Fans euch immer wieder auffordern, ihn bitte live zu spielen. Ihr tut es aber nicht. Gibt es dazu eine Geschichte? Haha! Wade hasst den Song einfach. Er hat ihn noch nie gemocht. Bereits als wir ihn damals geschrieben hatten, war er absolut kein Fan. Daher werden wir ihn wohl auch vorerst nicht live spielen. Wir mussten wirklich alle lachen, als die Umfrage auch „Thrones“ ausgespuckt hatte. Okay, alle bis auf Wade. Aber vielleicht macht er ja irgendwann seinen Frieden mit dem Lied und dann spielen wir den Song auch live. Bis dahin eher nicht. Carsten Jung