Materialien zu einer schicksalspsychologischen entwicklungslehre hans jörg ringger

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Hans-Jörg Ringger

MATERIALIEN ZU EINER SCHICKSALSPSYCHOLOGISCHEN ENTWICKLUNGSLEHRE

Untersuchungen und Behandlungsprotokolle von vier achtjährigen Kindern


Hans-JĂśrg Ringger

Materialien zu einer schicksalspsychologischen Entwicklungslehre

Untersuchungen und Behandlungsprotokolle von vier achtjährigen Kindern


Herausgeber: Stiftung Szondi-Institut, Krähbühlstr. 30, 8044 Zürich Lehr- und Forschungsinstitut für Schicksalspsychologie und Allgemeine Tiefenpsychologie Szondi-Verlag, Zürich, 2006 Edition „brücke" Herstellung und Druck Intelligent book production by Editions à la carte Zürich, Technoparkstrasse I ISBN 978-3-905708-14-1


Vorwort

Vor knapp 10 Jahren legte Hans-Jörg Ringger das Buch „Einfüh­ rung in die Einzelpsychotherapie mit Kindern und Jugendlichen" vor (Band 4 der Schriftenreihe aus dem Szondi-Institut, 1997). Diesem Text schickte der Autor den Band „Heilen im Spiel. Ein Blick hinter die Praxistüre", 1990, voraus. Wer die hartnäckige Forschungstä­ tigkeit und den immensen Erfahrungsschatz Hans-Jörg Ringgers kennt, wusste darum, dass der „Einführung" früher oder später ein weiterer Band folgen werde. Er liegt nun vor: „Materialien zu einer schicksalspsychologischen Entwicklungslehre". Auch dieses Buch gründet auf die langjährige Lehrtätigkeit am Szondi-Institut im Be­ reich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie und auf der sich ebenfalls über Jahrzehnte erstreckenden therapeutischen Arbeit mit Kindern. Für uns Schicksalspsychologinnen ist die Publikation von Hans-Jörg Ringger ein grosses Geschenk und ein einmaliger Glücksfall: ein Text, in dem praktische Erfahrung mit sezierendem analytischen Wissen durchgearbeitet an uns weitergegeben wird. Für alle Therapeutinnen, ob sie nun mit Kindern oder Erwachsenen arbeiten, ist schliesslich die exemplarische Anwendung, Nutzung und Deutung des Szondi-Tests von unschätzbarem Wert. Ein finaler Grund, um sich in das vorliegende Werk zu vertiefen. Wir sind dem Autor für seine akribische Arbeit zu tiefem Dank verpflichtet. Zürich, im Mai 2006 Alois Altenweger Präsident des Stiftungsrates der Stiftung Szondi-Institut



Inhalt

10

Einleitende Bemerkungen

Erster Teil Carol und Iwan is

Zwei normale achtjährige Kinder

16

Die sechs Spiele und Triebprofile der achtjährigen Carol Die Veränderungen im Affekt- und Ich-Vektor in den

35

sechs Testaufnahmen bei Carol im VGP (EKP)

40

Bemerkungen zum weiteren Lebensverlauf von Carol

42

Die sechs Spiele und Triebprofile des achtjährigen Iwan

68

in den sechs Testaufnahmen

72

Bemerkungen zum weiteren Lebensverlauf von Iwan

Die Veränderungen im Affekt- und Ich-Vektor bei Iwan

5


73

Vergleich der Zensurfaktoren bei Carol und Iwan

75

Das Latenzprofil

79

Die zehn Vordergrundprofile bei Carol und Iwan Die sechzehn Affektvariationen im VGP und EKP bei

84

Iwan und Carol

88

Carol und Iwan

Alterstypische Vektorbilder und Faktorreaktionen bei

Zweiter Teil Ilse Neurotische Erkrankungsgefährdung 99

bei einem achtjährigen Mädchen

100

Einleitung

101

chens

103

Einige Spielszenen aus dem Behandlungsverlauf

Zu den Entwicklungsstörungen des achtjährigen Mäd-

Abschluss der Behandlung und der weitere LebensI 13

verlauf

I 16

haltensweisen

I 19

Die zwei Vordergrundprofil-Aufnahmen bei Ilse

122

Die Vordergrundprofil-Aufnahme bei den Eltern von Ilse

Auffällige Zwangsmechanismen und hysteriforme Ver-

6


Dritter Teil Stefan Psychotische Erkrankungsgefährdung 127

bei einem achtjährigen Knaben

128

Einleitung

129

Bemerkungen zum Lebensverlauf von Stefan

131

Erste Behandlungszeit

132

Die Spiele und Phantasien des achtjährigen Stefan

166

Der Vater Stefans

170

Stefans Mutter

172

Zweite Behandlungszeit

173

Die Spiele und Phantasien des Elfjährigen

188

Zweite Aufnahme des Szondi-Tests bei Stefan (elfjährig)

190

Durchbruch der manischen Erkrankungsgefährdung

191

Erster Klinikaufenthalt und die Zeit danach

193

Dritte Aufnahme des Szondi-Tests bei Stefan (22jährig) 7


197

Anhang

198

Weitere Testergebnisse bei den vier Kindern Die Gefahr- und Schutz-Existenzformen bei den vier

199

Kindern Die Triebvermischungen in den Vektoren und deren

202

Mitte-Rand-Verh채ltnis bei den vier Kindern Der Zusammenhang zwischen der Blockierung von Faktortendenzen und den Proportionen der Vermischungsbilder in den vier Vektoren bei den vier

208

achtj채hrigen Kindern

21 I

Weitere Testergebnisse zu Ilse und ihren Eltern Auff채lliges in der ersten und zweiten Aufnahme des

212

Szondi-Tests

226

Der Vater von Ilse

231

Die Mutter von Ilse Vergleichende Untersuchungen zu den Testergebnissen

236

bei Ilse und ihren Eltern

242

Der Szondi-Test der zweiundvierzigj채hrigen Ilse

8


Weitere Testergebnisse zu Stefan und Carol und ihren 251

Eltern

252

Zur Szondi-Test-Aufnahme beim achtj채hrigen Stefan Zur Analyse der Existenzformen in den Vordergrundund den theoretischen Komplement채rprofilen (VGP und

255

ThkP)

260

Interpretation des Szondi-Tests des elfj채hrigen Stefan Analyse der Existenzformen und der Gefahr- und Schutzproportionen im Test des acht- und elfj채hrigen

268

Stefan

276

Zur Analyse des Szondi-Tests der Mutter von Stefan

281

Testergebnisse bei Stefan, Carol und ihren Eltern

287

Nachwort

291

Literatur 9


Einleitende Bemerkungen

Es handelt sich bei dieser Arbeit um eine Wiederaufnahme und Erweiterung von Untersuchungen mit Kindern, die ich vor mehr als drei Jahrzehnten in Untersuchung und Behandlung hatte ( 19561961). Zuerst werden die Spiele und Phantasien eines achtjährigen Mädchens und eines gleichaltrigen Knaben (beide ohne erhebliche Entwicklungsschwierigkeiten) mit den Triebprofilen des SzondiTests verglichen und erläutert. In der Schweizerischen Zeitschrift für Psychologie und ihre Anwendungen ( 1957) erschien eine kurze Darstellung dieses Vergleichs unter dem Titel «Der Szondi-Test im psychotherapeutischen Spiel». Diese Darstellung soll erweitert und ausführlicher kommentiert werden. Zwei weitere Darstellun­ gen von Behandlungsverlauf und Testprofilen folgen dieser Arbeit. Dabei handelt es sich um die Behandlung eines achtjährigen, durch neurotische Erkrankung gefährdeten Mädchens und um einen gleichaltrigen, durch psychotische Erkrankung gefährdeten Kna­ ben. Die Testergebnisse dieser zwei Kinder werden mit den Test­ ergebnissen ihrer Eltern verglichen. Bei der neurotischen Erkran­ kungsgefährdung liegt eine Nachuntersuchung nach fünfunddreissig Jahren vor. In der Zeitschrift Praxis der Kinderpsychologie und Kinder­ psychiatrie (Göttingen, I960) wurde über zwei dieser Behand­ lungsfälle in einem Artikel berichtet, unter dem Titel «Kinder­ psychotherapie im Aspekt der vereinten Tiefenpsychologie Szondis». Der Behandlungsverlauf des durch neurotische Entwicklung gefährdeten achtjährigen Mädchens wurde in Heilen im Spiel (Bern, 1990) im Schlusskapitel ausführlich dargestellt, dort aber ohne Erwähnung der Szondi-Test-Profile, die vor und während der Behandlung aufgenommen wurden. 10


Diese Untersuchungen wollen ein Beitrag zu einer Material­ sammlung sein, mit deren Hilfe der Entwurf einer schicksals­ psychologischen Entwicklungslehre vielleicht doch einmal zustan­ de kommen wird. Die unumgängliche Notwendigkeit, sich im Be­ reich der psychoanalytischen Kinderpsychotherapie (bei Melanie Klein, Anna Freud und D. W. Winnicott) umzusehen, um von da aus der tiefenpsychologischen Kinderpsychotherapeutin, dem tiefenpsychologischen Kinderpsychotherapeuten den Weg zur Schicksalspsychologie aufzeigen zu können, brachte es mit sich, dass ein eigentliches Fussfassen und Innewohnen in den Sicht­ weisen der Schicksalspsychologie für Kinderpsychotherapeutlnnen bisher nicht möglich war. Eine schicksalspsychologische Entwick­ lungslehre gibt es - vorläufig - nicht. Im Werk Szondis finden sich diesbezüglich nur wenige Hinweise, sie sind in den Lehrbüchern von 1947 und 1960 zu finden. Es geht bei den Beschreibungen der Spiele und des Behandlungsverlaufs nicht um eine Demonstration, wie man bei Kindern während der Untersuchung oder während des Behand­ lungsverlaufs mitspielen oder den Szondi-Test aufnehmen kann oder sollte. Alle in der vorliegenden Arbeit dargestellten Behandlungen gehören in eine Zeit, in der ich mit einzelnen Kindern und Kinder­ gruppen verschiedenes Ausdrucksmaterial und verschiedene «Be­ handlungstechniken» wie «aktive Wachtraumtherapie», die psy­ choanalytische psychodramatische Methode oder die Techniken von J. L. Moreno «ausprobierte». Alle Spielprotokolle wurden nach der Stunde stenografiert. Dabei hegte ich keinerlei Publikationsab­ sichten. Oft bemerkte ich erst nachträglich, manchmal sogar Jahr­ zehnte später, was der Test «gesehen» und ich nicht erfasst hatte ein Hinweis auf die «sensible» Weise, in welcher der Szondi-Test die tiefenpsychologische Situation des Menschen und den Behandlungsverlauf «erblickt» und festhält. Er kann dies aber nur zeigen, das heisst: wir können sein «Erblicktes» nur in dem Masse verstehen lernen, als es uns gelingt, all das, was das Kind aus si ch herausbrachte, seine Phantasien und Phantasmen, seine Spiele und sein Verhalten uns gegenüber, tiefenpsychologisch zu verstehen. (Auf die mir damals zur Verfügung stehende Behandlungs«technik»


habe ich im Vorwort und in der Einleitung des Buches «Heilen im Spiel» hingewiesen.) Im Bereich der Psychotherapie sind die massgebenden Fakto­ ren für das Verstehen der Szondi-Test-Ergebnisse die «tiefen­ psychologischen Erfahrungen» und die dabei erworbenen Einsich­ ten und Hinsichten. Der Test wird uns nie sagen, was wir vor oder während einer Behandlung im besonderen zu beachten oder zu «behandeln» hätten. Er kann aber an einer Behandlung «teilneh­ men», insofern er unser Aufnehmen (Wahrnehmen) und Bewah­ ren des vom Patienten Hervorgebrachten und unser Einfühlen un­ terstützt. *

Was unterscheidet

Schicksalspsychologinnen

von Psychoana­

lytikerinnen? Schicksalspsychologinnen beanspruchen, über eine besondere Kenntnis der «Krankheitsbilder» und der oft kaum beachteten, «geringfügigen» Manifestationen derselben im Alltagsleben zu ver­

fügen. Sie wissen, dass jeder Mensch Träger von psychischen Erkrankungsdispositionen und Erkrankungsgefährdungen ist und dass sich im Entwicklungs- und Lebensverlauf zeitweise bei jedem Menschen bestimmte Schutz-, Abwehrmechanismen und Ängste zumeist in krankheitsbildtypischer Form - manifestieren können. Es gelang der Schicksalspsychologie, die krankheitsbildtypischen Erscheinungen und deren Zusammenhang mit besonderen und doch allgemeinmenschlichen Konfliktsituationen und Bewälti­ gungsmöglichkeiten verstehbar zu machen. Sie unterscheidet vier «Ursprungsbereiche» von Erkrankungsgefährdung und der Bewäl­ tigung derselben. Ihr Verständnis der Krankheitsbilder deckt sich weder mit dem der Psychiatrie noch mit dem der Psychoanalyse. Es war das Verdienst der Psychoanalyse, die Bedeutung der Se­ xualität im Leben des Menschen und den Zusammenhang der Le­ bens- und Liebesbedürfnisse mit den aggressiven und destruktiven Trieben - gegen den Widerstand der öffentlichen Meinungen - auf­ gedeckt zu haben. 12


Die Schicksalspsychologie beansprucht, die Widerstände gegen krankheitsbildtypische Ängste und Verzweiflungen, gegen das Zu­ lassen und Beachten von erblichen Erkrankungsdispositionen und Gefährdungen aufgedeckt zu haben. Mit solchem Widerstand ver­ baut man sich die Möglichkeit, an dem, was einen in Frage stellt, zu wachsen, stärker zu werden. Zum Schluss ein kurzes Wort zum Szondi-Test. Er stellt im Be­ reich der Tiefenpsychologie gewisse Anforderungen an den Testologen. Ausserdem muss manches errechnet, kann sogar mit dem Computer errechnet werden. Dies und die Tatsache, dass dem Test ein «kategorisierendes» Denken zugrunde liegt, stösst bei manchen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auf Widerstand: Da will man der Seele des Menschen mit Klassifizie­ rungen und Berechnung habhaft werden. Die Gefahr besteht, dass bloss gerechnet und mit Hilfe von Scheinlogik (beispielsweise Begriffsassoziationen) manipuliert wird. Aber: Es handelt sich beim Szondi-Test und der ihm zugrundeliegenden Psychologie um mehr als blosses Rechnen oder kategorisierendes Denken. Das Rechne­ rische hat nicht die Bedeutung von Berechnung im üblichen wis­ senschaftlichen Sinn. Das «Auswerten» des Tests im Rahmen des ihm zugrundeliegenden vierteiligen Aufbaubildes vom Menschen mit seinen faktoriellen und vektoriellen, ineinandergreifenden und einander übergreifenden Verbindungen, den Polaritäten und die Berücksichtigung der Aufteilung in vordergründige und hintergrün­ dige Aspekte der Gesamtperson setzt ein umfängliches Wissen über die normale (tiefenpsychologisch gesehene) Entwicklung des Kindes, Jugendlichen und Erwachsenen und über die zu psychi­ schen Erkrankungen führenden Faktoren voraus. Innerhalb dieser «qualitativ» zu verstehenden Vierteilungen, Polaritäten und Aspek­ te kann auch das Quantumsmässige, das «Mehr oder Weniger», das Gleichzeitige und Sichfolgende von Bedeutung sein. Es gibt das Zahlenmässige, Regelmässige und Verhältnismässige in der Seele des Menschen, so wie es dieses in der Architektur, in der Musik oder in der Poesie (etwa beim Versemachen) gibt. Doch ist man natürlich mit dem Zahlenmässigen noch nicht beim Wesentlichen. Der Test sagt uns nie, was wir im Einzelfall zu machen oder zu 13


verstehen haben. Er wird erst das hergeben, was er zu leisten ver­ mag, wenn wir seine Ergebnisse in den Rahmen des uns zur Verfü­ gung stehenden gesamten «Materials» zu stellen vermögen (der Lebensgeschichte, Symptomgeschichte, der Träume und der Mit­ welt der Testperson). Hans-Jörg Ringger

14


Erster Teil

Carol und Iwan Zwei normale achtj채hrige Kinder

15


Die sechs Spiele und Triebprofile der achtjährigen Carol

Carol ist das älteste von vier Kindern und wird von den Eltern als ein aufgewecktes, impulsives Mädchen geschildert. In der Schu­ le findet sie jedoch wenig Kontakt mit anderen Mädchen, macht lieber bei Knabenspielen mit oder versucht durch aussergewöhnliches Verhalten die Aufmerksamkeit älterer Kinder auf sich zu zie­ hen. Sie hat sehr wenig mit Puppen gespielt. Als Kleinkind, im Alter von zwei und drei Jahren, «terrorisierte» sie ihre Eltern oft durch Schreien, Wut- und Weinanfälle; vor allem nachts, aber auch tags­ über warf sie sich auf den Boden und zog sich in Hast und Uberstürzung kleinere Verletzungen zu, sowohl daheim als auch auf der Strasse. Nach solchen «Anfällen» und noch auf dem Boden liegend soll Carol manchmal Schaum auf den Lippen gehabt haben. Sie war ein lebhaftes Kind. Ungehemmt und vertrauensvoll nä­ herte sie sich anderen Kindern und Erwachsenen. Man hatte Mühe, sich vorzustellen, dass sie unter irgendwelchen vorbewussten oder unbewussten Ängsten «leiden» könnte. Der Vater Carols arbeitete in einem künstlerisch-akademischen Berufsgebiet, die Mutter studierte Naturwissenschaften. Beide unter­ richteten später an Universitäten. Erziehungsstil und Lebensgewohn­ heiten waren stark durch künstlerisch-emotionales Verhalten und durch solchem Verhalten entsprechende Ideen und Ideale geprägt. Die erste Stunde (ohne Testaufnahme) beenden wir mit einem Maskenspiel. Carol nimmt den Teufel und gibt mir den Räuber. Sie wolle mich töten, sie töte alle Menschen und zerstöre die Häuser. Nach kurzer Besprechung des Themas und da sie nicht weiss, was sie nun mit mir machen möchte, versuche ich, mich mit ihr zu ver­ bünden. Ich werde ihr Freund. Wir töten und zerstören zusammen (das heisst, ich begleite sie bei diesen Unternehmungen; es ist eine besondere Art von «Verdoppelung»). Abbruch. 16


Carol wechselt die Masken. Sie n immt den Polizisten und gibt mir den Engel. (Es folgt ein Abwehrversuch, der in einer «Lobprei­ sung» der Macht des Teufels enden wird.) Sie (als Polizist) erklärt mir (dem Engel), sie habe den Räuber und das Ungeheuer (eine andere Maske) eingesperrt; die beiden würden nun verhungern; sie gebe ihnen nichts zu essen. Den Teufel habe sie aber nicht ge­ fangennehmen können. (Mit dem Teufel scheint sie, so wie später der achtjährige Iwan mit dem Polizisten, allerhand zu inszenieren zu haben.) Er töte noch immer die Leute, er habe die Atombombe und ein Flugzeug, mit dem er überallhin fliegen könne. Ich sage ihr, ich sei ein Engel, ich könne ihn vielleicht holen. Carol: Er fliege hö­ her als der Himmel. Man könne nichts gegen ihn machen. Er habe auch Freunde, Leute, die Krieg machen wollen, und vier Engel (vier Kinder?), die nicht mehr gehorchten. Die Aussparung eines Ortes für den unfassbaren und allmächti­ gen Teufel und die anschauliche Beschreibung seiner Macht er­ scheint als ein eher gutes Vorzeichen für psychotherapeutische «Eingriffe». (Es handelt sich hier um das «Ouvertüre-Spiel».) In der zweiten Stunde ging (ausnahmsweise) der Szondi-Test dem Maskenspiel voraus. Der Test dürfte darum vermutlich das vergangene wie das kommende Spiel spiegeln: Carol nimmt den König und gibt mir die Muttermaske. Der König möchte ein Kind haben. Er kommt zu mir (ich spiele die Mutter) und erklärt mir, die Königin wolle keine Kinder mehr. (Dies betrifft in Wirklichkeit ihre eigene Mutter.) Ich: Wenn er wol­ le, könne er eines meiner Kinder (Kindermasken) auswählen. Nach längerem Anschauen und Besprechen der Kindermasken sagt Carol: «Das nächste Mal will ich die Mutter sein, und du musst der König sein.» - Das noch zurückgehaltene Thema scheint zu sein: «Kinderhaben, Muttersein, Kindermachen.» Der Wunsch ist auf den König verlegt worden (den Carol selber spielt). Das Thema wird während der Untersuchung von ihr nicht mehr «hervorgebracht».

17


Profil 1 (siehe Seite 35, mitbeteiligte Zensurfaktoren)

s h VGP

hy

0

±

+

±

0

0

±

0

+

ThKP EKP

e

s

+

C

Sch

P

p

d

m

+!

0

+

+

-!

+

+

0

±!

-!

k

Vordergrund: Eine weibliche Tendenz regt sich (S + -), fühlt sich kooperativ verbunden (C 0+), aber doch irgendwie gehemmt (Sch - + !). Wenn auch vermutlich ein wenig Liebesbesessenheit vorliegt (p + !), auch Teufelsbesessenheit - denn im Bereich der Inflation sind die Bedürfnisgegensätzlichkeiten aufgehoben -, «weiss» Carol doch nicht, ob sie ihre Regungen und Ansprüche auf die Bühne bringen will oder nicht (hy ±) und fühlt sich wegen die­ sem Nichtwissen und Nichtkönnen unglücklich (P 0 ± = Jam­ mern. Dieses «Jammern» ist das häufigste Affektbild in der Zehner­

serie. Carol kann mit ihren Wünschen und Begehren nicht einfach auftreten, fühlt sich deshalb verstimmt, unzufrieden und weiner­ lich). In der Konkordanz von ThKP und EKP erscheinen eine erhöhte Ablösungs- und Suchtendenz, letztere mit der Unsicherheit d ± ! verbunden, ob man sich nicht mit dem Besitzen des alten Objekts und mit dem Verbleiben bei demselben begnügen könnte (C ± ! -!). Ebenso stark (weil in Konkordanz) wirkt im Hintergrund die Ambi­ valenz: Soll ich Teufel oder Engel sein (e ±)? Darf man so tun? Ist das «böse»? - Im ThKP erscheint andeutungsweise das «Mörder-ESyndrom» (zusammen mit S - +), durch ethische Zweifel (e ±) zurückgebunden. Es spielt während der Untersuchung und der Behandlung eine gewisse Rolle, wird aber nie in den Vordergrund stossen, aufgrund vor allem der fast durchgängigen Anhänglichkeits­ bedürfnisse (C - +, -0) und teilweise wegen der «glücklichen», zu 18


Glück verhelfenden Kontaktfähigkeit (C 0 +), die Carol über die Familie hinaus auszustrahlen vermochte. Das «Mörder-E-Syndrom» (im ThKP) ist insofern «ungültig», als keine der drei Faktorreaktionen ambivalenter Art (±) sein darf. Sein Erscheinen und Verschwinden kann aber auch mit ambivalen­ ten Reaktionen von Bedeutung sein. Zwischenbemerkung: Das Mörder-E-Syndrom (ebenso wie das Selbst-Mörder-Syndrom) sollte aus verschiedenen Gründen um­ benannt werden. Der manchmal erwähnte Ausdruck «tötende Ge­ sinnung» kann bei Kindern und Jugendlichen nicht verwendet wer­ den. Töten, Totschlag, Beseitigung sind in der Psychotherapie ima­ ginärer Art und beruhen auf Störungen im Bereich der «groben Affekte», deren Unterdrückung und Abwehr.

Zweites Spiel mit Testaufnahme Am Anfang der folgenden Stunde (acht Tage später) frage ich Carol, ob sie noch wisse, was wir das letzte Mal gespielt hätten. Sie erzählt das Gespräch vom Teufel. Trotz Aufforderung zur Besin­ nung scheint sie nichts mehr von König und Mutter und dem von ihr vorgeschlagenen Rollenwechsel zu wissen. Wir spielen mit den Kasperlefiguren. Carol nimmt den Kasper­ le. (Wir sitzen auf dem Boden und spielen auf einem Stuhl.) König und Königin sind in einer Kiste, von mir hineingelegt. («Mutter und König spielen» hat Carol als Spielthema das letzte Mal vorgeschla­ gen.) Kasperle ist bei seiner Mutter. Carol spielt beide Figuren. Sie sagt von der Mutter, sie wolle schlafen gehen. Kasperle will nun in das Schloss zum König und zur Königin. Unbedingt will er in das

Zimmer. Ich (als König) sage, es habe dicke Mauern. Carol/Kasperle: Sie mache ein Loch in die Mauern. Ich: Das mache Lärm. Carol: Sie habe einen Schlüssel, um alle Türen zu öffnen. (Einen solchen hatte sie tatsächlich: Im zweiten, dritten Lebensjahr produzierte sie immer häufiger nichtendenwollende Schreianfälle in der Nacht, bis der Vater dies nach langem «Erdulden» mit kalten Duschen «ab­ stellte».) Ich lasse sie schliesslich herein. (Urszene.) Von jetzt an spielt sie ganz allein. Sie legt den Kasperle zwischen König und Kö19


nigin. Darauf holt sie den Polizisten, den sie mit einer Pistole be­ waffnet. Er wolle alle drei töten. (Ein Agent des Teufels?) D er Poli­ zist zielt und schiesst. (Sie tut dies mit einem auffälligen Ausdruck des Ernstes und der Entschlossenheit.) Er trifft aber nur die Köni­ gin. Carol begräbt diese. Bald darauf bringt sie mit dem magischen Stab die Königin wieder zum Leben, legt sie jedoch weg mit den Worten, sie spiele keine Rolle mehr im Spiel (Tötung und Wieder­ gutmachung als Ungeschehenmachen; Beseitigung der Mutter). Anmerkung: Beseitigung muss nicht Tötung sein. Beseitigung kann heissen: soll «keine Rolle mehr spielen», soll mich nicht mehr beeinträchtigen können; ich will machen, was ich will. Es gibt Be­ seitigung ohne Töten, beispielsweise ins Gefängnis bringen.

Profil II (siehe Seite 36, die Zensurfaktoren)

h VGP

± !

s

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ThKP

0

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EKP

0

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!

c

Sch

P

S e

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k

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0

+ !!

-

+

+

±

- !!

+

±

±

±

0

+

m

+

Im Vordergrund ist jetzt die Hemmung im Ich verschwunden und die Inflation in Unitendenz fast auf dem Maximum angekom­ men (p + !!). Das Bewusstsein ist von sexuellen Wünschen und den damit assoziierten Ansprüchen überschwemmt (S ± ! -!, Sch 0 + !!, «Liebesbesessenheit», eventuell Tötungs-[Beseitigungs-]Be­ sessenheit; vier Quantumspannungen in diesem Profil, einmalig in dieser Zehnerserie). Die starke affektive Beteiligung hat zu einer Affektabfuhr ge­ führt (P 0 0), vor allem im hy, vorbereitet durch die Konkordanz im hy ThKR EKP des ersten Profils (Seite 18). Die moralischen Dilem­ mas (hy ±) sind in den Hintergrund abgestossen worden. Carol 20


kann vordergründig rücksichtslos, grob (e 0) und unverschämt (hy 0) auftreten, «sich zeigen». Auffällig ist: Bei dieser Muttertötung fallen im VGP alle Zensur­ faktoren weg. (Im Gegensatz dazu werden im VGP des fünften Profils alle vier Zensurfaktoren mobilisiert: Carol spielt dort zum ersten Mal eine Mädchenrolle, macht Heiratsvorbereitungen, ohne jedoch das Ersehnte und Begehrte inszenieren zu können, siehe Seite 29.) Im Affektvektor gibt Carol (wie später auch Iwan) im EKP fünf­ mal (von sechs Aufnahmen) das genaue Gegenteil des Vordergängers, also in Übereinstimmung mit dem ThKR In je an­ derer Weise besteht bei beiden Kindern die grösste Spannung und Dynamik zwischen Vorder- und Hintergänger im Affektbereich (Konkordanzanalyse). Im Kontaktbereich gibt Carol die Reaktion der Kontaktsperre und der Verlassenheit (C —). Das ist ein auffälliges Kontaktbild, das in den späteren fünfundzwanzig Testaufnahmen mit ihr nie mehr erscheint. Warum dieses plötzliche, einmalige Verstössen von C 7

1. Schon im ersten Profil zeigte sich im EKP das auffällige Kontakt­ bild C ± ! — ! in Übereinstimmung mit dem ThKR Mit der in die­ sem Spiel erfolgten Affektabfuhr (P 0 0) ist das C — in den Vorder­ gänger eingegangen. Der Kain, das h eisst der Einbruch in das El­ ternzimmer und das Töten, könnte mit Verlassenheit und Kontakt­ sperre verbunden sein (C —). Es ist, als wäre Carol gedrängt wor­ den, sich - entschlossen und allein - zur Tötung resp. Beseitigung der Mutter aufzumachen. 2. Ausserdem sind nun die moralischen Dilemmas hy ±, das «Jam­ mern» (PO ± ist das häufigste Vektorbild im VGR siehe Seite 79), in den Hintergrund geraten. P ± ± Affektdilemmas erscheinen in Konkordanz ThKP-EKR Damit sind im VGP alle Zensurfaktoren verschwunden. Die Vermutung ist: Das Kontaktbild C — im VGP verweist auf einen Beziehungsabbruch dem dualunionistischen Objekt gegenüber (EKP: Sch ± 0, C + -) und ist aufs engste ver­ bunden mit dem Töten der Königin aufgrund von hintergründigem heftigem Anklagedrang (p - !!, Sch ± - !! ThKP). 21


Carol tötet ein Objekt, das sie in Wirklichkeit schon verloren hat. («Die brauchen wir nicht mehr!») Töten und sadistisches Be­ handeln der Mutter (ThKP S 0 + !) im Zusammenhang mit Urszene und Ödipus spielten eine grosse Rolle während der Be­ handlung. In der gespielten Szene «alle drei im Bett, Kasperle in der Mitte» und beim Ausruf, sie wolle alle drei töten, mag der Kasperle sehr wohl auch ihren um drei Jahre jüngeren Bruder im Elternbett bedeutet haben. Der hier erscheinende Ausspruch der Polizisten­ figur «Ich töte alle drei» (Verzweiflungsaggression) ist das Agieren des allmächtigen Teufels in ihr, von dem sie sagte, er töte alle Men­ schen und zerstöre die Häuser. Carol gab im VGP nie mehr die Ablösungsreaktion m - und nie mehr Quantumspannungen im p +. Sie sind in die Sexualbilder ab­ gewandert. Damit ist das Thema der zur Inflation treibenden Ansprüche zwar getroffen worden, aber nicht «durchgearbeitet». (Die Häufigkeit von p + bei Carol und die Quantumspannungen p + ! sind in diesem Alter eher selten zu finden.)

Drittes Spiel mit Testaufnahme /. Szene In dieser Stunde spielt Carol wieder den Kasperle. Sie spiele ihn gern, sagt sie. (Wie in den früheren Stunden spielt sie immer nur männliche Rollen.) Sie gibt mir den Polizisten, ich nehme die Mut­ terfigur. Ich sage, ich sei Kasperles Mutter. Kasperle kommt sehr spät nach Hause. Er geht aber nicht schlafen, sondern spaziert während der Nacht herum. Der Mutter gibt Carol jetzt noch einen alten Mann. Die Mutter brauche einen Mann, sagt sie. (Das heisst, Carol braucht das « vereinigte Elternpaar» für ihr Inszenierungsbe­ dürfnis.) Ich lege die Mutter und den Mann-Vater schlafen (das «vereinigte Elternpaar»). Kasperle kommt während der Nacht und nimmt ihnen die Decke weg, spaziert und tanzt etwas übermütig auf ihren Leibern herum. Carol sagt, Kasperle schlafe nicht in sei­ nem Zimmer, denn die Diebe hätten es zerstört. (Das wirkt merk­ würdig: Woher die Diebe? Wer stiehlt? Was wird gestohlen? War­ um Zerstörung?) Sie legt den Kasperle schliesslich neben den 22


Mann-Vater schlafen. - Da wäre sie angelangt! Aber eben nur als Kasperle. 2. Szene

Am Morgen kommt der König (Carol) und sagt, Kasperle müsse ins Gefängnis, weil er gestohlen habe. (Also hatte der «Einbrecher» doch irgendwie diebische Absichten. Warum aber der Kasperle? Es geht jetzt nicht mehr um das Beseitigen eines Liebes- oder Hassobjekts, es geht um ein Stehlen und Rauben, um Hab-Ansprü­ che. Die Faktorreaktion k + [±] drängt sich vor, einmalig in den zehn Profilen.) Carol holt den Kasperle dann wieder aus dem Ge­ fängnis. Sie setzt ihm jetzt den grossen, spitzen, magischen Hut auf. (So unsichtbar gemacht, wird er sich erkühnen, mit diesem gross­ artigen Objekt [Hut] noch anderes zu unternehmen.) 3. Szene

Kasperle (Carol) beginnt den Polizisten (meine Figur) zu nekken. (Der Polizist kann Kasperle wegen dem magischen Hut nicht sehen.) Carol sticht ihn mit dem spitzen, magischen Hut in den Bauch, in die Brust, schlägt ihn auf den Kopf, wieder mit leichtem Übermut. (Der Polizist erscheint ihr nicht als e in bösartiges oder verfolgerisches Objekt. Sie neckt ihn eher und plagt ihn zugleich.) Dasselbe macht sie, als der Polizist schläft. Sie fährt ihm sogar mit dem spitzen Hut unter den «Rock» und spiesst ihn auf den Hut auf. Eine Zeitlang hält sie den Polizisten (in dem meine Hand steckt) einfach ganz fest, mit der Hand meine Hand (in der Polizistenfigur) umklammernd (lächelnd und mich doch ernsthaft anschauend). Als der Polizist erwacht, gibt sich Kasperle nicht zu erkennen und sagt, der Teufel habe den Polizisten geneckt, der Teufel sei es gewesen, er habe den Kasperle vom Balkon hinuntergeworfen. Kasperle habe dem Polizisten helfen wollen. (Verleugnung und eine Art Umkehr, «Verkehrung ins Gegenteil»: das Opfer sein und nicht der übermü­ tige, räuberisch gesinnte «Quäler». Das war der Teufel [nicht ich]; zugleich braucht sie den Teufel als den Bestrafer, der den Kasperle vom Balkon hinuntergeworfen habe [Selbstbestrafung P —]. — Es sieht aus, als handle es sich um Scheinangriffe, harmlosen Über23


mut, gegen die Eltern und den Polizisten gerichtet, und auch dies wird auf den Teufel abgeschoben. (Der scheint noch anderes Feuer in sich zu haben als nur das Zerstören und Necken. Die Quantum­ spannung ist nun vom p + ! zum Sexualvektor verlegt und wird dort bleiben (S ± ! —; siehe Seite 79). Nachdem die Quantumspan­ nungen ihre Klimax im zweiten Profil erreicht hatten, gleichzeitig im Vektor S und Seh, fixieren sie sich - auch während der Behand­ lung - fast ausschliesslich im Vektor S.

Profil III (siehe Seite 36, drittes Spiel, Zensurfaktoren) P

S h VGP

±

ThKP

0

EKP

0

s

;

e

hy

-

+

c

Sch k

p

d

m

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±

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+

+

0

+

+

0

+

Die Umdrehung (Verkehrung ins Gegenteil) und die Verleug­ nung am Ende des Spiels entsprechen den Zensurreaktionen, der

Panik (P — resp. dem Verbergen hy -, zusammen mit dem erst­ maligen Erscheinen von e - [Aufstauung von groben Affektemo­ tionen]) und der jetzt mit Zwang abgewehrten Inflation (Sch ± +). Es scheint, dass das Verlangen nach etwas Aggressivem, Teufli­ schem die Faktortendenz e - (Auflehnung, Neid, Eifersucht?) in den Vordergrund gebracht hat, dass ein solches Verlangen aber als zu gefährlich empfunden wird und zurückgehalten werden muss (hy -, Verbergen; Kasperle hatte während des ganzen Spielverlaufs die spitze Tarnkappe auf dem Kopf). Carol spielt ihre Wünsche und die Verneinung der Wünsche fast gleichzeitig. Sie möchte necken, spielen, angreifen, sehen, plagen, während sie doch als K önig den aufgeregten Kasperle bestraft (wegen diebischer Absichten) und 24


dem Polizisten gegenüber ihr übermütiges «Angreifen» verleugnet. Carol macht sich mit einer gewissen Vorsicht an die Schlafzimmer­ szene (Urszenenproblematik) heran. Sie muss das Gefährliche in kleinen Annäherungsversuchen umspielen. Im Kontakt erscheint im Vordergänger ein neues Bild: C 0 0, «Befriedigungen im Kontaktbedürfnis primitiver Art, mit engstem Gefühls- und Körperkontakt verbunden» (Szondi), ein momenta­ nes Erlöschen jeder Kontakttendenz. - Es is t schwierig zu sagen, was bei Carol ein solches Erlöschen herbeigeführt hat. Vermutlich das übermütige Hüpfen auf den Leibern der Eltern, des Polizisten und das Schlafen beim Vater. Man fühlt sich im Elternzimmer zwi­ schen Vater und Mutter «etabliert». Das Bild C 0 0 wird im fünften Profil noch einmal erscheinen, dort im Zusammenhang mit Heiratsvorbereitungen und einem Mutter-Baby-Spiel. Die den Inzest und den Ödipus anzeigenden Testmerkmale, zu denen in erster Linie die Kontaktbilder C - T. - 0 gehören, konn­ ten bisher weder im VGP noch in den Hintergrundprofilen gefun­ den werden. (Im sechsten Profil werden diese Testmerkmale zum Durchbruch kommen [siehe Seite 79] und während der Behand­ lung, vor allem im Kontaktvektor, immer wieder erscheinen.)

Viertes Spiel mit Testaufnahme Carol nimmt Kasperle und ich den alten, grauen Mann, den sie das letzte Mal der Mutter gab, da diese, wie Carol sagte, einen Mann brauche. Zuerst will sie den alten, grauen Mann töten, tut es dann aber nicht. Sie scheint nicht zu «wissen», wie und warum es zum Töten kommen muss. Ich lege ihn schlafen. Carol nimmt dar­ auf das H uhn (das Eier legen kann). Mit diesem läuft sie lange auf dem Bauch des Mannes herum, drückt mehrmals das Huhn mit dem Loch im Bauch auf die Nase des Mannes und schaut jedesmal, dass das Loch auch wirklich auf die Nase des Mannes kommt. Carol inszeniert sexuelle Neugier. Sie ist «aufgeklärt», weiss aber das mit dem Penis und dem Samen nicht so genau. (Später stellt sich heraus, dass sie es s ehr wohl wusste, es a ber aus Angst und Ekel vor Penetration nicht wahrhaben wollte.) 25


Das Huhn kommt mit einer kleinen Babyflasche und stösst mit dem roten Zäpfchen auf den Mund des Mannes. Carol sagt: Es war Gift. Der alte Mann ist tot! (Es geht da um etwas sehr Gefährliches. Er soll sie, vermutlich, bei ihrer sexuellen Neugier nicht stören können.) Im weiteren Verlauf des Spiels mache ich (der Polizist) den Vor­ schlag: «Nur wir zwei wissen, was mit der Flasche ist.» (Sich ver­ binden im Zusammenhang mit dem Geheimnisvollen.) Ich füge hin­ zu: «Für die Guten ist Bier darin, für die Bösen Gift.» Carol gibt mir mehrmals mit der Babyflasche zu trinken, und ich muss ihr zu trin­ ken geben. Daraufhin erlöst sie den alten, grauen Mann wieder. Ich frage sie: «Warum hast du mich töten wollen? Warum warst du böse auf mich?» Antwort: «Schlage mich nicht mehr!» (Den kalten Duschen sind - nach eingeholter Information - zeitweise Schläge auf den Hintern vorausgegangen.) Alter, grauer Mann: «Wann habe ich dich denn geschlagen?» Carol (Kasperle): «Als ich das letzte Mal vom Balkon fiel.» (Im vorausgegangenen Spiel, bei der Verleug­ nung, fiel Kasperle vom Balkon resp. wurde vom Teufel hinunter­ geworfen. Schläge bekommen = der böse Vater, der sie aus dem Schlafzimmer der Eltern vertreibt oder sie bestraft.) Kurzes Ge­ spräch darüber. Carol exploriert die Urszene, inszeniert ihre Neugier. Sie will wissen, wie denn das da zugeht. Was sie befürchtet, tut sie dem alten, grauen Mann an: Es könnte Gift sein, etwas Schlechtes, Bö­ ses, Gefährliches, was da geschieht. Das will sie nicht. Es sieht so aus, als seien alle Männerfiguren in diesem Bereich, den sie ausfor­ schen will, eher böse, unwillige oder strafende Figuren (der König, der Polizist, der alte, graue Mann). Carol spielt das erste Mal «se­ xuelle Neugier». Sie ze igt diese in indirekter Weise (Verlegung nach oben und Verlegung des Neugierigseins in eine männliche Figur [Kasperle]). Ich bin Carol in diesem Spiel nicht durch Deutungen entgegengekommen, jedoch wurden zwei Spielinterventionen, die einer Deutung nahekommen und doch keine eigentliche Deutun­ gen sind, durch mich ins Spiel gebracht: a) Ich legte den alten, grauen Mann schlafen (gespielte Interventi­ on), nachdem Carol auf die Tötungsabsicht ihm gegenüber «ver­ zichtet» hatte. 26


b) Ich sprach von der guten und der schlechten, gefährlichen Milchflasche (resp. vom guten und gefährlichen Penis), vorläufig auf der oralen Ebene verbleibend (gespielte Interpretation; siehe Angst vor Penis und Penetration Seite 40).

Profil IV (siehe Seite 36, Zensurfaktoren) P

S h VGP

±!

ThKP

0

EKP

0

s

+

Sch

C

e

hy

k

p

d

m

0

±

0

+

0

+

±

0

+

_

+

_

+!

0

-

+

_;

_

Das Vordergrundprofil gleicht weitgehend dem ersten Profil (Seite 18). Inflation (erscheint jedoch nicht mehr mit Quantum­ spannungen seit dem Profil III, also nach erfolgter Tötung der Köni­ gin und dem Manifestwerden der sexuellen Neugier) ohne Quan­ tumspannung und ohne Hemmung (Sch - +) in Unitendenz (Sch 0 +) mit normalem Bindungsbedürfnis (C 0 +), mit ein wenig Jam­ mern (P 0 ±) wegen unglücklichem, unbefriedigtem und unsicher gewordenem Liebesanspruch (S ± ! -, Sch 0 +, «Ausweitung des Ichs durch Liebe» [Szondi I960, Seite 149]. Inflativ gewordene, zum Teil ambivalente, erotische, weibliche Liebesansprüche). Das Auffällige (Andersartige und Neue) erscheint im EKR im Affektvektor (P + ! 0). P + ! 0 = Gewissensangst, phobische Angst (und Hemmung Sch - +). Solche Angst erscheint im Zusam­

menhang mit Carols sexueller Neugier, mit dem sie beherrschen­ den Drang nach Auskundschaftung der Schlafzimmergeschehnisse und im Zusammenhang mit ihren Koitusphantasien und -manipulationen. Im Profil III erschien im VGP das Affektbild P —: Der Einbruch ins Elternzimmer und Carols ungestümes Tanzen auf den Eltern 27


und dem Polizisten mussten damals verborgengehalten und ver­ leugnet werden, eventuell aus Angst vor Strafe, darum: P —. Jetzt erscheint die Angst von anderer Qualität und höherem Intensitäts­ grad, aber im EKP als Gewissensangst, ich vermute wegen den Koitusphantasien und dem kurzen Gespräch und der Erinnerung an das Geschlagenwordensein durch den Vater. Im Test ist folgende Auffälligkeit festzustellen: In den anderen fünf Profilaufnahmen erscheint jeweils im Affektvektor, im ThKP und EKP (Konkordanz) übereinstimmend, genau das gegenteilige Bild des Vordergängers. In diesem vierten Profil hat sich im Vordergänger fast nichts verändert. Das Vordergrundprofil sieht beinahe «harmlos» aus. Hingegen ist die Affektdynamik (die Kon­ kordanz) im Hintergrund (EKP-ThKP) «zerrüttet» worden: An­ stelle einer vertikalen Teilung des Ganztriebs (± 0) erscheint eine Unitendenz (P + ! 0) mit Quantumstauung (siehe Zensurfaktoren, Seite 36, viertes Spiel).

Fünftes Spiel mit Testaufnahme Auch in diesem Spiel wählt Carol den Kasperle. Ich nehme den alten, grauen Mann, der Kasperles Freund ist, und führe die Prin­ zessin in das Spiel ein. Carol bestimmt Ort und Geschehen: Wir sind auf dem Schloss und spielen Heirat zwischen Kasperle und Prinzessin. Es kommt zu verschiedenen Begegnungen und Vorbe­ reitungen auf dem Schloss. Man weiss noch nicht, was eigentlich gespielt werden soll. Ich komme zwischenhinein mit dem Polizi­ sten, um zu sehen, was da vorgeht. Carol (Kasperle) kommt und tötet ihn mit der Giftflasche. «Den brauchen wir nicht.» (Der könn­ te uns im Moment nur stören auf dem Weg zu dem, was geschehen soll.) Plötzlich schlägt Carol vor: «Nimm du den Kasperle, ich nehme die Prinzessin.» Es sei Nacht. Sie legt Kasperle und die Prinzessin schlafen, überlegt und nimmt dann doch den Polizisten, indem sie sagt, er sei nicht ganz tot. (So einfach aufs Ziel los will sie nicht. Sie kann die Prinzessin nicht spielen.) Er komme ins Schloss, um zu sehen, was los sei. Er sehe aber, dass sie keine Dummheiten ma28


chen (!). Sie gibt mir den Polizisten: Er solle sagen, er sei s ehr er­ staunt, er habe nicht gewusst, dass sie verheiratet seien. Sowie aber der Polizist (ich) sagt, den Freund von Kasperle und der Prin­ zessin, den alten, grauen Mann, liebe er nicht, der dürfe nicht hier bleiben, gibt Carol ihm den Todestrunk und wirft ihn in den Papier­ korb. Darauf nimmt sie die Eltern von Kasperle. (Die müssen doch beim Heiraten irgendwie auch berücksichtigt werden.) Ich solle sie aber nicht ins Schloss lassen. Als sie (von Carol gespielt) eindringen wollen, muss ich sie mehrere Male hinauswerfen. Carol ist sehr froh darüber. Nur Kasperle, die Prinzessin, der König und der alte, graue Mann dürfen auf dem Schloss bleiben. Sonst darf niemand hereinkommen. (Es gibt keine Königin! Von der hiess es im zweiten Spiel: «Die spielt keine Rolle mehr im Spiel» [siehe Seite 20, Besei­ tigung der Mutter].) - Der alte, graue Mann (ich) geht dann für sechs Monate fort, kommt zurück und fragt, was geschehen sei, ob sie ein Kind hätten. Das packt sie sehr, sie sucht das Baby in der Kiste, deckt es m it Tüchern zu und spielt längere Zeit für sich al­ lein, nur mit dem Baby (Verlegung, Beruhigung).

Profil V (siehe Seite 37, fünftes Spiel)

h VGP

±!

ThKP

0

EKP

0

Sch

P

S s

e

hy

k

+

+

0

+

+

0

+

-

C p

d

m

+

0

0

•+-

+

±

±

Die Faktorreaktion e ± und das Vektorbild P ± - erscheinen zum ersten Mal im VGP («ein Abel, der zugleich seine groben Af­ fekte aufstauen lässt» [Szondi, I960]). Die Gewissenskonflikte (e ±) werden im Spiel sichtbar im Zusammenhang mit dem Polizi­ sten und den Eltern, dies um so mehr, als Carol das erste Mal eine 29


weibliche Rolle spielt! Dass man sich da einschliesst und Dinge zu verbergen hat (hy -), wird auch gespielt. (So machen es ja auch die Eltern; die sollen von allem nichts wissen.) Der Raum für «wichti­ gere Dinge» wird erst ein wenig, mit Vorsicht, angezeigt. Man ist noch gehemmt (Sch - +). Dann, am Schluss, kommt die «Erlö­ sung» durch den alten, grauen Mann; zwar auf einem Nebenweg. Das fernere Ziel ist erreicht: Das Baby ist nun eben da. Jetzt kann man wenigstens die Mutterrolle spielen (usurpieren)! Ist das «An­ dere» vielleicht gar nicht so wichtig? - Abwehr und Beruhigung (ein Baby haben und die Mutter spielen können) sind durch mich einge­ führt worden. Faktor e ±: Das Töten des einbrechenden Polizisten, den Carol nachher wieder lebendig macht, da sie die Heirat durch ihn bestä­ tigen lassen will. Im Vordergrundprofil sind alle vier Zensurfaktoren «am Werk» (einmalig in den sechs Profilen: Mitte ± -, -+). Es geschieht eigentlich nicht viel in diesem Spiel. Geheiratet wird nicht. Eindringlinge werden getötet oder hinausgeworfen. Carols grösstes Vergnügen ist, die Eltern von Kasperle zu spielen, die ich mehrmals hinauswerfen muss. Die Hemmung (Sch - +) er­ scheint auch im EKP (Konkordanz). Was wird im Hintergrund gehalten? Dem neuen Affektbild im VGP (P ± -) entspricht im Hintergrund das Bild P 0 +: der Drang in Unitendenz nach Sichzeigen (Konkordanz ThKP und EKP), auf die Bühne zu treten (Exhibition; Affektflut). Was da im Hintergrund zurückgehalten, gehemmt wird, sind vermutlich zwei Arten von Begehren: a) Ungestüm, Unzufriedenheit und Wut (P 0 +), was im nächsten Spiel zum Vorschein kommen wird; b) ein Drang nach Auftreten als weibliches Wesen mit vermutlich aggressivem Verlangen (ThKP: SO +, P 0 +, Sch + -): mit Angriffs­ lust, Wut, Anklage und Vorwürfen, das Thema der nächsten Stun­ de. Die auffälligen Kontaktbilder lassen sich vom Spielverlauf her gesehen nicht erfassen (C 0 0: Desintegration, Erlöschen jeder Kon­ takttendenz), eventuell das Babyspiel am Ende der Stunde. 30


Sechstes Spiel mit Testaufnahme Am Anfang hat Carol den Kasperle, die Prinzessin und die Mut­ ter von Kasperle, ich den alten, grauen Mann. (Er funktioniert - wie fast immer - als ein «Freund», ein Verbündeter.) Es kommt in die­ sem Spiel zu folgenden Begebenheiten und Gesprächen: Die Prinzessin und der Kasperle sind weiterhin im Schloss. Die erboste Mutter von Kasperle (Carol) will stets ins Zimmer kom­ men, um zu erfahren, wie Kasperle und die Prinzessin das Kind machen. Ich darf sie aber nicht hereinlassen. Carol weiss nicht, wie die beiden das Kind machen. Sie möchte es unbedingt erfahren. Sie hat eine Vermutung: In der Nacht habe die Mutter von Kasperle der Prinzessin ein Stück ihrer Krone abge­ schnitten. (Vermutlich hat dies etwas mit Kastration zu tun, von Frauen unternommen.) Ich bleibe auf der Ebene des Symbols und der «Verlegung nach oben» und sage Carol, sie brauche keine Krone, ich (der König) habe eine grosse Krone. Sie ist sehr zufrieden damit und sagt: «Zei­ ge sie mir, darf ich sie sehen?» Im weiteren Verlauf des Spiels agiert Carol weiterhin die Mut­ ter von Kasperle. Sie ist böse und wird wütend, weil sie «es» nicht weiss und will doch immer wieder hinausgeworfen werden (so wie sie früher nicht ins Elternzimmer eintreten durfte). Wieder einmal werden wegen Unzufriedenheit, Es-nicht-Können und Nichtwissen die Männer («alle Männer») geschlagen und getötet. Die Mutter (Carol) tötet ihren Mann (den alten, grauen Mann) und den Polizisten. Daraufhin will sie mit Kasperle (den ich spielen muss) schlafen (Inzest? Neidgefühle dem jüngeren Bruder gegenüber?). Sie sagt, sie liebe ihn (den Kasperle). In der Nacht schlägt sie ihn aber, «macht ihm weh». Das Ergebnis der (von Carol gewünschten) sich wiederholen­ den Verweigerungen, sie hereinzulassen, war, dass sie mit einer gewissen Vehemenz darauf zu beharren begann, die Prinzessin habe doch eine kleine Krone (was ihr «zugestanden» wurde). Aber

bis zum Schluss hielt sie an ihrer Unzufriedenheit und Wut fest, an dem Gefühl, sie werde in bösartiger Weise ausgestossen durch das 31


heiratende Paar resp. den grauen Mann, der sie immer wieder hin­ auszudrängen hatte. Sie hatte (brauchte) das Gefühl, man strafe sie, weil sie dabeisein wolle; sie werde vertrieben, man lasse sie «draussen vor der Tür». - Dies verlegt sie alles auf die Mutterfigur: Mit Hilfe der Verlegung kann sie die ins Bewusstsein vorstossenden Ansprüche und Begehren, das weibliche Verlangen nach Zärtlich­ keit und die groben Affektregungen (S + ! -, P - 0, C - +) ent­ schärfen und hemmen (Sch - +). Es funktionieren im VGP nur noch die Ich-Abwehrmechanismen, die Hemmung (Sch - +). Carol scheint grössere Schwierigkeiten zu haben, sich in einer weiblichen Rolle zurechtzufinden: Sie spielt in Wut und Aufregung eine weibliche Rolle, eine bös gewordene Mutter. - Wie ist das Abschneiden eines Stücks Krone, die der Prinzessin gehört, durch die Mutter von Kasperle zu verstehen, wie Carols Vermutung, mit dem Abschneiden dieses Stücks Krone werde man ein Kind haben können? Carol spielt auch eine Art Rollenumkehr: Nicht das Kind will ins Schlafzimmer, sondern die Mutter will einbrechen und wissen und sehen. Dabei entwickelt sie bei diesem Agieren eine fast ungeheu­ erliche Wut auf den König und den Polizisten, sogar auf ihren alten, grauen Mann, die alle getötet werden müssen (P - 0), und sie plagt und schlägt ihren Sohn. Es ist eine Art von Amoklaufen gegen alles Männliche, alle männlichen Figuren.

