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ELECTRIC CALLBOY
from FUZE.95
DER ELEFANT IM RAUM. Es gibt vieles, worüber man mit Kevin und Nico, den beiden Sängern, reden kann und muss. Ihren Namenswechsel. Den Sängerwechsel. Cancel Culture. Alles kommt hier zur Sprache und es zeigt sich: Das oft gescholtene Schmuddelkind der Szene ist trotz allem Unfug und Schnapsideen eine reflektierte und intelligente Band, die sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst ist.
Ich muss einmal den Elefanten im Raum ansprechen: der Namenswechsel von ESKIMO CALLBOY zu ELECTRIC CALLBOY. Das Fuze und ihr haben ja auch eine Historie, in der wir schon ein paar mal auch kritisch über euch und eure Texte gesprochen haben. Bislang habt ihr das immer damit abgetan, dass das als „Witz“ gemeint war. Was hat sich bei euch verändert, dass ihr euch von Songs distanziert, sie aus dem Netz nehmt und sogar euren Namen verändert habt? Kevin: Man muss immer ein wenig schauen, wie die Gesellschaft ist, die um einen herum ist. Man muss sich da auch schon mal selber korrigieren. Wir haben immer gesagt, wir meinen es doch gar nicht so, und unsere Community, die uns direkt umgibt, hat sich auch nicht beschwert. Das war in großen Teilen die europäische Szene. Da ist es auch eher so, dass dieses Wort mehr romantisch gesehen wird, mit Fellkragen neben dem Iglu. Aber darum geht es ja gar nicht. Diese Geschichte mit dem Namen hat uns immer begleitet. Wir wollten niemals jemanden ausgrenzen oder beleidigen. Wir haben das als Kunstwortschöpfung verstanden. In Laufe der Jahre haben wir aber auf einmal in ganz anderen Teilen der Erde stattgefunden, wo die kritischen Stimmen lauter wurden. Daraufhin haben wir uns mehr Gedanken dazu gemacht. Das meine ich mit Fehler korrigieren oder sich selbst hinterfragen. Es ist scheißegal, ob wir das als Witz verstehen. Diejenigen, die entscheiden, ob das witzig ist, sind die Inuit. Wir kannten halt keinen Inuit. Und auch unter den Inuit gibt es da Unstimmigkeiten. Wir haben dazu auch mal ein großes Video gemacht, was wir aber aus Respekt vor dem Krieg in der Ukraine nicht rausgebracht haben. Wir haben darin mit den Edmonton Elks gesprochen, das ist ein kanadischer Sportverein, und die haben sich auch umbenannt. Die haben uns gesagt, dass auch diese Volksgruppe sehr gespalten ist. Ungefähr einem Drittel der Inuit sei das egal. Nico: Nichtsdestotrotz ist aber so, dass es Menschen auf diesem Planeten gibt, die sich dadurch stark diskriminiert fühlen. Wir haben sehr viel Recherche betrieben, haben mit vielen Leuten gesprochen und uns auch einfach schlauer gemacht. Am Ende sind wir zu dem Entschluss gekommen: Warum den Namen behalten, nur um des Namens Willen? Das stand gar nicht mehr wirklich zur Debatte, am Ende gab es nur noch ein Ergebnis. Kevin: Es sind natürlich viele Emotionen dabei, du hängst nicht wirklich an den Buchstaben, sondern du hast deine Erinnerungen, die du mit dem Namen verbindest. Das stimmt so zwar gar nicht, das denkt man aber. Das mussten wir auch unseren Leuten erst mal beibringen, denn da gab es natürlich sehr unterschiedliche Meinungen zu dem Namenswechsel. Da gibt es die „Unwissenden“, die sagen, dass ja nichts Schlimmes an dem Namen sei ... Nico: ... dann die ganz Penetranten, die gesagt haben: „Scheißegal, für mich seid ihr immer Eskimo ...“ Kevin: Das ist jetzt vielleicht ein wenig unpopulär, aber wenn jemand unsere Videos mit der ausführlichen Erklärung gesehen hat und weiterhin sagt, das ist mir egal – bitte, da ist die Tür. Denen kann man dann auch nicht mehr helfen. Wir sind aber extrem glücklich mit der Entwicklung. Wir waren ja gerade auf dem SlamDunk, da gab es im Vorfeld auch negative Stimmen von SILVERSTEIN, SUM 41, CANCER BATS, die auch jemanden aus dieser Volksgruppe in ihren eigenen Reihen haben, aber mit denen haben wir uns auch noch mal ausgesprochen und wir sind jetzt mit allen cool. Es ist ja am Ende darin gegipfelt, dass wir von CANCER BATS einen Preis überreicht bekommen haben.
