5 minute read
THE FLATLINERS
from FUZE.95
Foto: Riley Taylor
DOPPELSCHICHT. THE FLATLINERS feiern dieses Jahr ihr zwanzigjähriges Bandjubiläum. Wie man nach all diesen Jahren noch soviel Feuer und Leidenschaft in sich tragen kann, wie sich dies auf das neue Album „New Ruin“ auswirkt, wieso Frontmann Chris Cresswell momentan wohl einer der meistbeschäftigten Musiker im Punkrock-Zirkus ist, wie er die Termine seiner Bands THE FLATLINERS und HOT WATER MUSIC unter einen Hut bekommt, haben wir in diesem Interview beleuchtet. Zudem ist der Kerl einer der nettesten Gesprächspartner überhaupt.
Advertisement
Es gibt momentan wohl nur wenige Leute im Punkrock, die auf so hohem Niveau Doppelschichten schieben. Was soll ich sagen, es ist eine unendlich verrückte Zeit. Ich bin sehr, sehr glücklich mit THE FLATLINERS und wir haben nach all den Jahren noch immer mega viel Spaß zusammen. Die Jungs unterstützen mich, wo immer sie können. Auch bei der Entscheidung ein Teil von HOT WATER MUSIC zu werden. Das fühlt sich noch immer ein wenig unwirklich an. Ich spiele gewissermaßen in meiner Lieblingsband. In jedem anderen Kontext würde das überheblich klingen, aber hier ist es einfach, wie es ist. Ich bin schon so viele Jahre HOT WATER MUSIC-Fan. Jetzt selbst in der Band zu spielen, die mich so nachhaltig beeinflusst hat, ist unglaublich. Auch wenn es die doppelte Arbeit bedeutet, ist es doch auch der doppelte Spaß.
THE FLATLINERS gibt es mittlerweile seit zwanzig Jahren. Wie schafft man es, bei der Schnelllebigkeit des Musikgeschäfts so lange relevant zu bleiben und eine Band am Laufen zu halten? Okay, das wird jetzt die langweiligste Antwort des gesamten Interviews, haha! Die Erklärung klingt so unglaublich simpel, aber es ist der Hauptgrund, warum es THE FLATLINERS nach zwanzig Jahren überhaupt noch gibt: Wir waren immer richtig gute Freunde und daran hat sich in all den Jahren nichts geändert. Wenn ich das so sage, hört sich das schrecklich nach Bandromantik an, aber es ist bei uns wirklich so und keine Interviewfloskel. Wir kennen uns teilweise schon seit dem Kindergarten, sind gemeinsam aufgewachsen und schätzen uns gegenseitig wirklich sehr. Unsere Freundschaft ist uns extrem wichtig und wir würden auch nie Entscheidungen treffen, die diese Freundschaft in irgendeiner Form gefährden könnten.
Kommen wir auf das neue THE FLATLINERS-Album „New Ruin“ zu sprechen das in Kürze erscheinen wird. Nach zwanzig Jahren haut ihr einfach mal das härteste Album in eurer Bandgeschichte raus. Wie kam es dazu? Du wirst das in letzter Zeit wohl öfter hören, aber das Album ist das direkte Ergebnis dieser abgefuckten letzten zwei Jahre. Die Pandemie und was sonst so in der Welt los ist haben leider kein Album zugelassen, bei dem nur positive Ereignisse behandelt werden. Es war eine harte Zeit und der ganze Frust und die Wut mussten kanalisiert und rausgeschrien werden. Bei all dem haben wir aber dennoch darauf geachtet, stets positiv zu bleiben und dem Hörer zu vermitteln, dass nach Tiefs und dunklen Phasen auch stets etwas Gutes kommt. Lass uns einfach hoffen, dass wir die Pandemie nun ein Stückweit im Griff haben und unser Leben wieder mehr an Qualität gewinnt. Auf der Welt gibt es ohne eine globale Pandemie auch so schon genug Baustellen.
„New Ruin“ klingt aber auch in musikalischer Hinsicht etwas anders. Hat euch die Veröffentlichungspause von fast sechs Jahren gutgetan? Absolut. Es fühlt sich toll an, wieder zurück zu sein, und hat riesigen Spaß gemacht, das Album zu schreiben. Wir bekommen unglaublich positives Feedback auf die neuen Songs. Im Endeffekt versuchst du ja immer zwei Dinge. Neue Leute zu erreichen, die THE FLATLINERS noch nicht kennen, und den alten Fans eine neue Facette von dir zu zeigen. Ich glaube, das ist uns sehr gut gelungen und man hört dem neuen Album meines Erachtens auch an, dass wir keinerlei Druck hatten und so lange an den Songs arbeiten konnten, wie es notwendig war. Man muss sich selbst auch immer die Möglichkeit geben sich weiterzuentwickeln. Ich fände es extrem langweilig, wenn wir noch immer die gleiche Musik machen würden wie vor 15 Jahren. Man wird erwachsen und andere Dinge in der Gesellschaft und im eigenen Leben beschäftigen einen. Da ist es nur natürlich, dass man über andere Themen schreibt. Wichtig ist uns aber auch, dass letztlich immer der Spaß im Vordergrund steht. Im besten Fall überträgt sich das dann auch auf den Hörer.
Euer letztes Album erschien noch bei Rise Records. Wieso seid ihr für „New Ruin“ zu Fat Wreck Chords zurückgekehrt? Die Tür war immer offen. Als wir damals von Fat Wreck weggegangen sind, hatten beide Seiten das Gefühl, gemeinsam so ziemlich alles erreicht zu haben. Da wir uns damals in aller Freundschaft getrennt haben und über die Jahre nie den Kontakt verloren haben, war irgendwie klar, dass wir eines Tages wieder ein Album bei ihnen veröffentlichen würden. Und was soll ich sagen. Es fühlt sich eben doch wie zu Hause an. Wann immer wir zum Beispiel in San Francisco spielen, schlägt die gesamte Fat Wreck-Crew dort auf und feiert mit uns. Versteh mich nicht falsch, Rise Records haben einen tollen Job gemacht, aber bei Fat Wreck geht eben alles etwas familiärer zu und man kennt sich auf persönlicher Ebene besser und länger. Da ist es auch einfacher, die Vorstellungen und Erwartungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
Wie haben eigentlich deine Bandkollegen reagiert, als du damals von HOT WATER MUSIC gefragt wurdest, ob du Chris Wollard bei den Live-Shows an der Gitarre ersetzen möchtest? Ich habe mir da damals mehr Stress gemacht als die Jungs. Ich wusste nicht so recht, ob ich dieser Aufgabe gewachsen sein würde. Ich meine, HOT WATER MUSIC waren schon ewig eine meiner Lieblingsbands. Wenn du dann plötzlich mit den eigenen Helden auf der Bühne stehen sollst, lässt dich das schon etwas an den eigenen Fähigkeiten zweifeln. Deswegen habe ich auch erst nein gesagt, als ich gefragt wurde. Meine Jungs bei THE FLATLINERS haben mich dann aber ermutigt und gesagt, ich solle es zumindest versuchen. Das habe ich schließlich auch getan und heute bin ich froh, diese Entscheidung getroffen zu haben. Mir war allerdings auch wichtig, dass alle cool damit sind, sonst hätte ich das wohl nicht durchgezogen. Carsten Jung