Profil VI (siehe Seite 38, sechstes Spiel) p

S h

s

VGP

+!

-

ThKP

-!

+

EKP

0

32

e

c

Sch hy

k

p

d

+

+

0

+

±

+

+

±

0

m

+ +

+

_


Wieder erscheint das nach Zärtlichkeit verlangende, aber ge­ hemmte Mädchen (S + ! -, Sch - +). Die Unsicherheit im Hinblick auf Zärtlichkeitsansprüche ist verschwunden (statt S ± ! - er­ scheint S + ! —: ein zärtlichkeitsbedürftiges weibliches Wesen). Zum ersten Mal findet sich im VGP jetzt der «Kain», und zwar der inzestuöse Kain (Wut und Aufruhr wegen unbefriedigter sexueller Neugier, Wissenwollen und Kastrationsandrohung). Das ganze Vordergrundprofil hat die Bedeutung: das i n seiner Wut rücksichtslose und doch gehemmte Mädchen, das nicht «weiss», zu wem seine Zärtlichkeitsbedürfnisse, sein Hingabeverlangen es drängen, wie es s eine erotischen Bedürfnisse vorbringen kann (S + ! -, P - 0, Sch - +, C- + [siehe Szondi: das Inzest- und ÖdipusProfil, I960; Seiten 180, 195; ferner 1952, Seiten 464, 527]). In den folgenden achtzehn Profilaufnahmen ist die Kain-Reaktion nie mehr in den Vordergrund getreten, während die ödipale Bindung im C-Vektor (C - 0, - +) in vierzehn (von achtzehn) Bil­ dern wieder erscheint. Die Möglichkeit, im Affektbereich auf Beseitigungswünsche und Angriffe mit Reuegefühlen oder Wiedergutmachungsaktionen zu reagieren, ist bei Carol gering. In den ersten zehn Profilen bringt sie im VGP nie ein e + zustande. Allerdings werden ihr Bösesein, ihre Unzufriedenheit und ihre Wut immer gleichzeitig im Hintergänger durch verstärkte gegen­ teilige Reaktionen «kompensiert» (Hintergrund-Konkordanz). Ihre Unzufriedenheit, ihre Wut und ihr Töten haben mit einem asozia­ len, antisozialen Verhalten oder mit einem «bösartigen» Kain nichts zu tun (siehe Seite 84, Affektvariationen). Es ist viel Unzufrieden­ heit, viel Auflehnung, es sind zu viele unerledigte Affektstauungen (Angst vor groben Affekten) in ihr, als dass sie die spielerischen Entladungen von groben Affektregungen mit Reue und Wiedergut­ machungen «kompensieren» müsste. Sie war böse, sie war eben nicht lieb. Hier ist nicht der Kain mit tötender Gesinnung gemeint. Zwischenbemerkung: Die Figur Kain bedeutet in der Schick­ salspsychologie, dass w ir Todes- und Beseitigungswünsche hegen, und zwar wegen nicht durchgearbeiteten, in nur ungenügender Weise bewusstgewordenen und zumeist gestauten «groben Affek33


ten», Hass und Wut usw. Es sind solche Affektregungen, die wir durch Psychotherapie - so weit dies möglich ist - mit Sorgfalt aus­ zugraben haben. In diesem letzten Spiel mit Carol findet sich die Kain-Variante: VGP P - 0, «ein Kain, der sich vor Angst in Gewalttätigkeit rettet» (das Männertöten, Schlagen des Kasperle). Das Töten ist, wie Melanie Klein sagt, ein (primärer) primitiver Früh-Abwehrmechanismus. Wir fügen mit Szondi hinzu: eine Ab­ wehr im Affektbereich. Das Durcharbeiten in diesem Bereich be­ steht im Aufspüren a) der zu vermutenden Beziehungen zwischen den gegensätzli­ chen Affekttendenzen e + und e- (beispielsweise ±: Bedürfnis nach Versöhnung oder Rache? usw .) und im besonderen im Auf­ spüren der «groben Affekte» (Hass und Wut, Neid und Eifersucht, Rache und Zorn) und der mit ihnen verbundenen VitaltriebVersagungen und Ich-Bedürfnis-Beeinträchtigungen, die nicht ver­ schmerzt werden konnten; b) von vermutlich vorliegenden hereditären Schwierigkeiten oder Unfähigkeiten, Affekte in einer der inneren und äusseren Situation entsprechenden Weise zu stauen und zu entladen (im besonderen bei epileptiformer oder hysteriformer Erkrankungsdisposition oder Erkrankungsgefährdung). Man spricht in der tiefenpsychologischen Entwicklungslehre von der sich entwickelnden Fähigkeit beim Kind und Jugendlichen, Affekte zu stauen und zu entladen. Man lernt es, beispielsweise eifersüchtig zu sein, man kann solche Gefühle bei sich zulassen und sie verbalisieren, wenn auch «mit Affekt», und man kann auch an­ deren ein solches Verhalten zugestehen (gehört zu: AggressionsToleranz sich und anderen gegenüber). Es g eht hierbei nicht nur um Affekt-Beherrschung, um Affekte-kontro///'eren-Können, obschon auch ein solches Unterdrücken und Hemmen gelernt wer­ den will.

34


Die Veränderungen im Affekt- und Ich-Vektor in den sechs Testaufnahmen bei Carol im VGP (EKP)

Es soll aufgezeigt werden, in welchem Zusammenhang die Ver­ änderungen in den Spielgehalten mit den Veränderungen in den vier Zensurfaktoren (der ethischen e +, der moralischen hy -, der vernünftigen k - und der geistigen p + Zensur) stehen.

e

hy

k

P

VGP

0

±

-

+ !

EKP

0

+

0)

/. Aufnahme, Seite 18: Der allmächtige Teufel und der Kinderwunsch werden

inszeniert, eine «Besessenheitsphantasie» (p + !) von zerstörerischer Allmacht, die Schrecken verbreiten kann (Hem­ mung von gestauter Inflation: Sch - + !). Liebesbesessenheit? Undifferenziertes Verlangen nach Ausleben von Liebes­

2 Zensurfaktoren (hy ±, k -)

Die engere Mitte

und Hassregungen? P 0 ± : «Will ich das alleszeigen oder ver­ bergen, was mich in Unzufriedenheit und Aufruhr versetzt?» («Jammern».) - Der Kinderwunsch wird verlegt auf einen sich beklagenden König. Der morali­ sche Zensurfaktor (eigene Wünsche verbergen, hy -) und die Vernunft-Zen­ sur (Unterdrücken, Hemmen, Verle­ gen: k -) nehmen am Spielgeschehen teil. 35


k

0 + !!

P

2. Aufnahme, Seite 20: Der Teufel mel­ det sich: Einbruch ins Elternzimmer. Die Tötungsabsicht ist: die Beseitigung

der Eltern und des Rivalen. Eserfolgt aber die Tötung und Beseitigung der Königin. («Die brauchen wir nicht mehr.») - Ver­

1+

o ^ 1+

VGP

hy o 1+

e

lust aller Zensurfaktoren (resp. Abstos-

sung derselben in den Hintergänger [EKP = ThKP]) und Hyperinflation (Sch 0 + !!). Von hier an verschwinden die Quantumspannungen im Faktor p +. VGP

-

-

±

+

EKP

(+

+

0

+)

3. Aufnahme, Seite 24: Der Teufel er­

scheint in neuartiger Aufmachung: Tan­ zen auf den Leibern der schlafenden El­ tern, sie stören, plagen (e -). Dann Strafbedürfnis (der böse Kasperle muss

ins Gefängnis). Dann übermütige «sexu­ elle» Manipulationen mit dem Polizisten, die aber verleugnet und dem Teufel zu­ geschrieben werden. Carol gibt sich selber als de s Teufels Opfer aus ( P —: Verbergung von Aufruhr, Strafbedürfnis

3 Zensurfaktoren (hy-, k ±, p +)

und k- [±]: Leugnung und Verleug­ nung). Ein bisschen Moral (hy -) und die Vernunft-Zensur (k ±) wirken beim Spie­ len mit. - Der geistige Zensurfaktor mag dabei auch eine Rolle spielen (Drang nach Bewusstwerdung, p +, etwas soll «ans Licht kommen», «etwas interes­ siert mich»). VGP

0

EKP

(+

±

+

4. Aufnahme, Seite 27: Koitusphanta­

+)

sien in spielerischer Form mit nachträg­ licher Tötung (Vergiftung) des Liebes­ objekts. Erinnertwerden an den realen,

36


2 Zensurfaktoren

erbosten, sie strafenden Vater. Im Hin-

Verminderung der Zensurfaktoren im VGP [hy ±, p +])

tergrund: «extreme Gewissensangst» P + ! 0; das einzige EKP-Bild im Affektvektor, das nicht mit dem ThKP-Bild übereinstimmt (siehe Szondi, I960, Sei­ te 115, «das v erdrängte Furchtobjekt»). Es bleibt, abgesehen von einem Rest von Sichverbergen und Jammern (P 0 ±), nur die geistige Zensur (ein wei­ terhin bestehender Drang nach Bewusstwerdung, nach Imagination, Mo­ bilisierung der inneren Wahrnehmung) der sich vordrängenden Wünsche.

e

hy

k

VGP

+

_

-

EKP

(0

+

4 Zensurfaktoren

P +

+)

5. Aufnahme, Seite 29: Carol versucht

zum ersten Mal eine Mädchenrolle (die Prinzessin) zu spielen. Heiratsvorberei­ tungen. Alles mit viel Hemmung. Der Triebwunsch wird nicht inszeniert (Sch - +). Sie spielt die ausforschenden und kontrollierenden Über-Ich-Figuren (den Polizisten und die Eltern, die ich abzu­ wehren und auszustossen habe). Alle vier Zensurfaktoren kommen ins Spiel (e +, hy -, k -, p +). Ihr Mitwirken steht der zweiten Testaufnahme (Tötung der Kö­ nigin-Mutter, Seite 20) gegenüber, dem Verlust aller Zensurfaktoren! Im EKP erscheint die Unitendenz P 0 T (in Konkordanz mit dem ThKP): das Bedürfnis nach Sichzeigen, Auf-dieBühne-Treten (aber mit Ausstossen von Unzufriedenheit und Wut). Carol ist nicht die «Braut». Das Mit-wem und Wozu bleibt im Dunkeln.

37


e

hy

k

P

VGP

-

0

-

+

EKP

(+

±

0

+)

6. Aufnahme, Seite 32: Nachdem Ca­

rol eine Kastrationsphantasie erwähnt und sie umspielt hat, delegiert sie eine tiefe Unzufriedenheit auf die Mutterfi­ gur: Tötungs- und Beseitigungsdrang ge­

2 (lch-)Zensurfaktoren

gen die Männerfiguren gerichtet; sie

(k - P +)

plagt und schlägt ihren Sohn. Verlust der ethischen und moralischen Zensur: Rück­ sichtslos (e -) und unverschämt (hy 0) spielt sie ihre groben Affektbegehren, ein Gemisch von Wut, Neid, Eifersucht und Rache (P -0); Entladung in Uni­ tendenz; auf die Mutterfigur übertragen (der «Kain, der sich vor Angst in Gewalt­ tätigkeit rettet»). Dabei ist sie nicht wirklich sich selbst (Sch - +: Hem­ mung). Durch Verlegung auf die Mutter­ figur wird noch einiges unterdrückt (k -, Vernunft-Zensur). Der Drang nach Bewusstwerdung (p +) bleibt erhalten: Es muss, sollte etwas im «Es», im Unbe­ wussten, liberalisiert werden.

Schlussbemerkungen 1. Bei Carol erscheint der Zensurfaktor e + nie (nur einmal e ± im fünften Spiel) beim Inszenierungsversuch von Heiraten, wobei ich sie zum Schluss zum Mutter-Baby-Spielen «verführte». 2. Bei Verlust und bei Schwächung der Zensurfaktoren erscheint bei Carol immer eine Verstärkung dieser Faktoren im EKP (in Kon­ kordanz mit dem ThKP) und einmal eine Verstärkung in extremer Form, die «krankhafte Gewissensangst», die Phobie, viertes Spiel, in dem sie ihre sexuelle Neugier inszenierte und an das G eschla­ genwerden durch den Vater erinnert wurde. 3. Der Test «sieh t» immer mehr (in seiner Art), als wir sehen resp. verstehen können. Aber: Wenn er auch mehr sieht als wir, so kön38


nen wir im Test nichts Wesentliches, unsere Besinnung Stimulie­ rendes erfassen, wenn wir das, was der Hilfesuchende (der «Pati­ ent») von sich aus hervorbrachte, bei uns nicht vorerst aufzube­ wahren und zu «meditieren» vermochten. Man wird bei den Untersuchungen von Zusammenhängen zwi­ schen Test und Spielverlauf nicht jeden Vektor und die Faktor­ tendenzen durch Einzelheiten beim Spielen und im Verhalten des Kindes belegen können. Ich versuchte bei Kindern solche Zusam­ menhänge herauszufinden und gestehe, dass es mir damals weitge­ hend darum ging, mich vom Funktionieren des Tests zu überzeu­ gen. (Das war vor mehr als d reissig Jahren.) Seine Anwendung in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie beschränkt sich weit­ gehend auf die diagnostischen Aufgaben, die «Kontrolle» des Behandlungsverlaufs und dessen «Ergebnisse».

39


Bemerkungen zum weiteren Lebensverlauf von Carol

Zehn Jahre später - während denen ich Carol wenige Male und zufällig getroffen, aber nie ein Gespräch mit ihr geführt hatte meldete sie sich bei mir. Sie hatte eben ihre Maturaprüfungen hin­ ter sich und erklärte, sie hätte zwei Anliegen, die sie mir unterbrei­ ten möchte. Ihr erstes Anliegen war: Sie wisse nicht und könne sich nicht

entscheiden, ob sie den Beruf ihres Vaters oder den ihrer Mutter ergreifen wolle. Sie w erde mir ihre Gründe, ihre Zweifel und ihr Hin und Her mitteilen. In drei Monaten müsse sie sich an der Uni­ versität einschreiben. Ich enthielt mich so weit wie möglich jegli­ cher direkten oder indirekten Beeinflussung. Sie verliess die Be­ sprechungsstunde, ohne sich entschieden zu haben (was auch so vorgesehen war). Ihr zweites Anliegen war für mich eine Überraschung, vor allem

durch die Art, in der sie es formulierte: «Ich habe einen Freund und einfach furchtbare, blöde Angst vor der Sexualität, genauer: das mit dem Penis, der in meinen Körper hinein soll, das ist für mich eine ungeheuerliche Sache, ich kann mir das nicht vorstellen.» Carol wählte den Beruf ihres Vaters (siehe Carols Vater und die Berufswahlen in seiner Familie, dritter Teil, Seite 166). Fünf Jahre später heiratete sie einen Studienkollegen. Beide arbeiteten später zusammen auf demselben Berufsgebiet. Zehn Jahre später unter­ richtete Carol (wie schon ihr Vater) im Ausland an einer Hoch­ schule. Das Kinderhaben war ihr versagt geblieben. Sie erschien mir später bei einer Begegnung als eine bescheidene und doch selbstbewusste Frau, von eher grosser und starker Statur und mit einem auffällig lebendigen und doch beherrschten Gesichtsaus­ druck. Trotz der vergangenen drei Jahrzehnte hatte ich den Ein­ druck: das ist immer noch die «alte» Carol, die von früher. Jetzt ist 40


sie einfach gross geworden, rücksichtsvoller, zurückhaltender, ver­ nünftiger und begeistert von all dem, was sie mit ihrem Beruf und in erweitertem Wirkungskreis sein und übermitteln kann. (Weite­ re Angaben zu Carol, ihren Eltern und ihrem Bruder finden sich im dritten und vierten Teil.)

41


Die sechs Spiele und Triebprofile des achtjährigen Iwan

In den zwei ersten Untersuchungsstunden beenden wir die Stunde mit einem Spiel mit Masken, von Iwan als erstes Ausdrucks­ mittel gewählt. (Das gesamte «installierte» Ausdrucksmaterial wurde ihm am Anfang der Stunde gezeigt.) Während diesen zwei Untersuchungsstunden wurde der Szondi-Test nicht aufgenom­ men. Die Motive der Eltern, ihren achtjährigen Sohn (das älteste von drei Kindern) zur Untersuchung und Behandlung zu schicken, sind die folgenden: Iwan war in der ausserfamiliären Umgebung (unter anderen Kindern und vor Erwachsenen) sehr schüchtern und ängstlich. In der Schule war er Klassenerster, ein Einzelgänger, daheim hingegen ein eifersüchtiger und neidischer Bruder den jüngeren Geschwi­ stern gegenüber, die ihn im vierten Lebensjahr entthront hatten. Er soll ein lebhaftes, sauberkeitsbeflissenes, die Entwicklungsschritte zeitgemäss vollziehendes und intelligentes Kleinkind gewesen sein. Er war ein eifriger Daumenlutscher und saugte den Daumen beim Einschlafen bis zur Zeit der Untersuchung. Er soll ein mittelschwe­ res Geburtstrauma erlebt haben, das vermutlich eher für die Mut­ ter als für Iwan ein Trauma war. (Es mag auch bei ihm Spuren hin­ terlassen haben; er bringt das Thema im dritten Spiel.) Die Neckereien, Streitereien und der Lärm unter den Ge­ schwistern, beruhend auf Eifersuchts- und Neidgefühlen bei Iwan, waren für beide Eltern das «Unerträgliche». Iwan schien aufgrund solcher Affektregungen die Verbindung mit beiden Eltern teilweise «verloren» zu haben. Die Mutter besuchte mich schon vor dieser Untersuchung zweimal wegen Besorgnisgefühlen ihrem Erstgebo­ renen gegenüber. Ich glaubte ihr mit einigen Ratschlägen helfen zu können. 42


Die Mithilfe der Mutter machte es mir möglich, den Szondi-Test des vier- und fünfjährigen Knaben zu erhalten (siehe Seiten 92, 93). Zu einer Behandlung entschlossen sich die Eltern erst, als sie, das Verhalten Iwans betreffend, nicht die geringste Veränderung fest­ stellen konnten, trotz günstiger Entwicklung seiner geistigen Fähig­ keiten. - Die Eltern Iwans stammen beide aus einer Lehrerfamilie. Die Mutter arbeitete vor der Heirat als Juristin, der Vater war Mathematiklehrer.

Erste Untersuchungsstunde (ohne Testaufnahme) Iwan nimmt die Teufelsmaske, ich den Engel. (Er hat diese Mas­ ke längere Zeit angesehen.) Er kann nicht beginnen; schweigt. Ich frage ihn: Was machst du? - Er: Ich hole die bösen Kinder. Schwei­ gen. - Was machst du mit den bösen Kindern? - Ich bringe sie der Mutter, sie bestraft sie. - Er beschreibt einige geringfügige Misseta­

ten von Kindern, und dem folgt das Aufzählen strenger Strafen durch die Mutter. (Gespräch darüber. Er denkt auch, dass es stren­

ge Strafen sind.) Ich breche das Spiel ab. Iwan will mit denselben Masken weiterspielen. Der Teufel erscheint jetzt im Gespräch als eher freundliche Figur, aber, wie vorher, sehr gehemmt. Er geht dann schliesslich «nach Hause». Er wohne in der Mitte der Erde. Der Eingang sei ein Vulkan. Dort wohne die ganze Familie, der Teu­ fel, acht und noch sieben Kinder (!) und ein Dienstmädchen. Zum Schluss malt und zeichnet Iwan den Teufel im Vulkan. Es handelt sich hier um eine Vermengung von Aggression, Auf­ ruhrverlangen, Bestrafungswünschen und um teilweise Vermen­ gung der Teufelsfigur mit der Mutter- und der Vaterfigur. Er selbst bestraft die bösen Kindern nicht, er will sie der Mutter ausliefern. Das strafende Über-Ich soll seine Aggression gegen die bösen Kin­ der übernehmen. Iwans Identifizierung mit dem Teufel, die Art, wie er ihn spielte, und der Vulkan verweisen auf Abwehr von Auf­ ruhr, auf Zurückhaltung, Stauung und Angst vor Ausbrüchen von groben Affekten. Bei Iwan sollen nie Wutausbrüche stattgefunden haben. Nur in den ersten drei Lebensjahren (noch ohne Geschwister) fanden, in 43


erträglichem Ausmass, Trotz, Zurückweisung, primitive Vernei­ nungen der Mutter gegenüber statt, gelegentliche Manifestationen «kleinkindlichen turbulenten Ungehorsams». Alles «Aggressive» (oder Auflehnung und Protest), meinen die Eltern, komme bei ihm nur indirekt zum Vorschein, könne nur ver­ mutet werden in leichten Stimmungsveränderungen oder Provo­ kationen den jüngeren Geschwistern gegenüber.

Zweite Untersuchungsstunde (ohne Testaufnahme) Iwan nimmt die Wolfsmaske. Ich muss die Muttermaske neh­ men. Er frisst die Kinder, weil sie ihn auslachen und immer sagen: «Oh, der Wolf, der Wolf kommt!» (Klagen der jüngeren Geschwi­ ster ihm gegenüber, er plage sie häufig.) Er habe schon zehn gefres­ sen. (Diesmal überlässt er die Bestrafung nicht mehr der Mutter, identifiziert sich aber mit einem Tier.) Er gibt diese gefressenen Kinder erst heraus, als ich ihm siebzig Kilogramm Fleisch gebe. Daraufhin geht er wieder in den Wald und frisst dieses Fleisch. Als er keines mehr hat, frisst er die bösen Tiere. Das seien diejenigen, die andere Tiere fressen. Iwan will - in der Phantasie - der Stärkste sein, derjenige, der keine Angst haben muss vor bösen und gefährlichen Tieren, die einen fressen könnten. Er kann sich den anderen Schulkindern ge­ genüber nicht wehren. Seine innere Konfliktsituation hat er in die­ sem Spiel in die Tierwelt verlegt. Er spielt das Verlangen des Wolfs (in ihm) nach Stärke und Beherrschen- resp. Beseitigenkönnen an­ derer gefährlicher Lebewesen. Wolfsein bedeutet: schuld- und reuelos andere fressen, beseiti­ gen können aus d em Gefühl heraus, dass m an durch unliebsame, böse Wesen (Feinde oder Verfolger) angegriffen, angeklagt oder immer wieder in willkürlicher Weise in Aufruhr versetzt wird. Iwan hat - auch während der Behandlung - die Rolle des Wolfs nicht wieder übernommen. (Der «Wolf» symbolisiert die «groben Affekte», von denen wir nicht immer wissen, gegen welche Person[en] sie ursprünglich gerichtet waren.) - Der hier angezeig­ te, tiefliegende psychische Konflikt zwischen Verfolgungsangst und 44


deplaziertem Verfolgungsdrang konnte in der Behandlung von Iwan nicht in ausreichender Weise durchgearbeitet werden.

Erstes Spiel mit Testaufnahme Iwan wollte in dieser Stunde von sich aus K asperle spielen. Ich sagte ihm darauf, dass wir in den nächsten Stunden am Ende je­ weils Kasperle spielen würden und nicht mehr mit den Masken. Die Wahl der Ausdrucksmittel (während der Untersuchungszeit) beschränkte ich deshalb, weil das Kasperlespiel ihn, wie zu vermu­ ten war, eher zu verbalen Äusserungen stimulierte und zu Identifizierungs- resp. Rollenwechseln anregte. Dem Maskenspiel fehlte das theatralische Moment. Es führte mehr zu Gesprächen. Iwan nimmt den Kasperle in die Hand; den Polizisten legt er vorläufig auf den Boden. (Iwans erste Rollenwahl im Kasperlespiel: Kasperle und sein künftiger Verfolger, der Polizist.) Ich nehme den alten, grauen Mann und lege die Mutter von Kasperle daneben. Iwan sagt, er werde stehlen bei den Leuten, er stehle viele Sachen. Ich (alter, grauer Mann): Es i nteressiere mich, was er denn alles nehmen werde, ob er es mir nachher erzählen werde. Er ist ein­ verstanden. Er stehle während der Nacht. Es sei jetzt Nacht. Ich komme mit der Mutter, wir gehen schlafen. Ich frage den Kasperle, was die Mutter denn dazu sage, wenn er stehle. «Die Mutter weiss es nicht», sagt er. Wir schlafen. Langes Schweigen. (Iwan weiss nicht, wie weiterspielen.) Ich nehme die Engelsfigur. (Die Engels­ maske benutzte ich schon in der ersten Untersuchungsstunde.) Ich halte den Engel in die Höhe und zähle die Stunden: Es ist elf Uhr, zwölf Uhr usw. Dies verunsichert Iwan. Um sechs Uhr steht er endlich auf. (Er hat sich wahrscheinlich durch den Engel über­ wacht, vielleicht «verfolgt» gefühlt.) Er steht auf und trifft den Poli­ zisten (den er selber spielt). Dieser fragt den Kasperle, ob er ge­ stohlen habe; er habe gestohlen, er solle es n ur sagen. Nein, sagt Kasperle, du kannst die Mutter fragen und den Engel. Ich komme mit beiden und bestätige es. (Iwan braucht jetzt einen ihn in «unge­ rechter» Weise anklagenden, feindlichen, verfolgenden Über-IchRepräsentanten.) 45


Nach kurzem Schweigen nimmt Iwan als Kasperle eine hölzer­ ne Pistole und dazu noch den magischen Hut (der ihn unsichtbar macht). Auf meine Anfrage, von wem er diesen Hut bekommen habe, antwortet er, er habe ihn vom König erhalten (vermutlich ein hilfreiches Über-Ich). Kasperle sagt nun, er wolle den Polizisten töten, weil er ihn ins Gefängnis habe bringen wollen. Ich frage ihn, was der König von der Sache denken werde. Iwan: Der werde

nicht wissen, wer den Polizisten getötet habe. Es ist ihm sehr unangenehm, dass ich ihn an den König erinnert habe. Ergibt mir, dem alten, grauen Mann, plötzlich die Tarnkappe. «Nimm du sie.» Und er schlägt mir vor, auch eine Pistole zu neh­ men. Ich: Was ich denn damit machen solle? Er: Ich könne, ich solle den Polizisten töten. (Ich wiederhole seinen Satz.) Ich mache es, indem ich den Polizisten unter den Teppich lege und sage, er sei tot. Darauf gibt mir Iwan einen Plastikdolch und nimmt selbst ein grosses hölzernes Messer. Es geschieht aber nichts. (Wir sind zwei Starke, die Stärksten.) - Iwan möchte sich mit mir verdoppeln. Er wollte, dass ich die «gewaltsame» Beseitigung seines Verfolgers übernehme. Bei solchem Delegieren (Abordnen) aus Angst wird man nicht mitspielen, sondern unterbrechen usw. Oder dann eben - wie hier in der Untersuchungssituation - das vom Kind Gewünschte in mehr oder weniger belangloser Weise «abfertigen». Man sagt manch­ mal, man dürfe das Spiel des Kindes nicht einfach mitspielen, denn das würde bedeuten, dass man bei Angstabwehr mitmacht, also diese unterstützt. Man wird das Vorgefallene (hier das Delegieren) besprechen (deuten). Ich komme mit dem König und frage, was mit dem Polizisten geschehen sei. Kasperle sagt sofort, der alte, graue Mann habe den Polizisten getötet, und gibt dem König sogar dessen Adresse. Der König findet den Mann nicht, da er den magischen Hut (Tarnkappe) hat. Kasperle sagt, der Mann habe ihm den magischen Hut wegge­ nommen (Verleugnung, Unterwerfung). Ich komme mit dem alten, grauen Mann zurück und frage Kasperle, warum er dem König alles gesagt habe. Antwort: Darum. Daraufhin nimmt er mir plötzlich den magischen Hut weg. Damit der König den grauen Mann sehen 46


könne, den Töter. «Was soll ich mit ihm machen?» frage ich als Kö­ nig. Schweigen. Ich schlage vor: «Ich schicke ihn in ein weit weg liegendes Land.» (Beseitigung.) Iwan fügt sofort hinzu: «In ein Land, wo es viele Löwen gibt, dann fressen sie ihn. Er ist dann tot wie der Polizist.» Ich sage ihm: «Wir werden dann sehen, was mit ihm dort

geschehen wird.» (Es handelt sich beim alten, grauen Mann um ei­ nen Es-Repräsentanten, um ein Delegations-, «Ablegerobjekt», das Iwans Aufruhr und Anklage zu übernehmen hatte. Zur Beruhigung des Gewissens musste es beseitigt werden.) Iwan zeichnet und malt die Löwen und die Wüste. Zweimal sagt er während des Malens zum König: «Damit wir uns gut erin­ nern.» (Die Tendenz Iwans, das «Problem» [seinen Aufruhr] durch Beseitigung des «Bösen» zu erledigen [Identifizierung mit dem strafenden Über-Ich], ist hier gebremst worden. Im Unbewussten besteht der Aufruhr weiter. Das nächste Spiel wird dies bestäti­ gen.)

Spielverlauf und Thema des ersten Spiels mit Testaufnahme Aufruhr (Stehlenwollen in der Nacht). Iwan ist vermutlich durch

erregte Über-Ich-Angst (Engel) unsicher geworden. Dies führt zu einer Verfolgungsidee und dem Tötungswunsch (der Polizist will mich in ungerechter Weise einsperren, er soll getötet werden). Diese Intention wird angehalten durch ein Erinnertwerden an das hilfreiche Über-Ich, den König. Daraufhin wird der Tötungswunsch an den Verbündeten delegiert. Die Beseitigung erfolgt nachträglich mit Anteilnahme (Kasperle gibt mit ein Messer. Wir sind zwei Star­ ke.) Konfrontiert mit der Beseitigung des Verfolgers (durch das E r­ scheinen des Königs), wird der unangenehm gewordene Verbün­ dete (Es-Repräsentant) dem Über-Ich ausgeliefert. Es e rfolgt ein zweites Delegieren: Iwan will dieses ihm unangenehm gewordene Ableger-Objekt (der alte, graue Mann) durch den König resp. die Löwen beseitigen lassen. (Der «Mörder» sei dann tot wie der Poli­ zist.) Dieses Begehren wird wiederum sistiert (angehalten), da es eine Art von Selbsttötung und Unterwerfung unter ein strenges 47


Über-Ich, das heisst die Vernichtung eines Teils des Selbst, beinhal­ tet (sein Aufbegehren gegen ungerechte Anklage). Im Zentrum der noch folgenden fünf Kasperlespiele wird das Thema «Kasperle und der Polizist» stehen, das heisst die Auseinan­ dersetzung mit einem strengen und verfolgenden Uber-Ich, das ei­ nem Angst machen und das man loswerden, ausstossen (p - !), von dem man sich befreien möchte. (Es ist dies das Kasperle-Thema par excellence.) In diesen Spielen inszeniert Iwan «im Auftrag des Es» (des Pontifex?) die Beseitigung dieses überstrengen, wahr­ scheinlich verinnerlichten, aber auch selbstfabrizierten Uber-Ichs. Iwan übernimmt in fast allen Spielen am Anfang die Kasperle- und die Polizistenfigur. Aber auch die guten und hilfreichen Über-IchFiguren beginnen sich zu profilieren.

Profil 1 («Ouvertüre-Profil»; s. S. 68, Zensurfaktoren, erstes Spiel) P

S

C

Sch k

p

d

0

+

h

s

e

hy

VGP

+

0

+

+

ThKP

_

+

0

0

+

±

EKP

+

+!

0

0

0

-!

m

+ +

Ich erläutere bei den einzelnen Profilaufnahmen vor allem die­ jenigen Vektorbilder und Faktorreaktionen, die im Vergleich mit den altersspezifischen auffallen. Vordergrundprofil

(VGP)

Sexualität: S + 0

Zärtlichkeitsbedürfnis in Unitendenz (in der Latenzzeit das zweithäufigste Vektorbild). Es wird während der ganzen Untersu­ 48


chung konstant bleiben (in den ersten zehn Testaufnahmen) und sich quantumsmässig verstärken (siehe Seite 80). Affekt: P ± ±

Ein eher seltenes Bild: Affektdilemmas. a) Immobilisierung: Verbergungstendenzen hy - (Scham, Scheu, Schüchternheit) und die Stauung e - (Stauung von groben Affekt­ regungen) werden durch gegensätzliche Strebungen (e + hy +), durch Zeigen von Gewissenhaftigkeit und Liebsein, ausbalanciert, wodurch das Affekterleben immobilisiert wird. b) Ethische Konflikte, Zwiespältigkeiten (e ±): Gehorchen oder sich auflehnen, töten oder Rücksicht nehmen usw. und moralische Konflikte (hy ±): sich zeigen oder sich verbergen; der Beachtete sein oder «bescheiden» zurücktreten, sich unsichtbar machen usw. Im Verlauf der zehn Testprofile erscheinen nur in den Profilauf­ nahmen eins bis drei Vermischungsbilder. Iwan wird seine Affekt­ dilemmas vorwiegend durch diagonale Teilung der Triebgegensätz­ lichkeiten (Entmischungsbild P + -) zu «erledigen» versuchen (sie­ he Seite 80). Die Affektdilemmas zeigen sich in den bisherigen Spielen im In­ szenieren von Aufruhr, Tötungsabsichten und Angst vor Uber-IchFiguren (Sich-unsichtbar-Machen), von Straflustverlangen (Rache) und Verlegung derselben auf die Mutter, obwohl Iwan sich mit der Teufelsfigur identifiziert hat. Der Teufel selber wird zu einem kin­ derreichen Familienvater. Iwan will den Polizisten töten und unter­ wirft sich doch dem König, dem väterlichen Über-Ich, will lieb, gut und freundlich sein und verleugnet dementsprechend seine Besei­ tigungsabsichten. Ich-Vektor: Sch - 0

Das Verdrängungsbild ist das häufigste Bild in dieser ersten Zehnerserie; es e rscheint viermal. Es ist ein typisches Latenzzeit­ bild (zusammen mit Sch - + Hemmung, Sch —Anpassung). Bei der Verdrängung verweise ich auf die «Verlegung in die Tier­ welt» und die «Verleugnung» der Tötungsabsichten (Unterwerfung). 49


Kontakt

Loslösungsdrang (m -) und Drang nach Kontakterweiterung (d +). - Die Kontaktbilder C + - und 0 - sind bis zur Vorpubertät die häufigsten. Auffällig und zu interpretieren sind: a) C + - erscheint nur in diesem ersten Profil. Wird hier, am An­ fang, der Therapeut als ei n den Kontakt erweiterndes Objekt ge­ sucht? b) Siebenmal wird CO- erscheinen (siehe Seite 80). CO- steht im Zusammenhang mit dem anderen konstanten Vitaltriebbild S + 0. (Ablösungsdrang m - mit Stillegung des Suchens und des Dranges nach Kleben und Anhänglichkeit [d 0] erscheint zusam­ men mit ungestilltem Zärtlichkeitsverlangen; beide zusammen ver­ weisen auf frühkindliche Libidofixierung.) Theoretisches Komplementärprofil (ThKP)

Dem zärtlichkeitshungrigen, durch ethische und moralische Skrupel gehemmten, verdrängenden und «untreuen» Vordergän­ ger steht ein Hintergänger gegenüber, der sich in seiner Männlich­ keit unsicher fühlt (s ±), in seinem aggressiven Drängen die Zärt­ lichkeit «verliert» (S - ±), nachgiebig ist gegenüber seinen Affekt­ regungen (P 0 0), sie nicht kontrollieren kann und sich mit der ihn verlassenden Mutter identifiziert (Sch + ±), eventuell mit einer Ten­ denz zu weiblicher Ich-Idealbildung, weil gleichzeitig inzestuös an die Mutter gebunden (C - +), was sich im dritten Spiel zeigen wird. Der Hintergänger zeigt zumeist das Vergangene an, das nicht bewältigt werden konnte und die Zukunft (das aus ihr Kommende und zu Bewältigende) mitbestimmen wird. Experimentelles

Komplementärprofil

In der zweiten Wahl (EKP) sind die folgenden Reaktionen auffäl­ lig: a) Die Stauung s + ! (S + + !): erhöhte Aggression, Angriffslust, jedoch legiert mit dem Zärtlichkeitsverlangen (falls im Vorder50


grund = typisches Bild am Anfang der Latenzzeit, auch wenn mit einer Quantumstauung). Früher konnte Iwan die beiden Bedürfnis­ tendenzen legieren (siehe Seiten 92/93). b) Ein gesteigerter Anschuldigungs- und Verfolgungsdrang p-! (Sch 0 - !). Die zwei Quantumspannungen zusammen (s + ! p - !) ergeben nicht Verfolgungsangst. Was vorliegt, sind Verfolgungs­ ideen, Anschuldigungsdrang, Verfolger brauchen; die «Bösen» (die Ungerechten?) verfolgen und sie beseitigen wollen. «Der Polizist will mich ins Gefängnis bringen. Ich will ihn töten.» Töten ist ein primitiver Abwehrmechanismus. Das Töten kann nicht die Lösung des Problems bringen, im Gegenteil. Es kann zwar «Erleichterung» verschaffen, aber die dahinterliegenden «groben Affekte» (mitsamt den sie auslösenden Situationen) werden damit «begraben», beseitigt, ins Unbewusste verbannt. - Vielleicht wis­ sen wir noch zu wenig darüber, was wir mit dem Beseitigen und Töten verlieren.

Zweites Spiel mit Testaufnahme Iwan wählt den Kasperle und die Königin, und zwar nimmt er dafür die Engeisfigur. Kasperle und der alte, graue Mann (meine Figur) treffen sich. Kasperle hat schon den magischen Hut aufge­ setzt, den er vom König bekommen habe. Dazu hat er noch ein Huhn bekommen, das Eier legen kann: Wenn man es auf den Bo­

den drückt, kommt ein Ei heraus. Er esse die Eier roh, indem er ein Loch hineinmache und sie aussauge. (Die Verbindung mit einem guten und hilfreichen Über-Ich, mit dem König, hat sich erhalten, auch die Engelsfigur-Königin scheint eine solche Figur zu sein.) Iwan nimmt jetzt das grosse hölzerne Messer. (Seine Ausstaffie­ rung ist nun komplett, mitsamt dem Huhn! Als die Verdoppelung im vorausgehenden Spiel stattfand, hatte er sich das grosse hölzerne Messer angeeignet.) Er sagt, er wolle den Polizisten töten. Dieser habe ihn schon sechsmal ins Gefängnis gebracht, insgesamt sechs Jahre. Auf meine Frage sagt Iwan, er sei jetzt fünfzehn Jahre alt. Kasperle kommt plötzlich und ersticht den Polizisten, den ich spiele, mit rascher Gebärde, ohne ein Wort zu sagen. (Zur Paroxys51


malität gehört unter anderem die Plötzlichkeit des Vorgehens.) Er begräbt ihn unter dem Teppich! Nach längerem Schweigen frage ich Iwan, was wohl der König denken werde. Antwort: Wenn er mich fragt, sage ich, du seist es gewesen. Ich spiele den König; bei­ de (Kasperle und der alte, graue Mann) streiten miteinander und sagen, der andere habe es gemacht. Wir beschliessen zusammen, dass der König beide für eine Woche ins Gefängnis bringe. Im Gefängnis, während der Nacht, gibt Iwan mir die Königin (den Engel) und fordert mich auf, die Stunden zu zählen: ein Uhr, zwei Uhr... Ich spreche dazwischen als Königin: «Was ist da zu ma­ chen? Kasperle, der Knabe, im Gefängnis! Man sagt, er habe Streit und Krieg mit dem Polizisten. Was ist denn da los?» Der König (auf die Befragung Iwans hin) lässt den Kasperle nach Hause gehen. Dieser scheint aber ein schlechtes Gewissen zu ha­ ben. Er kommt zum König und macht ihm den Vorschlag: «Wir können den Polizisten wieder lebendig machen.» Er macht es mit dem Zauberstab (Ungeschehenmachen). Ich frage Iwan, ob er einmal den Polizisten spielen wolle. Er ist einverstanden. Ich als König sage ihm, er dürfe nicht mehr so streng strafen, und frage ihn, wie er als Polizist denn getötet wor­ den sei. Iwan: «Ich habe nichts gesehen, niemand war da. Plötzlich hat man mich von hinten erstochen.» Das entsprach nicht dem Spiel: Er kam mit dem Messer und erstach den Polizisten von vorn. (Von der Mutter vernahm ich beim Erstgespräch, Iwan schlafe immer ganz gegen die Wand ge­ lehnt, gedreht. Er habe erklärt, wenn ein Räuber nachts komme und mit dem Messer mitten in das B ett steche, werde es ihm so nichts machen.) Iwan zeichnet dann das Schloss mit dem Gefängnis. Man sieht den König mit einem Soldaten vor dem Schloss. Hinter dem Gitter des Gefängnisfensters sieht man den Kasperle (siehe EKR Mitte, Profil II)!

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Profil II (siehe Seite 69, Zensurfaktoren, zweites Spiel) C

Sch

P

S

p

d

h

s

e

hy

k

VGP

+!

0

±

+

0

ThKP

_!

±

0

±

+

±

EKP

0

+

0

-!

0

+!

m

0 +

Vordergänger

Im Affektbereich verschwindet der moralische Zweifel (hy ± —#iy +). «Kain» kann auf die Bühne treten (P - +); Iwan tötet den Polizisten selber, plötzlich und ohne ein Wort zu sagen. Er hat aber gleichzeitig Gewissensskrupel (e ±). - Im Hintergänger EKP kommt es bei diesem Vorgehen zu einer Angsterhöhung im moralischen Bereich (Konkordanz EKP und ThKP: P 0 -). Das Affektbild P ± + kann bedeuten: Auch der «liebe» Abel will sich zeigen. Es w ird ja alles wieder gutgemacht, ungeschehen gemacht. Anstelle der Ver­ drängung erscheint im Ich nun der Anschuldigungs- und Verfolgungs­ drang (Sch 0 -). Jetzt heisst es: «Sechsmal hat er mich ins Gefängnis gebracht, im ganzen sechs Jahre.» Im Gesamtprofil des Vordergängers findet sich (nur andeutungs­ weise wegen e ±) das Syndrom des «Affektmörders» (das Mörder-E-Syndrom m -, p - [k -], e -). (Bei diesem Syndrom darf nir­ gends eine ambivalente Reaktion vorliegen.) Mit einer Reaktion e ± war es schon andeutungsweise im ersten Profil vorhanden (e ±, k-, m -), es wird im sechsten Profil wiedererscheinen. Seine Aufhebung im dritten, vierten und fünften Profil, ebenso wie sein Wiedererscheinen im sechsten, entsprechen den Veränderungen im Spielgeschehen.

53


Hintergänger a) ThKP

Hier sind eine Reihe von ambivalenten Reaktionen anzutreffen (s ±, k ±, d ±), die einen Hinweis auf zwangsneurotische Tenden­ zen in sich schliessen (Ungeschehenmachen, Wiedergutmachen, Gewissensangst, Unsicherheit, Schüchternheit). Diese Tendenzen stehen in einem bedeutungsvollen Zusammen­ hang mit dem Ödipus-Syndrom (S - +, Sch - + ,C - +). Das Ein­ treten in den Ödipus könnte durch solche Ambivalenzen ver­ wehrt, verbarrikadiert sein. Eine solche Verhinderung erscheint hier gekoppelt mit extremer Schuld- und Strafangst (siehe EKP Mitte: 0 -, -! 0) und mit analsadistischen Tendenzen (d + ! S 0 +). b) Im EKP er scheint die obenerwähnte Mitte mit der Bedeutung unbewusste Schuld- und Strafangst (0 -, - ! 0). (In der Zeichnung am Schluss der Stunde erscheint Kasperle hinter dem Gefängnis­ fenster.) Diese Mitte steht den Randtriebgefahren gegenüber: der Aggression in Unitendenz (S 0 +) und einem übermässig gestauten Drang nach Objektsuche in Untreue (C + ! -). Das Ich-Bild (Sch - ! 0, mit S 0 +) spricht für Objektentwertung, Desimagination. Zusammen mit Schuld- und Strafangst wird ein Objekt destruiert, desimaginiert, soll ausgestossen und entwer­ tet werden. Vermutlich betrifft diese Destruktion das als bös und verfolgend empfundene Vaterbild, den Polizisten, den man beseiti­ gen möchte (e -) und doch wieder lebendig machen muss.

Drittes Spiel mit Testaufnahme In dieser Stunde vollzieht sich, wenn auch nur vorübergehend, eine wichtige Veränderung. Iwan wählt die Mutter und den Kas­ perle. - Kasperle ist ein Baby. Die Mutter kommt mit der Flasche und gibt ihm zu trinken, sie badet und wäscht ihn in der Badewan­ ne. Kasperle ist sechs Monate alt. Der Vater kommt nach Hause. (Ich nehme den Polizisten als Vater und will ihn Iwan als je manden vorstellen, gegen den man sich zwar auflehnen können muss, der aber nicht einfach zu beseitigen ist.) Es ist Abend, wir gehen schla54


fen. Ich sage: «Wir gehen in unser Zimmer.» Die Mutter (Iwan): «Oh, der Kasperle kommt auch herein, er ist noch sehr klein.» Alle drei schlafen. Iwan will jetzt den Engel spielen: Es ist elf Uhr, zwölf Uhr... Der Engel macht zwei «Beobachtungen»: «Oh, ich sehe ein Bébé schlafen.» Und: «Ein Hund springt auf der Strasse einer Katze nach.» - Beide «Beobachtungen» stehen in engem Zusammenhang

und sind «symbolisch» zu verstehen. Am Morgen geht der Vater (Polizist) fort. Iwan kommt mit der Mutter und sagt, er h abe den Revolver vergessen (ei ne Art von Rück­ erstattung, Wiedergutmachung). Am Nachmittag sagt sie, der Kas­ perle könne jetzt schon kriechen. Ich lobe ihn, er werde immer grösser. Als der Polizist wieder fortgeht, bringt ihm die Mutter das grosse, h ölzerne Messer. Er habe es vergessen(l) (siehe Seite 46). Kasperle schreit viel, bekommt oft die Flasche. Die Mutter legt sich am Nachmittag mit ihm schlafen. Am frühen Morgen schreit er je­ desmal «Mama». Bald kann Kasperle schon gehen, wenn man ihn an der Hand hält. Beim Schlafengehen kommt er auf eine Bemer­ kung der Mutter (Iwan) hin nicht mehr ins Zimmer der Eltern. Er geht schon allein in den Garten. Dort fällt er um und schreit: «Mama», mit einem nachfolgenden Laut: «ääck», wie ein richtiges Baby. Er ist jetzt acht Monate alt. Mit erstaunlicher Genauigkeit im Rhythmus und Ton ahmt (wiederholt) Iwan die Schreie des Babys (ääck) nach. Er kommentiert sein eigenes Spiel: Es sei eine gute Idee gewesen. Das Spiel gefiel ihm sehr. Er wollte nach Abbruch weiterspielen. Er hat es weitgehend allein inszeniert und durchgeführt, von der Wahl der Figuren bis zum Ende, mit Ausnahme des Polizisten (des Vaters). Ich «begleitete» ihn lediglich. Vordergänger

In den Vitaltrieben (Vektor S und C) verändert sich fast nichts. Die Quantumspannung hat sich vom h + ! auf das m - ! verlegt. (Auch bei dieser Faktortendenz sind in diesem Entwicklungsab­ schnitt die Quantumspannungen häufig.) 55


Profil III (siehe Seite 69, Zensurfaktoren, drittes Spiel) s h

s

e

hy

k

VGP

+

0

+

+

-

ThKP

_

+

EKP

+

±

+

-

_

C

Sch

P

_;

+

p

+

d

m

0

-!

±

+!

±

0

Im Affektvektor verschwinden nun die Affektdilemmas auch im Faktor e. Die «Beseitigung» der ethischen Konflikte war offenbar schwieriger zu erreichen als die der moralischen, die in der voraus­ gehenden Stunde mit dem «Auf-die-Bühne-Treten des Kain» (hy +) «erledigt», das heisst, in den Hintergänger abgestossen wurden. Das Affekterleben ist von Zärtlichkeit und Güte durchströmt (h +, e + ,hy +). Die Iwan-Mutter demonstriert ihre Güte auch, indem sie ihrem Mann den Revolver übergibt, nachträgt, den die­ ser vergessen hatte, und am Nachmittag beim Fortgehen das grosse Messer (zwei Machtsymbole für tötende oder bedrohlich

aggressive Energie). Im EKP verschwindet s + (!), das im ersten und zweiten Profil erschienen ist und in den nächsten Profilen im EKP nicht mehr auftritt. (Die Tendenz s + [sowie auch s -] wird zu einer «blockierten Faktortendenz» im VGP und EKP Beim Fünfjäh­ rigen war s + noch Wurzelfaktor.) Im Ich-Vektor sind Anklage und Beschuldigung (Sch 0 -) ver­ schwunden. In der Rolle als M utter und Baby kann Iwan sich der Realität anpassen, angepasst fühlen (Sch —), (einmalig in dieser Zehnerserie). Er «verzichtet», er kann Aufruhr (e -) und Verfol­ gungsdrang (p -) unterdrücken (k -), fühlt sich in umhegter Um­ welt. Er spielt die fürsorgliche, liebe Mutter und den liebe- und hilfsbedürftigen Säugling (Dualunion). (Iwan hatte ein leichtes bis mittelschweres Geburtstrauma.) Er fühlt sich in dieser Rolle (Dop­ pelrolle) versöhnt, friedlich und «angepasst». 56


Die erfolgte Rückerstattung kann bedeuten, dass die gefährli­ chen, männlichen Machtattribute dem Polizisten-Vater zurückzu­ erstatten waren. Im ersten Profil erschien das «Raubmörder-Syn­ drom» (vermindert durch e ±-Reaktion), im zweiten der «Affekt­ mörder» (mit dem p- und e ±). Das «Mörder-Syndrom» ist nun verschwunden und erscheint erst wieder im sechsten Profil. Auf Anschuldigungs-, Verfolgungs- und Beseitigungsbegehren wird «verzichtet» (k -), das heisst, sie fallen aus diesem Spielbereich (dem Mutter-Vater-Säugling-Thema) hinaus. (Sch —, Anpassung: Dieses Ich-Bild ist das häufigste, typischste während der Latenz­ zeit.) Es dürfte auch mit dem von der Mutter geschilderten Verhal­ ten Iwans in der Schule und im ausserfamiliären Bereich überein­ stimmen: ein eher ängstlicher, scheuer, schweigsamer, aber gut ar­ beitender Schüler (der sich anpasst und seine «Ruhe» haben will). Es is t interessant, dass Iwan in diesem Spiel selber den Engel (weibliche Über-Ich-Figur) spielen will. («Oh, ich sehe ein Bébé schlafen!») Er inszeniert diese Über-Ich-Figur als wachsam und friedlich; offenbar steht sie mit seinem Unbewussten in Verbin­ dung. Sein Einfall, «ein Hund springt auf der Strasse einer Katze nach», wird als e in Hinweis auf latente sexuelle Neugier (im Zu­ sammenhang mit der Urszene) aufzufassen sein (hat aber Verfol­ gung zum Inhalt). Die Identifizierung mit der Mutter im MutterSäugling-Spiel erscheint nicht über das schon erwähnte Ich-Bild (Sch + ±). Das von Liebe, Zärtlichkeit und Güte durchströmte Körper- und Affekterleben (S + 0, P + +) manifestiert sich gleich­ zeitig mit einer gewissen Beruhigung, Ausgeglichenheit im Ich (Sch —) und verbunden mit einem erhöhten Ablösungsdrang (CO - !). (Iwan war am Grösserwerden des Babys ernstlich interessiert.) An die Stelle der zwei bisherigen Unitendenzen im Ich (- 0 Verdrän­ gung und 0 - Projektion) tritt ein Ich-Bild in der Form einer Legie­ rung (Sch —). Hintergänger

Das friedliche Mutter-Baby-Spiel hat im EKP die sexuelle Ag­ gression aufgehoben. Die Faktorreaktion s + (!) verschwindet, es 57


etabliert sich im EKP das s ± (unsicher gewordene Männlichkeit), dies auch in den Profilen vier bis sechs. Dasselbe geschieht im EKP mit dem d + (!) (auf die Suche gehen nach neuen Objekten). An seine Stelle tritt d ± (drittes bis viertes Profil). Warum noch wei­ terhin auf die Suche gehen? Die anfänglichen Affektdilemmas P ± ± sind im Vordergänger fast vollständig verschwunden (siehe die ersten zehn Profile, Seite 80). Ambivalenzen erscheinen von jetzt an hintergründig als Vital­ trieb-Ambivalenzen (EKP in den Faktoren s und d und im Ich k ±). Die panikartige Schuld- und Strafangst (P — !) im EKP wie auch das Anklagebedürfnis (p -) sind vorläufig im Hintergrund verwahrt. Aber die Stauung im EKP von groben Affektregungen (e -) und das Verbergen derselben (hy - !) zusammen mit dem Drang nach An­ klage und autistisch-egozentrischer Machterhöhung (Sch + -) werden vermutlich den Vordergänger zu neuen Inszenierungsver­ suchen drängen.