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Angesichts eurer extrem erfolgreichen Tour wird klar, dass diese Vorwürfe, ihr würdet vor dem „Cancel Culture Mob“ einknicken, nur von der immer sehr
lauten, aber eigentlich kleinen Gruppe der Internet-Trolle stammen. Im echten Leben wurde das ja anders aufgenommen. Nico: Ich glaube auch, wenn wir das einfach so gemacht hätten, ohne die Leute mitzunehmen und zu zeigen, dass das auch für uns ein Prozess war und wir lernen mussten und auch weiterhin lernen, dass das nicht der richtige Weg gewesen wäre. Kevin: Wir wollen ja auch niemanden verprellen. Klar, fanden das nicht alle cool, aber was glauben die denn, wie das für uns ist? Wir geben damit einen Teil unserer Identität her und ändern unseren Namen. Es ist natürlich schwierig, als Person in der Öffentlichkeit zu stehen. Man muss immer schauen, was man wo wie sagt. Ich bin absolut dafür, Gruppen zu beschützen, die in der Minderheit sind oder die wenig Aufmerksamkeit bekommen. Wichtig ist, dass man mit sich selbst im Reinen ist, aber auch niemand anderem auf dem Schlips tritt. Das ist wie bei dem Kategorischen Imperativ, auf den man immer versuchen sollte, sich zu berufen. Man muss sich in die Position der anderen versetzen, um zu verstehen, was sie fühlen. Nico: Das vergisst man schon mal. Dinge, die nicht so nah an einem dran sind, die sind einem gar nicht so bewusst. Man denkt zwar, damit tut man ja keinem weh. Je mehr Aufmerksamkeit wir aber bekommen haben, desto mehr haben wir gemerkt, dass das doch Leuten wehtut. Kevin: Wir haben uns ja nie als politische Band verstanden, aber wir merken auch, dass mit steigender Popularität auch Verantwortung einhergeht. Weil man ja ein Sprachrohr ist und die Leute auf einen hören, da muss man auch mal ein Statement setzen.
Neuer Name, neues Album „Tekkno“ mit Nico als neuem Sänger. Bei allem, was ihr in den letzten zwei Jahren gemacht habt, hat man das Gefühl, dass ihr als Band einen Neustart hingelegt habt. Wenn ich versuche, die alten ESKIMO CALLBOY auf Redfield Records mit dem übereinzubringen, was ihr jetzt darstellt, erkenne ich schon große Unterschiede. Kevin: Das sehe ich absolut genauso. Zum einen personell, da wir jetzt Nico bei uns haben. Wir haben ja mal irgendwann aus einem bestimmten Grund angefangen, wir hatten ja Bock auf die Musik, die wir gemacht haben. Da gab es so einen Vibe, der uns über die Jahre hinweg irgendwie flöten gegangen ist, und wir haben auch gemerkt, dass es menschlich nicht mehr so funktioniert hat. Aber als Nico dazugestoßen ist, war dieser alte Vibe wieder da. Eigentlich sind wir wieder die Alten, nachdem wir zu große Kompromisse machen mussten. Jetzt fühle ich mich wieder so wie zu Anfang, diese Lust auf die Musik. Generell haben wir eine gemeinsame Richtung jetzt, die wir fahren. Nico: Für mich ist es natürlich schwer, dazu was zu sagen. Klar, man kannte sich schon vorher, wir waren gemeinsam mal auf Tour. Die Entscheidung, ein Teil dieser Band zu werden, war aber genau das. Kevin und ich haben schnell gemerkt, dass wir ’ne geile Dynamik haben, das hat sich durch die Tour noch mehr rauskristallisiert. Wir sind ein cooles Team. Kevin: Das nimmt man jetzt wieder als was anderes wahr. Die letzten fünf, sechs Jahre vor dem Sängerwechsel hatte man sich davon halt entfernt. Nico: Klar habe ich einen anderen Input reingebracht, als das Sushi gemacht hätte. Wäre ja auch komisch, wenn nicht. Aber ich hatte das Gefühl, dass auch der Rest der Band wieder ein wenig mutiger wurde. Jetzt machen wir das, worauf wir Bock haben.
Ich finde, das zeigt sich auch auf dem neuen Album „Tekkno“: Der Fokus dessen, worüber ihr euch lustig macht, hat sich verschoben. Da wird nicht nach oben oder unten getreten, ihr nehmt euch in erster Linie selbst auf den Arm und keine Idee ist zu dumm, um sie nicht auszuprobieren. Kevin: Es muss aber gut gemacht sein. Das ist dieser schmale Grat, es darf ’ne dumme Idee sein, aber es muss professionell umgesetzt werden. Nico: Und man muss auch dahinterstehen können. Es geht uns ja nicht darum, lustig zu sein. Es gibt ja auch ernstere Songs und poppigere Songs auf der Platte. Einfach diese Freiheit zu haben, in jede Richtung zu gehen, auf die wir Bock haben, auch wenn es ein fucking Schlager ist, diese Freiheit hat sich die Band über zwölf Jahre erspielt, und die zu haben, ist einfach super. Kevin: Aber auch die Szene hat sich ja krass verändert. Die ist nicht mehr so engstirnig. Wir wollen ja niemanden was wegnehmen, es kann ruhig Genregrenzen geben, aber wir haben da eben kein Bock drauf. Ich kann heute in Baggy Pants rumrennen und morgen mit meiner Kutte auf Wacken fahren. Why not? Es ist Musik. Deswegen haben wir auch ein paar Songs offline genommen. Musik ist doch gedacht, damit die Leute zusammenkommen. Wir sehen das auf den Shows gerade, wie viele unterschiedliche Menschen da aufeinandertreffen, alt und jung, alles. Das Wichtigste ist doch, dass alle Spaß haben und niemand sich ausgegrenzt fühlt. Dennis Müller
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