Viertes Spiel mit Testaufnahme Iwan nimmt den Polizisten und den Engel. Daraufhin wähle ich den Kasperle (Rollenumkehr). Ich versuche herauszufinden, was geschehen wird, wenn ich ihm den von ihm in früheren Spielen gespielten Kasperle vorführe, das heisst, wie Iwan mit seinen Über-Ich-Figuren auf Kasperles Verhalten reagieren wird. - Der Polizist (Iwan) spaziert (unbewaffnet). Ich (Kasperle) spaziere auch. Nach einiger Zeit necke ich den Polizisten ein wenig. Ich sage, ich werde das Huhn stehlen, das Eier legen kann. Der Polizist kommt sofort, nimmt mich gefangen und bringt mich ins Gefäng­ nis. Ich nehme die Mutter des Kasperle und suche Kasperle überall, frage auch den Polizisten, wo Kasperle sei. Dieser lässt daraufhin den Kasperle nach Hause gehen. Ich lege Kasperle und die Mutter schlafen. Iwan spielt den Engel bis drei Uhr. Er sieht einen Hund in einer Strasse und ein Huhn, das ein Ei legt. (Anstelle der durch den Hund verfolgten Katze erscheint jetzt das eierlegende Huhn.) Iwan legt das H uhn auf den Stuhl, auf dem wir spielen, und lässt ein Ei hinaus. (Das interessiert ihn, das darf man doch!) 58


Am Morgen nehme ich als Kasperle den magischen Hut und ein Plastik-Messer (die Ausstaffierung des Kasperle im zweiten Spiel), ohne etwas zu sagen. Iwan (Polizist) nimmt das Ungeheuer (eine unförmige Bambuswurzel mit einem roten Schnabel in der Mitte). Er sagt, es schmecke, wo Kasperle sei. Er greift mich an, wirft sich mit dem Ungeheuer mehrere Male auf mich. Der Kampf ist unent­ schieden. (Ich lasse ihn nicht gewinnen.) Schliesslich nehme ich die Pistole (die im vorausgegangenen Spiel dem Polizisten zugespro­ chen worden ist). Daraufhin nimmt Iwan als Polizist das magische Fernrohr. Er kann mich also sehen. Ich (Kasperle) bedrohe ihn: «Ich bin stark, ich habe eine Pistole.» Seine Reaktion: Ich könne ihn schon töten, der Engel (die ideale, hilfreiche Figur) werde ihn mit dem magischen Stab erlösen. Dies wird spielend angedeutet. Und nun? Nachdem der Polizist erlöst worden ist, rüstet Iwan sich (den Polizisten) mit allen magischen Attributen aus, mit magischem Fernrohr, mit einer Pistole und dem Zauberstab (damit man ihn nicht töten kann), und tötet dann mich, den Kasperle. Das Ende ist: Der Polizist, der Vater-Iwan, beseitigt (überwäl­ tigt, tötet) den zu gefährlich gewordenen Sohn. Dieser unterliegt in seinem Aufbegehren und Beseitigenwollen. Der «Vater» ist der Stärkste.

Profil IV (siehe Seite 70, Zensurfaktoren, viertes Spiel) Sch

P

S

k

c

p

d

+

0

m

h

s

e

VGP

+

0

+

ThKP

_

+

+

+

±

+

EKP

+

±

+

0

±

0

hy

Der eigenartigen Wendung im Spiel entspricht eine eigenartige, einmalige, auffällige Veränderung der «Mitte». 59


Im Vordergrund erscheint eine «kraftvolle», aber an neuroti­ sche Abwehr grenzende Mitte (der Affekt- und Ich-Kontrolle): P + -, Sch - +, der «gehemmte Abel mit Schuldbewusstsein»: Alle vier Zensurfaktoren sind mobilisiert. Der Hintergänger: Der «autistisch undisziplinierte, rücksichts­ lose Kain» (Mitte: Es findet sich eine spiegelbildartige Umkehr des Vordergängers, die ganze Mitte betreffend und in fast vollständiger Konkordanz des EKP mit dem ThKR Diese Mitten im VGP und EKP spiegeln die zwei aufeinanderfolgenden Handlungen, die Iwan inszenierte: VGP: Der Vater-Polizist (Iwan) lässt sich im Vertrauen auf eine hö­ here Macht (den Engel, vermutlich eine ideale, hilfreiche Mutter­ figur) töten, überwältigen, weil das H öhere ihn beschützt und er­ hält. EKP (ThKP): Er tötet, beseitigt, überwältigt den aufbegehrenden,

rücksichtslosen Sohn. Zwei Auffälligkeiten sind noch festzuhalten: a) In diesen drei Profilen erscheint erstmalig, «unangekündigt» im VGP die Reaktion p +, Bewusstwerdung, eventuell Ich-Ideal-

bildung. (Sie wird auch in der nächsten Testaufnahme erscheinen.) Iwan spielte zuerst den Polizisten mit dem Ungeheuer und ge­ riet in ein wildes, andauerndes Kämpfen mit dem gefährlich gewor­ denen (mit dem Messer bewaffneten) Kasperle. Dann - nach un­ entschiedenem Kampf -, als Kasperle (meine Figur) ihn ein zweites Mal bedrohte, diesmal mit der Pistole, wurde Iwan besonnener, spielte ruhiger, überlegter und «entschloss» sich zum «Sichtötenlassen». Vom Engel erlöst, rüstete er sich in sorgfältiger, geruhsa­ mer Weise für den Endkampf aus. Es war so etwas wie Ruhe, Überlegung und Entschlossenheit in ihm. Es scheint hier kein Zufall zu sein, dass bei einem solchen ersten Inszenieren der Vaterrolle (seine Rollenwahl war: Vater-Polizist und Engel) das Testzeichen p + mit der Bedeutung von Bewusstmachung und Ich-Idealbildung erscheint. Vielleicht handelt es sich auch um die Identifizierung mit einem kleinkindlichen, übermächtigen Vaterbild. Dementspre­ chend rüstete er sich in überlegter Weise mit allen Machtattributen dieses Vaters aus. (Er weiss alles, sieht alles, kann alles, ist der 60


Stärkste.) Eigenartig erschien es mir doch, dass Iwan sich in der Polizisten-Vater-Rolle töten Hess. E r reagierte sonst immer stark abwehrend und angreifend bei der geringsten aggressiven Geste oder Bemerkung ihm gegenüber. b) Festzuhalten ist ferner: Im VGP erscheint zum ersten Mal der Abel und im Hintergänger der reine Kainanspruch P - + (EKP in Übereinstimmung mit dem ThKP). Bisher erschienen in allen Profi­ len nur e ± und nur einmal P — ! im EKP; das e - wird erst im sechsten Profil im VGP erscheinen. Die Aufteilung der sechzehn möglichen Affektbilder in fünf Gruppen ergibt bei Iwan:

VGP

EKP

Kain-Variationen

2

3

5

Abel-Variationen

©

3

®

Angstvariationen Zwangsvariationen Flut- und Ebbevariationen

Z

I

©!

®

©

I

4

I

I

2

Es dominieren im Vordergänger weitgehend die Bedürfnisten­ denzen des Abel (mit leichter Erhöhung der Zwangsvariationen). Die Angstkonstellationen liegen fast ausschliesslich im Hintergän­ ger, in dem auch die Kain-Abel-Konflikte weiterhin das Affektleben bestimmen (siehe Seite 84, Die sechzehn Affektvariationen im VGP und EKP bei Carol und Iwan; ferner: Szondi, 1947, Seite 195).

Fünftes Spiel mit Testaufnahme Ich will die «Wirkung» eines nochmaligen Mutter-Säugling-Spiels auf Iwan und auf den Test «auskundschaften» und wähle das Spiel­ material für Iwan aus. (Es geht hier um Diagnostik und nicht um Therapie.) Ich lege die Mutterfigur, Kasperle, die Badewanne, die Flasche, das eierlegende Huhn und den Polizisten auf den Boden. Iwan spielt mit Mutter und Kasperle die gleichen Szenen wie in der dritten Spielstunde, diesmal mit etwas weniger affektiver Beteiligung. Die kleinen Veränderungen sind: Die Mutter geht sechs Liter Milch ho61


len. Kasperle-Baby schläft viel und die Mutter mit ihm. Sie schlafen zweimal den ganzen Nachmittag bis fünf Uhr. Zum Schluss nimmt Iwan das Ungeheuer (mit dem roten Schna­ bel) und sagt, der Polizist müsse das Messer nehmen. Er gibt es mir. Das Monstrum (Iwan) greift nun den Polizisten (Vater) an. Es lässt sich aber sofort von diesem töten, ohne sich wirklich zu weh­ ren. Iwan ist damit sehr zufrieden. Diese von Iwan unerwartet, plötzlich vorgeschlagene Spiel­ szene, mit der er das Familienspiel abschliesst, bringt eine eigenar­ tige Phantasie zum Vorschein. Elemente aus der vorausgegange­ nen Stunde vermengen sich mit diesem Mutter-Baby-Vater-Spiel. In der letzten Sitzung nahm der Polizist (Iwan) das Ungeheuer als einen Verbündeten, mit dem er den ihn neckenden Kasperle angriff und überwältigen wollte. Es kam zu einem unentschiedenen Kämpfen. Darauf erfolgte meine zweite, gefährlichere Provokation (in der Rolle des Kasperle). Iwan, der Polizist-Vater, lässt sich im Vertrauen auf den Engel töten. Mit dem Ungeheuer konnte er nicht siegen, den bösen Sohn nicht überwältigen. Im darauffolgen­ den Endkampf, der Beseitigung des gefährlich gewordenen Sohnes durch Iwan, spielte das Ungeheuer keine Rolle mehr. In diesem, dem fünften Spiel, musste der Polizist-Vater, dem Iwan das Messer gab, zum Abschluss des Familienspiels das Monstrum beseitigen. Es kam zu einem Scheinkampf. Es schien, als wartete Iwan nur dar­ auf, dass dieses Monstrum getötet werde. Das «Böse» (das wurzel­ artige Monstrum mit dem roten Schnabel) musste durch den Poli­ zisten-Vater (durch mich) vernichtet werden. Warum? Zwischen Sohn und Vater soll es «friedlich» sein? Der Vater ist der «Stärkste», das bietet Schutz vor Sex- und Kains-Gefahren? Von der Mutter Iwans vernehme ich, dass Iwan in der Woche nach dieser Sitzung (es kam ein Unterbruch von zwei Wochen) fast jeden Morgen das Morgenessen für die ganze Familie bereitete und sich häufiger um den jüngeren Bruder kümmerte. Auflehnung, teilweise Trotz, Eigenwilligkeit und Eifersucht beherrschten ihn aber noch oft. Während zwei bis drei Tagen habe er Kleider für seine Spielbären und die Bären seiner Geschwister angefertigt. (Er habe geschneidert und genäht.) Sonst aber gehe er oft mit einem 62


hölzernen Messer im Gürtel herum und fahre viel mit dem Fahr­ rad.

Profil V (siehe Seite 70, fünftes Spiel)

h

s

e

VGP

+!

0

+

ThKP

_ !

±

0

±

EKP

Sch

P

S

_

hy

c

k

P

d

0

+

0

+

±

-

±

+

+

0

+

m

+

Das Auffällige beim Überblicken der drei Profile ist: Im VCP steht nun «die bremsenlose Inflation» (Sch 0 +), das Sich-erfüllenLassen in Richtung Liebe, Güte und Rücksichtnahme (h + !, P + -, p +). «Der autistisch undisziplinierte Kain» im Hintergänger (siehe Profil IV, Mitte - + / + -, 0 -) erscheint nach diesem (dem fünften Spiel) wie «erschüttert» wegen erscheinenden Unsicherheiten in der Orientierung (k ±) und Hemmungen im Auftreten (hy ±). Er «denkt» jetzt eher an Rückzug, das heisst ans Ausreissen (Sch ± -) und Sich-frei-Machen (Sch ± 0) von symbiotischen (resp. dualunionistischen) Ansprüchen und Bedürfnissen.

Sechstes Spiel mit Testaufnahme Zwei Wochen Unterbruch im Untersuchungsverlauf. Von den Eltern vernehme ich, dass der Vater, wie er meinte, «bei einer gün­ stigen Gelegenheit» Iwan über die Rolle des Vaters beim Kinder­ machen genauer aufgeklärt habe. Sie berichten, dass sich Iwan seit­ her mit seinem Bruder besser vertrage, aber manchmal wie ein kleines Kind weine, wenn ihm etwas verweigert werde. Einmal habe er sein Bett genässt (was sonst nie geschehen sei). 63


Vor dem Kasperlespiel baute Iwan ein «Scenotest»-Bild. Wir sprachen zusammen über das von ihm Gebaute. Er benutzte alle Familienfiguren, den Arzt und das Dienstmädchen. Iwan bemerkte unter anderem: «Zwei kleine Kinder schlafen in diesem Zimmer. Die Tür bleibt offen, damit die Sonne hereinkommt; nein, ich schliesse sie.» (Seine Tür soll lange Zeit offen gestanden haben.) Über das Baby sagt er: «Oh, es ist schön!» Er lässt es auf allen Vie­ ren kriechen vor dem Haus, es vorwärts stossend. Einen Knaben, der vor dem Vater steht, lässt er sagen: «Ich habe die gleiche Hose wie der Vater.» Wir sprechen daraufhin von Babysein und Knabe­ sein, von Klein- und Grossein. Iwan: «Manchmal möchte ich gross sein, manchmal klein.»

Das sechste Kasperlespiel Iwan nimmt den Kasperle und den Polizisten (wie im ersten Kas­ perle-Spiel). Ich nehme den alten, grauen Mann. Der Polizist (Iwan) trägt den magischen Gürtel. (Er ist der Stärkste.) Der alte, graue Mann (ich) möchte diesen Gürtel auch. Iwan gibt ihn mir aber nicht, obschon ich ihm diesen nehmen will. Daraufhin will Kasperle sich mit mir (dem alten, grauen Mann) verbünden und schlägt mir vor: «Wir gehen zusammen, komm mit mir! Wir töten den Polizi­ sten. Er hat mich ein Jahr ins Gefängnis gebracht.» (Iwan will mich

als Verbündeten gebrauchen. Wir kommen auf das anfängliche Thema zurück.) Ohne dass ich etwas dabei unternehme, von sich aus und ohne ein Wort zu sagen («Plötzlichkeit»), stürzt er sich auf den Polizisten und tötet ihn. Vor dem König, den ich herbeiführe, bekennt er dies­ mal: «Wir beide haben ihn getötet», und mit leichter Unterstützung von meiner Seite erklärt er, warum wir ihn getötet haben. Iwan ist einverstanden, dass der König den Polizisten wieder lebendig macht, damit wir ihm sagen können, er dürfe die Leute nicht länger als einen Tag einsperren. Iwan (Kasperle) korrigiert mich aber: «Er kann sie zwei Tage einsperren.» Testologisch gese­ hen = VGP: P - 0; EKP: P 0 - ! + Sch ± ±.

64


Profil VI (siehe Seite 71, sechstes Spiel) p

S e

hy

h

s

VGP

+ !!

0

ThKP

- !!

±

+

±

0

±

0

-!

EKP

C

Sch p

d

m

0

0

±

+

±

±

0

+

±

+

0

k

0

Im Vordergänger findet sich eine neue, eher «schwache» Mitte (- 0 / - 0), ein neuartiges Kontaktbild (C 0 ±) und eine Erhöhung der Quantumspannung im Zärtlichkeitsverlangen (h + !!, siehe Seite 80). Die auffälligste Reaktion in diesem VGP liegt in der Faktor­ tendenz e Sie e rscheint einmalig und in Unitendenz (P - 0). Sie könnte der Spontaneität und der Plötzlichkeit des Beseitigens in diesem Spiel entsprechen und ist durch die Konkordanz von ThKP und EKP (der Faktortendenz e - und des gesamten Affektbilds in den Profilen III bis V) «angekündigt» worden. P - 0 als ei ne KainVariation hat die Bedeutung: «sich vor anfallsartiger Angst retten in eine gewalttätige Handlung», im Zusammenhang mit Aufstauung von Kains-Ansprüchen (1947, Seite 263). Andeutungsweise liegt auch hier das «Mörder-E-Syndrom» vor (siehe Seite 53). Vektor C: Zweimal erscheint in der Zehnerserie (Seite 80) die unglückliche Beziehung (depressive Reaktion): • Sechstes Profil: C 0 ± Zwiespalt: Sich weiter an das alte Objekt anklammern (m +) oder sich abtrennen (m -)? Eine «unglückliche, hoffnungslose Bindung» (zusammen mit S + !! 0). «Des öfteren bei Zwangscharakteren, Zwangsneurotikern ... normalerweise auch in der Präpubertät oder in der ersten infantilen Pubertät anzutref­ fen» (I960, Seite 193). - «Erlösung» kann eine Identifizierung mit einem mütterlichen Ich-Ideal bringen (Sch + ±). • Neuntes Profil: C - ± (siehe Seite 80): Unglückliche Bindung.

Es f ehlt der Drang, auf die Suche zu gehen nach neuen Objekten 65


(d +). Anklammerung und Abtrennung im Widerspruch verunmög­ lichen, trotz Kleben (d -), eine Verwirklichung treuer Bindung eben­ so wie eine kraftvolle Abtrennung mit einem Auf-die-Suche-Gehen nach neuen Objekten. Beide Bilder entsprechen den inneren Schwierigkeiten im Verhalten von Iwan zu Hause und in der Schule. Es b esteht eine Fixierung auf der Stufe der maniformen Abwehr (Seiten 92/93) von frühkindlichen depressiven Ängsten (Verlust der Symbiose-Mutter), von vielleicht nur teilweise erlebter «Fusion» und nicht verschmerzten Enttäuschungserlebnissen (m - und h + ! sind Wurzelfaktoren, Seite 80). Bindungs- und Besitzansprüche den Liebesobjekten gegenüber sind blockiert (Abwesenheit von m +, d -) und ebenfalls, aber weniger stark, das Auf-die-SucheGehen d +. Es sind vermutlich die Blockierungen im Kontaktvektor, die eine Befriedigung der Faktortendenz h + !! unmöglich gemacht haben. Iwan hat nur in beschränkter Weise seine Kontaktmöglichkeiten entwickeln können. (Fast nur Entmischungsbilder im VGP und EKR siehe Seite 201). Der «Zusammenbruch» der ödipalen Situation fand zwischen dem vierten und fünften Lebensjahr statt (siehe Seiten 92/93). Die «ödipale Linie» resp. die Inzestbindung im Szondi-Test kommen im VGP und EKP nirgends zum Vorschein («Inzestlinie» in: 1947, Sei­ ten I 19, 279; Triebpathologie, 1952, Seiten III, 119; I960, Sei­ ten 180, 195). Hintergänger (EKP)

Auch hier erscheint eine bedeutungsvolle Veränderung in der Mitte und im Kontakt. Kontakt: Das Auf-die-Suche-Gehen nach neuen Objekten d +: Diese Tendenz erschien auch im zweiten Profil (C + ! -). C + 0: Untreue Bindung, Veränderungsdrang, «Anklammerungsunfähigkeit am alten Objekt» ( 1960, Seite 188). Hier ist diese Reaktion positiv zu verstehen als eine hintergründige Bereitschaft, aus der unglück­ lichen Situation des Vordergängers auszutreten.

66


Mitte EKP: 0 — ! / ± ±. Die «gewaltsame» Handlung (P - 0 im VGP)

mit Verdrängung im Ich (im VGP) bringt im EKP erhöhten Ver­ bergungsdrang und Schuldangst hervor (PO - !). Dem Töten (P - 0 im VGP) folgt im EKP nicht Wiedergutmachung oder Reue (P + ±), obschon im EKP in den fünf vorausgegangenen Aufnahmen immer die genaue Umkehr des Affektbilds des Vordergängers er­ schienen ist! Der erhöhte Verbergungsdrang und die Schuldangst (P 0 - !) erscheinen zusammen mit einer maximalen Mobilisierung aller IchAbwehrfunktionen Sch ± ± (das unter Angst funktionierende in­ tegrierende Ich). Es kann auch die folgende Bedeutung haben: Zur Abwehr der inzestuösen Liebes- und Hassansprüche werden «bei­ de Eltern als Vorbilder, als Ich-Ideale» ins Ich eingebaut; doppelte, totale Identifizierung mit beiden Eltern = er will so sein wie die Mutter = Sch 0 ±, aber auch so wie der Vater = Sch ± 0 (Trieb­ pathologie, 1952, Seite I I I ) .

67


Die Veränderungen im Affekt- und Ich-Vektor bei Iwan in den sechs Testaufnahmen

Es soll aufgezeigt werden, in welchem Zusammenhang die Ver­ änderungen in den Spielgehalten mit den Veränderungen in den vier Zensurfaktoren (der ethischen e +, der moralischen hy -, der ver­ nünftigen k - und der geistigen p + Zensur) stehen.

Das Kasperle-Polizisten-Drama bei Iwan Die Rollenwahlen von Iwan; Spielverlauf und die dabei mitwirkenden Zensurfaktoren im VGP

Die Vektorbilder der Mitte

Affekt

Ich

± +

- 0

Affektangst

Verdrängung

Alle vier Affekt­ tendenzen sind

Delegieren,

mobilisiert.

Verleugnen.

Der ethische, mc raiische und vernünftige Zensurfciktor nehmen an

diesem Spiel teil, licht aber dergeistige, das Bedürftiis nach Bewusstwerden der eigerien Wünsche.

3 Zensurfaktoren (e +, hy -, k -)

68

Erstes Spiel (Testaufnahme Seite 48)

im VGP (EKP)

Iwan wählt den Kasperle und den Polizisten. Spielverlauf: Kasperle will stehlen, wird darin unsicher gemacht. Als Polizist verdächtigt Iwan den Kasperle in ungerech­ ter Weise. Kasperle will den Po­ lizisten töten, weil er ihn ins Ge­ fängnis bringen will. Ein Erinnert­ werden macht ihn dabei unsicher. Er delegiert (verbirgt, verdrängt [hy -, k -]) das Töten an den Ver­ bündeten, geniesst aber die Be­ seitigung. Verleugnet nachher sei­ ne Anteilnahme und verlangt den Tod für den Töter. Die Beseitigung soll der König überneh­ men: Delegation, Verleugnung


und Unterwerfung durch Iden­ tifizierung mit einem allmächti­ gen Über-Ich. Er will «der Liebe» sein. Affekt

Ich

± +

0 -

Eine Kain-Varia-

Anschuldigung

tion: «ein Kain, der sich be­ kehrt», Unge­ schehenmachen Am Tötungsverla ngen und an der Anschuldigung (13 - + , S c h 0 - ) hat nur noch die ethische Zensur Anteil (e +: Wi edergutmachung resp. Ungescheh enmachen, Liebsein-Wollen).

I Zensurfaktor (e +)

Zweites Spiel (Testaufnahme Seite 53)

Rollenwahl: Kasperle und Köni­ gin (Engelsfigur). Iwan spielt die Königin nicht, sondern übergibt sie mir, als wachsame, nächtliche Engelsfigur. - Kasperle kommt mit erhöhter Anschuldigung (p -, Sch 0 -) und tötet überstürzt den Polizisten (P - +). Verleugnet und delegiert das Töten an den Verbündeten. Daraufhin hat er ein schlechtes Gewissen (e +), und durch magisches Wiederlebendigmachen des von ihm ge­ töteten Polizisten erfolgt ein Un­ geschehenmachen (e +, P + + das Liebsein zeigen wollen). Drittes Spiel

+ +

(Testaufnahme Seite 56) Affektflut,

Anpassung:

Versöhnung,

Zurückhaltung

Liebsein.

(k -) von An­ schuldigung (P -)•

Der ethische une der vernünftige Zensurfaktor wir <en mit.

Rollenwahl: Iwan will «Mutter und Baby» spielen. Rüc kerstattung der (aggressiven) Waffen an den Va­ ter durch die Mutter-Iwan, als hät­ te er sich die Machtattribute des Vaters angeeignet. Die zwei El­ ternfiguren funktionieren nebenund miteinander. Jeder hat und verwaltet «das Seine», fern von

2 Zensurfaktoren (e + k -)

jeglicher L/n-Zufriedenheit (e -). 69


Ich

Affekt

Viertes Spiel (Testaufnahme Seite 59)

+

-

- ©

Der «reine»

Hemmung im

Abel, der sich

Identifizierungs­

töten lässt.

drang mit dem Vater.

ThKP - +

+

EKP

0 -

- +

-

Extreme Spannung zwischen VGP und gegensätzlichem Hintergänger: dem autistischen, undisziplinierten, «reinen» Kain. Alle vier Zensurfaktoren sind vor­

dergründig an diesem Spiel betei­ ligt.

4 Zensurfaktoren

Rollenwahl: Polizist und Engel. Iwan als Polizist-Vater bringt den ihn provozierenden KasperleSohn ins Gefängnis. Dann erneu­ ter unentschiedener Kampf zwi­ schen beiden (von mir insze­ niert). Auf «massive» Be drohung durch den Sohn lässt der VaterIwan sich töten, im Vertrauen auf magische Hilfe (Engel). Dar­ aufhin tötet (beseitigt-überwältigt) er den gefährlich geworde­ nen Sohn. Dieser unterliegt mit seinem Aufbegehren, Anschul­ digen und Beseitigenwollen. Mit dem Schnabel-Ungeheuer war es dem Vater-Iwan nicht möglich, den rücksichtslos aufbegehren­ den Sohn zu unterwerfen. Er brauchte die Hilfe des Engels, ei­ ner allmächtigen, hilfreichen (weib­ lichen?) Instanz (p +) und ein gan­ zes Arsenal von magischen Hilfs­ mitteln (k +?).

+ -

Der «reine»

Inflation. (Alle

Abel.

sind nur lieb?)

Der ethische un<i der vernünftige Zensurfaktor wir ken mit. EKP

70

± 0

Fünftes Spiel (Testaufnahme Seite 63)

Die Wiederholung des MutterBaby-Spiels wird vorgeschlagen. Nach diesem Spiel nimmt Iwan «plötzlich» das Ungeheuer. Er will das (sexuelle) Ungeheuer durch den Polizisten-Vater tö­ ten lassen. Es soll durch eine


starke und überlegene Vaterfi­ gur beseitigt werden. - Es w ar kein eigentlicher Kampf, Iwan wartete auf die Beseitigung des Ungeheuers. (Soll das Unge­ heuerliche, Sex und Kain, in der Vater-Sohn-Beziehung beseitigt werden? Ist das Beseitigen bloss ein Wegwünschen, Abstossen in

3 Zensurfaktoren (e -, hy-, p +)

den Hintergänger? Siehe EKP im Vergleich zum vierten Spiel.) Affekt

Ich

- 0

- 0

Kain-Variation.

Verdrängung.

Ausagieren unter Angst­ druck. EKP

0 -!

+ +

Das Spielgeschehen «hängt» nur noch an der Vernunft-Zensur (k im VGP).

I Zensurfaktor (k -)

Sechstes Spiel (Testaufnahme Seite 65)

Rollenwahl: Kasperle und Poli­ zist (wie im ersten Spiel). Kas­ perle will zusammen mit dem Verbündeten den Polizisten tö­ ten. Er tut dies von sich aus, plötzlich, wort- und lautlos, al­ lein. Gesteht dem König: Wir beide haben es getan. Vager Versuch, sich zu wehren, seine Auflehnung kundzutun, bei hin­ tergründig (EKP) grosser Angst (VGP: P - 0: «ein Kain, der sich vor Angst in Gewalttätigkeit ret­ tet»; EKP: 0 - !: Schuld- und Strafangst; Sch ± ±: das inte­ grierende Ich oder «das Ich in der Katastrophenahnung» mo­ bilisiert alle Ich-Elementarfunktionen, I960, Seite 169).

71


Bemerkungen zum weiteren Lebensverlauf von Iwan

Iwan ist Arzt geworden (Allgemeine Medizin). Er arbeitet als Leiter einer Klinik in einem Land der Dritten Welt, zusammen mit seiner Frau. Sie haben fünf Kinder. Vater und Mutter teilen sich halb, halb - die Haus- und Berufsarbeit. Das von den Eltern Iwans (resp. von der Mutter) besonders Vermerkte war: Iwan überneh­ me zu Hause neben den handwerklichen Arbeiten alle Arten von Hausarbeit, von der Säuglingspflege, der Wäsche, dem Bügeln, vom Kochen bis zur Mithilfe bei den Schularbeiten der Kinder. Iwans Eltern meinten, ihre Enkelkinder würden eher verwöhnt, bloss ihre Mutter gebiete ihnen manchmal in erregter Weise Ein­ halt, ihr Sohn könne das nicht so recht. Iwans (mütterliches) Pflege­ verhalten im Hausbetrieb, meinte Iwans Mutter, sei seine «Erfin­ dung». Er habe als Knabe und Jüngling nieso etwas gemacht. - Ver­ gegenwärtigt man sich jedoch die Testergebnisse und Spiele Iwans und die Mitteilung über eine (offenbar nur vorübergehende) Ver­ haltensänderung zu Hause (Seite 62), überrascht sein Verhalten als Ehemann und Vater jedoch nicht. In den Spielen, Phantasien und dem Verhalten der Kinder wäh­ rend der Untersuchung und Behandlung liegt und zeigt sich man­ ches, was später untergehen, verlorengehen oder ihr «Schicksal» bestimmen, ihrem «Schicksal» Gestalt und Begrenzung und ihrem Leben Gehalt verleihen kann.

72


Vergleich der Zensurfaktoren bei Carol und Iwan Anzahl Zensurfaktoren im VGP und EKP bei Carol und Iwan

. 0 LQ

l or a C

Erstes Spiel

Zweites Spiel

Drittes Spiel

Viertes Spiel

Fünftes Spiel

Sechtes Spiel

I

2 2

® 3

3 2

2 2

© 2

2 3

13 14

4

3

5

4

© Heiratsspiel (ohne Heirat)

5

Ubermut, Einbruch ins Elternzimmer, sexuelle Töten der Neugier, Königin Strafbedürfnis, Verleugnung

VGP EKP

£

i" V 3

w

3 0

1 2

3 3 Delegierte Tötung mit Tötung, Verleugnung Verleugnung und und delegierte Ungeschehen­ Tötung des machen Töters

2 1

©

3

4 Als Vater den gefährlichen Sohn töten (totale Identifi­ zierung mit Über-Ich)

Mutter-BabySpiel

0

3 1 4 Delegierte Tötung des (sexuellen) Ungeheuers

Kastrations­ phantasie, Männer töten mit Verlegung auf die Mutter­ figur 1

® 4 Tötung des Polizisten mit Angst vor Entdeckt­ werden und Verdrängung

27


Unterschiede

1. Carol bringt in den sechs Profilaufnahmen (VGP + EKP) je drei bis sechs Zensurfaktoren, Iwan drei bis vier. Total der Zensurfak­ toren bei Carol: 27, bei Iwan: 21. Begründung des Unterschieds: Carol befindet sich mit dem Kasperle und dem Teufel fast ständig im «Elternzimmer», ein heikles und weiträumiges Thema (Urszene und Ödipus; die Zensurfaktoren: 4, 3, 5, 4, 6, 5), während Iwan mit dem Kasperle und dem Polizisten das Vater-Sohn-Problem ankur­ belt und mit Mühe umspielt (die Zensurfaktoren: 3, 3, 3, 4, 4, 4). 2. Bei Iwan findet sich eine bedeutend höhere Anzahl von Zensur­ faktoren im VGP als im EKP (14:7). Bei Carol sind diese zwar häufiger, aber gleich stark im VGP und im EKP (13 : 14). Bei ihr finden sich im VGP zwei auffällige, in gegensätzlicher Richtung ge­ hende Extreme (zweites und fünftes Spiel), bei Iwan eine auffällige einmalige Verstärkung im VGP (viertes Spiel). 3. Schwacher «Einsatz» von Zensurfaktoren im VGP führt zu stär­ kerem Einsatz im EKP und umgekehrt. Dies ist bei Iwan auffälliger, erscheint bei ihm in allen Profilaufnahmen, bei Carol nur im zwei­ ten, aber andeutungsweise auch in den anderen Spielen. 4. Bei Iwan dominieren die ethischen Zensurfaktoren (e +, ± fünfmal; hy-, ± dreimal), bei Carol die hysteriformen (hy ±, viermal; e ± einmal). Bei Carol sind die Ich-Zensurfaktoren gleich­ wertig: k - : p + (4 : 4). Es dominiert die Hemmung (Sch - +). Bei Iwan dominieren die k - Tendenzen die p T (4 : 2). Es d ominiert die Verdrängung (Sch - 0).

74


Das Latenzprofil

Dem Vergleich der zwei Zehnerserien (von Carol und Iwan) soll eine kurze Besprechung des «Latenzprofils» im Szondi-Test vorausgehen, da die Testaufnahme bei vier achtjährigen Kindern erfolgte. Der Vergleich setzt die Kenntnis der alterstypischen Vektor­ bilder und Faktorreaktionen voraus. Die alterstypischen Vektor­ bilder (das «klassische» Latenzprofil) vom fünften bis zum neunten Lebensjahr sind die folgenden: Vektor S

Sch

P

+ + 40-50 % - - 10-20% — Anpassung + 0 10-20% + -

10%

5%

+-

- 0 Verdrängung

15 % o -

0 - Projektion/

15 % zusammen

- +

30-50 %

Partizipation

i« -

C 20 % + -

J7-I5 % - + H e m m u n g 8 - 1 0 %

gleich stark

+ —

Das vereinfachte Latenzprofil (sein Kern): ++

(•)-

+ 0 -

Es handelt sich bei diesem Profil um eine Konstruktion, um eine Zusammenstellung der häufigsten Faktorreaktionen und Vektor­ bilder, wie sie in den verschiedenen Untersuchungen von Kindern festgestellt werden konnten, und nicht um einen die vier Vektoren übergreifenden Vektorenverband. Folgende Vorsicht ist bei der In­ terpretation der Faktorreaktionen und Vektorbilder angezeigt: An­ wesenheit oder Abwesenheit, Dominanz oder geringe Häufigkeit 75


dieser Bilder dürfen nicht als A nzeichen für Normalität oder Ent­ wicklungsgefährdung oder gar für Erkrankungsgefährdung angese­ hen werden. (Jedes K ind hat seinen eigenen Entwicklungsweg zu gehen.) Entwicklungs- und Erkrankungsgefährdungen setzen das Vorliegen von bestimmten Faktoren- und Vektorenverbindungen, das heisst die Existenzformen- und die Syndromanalyse, voraus. Ausserdem sind im Einzeltest immer auch die EK-Profile mitzuberücksichtigen. Die für Siebenjährige altersspezifischen Faktorreaktionen und

Vektorbilder

S-Vektor; die psychosexuelle Entwicklung

Die durchschnittlich häufigsten Sexualbilder zeigen eine Stau­ ung und Legierung der Zärtlichkeits- und Aggressionsbedürfnisse

an (S + +; auch S ± +, + ±). Diese Vermischungsbilder sind für die Latenz im psychosexuellen Bereich typisch. Im Einzelfall wird man dabei auch die Bilder im EKP zu berücksichtigen haben. (Quantumstauungen sind häufig. Ob es sich dann jeweils wirklich um ein «Stauen und Legieren» handelt, wird fragwürdig. Man wird zur Zeit der Latenz (eventuell allgemein) eine Quantumspannung «zulas­ sen» können (siehe Existenzformen 16, 17 bei Szondi, 1972). Affekt-Vektor

Das häufigste Vektorbild ist P —: Stauung von groben Affekten und Verbergung, Schamgefühle, Strafangst oder Schuldangst. Die Prozentzahlen zeigen an, dass es in diesem Vektor eine bedeutend grössere Vielfalt von Faktorreaktionen und Vektorbildern gibt. Das für die Latenz und Vorpubertät Typische ist a) der Übergang von den Kain- zu den Abel-Varianten; b) das Stauen von groben Affektregungen (e -) zusammen mit Verstärkung der Scham- und «Schande»gefühle (dem Verbergen); hy - dominiert hy + ;P — vermindert sich mit zunehmendem Alter; c) eine grössere Variabilität im Faktor e: Es k önnen, mehr oder weniger, alle vier Faktorreaktionen (+, -, 0, ±) im VGP erschei­ nen. Die Konstanz von hy - ist hingegen gross; 76


d) eine Verstärkung der ambivalenten Reaktionen e ± scheint eben­ falls für die Latenz typisch zu sein; e) der Übergang von der Reaktion e - zu e + erfolgt zwischen dem fünften und zwölften Lebensjahr. Die nationalen, rassischen und kulturellen Unterschiede und der Beginn der Sozialisierung durch das Eintreten des Kindes in «Kollektivbetriebe» können die­ sen Übergang beschleunigen oder verlangsamen. Ich-Vektor

Im Entwicklungsverlauf werden die frühkindlichen von den Lo­ tenzbildern und diese von den Bildern zur Zeit der Pubertät und Jugend unterschieden. Die drei angegebenen Bilder (Anpassung,

Verdrängung, Hemmung) spielen durch den ganzen Entwicklungs­ verlauf hindurch eine dominierende Rolle. Das Vermischungsbild Sch — (Anpassung) ist für die Latenzzeit von entscheidender Be­ deutung (k Unterdrücken, Verneinen, Verzichten und p Parti­ zipieren, Zusammen-, Miteinandersein). Kontakt-Vektor

Die zwei Bilder + - und 0 - haben die Bedeutung von «Drang nach Lostrennung von alten Objekten» und «auf die Suche gehen nach neuen Objekten» (+ -). C 0 Ablösungstendenz (in Uniten­ denz) mit häufigem Objektwechsel, ein «treuloses» Hin und Her im Kontaktbereich (die Stillegung jeglichen Suchens und Klebens dO). Diese zwei Kontaktbilder sind die häufigsten vom vierten, fünf­ ten bis zum elften, zwölften Lebensjahr und erreichen zur Zeit der Latenz ihre grösste Häufigkeit. Hierbei ist wieder zu berücksichti­ gen, dass Gruppendurchschnitte (die alterstypischen Faktorreak­ tionen und Vektorbilder) den allgemeinen Entwicklungsverlauf an­ zeigen und dass dieser Gesichtspunkt bei der Interpretation eines Einzeltests nur einer unter anderen ist. Im Faktor d erscheinen die Reaktionen in ähnlicher Weise wie im Faktor e, mit grösserer Variabilität: d - und d ± können ebenso häufig sein wie die gegensätzlichen Reaktionen d + und d 0.

77


Zusammenfassung

Das Latenzprofil wird aufgrund der häufigsten Faktorreaktio­ nen und Vektorbilder zusammengestellt. Es is t eine Konstruktion. (Es wurde nie untersucht, mit welcher Häufigkeit alterstypische Ver­ bindungen von Faktorreaktionen oder Vektorbildern tatsächlich vor­ kommen.) Als ein Konstrukt ist es allerdings etwas sehr Beeindruckendes: Es hat durch die Übereinstimmungen zwischen ungarischen, schwei­ zerischen und amerikanischen Untersuchungen von Siebenjähri­ gen seine Bestätigung gefunden. Man kann es als ein Ganzprofil wie folgt interpretieren: In der Latenzzeit (es gibt dabei Übergang, Höhepunkt und Aus­ gang) besteht eine stärkere Tendenz, die sexuellen Bedürfnistenden­ zen zu stauen und zu legieren. Dies erscheint verbunden mit einer Zurückhaltung von groben Affektregungen und mit einer Verstär­ kung der Tendenz, solche Regungen und Triebregungen im allgemei­ nen zu verbergen, mit einer Verstärkung von Scham und Schüch­ ternheit, eventuell mit vorstossenden Wiedergutmachungsten­ denzen (e +) oder Gewissenskonflikten (e ±). Im Ich-Bereich er­ scheint ein erhöhtes Anpassungsverlangen, mit Verdrängung und Hemmung verbunden und zusammen mit einem erhöhten Drang nach Kontakterweiterung (C + -, 0 -). Die Ich-Bilder können zusammen mit den Kontaktbildern auf folgende Weise verstanden werden: Es handelt sich um eine Verstärkung des Bedürfnisses nach Kon­ takterweiterung, verbunden mit Ich-Abwehrmechanismen wie Unterdrückung, Verneinung (k -) und der Übertragung von Seins­ macht (p -) auf äussere «fremde» Liebes- und Autoritätsobjekte, also um eine «Ich-Erweitertung» durch Allo-Diastole (Projektion der Existenzkraft auf äussere Objekte durch Partizipieren, Anpas­ sung, Miteinandersein). Die Übertragung geht nicht mehr auf die Mutter wie in der in­ fantilen Dualunion, sondern auf «anderes», die anderen (gr. alios). Es geht um ein Teilnehmen, Teilhaben (p -) innerhalb eines erwei­ terten Kontaktbereichs (C + -, 0 -), in dem man sich anpasst und so sicher fühlen kann. Es geht um eine neuartige Sicherheit (ichhaf78


te Geborgenheit p -) im ausserfamiliären Bereich, die sich der vor­ ausgehenden, grundlegenden anschliesst. Die Interpretation des Latenzprofils im Szondi-Test stimmt mit den psychoanalytischen Ansichten und Untersuchungen zur La­ tenzzeit weitgehend überein.

Die zehn Vordergrundprofile bei Carol und Iwan Carol, acht Jahre

P

S h 1.

s

+

Sch d

m

0

-

+ !

0

+

2

1

3

0

+ !!

-

2

2

4

-

±

+

0

0

2

2

4

0

+

0

+

3

2

5

+

0

0

2

2

4

+

+

1

0

1

+

0

3

2

5

0

3

3

6

+

3

0

3

2

4

hy

k

0

+

0

0

± !

III.

+ 1

IV

- I

_

0

V

+!

_

+

_

VI.

+ !

-

-

0

VII.

+ !

±

VIII.

+ 1

IX. X.

!

-

+

0

0

0

±

0

0

-

0

0

+

_

+

0

+

2

3

5

1

5

4

24

+

o

o

6

5

1

2

4

1

2

0

0

T.sp.G.

5

1

8

7

6

3

5

4

Latenzgrosse

S=4

10

I I + 0 +

P

e

II.

- !

Z

c

P= 1

Sch = 3

15 39

C = 1

79


/won. acht Jahre P

S

Sch

h

s

e

hy

1.

+

0

±

+

II.

+!

0

III.

+

0

+

IV.

+

0

+

V

+!

0

+

VI.

+ !!

0

-

VII.

+!

0

VIII.

+ !!

IX.

k

X

C

0

P

d

0

+

2

2

4

3

1

4

2

0

2

+

0

0

+

-

0

m

I I ± 0

-!

+

+

0

2

0

2

+

0

3

0

3

0

0

4

1

5

+

0

0

3

1

4

0

+

0

0

3

0

3

+ !!

0

+

2

1

3

X.

±

+

±

0

2

2

4

zo

0

9

0

2

z ±

1

0

3

T.sp.G.

1

9

3

Latenzgrosse

S=8

0 0

_

0

±

+

0

-

3

5

7

0

1

1

0

0

2

3

4

5

7

2

P= 0

Sch = 1

26 8 34

C=5

Analyse des Randes

Bei Iwan dominiert im Vektor S das Zärtlichkeitsbedürfnis in Uni­ tendenz mit Quantumspannung. Dieses Bild wird durch seine Häu­ figkeit und die Quantumspannungen auffällig. Im Vitaltrieb-Vektor C dominiert das B ild CO-, das Abtrennungsverlangen in Uniten­ denz. Dieses Kontaktbild stimmt mit den altersspezifischen Reak­ 80


tionen überein; die Anzahl des Bildes CO- gegenüber CH— ist allerdings zu gross. Die Konstanz im Vektor S der Unitendenz und deren quantitati­ ve Verstärkung im Verlauf der zehn Profile sprechen zusammen mit den Unitendenzen im Kontakt-Vektor für eine Fixierung der psychosexuellen Entwicklung auf prägenitaler Stufe. Der Abtrennungs­ drang in Unitendenz, verbunden mit zwei Bildern für «unglückliche Bindung» (C 0 ±, - ±), muss in engerem Zusammenhang mit ei­ nem nichtverschmerzten Untergang der Dualunion mit der Mutter oder den Eltern stehen. C 0 ±: Trotz bereits erfolgter Loslösung verweist dieses C-Bild auf unglückliches Zusammenleben, hoffnungslose Bindung («das Zu­ sammenleben bringt mehr Unglück als Glück», Szondi, I960, Sei­ te 193). C - ±: «Obwohl das Objekt schon verlorengegangen ist (—), be­ steht der Hang, ja sogar das Sichanklammern weiter ... unglückli­ che irreale Bindung» (Szondi, 1947, Seite 263). Zu berücksichtigen ist auch die Vordergänger-Hintergänger-Dynamik im Ich zwischen Sch -0 und Sch + ± (Verdrängung von Verlassenheitsgefühlen und Identifizierung mit dem verlassenden Objekt: «die Mutter spie­ len», eine Abwehr- resp. Schutzposition). Hinzu kommen die auf­ fälligen Umkehrungen Sch - 0 und Sch 0 - (Regression von Ver­ drängung auf Projektion). Bei Carol erscheint im Vektor S eine psychosexuelle Differen­ zierung der sexuellen Bedürfnistendenzen in Richtung Weiblichkeit (S + ! -viermal, S ± ! - fünfmal), jedoch in der Form von auffällig monotonen Vektorbildern (Fixierung?). Die Unsicherheit im Zärt­ lichkeitsbedürfnis (± !) wird wahrscheinlich aus einem «Zwang» zu verstehen sein, die sadistische Tendenz des Sexualtriebs (s + resp. S 0 +, - +) im Hintergrund halten zu können. Carol gibt auch im EKP immer die Faktortendenz s - (Blockierung der Faktortendenz s +). Es l iegt hier ein «partielles, hereditäres Triebschicksal» vor (siehe vierter Teil). - Bei Carol und bei Iwan erscheint wenig Legie­ rung (= S + +, + ±, ± +) im Sexual-Vektor (beide hatten sie schon früher erreicht (siehe Seiten 88, 93).

81


Während der Behandlung erschienen immer wieder die typi­ schen Themen der psychosexuellen Entwicklung des Mädchens, ohne dass sich in den Vektorbildern des Sexualtriebs in den insge­ samt vierundzwanzig Aufnahmen im Vordergänger eine Verände­ rung ergeben hätte. Dieselbe Monotonie erscheint während der Behandlung im Vektor C (immer nur C - +,-0,0 +), das heisst, die ödipalen und inzestuösen Bindungsbedürfnisse geben ihren Phantasien das Ge­ präge. Alle diese Kontaktbilder gehen jedoch bei Carol weitgehend in Richtung «Treue» und «glückliche Bindung» (C 0 +). (Auch diese Bilder entsprechen nicht den durchschnittlichen, alterstypischen Kontaktbildern der Latenzzeit.) Die Eltern- und Geschwister­ bindungen bestimmten das Kontakterleben bei Carol sehr stark. (Die Abtrennungstendenz m - erscheint sozusagen nie, ebenso­ wenig die Suchtendenz d + .) Analyse der Mitte

Iwan hat das Verdrängen der groben Affekte und auch das Exhibieren (hy +) vorwiegend durch diagonale Teilung der vier Ten­ denzen des Ganztriebs erreicht («Extremlösung» im Affektbereich; Abel P + - gegen Kain - +). Man wird an eine gewisse Einengung des Affekterlebens mit möglicherweise unkontrollierbaren Durch­ brüchen des Hintergängers (P - +, Eifersucht und Neidregungen, Beseitigungswünsche) zu denken haben (angezeigt durch die Hin­ tergrund-Konkordanzen im Vektor P; siehe auch Seite 42, «Motive der Eltern»), Carol zeigt ein bewegteres Affektleben in den Sitzungen. Sie hat in diesem Vektor fünfzehn Symptomfaktoren (davon neun Null­ reaktionen), Iwan nur sechs (davon zwei Nullreaktionen). Die fünf­ zehn Symptomfaktoren äussern sich bei Carol zudem so, dass sie auch zu dieser Zeit daheim noch Jammeranfälle mit Klagen, Wei­ nen, Wütendwerden hatte (früher dazu noch Schreien, Toben und Sich-auf-den-Boden-Werfen). Das häufigste Affektbild bei ihr ist C 0 ±, Jammern, Klagen. Szondi fragte mich damals, ob dieses Kind nicht paroxysmal sei. Durch Mitteilungen der Eltern kam ich zur 82


Annahme, dass a uch im Affektbereich ein «partielles hereditäres Triebschicksal» vorliegt (siehe dritter Teil). Im Ich-Vektor dominiert bei Iwan die alterstypische Verdrän­ gung (Sch -0), bei Carol die alterstypische Hemmung (Sch - +). Iwan kann auf frühkindliches Sichidentifizieren mit dem mütterli­ chen Liebesobjekt regredieren (zweimal Umkehr in der Sukzes­ sion Sch -0,0 -). Dementsprechend findet sich bei Iwan ein weni­ ger entwickeltes Phantasieleben. Carol verfügt mit ihren inflativen Tendenzen (p + [!], Sch 0 +), der erhöhten Affektmobilität und dem ödipalen Liebesverlangen über eine reichere Phantasie und Vielfalt von Ausdrucksmitteln. Bei Iwans Malereien fallen die Abwesenheit der roten und gel­ ben, der intensiven, leuchtenden (freudigen) Farben auf, ferner beim Spielen eine grössere «Abhängigkeit»: Er musste oft unterstützt oder stimuliert werden; ausserdem hatte er eine Tendenz zur «Flucht» in das Zeichnen oder in monotone Beschäftigungsspiele.

83


Die sechzehn Affektvariationen im VGP und EKP bei Iwan und Carol

In allen Faktoren und Vektoren des Szondi-Tests bestehen ver­ schiedene Möglichkeiten, das in ihnen «eingefangene» psychische Geschehen durch verschiedenartige Gruppierungen der Vektor­ bilder und von verschiedenen Gesichtspunkten her zu erfassen. Manche von Szondi erwähnten Gesichtspunkte und Gruppierun­ gen (im Lehrbuch von 1947 bis zu den letzten Arbeiten über Inte­ gration und Desintegration) sind selten oder nie berücksichtigt oder untersucht worden (so beispielsweise die verschiedenartigen Mög­ lichkeiten von Gruppierungen der sechzehn Vektorvariationen, die Bedeutung der sieben Teilungsarten des Ganztriebs, die Korrela­ tionen zwischen Ich-Schicksal und ethischem Schicksal usw.). Als ein Beispiel für solche Untersuchungsmöglichkeiten will ich hier das E rgebnis der Analyse der sechzehn Affektvariationen (im VGP und EKP der Zehnerserie) und deren Aufteilung in fünf Grup­ pen bei Iwan und Carol vorlegen und kurz interpretieren ( 1947, Seiten 189-196). Carol

Iwan

VGP

EKP

VGP

EKP

Kain-Variationen

2

3

1

1

Abel-Variationen

©

3

2

1

Angstvariationen

1

©

®

2

®

1

1

©

1

1

1

2

Zwangsvariationen Flut- und Ebbevariationen

84


Die psychische Dialektik im Affektbereich (im VGP wie im EKP) ist bei Iwan stark durch die Abel- und Kain-Variationen bestimmt. Bei Iwan stehen acht Abel-Bilder (VGP + EKP) fünf Kain-Bildern gegenüber, bei Carol sind es drei Abel-Bilder gegenüber zwei KainBildern. Im Affektbereich zeigt Iwan vordergründig eine leichte Er­ höhung von Zwang und hintergründig eine hohe Anzahl von Angst­ bildern. Bei Carol verhält es sich umgekehrt: im VGP viele Angst­ und im EKP erhöhte Anzahl Zwangsbilder. (Bei Zwang ist zu un­ terscheiden zwischen Zwangshandlungen, Zwangsphantasien und Zwangsgedanken.) Die hintergründig verstärkte latente Angst (7) bei Iwan beruht auf der Stärke der vordergründigen Abel- und Zwangsbilder. Sie verweisen auf ein hohes Mass von Abwehr und Unterdrückung von Angst im Affektbereich. Mit Hilfe der AbelVariationen und Zwangsreaktionen werden die groben Affekte (Auflehnung, Protest, Wut, Beseitigungswünsche) und die Angst vor einem Mobilwerden solcher Affektregungen im Hintergrund gehalten. Erwähnt werden soll jetzt nur das verschiedenartige Affekt­ schicksal bei Carol und Iwan von den Angstemotionen her gese­ hen. (In jeder Gruppe von Affektbildern kann das Ü bermass auf ganz bestimmte Affektbilder zurückgeführt werden.) a) Das Übermass von Angst (im VGP) bei Carol beruht auf der Häufigkeit des Bildes P 0 ± im VGP Das «Jammern» und die Be­ klemmungsgefühle stehen im Zusammenhang mit Unsicherheit: Beachtung erheischen, auf die Bühne treten (hy +) oder Sich­ verbergen. Das Jammern (P 0 ±) erscheint im Test (Seite 79) bei gehemmter und ungehemmter Inflation, bei ichhaften Verlassenheits­ gefühlen und beim eifersüchtigen Ich (achtes und zehntes Profil). b) Das Übermass von Angst bei Iwan beruht auf erhöhter Anzahl P — im EKP (Panik, strenger moralischer Zensor, Straf- oder Schuldangst). Iwan ist stärker ausgerichtet auf Gewissensregungen, Zurück­ haltung und Verbergen. Er entwickelt Scheu, hat Angst vor Äusse­ rung grober Affekte wie auch vor körperlicher Annäherung (s 0, ±, nie s +). Carols Affekterleben weist eine grössere Mobilität auf, die sich jedoch in widersprüchlichen Ansprüchen und Verhaltens85


weisen, bald ohne ethische Bremse, bald ohne moralische Hem­ mungen, äussern kann. Eine Analyse der sechzehn Affektvariationen in den zwei Jahre früher aufgenommenen Testprofilen der zwei Kinder könnte auf­ decken, wie bei beiden eine den altersspezifischen Reaktionswei­ sen entsprechende Entwicklung im Affektbereich stattgefunden hat (in individuell verschiedener Weise). Von den altersspezifischen Affektbildern (sie beruhen auf Un­ tersuchungen des Vordergängers) lässt sich sagen, dass sich vom sechsten bis fünfzehnten Lebensjahr die Abel-Variationen von dreissig auf fünfzig Prozent erhöhen, fast verdoppeln. Die Kain-Variationen vermindern sich von fünfundzwanzig auf ungefähr zwölf Pro­

zent. Die Angstvariationen bilden die stärkste Gruppe mit fünfzig Prozent; sie vermindert sich von der infantilen Pubertät bis zum zwanzigsten Lebensjahr nicht! Ebenso konstant bleiben die Zwangs­ reaktionen (fünfzehn Prozent). Hingegen zeigen die Flut- und Ebbe­ variationen (fünf bis zehn Prozent) eine Erhöhung bei den Dreiund Vierjährigen (achtzehn Prozent). (Diese Zahlen sind den Un­ tersuchungen von Gruppen verschiedenen Alters aus mehreren Ländern und Kontinenten entnommen.) Man wird zu unterscheiden haben zwischen vier Gruppen von Testauswertungen: 1. Untersuchung und Deutung der Häufigkeit der Faktortendenzen und Vektorbilder. Diese sind mit den altersspezifischen Reaktionen zu vergleichen. Mitzuberücksichtigen ist dabei auch die Aufteilung der Vektorbilder in Untergruppen. Im Affektvektor können die Bilder in fünf Gruppen eingeteilt werden (1947, Seiten 189-196). Unterteilun­ gen gibt es in jedem Vektor ( 1947, Seiten 175-200, 260-263, 268). In der «Ich-Analyse» ( 1956, Seite 279, Tabelle 9) sind die vier Gruppen von Ich-Bildern (im Vorder-Ich) vermerkt. (Eine andere Aufteilung der Ich-Bilder befindet sich im Lehrbuch von 1947, Seiten 180, 194). 2. An diese Untersuchungen schliessen sich die Rand-Mitte- und die Konkordanz-Analyse unter den drei Profilebenen an. 3. Die Feststellung der blockierten Faktortendenzen in den zwei Profilen (VGP und EKP) und die Proportionen von Vermischungs­ bildern und deren Rand-Mitte-Verhältnis siehe vierter Teil. 86


4. Die Herausarbeitung der Ergebnisse dieser Methoden (I. bis 3.) sollte der vierten Untersuchung vorausgehen: der Analyse der Existenzformen und der Krankheitssyndrome.

87


Alterstypische Vektorbilder und Faktorreaktionen bei Carol und Iwan

VGP: Carol, fünf Jahre

p

S

Sch

c

Existenzform h

s

e

hy

k

p

d

m

1

+

_ ;

+

0

-

-

±

0

2

+

+

±

0

-

+

0

-

3

+

0

-

+

0

_ 1

+

-

4

+ !!

0

-

+

±

0

0

-

(13)

5

+!

_ ;

_ ;

-

-

0

+

-

13

16

6

+!

_ ;

_ ;

+

-

-

+

0

13

16

7

+!

-

-

+

-

-

+

-

13 (16)

8

+

-

-

-

-

0

+

-

13

9

+

-

-

-

0

+

-

0

(13)

10

_ m

0

0

+

+

+

0

+

(16) (12) 13

2

16

(12)

In den Vektoren S, Sch, C finden sich eindeutige Hinweise auf das «Latenzprofil»: S +(!)+, ± +, + ±, die Legierung des Zärtlichkeits- und Aggressionsbedürfnisses, sechsmal. (Vektor S und Faktor m - haben in diesem Entwicklungsabschnitt häufig Quan­ tumspannungen. Man kann in diesem Alter eine Quantumspannung «akzeptieren»; siehe Seite 78.) 88


Ich-Vektor: Es dominiert das Anpassungsbild Sch —, zusammen

mit dem Verdrängungsbild Sch - 0; daneben ein bis zwei infantile Ich-Bilder (0 - ! und eventuell 0 + .) Kontakt-Vektor: Das Ablösungsbild und das Auf-die-Suche-Gehen

nach neuen Objekten (C + -, 0 -) dominieren bei den Vier- bis Acht­ jährigen und darüber hinaus. Dies ergibt mit den Ich-Bildern eine Erweiterung des Daseins- und Kontaktraumes (Sch —, C + -, 0 -) durch Verzicht auf Phantasterei, Autismus und symbioseartige An­ sprüche (Sch + - und 0 - verschwinden). Bei der fünfjährigen Carol finden sich im Kontakt-Vektor wie im Ich-Vektor die dem Alter ent­ sprechenden Durchschnittsbilder. Nicht so im Affekt-Vektor. Hier sind die Reaktionen e - zu häufig; e - erscheint als Wurzelfaktor, verbunden mit Quantumspannungen und ausserdem noch einge-

VGP: Carol, acht Jahre

p

S

Sch

C Existenzform

h

s

e

hy

1

+

-

0

+

2

+ !

_;

0

0

3

±

;

-

-

-

4

+1

-

0

5

+ ;

6

+ !

7

+ !

8

+ !

9 10

k

p

d

m

-

+!

0

+

0

+ !!

-

-

+

+

0

0

0

+

0

+

3 3

8 (12)

3 11

-

-

+

0

0

-

0

-

+

-

+

±

0

0

+

-

0

(3) 8

-

0

+

0

+

-

0

12

+!

-

0

0

0

-

+

+

-

0

+

0

-

-

+

-

+

-

+

(16)

13 (16) 13 (16)

(12)

89


baut in das viermalige «Mörder-E-Syndrom» (Profile 3, 5, 7, 8). Bei der fünf- und achtjährigen Carol steht im Gesamttest (VGR ThKR EKP) die epileptiforme, affektanfällige Gefahrexistenz an erster Stelle. (Sie erscheint bei den vier Gliedern der Familie, siehe vier­ ter Teil.) Carol (acht Jahre) befindet sich immer noch in der Latenz. (Zu berücksichtigen wäre, dass der Test zum Teil während der Behand­ lung aufgenommen wurde.) Vom Latenzprofil ist aber fast nichts mehr zu sehen. Spuren davon finden sich im Faktor e und in den Ich-Bildern (grössere Variabilität im Faktor e und die Ich-Bilder Sch - +, das Hemmungsbild). Sexual-Vektor: Die Zeit der «Harmlosigkeit» der positiven (S + +) Wahlen der Sexual-Bilder ist für Carol vorbei. Es h errscht ein ei­ genartiges Durcheinander im erhöhten und doch unsicheren Drang nach Zärtlichkeit, eine Monotonie in der diagonalen Spaltungsrich­ tung (S + ! -, ± ! -) und im Durchhalten der Tendenz s -. (Wäh­ rend der Behandlung sind die Quantumspannungen in das s - ! resp. S + - (!) hinübergegangen, fast bis zum Syndrom für Masochismus S + - ! (!!), mit Sch + ±, 0 +, - +, einmal + 0). Bei der Fünfjähri­ gen dominierte noch die Faktortendenz s + ,bei der Achtjährigen ist sie zu einer «blockierten Faktortendenz» geworden (VGP + EKP). Sie wurde auch bei ihrem Bruder und ist bei ihren Eltern eine blockierte Tendenz (siehe vierter Teil). Nach der neunten Sitzung produzierte Carol zu Hause spontan eine Farbstiftzeichnung für ihren Vater (siehe Test des Vaters, Seite 173): Sie zeichnete eine weinende Sonne mit einem Penis. Darun­ ter schrieb sie: Papa. U nter dieser Sonne zeichnete sie ein Kind, das hinter einem Esel steht, wobei auf den ersten Blick der Schwanz des Esels in Verbindung mit dem unteren Teil der Hosen des Kin­ des ist. Betrachtet man die Darstellung genauer, stellt man fest, dass der Penis aus den Hosen des Kindes herauskommt, ohne wirk­ lich verbunden zu sein mit dem Esel. Beide gehen auf einen eigen­ artigen Brunnen zu, dessen Symbolcharakter weiblich-mütterli­ cher Art zu sein scheint. (Ich erinnere an die Frage der neunzehn­ jährigen Carol, als sie m ich nach der Matura aufsuchte, siehe Seite 41.) In der dreissigstündigen Kurztherapie zeigte sich, dass es sich 90


bei den Wahlen von aggressiven Männerrollen (erste Stunde: der allmächtige, ungehorsame, kriegmachende Teufel und später die massiven Angriffe auf Mutter- und Frauenfiguren) teilweise auch um eine Abwehr von passiv-weiblichen und masturbatorischen Triebwünschen gehandelt hatte. Im Affekt-Vektor sind die ständige Faktortendenz e - und das «Mörder-E-Syndrom» verschwunden (Anzeichen für Entwicklungs­ fortschritt). Die Mobilität in beiden Faktoren ist sehr gross. Von einem Durchbruch des e + und hy - sieht man noch nichts. (Im EKP der Fünfjährigen sieht man e + zweimal, bei der Achtjährigen dreimal.) Ethisches und moralisches Verhalten haben noch wenig Affekt-Unterstützung erhalten. Aber Carol hat aus d en Kain- und Paniksituationen der Fünfjährigen austreten können. Sie befindet sich jetzt eingeklemmt in Gewissenskonflikte, Wutanfälle, in das Sichschämen und Lamentieren, sich zeitweilig durch Entladungen Luft verschaffend. Sie s cheint eine Umbruchzeit durchzumachen. Im Affekt-Vektor erscheinen fast nur noch Symptomfaktoren. Ge­ staut wird noch in Richtung e -, hy e + ist weiterhin blockiert. Im Ich-Vektor erscheint eine auffällige Inflation (p +, Sch 0 +) mit p + und s - als Wurzelfaktoren. Es handelt sich hier um einen Drang nach Allessein, Besessenheit und Primäridentifizierung mit einem Liebesobjekt. Dennoch erschien es mir, dass eine solche Be­ sessenheit auch mit einem Drang nach Bewusstwerdung unbewuss­ ter und vorbewusster Wünsche (p +) verbunden war.

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VGP: Iwan, vier Jahre

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Die Legierung (resp. die Vermischungsbilder) im Sexualvektor findet sich in sechs von zehn Bildern. Die Gewissenskonflikte zwi­ schen Lieb- und Bösesein (e ±), zwischen Aufstauen von groben Affekten und Versöhnungsbedürfnis machen fünfzig Prozent aus. Der ethische Konflikt ist im Vergleich zu Carol in erhöhtem Ausmass vorhanden. (Sie führen beim Elfjährigen zu den neurotischen Schuld- und Strafangst-Mitten + siehe Seite 97.) Der Vier­ jährige vermag keine Reaktion e - in den Vordergrund zu bringen. Das Sichverbergen (die Scheu, Scham und Schandegefühle hy -) erscheint erst beim Achtjährigen mit fünfzig Prozent und erreicht beim Elfjährigen eine extreme Stärke: hy - wird Wurzelfaktor, zu­ sammen mit k -. Die Gewissenskonflikte beim Vierjährigen (e ±) und die ambi­ valenten Reaktionen im Faktor s ± erscheinen im Zusammenhang 92


mit einer vorherrschenden ödipalen Bidnung im Kontakterleben (C - [!] 0). (Die Bilder C - 0, - + sind in diesem Alter häufiger als später; sie dominieren jedoch nie.) Beide, die Gewissenskonflikte und die ödipale Bindung (auch die Ambivalenz bei Aggression), sind beim Fünfjährigen verschwudnen (Einschulung?). Zu bemerken ist ferner: Das zweite Profil ist eine klassische (in dieser Form eher seltene) zwangsneurotische Existenzform. Diese Schutz-Existenzform spielt in allen späteren Aufnahmen bei Iwan eine grosse Rolle. Schon hier erscheinen die ambivalenten Reaktio­ nen in den Faktoren s, e und d.

VGP: I wan, fünf Jahre

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Zum Teil haben sich nun die Quantumspannungen in die unter­ dessen extrem stark gewordene Bedürfnistendenz m - ! verlegt, in die Tendenz nach Ablösung, Sichfreimachen von Haltobjekten. 93


Der Fünfjährige zeigt nun das klassische «Latenzprofil» (in kom­ pletter Form): Er besucht den öffentlichen Kindergarten. S + +, Legierung, zusammen mit Quantumstauungen im Zärt­ lichkeitsbedürfnis. Im Affektfaktor e (grobe Affekte und Schuldge­ fühle, Wiedergutmachung) erscheinen nun (typischerweise) alle vier Reaktionsmöglichkeiten ( + , -, 0, ±). Auffällig ist jedoch: Der Fünfjährige gibt drei «Mörder-Syndrome» (Profilde sechs, acht und zehn), zusammen mit einem starken Ablösungsdrang im Kontakt­ erleben (m - !; C -I— !, 0 - !). Ausserdem erscheint das e - zusam­ men mit einer Neigung zu maniformem Reagieren: m - !, k - (!), s +. Beim Acht- und Elfjährigen erscheint das Syndrom nicht mehr. (Untergang oder Zerstörung des Ödipus durch maniformes Rea­ gieren?)

VGP: Iwan, acht Jahre

p

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VGP: Iwan, elf Jahre, sechstes Schuljahr p

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Im Ich-Vektor dominiert nicht mehr die Anpassung (Sch —); auch Verdrängung (Sch -0) und Hemmung (Sch - +), sogar Ent­ wertungstendenzen (k - !) beginnen eine Rolle zu spielen. Das frühkindliche Ich mit seinen symbiotischen Ansprüchen und An­ schuldigungen (beim Vierjährigen Sch 0 -) hat «abgedankt». Der Drang nach Ablösung, Sichfreimachen von Verlangen nach Halt und Bestätigung ist sehr stark geworden (m - !, C + -, 0-). Vermutlich werden bei solchen Unitendenzen und Spaltungstendenzen im Ganz­ trieb die ödipalen Ansprüche und Wünsche nicht verschmerzt, sondern eher umgangen, verleugnet und verdrängt (Sch —, - 0) und die alten Liebes- resp. die Feindobjekte verleugnet, entwertet, destruiert (k - !). Es h andelt sich um einen maniformen Abwehr­ kampf gegen symbiotische und ödipale Ansprüche des Vierjähri­

gen, der seinen Höhepunkt beim Fünfjährigen erreicht und beim Achtjährigen noch Spuren hinterlässt (m -, C 0 -, —, zusammen mit k - und s 0; die Tendenz s + verschwindet von hier an aus dem VGP und EKP «für immer»). 95


Beim acht- und elfjährigen Iwan steigt das Z ärtlichkeitsbedürf­ nis in Unitendenz zu einer erstaunlichen Höhe an (S + !! 0), und im Kontakt findet sich beim Elfjährigen fünfmal (von acht Profilen) verbunden mit den gestauten Zärtlichkeitsbedürfnissen - das Bild C 0 ± (beim Achtjährigen einmal 0 ± und einmal - ±), «die un­ glückliche, hoffnungslose Bindung, die klinisch desöfteren bei Zwangs­ charakteren, Zwangsneurotikern ... normalerweise auch in der Vor­ pubertät oder in der ersten infantilen Pubertät anzutreffen ist» (Szondi, I960, Seite 193). Diese «unglückliche, hoffnungslose Bindung» die primären Liebesobjekte betreffend (zusammen mit den Reak­ tionen h + ü beim Acht- und Elfjährigen) lässt die erwähnte Ver­ mutung über das Nicht-verschmerzt-Haben der symbiotischen und ödipalen Sehnsuchtsverlangen als annehmbar erscheinen. (Beim zweiundzwanzigjährigen Iwan stehen die depressiv-melan­ cholische [Tief-Verstimmtheit] und die projektiv-paranoide [IchBezogenheit, Misstrauen] Gefahrexistenz im Vordergänger, zu­ sammen mit den zwangsneurotischen Schutz-Existenzformen. Iwan war damals für zwei ]ahre in psychotherapeutischer Behandlung. Die erwähnten Gefahrexistenzen [Existenzform 2 und 6] konnte er während seiner Kindheit im Hintergänger behalten.) Beim Achtjährigen dominiert im Affektbereich die diagonale Teilung des Ganztriebs. Beim Elfjährigen zeigt sich eine Verstär­ kung der innersten neurotischen Mitte (hy -, k -). Es e rscheinen fünf hypochondrische Mitten, ein übergewissenhaftes, schuld- und strafbedürftiges Verhalten anzeigend. Beim Achtjährigen lassen sich die ersten Anzeichen erkennen, beim Elfjährigen erreichen sie ihren Höhepunkt. Bei Melanie Klein werden die Zusammenhänge zwischen hypo­ chondrischem Reagieren und der paranoiden Angst, ferner die ei­ genartige Wechselwirkung zwischen paranoider und depressiver Position und der maniforme Abwehrkampf gegen solche «Früh­ ängste» erläutert. Es fehlt bei ihr (in der Psychoanalyse überhaupt) die «Kategorie» der Affektstörungen. Die epileptiformen Störun­ gen werden übersehen, die groben Affekte dem Destruktionstrieb zugeordnet und die hysteriformen Reaktionen bei den späteren neuroseartigen Entwicklungsstörungen untergebracht. 96


Was diese Untersuchungen schwierig macht und einen zu müh­ samem Lesen und Überlegen zwingt, hat seinen Grund darin, dass man ständig auf Fremdwörter und auf das schicksalspsychologische Begriffssystem angewiesen ist, sobald man von Entwicklungsstö­ rungen und Gefährdungen spricht. Den tiefenpsychologischen Ge­ halt dieser Begriffe habe ich vernachlässigen müssen. Ich erhoffe mir aber, dass ich mit dem Überfliegen und Deuten von Profilserien (mit dieser Publikation überhaupt) den Leserinnen und Lesern den Eindruck vermitteln kann, dass hier ein Test vorliegt, der den tiefen­ psychologischen Hintergrund von Entwicklungsfortschritt, Entwick­

lungshemmung und -Störung der Gesamtperson zu erhellen ver­ mag. (Weitere Testergebnisse zu Carol und Iwan im vierten Teil.)

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Zweiter Teil

Ilse Neurotische Erkrankungsgef채hrdung bei einem achtj채hrigen M채dchen

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Einleitung

Eine ausführliche Beschreibung der Behandlung (eine Kurz­ therapie von fünfzig Behandlungsstunden auf neun Monate verteilt) von Ilse wurde in «Heilen im Spiel» (1990, Seiten 147-194) publi­ ziert. Ich werde kürzere Abschnitte daraus zitieren, um die sich im Phantasieren, Spielen und Verhalten des Mädchens zeigenden Ab­ wehrmechanismen zu «illustrieren». Meine wichtigste Absicht be­ steht jedoch in folgendem: Der Behandlungsverlauf und die Weise, wie er sich in den zwei Testaufnahmen bei Ilse widerspiegelt, sollen besprochen werden. (Eine Aufnahme erfolgt am Anfang der Behand­ lung; nach einer Unterbrechung der Profilaufnahmen von zwei Mo­ naten wurden während der zweiten Hälfte der Behandlungszeit Profilaufnahmen im Abstand von ein bis zwei Wochen gemacht.) Ferner sollen die Testergebnisse des Mädchens mit den Aufnahmen des Tests v on Mutter und Vater (je sechs Profile) verglichen wer­ den. Zum Schluss w erden einige Hinweise über das hier sichtbar werdende «Schicksal» gegeben, das sich über drei Generationen (Ilses Eltern, Ilse und ihre Kinder) erstreckt, mit Profilaufnahmen von Ilse vierunddreissig Jahre später (siehe vierter Teil).

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Zu den Entwicklungsstörungen des achtjährigen Mädchens

Ilse ist das e inzige Kind eines jüngeren Ehepaars. Die wichtig­ sten Ereignisse und Störungen im Lebensverlauf des Kindes sind die folgenden: 1. Am Ende des ersten Lebensjahrs erschienen bei Ilse massive Essschwierigkeiten (Anorexie), die schliesslich medizinisch behan­ delt werden mussten. Ilse konnte tagelang nichts essen und lief manchmal den ganzen Tag mit vollgestopftem Mund herum. Die Essschwierigkeiten dauerten bis zum Behandlungsbeginn. Ilse ass noch immer langsam und wenig, die Essenszeit vertrödelnd, hatte aber in den letzten Jahren ein für ihr Alter normales Gewicht er­ reicht. 2. Am Ende des zweiten Lebensjahrs von Ilse erkrankte ihre Mut­ ter und wurde für mehr als zwei Monate hospitalisiert. (Auch spä­ tere Erkrankungen belasteten das Familienleben zeitweise.) Ilse lebte bei ihrer Grossmutter, die sie verwöhnt haben soll. Zur glei­ chen Zeit unternahm ein Onkel eine strenge und schliesslich mit Erfolg gekrönte Reinlichkeitserziehung, die von den Eltern als ein «Trauma» für das Mädchen betrachtet worden ist. 3. Seither entwickelte Ilse häufig Wutanfälle bei Verweigerungen, oft aus g eringfügigen oder nicht erkennbaren Gründen. Sie wirft sich auf den Boden und schmeisst in ihrem Zimmer alles, was ihr in die Hände kommt, herum. (Die Eltern sind ihr gegenüber eher freundlich und nachgiebig eingestellt, der Vater ist manchmal et­ was brummig.) 4. Einschulungsschwierigkeiten: In der Schule ist Ilse eine Träume­ rin. Sie is t furchtbar langsam, muss die längste Zeit ihre Schulsa­ chen einrichten. Sie kommt beim Arbeiten nicht vorwärts, verliert ihre Zeit, sitzt verträumt da. Sie möchte es meistens gut, genau und sauber machen, aber es gelingt ihr nicht. Sie versuche häufig, 101


wie die Lehrerin meint, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Rechen­ schwierigkeiten für Ilse bestanden während der ganzen Schulzeit

und haben zum Teil ihre Ausbildungschancen beeinträchtigt. Ilse ist ein niedliches, durchschnittlich grosses, zufrieden in die Welt guckendes Mädchen. Sie scheint sich in der Welt zurechtzu­ finden, von Angst spürt man bei ihr fast nichts. Sie hatte mich in der Gesellschaft Erwachsener schon gesehen. Die Einschulungsschwie­ rigkeiten, die andauernden Essschwierigkeiten und die Wutanfällig­ keit (Einschlafstörungen und kleinere Zwangssymptome lagen eben­ falls v or, störten die Eltern aber weniger) veranlassten die Eltern, «endlich» etwas zu unternehmen.

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Einige Spielszenen aus dem Behandlungsverlauf

Ouvertüre: Die ersten sechs Stunden In den wenigen Spielen und freien Beschäftigungen dieser Stun­ den (sie dienten vor allem der Untersuchung) erscheinen zwei Motive und eine besondere Art und Weise der Abwehr, des Sich­ ausruhens nach oder Vermeidens von Aufregungen oder Angst. Schon in der ersten Stunde spielt Ilse «Mutter und Baby». Das Baby ist ein Knabe, hat ein Bein und einen Arm gebrochen und muss ins Spital. (Die Phantasie, dass Knaben oder Männer ein Bein, beide Beine oder einen Arm gebrochen haben, erscheint immer wieder bis zum Ende der Behandlung.) Gegenüber der Hexenfigur im Kas­ perlespiel ist Ilse sehr gehemmt und wagt nicht, sich zu wehren. Sie möchte wohl. Sie schickt einen König und Soldaten, die ich spielen muss und die Hexe töten müssen. Ilse wagt aber auch dann nicht zu sagen, die Hexe sei tot. In der dritten Stunde tötet sie die Hexe, macht sie aber sofort wieder lebendig. Angst und Angriff der Hexe gegenüber halten sich noch über einige Stunden die Waage. - Ilse hat Mühe, die Spielkiste mit den Kasperlefiguren zu öffnen, macht sie nach einigem Suchen und Herumwühlen wieder zu oder schiesst mit Gummipfeilen in die offene Kiste. Stark sein, keine Angst haben, sich wehren können scheinen bei Ilse eine wichtige Rolle zu spielen. Es sieht so aus, als liege in ihrem Verhalten ein Drang nach Erlösung von einer schwierig zu inszenie­ renden, «undenkbaren» Angst, zu deren Bewältigung sie die Hexe (und noch andere Figuren) braucht. Schon in den ersten Stunden und auch später immer wieder fällt auf, dass für Ilse das Herausnehmen, Einrichten und Ordnen des Spielmaterials und manchmal das Verschönern (geordnete und schöne Wohneinrichtungen, das Zeichnen, Malen und Produzieren 103


von schönen Bildern) wichtiger sind als das Spielen. Zugleich hat es den Anschein, als fliehe sie in solche Beschäftigungen wegen Angst und Unsicherheit, die sie manchmal beim Spielen und Zusammen­ spielen (das in der Form von Kasperlespiel und Rollenspiel sehr wichtig sein wird) ergreifen. Und doch drängt es sie immer wieder «hinaus» zum Spielen und Zusammenspielen.

Ilse beharrt: Sie will weiterhin den «Vater» auskundschaften (21. Sitzung) Ilse zeichnet mehrere Porträts ihres Vaters. Nachdem wir wie­ der einmal zusammen gegessen haben, sagt sie: «Jetzt gehen wir schlafen.» Ich warte einen Moment. Ilse weiss nicht, was machen. Ich frage sie: «Wie willst du das einrichten?» Sie weiss es nicht. Sie geht gegen den Diwan, dann im Zimmer herum und sagt schliess­ lich: «Nein, ich mache etwas anderes. Ich zeichne ein Porträt, und das Porträt, das ist ein Bild von dir.» Sie zeichnet es. Ich ermuntere sie darauf, mir etwas zu erzählen: «Was mache ich? Ich, da auf dem Porträt. Was macht dieser Mann? Kannst du mir eine Geschichte zu dieser Zeichnung erzählen?» - Ilse erzählt: «Der Mann ist spazie­ rengegangen, in den Wald. Dann hat er Angst. Er glaubt, ein Wolf komme. Es i st aber nur sein Hund gewesen.» Sie zeichnet einen Hund neben den Kopf des Mannes. (Zu Hause haben sie einen Hund, mit dem der Vater oft spazierengeht.) Vielleicht hat Ilse mein Zögern vor dem «Schlafengehen» gespürt. (Sie hat mich über­ rascht mit dem Vorschlag.) Will sie mich oder sich selber beruhigen mit der Bemerkung, es sei ja nur ein Hund? Will sie sich vergewis­ sern: wir haben uns doch gern und kennen uns jetzt, warum denn Angst haben? In der darauffolgenden Stunde holt Ilse ein kariertes Schulheft­ blatt und will alle kleine Vierecke mit Farbe ausfüllen, jedes mit einer anderen Farbe. Nach einiger Zeit zählt sie: «Ich habe schon zwanzig ausgefüllt.» - Ich sage zu ihr: «Du hast noch nicht einmal eine ganze Linie gemacht.» - Ilse antwortet: «Ich werde vielleicht in hundert Jahren fertig sein.» (Sie will sich weit, weit zurückziehen, sich sicher fühlen, abwarten und sehen, was er macht oder ob sie 104


etwas zu unternehmen haben wird.) Schliesslich sage i ch: «Dann gehe ich auch arbeiten.» (Ich sitze auf einen Stuhl, nehme den No­ tizblock und stenografiere den Sitzungsbeginn.) Nebenbei spreche ich vom Bären und von der Füchsin, welchen Lärm die gemacht haben, sogar Feuer. Ilse reagiert nicht auf meine Hinweise. Nach einiger Zeit teilt sie mir mit: «Ich male jetzt drei, dann vier und dann fünf Vierecke zusammen mit der gleichen Farbe. So geht es schneller.» Ich spreche vom Immer-arbeiten-Müssen, Immer-dasgleiche-Machen. Ich gehe zu ihrem Tisch. Ilse versteckt die «Male­ rei» vor mir, zeigt sie dann doch und sagt: «Ich habe schon viele gemacht.» - Ich: «Ich weiss jetzt, was du machst. Du machst die gleiche Arbeit wie deine Mutter.» (In symbolischer und bildhafter Hinsicht gleicht ihr Tun der Heimberufsarbeit ihrer Mutter, an der auch der Vater teilnimmt.) Ich sage: «Wir arbeiten jetzt eben beide, den ganzen Tag und manchmal noch nachts. Ich habe auch viel Ar­ beit.» - Ilse lacht mich aus: «Ja, du» und sagt dann: «Ich bin jetzt fertig.» (Sie hat vier Linien ausgefüllt.) Und zu mir: «Du gehst jetzt schlafen.» - Ich sitze mit meinem Notizbuch auf dem Stuhl und sage: «Ich will weiterarbeiten.» Ilse bleibt an ihrem Tisch. Nach einigem Schweigen sagt sie zu mir: «Ich werde dir etwas stehlen.» Sie rennt zu meinem Schreibtisch, nimmt einige Sachen und macht anderes durcheinander. Dann sagt sie: «Ich habe Unordnung ge­ macht. Du musst schimpfen und sagen, ich hätte alles in Unord­ nung gebracht.» Ich schimpfe mit ihr. Nach meinem Schimpfen bringt sie alles wieder zurück und macht Ordnung auf meinem Schreibtisch. Dieses Stehlen, Unordnungmachen, Schimpfen und Wiedergutmachen muss auf ihren Wunsch hin wiederholt werden. (So gehören wir doch wenigstens zusammen, wenn wir schon nicht zusammen schlafen können.) Jetzt holt Ilse eine Klebstofftube. Mit der Schere schneidet sie vorn die Tubenspitze ab (ohne sichtbaren Grund, denn die Tube «funktionierte») und beginnt Zeichnungsblätter zusammenzukle­ ben. Ich «arbeite» immer noch (notiere). Sie beginnt mich zu stö­ ren, wirft Gegenstände (Hefte, eine Schachtel, ein Kissen) auf mich. Ich reagiere: «Du musst auch arbeiten, du bist noch nicht fertig.» Ilse protestiert, macht Lärm, wird wütend. Ich wiederhole 105


schimpfend dasselbe. Der Lärm wird lauter. Sie schlägt mit den Füssen gegen und auf den Tisch, ergreift eine Pistole mit Gummi­ pfeilen und schiesst im Zimmer herum, schlägt mit den Fäusten an die Wand. Ich interpretiere: «Du bist böse, vielleicht möchtest du wie die Füchsin mit dem Bären zusammen sein.» Ilse lacht ein we­ nig. Ich füge hinzu: «Du bist vielleicht auch wütend, weil der Bär mit der Füchsin zusammen ist, und weil er nicht mit dir zusammen ist, darum machst du Lärm. Du denkst: die zwei sollen nur schimp­ fen und böse werden.» (Man kann beim Interpretieren nicht im­ mer das «Richtige» treffen, aber man kann dem Kind helfen, damit es seine mit den Vorstellungen verbundenen Gefühle, Gedanken und Absichten besser wahrnehmen kann. Vor allem Einzelkinder, und Ilse ist eines, sind oft beunruhigt durch das, was im Elternzim­ mer geschieht.) - Ilse hört auf zu toben und geht wieder an ihre Arbeit zurück. Sie macht ihre Klebearbeit fertig, erhebt sich, nimmt einen roten Ball und spielt damit, ihn auf den Boden und gegen die Wand schlagend, und wirft ihn dann gegen mich, ein-, zweimal (etwa so wie vorher die Gegenstände, nun aber lachend). Schliesslich fange ich den Ball, und wir machen eine Weile ein Ball­ spiel (Versöhnung). Am Schluss d er Stunde bringt sie mir ein Ge­ schenk. «Es i st ein Notizbuch für dich», sagt sie. - Es sin d die zu­ sammengeklebten Blätter («Heilen im Spiel», Seite 158).

Der Vater als Freund und Verbündeter und die bösen Frauen Da der Schlafsituation mit dem «Vater» Grenzen gesetzt sind, erwacht bei Ilse das Verlangen nach einem Vater als einem Helfer (Beistand) im Kampf gegen die böse «Mutter-Frau». Ihr Spielvor­ schlag: «Ich arbeite in einem Büro.» (Ihr Vater arbeitet in einem

Büro und sie in der Schule.) «Man zwingt mich immer zu arbeiten in diesem Büro. Ich kann nie ruhig sein und es schön haben in dem Büro, weil man mich zwingt, immer zu arbeiten. Du musst dann die Polizei holen.» (Sie auferlegt sich selber auch einen solchen Zwang während der Stunden, die sie hier verbringt.) Ihren Anwei­ sungen entsprechend arbeiten wir beide im gleichen Büro. Ich gehe 106


den Polizisten holen und spiele ihn. Sie sagt mir, ich müsse zur Che­ fin gehen und für sie reklamieren. Selber will sie die Chefin nicht spielen. (Rollenumkehr setzt voraus, dass man sich in irgendeiner Weise mit dieser Person verbunden fühlt. Sie a ber will Vorwürfe und Wutgefühle an eine Frau heranbringen, genauer: Ich soll ihre Unzufriedenheit mit der Chefin besprechen.) Ich gehe, komme zurück und sage: «Die Chefin ist nicht da.» Jetzt schickt sie mich zur Inspektorin. (Im Schulbetrieb gibt es solche.) Ich komme zurück und sage: «Die ist nicht einverstanden, sie hat gesagt, du sollest arbeiten.» Nun will Ilse selber gehen. Sie gehe zu Frau C. (der Name ihrer Lehrerin). Als sie zurückkommt, sagt sie, Frau C. sei nicht da. Ich meine, sie könnte vielleicht doch noch zu jemandem gehen. Sie entschliesst sich: «Ich gehe zu Herrn R» (der Direktor ihrer Schule). Ich bin unterdessen wieder zu ihrem Arbeitskollegen geworden. Vom Direktor berichtet sie, er habe ihr gesagt, wenn sie mit der Arbeit fertig sei, könne sie das Büro wechseln. Sie müs­ se nicht mehr in diesem arbeiten. Er habe sie gut verstanden. - Wir wechseln beide das Büro und richten uns wieder ein. Wir sprechen über die Chefin und die Inspektorin. Ilse erregt sich dabei immer mehr, geht schliesslich zu den zwei Frauen und schimpft mit ihnen. (Sie hält kurze Schimpfreden an diese bloss imaginierten Frauen. Es ist das erste Mal, dass Ilse Rollenpartner «halluziniert».) Der Haupt­ vorwurf, den sie diesen Frauen macht, ist, dass man sie immer zum Arbeiten zwinge. Sie geht noch einmal, mit der Bemerkung, die Frauen seien jetzt nicht zu Hause, und bestiehlt sie (Esswaren im Kühlschrank), und bei einer nimmt sie noch das Baby. (Sie kommt mehrmals zurück und erzählt, was sie gemacht hat.) Unser Büro ist unterdessen zu einer Art von gemeinsamer Woh­ nung geworden. Wir hausen zusammen. Ilse geht noch einmal die beiden Frauen bestehlen (Esswaren und Kleider für das Baby). Als ich sie frage, ob die Frauen wohl böse geworden seien, als sie es gemerkt hätten, holt sie die Spielzeugpistole und sagt: «Ich töte sie ganz einfach.» Entschlossen und mit einer gewissen Vehemenz führt sie das aus. Ilse ist also «zum Äussersten bereit». Die Angst und das Pro­ blem mit den «bösen Frauen» sind damit allerdings nicht erledigt. 107


Aber Beseitigung («Tötung in der Phantasie») wird ihr nun erlau­ ben, unterdessen mit dem Vater vorwärtszukommen. Verbunden mit ihm wird sie so etwas wie einen Kraftzuwachs erleben und dann vielleicht mit den bösen Mutter-Frauen auf andere Weise fer­ tigwerden. Sie nimmt nun die Puppe und zieht sie um. (Ihre Puppe hat Brü­ ste.) Sie sa gt: «Heute abend gehen wir ins Kino. Wir nehmen das Kind mit.» (Es soll auch «dabeisein» dürfen.) Ich frage sie, wie der Film heisse. Sie antwortet: ««Meine Weggenossen> oder so etwas.» (Es handelt sich um den Namen einer Gruppe von Personen, in der ihr Vater mitgewirkt hatte.) «Der Film beginnt um acht Uhr, nein, um halb zehn. Wir können noch vieles vorher machen.» Ich kom­ me und sage: «Hast du sie gut und schön angekleidet?» - Ilse: «Ja, du würdest kommen, um zu sehen, ob ich eine gute Mutter bin. Ich will sie jetzt waschen, und du kannst kommen und zusehen.» Sie holt Wasser und wäscht die Puppe. Ilse macht alles genau und gründlich, eines nach dem anderen. Es entsteht ein Gespräch über Brüste, den Unterschied von Mädchen und Frauen, Knaben und Mädchen. Von ihrem Kind sagt sie nun, sie habe es in ihrem Bauch gehabt. - Ich: «Wie lange?» - Sie scheint es nicht zu wissen und will jetzt nicht mehr von diesen Dingen sprechen. Das Waschen, An­ kleiden und Ordnungmachen geht eine Ewigkeit. Ich beginne zu reklamieren: Es ge he lange, wir wollten doch jetzt ausgehen, ich hätte eine langsame Frau. Ilse aber wiederholt: «Ich will eine gute Mutter sein.» Es entsteht ein langes Streiten wegen ihres Langsamseins und des Ausgehenwollens. Es i st ein richtiger kleiner Ehe­ streit. (Ilse geht es vermutlich darum, sich zu vergewissern: Ich bin eine gute Mutter, ich habe auch eine gute Mutter in mir.) Wir gehen dann ins Kino. (Diese Szene ist oft verbunden mit der «Urszene»: Man will auch «dabeisein», wenn zwei, die sich lie­ ben, zusammen sind. Man will sehen, was die Grossen machen usw.) Mit Hilfe der Ausrufe-Frage-Technik (Oh, schau jetzt! Was ist denn das? U nd jetzt! Was machen sie? usw .) gelingt es mir, eine Antwort zu bekommen: «Sie küssen sich immer.» Aber meine spärlichen Ausrufe und mein Schweigen bringen Ilse in Aufregung. Sie sagt p lötzlich: «Ich will jetzt Theater spielen.» - Sie nimmt zwei 108


Masken (König und Königin). Ich schaue zu. Ilse: «Ich spiele Hei­ rat.» Sie legt die zwei Masken auf ein Kissen, beginnt mit dem Kis­ sen zu schwanken und sagt: «Wer macht uns denn so schwanken?» Sie holt die Teufelsmaske und gibt sie mir mit den Worten: «Er wäre es, der sie schwanken macht.» Ich halte die Maske in den Händen und mache nichts. Sie nimmt sie mir weg, zieht sie selber an und macht das Kissen schwanken. Zwischenhinein nimmt sie die Königin- und Königsmaske, hält sie in den Händen und spielt mit ihnen, als würden sie essen. Die Masken essen, küssen sich, essen wieder und kommen zurück auf das Kissen, wo Ilse, immer noch mit der Teufelsmaske auf dem Gesicht, sie wieder zum Schwanken bringt. (Der Teufel hat nun seine - die ihm von Ilse zugeschriebene Rolle gefunden.) Ich entschliesse mich zu einer Spielintervention und nehme ihr Baby. (Ihr Kind hat sie ja weglegen müssen. Beim Drang nach Selber-Theater-Spielen brauchte sie ihr Kind nicht mehr.) Während König und Königin miteinander essen, rufe ich mit der Puppe in der Hand: «Ich will nicht essen, ich will nicht essen.» Ilse ruft zurück: «Doch, iss jetzt nur, wir gehen weg» («Heilen im Spiel», Seite 161).

Ilse entdeckt «weibliches Exhibieren» Ilse will die Schülerin spielen. Sie gibt sich sehr Mühe. Ich gebe ihr Auszeichnungen in verschiedenen Fächern. Dann Rollenum­ kehr, als Lehrerin stellt sie Fragen, aber einfach so: Wie macht man Eisen? Wie macht man Metall? Wie macht man Stoff? usw. Meine Interpretation: «Ich glaube, du willst mich fragen: wie macht man Kinder?» Sie verneint mehrmals auf das heftigste. Danach will sie eine Gymnastikstunde haben. Sie beginnt von sich aus, geht auf den Diwan, macht die Kerze gegen die Wand und spreizt die Beine. Dann sagt sie: «Ich mache den grossen <écart> (Spagat).» Den macht sie zweimal. Ich schaue kommentarlos zu. Sie macht noch verschiedene Turnübungen auf dem Diwan und auf dem Boden. Ich lobe sie und sage ihr dann: «Vielleicht ist es beim Turnen auch so etwas wie mit dem Kindermachen.» Sie schaut 109


mich schnell mit scheuem und wildem Blick an, erwidert jedoch nichts. Dann beginnt sie den Kopf zu wiegen, tanzt, zieht Ohrringe aus der Manteltasche und macht sie sich an die Ohren. (Was mag sie sich da im voraus schon und beim Herkommen vorgestellt haben?) Längere Zeit tanzt sie im Zimmer herum und geht schliesslich zum Kleiderkasten. Sie verkleidet sich mit Tüchern. «Ich bin jetzt eine Inderin», sagt sie. Ich frage sie, ob sie wolle, dass wir etwas zusam­ men spielten. Sie ist einverstanden. «Wir würden uns in einem Café treffen», sagt sie. Dort sprechen wir miteinander. Ich frage sie, woher sie komme, was sie mache. Auf die Frage, ob sie verhei­ ratet sei oder nicht, antwortet sie: «Ja, ic h habe einmal hundert Kinder gehabt.» Nach Beendigung des Spiels schiesst Ilse übermütig mit der Pi­ stole und den Gummipfeilen auf die Wandtafel und verlangt, dass ich meine Hand ausstrecke. «Ich will auf deine Hand schiessen» («Heilen im Spiel», Seite 179).

Dem Vater die Werkzeuge und die Frau zurückerstatten (42. Sitzung) Ilse hat einmal, als sie während des Arbeitens im Büro zum er­ sten Mal dem «vereinigten Elternpaar» gegenübergestellt und wü­ tend auf mich geworden ist, dem «Vater» aus Angst und Besorgnis­ gefühl die männlichen Werkzeuge zurückerstattet und die «Frau des Vaters» mit einem Geschenk (den eigenen Handschuhen) «be­ sänftigt». Heute nimmt sie die Kasperlefiguren und das Doktor­ material mit den Worten: «Damit habe ich schon lange nicht mehr gespielt.» Sie ordnet und richtet alles ein, auf und unter dem Kinder­ stuhl, auf dem gespielt werden soll. Es geht nicht mehr so langsam wie früher. Sie rollt aber noch sorgfältig einige Meter Verbandstoff auf. (Was mag sie wohl vorhaben?) Sie will den Arzt spielen. Ich muss ihr die kranken Personen bringen. (Ilse weigert sich, diese auszuwählen.) Ich nehme einen alten Mann mit Bart. Dem wäscht sie die Ohren. Er bekommt viele Einspritzungen. Sie gibt mir den Fiebermesser. Den will sie dem Kranken nicht selber geben. Ich I 10


frage sie: «In den Hintern oder unter dem Arm?» - «In den Hintern, es ist besser so.» Dann muss der Kranke noch operiert werden. Es kommen Würmer heraus. Er habe viele Würmer. (Solche haben wir schon mehrmals gegessen!) Ich bringe den König zum Arzt. Mit ihm macht Ilse dasselbe wie mit dem alten Mann: Einspritzungen und Operationen werden mit einer gewissen Heftigkeit vollzogen. Als König sage i ch, sie tue weh; wenn sie dann einmal krank sei, werde sie sehen, was das mit den Einspritzungen und dem Operie­ ren sei. Ilse erwidert: «Ich lasse es mir gefallen.» Der König muss dann noch ins Spital. Er habe ein Bein gebrochen. Er sei aus d em Auto gefallen, mit dem er transportiert worden sei. (Bei Ilse bre­ chen nur Männer und Knaben das Bein oder den Arm.) Der König kann nach Hause gehen. Ilse: «Ich komme Sie d ann besuchen.» Sie kommt als Ärztin auf sein Schloss. Es stellt sich her­ aus, dass der König immer noch ein wenig krank ist. Ich spiele den König, respektiere sie, lobe sie, rede sie mit Frau Doktor an. Wir sprechen über ihr Wissen und wie sie den Körper von Kindern, Frauen und Männern kenne. Ich stelle ihr Fragen. Während dieses Gesprächs errötet sie. Eine Zeitlang versteckt sie sich wieder (zu­ sammen mit der Kasperlefigur), diesmal hinter dem Kopfende des Diwans. Sie sagt: «Du kannst mich nicht mehr sehen, so kannst du auch nicht mehr mit mir reden.» Ich spreche aber weiter. Schliess­ lich sagt sie, sie müsse ins Spital zurück (um die Fragerei und meine Bemerkungen abzustellen). Sie w ill dann aber wieder zum König kommen. Er sei immer noch krank. Das Gespräch wird weiterge­ führt, unter anderem auch über Kindermachen und Kindergebä­ ren. Ilse kann jetzt doch einige «heikle Fragen» beantworten. Dann aber bringt sie dem König plötzlich die Fee mit den Worten: «Das ist jetzt die Frau des Königs, die mit ihm weiterspielen kann. Ich muss gehen, ins Spital zurück.» Merkwürdigerweise kommt sie kurz darauf zurück und gibt dem König eine Spielzeugpistole, ein Messer und einen kleinen Bogen (zum Pfeileschiessen). «Es ist für den König.» Ich danke für die Geschenke. Das könne ich sehr wohl gebrauchen. (Dieses Zu­ rückgeben, Zurückerstatten erschien mir nur teilweise als ein neu­ rotisches Wiedergutmachen. Es scheint aus Gefühlen und dem


Wunsch heraus gekommen zu sein, die Sache zwischen Mann und Frau [Vater und Mutter] in ein richtiges und auch von ihr ge­ wünschtes Verhältnis zu bringen (Trennung der «Vereinigten Elternimago»), Damit sind Ilses Unzufriedenheit dem Vater und der Mutter gegenüber und ihre Neigung, sie anzugreifen, zu verlet­ zen oder zu berauben, noch nicht verarbeitet. Aber sie scheint zu einer erlebten und etwas klareren Unterscheidung zwischen Vater und Mutter als Mann und Frau gekommen zu sein, so dass sie (ver­ mutlich) im Alltag mit den Eltern von sich aus noch weitere Schritte wird machen können («Heilen im Spiel», Seite 186).

112


Abschluss der Behandlung und der weitere Lebensverlauf

Die Behandlung von Ilse umfasste zweiundfünfzig Stunden. Die Kürze der Behandlung zwang mich zu einem etwas aktiveren Vor­ gehen, als man es sich bei andauernder oder intensiver Behandlung gewohnt ist. Die Essschwierigkeiten verminderten sich stark und verschwan­ den in den darauffolgenden Jahren. Die Einschulungsschwierigkei­ ten waren behoben. Die nicht zu bewältigenden Rechenschwie­ rigkeiten während der ganzen Schulzeit hatten auf Ilse eine depri­ mierende Wirkung, die sie aber durch Lernfreude auf anderen Ge­ bieten kompensierte. Sie haben ihr indirekt geholfen, ihren Nei­ gungen und Begabungen in Treue und mit Eifer nachzugehen. Ihre Wutanfälligkeit verminderte sich, verschwand aber erst mit dem Eintritt in die Pubertät. Ilse hat sich früh, am Anfang der Volljährigkeit, mit einem zwanzig Jahre älteren Mann verheiratet, ein Kind bekommen, sich einige Jahre später scheiden lassen und mit einem gleichaltrigen Mann verheiratet. Mehr als zwanzig Jahre nach dem Behandlungsabschluss erlitt sie im Zusammenhang mit «durchschnittlichen Lebensschwierig­ keiten» während einiger Jahre Angstkrisen mit Zirkulationsstörun­ gen. Nach der Pubertät hatte sie den Hilfskrankenpfegeberuf ge­ wählt und mehrere Jahre im Spital gearbeitet. In den späteren Jah­ ren hatte sie, Mutter von vier Kindern, eine Heimarbeit, ein Kunst­ handwerk, erlernt, bei dem sie es fast ausschliesslich mit Malen und Kleistern zu tun hatte. Sie s oll eine gute Köchin sein, und im ganzen Haus spüre man ihren Ordnungssinn, das Verschönerungs­ bedürfnis, die Liebe zum Einrichten und Sichumgeben mit schö­ nen, teilweise selbstgemachten Gegenständen. Auch ihr Bedürfnis zum Teilen mit anderen und Geschenkemachen scheint sie beibe­ halten zu haben. I 13


1. Zur Berufswahl: Krankenpflegerin und die kunsthandwerkliche Tätigkeit spielten schon - wenn auch bloss rudimentär - in den Phantasien der achtjährigen Ilse eine Rolle. Es waren die Spiele und Beschäftigungen, bei denen ein Wiedergutmachungsbedürfnis (po­ sitiver Art, nicht nur von Abwehrbedeutung) und die Rückerstattungs­ impulse eine grössere Rolle spielten. Auch ihre «Qualitäten» als Hausfrau stehen in einem Zusammenhang mit dem Spielen des acht­ jährigen Mädchens (Verschönern, Ordnen, Geschenke machen). Zwar ist Ilse während der Behandlung oft in das «Arbeitenmüssen» geflüchtet. Aber bei den erwähnten Tätigkeiten und dem Drang, ein schönes Produkt herzustellen, war der Anteil eines Sozialisierungsbedürfnisses (das heisst Freude bei anderen erwecken und Aner­ kennung finden können) zumeist grösser gewesen als das B edürf­ nis nach Abwehr von hintergründigen gegensätzlichen Impulsen. 2. Vermutlich hat sich während des Entwicklungsverlaufs bei Ilse die (konversions-)hysterische Erkrankungsgefährdung verstärkt. (Sie ist schon in den Hintergängerprofilen der Achtjährigen zu fin­ den (auch in den Vordergrundprofilen der Mutter, siehe Seite 124). a) Ilse hatte in der Pubertät ein auffälliges Verhalten gleichaltrigen Knaben wie auch Männern gegenüber: Sie konnte sich unvermerkt hinsetzen und die Knaben oder Männer fixieren. Es w ar eine Art von Exhibition und zugleich ein Sichverbergen, ein eigenartiges Sich­ immobilisieren und «heimliches» Fixieren (fixierte Körperhaltung und Blickrichtung). - Es soll viel «Zeitaufwand» beim Sichschön­ machen gegeben haben und einen starken Drang, das «Noch-inOrdnung-Sein» bei jeder Gelegenheit zu kontrollieren, trotz Be­ scheidenheit und Originalität in Kleidung und Aufmachung. b) Die Angstkrisen der erwachsenen Ilse (Angst vor Ohnmachts­ anfällen mit Zirkulationsstörungen), die mehrere Jahre andauerten und sich dann langsam verminderten, waren verbunden mit sexuel­ len Drangzuständen, mit phantasierten und teilweise agierten Aben­ teuergelüsten. Die Kinder von Ilse

Der Sohn hatte schon als Kleinkind Zorn- und Wut- resp. Zer­ störungsanfälle. Er musste schliesslich in der Vorpubertät wegen 114


seiner Zorn- und Trotzanfälligkeit (in der Familie und in der Schule, Erwachsenen und anderen Kindern gegenüber) psychotherapeu­ tisch behandelt werden. Er «terrorisierte» durch seinen Zorn und seine Eigensinnigkeit die Eltern. Diese hatten sich mit dosiertem Nachgeben allmählich zurechtgefunden. In der Pubertät und Ado­ leszenz litt er an einem «unheilbaren» Ekzem (wie schon im ersten und zweiten Lebensjahr). Die ältere Tochter, klein und niedlich, machte eine Automecha­ nikerlehre. Sie verliess das Elternhaus mit siebzehn Jahren, um selbständig zu sein. Alles verlief erfolgreich, bis zum letzten Lehr­ jahr. Im Zusammenhang mit Schwierigkeiten, die sich aus ihren Verliebtheitserlebnissen ergaben (Liebesunglück) und weil die be­ rufliche Arbeit zu Zirkulationsstörungen und zu einer Allergie ge­ führt hatte, brach sie die Lehre ab. Ein Jahr später entschloss sie sich, einen «reichlich» älteren Mann zu heiraten und ein Kind zu haben. Das frühe Heiraten eines älteren Partners erscheint - nach der Mutter von Ilse und Ilse selbst - zum dritten Mal (siehe An­ hang, Seite 248). Die jüngste Tochter sei eine manchmal eigenwillige, aufbrau­ sende und verführerische «kleine Katze».

I 15


Auffällige Zwangsmechanismen und hysteriforme Verhaltenweisen

Bei Ilse finden sich folgende auffällige Zwangsmechanismen: - Sauberkeits- und Ordnungsmechanismen: Sie erscheinen vor al­ lem im Zusammenhang mit dem Zeichnen und Malen, den Lehm­ arbeiten, dem Wandtafelputzen und in Verschmierungsphantasien. Ilse kann absichtlich Unordnung machen und es dann später wie­ der ungeschehen machen oder in Wutanfällen Unordnung «schaf­ fen», es wiedergutmachen und sich versöhnen. - Vollkommenheitszwang: Will es gut machen, ewig verbessern, immer noch mehr machen; oft kommt es dann aber schlimm her­ aus. - Zeitaufwand: Stereotype Einrichtungs«spiele», sich in Vorberei­

tungen verlieren, nicht beginnen können. - Isolieren: Flucht in stereotypes Schreiben, Malen, Ausfüllen;

verlässt die Spielszene, ist aufgeregt und muss etwas zählen (zum Beispiel die Rillen des Heizkörpers). - Anale Besitzproblematik: Die Mutter, die bösen Frauen, die Ri­ valinnen ausrauben, ihnen alles wegnehmen, zum Teil mit Ungesche­ henmachen. (Rauben und Stehlen macht seliger als Bekommen.) In anderen Situationen Geschenke machen. - Rückerstattungen: Wiederholt dem «Vater» die aggressiv-männ­

lichen Werkzeuge zurückgeben; die Gewehre der Hexe zurück­ bringen. - Analsadistisches Angreifen: Verletzen, Wehtun mit Ungeschehen­

machen oder bei gleichzeitigem Heilen. - Die Wutausbrüche erscheinen teilweise auch wegen Gefügig­ keitshaltung und Affekthemmungen. Ilse scheint ihre Auflehnung nur in dieser Form vorbringen zu können: Man will das Objekt nicht «kaputtmachen, man droht ihm nur, mit Wutanfällen und Unordnungmachen. Man «braucht» es (als Schutz vor inneren AngI 16


sten, gegen die man sich nicht wehren kann). Der andere soll mir nicht Angst machen und mich verlassen können, das heisst, mich in Verwirrung und Verzweiflung bringen. Die Eltern sollen mich über­ allhin mitnehmen. Zu bedenken ist, dass die Privationen und die durch Erziehung hervorgerufenen Traumen im zweiten Lebensjahr stattfanden. (Die Anorexie mag schon früher bestanden haben.) Im zweiten Lebens­ jahr, teilweise noch später, erfolgten mehrmals Zeiten, während denen Ilse bei Verwandten «untergebracht» wurde. - Die Rechenstörungen: Sie dauerten die ganze Schulzeit über. Ilse fühlte sich nur im Addieren sicher. (Darin bestanden auch ihre Fluchtarbeiten: immer mehr kleine Quadrate mit Farbe ausfüllen usw., mit Stolz auf Leistung.) Addieren heisst anhäufen, immer mehr haben, viel haben. Ich brauche nicht zu stehlen, die Mutter zu berauben. (Arbeitszwang: Ich habe meine Ruhe dabei.) - Subtra­ hieren, multiplizieren und dividieren waren für Ilse äusserst müh­ same Gedankenoperationen. Denn das alles gehört ins Kapitel «Auflösen, Wegnehmen, Verteilen». Sie hingegen will zusammenfü­ gen, anhäufen, zusammenkleben.

Hysteriforme Verhaltensmerkmale bei Ilse Die Vermengung der hysteriformen mit den zwangsneuroti­ schen Tendenzen bei Ilse macht die ersteren weniger auffällig. Sie erscheinen in den Spielgehalten und Phantasien - getragen von ei­ nem therapeutischen Mitspielen - in einer Art und Weise, dass man annehmen könnte, es h andle sich dabei um harmlose Eigen­ schaften eines sich normal entwickelnden achtjährigen Mädchens. Dem ist nicht so. Ich muss jedoch, in diesem Zusammenhang, auf eine Darlegung der Gründe, warum die einzelnen Verhaltensmerk­ male und Phantasien in das grosse Gebiet der hysteriformen Er­ scheinungen resp. der Affektstörungen gehören, verzichten. Der Rechenstörung liegen bei Ilse eine gewisse Schwäche des abstrakt-logischen Denkens, ein ungesichertes Wissen und ungesi­ cherte Kenntnisse zugrunde (Gedächtnisschwierigkeiten). Es gi bt bei ihr wenig Planen, Denken und Erinnern. Sie kann plötzlich eine I 17


Tätigkeit abbrechen oder ein Spiel unterbrechen und sich auf et­ was anderes stürzen (verdrängen). Verhaltensstörungen: Es besteht eine Tendenz, sexuelle Erre­ gung oder Wutregungen motorisch, bewegungsmässig abzureagie­ ren, manchmal bewegungssturmartig, öfters im Zusammenhang mit Bewusstmachung des Verdrängten. Autoritätsangst der ordnungmachenden, fordernden Lehrerin gegenüber (Ausweichmanöver). Es gelang Ilse mit ihrem Verhalten und den Wutanfällen auch, die Eltern als A utoritätspersonen im­ mer wieder zu entwaffnen. (Andere Kinder mit hysteriformen Neigungen machen es mit Krankheit, Jammern, mit Charme: Aus­ weichen vor Anpassung, Leistung und Strafangst). Im alltäglichen Verhalten und Auftreten zeigt sich Ilse eher angstfrei, was auch ty­ pisch sein kann für hysteriformes Verhalten. (Andere Kinder dra­ matisieren die Angst oder versuchen durch Angstanfälle etwas zu erreichen.) Gegensätzliche

Verhaltensweisen

a) Sichverbergen (das Gesicht oder den ganzen Körper) und zu anderen Momenten Zeigelust, mit dem ganzen Körper exhibieren (Körpergymnastik). b) Rasche Übergänge von Wut zu Liebsein und Vertraulichkeit und umgekehrt. Das impulsive und exhibitionistische Verhalten bei Ilse ist ein ge­ gen sexuelle Erregungen gerichteter Schutzmechanismus, dann, wenn diese in übermächtiger Weise ins Phantasieleben einbrechen oder bei Gefühlen, nicht «ans Ziel» zu kommen, dieses nicht insze­ nieren zu können. Ilse hatte bis zur Vorpubertät ein etwas knabenhaftes, selbstsi­ cheres Auftreten. Der Exhibitionsdrang und in der Pubertät die theatralische Pose waren jedoch immer mit Zurückhaltung und Scheu verbunden. Ilse schien von der Pubertät an die «weiblichen Verhaltensweisen» eingenommen zu haben, von aussen gesehen.

I 18


Die zwei Vordergrundprofil-Aufnahmen bei Ilse

Erste Aufnahme

Vordergrundprofile (VGP) Ilse,

Nr. Soz.Wert

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S

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T II T Existenzform + m 0 Sp

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Zweite Aufnahme

Vordergrundprofile (VGP) Ilse. 8;l-8;6 Jahre

Nr. Soz.Wert 1

h

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T II T Existenzform 0 + m Sp

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1

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Die Veränderungen in den Faktorreaktionen und Vektorbildern während der Behandlung Im Vektor S verschwindet im zweiten Teil der Behandlung das Verlangen nach aggressivem, draufgängerischem Verhalten (kna­ benhafte Selbstsicherheit) im psychosexuellen Bereich: s + wird 120


s 0. In der zweiten Aufnahme erscheinen die Quantumspannungen nicht mehr im s +, sondern im Affektbereich: erhöhte Aufstauung von groben Affekten (e - !). Das Bild P - + (anstelle von P - 0) lässt die Vermutung zu, dass vermehrt Affektregungen mit KainAnsprüchen «auf die Bühne treten». Dem Spielverlauf entspre­ chend ist zu sagen, dass auch das Begehren nach Sichzeigen, das Exhibieren ihrer Person (hy +) eine grössere Rolle spielt. In das z wangsartige Ich-Verhalten (Sch ± 0) brechen nun drei für den Übergang zur Latenz typische Bilder ein (- 0, Verdrängung; ± -, das Ausreisser-Ich). Die Monotonie im Ich (± 0) ist aber noch weitgehend vorhanden. Im Kontaktbereich sind die analen Ambi­ valenzen (Verschmutzung-Saubermachen, Ordnung-Unordnung) (d ±) aufgehoben, Existenzform 12 (zwangsneurotisches Reagie­ ren) verschwindet. Es dominieren nun glücklichere und den Kon­ takt erweiternde Bilder (C + +, +0), das h eisst: mit erhöhtem Drang nach neuen Objekten bei gleichzeitiger Anhänglichkeit (sie­ he Anhang, Seiten 21 I und 218, erste und zweite Testaufnahme bei Ilse).

121


Die Vordergrundprofil-Aufnahme bei den Eltern von Ilse

Die Vordergrundprofil-Aufnahme beim Vater von Ilse Der Vater war - wie Ilse - ein Einzelkind. Als Erwachsener schien er seinen früh verstorbenen Vater zu idealisieren und seine «zwei Mütter» (Mutter und Tante) zeitweise zu bemuttern, zeit­ weise zu verwünschen. Er soll ein «nervöses Kind» und bis zu sei­ nem fünfundzwanzigsten Lebensjahr mager gewesen sein. Dann, nach der Heirat, hat er sich allmählich einen ungeheuren Bauch zuge­ legt. Seine Fettleibigkeit behinderte ihn während der späteren Jah­ re beim Gehen und grub ihm schliesslich das Grab: das Herz ver­ sagte. Er starb einen schweren, einsamen Tod. Die zum Teil un­ glückliche Ehe und einige berufliche «Ich-Beeinträchtigungen» in jüngeren und späteren Jahren verbitterten teilweise sein Leben. In seinen letzten Jahren hielt er sich oft im Wirtshaus auf, wo er ein gutmütiger, gesprächiger und Freude verbreitender Gefährte war, wie stets in Gesellschaft. Er lebte in jüngeren Jahren von einem selbsterlernten Handwerk, in den mittleren von Büroarbeit. In den letzten fünfzehn Jahren konnte er seine Handwerkserfahrungen in einer ihn sehr befriedigenden Art «verunglückten» und verurteil­ ten Frauen in einer Anstalt als Lehrer übermitteln. Was er in seinen engeren Beziehungen, in der Familie, in seinen Freundschaften und beruflichen Beziehungen an Freude und Zuneigung erleben konn­ te, gab ihm vermutlich - zusammen mit seinem Groll und Trotz die Kraft, entschlossen und ergeben zu sterben.

122


VGP des Vaters (33jährig) von Ilse

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(13)

1 2

16

16 16

1. Die Quantumspannungen zeigen vermutlich ein entscheiden­ des ungelöstes Drama in seinem Leben an: h - ! m + !, die Unter­ drückung und Verdrängung von Zärtlichkeitsbedürfnissen und der gesteigerte Anklammerungsdrang, der durch orale Bedürfnisbefrie­ digungen (Essen und Trinken, Rededrang) beruhigt werden musste. 2. Zur Mitte: Im Affekt-Vektor (wie schon im Sexual-Vektor) lie­ gen ähnliche Vektorbilder vor wie bei Ilse. Auch der Vater kann kein e + (Wiedergutmachung, Versöhnung, Mitleid) oder e ± her­ vorbringen. Im Ich-Vektor dominieren das « Latenz-Ich» resp. die Anpassungsbilder (Sch —, - 0). Ausserdem erscheinen Miss­ trauen, Anklage und ein Verlangen nach partizipativer Identifizie­ rung (Sch 0 -) mit «Jammern» (P 0 ±); stellt sich gern zur Schau, hält sich aber depressiv verstimmt zurück. 3. Die Existenzformen (im VGP): • Existenzform 16: der sich anpassende Alltagsmensch (unentwikkelte Objekt- und Ich-Idealbildung; Schutz-Existenzform). • Existenzform 13: Affektstörungen wegen gestauter Unzufrie­ denheit (Groll und Lamentieren; Gefahr-Existenzform). • Existenzform II: gesteigerter Anklammerungsdrang (m + !) zur Abwehr von Verlassenheitsgefühlen (Schutz-Existenzform). 123


(Die ausführlichen Interpretationen zum Test des Vaters siehe Anhang, Seite 224).

Die Vordergrundprofil-Aufnahme bei der Mutter von Ilse Sie wurde in der Jugendzeit von ihrer Mutter Verstössen und heiratete bald darauf einen sechs Jahre älteren Mann, der sich ihrer in ihrem «Elend» in freundschaftlicher Zuneigung annahm. Wäh­ rend gewisser Epochen auf ihrem gemeinsamen Lebensweg kam es zu Krisen und Entfremdungen. Beistand, Gegenseitigkeit und gemeinschaftliches Wohnen gingen dabei nicht verloren. Beiden, Mutter und Vater von Ilse, gelang es, in ihrem Beruf anhaltende Be­ friedigung zu finden: Die Mutter erlernte das gleiche Handwerk wie ihr Partner, vermochte dieses aber zu einer kunsthandwerk­ lichen Tätigkeit zu heben. Ihre Erfolge erlaubten es ihr, während der letzten fünfzehn Jahre an der Kunstakademie zu unterrichten, was für sie eine wertvolle Erweiterung ihres Kontaktbereichs be­ deutete. Seit der Geburt ihrer Tochter litt sie an einer «Bluterkran­ kung», die weitere Geburten unmöglich machte. Diese Erkran­ kungsgefährdung erschien Aussenstehenden oft wie von einem Mysterium umhüllt. Man wusste nicht, ob sie bald sterben werde, und dann dauerte es doch zehn, dann zwanzig Jahre und mehr. Das schwere Sterben ihres Partners und die sich gegen das E nde ein­ stellende Entfremdung zwischen ihnen ertrug sie nach seinem Weggang nicht. Zuerst wollte sie weiterleben. Unmittelbar nach dem Tod klagte sie die Ärzte an, veränderte viel im Haus und über­ legte, ob sie es nicht aufgeben sollte. Dann aber scheinen Ver­ zweiflung, Angst und Schuldgefühle ihren Sterbenswunsch ver­ stärkt zu haben. Schliesslich, nach einem Jahr, e rgab es sich, dass sie, mehr oder weniger verheimlicht, nur noch von Alkohol und Nikotin gelebt hatte, worauf sie so schwach war, dass sie ins Spital gebracht werden musste. Dort starb sie «wegen Entzug» eine Woche später.

124


VGP der Mutter (27jährig) von Ilse

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Existenzform h

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( I I ) 14

(2)

( H ) 14 ( 1 3 ) (14)17

1. Die Mutter teilt mit Partner und Tochter die Unterdrückung der (personengebundenen) Zärtlichkeitsbedürfnisse und mit ih­ rem Partner ausserdem das Dilemma zwischen den sexuellen und den Kontaktbedürfnissen (m + !). 2. Im Affekt-Vektor findet sich ein entwickelteres, das ethische Verhalten unterstützendes Affekterleben. Die Mutter zeigt im VGP die gegensätzlichen Bilder im Vergleich zu den stereotypen Affektbildern ihrer Tochter. (Die Aufstauung der groben Affekte finden sich bei der Mutter im EKB siehe Anhang, Seite 23 I.) Ilse «agiert» den Hintergänger der Mutter. 3. Im Ich-Vektor erscheinen paranoide Tendenzen (Sch 0 -), even­ tuell in der Form von Selbstanklage, Selbstvorwürfen, sich nichts vergeben können (P + -). 4. Die Existenzformen: • Existenzform 14: Gewissensangst und bewegungssturmartiges Verhalten wegen hintergründiger Stauungen von groben Affekten (ThKP-EKP): aufgeregtes Sich-sorgen-Müssen (P + ±). • Existenzform II: Anklammerungs- resp. erhöhtes unbefriedig­ tes Akzeptationsverlangen (wie ihr Partner), auch hier vermutlich 125


zur Abwehr von Vereinsamungsangst und Alleinsein: Sie hat - im Gegensatz zu ihrem Partner - ein mobilisierbares Verlangen nach Treue und «Einnistung» (d-, C- + ,CO +, Schutz-Existenzform). (Ausführliche Besprechung der Testergebnisse siehe Anhang, Sei­ ten 230-234).

126


Dritter Teil

Stefan Psychotische Erkrankungsgef채hrdung bei einem achtj채hrigen Knaben

127


Einleitung

Zum vorliegenden Fallmaterial Die Wiedergabe des Fallmaterials will keinen Einblick in den therapeutischen Prozess, in das therapeutische Vorgehen gewäh­ ren oder eine genaue Beschreibung der Stundenabläufe liefern. Ich war damals im Fall Stefan von einem «Material» überrascht, das mich oft an schicksalspsychologische Einsichten Szondis und an die Beschreibung der Frühabwehrmechanismen und der krankheitsbildspezifischen Phantasien und Phantasmen der Kinder denken liess, wie sie im Werk von Melanie Klein zu finden sind. Äussere Umstände und die Schwierigkeit, das Material der Stun­ de zu erinnern und festzuhalten, ebenso wie das Problem, von den Eltern Auskünfte über vorliegende Vererbung zu erhalten, führten mich damals dazu, wenigstens die von Stefan hervorgebrachten Phantasien festzuhalten. Die Aufnahme des Szondi-Tests war bei Stefan mühsame Ar­ beit. Er konnte anfänglich (im Alter von sechseinhalb bis siebenein­ halb Jahren) nicht korrekt wählen. Allmählich gelang es ihm, ein Vordergrundprofil zu liefern. Sein Wählen musste über längere Zeit hin kontrolliert und geführt werden. Erst gegen Ende der er­ sten Behandlungszeit (7;8—7; I I) konnten die Triebprofile als wirk­ lich gewählte verwertet werden. Als Stefan elf Jahre alt war (zwei­ te Behandlungszeit), war die Aufnahme des Tests nur noch durch Eigenwilligkeit oder Übertragungswiderstand gelegentlich gefähr­ det.

128


Bemerkungen zum Lebensverlauf von Stefan

Stefan ist der um sechzehn Monate jüngere Bruder von Carol. Im Familienverband folgten ihm noch zwei Schwestern. Seine Entwicklungsschwierigkeiten führten ihn mit achtzehn Jahren in eine psychotische Krise (in einen maniformen Erregungszustand). Gegenüber solchen Krisen konnte Stefan mit Hilfe psychiatrischer Betreuung und der direkten und indirekten Betreuung durch die Mutter weitgehend geschützt werden. Rückschläge und kürzere Ein­ weisungen in die Klinik haben sein weiteres Leben zeitweise unter­ brochen, ein Leben, das er zumeist auf dem Land und unter einer lockeren, fürsorglichen Betreuung durch die Mutter verbrachte. Stefan konnte die Normalschule nicht besuchen und auch kei­ nen Beruf erlernen. In Privatschulen fand er «Unterschlupf». Als Erwachsener ging er - in einer bäuerlichen Umgebung - seinen handwerklichen und «künstlerischen» Neigungen nach. Ich trat mit Stefan und seinen Eltern im Zusammenhang mit zwei kürzeren psychotherapeutischen Behandlungen in Kontakt. Als er zweiundzwanzig Jahre alt war, traf ich ihn zum letzten Mal (nach einer Einweisung in die Klinik), wobei es mir möglich war, drei Szondi-Test-Profile aufzunehmen. In der Zeit, die den zwei Behandlungsabschnitten vorausging, und in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten erhielt ich durch die Eltern (und teilweise auf indirektem Weg) Auskünfte über Stefan und einzelne Vorkomm­ nisse in seinem Lebensverlauf. Die jüngste Schwester Stefans musste in ihrer Jugendzeit eben­ falls (aber einmalig) in einem maniformen Erregungszustand in eine Klinik eingeliefert werden. Sie pflegte in ihrer Jugendzeit einen et­ was extravaganten Lebensstil und fand dann als Ehefrau und Mut­ ter einen Ort und eine Lebensaufgabe, die es ihr möglich machten, von den inneren Gefährdungen loszukommen. 129


Stefan war ein begabtes und liebenswürdiges, manchmal turbu­ lentes Kind. Von allen vier Kindern war er das einzige, dem es nicht möglich war, seine affektiven und intellektuellen Fähigkeiten über das Kindesalter hinaus zu entwickeln.

130


Erste Behandlungszeit

Siebzig Behandlungsstunden auf eineinhalb Jahre verteilt (6;68;0), am Anfang zwei Wochenstunden, dann eine. Die Spiele und Phantasien Stefans sind jeweils nach der Stunde kurz schriftlich festgehalten worden.

131


Die Spiele und Phantasien des achtjährigen Stefan

(

Die ersten zwei Stunden Das Rollenspiel mit Masken und das Ze ichnen interessieren Ste­ fan während der zwei ersten Stunden am meisten. Mit «gefährli­ chen» Masken will er mir Angst machen. Mehrmals frisst er mich auf, fast immer lachend und mit Vergnügen. Er ist der Räuber, der Teufel oder die wilde Katze. Er erträgt es aber nicht, wenn ich ei­ nen «Bösen» agiere. Er nimmt mir dann die Maske weg, versorgt alles und kommt wieder mit einer anderen, noch gefährlicheren Maske auf dem Gesicht. Der werde mir Angst machen. Oder er gibt mir den Polizisten. Der sei weniger stark. Stefan kann nicht angreifen, das heisst: er kann sich nicht wehren, wenn ich ein we­ nig angriffig werde. Er wiederholt, ich dürfe kein «Böser» sein, sagt:

«sei lieb» oder nimmt mir die Maske ab. Wenn ich mich für einen kurzen Moment «totstelle», bricht er das Spiel ab, zieht mir die Maske weg und sagt: «Wir machen jetzt das, was die Mutter gesagt hat.» Er will zeichnen, holt dann aber wieder eine Maske, die Angst mache. Manchmal versucht er mich zu beschwichtigen oder zu trösten, wenn ich als «Toter» einfach so dasitze: «Sei nicht traurig!» Er ist ein wenig beängstigt, legt alles weg und spielt etwas anderes. Eine grosse Schwierigkeit in beiden Behandlungsabschnitten bestand darin, in Stefans Spielen und Verhaltensweisen auseinander­ halten zu können, was Angstbewältigung in einem entwicklungsfördernden Sinn sein könnte, was Schutzmechanismus (Angst­ beschwichtigung) und was Angstabwehrmechanismus eventuell krankheitsbildtypischer Art, durch den sich das Kind immer mehr zu Scheinerlösungen hingezogen fühlt, die es früher oder später dem Sog der psychotischen Erkrankung gegenüber wehrlos ma­ chen. 132


Stefan ist zu Hause, in der Umwelt, im Umgang mit anderen Kindern und Erwachsenen kein ängstliches Kind, und doch schei­ nen ihn Ängste («von innen») zu bedrängen. Er hat - so glaube ich sagen zu müssen - in der psychotherapeutischen Situation kaum je Angst erlebt. Es gibt aber eine Reihe von Angstabwehrmechanis­ men, die für ihn charakteristisch sind. Kaum drei Jahre alt (er war immer noch «unsauber»), war er schon mehrfacher Ausreisser, verliess Haus und Garten und spa­ zierte allein, manchmal kilometerweit, auf dem Gehsteig einer Hauptstrasse auf die Stadt zu, bis Leute auf ihn aufmerksam wur­ den. Manchmal verliess er die Eltern im Gedränge der Stadt ein­ fach, und sie warteten auf dem Polizeiposten oder im Warenhaus, bis er «gemeldet» wurde. Drei-, vierjährig, sass er im Garten am Boden und schaute den fallenden und im Wind schwebenden Blättern zu. Als er eineinhalb Jahre alt war und eben gehen gelernt hatte, rief der Vater ihn manch­ mal beim Namen: «Stefan!» Der Knabe blieb dann stehen, schloss die Augen und wackelte mit dem ganzen Körper vorwärts und rück­ wärts, wartete eine Zeitlang und ging dann weiter. Die Reinlich­ keitserziehung hatte bei ihm erst spät Erfolg. Wie seine Schwester Carol hatte Stefan die Eigenart, sich in überstürzter Weise vorwärts zu bewegen, zu stolpern, umzufallen, sich zu erheben, als wäre nichts gewesen und als könnte ihm kein Leid zustossen. (Vermin­ derte körperliche Schmerzempfindlichkeit?) Von klein auf war er eigenwillig, aber gutmütig, auch ein Phantast, ein eher fröhliches Kind. Die Frage wird sich stellen, wieviel innere Verzweiflung und Trauer, wieviel undenkbare Angst er in der frühen Kindheit erlebt hat, so dass e r schon in der Latenzzeit unter einer weitgehenden Hemmung der intellektuellen Fähigkeiten litt und er am Ende der Pubertät psychotisch wurde. Es w ird auch zu diskutieren sein, ob es wirklich für ihn so viel «undenkbare Angst» oder frühkindliche paranoide und depressive Angst gab. Könnte nicht - bei mehr oder weniger durchschnittli­ chen Entbehrungssituationen - schon sehr früh eine Anlage zu ei­ ner bestimmten Erkrankungsgefährdung die Entwicklung auf ein 133


Überleben gegenüber bestimmten psychoseähnlichen Ängsten eingeschränkt haben (Charakter-Psychose)? Die Antworten zu den vier ersten Düss-Fabeln (ein Projektions­ test), die er als Sechsjähriger vor Behandlungsbeginn gegeben hat, geben ein anschauliches Bild von Stefan wieder. Man darf ihn sich nicht als ein ängstliches oder ein bloss schrulliges, unterentwickel­ tes oder schwer neurotisch gefährdetes Kind vorstellen. Er ist mit drei Geschwistern aufgewachsen und dieser Gruppe und dem Fami­ lienverband in durchschnittlicher Weise angepasst. Seine zum Teil auffälligen Charaktereigenschaften führten nicht zu grösseren Er­ ziehungsschwierigkeiten.

Die Antworten zu den vier ersten Düss-Fabeln Erste Fabel Ein Vogelpapa und eine Vogelmama und ihr kleines Vögelchen schlafen in ihrem Nest auf einem Ast. Da kommt ein grosser Wind. Der schüttelt den Baum, und das Nest fällt auf die Erde. Die drei Vögel erwachen. Der Papa fliegt geschwind auf eine Tanne, die Mama auf eine andere, und was macht wohl das kleine Vögelchen? Es kann schon ein bisschen fliegen. Antwort des sechsjährigen Stefan: Es is t im Wasser. Es h at sich in einen Wolf verwandelt. Was ist das für ein Bild? (Er zeigt auf ein Bild an der Wand [Ablenkung, Zerstreuung].) - Mit seiner Antwort mein Stefan, dass dem eher schützenden Wasser (Muttersymbol) nicht ein hilfloses Wesen, sondern eben ein Wolf entsteige. («Magi­ sche Verkehrung ins Gegenteil»: Man rettet sich mit Hilfe der Phan­ tasie vor Ohnmachts- zu Allmachtsgefühlen.) Ich wiederhole die Frage, aber Stefan geht nicht darauf ein, son­ dern wiederholt, indem er wiederum auf das Bild an der Wand deu­ tet: «Wer hat das gemacht?» Ich frage ihn, ob der kleine Vogel vielleicht zum Vogelpapa oder zur Vogelmama geflogen sei. - Er: «Zum Vater.» - Ich: «Warum?» Er: «Weil... (Schweigen) ...und dann ist die Mutter abgereist. Sie ist in die Berge gegangen, und der Kleine hat sie nicht gefunden. Dann ist sie gestorben. Sie g ing auf die Strasse. Sie is t gestorben durch 134


ein Auto.» (Später zerstückelt er die Mutter und frisst sie trium­ phierend. Bei dieser gestorbenen Mutter ist es nicht sicher, ob nicht der kleine Vogel, als er sie nicht gefunden hat, so etwas wie «Todes­ angst» empfunden hat. Er findet die Mutter nicht, Rettung kommt nicht. Die «Scheinerlösung»: Er fällt ins Wasser und verwandelt sich in einen Wolf. (Das Sterben resp. das Töten von Mutter und Vater wird während der Behandlung eine grosse Rolle spielen.) Die Phantasie kann auch eine Realsituation reflektieren. Wäh­ rend Stefans ganzer Kindheit war die Mutter durch Ganztagsarbeit abwesend. Er war das zweite von vier Kindern. Die Betreuung ge­ schah tagsüber durch ein Kindermädchen. Im Gegensatz zu dieser Realsituation konnte Stefans Vater als Kind bei der Mutter eine königlich-triumphierende Position einnehmen (siehe Seite 166). Zweite Fabel

Papa und Mama feiern ihren Hochzeitstag. Sie haben sich beide sehr lieb und machen ein schönes Fest. Während des Fests steht das Kind auf einmal auf und geht ganz allein in den Garten. Warum? Stefans Antwort (er wiederholt meine Frage): «Was hat er ge­ macht? - Er hat das Dreirad gestohlen. Er war ein Dieb. Nachher ist er gestorben, wenn er ein Dieb ist.» Er fährt fort: «Ich erzähle dir jetzt eine Geschichte. Der alten Frau hat man einen Sack m it

Schlangen gegeben und einen Sack mit Geld aus Gold. Sie schaute hinein, und dann ist sie gestorben. Das ist ihr recht geschehen, der Dame.» Im Hinblick auf den Aufforderungscharakter der Fabel, «das Kind und das vereinigte Elternpaar», besagen die zwei Geschich­ ten, dass der Knabe-Räuber wegen eines Diebstahls (zur Strafe) und die Frau wegen sexueller Neugier und Habgier sterben müs­ sen. Was Stefan hier produziert, nähert sich dem, was man «Kon­ fabulation» nennt, das heisst, dass der Zusammenhang des Erzähl­ ten mit der Fabel (dem Text) undurchsichtig, schwerverständlich oder unverständlich wird. (Die Frau mit einer Tasche wird wieder erscheinen, siehe Seite 184 im zweiten Behandlungsabschnitt.)

135


Dritte Fabel

Es war einmal eine Schafmama auf einer Wiese und ihr kleines Lämmchen. Das Lämmchen hüpfte den ganzen Tag um die Mutter herum. Jeden Abend gab ihm seine Mama gute warme Milch, die es sehr gern hatte. Aber es kann auch schon Gras fressen. Eines Tages wird der Mama ein kleines Lämmchen gebracht, das hungrig ist, und es s oll bei der Mama Milch trinken. Aber die Schafmama hat nicht genug Milch für beide, und so sagt sie zu ihrem grossen Lämm­ chen: «Ich habe nicht genug Milch für zwei; geh du frisches grünes Gras fressen.» Was macht darauf wohl das Lämmchen? Stefans Antwort: «Es war traurig.» - Ich: «Warum?» - Stefan: «Bei uns hat man manchmal nicht genug Milch. Dann gibt man uns keine Milch.» - Ich: «Woran dachte das Schäfchen?» - Stefan: «Dass sie ihm keine Milch geben wollten. Es isst nichts.» - Ich: «Und nach­ her, was macht es dann?» - Stefan: «Ein Herr in Spanien hatte Scha­ fe, viele kleine, und die Mutter war auch klein. Das Baby-Schaf aber war gross.» (Er zeigt mit der Hand hoch hinauf.) Hier handelt es sich wieder um den für Stefan typischen Mecha­ nismus, um «Verkehrung ins Gegenteil»: Der Kleine ist ganz gross, er muss sich nicht schwach, hilflos oder traurig fühlen. Vierte Fabel

Ein Begräbniszug geht durch die Strasse im Dorf, und die Leute fragen: «Wer wird da beerdigt?» Sie bekommen zur Antwort: «Es ist jemand von der Familie, die dort in dem Haus wohnt.» Wer ist es wohl? Stefans Antwort: «Ich werde ihn auf einen Schlitten legen. Ich werde ihn in ein Flugzeug nehmen, und ich nehme den Toten zu mir. Glaubst du, dass ich ihn zu mir nehmen kann? Ich zeige ihm alle Spielsachen, die ich habe, und dann ist er nicht mehr begraben.» Ich wiederhole die Frage. - Stefan: «Einmal hatte ich geschlafen, als ich im Hotel schlief. Ich hatte geträumt, Papa habe einen Unfall mit seinem Auto. Er hatte es zerbrochen. Jetzt hat er ein neues.» (Ste­ fans Vater hatte durch schnelles Fahren sein Auto «demoliert».) Ich zähle die ganze Familie in schneller Folge auf: Es sind im Haus: Vater, Mutter, Knaben, Mädchen, Dienstmädchen, Grossmutter... 136


Wer ist gestorben? - «Das ist der Papa. Wenn die Mutter gestor­ ben wäre, wäre es traurig.» - Ich: «Und wenn der Papa gestorben ist?» - Stefan (schaut mich an): «Und wenn die Kinder gestorben sind? Wenn deine Kinder gestorben sind, was machst du nachher?» (Totsein, Sterben und Unsterblichkeit werden in seinen Überle­ gungen eine grosse Rolle spielen.) Stefan ist ein eigenartiges Kind, bei dem vieles durcheinander­ geht, Realität und Wunschphantasie, die Vorstellungen von Ich, Du, Er, von Gegenwart und Vergangenheit (Erinnerungen). Ein eher überdurchschnittlicher Gefühls- und Phantasiereichtum scheint bei ihm vorzuliegen. Auch Witz und Humor kommen spontan zum Vorschein. (Witz und Humor spielten in seinen späteren mani­ schen Erregungszuständen eine grosse Rolle.) Fühlen, Denken und Vorstellen scheinen sich leicht und schnell von der inneren und äus­ seren Realität ablösen zu können.

Dritte Stunde: Aussenwelt-Innenwelt und das Leibesinnere Im folgenden Spiel hat nur Stefan eine Maske. Er ist der Räuber. Er greift mich an und frisst mich. Ich sei in seinem Bauch. Ich will hinaus. Er lasse mich nicht mehr hinaus. Sein Mund sei klein gewor­ den, und ich könne nicht bei den Füssen hinaus. Es habe auch kein Loch im Bauch. (Ich verwies ihn auf die Löcher im Körper.) Er wird ein wenig unsicher und geht dann zu seiner Wolfszeichnung, die an der Wand hängt (ein Kopf in schwarzer und weisser Farbe, zwei Tage vorher gemalt; mit dem Wolf identifiziert er sich gern; er war früher im Rorschachtest sein stereotypes Angsttier). Mit offenem Mund steht er vor der Zeichnung und spricht mit dem Gesicht: «Geh, spring herein in den Bauch und friss ihn!» (Durch Fressen des gefährlichen «Vaters» stark werden.) Daraufhin fährt er Auto, auf einer Kiste, und macht lauten Motorenlärm. Einen Moment hat Stefan gezögert, ob dieses gefressene Ob­ jekt nicht gefährlich werden könnte. Andernfalls müsste es wieder ausgestossen werden. Dann findet er einen Verbündeten (den Wolf), eine hilfreiche Figur, die es ihm erlaubt, den Aufmuckenden, viel137


leicht Gefährlichen, ungefährlich zu machen. So kann er ihn in sich behalten, er hat ihn unter Kontrolle. Er kann jetzt Auto fahren und

imitiert den Lärm des Motors. - In der nächsten Stunde wiederhol­ te er dieses Spiel.

Die gefährliche, starke und angstmachende Vaterfigur, welche die Königin und die Mutter auffressen will Ich versuche eine Rollenumkehr und spiele Stefans Verhalten am Behandlungsbeginn, als e r vor mir Angst hatte, wenn ich eine gefährliche Maske (andeutungsweise angstmachend) spielte. Als er angriffig und mit wilden Bewegungen auf mich zukam, sagte ich: «Sei nicht böse» usw. Daraufhin gab er mir Bonbons, die er zufälli­ gerweise in der Hosentasche hatte («Besänftigung»). Da es das Ende der Stunde war, meinte er: «Das nächste Mal wollen wir lieb sein.» Er wolle dann lieb sein, und wir würden zusammen wohnen (Ver­ söhnungsbedürfnis). In einem anderen Spiel wollte ich das Verhältnis von Wolfs­ maske und Mutterfigur «auskundschaften». Stefan nahm die Wolfs­ maske, er beabsichtigte eine Kampfsituation zu inszenieren. Ich nehme die Muttermaske. Wie ich mich ihm aber nähere, will er nicht mehr der Wolf sein. Er nimmt die Räubermaske und sagt, ich müsse die Königin sein. Dann aber frisst er mich (nicht die Mutter, sondern die Königin) mit viel Vergnügen auf. In derselben Stunde zeichnet er Figuren, die menschenähnlich sind, und erzählt: «Der böse Vater ist mit dem Knaben zusammengestossen. Sie werden sich die Köpfe schlagen. Dieser Böse frisst die Mutter.» (Eventuell Streit zwischen den Eltern wegen «Zusammenstoss» von Vater und Stefan. Verneinung: «Nicht ich will die Mutter fressen, der böse Va­ ter tut das.») Stefan erzählt weiter: «Das muss man verhindern. Das darf er nicht. Ich nehme die Zeichnung nach Hause.» (Später wird es sich zeigen, dass auch Stefan «Gründe» hat, die Mutter tö­ ten und, vor allem, fressen zu wollen, wie es hier im Spiel zwischen Räuber und Königin schon angezeigt ist.) Ich erwähnte schon, dass Stefan sich nicht wehren kann. Er kommt sofort: «Sei lieb, mach mir nichts, ich will lieb sein, ich bin 138


ein kleiner Knabe, ich sage es der Mutter.» - Er kann zuweilen Lust haben, mit Gummipfeilen zu schiessen, alle Masken totzuschiessen und sie unter dem Teppich zu begraben; dann macht er sie mit dem Zauberstab wieder lebendig, und das Spiel ist aus. Manchmal will er ein Mädchen sein, ein Knabe-Mädchen oder ein Dame-Mann. (Er fühlt sich dem Vater gegenüber als Verstossener, weil dieser ihm die Mädchen vorzieht.) Am Ende einer Stunde, währendder Stefan langsam meine phy­ sische und intellektuelle «Überlegenheit» spüren musste (ich half ihm beim Lesen und zeigte mich als d er Stärkere, als e r mich an­ griff), sagte er, er sei jetzt schon stärker und grösser als der Wolf. Darauf sprachen wir über die Stärke des Wolfs, des Vaters und über meine Stärke, sein Starksein, sein Weniger-stark-Se/n und das Starkwerden. Das «Ergebnis» war: Stefan nahm aus d er Hosenta­ sche sein Sackmesser, sein erstes (von dessen Existenz ich nichts wusste und das er am Vortag erhalten hatte) und sagte: «Ich gebe es dir, ich lege es dir auf den Tisch, du kannst es hier brauchen.» Ich: «Ich habe schon eines. Dieses gehört dir.» Wir sprechen über «ein Messer bekommen», «Geschenke bekommen». Schliesslich behält er das Messer (siehe Seite 169, der Vater zerbricht sein Schwert). Stefans unglückliche Liebe (Hass-Liebe) zum Vater führte dazu, dass er sich in oft «furchtbarer» Weise (aus Hass und Neid?) mit der gefährlichen und mächtigen Vaterfigur identifizierte oder mit ihr rivalisieren musste, um der noch Stärkere zu sein. Noch mehr: Es war, als stehe Stefan immer wieder vor der Schicksalsfra­ ge: er oder ich? Und als sei er zum «Entschluss» gezwungen: Ich muss ihn loswerden; ich kann ihn beseitigen, wenn ich will.

Ich gehe jeden Tag ins Bett der Mutter In der auf diese Messergeschichte folgende Stunde will Stefan ein Bilderbuch zeichnen. Er beginnt mit einem Haus. Auf die Frage, wer darin wohne, antwortet er: «Du würdest darin wohnen.» Ich müsse hier ganz allein wohnen. Er zeichnet einen grossen Weg, der zum Haus führt. Ich würde essen, Kaffee machen und viele Bücher 139


in einem Schrank haben. Der Vater komme dann zu mir, und so bleibe er, Stefan, mit der Mutter allein! Auf der zweiten Seite zeichnet er das Auto, mit dem der Vater zu mir komme. Dann zeichnet er noch das Haus, wo er und seine Mutter sind. «Wir sind ganz oben. Ich und die Mutter sind im Bett zusammen.» - Ich: «Schläfst du gern mit der Mutter?» - Er: «Ja, man ist dann nicht allein. Ich gehe jeden Tag ins Bett der Mutter, in der Nacht und am Morgen.» (Das ist reine Wunschphantasie.) Ste­ fan fährt fort: «Wenn die Mutter sagt: (Heute kannst du nicht ins Bett kommen), dann mache ich eine Hütte und schlafe dort.» Im Gespräch über seine Wunschphantasie (er leugnete lächelnd, dass es eine sei) sagte er zweimal, er wolle grösser werden als der Va­ ter. Als ich ihn fragte, wie es denn mit dem Bett sei, wenn der Vater nach Hause komme, erklärte er, der Vater gehe in das kleine Bett. Und auf meine Frage, ob wir das den Vater fragen könnten, meinte er sofort: «Nein, du darfst ihn nicht fragen.»

Neunte Stunde: Stefan spielt das strafende Über-Ich Stefan nimmt die Maske des Polizisten und gibt mir den König. Er kommt zum König und begrüsst mich. - Ich: «Was ist los, Herr Polizist, was haben Sie zu melden?» («Anwärmung.») - Stefan: «Ich habe von einem Mädchen gehört, es ist auf dem WC gewesen und hat nicht gespült.» - Ich: «Was wollen Sie machen, Herr Polizist?» Er erklärt, er müsse es töten, das Mädchen müsse hinauf in den Him­ mel zum kleinen Jesus, ganz hinauf, auf die Leiter, oben in den Him­ mel (weghaben wollen, töten = beseitigen). Ich protestiere. Stefan beharrt auf dieser Strafe. Wir hängen die Mädchenmaske ganz oben im Zimmer auf, über einer Zeichnung, auf der ein Himmel ist. (Das Vergehen mag seinezwei jüngeren Schwe­ stern betreffen.) Dann berichtet er von einem Knaben, der habe Pipi auf den Boden gemacht. Der müsse auch sterben, den wolle er auch in den Himmel bringen. (Er selber war unsauber bis über das dritte Jahr hinaus.) Ich protestiere wieder, diesmal mit etwas lauter und energischer Stimme. Stefan nimmt mir sofort die Maske weg und gibt mir die Muttermaske. «Jetzt kannst du nicht mehr so laut 140


sprechen.» Als Mutter sage ich nun, der Knabe müsse hier bleiben,

ich wolle diesen Knaben. Er dürfe ihn nicht töten. Er sei der einzige Bub. Sie habe nur noch Mädchen und einen Papa (seine Familien­ situation). Er nimmt mich darauf mit zärtlicher Geste am Arm und hält mir die Hand. Wir beschliessen: Wir fragen den Knaben, war­ um er das gemacht hat. Stefan: Er habe eben dazu Lust gehabt. Er will ihn dann plötzlich doch wieder töten. Ich «muss» ihn hindern, und wir sprechen wieder mit dem Knaben. Wir beschliessen, dass wir die «Pfütze» mit grossen Lumpen aufwaschen würden. Stefan bringt mir einen Lumpen. Dann schlage ich vor, er könne ja auf das WC gehen. Der Polizist-Stefan: «Das WC ist nicht im Haus, es ist draussen.» - Ich: «Dann geben wir ihm den Topf.» - Polizist: «Der Topf ist auch draussen.» - Weitere Besprechung. Wir beschliessen, er werde machen können, was er wolle. Wir würden natürlich vie­ le Lumpen brauchen. Als Polizist macht er mir den Vorschlag, mir ein ganzes Haus voll Lumpen zu geben. Er fügt dieser Geschichte noch hinzu, der Bub lebe allein mit der Mutter. - Ich: «Wo sind

denn die anderen?» - Er: «Der Vater und die Mädchen sind in den Bergen.» Das nächste Kasperlespiel: Stefan will Kasperle sein, ich muss die Mutterfigur nehmen. Wir essen zusammen und gehen dann schla­ fen, er im oberen Stock, ich (die Mutter) unten, seinen Anweisun­ gen folgend. Ich bringe jetzt den Kasperle-Vater ins Spiel, komme

und murre ein wenig. Stefan schlägt ihn mit der Hand, mehrmals, lacht dabei, wird dann aber energisch, schlägt wild drein. Der Vater protestiert, es nützt aber nichts. Er sagt, er werde den Polizisten holen, der sei stark. Aber Stefan holt schnell selber den Polizisten und wirft den Vater ins Gefängnis. Dieser reklamiert, wird böse, mit etwas lauter Stimme. Stefan lässt ihn frei. Der Vater kommt wieder ins Haus, und alle drei gehen schlafen. Jetzt will Stefan: Vater und Mutter zusammen und Kasperle in seinem Zimmer. Diesem Spiel (wir spielten die ganze Stunde) folgt ein - fast unglaubliches - Test­ profil (Stefan wählte zu dieser Zeit nur Vordergrundprofile): S +! +

Sch

P -

0

-

-

C -

+

141


Nur an diesem Tag erschien die der Latenzzeit entsprechende Legierung im Vektor Sch (Ich) und S (Sexualität): die Anpassung im Ich-Bereich - Negation und Projektion - und das legierte Verhält­ nis von Zärtlichkeitsbedürfnis und Aggression (Vektor S). (Sie er­ scheinen zusammen mit dem Affekt-Vektor: Gefahr, von groben Affektregungen [den «Vater» schlagen] überrumpelt zu werden, und mit dem Kontaktbild: Treue in der Bindung, Kleben und Sich­ anklammern [Inzesthass und treue Bindung].)

Zwölfte Stunde: Mit dem Fressen und Töten wird es immer «schlimmer» Stefan nimmt den bösen Mann, ich nehme den Vater von Kas­ perle. Der böse Mann frisst mich. Er packt dann alle Kasperlefigu­ ren, die ich nehme, wirft sie auf einen Haufen und sagt, er sei der «Ogre» (frz., Menschenfresser); er frisst sie alle, sogar das Mon­ strum. Ich frage ihn, mit dem Finger auf ihn zeigend: «Was ist denn los? Warum frisst du alle? Was hat denn der Ogre?» Er antwortet nicht, packt meine Finger, zerrt während längerer Zeit daran, ist sehr froh darüber! Dann frisst er mich ganz auf (tun, als ob), Beine, Körper, Kopf und Schuhe. Er singt, lalala, mit unverständlichen Worten während längerer Zeit. (Triumphieren, Sieger sein, keine Feinde mehr haben! - Präambivalente, maniforme Inkorporation des Vaters.) Dann macht er mich wieder lebendig. Er will wieder der böse Mann sein, ich muss den Kasperle spielen. Ergibt mir die Spielpistole. Ich frage ihn, was ich machen soll. Er: Ich müsse auch Kasperlefiguren töten. (Als «Kumpan-Komplize» [Verbündeter] soll ich mitmachen, soll ihn bei seinem Töten und Fressen nicht hin­ dern.) Ich tue es nicht, Kasperle wolle das nicht (Verweigerung als Spielintervention, k -). Er frisst alle Figuren, die ich bringe, auch ein Mädchen, und ver­ langt von mir, Kasperle solle die Mutter fressen. (Bisher hatte er selber nur die Königin gefressen.) Ich verweigere. Statt der Mutter nehme ich ein kleines Puppenbaby aus der Kiste. Das wird sofort sein Kind. Er fresse es nicht. Auch dann nicht, wenn es gross sei. (Später wird er häufig auch die Babies fressen.) Er schütze es. - Er 142


will es unbedingt haben. Ich führe die Kasperle-Mutter ein und sage, si e könne für es s orgen. Stefan: «Nein, es ist mein Kind. Ich habe es im Spital geholt.» Dann legt er das Baby in Decken, den bösen Mann daneben, zusammen mit der Milchflasche und dem Huhn, das Eier legen kann, und sagt zum Schluss: «Er war lieb, nett, le monsieur» (= der «böse Mann»). In der folgenden Stunde nimmt Stefan wieder den bösen Mann mit dem Baby, nimmt es auf und füttert es. Dann muss ich mit Per­ sonen kommen, die sagen, es sei ihr Baby. Er tötet sie alle; schliesslich greift er mich körperlich an, wird heftig, wild. Ich muss ihn zurückhalten. Er verlangt, dass ich wieder mit den anderen Kasperlefiguren komme. Er tötet sie, erschlägt sie, erstickt andere und beginnt zu singen, singt während fünf Minuten. Sie alle durften nicht in den Raum mit dem Baby, dem bösen Mann, der Badewan­ ne, Milchflasche und den Decken eintreten. (Die symbiotische Be­ ziehung zwischen den beiden darf durch keine Drittperson gestört

werden. Die sollen alle weg sein, sind Böse.) Nach dem langen Singen mache ich Stefan den Vorschlag, der böse Mann sei der Vater des Babys, und die Kasperle-Mutter könn­ te seine Mutter sein. Er ist einverstanden. Bald der böse Mann, bald die Mutter geben dem Baby die Flasche. Alle anderen Figuren «tö­ tet» er noch einmal, wirft sie in den Papierkorb und sagt, sie seien jetzt im Gefängnis (töten = weg sein). Wir kommen darauf zu sprechen, wo denn das Baby vorher gewesen sein könnte. Er sagt (was er schon einmal während des Spielens gesagt hatte): Es sei Jesus, der vom Himmel gekommen sei. Ich antworte, es sei wahrscheinlich im Bauch der KasperleMutter gewesen, und lege es auf die Kasperle-Mutterfigur. Er pro­ testiert nicht. Ich vernahm, dass Stefan zu Hause oft den Vater imitiere, das­ selbe mache oder haben wolle wie er, und zwar unbedingt; unter anderem wolle er, dass seine Zeichnungen neben denjenigen des Vaters aufgehängt würden. - Stefan selber erzählt, «behauptet» mehrmals, dass er immer vom Auto träume und selber Auto fahre. (Stefan kann nicht gross werden; er muss gross sein: ein Thema, das zum «Durcharbeiten des Ödipus» gehört.) 143


Vierzehnte Stunde: Anale Allmachtsphantasien Heute erzählt die Mutter in der Gegenwart Stefans von einem Ereignis zu Hause. Stefan habe die ganze Woche in der Schule nichts gemacht. Die Mutter meint, er werde vielleicht nicht mehr in diese Schule gehen können. Der Vater sei nicht dieser Meinung gewesen. Er habe sich an Stefan gewendet mit den Worten: «Wir werden se­ hen. Stefan, wenn du Vater wärst, was würdest du machen?» Stefan: «Ich würde ihm Schläge geben.» - Der Vater: «Die werde ich dir auch geben. Würdest du ihm heftige Schläge geben?» - Ste­ fan: «Ja.» - Der Vater: «Wird er weinen?» - Stefan: «Nein.» - Der Vater gab Stefan daraufhin, wie er es angekündigt hatte, heftige Schläge auf den Hintern. Stefan weinte nicht. Er arbeitete dann besser in der Schule (für kurze Zeit). Der Mutter gefiel die Sache nicht; der Vater betrachtete das Ganze als ein Spiel. Wir spielen die Szene, die sich zu Hause ereignet hat, mit den Kasperlefiguren. Stefan nimmt den Vater, ich nehme Kasperle. Er sagt zu mir: «Du musst mir sagen, du wollest eine Zigarette, so eine wie der Vater.» Der Vater (Stefan) gibt mir aber keine. Ich (Kasper­ le) werde böse und will in der Schule nicht mehr arbeiten. Der Vater (Stefan) schlägt mich heftig. Ich arbeite dann in der Schule. (In man­ cher Hinsicht imitierte er das Verhalten seines Vaters.) Dann muss die Schwester kommen. Ihr gibt er sofort eine Zigarette. Ich, die Schwester spielend, verlange vom Vater, dass d er Bruder, Stefan, auch eine bekomme, da er jetzt ein gutes Schulzeugnis nach Hause gebracht habe. Stefan lässt sich überreden. Dann muss die Schwe­ ster wieder kommen. Stefan: Sie habe in der Schule geschwatzt und schlecht geschrieben. Stefan (der Vater) schlägt sie mit viel Vergnügen auf den Kopf und auf den Hintern. Er lacht laut dabei. (Inszenierung von Eifersucht und Rache der Schwester gegenüber.) Die verschiedenen Personen gehen dann schlafen. Mutter und Vater sind in ihrem Zimmer. Das Radio spielt dort noch. Stefan (jetzt als Kasperle) geht hinein und schläft bei den Eltern. Ich nehme ein Baby, das a uch hinein will. Sofort will Stefan das Baby spielen. Er nimmt es mir weg. Es schreit und beginnt «Caca» zu machen, über­ allhin. Er wird nicht müde, Orte zu finden, zu erfinden im Schlaf144


zimmer, an denen es «Caca» macht. Er lacht laut, kann nicht aufhö­ ren, will, dass ich mitlache, er ist wie ausser sich. Wenn ich nicht lache, kitzelt er mich. Das Baby heisst schliesslich Caca-Schmierfink. Er ist so aufgeregt, dass er noch längere Zeit allein mit dem Baby Caca-Schmierfink weiterspielt. Das Spiel zeigt auf, dass Stefan, trotz Unterwerfung unter den Va­ ter, das Geschlagenwerden als Schmach empfand. Er wehrt sich gegen die erlittene Niederlage durch Identifizierung mit dem Ag­ gressor und in der Form von Bestrafungslust, das heisst durch Ver­ legung der Rache auf die Schwester und durch kleinkindliche, phan­ tastische Revoltephantasien, durch ein Verschmierungs- und Beschmutzungsfest (ein maniformer Erregungseinbruch?). - Hat er sich vielleicht bei der Bestrafung durch den Vater an einer Grenze gefühlt? Musste er unterdrückte Gefühle wie Verzweiflung, Wut und Niedergeschlagenheit durch Übermut und Triumphieren los­ werden (maniformes Reagieren)? In der darauffolgenden Stunde will Stefan wieder den strengen Vater spielen, legt ihn weg, nimmt einen «Herrn», zögert und ent­ scheidet sich schliesslich für den Engel und den Polizisten. Dieser sei auch ein Engel, sie würden zusammen in den Himmel gehen. Ich frage Stefan, ob er nicht mehr als Kasperle mit Vater und Mut­ ter und den anderen Kindern zusammen sei. Antwort: «Der Poli­ zist beschäftigt sich mit dem Kasperle. Er ist nett mit ihm.» Er lehre ihn schreiben und lesen. Er schreibe dann dem Kasperle vom Him­ mel aus einen Brief. - Das Spiel endet aber mit einer ganz anderen Geschichte: Stefan nimmt den bösen Mann, mit diesem tötet er den Kasperle, den Polizisten und den König. Nach dem Töten schnei­ det er ihnen den Bauch auf. Ich frage: «Was is t drin?» - «Caca», antwortet Stefan und bricht in unbändiges, nichtendenwollendes Lachen aus (Verachtung, Entwertung der Objekte?). Kurz darauf erklärt er mir: «Wenn der Knabe ein schlechtes Zeugnis heim­ bringt, dann stirbt der Vater.» Die Logik stimmt, nur hat Stefan zwei Sätze unterschlagen, zurückgehalten: a) dann wird der Vater böse und schlägt mich, b) und ich möchte am liebsten, dass er stirbt (nicht mehr da ist), und dann stirbt er eben. 145


Bald darauf nimmt er die Wolfsmaske, die selbstgefertigte, und ich muss die Räubermaske nehmen. Er greift mich sofort an und sagt: «ich bin stärker», macht Fäuse und schlägt drein wie ein Wil­ der. Ich muss ihn einen Moment festhalten und ihn an die Grenzen erinnern. Ich frage ihn: «Du bist stark. Wie heisst du?» - Stefan nennt den Vornamen seines Vaters (Identifizierung mit dem Vater durch Faszination; Liebe-Hass-Bewunderung).

Wie Stefan Strafangst und Schuldgefühle erlebt Kasperlespiel: Stefan nimmt den König und gibt mir den Polizi­

sten. Ich muss - seiner Anweisung folgend - den König mit dem Messer töten und ihm den Bauch aufschneiden. Er ruft: «Oh, Caca!» und bricht in lautes, nichtendenwollendes Lachen aus («Vernich­ tung», «Entwertung» des Königs). Bald darauf nimmt er wieder den König und den Polizisten. Alle Kasperlefiguren, die ich jetzt bringen muss, bis zum Baby, werden von den beiden, vom König und vom Polizisten, ins Gefängnis geworfen. Ich zeige mit dem Finger auf die zwei Figuren und sage: «Das sind zwei Böse, die sperren ja alle ins Gefängnis.» Stefan bringt die zwei schnell in die Spielzeugkiste zu­ rück und sagt: «Da kann man ihnen nichts machen. Sogar Bomben können ihnen nichts machen.» Darauf folgt ein Maskenspiel. Stefan nimmt den Polizisten, ich neh­ me die Hexe. (Ich will genauere Auskunft über das gefährliche, angst­ machende Mutterbild.) Ich sage zu Stefan: «Ich bin die Hexe, ich bin böse, wie bist du?» - Er: «Ich bin ein lieber Polizist.» - Ich fresse die Kasperlefiguren auf (wie er es häufig macht) und frage ihn: «Was denkst du?» - Er nimmt die Polizistenmaske ab, legt sie weg, kommt und sagt: «Ich bin ein kleiner Knabe, du darfst mich nicht fressen. Ich sage es der Mutter.» Bald darauf frage ich ihn, ob er auch schon stark sei. Stefan: «Ich bin stark.» Auf ein Zeichen des Zurückwei­ chens meinerseits wirft er sich wie ein Wilder auf mich, überschlägt sich dabei und beginnt mich daraufhin mit den Fäusten auf den Rükken zu schlagen. Die Hexe sei jetzt tot. Er holt die Muttermaske, hält sie in der Hand und sagt i hr, die (böse) Hexe sei jetzt tot. Er begräbt die Hexenmaske unter dem Teppich. Merkwürdigerweise 146


(jetzt als lieber Bub) holt er den König und den Polizisten aus dem Spielzeugkasten und begräbt auch sie. Sie seien böse gewesen. (Vor­ her hat er sie vor der möglichen Bestrafung gerettet und gesagt: «Selbst Bomben können ihnen nichts machen.») Jetzt, als der liebe Bub der Mutter, werden auch diese weggeschafft.

«Vielleicht wollte er Milch; aber er war böse» Stefan scheint heute friedlich gestimmt zu sein. Er baut mit Holz­ klötzen. Dann spielt er längere Zeit mit dem Huhn, das Eier legen kann. Von Zeit zu Zeit nimmt er dieses Huhn und versenkt sich kon­ templativ ins Eierproduzieren. Er schaut, wie die Eier durch eine leichte Druckbewegung mit der Hand auf den Rücken des Huhns herauskommen, so wie kleine Kinder manchmal die rollenden Rä­ der ihrer Spielautos beobachten. Plötzlich springt er auf mich zu, greift mich an und will mich beissen, schlagen. - Ich: «Wer bist du denn?» - Er: «Ich bin ein Hund.» - Ich: «Wer bin ich?» - Er: «Du bist eine Kuh. Ich bin ein Wolfshund.» - Als er sagt, ich sei eine Kuh, beginnt er mich wie ein Wilder an imaginierten Brüsten zu reissen Ich lasse d ies teils zu, teils wehre ich ihn ab. (Es war kein Triumphierenwollen, keine Ver­ bissenheit, es war «ernsthaft» gemeinte, aber spielerische Wild­ heit.) Er greift immer wieder an. Er sei ein Bernhardinerhund, ein Bernhardiner-Wolfshund (ein lieber und gefährlicher Hund). - Ich: Ob er Hunger habe, ob ich ihm etwas geben solle. - Er kann nicht antworten. Schliesslich gelingt es ihm nach Beendigung des Spiels, seinen dunk­ len Drang und seine Intentionen in Bildern und mit Hilfe der Spra­ che auszudrücken: Am Ende der Stunde sitze ich am Schreibtisch; Stefan steht neben mir. Ich frage ihn, was ich jetzt schreiben solle. Ich wolle das Spiel von heute aufschreiben, und er werde mir sa­ gen, was ich schreiben solle. Er diktiert mir: «Die Kuh, der Bern­ hardiner; der Wolfshund wollte die Kuh fressen. Vielleicht wollte er Milch, aber er war böse. Nein, es ist nicht wahr. Ich wollte nicht Milch. Es ist nicht wahr. Er hat die Kuh gebissen. Er war böse; er wollte die Sonne schlagen, und da ich die Sonne nicht fand, habe ich 147


die Kuh geschlagen. Die Sonne war zu hoch, da wollte ich eine Kuh

schlagen.» - Die Sonne und die Kuh können als ein Symbol für Va­ ter und Mutter angesehen werden. Das «Problem» für Stefan lau­ tet: Die Sonne (der Vater) steht für Stefan «zu hoch». Alles Rivali­ sieren und Sichidentifizieren führen zu nichts. Der übermächtige Vater ist unerreichbar und unerschütterlich (siehe Seite 169, die Gott-Vision seines Vaters). Die Lust, die Kuh anzugreifen, sie aus­ zurauben (orale Gier, die nicht gestillt und besänftigt werden konn­ te), besteht noch. Jedoch sind das Bösesein und die Hassgefühle weitgehend auf den Vater verlegt. Es handelt sich bei diesem Diktieren um einen Versuch Stefans, sich über seine Beziehung, seinVerhalten, seine Wildheit beiden Eltern­ teilen gegenüber mit Hilfe von Phantasie und Besinnung «Rechen­ schaft» zu geben, um aus innerer Verwirrung und Abwehr heraus­ zukommen.

Manchmal ist es schwierig, mit Versagung und Unlust fertigzuwerden Das Mutterbrust-Thema beschäftigte Stefan während mehre­ rer Stunden. Ich muss mit der Mutterfigur aus dem Badezimmer kommen (Kas­ perlespiel). Er wirft sich auf die Mutter, schlägt sie, vor allem auf die Brust. (Unterbruch und Gespräch über Mutterbrust, Milchflasche, Milch trinken usw.) - Wir spielen weiter. Ich sage: «Die Kasperle­ mutter hat ein Baby. Wie lange darf es wohl an der Mutterbrust trinken?» - Stefan: «Bis es vier Jahre alt ist.» Dann bekomme es die Tasse. Er will es spielen. Das Baby spielend, lässt er dieses die läng­ ste Zeit einfach auf die (umgekehrte) Tasse trommeln (die Unlust abwälzen), bis es dann endlich daraus trinkt. Bald darauf wirft er sich wieder auf mich, und - wie früher - reisst er mich an den imaginierten Brüsten, wie ein Wilder. Er will nicht aufhören. Ich spreche kurze Zeit vom Unterschied zwischen meinen «Brüsten», vom Unterschied zwischen den Brüsten des Vaters und der Mut­ ter. Daraufhin verlässt ihn die Lust zu spielen. Er geht herum, nimmt Gegenstände und legt sie wieder weg oder «tschuttet» Spiel148


zeuge am Boden herum. Das Mutterbrust-Thema hat Unlust, ein Unbehagen hinterlassen, mit dem er nicht fertigwerden kann. Er braucht Beruhigung, Entspannung. Was kann man da schon ma­ chen, wenn die Mutterbrust nicht kommt? Stefan versucht schliesslich, Gummibänder über ein Lineal zu spannen, um auf mich zu schiessen. Es gelingt ihm aber nicht. Nach einigen vergeblichen Versuchen sagt er plötzlich: «Ich nehme dir alle Kasperlefiguren weg und verkaufe sie.» Er nimmt sie alle, geht, als wolle er sie verkaufen gehen, und bringt sie dann, den Verkäu­ fer spielend, zu mir. Ich kaufe sie ihm ab. - Ich: «Ich kann sie g ut gebrauchen, ich werde mit einem Knaben damit spielen.»

«Ich bin Gott» Stefan nimmt, wie fast immer, alle gefährlichen und bösen Tiere aus dem Kasperlematerial. Ich nehme den Bruder von Kasperle und sage: «Ich bin ein Freund und will mit euch spielen.» Daraufhin lässt St efan alles liegen und fängt an, menschliche Figuren mit Pla­ stilin zu formen. (Er will keinen «Verbündeten», er will aus sich her­ aus, ungestört, etwas hervorbringen.) Er formt kleine, primitive, menschenartige Wesen und sagt, Gott habe sie gemacht. Er sei Gott. Ich frage, wie alt die Figuren seien. Er: «Nur zwei Jahre alt.» Sie s pielen miteinander, spielen «Versteckis». Dann beginnt er die Lehmfiguren in die Länge zu ziehen. Er meint, sie würden jetzt grösser. Sie zerreissen aber, und darauf beginnt er sie mit Vergnü­ gen zu zerreissen und will, dass ic h dabei mithelfe. - Dann folgt wieder eine aufbauende, «schöpferische» Phase: Die Lehmfiguren werden wieder grösser, älter, drei-, vier-, fünfjährig. Er drückt die Figuren immer höher hinauf, indem er unten immer wieder einen neuen Klumpen Plastilin ansetzt. Bis eine Figur dreiunddreissigjährig wird (das Alter seines Vaters). Mit einem anderen Plastilinkind wiederholt er das bis neunundvierzigjährig, und von da springt er auf hundertjährig. Zeitweise lacht er laut, um so lauter, je höher die Figur wird. Das Ding sah aus wie ein riesiger Penis. Er lachte wie wild. (Lacht nur er? L acht das Unbewusste mit? Es w ar ein tolles Gelächter des jungen Pan, beinahe ein Satyrspiel.) 149


Zwei Stunden später wiederholt Stefan dieses Spiel. Er nimmt wieder alle Bösen, um der Stärkste zu sein. «So kann ich alles ma­ chen, was ich will», fügt er einmal hinzu. (Er braucht auch keine «Verbündeten», die doch in irgendeiner Weise immer wieder stö­ ren.) Im Verlauf des Spiels, beim Auseinanderreissen der immer grösser werdenden Figuren, muss ich wieder mitmachen. Dabei beginnt er mir das Material wegzureissen, das ich vorbereite oder ihm geben will, und schliesslich entsteht ein Spiel mit den Lehm­ stangen, die wir einander rauben und abreissen, hin und zurück. Er lacht wieder wie wild. (Ein tolles «Männerspiel».) Wir sprechen dann über Riesen und über das, was wir alles machen könnten, wenn wir Riesen wären.

Die unverzeihliche, schwere Beleidigung durch den König Wir spielen Vater und Sohn. Ich bin der Vater (die Königsfigur) und arbeite in meinem Büro. Stefan spielt den Sohn (Kasperle). Er will ins Zimmer kommen. Ich lasse ihn nicht herein (Verweige­ rung). Kasperle holt die Prinzessin, und sie klopfen beide, schlagen vielmehr an die Tür. Der Vater weist sie zurück. Dann sagt Kasper­ le bittend: «Aber die Prinzessin darf doch hineingehen?» - Ich: «Gut, ja, sie d arf hereinkommen.» (Ich spiele die Bevorzugung der Mäd­ chen durch den Vater.) Stefan lässt nun den Kasperle einfach liegen, «verlässt» ihn. Zuerst sieht es so aus, als anerkenne er das Tun des Königs. Er wehrt sich nicht, schliesslich hat er selber vorgeschla­ gen, die Prinzessin könne doch hinein. Jetzt sagt er aber: «Das Mon­ strum frisst den Kasperle», und er nimmt das Monstrum und frisst ihn. - Was soll das heissen? Stefan kann nicht wütend (eifersüchtig) werden, und er will sich nicht unterwerfen; also bleibt nur eines: sich selber zu beseitigen, indem er sein eigener «Mörder» wird (durch Identifizierungswech­ sel) und so in fiktiver Weise überlebt(?) (siehe Seiten 153/154). Ich spreche mit Stefan über das Monstrum, kann aber seinen Bemerkungen nichts Vernünftiges entnehmen. Ich schlage ihm ei­ nen Rollenwechsel vor: Er ist der König, und ich bin Kasperle. Ich darf jetzt als Kasperle ins Zimmer kommen, immer wieder in das 150


Zimmer des Königs kommen, wo ich an einem Tisch auch zeich­ nen darf - wie der König. Wir sprechen darüber, wie schön das sei, mit dem Vater zusammen sein und auch zeichnen zu können. Ich schlage ihm noch einmal eine Rollenumkehr vor, und ich als Kö nig lade ihn ein, hereinzukommen, wie er es mit mir machte. Aber er kommt nicht, will nicht hereinkommen, versteckt den Kasperle unter dem Diwan, nimmt dann noch alle Kasperlefiguren und das Zusatzmaterial und bringt alles unter den Diwan. Dann nimmt er das Krokodil und den Teufel und sagt: «Ich will den König (mich) fressen», wirft sich auf diesen und frisst ihn. Stefan konnte meine am Anfang vorgenommene Intervention (Verweigerung, den Kasperle hereinzulassen) nicht ertragen.

«Alle Leute sind tot, nur du und ich leben» Stefan spielt wieder einmal den Wolfshund mit mir, ich muss den Teufel spielen (Maskenspiel). Er versucht mich zu beissen. Ich muss ihn wieder an die Grenzen erinnern. Ich lasse ihn spüren, dass ic h körperlich stärker bin als e r. Ich entferne meine Teufels­ maske. Als er meine körperliche Überlegenheit spürt, sagt er, er sei auch stark. Er wirft sich mit den Schultern gegen die Wand des Zimmers und schlägt mit den Fäusten dagegen. Daraufhin wird er ruhiger. Ich sage ihm, wir hätten nun gekämpft, jetzt könnten wir vielleicht etwas zusammen machen. Er ist einverstanden. - Ich: «Was machen wir?» - Er: «Wir sind beide Teufel, wir fressen einem kleinen Knaben die Hand.» (!) Ich protestiere und frage, warum so etwas tun. Stefan beharrt auf seiner Idee und holt die Maske des Knaben. «Nein, wir fressen ihm die Ohren», sagt er. Dann holt er die Polizistenmaske. Er fresse diesem die Hände (die schlagende Hand des Vaters?). Ein Auto hätte ihn zudem überfahren, er sei ganz platt. Stefan frisst noch andere Figuren und meint schliesslich: «Alle Leute sind tot, nur du und ich leben.» (Dualunionistische Ver­ einigung: Wir zwei sind zusammen und allein, niemand kann uns stören; ausserdem sind wir unbestreitbar auch die Stärksten.) Ich frage: «Was machen wir jetzt?» - Stefan: «Wir gehen spazie­ renfahren.» - Ich: «Wohin?» - Er: «Nach Italien.» Dort seien Leute, 151


die wären nicht tot. Nur hier seien alle tot. Wir seien dann dort lieb; sie wüssten nicht, dass wir böse gewesen seien. - Wir kaufen eine Vespa und fahren - auf zwei Stühlen - nach Italien. Dahinter verbirgt sich, wie schon angedeutet, der Wunsch nach (Wieder-)Herstellung einer dualunionistischen Vereinigung, in der sich das Kind vor Übergriffen und Eingriffen einer feindlichen Aussenwelt und gegen die von innen kommenden, schmerz- und unlust­ vollen Erinnerungen geschützt fühlt; eben: «alle Leute sind tot, nur du und ich leben» (hinzugefügt: wir sind die Stärksten). Ich muss Stefan häufiger als früher an die Grenzen erinnern und ihn festhalten. Er versucht zu beissen, zu schlagen, zu erdrücken. Hin und wieder lacht er dabei. Das Fressen (Beissen) dominiert. Manchmal scheint er wirklich weh tun zu wollen. Er freut sich, wenn ich ihm sage, es tue mir weh. Der angegebene Grund ist immer wieder derselbe: Der andere wolle ihn fressen oder töten. Zuweilen verliert er sich fast im Aggressivwerden, wird wild, gibt Fusstritte. Er kann es aber immer zulassen, dass ich ihm Grenzen setze; er muss aber häufiger handgreiflich daran erinnert werden. (Wir stehen hier vor der Problematik, die sich im Test im Faktor s [Aggression] kundtut und ein «hereditäres Triebschicksal» anzeigt.) Im «normalen» Verhalten sind Stefan das Sichwehren und An­ greifen eher zuwider. Wenn er mich angreift, ist es doch nicht mei­ ne Person, die angegriffen wird. Der Drang scheint von «anders­ woher» zu kommen. Einige Male hat er mich als ein Baby behandelt, das «Caca» ma­ che und böse sei. Er schlug mich, ich mache «Caca» in die Hose (was lange Zeit eines seiner «Symptome» war). Als er einmal aner­ kennen musste, dass er der Mutter kein Kind machen könne, sagte er: «Ja, die Mutter ist deswegen traurig.» - Er selber wollte früher als der «böse Mann» und der stärkste Mann ein Baby ganz für sich haben, es besorgen und behüten. (Vermutlich aus Neid und Hass der kindermachenden Mutter gegenüber - er hatte zwei jüngere Schwestern.) Der Hass gegen die Vaterfigur und der Drang, ihn zu töten, zu beseitigen, erscheinen immer wieder. Zwischenhinein spielt Stefan eine Kussszene der Mädchen mit dem Vater, die er mit intensiver 152


Anteilnahme inszeniert. Auch er als Kasperle verküsst dabei den Vater (König) die längste Zeit und bringt ihm dann das Messer und die Pistole als Geschenke. Er sei doch der Stärkste (Wiedergutma­ chung als Rückerstattung). So schenkte er mir einmal sein Sack­

messer. - Oder ist es Unterwerfung? Sich zum «Mädchen des Va­ ters» machen? Es war schwierig zu entscheiden, ob Kastrationsangst von Ste­ fan erlebt werden kann. Das «Thema» schien ihn eher zu amüsie­ ren. Angst, Schrecken, Hass und Liebessehnsucht dem Vater gegen­ über sind bei Stefan von sehr primitiver Art. Wahrscheinlich konn­ te der Vater weder als i ntermittierend erscheinendes SymbioseObjekt, als ei n ihn bedingungslos liebendes und tragendes Objekt (tragen = zusammenhalten), noch als ein «dualunionistisches» (das man erinnern und ersehnen, erwarten kann) von ihm in «ausrei­ chender Weise» erlebt werden. Folgende merkwürdige Reaktion wird sich in ähnlicher Weise später wiederholen: In einem Kasperlespiel kommt es d azu, dass ich den Teufel habe und dazu noch den magischen Gürtel. Ich bin also der Stärkste, derjenige, der nicht besiegt werden kann. Ich sage es ihm ausdrücklich. - Was tut Stefan in dieser aussichtslosen Situation? Er nimmt eine zweite Kasperlefigur, er hat in jeder Hand eine, vergleicht sie und tötet mit der einen Figur die andere mit der Bemerkung, er habe diese weniger gern, das heisst, er spielt in der aussichtslosen Situation ein Spiel für sich: Da sind zwei, einer muss sterben, und zwar der andere, nicht ich. (Dies gleicht dem Spiel auf Seite 150). Eine Szene aus dem Alltagsleben: Als Stefan sechsjährig war, starb seine Urgrossmutter. Diese hatte ihm einmal gesagt, sie wer­ de dann vom Himmel herunter sehen können, wenn er Dummhei­ ten mache. Die Familie reiste, die Ferien verkürzend, heim zur Beerdigung. Im Auto, als von der Verstorbenen die Rede war, be­ gann Stefan plötzlich laut zu singen: «Grossmutter, die Grossmut­ ter ist gestorben, aber ich lebe noch!»

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Vom Sterben und Unsterblichsein Es entsteht ein längeres Gespräch über das Sterben. Stefan will nicht sterben, nie sterben. Als ich im Gespräch sage, nur Gott ster­ be nicht, meint er, er wolle Gott sein. Er weint sogar ein wenig (so etwas wie Schluchzen) und lehnt sich an mich. Er erfindet ein Para­ diesland, in dem man nicht sterben kann. «Ich esse immer viel,

dann sterbe ich nicht. Ich wohne am Meer, du auch, Vater und Mutter auch. Jeder hat eine Burg. Und eine Stadt aus grossen Häu­ sern, eine Stadt aus Glas und ein Schiff. Eine Dame ist auch da, wo man alles kaufen kann. Dann sind auch die lieben Tiere da. Da sind die Elefanten, die töten die Rhinozerosse. Mit den Stosszähnen stossen sie in die Haut, in den Körper der Rhinozerosse.» Am le­ bendigsten wird er, als er sagt: «Und die bösen Wölfe töten wir. Wir haben Gewehre.»

Nicht sterben, Unsterblichkeit, bedeutet für Stefan: Alle Bösen werden getötet, und alle lieben Tiere und lieben Menschen sind beieinander, miteinander; sie können alles kaufen und haben, kon­ sumieren (viel essen). Es ist der Allmachtstraum des Säuglings und Kleinkinds, aus d er Zeit, in der sie - wie man sagt - «illusioniert» werden müssen, bevor sie allmählich durch die Realität desillusioniert werden. Die Allmachtsansprüche (die Illusion) heissen: All«Liebe», All-Verfügbarkeit und All-Gegenwart der Liebesobjekte. Warum aber wird Stefan durch das «Töten der Bösen» so sehr fasziniert? Gehört das auch zum Traum vom Paradiesland? (Zu den Allmachtsansprüchen?) Denn alles endet mit dem Kampf der Ele­ fanten gegen die Rhinozerosse und mit dem Töten der bösen Wöl­ fe und dem Schlusswort: «Wir haben Gewehre.» - Mit Melanie Klein könnte man sagen: Die Todestriebe sind bei Stefan stärker als die Lebenstriebe resp. die Liebestriebe, wie es im besonderen bei psychotischer Erkrankungsgefährdung festgestellt werden kann. Nur hat man Mühe, sich mit einem bloss quantitativen Abwägen von Kräften «abspeisen» zu lassen. (Melanie Klein ist auf diesem Problemgebiet einige Schritte weitergegangen mit ihren Bemer­ kungen über die Entwicklung der Fähigkeit zur Integration beim Säugling und Kleinkind.) 154


Stefan kann sich ausnahmsweise auch wie ein kleiner Ödipus äussern. Seine Mutter war krank. Er sagte es mir beim Hereinkom­ men und fügte hinzu: «Ein Arzt muss mich lehren, Einspritzungen zu machen. Ich will der Mutter Einspritzungen machen.» - Ich: «Wie, wo?» - Er: «In den Bauch.» - Ich: «Dann willst du vielleicht Arzt werden, wenn du gross bist?» - Er: «Nein, nur Arzt für die Mutter. Ich werde ...» (Er nennt den Beruf seines Vaters.)

Vom schützenden Mutterbauch Ich glaubte zu wissen, dass b ei Stefan einige äussere, die Ent­ wicklung ungünstig beeinflussende Faktoren (vor allem die häufige Abwesenheit der Eltern) vorgelegen haben. Er teilte diese äusse­ ren Umstände mit seinen Geschwistern und genoss als Knabe eine eher erhöhte Zuwendung von selten der Mutter, zum Teil als Aus­ gleich für die reduzierte väterliche Zuwendung. Es ging mir bei dem folgenden Versuch darum, das - vielleicht doch vorliegende innere Mutterbild im Sinn einer schützenden und hilfreichen Mut­ ter bei Stefan zu erfassen und eventuell zu verstärken. Die Gründe waren die folgenden: 1. Dieses Bild erscheint in seinen Phantasien und Spielen selten. 2. Stefan erschien mir wie teilweise fixiert durch symbioseartige Sehnsucht nach einem lieben Vater, der aber (wegen Enttäuschungs­ erlebnissen) nur als ein aggressiv-böser und vernichtender Vater in der Phantasie von Stefan funktionieren konnte. 3. Die Beziehung zur «Mutterbrust» war eine weitgehend aggres­ siv-sadistische. Die drei Punkte stehen in einem engeren Zusammenhang mit Stefans Erkrankungsgefährdung: Schizomanie oder maniforme Er­ krankungsgefährdung. (Dies war dann zehn Jahre später in der Kli­ nik die Unsicherheit beim Psychiater: Schizo oder Manie oder bei­ des?) Dos Spiel vom schützenden Mutterbauch

Es gelingt mir in einem Rollenspiel, Stefan aus seinem rigiden Spiel­ schema herauszuholen. (Sein Spielschema: Ich bin der Stärkste, so 155


kann mir nichts geschehen; ich töte alle, so kann mich niemand tö­ ten.) Stefan spielt den König, ich muss das Krokodil spielen. Als Kro­ kodil mache ich Stefan den Vorschlag, ich würde ihm, dem König, helfen und ihn gegenüber den Bösen schützen. Wir beginnen das Spiel. Aber Stefan gibt seine Rolle bald auf. Er weiss nicht recht, wie weiterspielen. (Er will doch nicht geschützt werden, sondern die Bösen beseitigen.) Ich schlage ihm vor, ich sei ein Wolf, und er sei einfach Stefan, und wir beginnen ein Rollenspiel. Er ist sich selber. Ich mache ihm als Wolf Angst. Er flieht und rettet sich, indem er in die Spielzeugkiste (von ihm «erblickt») hineinspringt (eine Truhe mit grosser Rückwand und Deckel). Ich fasse die Gelegenheit beim Schopf und organisiere ein Spiel. Je nach Distanz zwischen uns beiden wagt er es, aus der Kiste her­ auszukommen oder springt wieder hinein. Ich «suggeriere» ihm, er könne wie ein kleines Känguruh wieder in die Kiste, in den Beutel der Mutter springen, und die Mutter würde ihn dann mit sich neh­ men. Er rennt jetzt auf die Bedrohung meinerseits schnell zurück in die Kiste. Wir vereinbaren, dass er sich immer ein wenig weiter von der Kiste entferne. Er tut dies, bis er dann schliesslich «frei» vor mir herumspringt, mit dem Risiko, erfasst zu werden und sich losschütteln zu müssen. Das Spiel gleicht allgemeinbekannten Kinderspielen, bei denen man sich nicht erwischen lassen darf, verfolgt wird oder sich ver­ stecken muss. Es schien mir, dass ein solches Spiel ein angezeigtes Vorgehen sein könnte.

Fünfzigste Stunde Stefan ist nun siebeneinhalb Jahre alt. In dieser und der folgen­ den Stunde habe ich ihn (im Stil der «aktiven Wachtraumtherapie» von R. Desoille) eine «Geschichte» erfinden lassen. Das Erzählen dauerte ungefähr fünfzehn Minuten. Es gin g mir darum zu erfah­ ren, wie Stefan ganz «von sich aus», «mit sich» beschäftigt, phanta­ siert, ohne dass körperlicher Bewegungsdrang und die damit ver­ bundenen Affektregungen (die Wildheit) zum Zuge kommen kön­ 156


nen. Ich muss betonen: Es handelt sich dabei nicht um gewöhnliche Wachträumerei. Der «Träumer» wird in indirekter Weise «geführt». «Aufstieg» und «Abstieg» und andere Massnahmen verhindern, dass er in bloss kompensatorische oder beschwichtigende, angenehme Wachträumereien auszuweichen beginnt. Bei Kindern muss (beim Vorgehen, der Methode) einiges verändert und anderes der Initia­ tive des Kindes überlassen werden. Stefan sitzt am Boden, mit dem Rücken gegen den Diwan ge­ lehnt, und erzählt mit offenen Augen. (Er kann sie nicht geschlos­ sen halten.) Erster Wachtraum Gegebene Ausgangssituation: Stefan geht auf einem Weg immer

tiefer in die Erde hinunter. Abstieg: Er sieht einen Werwolf. «Es sind Werwölfe, nein, Men­

schenwölfe; die sind noch gefährlicher.» - Ich interveniere, um der möglicherweise eintretenden Angst und seinen Allmachtsphanta­ sien zuvorzukommen: «Wo ist Crin-Blanc?» (Das weisse Pferd, von dem Stefan oft gesprochen hatte.) - Er: «Ich reite auf dem weissen Pferd, ganz schnell, so kann der Wolf mich nicht fressen. Ich reite hinunter. Ich sehe ein kleines Kaninchen. Es wird vom Wolf gefres­ sen. Ich nehme es auf mein Pferd. Ich sehe eine kleine Schildkröte. Man weiss nicht, wo sie ist. Das Pferd tritt nicht absichtlich auf die Schildkröte. Es hat sie nicht gesehen. Es hat sie zerdrückt. Es woll­ te aber nicht. Ich sehe einen grossen Hund; ich nehme ihn auf mein weisses Pferd. Und jetzt einen Kater. Das Pferd zerdrückt ihn, weil er böse war. Jetzt sehe ich eine Katze und einen Elefanten. Dieser will das weisse Pferd erdrücken. Aber es ist schnell hinausgesprun­ gen. Es hat ein Loch gemacht und ist hinausgesprungen, ein grosses Loch, so gross wie ein Haus. Wir sind draussen. Der Elefant ist im Ozean gewesen und wollte schwimmen, aber er ist ertrunken.» Das Absteigen in die Erde geht nicht sehr weit. Die Angst, von einem Elefanten angegriffen zu werden, drängt Stefan und sein Pferd aus der Erde hinaus. Es erscheinen aber Gedanken und Bilder vom Retten und Schützen. Alles sieht eher friedlich aus. Er kann sich retten mit einem Pferd. Andere haben Unglück. (Eigentlich ist er 157


gar nicht hinuntergegangen, sondern eher in einen Berg [man den­ ke an «bergen»] hinein, bis Angst ihn wieder «hinauswirft».) Aufstieg: Stefan will mit den Flügeln eines Adlers aufsteigen. «Ich gehe ganz hinauf, bis in den Himmel. Ich werde Engel und Gott sehen. Ich will sehen, wie Gott ist. Ich habe ihn in meinem Leben noch nie gesehen. Ich sehe Engel und Gott. Ich sehe Josef und Ma­ ria. In früheren Zeiten waren sie ganz froh, wenn sie im Himmel waren. Jetzt aber habe ich gefunden, wie man nicht sterben muss.» Aufstieg auf einen Berg: «Ja, a ber da sind Böse, graue Wölfe. Ich habe den Weihnachtsmann gefunden. Mit dem Helikopter sind wir weggeflogen. Ich war auf dem Gepäckträger, er hat mich gerettet. Dann haben die Wölfe ein ganz kleines Känguruh gesehen und ge­ fressen. Alle Leute lieben das Känguruh, nicht wahr? Sogar Gott, nicht wahr? Und die Mutter Känguruh! Ein kleines Baby-Kaninchen habe ich zu mir genommen. Die Mutter Känguruh war böse auf die Wölfe. Aber die Wölfe haben alles gefressen, Mutter, Vater und Kinder. Das ist traurig. Aber nicht die Löwen; die Löwen haben sie nicht gefressen.» Auch hier erscheint wieder - nach dem Thema

von Schutz, Schutzlosigkeit und von Rettung - der Wunsch und Gedanke des im Grunde Hilflosen und Schutzlosen: Löwe sein können, der Stärkste sein, der Allmächtige, um so für immer die «undenkbaren Ängste» loswerden zu können («Scheinerlösung»: der Traum vom «Reiten auf einem Löwen»), Zweiter Wachtraum

Ich ermuntere Stefan, sich auf einer Wiese vorzustellen, wo er spaziere. - Stefan: «Ich sehe einen Wolf und ein Krokodil. Ich sprin­ ge auf mein weisses Pferd, und es nimmt einen Stein und wirft ihn auf den Wolf.» (In diesen Tiergeschichten sind es schützende Tiere, welche die bösen Tiere angreifen und beseitigen.) «Ein Polizist sieht das und sagt: böses Pferd. Aber es ist ein liebes. Ich sehe jetzt den grauen Wolf. Ich rufe den Elefanten, und während der graue Wolf schläft, zerdrückt der Elefant ihn. (Diesmal funktioniert der Verfolger-Elefant als Verbündeter («Alles-sein», «Beides-sein»). Abstieg: «Ich sehe überall Wasser bis über den Kopf.» - Ich frage ihn, ob er eine Tauchermaske mitnehmen wolle. - Er: «Ja, aber ich 158


nehme die Maske eines Elefanten mit einem langen Rüssel, und daran sind lange Zähne, das wird ihm weh tun.» - Ich: «Wem?» - Er antwortet nicht. (Er geht in einen Berg hinein.) «Ja, ich sehe einen Tiger und ein Rotkäppchen. Ich nehme es auf mich, und so wird es nicht gefressen. Das weisse Pferd ist vom Wolf gefressen wor­ den^). Wir haben das schwarze Pferd gefunden, und nachher wur­ de es gefressen, und wir haben das braune Pferd gefunden. Dieses wird nicht gefressen. Es is t das s tärkste Tier. Die anderen hatten kein Glück!» «Es ist da drinnen zu warm, denn die Erde ist zu dick. Man kann Sommer und Winter drin schlafen. Das braune Pferd hat es d em Elefanten gesagt. Dieser hat alle schlafenden Tiere zerdrückt.» «Wir sind ein Paar, alle anderen sind <weg>.» «Der Elefant und das braune Pferd haben getrunken und waren froh. Das braune Pferd sagt: Ich trinke gern Milch. Der Elefant gibt Milch, es war eine Mama, sie hatte Milch. Der Elefant sagt: Ich esse gern Holz. Das braune Pferd sucht Holz für den (Milch gebenden) Elefanten.» Zum ersten Mal erscheint bei Stefan die Vorstellung von einem friedlichen Zusammensein mit einem Mutterrepräsentanten, verbun­ den mit aktiver Besorgnis um diese «Mutterfigur». Ich sage Stefan, die beiden würden nun auf die Erde hinauf- und hinaussteigen. Stefan: «Ich kann nicht mehr alles sagen, weil ich zu heiss habe.» Ich: «In der Erde?» - Er: «Ja, w ir gehen hinauf, wir wohnen dann immer zusammen.» Er schaut mich an. - Ich: «Wer bist du?» - Er: «Ich bin das braune Pferd, und du bist der Elefant, der dicke Ele­ fant. Der kann die Autos zerdrücken.» (Eine Mutterfigur, die alles von aussen oder innen Kommende und Störende beseitigt.) Die Frage stellt sich: Welche Rolle spielt in der Phantasie Stefans der Wunsch nach einer allmächtigen Mutterfigur, die ihn vor den gefährlichen «Autos» schützen könnte (dem gefährlichen Vater), nach einer Mutter, welche die Stärkste ist. - Die Frage stellt sich ebenfalls, inwiefern der Drang nach Verfolgung und Beseitigung des Vaters eine Folge der in Wirklichkeit ungenügenden, anfänglich (nach der Geburt) vermissten, «rettenden und schützenden Mut­ terfigur» gewesen ist und eine Zuwendung zu ihm nicht möglich 159


war. Es scheint: Weder die Mutter noch der Vater konnten für Ste­ fan zu einem «hilfreichen Objekt» werden, das heisst zu einem be­ friedigenden und befriedenden resp. guten und Wiederherstellung bringenden Introjekt (Wiederherstellung meint «zusammengehal­ ten werden»).

Auffälliges aus den letzten fünfzehn Stunden Der Traum vom magischen Allmächtigsein

Während eines Gesprächs über die Schule und das Arbeiten, das Grösserwerden und Grosssein sagt Stefan, er habe geglaubt, dass es einen magischen Stab gebe, mit dem man alles lernen und wissen könne. Er ist «enttäuscht», als ich ihm sage, das gebe es nicht. Wir sprechen über den Unterschied zwischen «schönen Ge­ schichten» und der Wirklichkeit, in der man auch Dinge erfinden und machen kann. Stefan meint dazu: «Oh, ich weiss jetzt, was ich machen werde, wenn ich etwas nicht weiss. Ich träume, und dann im Traum sagt man mir, wie man es macht. So kann ich es dann.» Ich berichtige. - Stefan: «Das ist traurig. Wenn es den Zauberstab gäbe, dann könnte ich alles machen. Ich könnte ein Sandkorn be­ rühren, und dann wäre es ein Haus. Ich könnte viele Sachen für die anderen machen. Das ist schade.» Er sieht bekümmert und be­ drückt aus. Merkwürdigerweise sagt er noch: «Der Vater weiss es nicht, jedenfalls das Kindermädchen weiss es nicht, dass es den Zauberstab nicht gibt.» Im Spiel, das unserem Gespräch vorausging, meinte Stefan, die Mutter müsse ihm einen magischen Stab geben. Offenbar hat er den am Lebensanfang nicht bekommen, oder er hat ihn nicht finden können zur Zeit, in der die Wünsche und Begehren sich wie von selbst erfüllen sollten (D. W. Winnicott, «Omnipotenzerfahrungen» am Lebensanfang). Nicht loyal sein können

Wer sich «im Grunde» schwach und ohnmächtig fühlt, wer von innen her Vernichtungsängsten ausgesetzt ist und sich als das mög­ liche Opfer übermächtiger innerer und äusserer Angreifer und Ver­ 160


folger fühlt, hat es schwer, loyal zu sein, auf List, Betrug und Verrat zu verzichten. Es is t, als hätte man ein Recht, nicht loyal zu sein (nicht ehrlich, nicht rechtschaffen, nicht zuverlässig). Im Kasperlespiel hat Stefan mit der Schlange und dem magischen Stab mehrere Figuren getötet. Seine Stimmung ist gut, obschon ich längere Zeit als der Stärkere auftrete. Ich «benutze» seine Stimmung: Als König wehre ich mich gegen sein Töten und sage, der magische Stab könne mir nichts machen. Ich sei der König. - Ich, mit ernster Stimme: «Du tötest mich nicht!» - Er verspricht, mich nicht zu tö­ ten, und gibt meiner Figur, dem König, sogar einen Kuss mit seiner Kasperlefigur. Dann tötet er den König aber doch mit seinem magi­ schen Stab. Ich protestiere. Wir spielen die Szene noch einmal. Wieder kommt es zum Versprechen, zum Kuss und zum Verrat (Überlisten). Ich «schimpfe». Er ist gar nicht beeindruckt. Wahr­ scheinlich fühlt er sich unendlich mehr verraten, als es da diesem König geschieht, der sich anmasst, man dürfe ihn nicht töten (be­ seitigen). Der schützende, allmächtige Gott

Nachdem Stefan als starker König mit den bösen Tieren ge­ kämpft und dann für sich ein Schloss gebaut hat, formt er mit Plasti­ lin hässliche Köpfe und stellt sie auf ein Brett. Sie würden den Kas­ perlefiguren angst machen, meint er und setzt sich hinter die häss­ lichen Köpfe. Ich muss mit allen Kasperlefiguren kommen; sie müs­ sen Angst haben. Die kleinen Teufel - so nennt er sie jetzt - könn­ ten nicht sprechen; sie sprächen eine andere Sprache. Stefan spricht mit ihnen Kauderwelsch. Dann aber, durch Einwirkung mit dem magischen Stab, können sie doch sprechen. Einer unter ihnen sei der Vater. Plötzlich tritt Stefan selber gross auf: «Ich bin der Gott der kleinen Teufel.» - Ich: «Wo wohnen die kleinen Teufel?» - Er: «Wir wohnen in Asien.» - Ich: «Was macht ihr dort den ganzen Tag?» - Er: «Wir schlagen einander, kämpfen miteinander und schauen, wer der Stärkste ist.» Er spricht dann längere Zeit Kau­ derwelsch. Ich frage ihn: «Und wenn jetzt das Krokodil, der Bär oder der Wolf käme?» Er als Gott der kleinen Teufel sagt: «Ich töte sie mit dem Messer.» 161


Stefan will den Menschen- und Kinderfresser einführen. Ich ver­ weigere und sage: « Ich werde ihn verwandeln.» Stefan ist einver­ standen und meint: «Er muss ein Kind werden» (Kind sein = schwach sein = «nur» ein Kind sein). In Stefans Phantasie haben sich der Unterschied zwischen Erwachsensein und Kindsein und das Gefühl

und die Annahme von «Überlegenheit» Erwachsenen gegenüber Kindern nicht «richtig» entwickeln können. Innerhalb der Odipussituation heisst das: er ist der Vater; bei Stefan oft: ich bin stärker als d er Vater; er kann ihn nicht werden. Im darauffolgenden Spiel erweist es sich, dass der Wolf wieder einmal der Vater ist. Dann aber, da sich Stefan mit dem Wolf iden­ tifiziert, ist er zugleich stärker als der Vater. Mit dem Wolf identifi­ ziert, dem Stärksten, erzählt er vom Vater, dieser sei manchmal ein Böser, er (Stefan als Wolf) töte ihn, weil der Vater die Mutter für sich allein haben wolle und den Kasperle verjage. Dann (nach voll­ endeter Tat) meint Stefan, auch Kasperle sei manchmal ein Böser, weil er die Mutter für sich allein haben wolle; als Wolf frisst er auch den Kasperle. - Stefan ist immer der Stärkste, bald dem Vater, bald dem Sohn Kasperle gegenüber. Man ist versucht zu sagen: Stefan als Wolf ist sein eigenes Über-Ich (frisst den «bösen» Vater und sich selbst). Zum Schluss der Stunde kommt Stefan auf die kleinen Teufel zurück mit der Bemerkung, er wolle doch lieber den kleinen Teufel spielen und Steine auf den Vater werfen. Andeutungsweise mag da­ rin eine Anpassung an die äussere und vermutlich auch innere Rea­ lität liegen: Ich bin nicht der Vater; der Vater wird manchmal böse, ich lehne mich auf und protestiere. Der Vater könnte sehr wohl sterben, den kann man doch wegwünschen, wie man will, oder: das unlösbare Vater-Sohn-Drama

Einmal meinte Stefan, er habe manchmal Lust, den Vater zu tö­ ten; aber er wolle es nicht mehr machen; er mache dann einen Kampf mit Herrn Ringger oder mit den bösen Tieren. Ein anderes Mal sagte er, der böse Vater könne ja i n den Garten gehen und Holz spalten. 162


Stefan will mit Plastilin arbeiten. Er formt ein Haus. Darin woh­ nen dann Vater und Mutter und nur ein Kind. Das Kind gehöre der Mutter; sie habe es gemacht. Die Geschwister seien bei einem Auto­ unfall umgekommen. (Früher; als s chlafende Tiere sind sie in der Erde getötet worden, oder sie gingen mit dem Vater oder mit der Mutter in die Berge.) Ich spiele den Vater und sage na ch einiger Zeit, das Kind gehöre auch ein wenig mir. Er (als Mutter) prote­ stiert. Dann sagt e r plötzlich: «Ich bin der Vater dieses Kindes.» Wir streiten; beide wollen der Vater sein. - Ich sage, er habe ja schon einen Vater und sei ein Kind zu Hause. Er könne nicht schon der Vater sein. - Stefan: «Der Vater kann sterben, dann bin ich der Vater.» Ich sage: «Dein Vater stirbt nicht, er ist gesund und stark.» - Stefan: «Doch, er kann sterben, zum Beispiel bei einem Autounfall.» Sofort reisst er das eben gebaute Lehmhaus auseinander, formt zwei Au­ tos und zeigt mir, wie die Autos zusammenstossen. Das Auto des Vaters falle dreitausend Meter hinunter, und dann sei der Vater tot. Wir sprechen vom Böse- und Unzufriedensein Stefans mit dem Vater, was er sich manchmal vom Vater wünsche usw. Der Schulbericht Stefan ist am Ende der ersten Behandlungszeit achtjährig. Die siebzig Behandlungsstunden verteilen sich auf anderthalb Jahre (am Anfang zwei Stunden in der Woche, dann eine Wochenstunde). Der Beruf des Vaters führte zu Ortsveränderungen, weswegen die Be­ handlung abgebrochen werden musste. Der zweite Teil der Behand­ lung erfolgte drei Jahre später mit fünfundzwanzig Stunden in sechs Monaten. Bevor ich zum zweiten Teil übergehe, soll noch der letz­ te Schulbericht der Lehrerin von Stefan erwähnt werden. Stefan hat seine ganze Schulzeit (und auch die spätere «Ausbildung») in Pri­ vatschulen verbracht. Der Bericht stammt von einer älteren Leh­ rerin, die vor dem Zweiten Weltkrieg als Pädagogin in deutschen Reformschulen gearbeitet hatte. Bei ihr erlebte Stefan seine Ein­ schulungszeit (bis zum neunten Jahr). Es waren glückliche Jahre für ihn. (Der Bericht ist aus dem Französischen übersetzt.) «Ich kann dem, was ich schon in meinem letzten Bericht ver­ merkt habe, nicht viel beifügen. Beim Durchlesen desselben finde 163


ich meinen Stefan von heute, vor allem in der Art und Weise, wie er ist, die sich nicht geändert hat. Vergessen wir nicht, dass die Fortschritte vom Herbst bis Weihnachten überraschend gut waren und anhalten; manchmal verlangsamen, dann beschleunigen sie sich. Stefans Verhalten festigt sich ständig; das innere Gleichgewicht und die Harmonie erleiden von Zeit zu Zeit Schwankungen, da er oft von einem Extrem ins andere fällt - einerseits Verlegenheit, Schüch­ ternheit, Furcht, anderseits Heftigkeit, Rücksichtslosigkeit, Tumult. Im ganzen aber ist er viel häufiger in heiterer und ruhiger als in trau­ riger Stimmung. Er ist eine kleine «Elite-Seele», von grösserem innerem Reich­ tum als die Mehrzahl der Kinder seines Alters; ein kleiner Träumer, aber seine Träume sind positiv; lassen wir ihm die nötige Zeit, um da herauszukommen. Er überlegt sehr ernsthaft, viele seiner Uberlegungen sind sehr tief, sehr richtig. - Lässt er uns nicht manchmal an den Kleinen Prinzen von Saint-Exupéry denken? Mit der rein «schulischen» Arbeit kommt er nur sehr mühsam vorwärts. Dank der so wirksamen Hilfe seiner Mutter interessiert ihn das Lesen; er schreibt manchmal mit Vergnügen Wörter. Die Schrift verbessert sich, und in seltenen Momenten macht sein Ver­ ständnis für das R echnen einige Fortschritte. Manchmal nimmt er aktiv an unseren Gesprächen teil; er singt oft mit Freude; seine Zeich­ nungen bezeugen die glückliche Entwicklung in ihm.» Ich kann da nur hinzufügen: Was die Lehrerin schreibt, schreibt sie n icht als P sychologin. Es war eben ihr Stefan. Aber so, wie sie ihn beschreibt, so war er.

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Vordergrundprofile (VGP) Stefan, 7:10-8;0

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Die auffalligsten Testmerkmale sind:

Es lie gt eine Ich-Entwicklungsstörung (Sch) krankheitsbildtypischer Art vor (im Spielen beispielsweise Verfolgungsangst, Ver­ nichtungsangst und Verfolgungsdrang), krankheitsbildtypisch auf­ grund der vorliegenden Existenzformen, der Triebklasse, der Quan­ tumspannungen und der Anzahl der frühinfantilen Ich-Bilder, sieben auf zehn Bilder (siehe Analyse der Testergebnisse bei Stefan, Seite 252). 165


Der Vater Stefans

Der Vater war eine «Konduktor-Person». Seine Mutter musste mehrmals in melancholischem Zustand in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden und war zeitweise in psychotherapeutischer Behandlung. Vorfahren dieser Mutter erkrankten an Epilepsie und Schizophrenie. Der Vater dieser Grossmutter Stefans und dessen Mutter litten an epileptischen Anfällen. Der Vater sagte, Stefan mache ihm Angst; schon als Stefan noch ein kleines Kind gewesen sei, habe er das so empfunden. Stefan gleiche ihm zu sehr, erinnere ihn an Eigenes und mache ihn unsi­ cher. - Die Übereinstimmungen zwischen den beiden äusserten sich auch im Gesichtsausdruck, der Kopfform und der Bewegungs­ art. Die körperliche Grösse und die Statur des Vaters hatte Stefan nicht. (In dieser Hinsicht glich er eher der Mutter.) Solche Ähnlich­ keiten und die Angst hinderten den Vater, eine auf Zuneigung und Hingabe beruhende Beziehung zu seinem Sohn aufzunehmen, was zu einer starken Belastung für diesen wurde.

Der Vater war ein Selfmademan, vom Lehrlingsalter bis zur aka­ demischen Berufung. Wie seine drei Brüder wählte er den Beruf seines Vaters (siehe das «Berufs-Ich» im Szondi-Test). Von seinen Geschwistern scheint lediglich eine Schwester auffällige Entwick­ lungsschwierigkeiten gehabt zu haben. (Ein Neffe soll sich uner­ wartet das Leben genommen haben.) Stefans Vater fand in seinem Beruf allmählich nationale und in­ ternationale Anerkennung. Zwei Unfälle (zu schnelles Auto fahren), ein Selbstmordversuch und sein ihn in den sechziger Jahren errei­ chender Tod (die «Wahl» der Todesart und sein Verhalten der Todes­ gefahr gegenüber) scheinen Geschehnisse und Ereignisse gewesen zu sein, die mit seinen Erkrankungsgefahren, wie sie im Szondi-Test erscheinen, in einem bedeutsamen Zusammenhang stehen. 166


Er war ein liebenswürdiger, charmanter und eigenwilliger Mann, in der Familie wie im Beruf, eine «Künstlerfigur». Als Lieblingskind seiner teilweise erkrankten Mutter soll er ihr oft auf den Knien ge­ sessen und gethront und dabei triumphierend auf seine Geschwi­ ster gesehen haben, erzählte einer seiner Brüder. In seinem priva­ ten Leben schrieb und zeichnete er viel für sich (spontanes Schrei­ ben und Zeichnen). Das Gespräch mit ihm grenzte fast immer an Nonsens wegen seiner eigenwilligen Verwendung der Sprache und der willkürlichen Verwendung von Begriffen, die er kaum zu ver­ deutlichen vermochte. Ein «Einverständnis» war nur möglich, wenn man das von ihm Gemeinte mit seinen Worten wiedergab. Bei sei­ nem Unterrichten soll er die Studenten durch seine geleistete Ar-

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beit, seine Projekte und die damit verbundenen Erklärungen be­ geistert haben.

Zur Existenzform-Analyse (aufgrund der Vordergrundprofile; die EK-Profile wurden nicht aufgenommen) Gefahrexistenzen

Projektives Paranoid (Existenzform 2)

I x

Depression, Melancholie (Existenzform 6) Perverses Verhalten im Sexualbereich (Existenzform 9)

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Hysteriforme Reaktionen (Existenzform 14)

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Schutzexistenzen

0

Anekdotische

Einzelheiten

a) Stefans Vater demolierte zweimal ein Auto wegen zu schnellen Fahrens, ohne selber ernstlich verletzt worden zu sein. b) Er machte in den Vierzigerjahren einen Selbstmordversuch, und zwar legte er sich im Winter in ein halbzugefrorenes Bachbett und wurde - bewusstlos - von einer vorüberreitenden Frau ent­ deckt. (Er kannte diesen Reitweg.) Mehrere Tage lang musste er ins Spital. - Dieser Selbstmordversuch (durch Erfrieren, Faktor k !) war eine Reaktion auf ein Enttäuschungserlebnis im Zusammenhang mit einer Liebesbeziehung. c) Er war als K ind der stetige und durch Zärtlichkeit verwöhnte Liebling seiner Mutter. d) Zum sogenannten «Berufs-Ich» (Sch + 0): Stefans Vater war ein schöpferischer, egozentrischer, eigenwilliger Mensch, genial im Be­ ruf. Er konnte Klienten eigenwillig entgegenhandeln; die dadurch aus­ gelösten Prozesse mussten durch die Kollegen ausgestanden wer­ den. Die drei Brüder von Stefans Vater wie auch Stefans Vater selbst wählten den Beruf ihres Vaters, der eine «Persönlichkeit» in seiner Gegend war. Stefans Vater war Autodidakt. Er benutzte die Sprache beim Schreiben und im Gespräch oft in eigenwilliger Weise, sei es durch 168


willkürliche Zuscheibung von Bedeutungsgehalten oder durch kaum verstehbare Neubildung oder Begriffsverbindungen. e) Stefans Vater machte in den Ferien verschiedene Zeichnungen; davon hielt er folgende für die wichtigste: Er zerbricht als junger Mann mit der Hilfe einer mächtigen Mutterfigur (er steht vor ihr), Gott den Rücken zuwendend, sein Schwert. - Es handelt sich um den Verzicht auf Aggression, vermutlich aus Angst vor ihren sadisti­ schen und kainitischen Komponenten (ThKP), gegen die er sich durch passives oder «masochistisches» Verhalten zu wehren ver­ sucht, entsprechend dem Test (ThKP: s + !!, e -, k - !). Die Sexualbilder, zusammen mit den Affekt- und Ich-Bildern (VGP) ergeben eine freundliche, gutmütige, eine gewisse Selbstzu­ friedenheit und Eigenwilligkeit demonstrierende Person. Die hin­ tergründige sadistische Aggression erscheint verbunden mit Panik­ gefühlen, Kain-Ansprüchen im Affektbereich und im Ich mit Vernei­ nung von Verlassenheit und Weiblichkeit im partizipativen Bereich (Sch - ±). Ein solches Verlassenwerden war am Ende seiner Dreis­ sigerjahre der Grund seines Selbstmordversuchs. f) Der Vater und der verinnerlichte Vater spielen in den Phantasi­ en Stefans eine grosse Rolle. In dieser Hinsicht soll hier eine Ant­ wort des Vaters, die letzte Antwort zu Tafel 10 des Rorschachtests, erwähnt werden: «Das Ganze lässt mich an das Bild eines Gottes denken, den man nicht sehen kann, eines allmächtigen, ab­ soluten Gottes, an symmetrische Ganzheit und Universalität; ein schrecklicher Gott. Alles ist ihm möglich, zu gleicher Zeit ist er nichts, undefinierbar, und kann sich in alles verwandeln» (siehe An­ hang, Seite 271, Stefan und sein Vater).

169


Stefans Mutter

Sie war eine eher kleine, schmale, tüchtige und intelligente Frau, Hausfrau und Akademikerin, die an der Universität die für eine Frau höchstmögliche Ebene von Verantwortung erreichte, ohne - so hat es zumindest den Anschein - deswegen ihre Familie und ihre vier Kinder zu vernachlässigen. Sie stammte aus einem einfacheren Milieu. Einfachheit, Intelligenz und Tüchtigkeit ermög­ lichten ihr den Aufstieg im Beruf; im Familienleben schienen sich vernünftige Besorgtheit und manchmal impulsives, affektartiges

VGP der Mutter (28jährig) von Stefan und Carol

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Reagieren die Waage zu halten. Den Testergebnissen entspre­ chend, «übersprang» sie ein persönliches Unglücklichsein. Vordergründig gehört die Mutter Stefans zur Triebklasse S h -, zu den aktiven Humanisten (S - 0, —, zusammen mit e + ,m +), hintergründig in die Klasse der Ewigsuchenden, der im Grunde De­ pressiven C d 4- (siehe Anhang, Seite 276). Über Erbe und Verer­ bung konnte ich nie etwas in Erfahrung bringen. Bei ihren Geschwi­ stern scheint nichts Auffälliges vorgelegen zu haben. Ihr Vater soll in seinem Lebensverlauf wegen einer leichteren maniformen «Ent­ gleisung» Schwierigkeiten gehabt haben (siehe Anhang, Seite 276, zu den Vektorbildern, Faktorreaktionen und Existenzformen im Test der Mutter).

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Zweite Behandlungszeit

F端nfundzwanzig Behandlungsstunden auf sechs Monate verteilt (Alter Stefans: 10;6 bis I I ;0 Jahre alt).

172


Die Spiele und Phantasien des Elfjährigen

Stefan will als Sohn Gottes die Eltern gegen ihre Angreifer schützen Schon in der ersten Stunde beginnt Stefan, wie vor drei Jahren, mit gefährlichen Tieren alle Spielfiguren anzugreifen und zu fres­ sen. Neu ist: Auch Elternpaare werden jetzt angegriffen und zu­ gleich gegen böse Angreifer geschützt. Beim Fressen und Angrei­

fen lacht er fast immer laut und etwas übermütig. Dann kommt er plötzlich mit dem Engel und sagt, Vater und Mutter müssten fort­ gehen, denn die «Bösen» kämen. Mit dem Engel trägt er sie fort und sagt dann: «Der Drache sieht es und kommt.» Er nimmt den Drachen und kämpft als D rache (= der Böse) mit der Vaterfigur, die ich spielen muss. Er will dies vier- bis fünfmal mit anderen El­ ternpaaren resp. Vaterfiguren spielen. (Der Angriff auf die Vaterfi­ gur beherrscht ihn wie früher.) Dann kommt der Engel (Stefan) wieder und sagt: «Ich bringe euch einen Sohn. Gott hat ihn ge­ macht. Das wird ein Magier sein, und er wird euch gegen die Bösen und den Drachen schützen.» Er spielt den Kampf mit beiden Figu­ ren, ist zugleich Sohn Gottes und Drache (p +, Beides-Sein). Als Sohn Gottes hat er magische Fähigkeiten. - Ich frage ihn, wie es möglich sei, dass G ott einen Sohn habe. - Stefan: «Das ist schon möglich.» Jesus sei der Sohn Gottes und habe auch Eltern gehabt. Ergibt nun den Eltern dieses Sohnes merkwürdige, frei erfundene, sinnlose Namen (eine Neigung zu Neologismen, die auch während der ersten Behandlungszeit erschienen ist). Einige Zeit darauf sagt er, die Eltern dieses Sohnes seien eben gestorben. (Hier muss man sich die Frage stellen, was dieser Satz, «die Eltern sind gestorben», bei Stefan bedeuten könnte.) Aber: dieser Sohn sei nun gross und verteidige alle Eltern, die es gebe, gegen die Bösen. 173


Ich lasse ihn eine Weile Elternpaare gegen die Bösen verteidi­ gen. Er spielt sowohl den allmächtigen Sohn als auch die Bösen, während ich die Eltern spiele und zuschaue. Nach einiger Zeit sage ich als V ater, ich könne mich auch wehren, und versuche zusam­ men mit ihm, dem Sohn, die Bösen zu bekämpfen. Ich sage, ich hätte auch magische Fähigkeiten, ich könne sie mit ihm teilen. Er scheint diesen Austausch zuzulassen, beharrt dann aber doch dar­ auf, der Magier Gottes zu sein. Gott habe die Magie. Das Spiel ge­ fällt ihm dann nicht mehr (er will keinen Verbündeten; nur als Sohn Gottes kann er die Eltern, sogar den Vater, gegen die Bösen schüt­ zen). Er legt plötzlich alles weg. (In der Allmachtsrolle fühlt und handelt man immer als «Einziger», manchmal zusammen mit «Gott», denn in dieser Rolle geht es darum, sich beweisen zu können, dass man nicht ohnmächtig ist, sondern eben allmächtig, und alles selber machen kann. Man will in keiner Weise an Ohnmacht, «psychische Hilflosigkeit» und Abhängigkeit, an altes Elend erinnert werden.)

Urszenenangst und -abwehr In der darauffolgenden Stunde baut Stefan Häuser mit dem Szenomaterial. Zuoberst, auf das höchste Haus, auf ein Turmzimmer, setzt er ein kleines Kind. (Dort wird nächstens in einem nächtlichen Traum der schreckliche Vater mit der Lanze stehen!) Er sei der Kleinste, er werde eben verwöhnt, meint Stefan. Die anderen Kinder sind un­ ten. Die Mutter und der Vater bekommen je ein Zimmer für sich. (Ste­ fan thront auf dem Turm und hält Vater und Mutter getrennt.) Das Zimmer des Vaters fällt wie zufällig zweimal zusammen. Stefan bringt dann noch einen Engel auf ein Dach. Das sei, wenn jemand nachts Angst habe, jemand von den kleinen Kindern. In der Nacht gebe es manchmal Böse. - Er spricht von Angst vor Geistern und vor dem Teufel.

Stefan erzählt zwei Träume Erster Traum

Ein Mann steht auf einem grossen Haus, auf einem Turm, und hat eine Lanze. Ich komme und gehe in die Schule. Der Mann wirft 174


sich auf mich. Ich habe schon gespürt, wie die Lanze in mich sticht (Verfolgungsphantasma hypochondrischer Art). - Stefan hat Schulprobleme, er will keine Schulaufgaben machen. Der Vater überprüft manchmal die Aufgaben (siehe «Erste Behandlungszeit», Seite 144). Wir spielen den Traum mehrmals und sprechen dann über den Vater und Stefan und die Schule. Während des Gesprächs sagt Ste­ fan, er werde nur Schlösser und Türme bauen, wenn er gross sei. (Er werde Grösseres schaffen als s ein Vater.) Dann fügt er noch hinzu: «Ich werde alles zerstören, dann kann ich alles selber bauen» (Allmachtsgedanken; er möchte so gern in der Schule etwas leisten können). Zweiter Traum: Auch Stefan kann gefressen werden

Stefan hat von einem Polypen (Tintenfisch) geträumt, der ihn gefressen hat. Wir spielen diesen Traum, zuerst mit Rollenumkehr, denn das Verschlungen-, Eingesperrt- oder Gefressenwerden war für ihn etwas höchst Unlustvolles, Beängstigendes. Er als Tintenfisch greift mich mehrmals an, weiss dann aber nicht so recht, was machen, so dass ich ihm doch vorschlage, wir würden versuchen, das Spiel umzukehren. Bevor wir beginnen, frage ich ihn, wie es denn im Tintenfisch sein könnte, wenn man von ihm gefressen werde (Si­ cherheit bieten durch Vorausahnen oder Vorauswissen). - Er: Es sei blau und rot im Bauch. (Stefan kennt die Anatomiebücher.) Ich: Heiss oder kalt? - Er: Kalt, denn der Polyp sei immer im Was­ ser. - Wir spielen. Er lässt sich aber nicht gefangennehmen. Als ich ihm noch einmal versichere, ihn wieder hinauszulassen, will er es zulassen, stellt aber die Bedingung: «Du frisst mich erst, wenn ich wieder unter diesem kleinen Tisch hervorkomme.» Er muss das Geschehen kontrollieren können. Es ist für ihn beinahe eine Verge­ waltigung. - Warum unter dem Tisch hervorkommen? Es z eigte sich, dass er auf allen Vieren kriechend gefressen werden wollte. Ich fresse ihn und setze ihn auf den Diwan. Er ist unter einer Decke. Ich setze mich neben ihn und frage ihn, wie es sei, wie er sich ernähre. - Er: Er ernähre sich durch Blut, es sei jetzt heiss, es 175


gehe auf und ab (er schaukelt ein wenig auf dem Diwan). Dann will er herauskommen. - Ich: «Wie?» - Er: «Ich zerreisse den Bauch.» Dies war eine forcierte Inszenierung einer Mutterleibsphanta­ sie. Es g ibt für Stefan kein «Zurück in den Mutterleib». Weshalb bleibt offen. - Während der ersten Behandlungszeit inszenierten wir eine solche Phantasie mit Hilfe einer Kiste und des Känguruhs (Seite 155).

Stefan will das Elternpaar kontrollieren, beherrschen und ausforschen Stefan will den Polizisten spielen und gibt mir die Räubermaske. Er bringt mich ins Gefängnis. Ich sei ein junger Räuber. Er spielt den Gefängniswärter. Er fühlt sich während des Spiels sehr wichtig: er ist ruhig, selbstsicher, geht langsam und bedächtig einher. Er kon­ trolliert mich. Ich darf nicht hinaus. Ich darf, auf meine Frage, auch nicht heiraten. Ich müsse warten, bis ich gross sei. Ich reklamiere, ich sei ja schon gross. Schliesslich gibt er nach. Ich dürfe eine Gefan­ gene heiraten. Er bringt mir verschiedene Frauen: eine Hexe, ein Monstrum, die Katzenmaske. Ich verweigere. Darauf bringt er schö­ nere, immer schönere Frauen. Er fühlt sich dabei sehr wichtig, als der Allmächtige, Gütige, der nach langem Verweigern die Frauen verteilt. «Jetzt musst du noch zehn Franken bezahlen. Jetzt geht ihr wieder ins Gefängnis zurück. Jetzt geht ihr auf dieses Bett. Aber auf diesem Bett sind viele Dornen.» Ich könne mich hinlegen mit der Frau, aber wir könnten uns nicht bewegen. Dann ist er wieder nett und sagt: «Das ist so nur die erste Nacht.» - Wir dürfen dann aus­ gehen, aber nur in die Schule, nicht anderswohin. Dort könnten wir auch schlafen. Ein Wächter werde uns ins Schulzimmer folgen. Und im Gefängnis werde er immer anwesend sein. Wir sprechen über Vater und Mutter und wie man gern alles wis­ sen möchte und nicht weiss, was sie machen. (Wir sind wieder ein­ mal im Bereich der Urszene.) Stefan fabuliert: Er habe einen Radio­ apparat, mit dem höre man alles; es sei ein magischer Apparat, der auch alles sehen könne. - Langsam bringt Stefan heraus: Er habe Vater und Mutter im Badezimmer gehört. Die Mutter habe Angst 176


gehabt und geschrien, und nachher habe der Vater sie lachen ge­ macht. Wir sprechen über die Angst, der Vater könnte der Mutter etwas Böses antun. Als auch vom Geschlechtsakt die Rede ist, sagt er, er habe es schon versucht mit der jüngeren Schwester und de­ ren Freundin. Es sei schade, dass es nicht gelungen sei. (Dies scheint, wie ich vernahm, keine Erfindung gewesen zu sein. Im Hinblick auf Sexualität gibt es b ei Stefan wenig Verdrängung, obschon er nicht gern davon spricht.)

Grosswerden ist ja so schwer Wir modellieren. Es e rgibt sich aber sehr schnell, dass Ste fan mir die Plastilinstangen wegnimmt, wegreisst, und es entsteht, wie während der ersten Behandlungszeit, ein Spiel, bei welchem wir uns gegenseitig berauben. Wenn ich fast alles Material habe, ängstigt er sich. Wenn er alles hat, wird er rabiat, aus Angst, ich könnte ihm ein Stück nehmen, und er hätte nicht mehr alles. Einmal, als er «unter­ lag» (weniger hatte), weil er nicht aufgepasst hatte, sagte er, ich solle seine Plastilinstange küssen. Ich tue so als ob, und er reisst mir triumphierend mein Lehmpaket weg (List, Betrug). Er verlangt von mir, ich müsse weiterhin Stangen machen. Selber wagt er nicht, et­ was aus d em Material zu formen, aus Angst, er könnte sich wäh­ rend dieser Zeit weniger gut verteidigen und beraubt werden. Wenn es ihm gelingt, mir die Stangen wegzureissen, bricht er in lautes Lachen aus. (Im Erwachsenenalter, wenn er erregt ist, spricht Ste­ fan oft laut und bricht in lautes Gelächter aus, wie er es schon tat, als er zu mir kam, jetzt nur noch losgelöster und fast ohne Bezug zu dem, was er erzählt oder macht, so dass ein Mitlachen unmöglich ist und man sich statt dessen eher aufregt.) An dieses «Spiel» anknüpfend, sprechen wir über das Grosswer­ den, Kleinsein und Grosssein. Während des Gesprächs meint er wieder einmal: «Ich möchte alles machen können und alles wissen.» (Die Schule ist unterdessen für ihn zu einer grossen Belastung ge­ worden. Er kommt nicht mit und weiss es, mehr denn je.) Er möchte wie Gott sein. Ich solle ihm gute Sachen eingeben. Er wolle mir das Wissen mit einer Pumpe aus meinem Kopf heraussaugen. 177


Er wolle ein guter Schüler werden und jetzt auch ein Knabe sein. Als wir vom Unzufriedensein, vom Wütend- und Zornigwerden sprechen, sagt er: «Die Mutter wird nie zornig, aber weisst du, wenn der Vater böse und zornig wird, kann ich nicht auch noch zornig werden.» Stefan fühlt sich zufrieden und wie aufgelockert nach diesem Gespräch.

Ein Festessen: Wir verspeisen die Mutter Wir sprechen über mich. Stefan meint, ich hätte zu lange Haare und eine zu lange Nase. Die müsste man abschneiden. Dann auch: Er wolle vieles wissen. Er wolle wissen, warum die Eltern kämp­ fen, und dann noch, wie man Kinder macht, wie sie auf die Welt kommen und wie der Embryo wächst. Ohne auf Erklärungen oder ein Gespräch zu warten, will er Kasperle spielen. Zum ersten Mal erscheint ein Angriff auf die Mutter als «Veruntreuerin» und «Verrä­ terin».

Er nimmt den Wolf und gibt mir den Bären. Sein Spielvorschlag: Ein Mann, der die Tiere (die Kinder?) habe töten wollen, den töten wir. Das geschieht. Dann sagt Stefan: SeineFrau sei auch eine Böse. Ich: «Warum?» - Er: Sie habe nichts gemacht, als ihr Mann die Tiere getötet habe. (Die böse Mutter als Verräterin, die zum Mann hält statt zu den Kindern.) Wir müssten sie bestrafen. (Er sagt bestra­ fen, nicht töten!) Er inszeniert ein grosses Festessen. Der bösen Frau schneidet er den Kopf und die Brustwarzen ab, sagt, er schneide ihr auch das «Pipi» ab, kocht alles und leert dann das Inne­ re des Körpers der Frau aus. Den Wein, den sie getrunken hat, trinken wir. Er kocht das Pipi darin. Alles mit viel Gelächter. (Dieses Zerstückeln und Verspeisen der «bösen Mutter» wiederholt sich in den folgenden Stunden noch zweimal.) Während und nach dem Aufräumen sprechen wir über Stefans Bösesein auf die Mutter, weil sie ihm manchmal nicht helfen kann, wenn sie nicht daheim ist, und manchmal nicht helfen will, wenn er Dummheiten macht oder sich auflehnt wegen Kleinigkeiten. Die Mutter fühlt sich oft gezwungen, Stefan zu schützen; sie will Rück­ sicht nehmen auf seine Entwicklungsschwierigkeiten. Der Vater 178


hingegen drängt eher darauf, Stefan «mit der Realität zu konfron­ tieren». Stefan hat es meistens nicht gern, wenn ich im Spiel seinen All­ machtsansprüchen nicht entgegenkomme oder sein Töten und Be­ strafen anderer zu verhindern suche. Ich müsse machen, was er wolle. Er kann sonst heftig werden. Am Ende einer Stunde spielt er mit kleinen Kindern in einem Paradies. Da haben die Kinder alles, Milchflaschen und Esswaren, und viel Geld ist da; sie sind unsauber und können alles machen, was sie wollen. Er kommt dann doch schliesslich mit den «Bösen» und will diese verwöhnten Kinder stra­ fen. Es könne nicht so weitergehen. Er müsse sie töten. (Anpas­ sung an die Realität wird von Stefan als Tötung, Getötetwerden imaginiert.) Ich widersetze mich, verweigere ihm sein Töten mit kurzen Erklärungen. Er wiederholt seinen Versuch, sie doch töten zu können, und will zugleich, dass ich dagegen Einspruch erhebe.

Der Mutter ein giftiges Tier in den Bauch stecken (sie strafen, das Mutterleib-Innere schlecht machen und zerstören) Ein Kasperlespiel

Bär und Wolf sind die Kleinen, die Verwöhnten. Sie haben alles und können sich alles erlauben, sind im Paradies. Sie können immer «Caca» machen und werden nachher gesäubert. Heute können sie sogar noch Schöneres haben, meint Stefan: Es werde vor ihnen Theater gespielt. Er spielt «Ehemann und Ehefrau». Mit dem Dra­ chen tötet er den Ehemann. Als Drache macht er nun «Caca» auf die Frau. Er macht ihr «Caca» in den Mund. Es sei gute Nahrung, das Beste. (Die Mutter - die Verräterin, die zum Vater hält - soll bestraft werden. Alles Schlechte soll in sie zurück, soll in ihr ver­ schwinden, in der «Ehefrau», nachdem der «Ehemann» beseitigt worden ist.) Ich übernehme zum Teil die Frauenrolle, so wie er sie mir zu­ schiebt. Dann beginne ich mich zu wehren, das «Caca» sei doch nicht gut, er sage D ummheiten. Ich suche meinen Mann: wo der denn sei. Stefan verweigert hartnäckig, dass ich von der Rolle ab179


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zu. Es entsteht ein Spiel, in dem ich ihm bald seine magischen Kräf­ te zuspreche, ihn bald auf die Wirklichkeit verweise und zwinge, andere Lösungen zu finden. Im weiteren Verlauf hat Stefan die Hexenmaske, und ich spiele ohne Maske bald den Löwen, bald ei­ nen Knaben. Er sagt mir, ich müsse (als Löwe) vier Kinder in einem Dorf fressen, drei Mädchen und einen Knaben (ihn und seine drei Schwestern; ich muss also den Kindlifresser spielen). - Ich: «Aber die Eltern werden böse und traurig sein, die Mutter auch.» - Er: «Ja, d ie Mutter ist im Bett.» Es sei zwölf Uhr nachts, die Mutter werde einen Traum haben. - Seine Phantasie ist: Das, was sie träumt, solle ich ihr antun. Sie träume: «Du schneidest ihr die Brüste ab, du nimmst das Messer und klickklick.» Er spielt es mir vor. Ich verwei­ gere; wir sprechen über die Mutter, die Brüste, die Schönheit der Brüste; sie habe vier Kinder ernährt... Er als Hexe: «Höre, wir sa­ gen jetzt, der Löwe habe keinen Tropfen Milch bekommen.» Ich übernehme diese Rolle, beklage mich ein wenig und bin auch wü­ tend. Dabei spreche ich manchmal wieder wie ein Knabe. Während des Gesprächs zeigt sich, dass Stefan denkt, der Vater trinke alle gute Nahrung. Stefan insistiert, dass ich der Mutter die Brüste abschneiden müsse. Er macht es mir wieder vor, klickklick, schneidet ihr die Brüste ab und tötet gleich auch noch den VaterKönig. Ich sage ihm, die Mutter sei jetzt allein, sie sei vielleicht böse auf mich (als hätte ich es getan); ich könne nicht zu ihr gehen. Dar­ aufhin holt Stefan die Maske des Knaben und sagt, er könne ins Bett der Mutter gehen, sie sei nicht nackt. Nachher will er aber den Knaben fressen. Ich protestiere; man habe es ihm ja e rlaubt. Als Hexe-Magier frisst er dann doch Mutter und Knabe. Er zerschnei­ det die Leiber in Stücke, isst sie, gibt mir ein Stück und sagt mir dann lachend: «Ich habe dir das <Pipi> gegeben.» In letzter Zeit weicht Stefan manchmal auf Vogelgeschichten aus. So auch in diesem Spiel. Als er den Knaben ins Bett der Mutter geschickt hatte, sagte er nach einiger Zeit, der Knabe gehe jetzt fort, er finde einen Vogel, er könne sich auf dessen Rücken setzen und mit ihm fliegen (Masturbation?). Merkwürdigerweise sagte Stefan mehrmals, als der Knabe zur Mutter ins Bett gehen konnte und er ihn dann doch strafte und 181


frass, das habe nichts zu tun damit, dass er im Bett der Mutter geschlafen habe. (Er betonte im Spiel, sie sei nicht nackt im Bett.) Es sei eben die Regel, dass der Böse (die Hexe, der Magier) fresse (bestrafe). Der Magier fresse, das sei die Regel.

«Wir sind die Diener Gottes» Das Töten weitet sich aus. Diesmal werden mindestens zwan­ zig Masken getötet und gefressen. Es sind alles «Böse», denen vor­ geworfen wird, sie seien mit den Kindern böse gewesen. Einem wird vorgeworfen, er habe im Bett der Mutter geschlafen. Stefan orga­ nisiert wieder grossartige Mahlzeiten. Er kocht, zerschneidet und macht aus den Leibern Käse, Fondue, Braten. Er schneidet Körper­ teile ab. Einer Maske schlägt er die Zähne aus. Wir, er und ich, seien Brüder. Wir würden zusammen schlafen. Zuerst wurden alle Män­ nermasken, dann alle Frauen vespeist, auch ein böser Knabe. Nicht aber das Baby, es wird unser Verbündeter. (Im Grunde sind wir so etwas wie eine strafende, sich rächende Baby-Bande.) Das Baby kann auch mit uns essen. Stefan tötet auch den Engel; Grund: er habe eine Seele nicht in den Himmel bringen wollen. Alles «Böse» wird den Getöteten und Gefressenen zugeschrieben, ohne dass Stefan es genauer bestimmen könnte. Sie sind einfach so. Das For­ mulieren von Vorwürfen, Anklagen interessiert ihn kaum. Dafür spricht er das zu erreichende Gefühl aus: «Wir sind jetzt die Stärk­ sten.» Die «Bösen» sind aber vorwiegend doch diejenigen, die Kinder bestrafen wollen. Stefan meint, Kinder dürften schon böse sein, sie würden eben manchmal böse, Erwachsenen hingegen sei das Bösesein nicht erlaubt. Dann sagt er: «Wir sind die Diener Gottes, wir töten die Bösen.» - Auf meine Bemerkung, wir seien so etwas

wie Kannibalen, antwortet er: «Ja, es gibt noch solche.» Alles Erklären, alle Versuche, seine Aufmerksamkeit auf reale Ge­ schehnisse und Verhältnisse zu verweisen, führen zu nichts. Zum Schluss formt er mit Plastilin eine Lokomotive. Er ist ruhig und scheint sich stark zu fühlen. (Ist dies schon das Verrückt-Werden, das sich durch Befreiungs- und Erlösungsgefühle einschleicht?) 182


Stefan als der Allmächtige (Vater) und der «Böse» (Sohn), der den Allmächtigen stören und sein Geschaffenes zerstören will Ich schlage eine Rollenumkehr vor. Stefan spielt den Räuber, und ich bin der Polizist. Ich sage gleich: Ich bin bei meiner Frau zu Hause. Stefan läuft herum und weiss nicht recht, was machen. Schliesslich sage ich ihm, er wolle vielleicht auch in unser Haus kommen. - Er: «Ja, a ber ich will nicht, dass m an mich gefangen­ nimmt, ich will nicht eingesperrt werden.» - Ich versichere ihm, dass i ch ihn nicht einsperren werde. (Im vorausgegangenen Spiel hat er als Polizist Gottes mich ins Gefängnis gesperrt, weil ich mit der Frau böse war.) Er kommt, zieht aber die Räubermaske ab. Daraufhin geht er zu meinem Schreibtisch. Er mache Chemie. Er hantiert mit den Utensilien auf meinem Schreibtisch, weiss aber nicht recht, was machen, schreibt etwas, liest. Ich setze mich ne­ ben ihn hin, sehe ihm eine Zeitlang zu und frage ihn schliesslich, ob er etwas anderes spielen möchte. Er will wieder Polizist sein, und ich müsse ein Cowboy sein, der seine Eisenbahnlinie stören wolle. (Zwei Stunden vorher, nach dem «grossartigen Töten und Verspeisen» der Bösen, formte Stefan zum

Schluss mit Plastilin eine Lokomotive, war ruhig und fühlte sich stark.) Wir inszenieren dieses Stören: Ich muss seine Eisenbahnschienen zerstören. Er tötet mich. - Das Spiel musste mehrmals wiederholt werden. Nur einmal tötete er mich auf mein Bitten hin nicht. Als ich schliesslich sagte, ich wolle nicht mehr die Eisenbahnlinie zer­ stören, brach er das Spiel ab. - Wir sprechen über seine Eifersucht, über den Drachen, das giftige Tier im Bauch der Mutter und dass er manchmal die Eltern im Schlafzimmer stören wolle. Die Eisen­ bahnlinie, die Lokomotive und der Lokomotivführer sind Symbole für konzentrierte, gelenkte Energie, ein Bild für männliche Stärke. Ich muss die Zerstörung der Eisenbahnlinie, die Zerstörung der männlichen Potenz übernehmen, die Lokomotive am Funktionie­ ren hindern. (Ich muss als sein Ableger-Objekt funktionieren.) In der darauffolgenden Stunde spielt Stefan wieder den Polizi­ sten Gottes und sperrt mich ein. Dann muss ich die Eisenbahnlinie 183


zerstören. Diesmal kommt er mit mächtigen Zügen, fährt zweitau­ send Kilometer in der Stunde. Er kommt auch mit Flugzeugen und Tanks. Es gelingt mir im Spiel einmal, ihn soweit zu bringen, dass er den zerstörerischen Cowboy spielt. Als ich mit dem Zug komme (auf einer Kiste sitzend, mich langsam vorwärtsschiebend), springt der Elfjährige auf meine Knie, um sich zu vergewissern, dass ich ihm nichts Böses antue.

Stefan hat es nicht gern, wenn ich gewissen Inszenierungen eine sexuelle Bedeutung zuspreche. Er weicht dann aus, verleugnet oder wird aggressiv. «Zonenvermischungen» und Vermischung von triebhaften und geistigen Bedeutungsgehalten sind häufig. Bei­ spielsweise sagt e r, er habe dem Polizisten und seiner Frau nichts antun wollen, sondern wolle sie nur sehen und wissen, was sie machen. Nein, er wolle sie nicht stören, er wolle sie nicht sehen. Er habe eine Maschine erfunden, eine Rakete im Geheimdienst der Armee, die könne überallhin fliegen und wisse alles. Das «Sexuelle» ist ihm unangenehm, wenn es mit Vater und Mutter verbunden erscheint. Im Urszenenbereich kann er sich nicht zurechtfinden, da bricht alles «Abgründige» herein. Hingegen kann Stefan sich sehr wohl in sexueller Hinsicht für seine jüngere Schwester und deren Freundin «interessieren». Im Urszenenbereich werden Kinder (und auch Erwachsene) oft durch ein verwirrendes Gemenge von Affektregungen, Triebwün­ schen, Anklammerungsverlangen und Ängsten vor Anklammerung überfallen. Diesem Gemenge und Wirrwarr standzuhalten wird um so schwieriger, je mehr Symbiose- und Allmachtsresiduen das Ich durchlöchert haben. - Bei Stefan finden sich kaum Anzeichen für eine psychosexuelle Entwicklung. Im Erwachsenenalter führten ihn die «Liebesabenteuer» in die Klinik zurück.

«Du musst der Mutter in die Tasche schiessen, dann kommt eine Million heraus» Ich muss Polizist sein. Stefan will eine Armee von Cowboys sein, welche die Polizei ärgern wolle. (Er will also das Gefährliche, Ungeheuerliche von sich aus unternehmen. Um es zu vollbringen, 184


muss er eine ganze Armee sein. Ein symbioseartiges Verbunden­ sein mit einem Kollektiv vermittelt grossartigen Machtzuwachs.) Er versucht ein Waffendepot zu errichten. (Wenn man etwas nicht sein kann, das heisst: innerlich den vorliegenden Risiken nicht ge­ wachsen ist, kann man sich wenigstens die Attribute solcher Macht verschaffen. Das blosse Besitzen von gefährlichen Waffen beruhigt und macht «stark».) Danach weiss er nicht, was jetzt spielen, es gibt da keine Rolle für ihn. Er macht es, wie ich es mit ihm mache: er will eine Rollenumkehr. Ich sei der Cowboy-Bandit und er der Polizist. Ich müsse zerstören. Als Polizist will er mich töten. Aber ich lasse mich nicht töten, komme dem zuvor und zeige ihm, dass ich körperlich der Stärkere bin. Daraufhin will er die Rollen wieder umkehren. Er sei der Chef der Cowboys. Sie hätten ein sehr star­ kes Haus, ganz aus Zement, Kanonen und Atombomben und Rake­ ten. - Als Polizist sage ich: «Ich habe nur eine Pistole, ich kann nicht

angreifen» (Spiegelrolle: das von ihm, in ihm Verleugnete spielen). Ich spreche auch von meiner Mutter. Er rühmt sich noch, er habe ganz gefährliche Schüsse. - Ich: «Ich habe nur kleine, sie tun nur wenig weh, ich wohne noch bei der Mutter usw.» Schliesslich möchte ich auch ein Cowboy werden. - Stefan ist einverstanden und sagt: «Du musst der Mutter eine Million stehlen, ihr in die Ta­ sche schiessen, und dann kommt eine Million heraus. Dann wirst du auch ein Cowboy.» Er gibt mir genaue Anweisungen, wie ich schiessen und das Geld stehlen muss. Ich muss es ihm nachmachen, genauso wie er es mir zeigte. Zum Schluss sagt er: «Jetzt hast du eine Million.» - Ich zögere und sage, ich wolle doch nicht stehlen. Er: Ich müsse es tun. - Ich: Ich werde es ihr wieder zurückgeben. Stefan will das nicht. Ich müsse das Geld behalten. Dem folgt ein Gespräch, in welchem Stefan versucht, seine In­ tention und meine Spielintervention (Wiedergutmachung als Rück­ erstattung) zu verarbeiten. Er sagt, er töte nur die ganz Bösen. Gott wolle es so. Die Räuber, welche die Mutter ausraubten, seien nicht ganz Böse. Es seien zwar Böse, diejenigen, die sagen, man solle der Mutter die Million stehlen und ihr in die Tasche schiessen. Aber es sei eben so. Denn nachher brauchten sie nicht mehr Böse zu sein, dann hätten sie eben auch eine Million, und sie könnten alle Waffen, 185


auch die teuersten, für sich kaufen. Er erfindet dann noch, wie man Millionengeldscheine herstellen kann. Das diesem Spiel vorausgegangene Mutter-Thema war: Die Mutter zerstückeln und auffressen. Jetzt erscheint das Thema: die Mutter mit Gewalt (List?) ausrauben. - Was verbirgt sich hinter diesem Ausrauben mit Gewalt? Hat Stefan die Mutter vielleicht nie ausrauben können, auch nicht mit «Gewalt»? Könnte das Ausrau­ ben ein «Fortschritt» sein gegenüber dem Zerstückeln und Auf­ fressen der Mutter? Den Vater konnte Stefan nicht ausrauben, den kann er nur beseitigen. - Was soll das Meissen, ein Baby müsse die Mutter (mit Gewalt) ausrauben können? Zwar ist das Baby ein Bö­ ses, aber nicht ein ganz Böses. «Aber es ist so»: Man muss der Mut­ ter die Million rauben. Diese Räuber sind nicht ganz böse. So war es einmal. - So war es wahrscheinlich nicht für ihn.

«Nächstes Jahr wird mir die Mutter ein Pferd schenken» In der vorletzten Stunde spielt Stefan noch einmal das eben er­ wähnte Thema. Er ist der Chef der Armee von Cowboys, und ich muss ein Cowboy werden. Im Spiel bestimmt er wieder, dass nur die Nicht-ganz-Bösen der Mutter in die Tasche schiessen dürfen. Als ich als Böser dies einmal machen will, regt er sich sehr auf, stampft wild herum und schiesst auf mich. Die Bösen dürften das nicht, sonst würden sie zu stark, meint er. Er spielt dann wieder die Allmachtsrolle desjenigen, der Millionengeldscheine herstellen kann, und gibt sie denen, die keine haben. Er meint, so brauchten sie nicht mehr Böse zu sein und müssten die Mutter nicht mehr ausrauben (die Mutter in Schutz nehmen, sie schonen). Beim Verlassen des Zimmers sagt Stefan: «Ich muss dir etwas sagen. Nächstes Jahr wird mir die Mutter ein Pferd schenken.» In Wirklichkeit wird er Reitstunden nehmen können. (Stefan wünscht sich eine liebe, freigebige Mutter, die ihm das weisse Pferd, «Crinblanc», schenkt.) Die Mutter oder die Eltern ausrauben, berauben müssen jene, die das Gefühl nicht hatten oder es nicht behalten konnten, von den Eltern - «trotz allem» - beschenkt und geliebt worden zu sein. 186


Will Stefan die Mutter vor gierigem und gewaltsamem Getötet-, Aufgefressen- und Ausgeraubtwerden schützen? Offenbar möchte er der Mutter gegenüber ein «Nicht-ganz-Böser» sein. Dieser Hinweis und andere, die man den Phantasien dieser zwei­ ten kurzen Behandlung entnehmen kann, zeigen an, dass Stefan wichtige Entwicklungsschritte nachzuholen versucht. Daneben er­ scheinen auch Phantasien eher krankheitsbildtypischer Art.

187


Zweite Aufnahme des Szondi Tests bei Stefan (elfjährig)

Aus verschiedenen Gründen war ich genötigt, den Verlauf die­ ser Kurztherapie zu «strukturieren». Am Anfang jeder Stunde machten wir gemeinsam Lese- und Schreibübungen. Der Test wur­ de vor oder nach diesen Übungen aufgenommen. Zeichnen, ma­ len, freie Beschäftigungen waren selten. Ich wollte Stefan durch eine «stabilisierte» Übertragungssituation, das heisst durch ge­ meinschaftliches «Arbeiten» und einen minimal geordneten Ablauf der Stunden, in einer ausgeglichenen Gemütslage halten. Stefan hatte, wie es sich im Verlauf dieser Stunden zeigte, im Vergleich zu früher eine grössere innere Standfestigkeit gefunden, wenigstens im Verhalten, Sprechen und Überlegen. (Die Testauf­ nahmen erfolgten in Abständen von ein bis drei Wochen.) Im Vor­ dergrund befinden sich nun die maniforme Erkrankungsgefährdung (Existenzform 7) und sekundär die hysteriforme (Existenzform 14). Die projektiv-paranoiden Tendenzen (Existenzform 2) haben sich stark vermindert.

188


Vordergrundprofile (VGP) Stefan, elf Jahre

Nr.

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2

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Sy %

(Interpretation des Szondi-Tests des elfjährigen Stefan siehe Anhang, Seite 260.)

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Durchbruch der manischen Erkrankungsgef채hrdung


Erster Klinikaufenthalt und die Zeit danach

Stefan besuchte bis zum achtzehnten Lebensjahr Privatschulen. Die erste ausserordentliche Situation, welche die manische Erkran­ kungsgefährdung zum Durchbruch brachte, war folgende: Stefan musste - vor allem vom Vater dazu gedrängt - mehrere hand­ werkliche Lehrversuche absolvieren. Sie misslangen alle. Stefan fühl­ te sich allein, konnte die nötige Aufmerksamkeit zu andauernder körperlicher Arbeit nicht aufbringen oder das Geforderte nicht wie gewünscht ausführen. (Im Gruppenverband, unter Gleichaltrigen, konnte er mitarbeiten, mit kurzen Unterbrüchen, Geplänkel und La­ chen zwischenhinein.) Nach misslungenem viertem Versuch fuhren die Eltern mit ihm nach Hause. Im Auto entwickelte sich ein heftiges Gespräch zwischen Sohn und Vater, worauf dieser den Sohn an den Strassenrand setz­ te, einen Tagesmarsch von zu Hause entfernt. Am anderen Tag wur­ den die Eltern von der öffentlichen psychiatrischen Klinik über die Aufnahme ihres Sohnes benachrichtigt. Von diesem Zeitpunkt an war es dem Vater unmöglich, sich mit seinem Sohn zu «beschäfti­ gen». Die Mutter übernahm die Verantwortung. Als ich Stefan in der Klinik besuchen konnte, sprach er von sei­ nen Beziehungen zu Gott. Er spreche viel mit Gott; Gott antworte, es funktioniere wie ein Telefon (Umdichtung, Ersatzvorstellung für den verlorenen Vater? Für den Arzt als Ersatz-Vater?). Nach dem ersten Klinikaufenthalt wohnte Stefan eine Zeitlang daheim. Er konnte dann - bei indirekter Befürsorgung - während zweier Jahre im Ausland eine Kunstakademie besuchen. Zeitweise gab er sich im Ausland als Sohn eines polnischen Grafen aus. Die nächsten zwei Jahrzehnte verbrachte er auf dem Land - unter lokkerer Fürsorge der Mutter-, Tiere pflegend, kleine handwerkliche und bäuerliche Arbeiten vollbringend und sich in der Malerei 191


versuchend, wobei es manchmal zu «Zufallstreffern» gekom­ men sei.

192


Dritte Aufnahme des Szondi-Tests bei Stefan (22jährig)

Als bei Stefan die folgenden Profile (drei Aufnahmen mit Vor­ der- und Hintergänger) aufgenommen wurden, befand er sich wie­ der für kürzere Zeit in der Klinik. Die Aufnahmen fanden statt, als ersieh einer Lithiumtherapie unterziehen musste. (Ich stelle in der Reihenfolge das E KP unter das VGR damit die vorliegende Domi­ nanz der Faktoren im VGP in ihrer Übereinstimmung mit der zwei­ ten Wahl ersichtlicher wird.) Stefan (22jährig), während einer Lithiumtherapie

s

VGP

P

h

s

+

_; _ il

0 ±

-

Ss 1 EKP

ThKP

0

1 0

-

0

0

-

_ ± 0

+! + !! +

e

hy

k

p

d

4-

0

+ ±

0 0 0

0

0

+

+

-

+

+

+ + P

0

Sch k +.

1

0 -

m

C u

(9) 9 (12) (12) Latenz

6

Proportionen

1

1

+ + +

c

Sch

-

+

±! + ± ±

+

_1

0 0

0

_ -

0

±

10

-

+ + +

+

+

(9)

0

0

(9)

+

-

10 12 14 12 13 13

Um das E rstaunliche vorwegzunehmen: Die Latenzproportionen (S s -, Sch k +, P e +, C 0) und die Wurzelfaktoren (s - !! k + e +) Stefans entsprechen denjenigen seines Vaters, als dieser 193


neunundzwanzig Jahre alt war (siehe Seite 167). Im EKP stimmen ausserdem s -, e + , k + mit den Reaktionen im VGP überein (sie­ he Anhang, Blockierungen von Faktorreaktionen bei Stefan, Carol und ihren Eltern, Seite 281, und Szondi, I960, Seite 285, «Die Fra­ ge der Anzahl der Testprofile»).

Vergleich der Vektorbilder bei Stefan und seinem Vater (siehe Seite 167) Im Sexualvektor stimmen die Vektorbilder bei Stefan und sei­ nem Vater weitgehend überein. Im Affektvektor dominiert beim Vater der Geltungsdrang (hy +); er erscheint in fast konstanter Weise, auch das Bewegungssturmartige im Verhalten (P + +). Bei Stefan war das Bild P + + früher ebenfalls häufig. Jetzt ist das Sichzeigen und Auftreten bei ihm ver­ schwunden; es äussert sich höchstens noch im EKP in ambivalenter Weise (es wollen und doch nicht wollen). Das Affekterleben scheint jetzt durch (früher nicht vorliegende) phobieartige Ängste in eine Verengung getrieben worden zu sein (P + 0). Im Ich-Bereich steht, wie beim Vater, das egozentrische, eigen­ willige Ich (Sch + 0) im Vordergrund. Bei Stefan fühlt sich dieses Ich hintergründig von Verlassenheit bedroht (Sch + ±, 0 ±, - ± und p ± in Konkordanz mit dem ThKP; das EKP des Vaters exi­ stiert nicht). Im Kontaktvektor «wehrt» sich der Vater mit der am häufigsten erscheinenden Reaktion C + -, der «hypomelancholischen Reakti­ on», während bei Stefan Anzeichen für einen «Zusammenbruch» vorliegen, für eine Desorganisation im Kontaktbereich (C 0 0, ± ±), bei der sich ein inzestuöses Bindungsbedürfnis, C - (!) +, noch durchzusetzen vermag, vor allem im EKP (ein Hinweis auf die anhaltende kindliche Beziehung zur Mutter). Ich wage eine «Spekulation»: Was dem Vater Standfestigkeit ver­ leiht, sind vermutlich: a) Ich-Bezogenheit, Eigensinn, Eigenwilligkeit und das «Berufs-Ich» (Sch +! 0), das heisst die Tatsache, dass er seine Seinsansprüche

(Erfinder, Dichter, Genie sein; er publizierte einen Roman) als Leh­ 194


rer, Verkünder und «Baumeister» zu verwirklichen suchte und es auch konnte, trotz seiner Neigungen zu narzisstischem und autistischem Denken. b) das «schamlose» und freundliche Sich-zur-Geltung-Bringen (P + +); sich durchsetzen. c) seine «untreue Bindung», die dominierende hypomelancholi­ sche Reaktion in der Form eines Strebens nach erweitertem Kon­ takt, nach «Welteroberung» und Objektsuche bei gleichzeitiger Ablösung von der Inzestperson (C + - zusammen mit Sch + 0 ist ein typisches E k, Ich-Schicksal, siehe Szondi, 1947, Seite 180, über «Untreue Bindung», und I960, Seite 194).

Bemerkungen zum «partiellen» (psychosexuellen) Triebschicksal: die Blockierung der Faktortendenz s + Weder der acht-, der elf- noch der zweiundzwanzigjährige Ste­ fan können im VGP eine s+-Reaktion geben (Aggression, Angriffs­ lust). Extremes Zärtlichkeitsbedürfnis und passiv-weibliches Ver­ halten dominieren. Der Achtjährige vermag im EKP eine solche Tendenz (s +) noch fünfmal zu geben, der Elfjährige noch einmal (S 0 + !). In den sechs Profilen (VGP und EKP) des Zweiundzwanzigjährigen erscheint diese Bedürfnistendenz nirgends mehr. Woher diese «Hemmung»? (Bei seiner Schwester Carol war diese Abwe­ senheit von s + im VGP und EKP noch ausgeprägter!) Es ist zu vermuten, dass in diesem Triebbereich ein Zusammen­ hang besteht zwischen den im theoretischen Hintergänger blokkierten Triebtendenzen und den Wurzelfaktoren im VGR die Szondi auch die Konduktorfaktoren nennt. Die Konduktorfaktoren (s — !!, e T, k T) beim Vater könnten bei diesen Kindern die Mobi­ lisierung der gegensätzlichen Bedürfnistendenzen (s + !!, e -, k -) erschweren, vermutlich weil sie zu grosse Gefahrsituationen und Ängste hervorrufen würden. Zum Schluss sei festgehalten: Bei Stefan, dem Zweiundzwanzigjährigen, sind (mit Ausnahme eines Profils für Depression [Existenz­ form 6] die dominierenden Ich-Gefahren des Achtjährigen und die dominierenden Stimmungsgefahren des Elfjährigen verschwun­ 195


den. (Stefan soll in der Klinik und aufgrund der psychiatrischen Be­ handlung jeweils in einer eher depressiven Verfassung gewesen sein. Die Existenzform 6 erschien vereinzelt auch schon beim Achtund Elfjährigen.) Auch die früheren Einbruchgefahren im Affektbereich (Existenz­ formen 13 und 14) erscheinen jetzt nur noch in den theoretischen Komplementärprofilen. Die früheren Gefahren im Ich- und Stim­ mungsbereich sind nun «ersetzt» durch Einbruchgefahren im sexu­ ellen Bereich (Existenzformen 9 und 10, auf allen drei Ebenen) und im Kontaktbereich durch eine Dissoziation (C 0 0, ± ±) und Re­ gression zur inzestuösen Anhänglichkeit: C - (!) im VGP und EKR Die geringe Anzahl Testprofile und die Lithium-Behandlung, die bei diesen Veränderungen vermutlich mitgewirkt hat, erschweren das Interpretieren dieser Testprofile.

196


Anhang

197


Weitere Testergebnisse bei den vier Kindern

198


Die Gefahr und Schutz-Existenzformen bei den vier Kindern

Analysen der Existenzformen bei Gruppenuntersuchungen sind sehr selten unternommen worden. Über den durchschnittlichen Gefahrindex bei Kindern und Jugendlichen ist nichts bekannt. Bei Erwachsenen liegt er zwischen 0,3 udn 1,0. Die drei Kriterien der Indikationsstellung zur analytischen Psychotherapie bei Erwachse­ nen sind die folgenden (siehe Leopold Szondi, in Szondiana, VI, Sei­ ten 20-46): Eine Psychotherapie ist angezeigt, wenn 1. der Gefahrindex grösser als I und kleiner als 4 ist; 2. sich die Gefahr-Existenzformen in einer Zone (eventuell in zwei Zonen) des Trieb- und Ich-Lebens akkumulieren; 3. unter den Schutzexistenzen nur eine einzige Art dominiert.

Der Gefahrindex bei den vier Kindern Gefahrindex Carol Iwan Ilse 1. Ilse 2. Stefan 1. Stefan 2.

1,3 1 1,2(2,0) 3,8 1,7 3,4

Vom Test her gesehen lässt sich sa­ gen, dass der Gefahrindex bei den vier Kindern die Ausdrücke «nor­ male Entwicklungsschwierigkeiten» und «neurotische und psychotische Entwicklungsgefährdung» als bere ch­

tigt erscheinen lässt. Es gibt vier Arten von Schutz-Existenzformen: 1. Schuldgefühl, Reue und Selbstbestrafung, das heisst: solche Ge­ fühle empfinden und auf sich selber «böse» sein können (Existenz­ form I I : «Schuld-Strafbedürftige»). 2. Zwangsneurotische Tendenzen: sich zwingen können (Existenzform 12). 199


3. Anpassungsverlangen: sich einordnen, verzichten können (Exi­ stenzform 16, sozialisierende Alltagsmenschen). 4. Humanisierung: Sozialisierungs- und Sublimierungsbedürfnisse (Existenzform 17; Szondi, 1972, Bestimmung der 17 Existenz­ formen).

Die Schutz- und Gefahr-Existenzformen bei den vier achtjährigen Kindern Carol

Die Schutz-Existenzformen sind ausschliesslich zwangsneuro­ tischer Art (Phantasien und Handlungen) und erscheinen im ThKP und EKP; die Gefahr-Existenzformen sind verteilt auf VGP u nd EKP Iwan

Die Schutz-Existenzformen erscheinen im VGP (Anpassung, Schuld- und Strafangst) und im ThKP (zwangsneurotische: sich selbst bezwingend und Sublimierung); die Gefahr-Existenzformen finden sich nur in den zwei Hintergängern. Ilse Erste Aufnahme: Die Schutz-Existenzformen sind ausschliesslich

zwangsneurotischer Art, besetzen das ganze VGP und erscheinen teilweise im ThKP; die Gefahr-Existenzformen sind in die Hinter­ gänger «abgestossen» (siehe Seite 212). Zweite Aufnahme: Die zwangsneurotischen Schutzmechanismen haben sich vermindert, erscheinen nur noch in den Hintergängern, vorwiegend im ThKP; die Gefahr-Existenzformen haben sich in das VGP « gedrängt» (siehe Seite 219). Stefan Erste Aufnahme: Die Schutz-Existenzformen erscheinen (wie bei

der Schwester) nur im Hintergrund. Die projektiv-paranoide Exi­ stenzform dominiert im VGP und die inflativ-paranoide im ThKP;

die epileptiforme Affektgefährdung erscheint ebenfalls im ThKP Die von Verfolgungs- und Vernichtungsangst (p -) geprägten und 200


zu Grössenideen (Allmacht im Sein, p + !) und «Tötungsbesessen­ heit» (Existenzform 13) führenden Inszenierungen erscheinen wäh­ rend der ersten Behandlungszeit in fast jeder Stunde (siehe Seite 252) Zweite Aufnahme: Die Schutz-Existenzformen haben sich um die

Hälfte vermindert. Die Kontakt- und Stimmungs-Existenzformen sind weitgehend an die Stelle der Ich-Gefährdung im VGP getre­ ten. Die epileptiforme Gefährdung im ThKP hat sich vermindert; die hysteriforme Affektgefährdung als neuartige Gefährdung er­ scheint im VGP zusammen mit den Kontaktgefährdungen (siehe Seite 260).

201


Die Triebvermischungen in den Vektoren und deren Mitte-Rand-Verhältnis bei den vier Kindern

Untersuchungsergebnisse und Hinweise zu diesem Thema fin­ den sich in Szondiana, 1983, I, «Die Teilungsarten der Ganztriebe im Entwicklungsverlauf vom 3. zum 20. Lebensjahr». Für Trieb­ vermischung spricht die Summe der Legierungen und Tritendenzen, für die Triebentmischung die diagonale und vertikale Teilung und die Unitendenzen. Ich vermute, dass man aufgrund von Untersuchungen der Pro­ portionen der Vermischungsbilder in den vier Vektoren (im VGP und EKP) etwas erfassen kann, dem man den Titel «aktuelles Ent­ wicklungspotential in den einzelnen Triebgebieten» geben könnte. Man wird jedoch die Bedeutung der Häufigkeit und der Proportio­ nen (innerhalb der Vektoren) der Vermischungsbilder nur dann er­ fassen können, wenn diese Untersuchungen ihren Platz innerhalb der anderen Untersuchungsverfahren einnehmen können, also bei Berücksichtigung der Analyse der Existenzformen (der Erkrankungs­ dispositionen und -gefährdungen), der Wurzel- und Symptomfakto­ ren, der Latenzproportionen, der Gruppierungen von Vektorbildern und der altersspezifischen Faktorreaktionen und Vektorbilder. Meine Vermutung ist: Die Vermischungsbilder zeigen die Weite und Tiefe oder die Enge und Verkümmerung des Erlebnisraums an, das heisst die Möglichkeiten, Trieb-, Affekt- und Ich-Erfahrungen zu machen. Weite und Tiefe des Erfahrungsbereichs in den Vital­ trieben und im Affektbereich sind vermutlich das Ergebnis eines gelungenen (oder misslungenen) Zusammenspiels der Bedürfnis­ tendenzen und Affektregungen mit den Grundfunktionen des Ichs und deren Mobilität («Funktionstüchtigkeit») in der «Umlaufbahn». Es muss offenbleiben, welche Begriffe zu verwenden sind: Vermi­ schungspotential, Entwicklungs- oder Integrationspotential? Wei­ te, Tiefe gegenüber Enge oder Verkümmerung des Erlebnis- und 202


Erfahrungsraums in den einzelnen Triebbereichen (Sexualität, Af­ fekt, Ich und Kontakt)? Bei den folgenden Untersuchungen werden nur die Anzahl der Triebvermischungen in den Vordergrund- und den empirischen Kom­ plementärprofilen (EKP) beachtet, da sie auf einer effektiven Wahl beruhen. Ob und inwiefern den Vermischungsproportionen in den Theoretischen Komplementärprofilen (ThKP) eine Bedeutung zu­ zuschreiben ist, soll nur kurz erwähnt werden (siehe Seite 206). Man wird auch vermuten können, dass es sich bei den Vermischungs­ bildern und deren Proportionen in den vier Vektoren um ein Er­ gebnis der jeweiligen «Seinsmachtverteilung» in den Triebbereichen (eventuell in den Instanzenbereichen Ich, Es, Über-Ich) handeln kann. (Das würde bedeuten, dass ein Pontifex-Ich schon während der Ich-Entwicklung zu funktionieren beginnt, vermutlich in Ab­ hängigkeit vom Pontifex-Ich der Eltern, von Mitwelt und Umwelt. Dieses «Ich» stellt «die Verbindung zwischen dem System des Erbschicksals und dem geistigen Freiheitsschicksal her» [Szondi, 1963, Seite 31].) Es ist noch unsicher, ob solche Untersuchungen, an Gruppen unternommen, einen Sinn haben. Man wird sie ver­ mutlich mit grösserem Erfolg in Einzelfällen und in der Form einer Gegenüberstellung von Einzelfällen durchführen, zur genaueren Profilierung ihrer Verschiedenartigkeit, mit der sie auf ihrem Ent­ wicklungsweg die Reifungsschritte und die Krisenzeiten zu bewälti­ gen vermögen.

Die Vermischungsbilder bei den vier achtjährigen Kindern (VGP und EKP)

Aufgenommen während der Untersuchungszeit

s

P

Sch

C

Carol (10 Profile)

0

6

3

6

1,5 : 1

Iwan (10 Profile)

3

6

4

2

2

Mitte-Rand-Verhältnis

: 1 203


Aufgenommen während der Behandlungszeit P

Sch

5

3

2

8

zweite Aufnahme 0

5

5

10

1 o 00

Ilse (10 Profile)

Stefan, 8jährig

C

Mitte-Rand-Verhältnis

S

5

6

3

6

1 1 jährig (9 Prf.) 2

8

11

2

0,4 : 1 : 1

4,7 : 1

Zu Carol und Iwan

Die Vermischungsbilder in den Vektoren der Mitte dominieren die der Randvektoren. (Vielleicht ist dies typisch für die Latenz, vielleicht auch allgemeintypisch.) Carol hat ihr «Tief» im Sexual-, Iwan im Kontaktvektor, was bei beiden kein Zufall zu sein scheint. Beide haben ihr «Hoch» im Affektbereich, Carol ausserdem im Kontaktbereich. Zu Ilse und Stefan

Sie haben bei der ersten Aufnahme eine schwache Mitte. Beide haben ihr Tief im Ich-Vektor (2 und 3). Bei der zweiten Aufnahme haben sie das Vermischungspotential im Ich- und im Affektvektor erhöht. Bei Ilse findet eine Verschiebung vom S-Vektor in den CVektor statt. Beim elfjährigen Stefan erscheint eine übermächtige Mitte im Vergleich zu den Vitaltrieben, also ein extremer Verlust an Mobilität in den Vitaltrieben (M : R = 4,7 : I). Dabei ist zu berück­ sichtigen, dass diese Übermacht der Mitte beruht a) auf den Ich-Bildern: VGP viermal Sch —, EKP viermal Sch —, zweimal ± - (diese Ich-Bilder gehören beim elfjährigen Stefan zur maniformen Erkrankungsgefährdung); b) auf den Affektbildern VGP sechsmal P + + / + ±, die zur hysteriformen Gefährdung (Seite 260) gehören. Der grosse Verlust an Mobilität in den Vitaltrieben und die ex­ treme Stärke bzw. Monotonie der Vermischungsbilder in den Vek­ toren der Mitte (4,7 : I) führen zur Frage, ob bei einer solchen Diskrepanz ein Problem der Seinsmachtverteilung vorliegt, genau­ 204


er, ob es sich bei einer solchen Monotonie um ein «Stehenbleiben der Ich-Umlaufbahn auf einer Station» in der Ich-Entwicklung han­ delt (hier in der Latenz Sch —). Damit werden bestimmte Ele­ mentarfunktionen des Ichs «ausser Aktion gesetzt» (bei Stefan In­ flation p + und Introjektion k + bzw. Ich- und Objekt-Idealisierungsstrebungen). Die bei Stefan vorliegende Diskrepanz zwischen Mitte und Rand steht vermutlich in engem Zusammenhang mit der dominie­ renden maniformen und sekundär mit der affektanfälligen Gefähr­ dung. Das geringe Potential in den Vektoren S und C beruht auf den Quantumspannungen, den monotonen Unitendenzen und der ebenso monotonen diagonalen Teilung des Ganztriebs (Seiten 260, 264).

Einige Einzelheiten zu den Verschiebungen der Vermischungspotentiale - Ilse (zweite Aufnahme) und ihr Vater haben im sexuellen Be­ reich keine Vermischungsbilder (siehe Seiten 239/240). Der Ver­ lust während der Behandlung von Ilse in diesem Bereich führt zu einer Erhöhung der Vermischungsbilder in der Mitte und im Kon­ taktvektor. Hier hatte sie vermutlich wesentliche Entwicklungs­ schritte zu machen, das heisst alte, ungelöste Kontaktsituationen zu «bereinigen». - Sowohl Ilses als auch Carols Mutter haben ein ausgeglichenes Vermischungspotential und ein (vermutlich) durchschnittliches Mitte-Rand-Verhältnis (1,2 : I ; 1,3 : I), nicht so die Väter: Der Va­ ter von Ilse hat ein vermindertes, aber im Ich konzentriertes Po­ tential (0 : I : 5 : 2) mit einem Mitte-Rand-Verhältnis von 3 : I (das Anpasser-Ich). Auch der Vater von Carol zeigt eine auffällige Ver­ teilung (nur VGP), 0:7: I : 4 (siehe Vermischungspotentiale Sei­ ten 274, 285).

205


Ein Vergleich der Anzahl der Vermischungsbilder in den drei Profilebenen VGP : ThKP : EKP bei den vier Kindern - Bei Iwan zeigt sich ein stark erhöhtes (latentes) Entwicklungs­ potential im ThKP (VGP : ThKP : EKP = 7 : 26 : 7). - Carol hat das a usgeglichenere (5 : 15 : 10). - Stefan (acht Jahre alt) hat ein auffällig erhöhtes Potential im EKP

jedoch das niedrigste von allen vier Kindern im VGP (4 : 15 : 16). - Ilse (erste Aufnahme), 10 : II : 8.

Ein Vergleich der Summe von Vermischungsbildern in den vier Vektoren (diejenigen im VGP, ThKP und EKP pro Vektor zusammengezählt) - Bei Carol finden sich die höchsten Potentiale im Affekt- und im Kontaktbereich, das niedrigste im Sexualvektor. - Es besteht kein Unterschied durch die Hinzunahme des ThKP - Bei Iwan liegen die höchsten Potentiale im Ich- und im Sexual­ vektor und das niedrigste im Affektvektor. - Es ergeben sich grössere Unterschiede in allen Vektoren durch die Hinzunahme des ThKR da bei ihm das ThKP ein extremes Entwicklungspotential hat (26). - Das Auffällige bei Ilse (acht Jahre) und Stefan (acht Jahre) zeigt sich - im Vergleich mit Carol und Iwan - darin, dass sie beide ein geringes Potential (ihr «Tief») im Ich-Vektor haben (also auch dann, wenn das ThKP mitgerechnet wird). Die Frage, welche Bedeutung den Vermischungsbildern des ThKP (den «nichtgewählten» Trieb­ profilen) zuzuschreiben ist, muss unbeantwortet bleiben. Bei solchen vergleichenden Untersuchungen stellt man ein Indi­ viduum einem oder mehreren anderen gegenüber und fragt sich, worin sie sich voneinander unterscheiden. Bei Gruppenuntersuchun­ gen müsste es gelingen, eine «Gruppenperson» tiefenpsycholo­ gisch sichtbar zu machen und sie eventuell mit anderen «Grup­ penpersonen» zu vergleichen. Der Weg der Untersuchungen führt dann nicht mehr notwendigerweise über «Kontrollgruppen» oder 206


nur über «signifikante Unterschiede» bei den Faktorreaktionen und Vektorbildern, als ob es immer noch darum ginge zu kontrollieren, ob der Test überhaupt funktioniere oder ob es s ich lohne, bei so umständlichen Aufnahmebedingungen mit ihm zu arbeiten. - Der Test funktioniert. Er gibt immer nur Hinweise, verweist auf «et­ was», was man als Tiefenpsychologe und «im besonderen als Schicksalspsychologe» erblicken und teilweise erfassen kann. Die Untersuchung der blockierten Faktortendenzen, der Pro­ portionen der Vermischungsbilder und der Existenzformen kann für die Erfassung der tiefenpsychologischen Vorgänge während der Entwicklungszeit, der allmählichen Strukturierung des Charakters und Verhaltens von Kindern von Bedeutung sein. Testaufnahmen vor und nach einer Behandlung (es können siehe Szondi, 1960, Seite 285 - auch weniger als zehn Aufnahmen sein) vermögen einen Einblick in den Behandlungsverlauf und des­ sen «Resultate», die dabei erfolgten tiefenpsychologischen Verän­ derungen, zu vermitteln. - Bei normalen Kindern kann während Jahren der individuelle Entwicklungsweg erfasst werden. (Hinwei­ se darauf siehe Seiten 88-96 im ersten Teil dieser Arbeit, wobei dort die Veränderungen nur vom entwicklungspsychologischen Gesichtspunkt resp. von den alterstypischen Faktorreaktionen und Vektorbildern her interpretiert worden sind.)

207


Der Zusammenhang zwischen der Blockierung von Faktortendenzen und den Proportionen der Vermischungsbilder in den vier Vektoren bei den vier achtjährigen Kindern

S Carol

P

Sch

c

k + .P- I

d+

3

6

Ausnahme

Blockierung Vermischungsbild

:+ ,

e - 2

0

6

2

Iwan

Blockierung

k +

h-o 3

Vermischungsbild

2

d

2m + 2

4

2

3

k-oP +1 2

d-o 8

+ I S ~ 0

e+o

k — 2P — 2 k +,P +,

m-

0

5

6

Ilse, erste Aufnahme

Blockierung

h + 2 ( s - 3)

5

Vermischungsbild

e+

0 h / - 2

Ilse, zweite Aufnahme

Blockierung Vermischungsbild

h

5 Ausnahme

10

Stefan, acht Jahre

Blockierung Vermischungsbild

5

e ~ 2

P+,

6

3

Ausnahme

Stefan, elf Jahre

Blockierung Vermischungsbild

208

6

h - 0 S + 2

2

8

k +1P+ 2

d - m+ 2

11

2


Es werden nur die Blockierungen 0-2 vermerkt, beispielsweise bedeutet s + 2: nur zweimal in den zwanzig Profilen (VGP und EKP) erscheint die Faktorreaktion s +. Diese Bedürfnistendenz ist also blockiert, kaum «mobilisierbar». Hypothese

Zwei Regelmässigkeiten ergeben sich: 1. Je mehr Blockierungen in einem Vektor, desto weniger Ver­ mischungsbilder und umgekehrt. 2. Zweifaktorielle Blockierungen in einem Vektor haben weniger Vermischungsbilder als einfaktorielle. - Dazu: Vektoren ohne Fak­ torblockierung (Null-Blockierung) haben am meisten Vermischungs­ bilder (unter den vier Vektoren). Vermutung

Bei Ausnahmen müssen latente oder manifeste Erkrankungs­ gefährdungen in diese Verhältnisse zwischen Faktorblockierungen und Vermischungspotentialen «eingegriffen» haben. Nachprüfung: Bestätigungen und Ausnahmen

1. Carol: Übereinstimmung in drei Vektoren. Ausnahme im Vek­ tor S (Vermutung: hereditär blockierte Faktortendenz, siehe Seite 283). 2. Iwan: Übereinstimmung in allen Vektoren. 3. Ilse, erste Aufnahme: Übereinstimmung. Ilse, zweite Aufnahme: Ausnahme im Ich-Vektor (mehr Blockie­ rungen zusammen mit mehr Vermischungsbildern) wegen extrem zwangsneurotischer Strukturierung (Existenzform 12 und Sch ± 0, siehe Seite 219, 220). 4. Stefan, acht Jahre: Es liegen keine Unregelmässigkeiten vor (evtl. im Ich- und Kontakt-Vektor). Stefan, elf Jahre: Unregelmässigkeit im Vektor Sch wegen star­ ker Erhöhung der Vermischungsbilder Sch — (Blockierung der Objekt- und Ich-Idealbildung), die - wie schon erwähnt - zu einer

209


Erkrankungsgefährdung gehören (Existenzform 7). In den drei an­ deren Vektoren besteht Regelmässigkeit.


Weitere Testergebnisse zu Ilse und ihren Eltern

21 I


Auffälliges in der ersten und zweiten Aufnahme des Szondi Tests

Erste Aufnahme

VGP: I lse.

7,9-7, / / Jahre Sch

P

S

c Existenzform

k

P

+

+

+

+

0

0

-

(10)

(12)

-

0

+

0

+

+

(10)

(12)

+

-

0

0

±

0

12

-

+

-

0

0

0

12

6

-

+

-

0

+

0

-

12

7

0

+!

-

0

+

0

-

(12)

8

-

+!

-

0

+

0

-

(12)

9

-

+

-

0

+

0

0

(12)

10

-

+

-

+

+

0

+

h

s

e

hy

1

+

+

-

-

2

+

+

-

3

-

+

4

-

5

d

m 12

0

+

10

12

Nur die auffälligen Veränderungen in den Triebprofilen (den Vektorbildern, Faktorverbindungen und Existenzformen) sollen ver­ merkt werden. - Vorerst ist festzuhalten: Beide Testaufnahmen 212


(siehe Seite 219, zweite Aufnahme), vor allem die Vordergrund­ profile (teilweise auch die beiden EKP), zeichnen sich durch eine ausserordentliche Monotonie aus.

Komplementärprofile

(ThKP)

P

S

Sch

c

Existenzform h

s

e

hy

k

1

-

-

+

+

0

-

2

-

-

+

0

0

±

3

+

-

+

±

0

4

+

-

+

±

0

±

0

5

+

-

+

±

0

±

0

6

+

-

+

±

0

0

+

7

+

_;

+

±

0

0

+

8

+

_;

+

0

±

0

+

9

+

-

+

0

±

0

+

10

+

-

+

0

0

-

0

P

d

m

0

±

14

+ 0

-

+

12 12

12

12

Auffällige Veränderungen während der ersten Aufnahme bei Beginn der Behandlung Trotz der Monotonie erscheinen kleinere und doch gewichtige Veränderungen: a) Der Übergang im Affektvektor (VGP) von P — über P - ± zu P - 0: Über die Panikemotionen hinaus erscheint das Zögern (P - ±), ob man tiefere Gefühle der Unzufriedenheit nicht doch zeigen könn213


Komplementärprofile

(EKP)

p

S

Sch

C Existenzform

h

s

e

h/

k

p

d

m

1

-

+

-

+

+

-

+

-

2

-

0

-

+

+

_ m

+

+

3

-

-

-

+

0

+

+

-

4

-

-

-

+!

0

+

0

-

+

-

+ !

0

_ it

0

+

_;

-

-

+!

+

+

+

+

-

0

-

+!

+

_ m

+

+

+

+

-

0

+!

0

0

13 2

6 13 13

5 6 7 8

2

2

( '3)( 14) 6

(14)

6

(14)

9 10

-

te, und kommt so schliesslich in die Schwebe: zur Angst vor Aus­ brüchen der «Gewalttätigkeit», P - 0, (siehe die «Hexenproble­ matik» am Anfang der Behandlung, Seite 102). b) Im Kontaktvektor erscheinen vier Reaktionen m - (Ablösungs­ drang): m - erscheint später nicht mehr. Hier sind die Ablösungs­ tendenzen in eigenartiger Weise mit den drei Ich-Bildern im EKP und den auffälligen Quantumspannungen verbunden (EK-Profile 2, 6, 8: Sch + - !!; 0 - !! mit Profil 2, 6, 8 VGP m -). Diese Ich-Bilder stehen für «Anklage, Misstrauen» einerseits sowie «Verfolgungs­ drang, Verfolgungsangst» und Todes-, Beseitigungswünsche (P - + !) anderseits (die Hexe, die «böse» Frau). Sie sind im EKP jedoch ver­ bunden mit der Faktorreaktion m +, als könnte mit dem Anklammerungsverlangen (m +) auch ein stark unbefriedigter Drang nach 214


«ichhafter Geborgenheit», liebessehnsüchtiger Vereinigung mit der Mutter resp. einem Symbioseobjekt eine Rolle spielen. (Sch 0 - !! unbefriedigtes, dualunionistisches Verlangen; Sch + - !! Primär­ identifizierung mit einem verinnerlichten und idealisierten HabObjekt. Dreimal erscheint im EKP das «verlassene» Ich, Sch 0 ±, in Konkordanz mit dem ThKR) Die dominierenden Existenzformen in diesem EKP sind: Existenzform 2 Projektives Paranoid, Misstrauen, Verfolgung we­ gen Verweigerung dualunionistischer Bedürfnisse. Existenzform 6 Existenzform 13

Depression. Todes- und Beseitigungswünsche, Wut, Zornan­ fälligkeit.

Es liegt im EKP ein Versuch vor, durch paranoide Abwehr (An­ klage und Verfolgungsdrang) die depressiven Gemütsregungen (Schmerzempfindungen) abzuwehren (erträglich zu machen). Die­ se ergeben sich aus dem Konflikt zwischen Hass und Wut (e -) auf das «verräterische» Liebesobjekt sowie dem gleichzeitigen Bedürf­ nis nach einem Halt und Schutz, Anklammerung und Anlehnung gewährenden Objekt (m +). - Die «Ur-Ambivalenz» nach Melanie Klein beinhaltet: Hass und Verfolgungsdrang bei gleichzeitigem liebessehnsüchtigem Anklammerungs- und Fusionsdrang. (Dieser hat bei Szondi den Titel: «Drang nach totaler ichhafter Geborgen­ heit».) In den EK-Profilen finden sich die drei mächtigsten Gefahr-Exi­ stenzformen (13, 2, 6); gegen diese Gefahren (Wut, Hass, Anklage und Schmerz-Trauer) wehrt sich der Vordergänger durch zwangs­ neurotische Mechanismen und sexuelle Triebzielinversion (Existenz­ form 10, 12). In Profil I findet sich im EKP zudem - einmalig- das «Mörder-Syndrom» (Tötungs- und Beseitigungswünsche). Es ist im Vordergänger (Profil I ) durch Panik, Strafangst (P —) und durch das zwanghaft arbeitende Ich (Sch ± +) «überdeckt». Dieses Vor­ dergrund-Ich kam während der Behandlung immer wieder zum Vorschein, zusammen mit Sauberkeit;- und Beschmutzungstendenzen (C ± 0). Es handelt sich hier um das sogenannte «Ouvertü­ re-Profil», das bis zum Abschluss der Behandlung (52 Sitzungen in einem Jahr) alles Spielen und Verhalten «durchzogen» hat, aber 215


auch in wesentlichen Hinsichten erschüttert und teilweise aufge­ hoben worden ist, einerseits im Test und anderseits in sichtbarer Weise in den Veränderungen der Spielgehalte. Das

VGP ThKP EKP

Ouvertüre-Profil

+ +

-

± +

± 0

- - +

• + - +

0 + -

0 ± + -

Ein vordergründig harmloses Profil: VGP: Legierte Sexualität mit Panik, Beklemmung wegen Verbergen grober Affektregungen. (Beide Vektorbilder gehören zu den häu­ figsten in der Latenz.) Im Ich wird alles Phantasieren und Phantasmatisieren mit Arbeitszwang (!!) paralysiert, und im Kontakt weiss das brave Kind nicht, ob es an den alten Liebesobjekten kleben oder auf die Suche nach neuen Objekten gehen will. ThKP: Sublimierung und Sozialisierung der Sexualität (S —) sind noch im Hintergrund verpackt (erscheinen aber merkwürdiger­ weise schon im EKB Seite 214). Im Grunde, irgendwo fernab, möchte man doch das «liebe Kind» sein und -wenn möglich - noch «ichhafte Geborgenheit», das Sicheinnisten geniessen können, weiss aber nicht, ob man sich noch anklammern oder eigentlich abtren­ nen möchte (C 0 ±). EKP: Da wartet Gefährliches und «Schreckliches» auf dieses im

Grunde liebessehnsüchtige und zwangsarbeitende Ich: Die Sexua­ lität lässt sich nicht einfach verpacken; lustvolle aggressive, drauf­ gängerische Regungen warten auf ihre Befriedigung zusammen mit einem gewalttätigen, rücksichtslosen, egozentrischen Kain, der sich zur Ablösung von den alten Liebesobjekten bereit, beinahe ent­ schlossen fühlt. Das Tötungs-Beseitigungs-Syndrom erscheint hier im Ouvertüre-Profil in der Form von vier Entmischungsbildern mit diagonaler Spaltung des Ganztriebs! Bei Ilse scheint folgende Entwicklungsschwierigkeit vorzulie­ gen: 216


1. Es besteht bei ihr eine auffällige Schwäche der Ablösungsten­ denz m - (erste und vor allem zweite Aufnahme), eine Schwierig­

keit, auf Halt und Schutz gebende Bestätigung und Anklammerung zu verzichten (siehe die Kontaktbilder Seiten 226 und 23 I bei den Eltern von Ilse). - Die von ihr selten gegebenen Vektorbilder C + -, 0 - sind die häufigsten (30-60 Prozent) Kontaktbilder in die­ sem Alter. 2. Woher die «unheimliche» Stärke der Faktortendenz e - (Auf­ stauung grober Affekte) in beiden VGP- und EKP-Profilen? Von den Wurzelfaktoren wird gesagt, sie seien die Konduktor- resp. Erbfak­ toren (hier P e - e). Di e Tendenz e + erscheint in beiden Aufnah­ men als die total «blockierte Faktortendenz». (Selbst eine ambiva­ lente Reaktion e ± ist nirgends zu finden.) 3. Ilse scheint der «Kains-Gefährdung» lediglich durch zwangsneu­ rotische Mechanismen und eine Verengung ihrer psychosexuellen Erlebnismöglichkeiten (sexuelle Inversion) standhalten zu können. Die Veränderungen während der zweiten Aufnahme werden je­ doch eine solche Annahme nicht bestätigen (Seite 204). In dieser ersten Testaufnahme werden einerseits das Trauma sichtbar, das heisst das im emotionalen, trieb- und ichhaften Rea­ gieren erscheinende Verhalten von Ilse auf die sich wiederholen­ den Trennungssituationen im ersten bis dritten Lebensjahr (Seite 101) und anderseits - was noch zu erörtern sein wird - die mitwir­

+

-

0

O

-

1+

kenden familiären (eventuell erbbedingten) Faktortendenzen (Sei­ te 236). Die Profile auf den drei Ebenen (VGR ThKR EKP) können auf ein Durchschnittsprofil reduziert werden: ± (-)

Ein aggressives, das Zärtlichkeitsverlangen unterdrückendes Verhalten; ein unter Angstdruck stehendes, durch Beseitigungs­ wünsche und Wutausbrüche bedrohtes Affekterleben; bei einem sich stur um Selbständigkeit bemühenden und sich mit Unterdrükkung von Fusionsdrang wehrenden Ich (Sch ± 0, das Zwangs-Ich) 217


zur Abwehr von analsadistischen Impulsen (Verschmutzen-Saubermachen; wehtun, Unordnung-/Ordnungmachen: s + d ±).

+ -

+ ±

0 ±

0 + (±)

Hier verbirgt sich der durch den Vordergänger in den Hinter­ grund abgestossene, verworfene Teil der Gesamtperson. Von die­ sem Hintergänger erhofft man, dass er sich stückweise mit dem Vordergänger auf Kompromisse einlassen wird und dass dieser ihm einen Platz auf der Vordergrundbühne oder im EKP zugestehen wird. Diese in den Hintergänger abgestossene «Daseinsmöglich­ keit» für Ilse lautet: Da steckt ein für Zärtlichkeit empfindsames, hingabewilliges Mädchen, das sein Lieb- und Artigsein gern zeigen möchte, aber ebenso gern auch verbirgt, sich häufig verlassen fühlt und sich trotzdem weitgehend gehalten weiss, sich aber nicht im­ mer so durchgängig gehalten und geschützt fühlen möchte. - Auch das war Ilse, auch das konnte man in ihrem Verhalten, in ihrem Daherkommen und Spielen fühlen.

EKP

-

#

-

+ (!)

o - l

0 1

+ (+)

Hier erscheint die Neigung zu epileptiformen und hysteriformen Reaktionsweisen, zu Wutanfälligkeit sowie Beseitigungs-, Tötungs­ wünschen und -Impulsen zusammen mit Drang nach Anklamme­ rung, starken Anklage- und Verfolgungswünschen (den bösen Frau­ en gegenüber p - !!) und verbunden mit einem sich weitgehend ver­ lassen fühlenden, nach «ichhafter Geborgenheit» sehnenden Ich, das trotzdem jegliches Zärtlichkeitsverlangen bei sich unterdrückt. In leicht veränderter Form erscheint hier das Kleinsche Schema der frühinfantilen Angstsituationen und Abwehrmechanismen. Es ist mit den Existenzformen 2, 6, 13 angezeigt, das heisst mit den projektiv-paranoiden, den depressiven und - anstelle der maniformen - mit den im Affektbereich liegenden epileptiformen GefahrExistenzformen. 218


Zweite Aufnahme

VGP: Ilse,

8-8,6 Jahre (Aufnahme des Tests in unregelmässigen

Zeitabständen während des zweiten Teils der Behandlung)

p

S

Sch

c Existenzform

h

s

e

hy

k

P

d

m

_;

+

_!

+

+

0

+

0

10

13

2

-

+

_ i

0

+

0

+

0

10

13

3

-

+

-

±

0

+

+

(10)

(13)

4

-

0

-

0

+

0

6

5

-

0

-

+

0

+

+

6

6

-

0

-

+

+

0

+

+

6

7

-

0

_;

+

+

0

0

+

8

-

0

-

+

+

-

+

+

6

13

_;

+

±

0

+

+

6 (12)

13

-

+

-

+

0

1

9 10

0

+

-

Sh-5 Auffällige

Pe-]

-

+

Cd+

(13)

13

13

3

Veränderungen

in den Testprofilen der zweiten Aufnahme

I. Die Blockierung (diagonale Teilung des Ganztriebs) im psychosexuellen Bereich verschwindet während des zweiten Teils der Behandlung. S - + (Aggression dem Liebesobjekt gegenüber) wird zu S - 0, zur Unitendenz. (Im sexuellen Bereich ist nur noch die Unterdrückung, das Zurückhalten des Zärtlichkeitsstrebens «mo­ bilisiert».) Die s+-Regungen werden in das EKP abgestossen. Da219


mit verschwindet die Existenzform 10 (sexuelle Inversion). Der Sexualvektor ist weitgehend «desinvestiert», im EKP jedoch «über­ frachtet» (s + !).

Komplementärprofile

(ThKP)

Sch

P

S

c Existenzform

h

s

e

hy

k

p

1

+!

-

+!

-

0

+

2

+

-

+!

±

0

+

3

+

-

+

0

+

+

4

+

+

+

+

0

0

5

+

+

+

-

0

+

6

+

+

+

-

0

+

7

+

+

+!

-

0

8

+

+

+

-

0

+

9

0

+!

-

0

+

10

+

+

-

0

+

-

d -

m +

12 ( 13)

-

-

-

14 12

-

-

-

-

-

+

(13)

-

-

-

-

-

-

±

12 (13)

(13)

2. Die zwangsneurotischen Existenzformen (Existenzform 12) sind verschwunden. Das sich selbst bezwingende Ich (Sch ± 0), das in keiner Weise Verlassenheits- und Ungeborgenheitsgefühle in sich aufkommen lassen will, dominiert weiterhin, wird aber vom Hintergänger (EKP: Sch 0 ±) stärker bedrängt. Dieses Vordergänger-lch hat sich vom d ± «befreien» können; d ± wird zum kon­ stanten d +. Dadurch wird die zwangsneurotische Existenzform aufgelöst. - Es handelt sich (dem Behandlungsverlauf und den Spie­ len entsprechend) um eine Verminderung im analen Bereich (Fak220


Komplementärprofile

(EKP)

P

S

Sch

c

Existenzform h

s

e

hy

k

p

d

m

1

-

+

0

-

0

±

-

+!

(II)

2

-

+

0

±

0

+

+

+

12

3

0

-

0

+

+

0

+

4

-

0

0

5

0

6

-

7

+

+ !!

-

-

+

-

-

0

+

+

+

+

0

-

0

+

0

-

+

+!

-

-

-

9

0

+ !!

0

10

-

+!

-

+

+

(13)

+

(13)(14)

(14)

8 _; -

0

±

+

+

0

+

-

+!

3

13 ( H )

tor d) der Widersprüchlichkeiten (d ±) zwischen Behalten und Hergeben, zwischen Besitzen, Rauben und Geschenkemachen, zwischen Verschmieren und Saubermachen. (Man kann weder das eine noch das andere tun, oder man muss eventuell das eine durch das andere gleich wieder rückgängig machen.) Es dominieren nun 1. das Suchen und Erobern, die Neugierde für neue Objekte, das Erobern durch Geschenkemachen (d +) und 2. das Herstellen schöner Produkte, das Bedürfnis nach Bestäti­ gung und Anlehnung (m +). Der Kontaktbereich C + + erreicht maximale «Investierung». Die Faktortendenz d + und ausserdem hy + werden zu Wurzelfaktoren. Diese Verbindung mit hy + bedeutet: durch narzisstisches Gel­ tungsstreben und Sichzeigen neue Objekte für sich gewinnen (das 221


m + scheint dabei auch eine Rolle zu spielen, hy + d + m +). Die­ se Verbindungen bestanden schon («marschbereit») im EKP der ersten Aufnahme. (Welche Rolle mag dabei die Übertragungs­ beziehung gespielt haben?) 3. Der Ambivalenzkonflikt (im Sinn von Melanie Klein und imSzondiTest P - +, m +) erscheint jetzt im Vordergrundprofil (Existenz­ form 13: gestaute Wut und Hassemotionen, verbunden mit An­ hänglichkeit und Anklammerungsverlangen m 4- und depressiven Verstimmungen, Existenzform 6). - Im EKP der ersten Aufnahme erschien der erwähnte Ambivalenzkonflikt teilweise verbunden mit einer tiefen Ich-Regression, Sch 0 - !!, + - !!). 4. Weitere Veränderungen im Ich-Vektor sind: Die Monotonie (Sch ± 0) der Ich-Bilder hat sich vermindert. Es er scheinen die alters­ typischen Ich-Bilder Sch - 0 und zweimal Sch ± -, die in den Über­ gang zur Latenz und in ihren Anfang gehören. Im Ich-Vektor des EKP erscheint eine achtmalige Konkordanz zwischen ThKP und EKP Die Bedrohung durch Verlassenheits­ gefühle (Sch 0 ±) hat sich gesteigert und wird das Ich zur Ausein­ andersetzung und Stellungnahme nötigen. Die Spaltung durch ver­ tikale Teilung des Ganztriebs zwischen einem «sturen», oppositio­ nellen Zwangs-Ich (Trotz) im Vordergänger (Sch ± 0) und dem nachgiebigen, sich verlassen fühlenden Ich des Hintergängers (Sch 0 ±) wird Ilse vermutlich nicht aufrechterhalten können. Sie wird einen Weg finden müssen, der sie aus ihrem widersprüchlichen Ver­ halten den Eltern gegenüber, aus Trotz und Eigenwilligkeit einerseits und aus S ehnsucht nach Nesthockerei und Verwöhntwerden an­ derseits, herausführen wird. Die letzten Behandlungsstunden schei­ nen dies zu bestätigen (siehe «Heilen im Spiel», 1990). 5. Im Affektvektor erscheinen wichtige Veränderungen im EKP Hier haben sich der Erlebnis- und Erfahrungsraum und das Vermischungs­ potential im Affektbereich erhöht (siehe Seite 204). Es erscheinen (im EKP) anstelle der monotonen Affektbilder P - + ! nun solche, die Angst, Panik, Schuldangst, Sichverbergen, Unsicherheit im Auf­ treten, Scheu, Scham anzeigen, das heisst Affektregungen, die das moralische Verhalten und Reagieren unterstützen. In der ersten Aufnahme scheint das Affekterleben (im VGP und EKP) in Kain222


Ansprüchen, Beseitigungswünschen P —I- (!) und in Angst vor ge­ waltsamen Ausbrüchen (P - 0) untergegangen zu sein. Von einer die ethische Zensur unterstützenden Affektreaktion e + oder e ± ist jedoch noch keine Spur vorhanden; im Gegenteil: e - erscheint jetzt im VGP mit Quantumspannungen. Die moralische Zensur hat sich aber, wenigstens im EKR etablieren können. 6. Die auffälligsten und wahrscheinlich günstigsten Faktor- und Vektorveränderungen im VGP und EKP finden sich im Kontakt­ vektor im Übergang von C ± 0, ± - zu C + + (+ 0). «Man wünscht sich sowohl das alte wie das neue Objekt.» Im EKP erscheinen eine leichte Erhöhung der Vermischungsbilder und vier neue Kontakt­ bilder der «Treue»: C - + !,- ±, ± +. Die Veränderung C + + im VGP hat sich im EKP der ersten Aufnahme angekündigt (durch die Konkordanz zwischen ThKP und EKP). Folgendes ist dem beizufügen: C + + hat auch die Bedeutung von «Flucht aus der Inzest- und Ödipussituation in bilateralen Kon­ takt». Die Erhöhung vor allem im VGP des Vermischungspotentials geht zusammen mit einer Entleerung dieses Potentials im Sexual­ vektor (Vermischungspotential = 0; siehe Seite 208). C + +, das massive Vorstossen in die VG-Profile, mag (den Abschlussspielen von Ilse entsprechend) auch bedeuten, dass sie sich «entschlossen» hat, den alten Objekten, Vater und Mutter, «treu» zu bleiben (sie ist Einzelkind), dies ohne Verzicht auf das Suchen nach neuen Ob­ jekten. Im EKP dürfen sich auch Besitzansprüche (d -) melden (zweimal C - + !). Das Besitzen und Festhalten von Liebesobjek­ ten: d - ist keine blockierte Faktortendenz mehr (C zweimal - + !, einmal - ± und ± +). Hingegen ist die Ablösungstendenz m - nun zur blockierten Faktortendenz geworden. Damit ist Ilse ins «Trieb­ drama» ihrer Eltern «eingetreten» (siehe Seiten 226, 231, 242, die Kontaktbilder der zweiundvierzigjährigen Ilse und ihrer Eltern).

Zu den Quantumspannungen in der ersten und zweiten Aufnahme Die Angst vor Ausbrüchen von Gewalttätigkeit (P - 0) verschwin­ det im VGP der zweiten Aufnahme. An die Stelle einer Unitendenz 223


tritt eine diagonale Teilung des Ganztriebs. P - (!) + = Aufstauung von Un-Zufriedenheit, von groben Affekten und gleichzeitiges Sichzeigen, Sichherausstellen mit narzisstischen Ansprüchen in der Form von Beachtet-werden-Wollen, Sich-zeigen-Wollen, Auf-dieBühne-Treten. (Das hy + ! hatte sich schon im EKP der ersten Auf­ nahme angemeldet.) Die quantumsmässige Verstärkung des e - (!) und die Monotonie der diagonalen Teilung (Vektor P - !+) des Ganz­ triebs (im VGP) können es mit sich bringen, dass p lötzlich gegen­ sätzliche Reaktionen in den Vordergrund treten, also in diesem Fall Reaktionen des e + !: Gewissensangst, Schuldgefühle, Wiedergut­ machung, Versöhnungsbedürfnis. Sie a lle erschienen in Ilses Spie­ len, nie aber Mitleidsempfindungen! Am auffälligsten waren die Rück­ erstattungen. Die Faktortendenz hy +, die in der ersten Aufnahme im EKP mit mehreren Quantumspannungen erschien, ist nun in der zwei­ ten Aufnahme in den Vordergrund getreten. Auch diese hy +-Ten­ denz kann beim Spielen plötzlich umkippen. Die Anzeichen dafür sind: a) Die jetzt erscheinende Konstanz der diagonalen Teilung des Ganztriebs (die Konstanz im VGP von P - +). b) Die auffällige totale Konkordanz im Faktor hy zwischen ThKP und EKP Während des zweiten Teils der Behandlung konnte Ilse neben dem Sichzeigen, Auftretenwollen, Sich-schön-Machen, ne­ ben weiblichem Exhibieren (tanzen usw.) auch immer wieder plötz­ lich erröten, sich hinter einem Möbel verstecken, das Gesicht mit beiden Händen zudecken usw. Der fast unveränderte Block von drei Vektorverbindungen durch die ganze Behandlung hindurch (erste und zweite Aufnahme) lässt vermuten, dass es sich bei Ilse und ihren Entwicklungsschwierig­

+ o

1

1

keiten um mehr als nur eine (überfällig gewordene) infantile Neu­ rose und um mehr als eine bloss Sch S P durch zwangsneurotische Ten­ - +(!) denzen gestörte Entwicklung han­ ± 0 - 0 delt. Die vorliegende Monoto­ nie im Szondi-Test in den drei Vektoren spricht eher für eine Ge­ fährdung der Entwicklung Ilses durch eine neurotische Charakter224


strukturierung. Diese muss auf frühkindliche Traumata und ver­ mutlich auf eine Erkrankungsdisposition zurückgeführt werden. Der Kern der Gefährdung wird durch die drei Existenzformen 13, 6 und 12 angezeigt (Affektstörung, Neigung zu depressiven Ver­ stimmungen und Zwang). Vom entwicklungspsychologischen Gesichtspunkt her gesehen ist zu vermuten, dass Ilse durch nichtbewältigte frühe Angstsitua­ tionen in ihrer emotionalen Entwicklung zurückgehalten wird; die Ablösungskrisen des zweiten und dritten Lebensjahrs sind offen­ bar kaum bewältigt worden. Die Existenzform 6 (Depression; in der ersten Aufnahme im EKR i n der zweiten im VGP) scheint auf eine frühe, nicht «durchgearbeitete» depressive Phase (Klein, Mah­ ler) hinzuweisen, die in dieser Kurztherapie nicht durchgearbeitet werden konnte. (Diese depressive Phase wird durch Ilse andeu­ tungsweise während der Behandlung in der ödipalen Situation und den damit verbundenen Versagungen ins Spiel gebracht.) Die Affekt­ gefahren (Existenzform 13 und 14, dann aber mit Neigung zu Kon­ version) und die depressiven Neigungen (Existenzform 6) finden sich bei der zweiundvierzigjährigen Ilse wieder (siehe Seite 242).

225


Der Vater von Ilse

VGP d es Vaters (33jährig) von Ilse (siehe Vater von Ilse Seite 122)

P

S

Sch

c Existenzform

h

s

e

hy

k

p

d

m

1

-

+

-

+

-

0

+

+ !! (I")(I3)

2

_;

-

-

+

0

0

+

+ ! (I')(I3)

3

-

+

0

+

-

-

+

+ ! (II)

16

4

_1

+

0

+

-

-

+

+

16

5

_;

+

0

±

0

-

+!

+

(13)

6

-

+

0

0

-

+

+

(13)

16

C m + 4

Vergleich der Faktorreaktionen und Vektorbilder bei Vater (Seite 122) und Tochter (Seite 118/119) a) Beide unterdrücken die Bedürfnistendenz nach personen­ gebundener Zärtlichkeit h - (!) im VGP und EKP und zeigen eine erhöhte Neigung zu aggressiven Tendenzen (s +). Bei beiden ist s - eine weitgehend blockierte Tendenz. b) Bei Vater und Tochter findet sich weder im VGP noch im EKP eine Reaktion e +, also die Bedürfnistendenz nach Toleranz, Ver­ söhnung, Mitleid (Gefühlsregungen und Emotionen, die der Ent­ wicklung der ethischen Instanz zugrunde liegen). Nur Aufstauung 226


Komplementärprofile

(ThKP)

p

S

Sch

c Existenzform

h

s

e

h/

k

p

d

m

1

+

-

+

-

+

±

0

- !!

7

2

+!

+

+

-

0

-!

7

3

+

-

+

-

+

+

0

-!

7

(13)

4

+!

-

+

-

+

+

-

-

(7)

(13)

5

+!

-

0

+

_;

-

(7) ( 12)(16)

6

+

-

0

+

0

-

(7) ( '2)(16)

+

Komplementärprofile

(EKP)

Sch

P

S

10

C Existenzform

h

s

e

hy

k

p

d

m

1

-

+

-

0

±

+!

0

0

2

0

+

+

0

0

0

3

0

+

+

0

4

0

+

+

5

0

6

-

+

-

0

0

0

-

-

0

+!

-

0

-

0

+

+

+

_[

0

+

-

3 (13) 12

11

(13) 16

von Un-Zufriedenheit, Groll oder, beim Vater, ein schmerzlicher Zwiespalt zwischen Groll und Gutmütigkeit (e ± mit Konkordanz zwischen EKP und ThKP) sind anzutreffen. 227


c) Ilse und ihre Eltern haben grosse Schwierigkeiten sich abzulö­ sen, von Anklammerungsobjekten loszukommen. Das Verlangen nach «Anklammerung», danach, «angenommen zu werden, wie man eben ist», nach kommunikativer Bindung ist ein stark gestautes, unbefriedigtes Bedürfnis und blockiert die gegenteilige Bedürfnis­ tendenz m -, das Streben nach Sich-frei-Machen, nach Allein-seinKönnen, nach «Sichloslösen vom Objekt», von unglücksvollen Abhän­ gigkeitsgefühlen.

Die Gefahr-Existenzformen beim Vater Es dominieren die epileptiforme Affektstörung (Existenzform 13), verteilt auf die drei Profilebenen, und die maniforme Kontakt­ störung (Existenzform 7 im ThKP). a) Die Erkrankungsgefährdung im Affektbereich: Eine «unerlöste», unbefriedete Kain-Figur hindert den Vater daran, Groll und Gram «verkraften» zu können, und überlässt ihn dem Zwiespalt zwischen Hass, Wut und Versöhnungsbedürfnis (e ± Konkordanz EKP-ThKP). Grobe Affektregungen (VGP) werden verdrängt oder machen sich dann und wann in spärlichen dumpfen Wutregungen (P 0 +, Sch - -) oder in Klageregungen und Anklageversuchen (P 0 ±, Sch 0 -) be­ merkbar. b) Bei der Triebklasse C m + (!) 4 im VGP handelt es sich um eine «Allerwelts-Triebklasse» (C m +), um die häufigste unter seelisch gesunden Menschen (Szondi, 1947, Seite 78). Szondi schreibt: «Die Triebgefahr bei Vertretern dieser Klasse (C m) wird durch die La­ tenz des Bedürfnisses, sich an das Objekt zu klammern, bedingt. Sie s ind des Gefühls unfähig, das Objekt sicher zu besitzen. Sie s ind

sogar dann unsicher in der Objektbesetzung, wenn das Objekt in Wirklichkeit fest in ihrem Besitz ist. Das Bedürfnis, sich an das Ob­ jekt zu klammern, ist unstillbar und quantitativ zu gross, wie es einst gegenüber der Mutter gewesen war» (I960, Seite 319). Die Faktortendenz m - ist bei Vater, Mutter und der achteinhalb- und zweiundvierzigjährigen Ilse eine «blockierte» Tendenz. Beim Vater stehen die Neigungen zum Trinken und zur Polyphagie (m + !!) im Zusammenhang mit den Kontaktbildern im ThKP und den mani228


formen Existenzformen (Existenzform 7), das heisst mit starken hintergründigen Gefühlen der Vereinsamung, mit Enttäuschungs­ erfahrungen und schmerzhaften Vertrauensverlusten.

Zu den Gefahr- und Schutz-Existenzformen Die zwei gleich starken Gefahr-Existenzformen sind: die maniforme im ThKP und die epileptiforme in den drei Profilebenen. Der Gefahr-Index ist hingegen klein (G-l = 1,2). Unter den SchutzExistenzen dominiert mit fünf «Punkten» der «sozialisierende Alltagsmensch» (Existenzform 16), das heisst das Anpassungs­ bedürfnis, das Sichanpassen (p -) und Verzichtenkönnen (k -). Je zwei «Punkte» ergeben sich aus den akzeptationsneurotischen Mechanismen (Existenzform I I) und dem zwanghaften Reagieren, dem «Sich-Bezwingenden».

Die Kontaktbilder im EKP Vektor C, EKP (Szondi, I960. Seiten 199, 189)

0 0 0 0

Da «träumt» der dreiunddreissigjährige Vater von glücklieher Anhänglichkeit, vom «Sitzen imSchoss der Mutter». Dabei erinnere ich mich (sehe und höre ihn), wie er als

0 +! 0 +

Grossvater, die letztgeborene zweijährige Enkelin auf den Knien und «im Schoss tragend», sein Glücklichsein zu

0 +

zweit gegenüber einer gesprächigen und aufgeregten Ge­ sellschaft beteuert: «Mir zwei händs halt guet mitenand.»

0 0

Nachträgliche Erkundigung ergab, dass ei ne solche engere Bezie­ hung zwischen ihm und seiner letzten Enkelin in den zwei Jahren vor seinem Tod bestanden habe, nicht aber mit seinen früheren Enkelkindern in dieser Form. Im nachhinein erschien es mir, als hätte etwas Grossväterliches, Mütterlich-Behagliches und ein «Beinahe-Glücklichsein» schon im­ mer zum Wesenskern dieser Person gehört. Die C-Bilder in den drei Profilebenen scheinen einen Einblick in das Schicksal von Ilses Vater vermitteln zu können, Schicksal ver­ 229


standen als die durchstandene Not und erreichte Standfestigkeit ÂŤvon der Geburt bis zum TodÂť, hier im Bereich der BedĂźrfnisse nach kommunikativer Verbundenheit.

230


Die Mutter von Ilse

Die Faktorreaktionen und Vektorbilder in den Testen von Ilse (Seiten I 19/120) und ihrer Mutter (Seite 125)

VGP der Mutter (27jährig) von Ilse

p

S

Sch

c Existenzform

h

s

e

hy

k

p

d

m

1

-

0

+

±

+

0

0

+

2

-

-

+

±

0

0

+

+ !

3

-

0

+

-

0

-

+

+

4

-

0

+

-

0

-

0

+ !!

5

-

0

+

±

0

-

-

+!

(II)

6

-

0

+!

+

+

+

-

+

(13)

(II)

14

(2) (2) II 14 ( 1 4 ) 17

a) Auch bei der Mutter steht - wie bei Ilse und ihrem Vater - die Unterdrückung des personengebundenen Bedürfnisses nach Zärt­ lichkeit (immer h -) im Vordergrund, jedoch nicht im EKR Sie g e­ hört in die Triebklasse S h - der aktiven Menschen mit Bedürfnis­ befriedigungen in sozialisierten Formen (S -0, e +, m +). Auch Ilse gehört in der zweiten Aufnahme zur Triebklasse S h -, jedoch ohne e +. b) Wie Ilses Vater und auch Ilse weitgehend, kann sich die Mutter nicht ablösen, freimachen von Halt und Schutz gewährenden Objek231


Komplementärprofite

(ThKP)

p

S

c

Sch

Existenzform h

s

e

hy

k

1

+

+

0

0

-

2

+

+

-

0

3

+

-

+

4

+

+

-

+

5

+

+

-

0

6

+

_;

Komplementärprofile

0

d

+

+

m

_;

-

-

+

+

_M

+

+

+

_;

-

-

+

-

+

+

12

-

-

+

14 (13)

(7) 13

16

(7) (12) ( 13)( 16) 6

13

16

(13)

16

(EKP)

c

Sch

P

S

p

Existenzform h 1

-

s

e

hy

k

P

d

m

+

0

-

+

±

+

+

-

-

0

+

-

+

-

0

+

-

-

+

13

+

-

0

-

0

14

+

-

+

(12) (13)(l 6)

-

+

+!

2

+

3

0

+

4

+

+

5

+

±

-

0

6

+

-

-

0

0

-

6 12

(1')('3) 16

ten (gibt nie ein m -). Im Vergleich zu ihrem Partner hat die Mutter ein mehr auf Intensität und Intimität ausgerichtetes Kontakt­ bedürfnis, C - + (!), - 0 (VGP und EKP). 232


c) Im Gegensatz zu Ilse und ihrem Vater hat die Mutter eine gesi­ cherte emotionale Grundlage für ethisches und moralisches Emp­ finden und Reagieren. Sie wird sich jedoch zeitweise durch bewegungssturmartige (P + ±) Aufregungen zu wehren haben (siehe die Konkordanzen im Vektor P zwischen ThKR EKP und Existenz­ form 14). Im Hintergänger herrscht Angst vor gewaltsamen Affekt­ ausbrüchen (P - 0, Konkordanz EKP-ThKP).

Die Erkrankungsgefahren im Test der Mutter 1. Die Affektgefahren: die epileptiforme (13) in sechs Profilen und die hysteriforme (14) in viereinhalb Profilen 2. Die Stimmungs-, Kontaktexistenzformen: zwei de­ pressive (6), eine maniforme (7) 3. Die Ich-Gefahren: eine projektiv-paranoide (2)

10,5 Profile 3

Profile

I

Profil

I14,5 Profile

Es sind dieselben Erkrankungsgefahren wie bei Ilse: die epileptiforme und die hysteriforme Erkrankungsgefährdung (Existenzfor­ men 13 und 14). Bei der Mutter dominiert im Vordergrund die hysteriforme Gefährdung. Die Stauung grober Affekte (P - 0), die zu Verwirrungszuständen führen könnte, erscheint nur in den Hintergängern, dort in Konkordanz. - Ilse hat den Hintergänger (ThKP und EKP) ihrer Mutter im VGP: P - 0, - +. Wird sie dies verkraften, bewältigen können? Der Affektvektor steht bei Mutter und Tochter (und so auch beim Vater) im Zentrum der Erkrankungsgefährdung. Der Test zeigt es a) durch die dominierenden Existenzformen 13 und 14 bei Toch­ ter und Mutter und I 3 beim Vater; b) bei der Mutter ausserdem durch die faktoriellen und vektoriellen Konkordanzen im Affektbereich zwischen EKP und ThKP und bei der Tochter durch die Quantumspannungen in den Faktoren e und hy. 233


Die Schutzexistenzen bei der Mutter 1. Anpassung und Verzicht, der sozialisierende An­ 5

passungsmensch ( 16) 2. Der «Sichbezwingende» und Gezwungene ( 12)

Profile

3 Profile 2,5 Profile I Profil

3. Akzeptationsneurotische Mechanismen (II) 4. Humanisierung ( 17)

111,5 Profile

Die Mutter wehrt sich gegen die Affektgefahren a) durch die Fähigkeit, ihre sexuellen Bedürfnisse zu sozialisieren: S -0, (—), e + , m + (Triebklasse S h -), zusammen mit einem «neurotischen Anklammerungsbedürfnis» resp. durch «akzeptationsneurotische Schutzmechanismen» (Existenzform I I) oder durch Anklammerung an ein «Ersatzobjekt» (Trinken und Rauchen); b) durch zwangsneurotische Mechanismen (Existenzform 12) und durch «Arbeitszwang» (Existenzform 16). Alle Schutzexistenzen erscheinen in den zwei Hintergängern. Der Gefahr-Index ist klein (G-l = 1,3).

Die Dialektik zwischen Vorder- und Hintergänger Vordergänger

Eine Frau, die ihre Zärtlichkeitsbedürfnisse zurückhält (unter­ drückt), rücksichtsvoll, pflichtbewusst, manchmal vorsichtig bis misstrauisch ist und sich teilnehmend verbunden weiss im sozialen Bereich wie auch als Mutter, sich aber trotzdem haltbedürftig fühlt. Hintergänger

(ThKP)

Eine vereinsamte, nach Ablösung drängende und sich zögernd nach Neuigkeiten umsehende Frau, die sich gegen die mit einer solchen Vereinsamung gekoppelte und vermengte Aufstauung von groben Affekten durch Zwangsarbeit schützt und sich manchmal am Rande unerträglicher Niedergeschlagenheit fühlt (Existenz­ formen 6, 7). 234


Beide Eltern zeigen ihre Quantumspannungen vorwiegend im Faktor m +. Ilse bringt sie im m + (!) erst im EKP der zweiten Aufnahme. In der Testaufnahme bei der zweiundvierzigjährigen Ilse zeigt es sich, dass auch sie - in ähnlicher Weise wie die Eltern von einem Anklammerungsschicksal getroffen worden ist (siehe Seite 242). Nachtrag zum Lebensende der Mutter von Ilse (siehe Seite 122)

Von medizinischen Gesichtspunkten her gesehen drängte sich seit längerer Zeit die Vermutung auf, dass Ilses Mutter von jung auf an Alkoholsüchtigkeit gelitten hatte. Unklar ist, ob ein Zusammen­ hang zwischen der «Bluterkrankung» und der «Trunksucht» bestan­ den hat. Sie war unheimlich geschickt darin, ihre Sucht nach aussen zu verheimlichen.

235


Vergleichende Untersuchungen zu den Testergebnissen bei Ilse und ihren Eltern

Bemerkungen zu den Triebklassen Ilse und ihre Eltern haben drei Triebklassen gemeinsam: C m, P e und S h. Es sind dies drei Faktorenbereiche. (Insgesamt gibt es acht die Triebklassen bestimmende Faktoren.) Vater C m + (P e -) Mutter S h - (P e +) Ilse P e - (Cm-) resp. S h - (P e -) Bei der zweiten Aufnahme «übernimmt» Ilse die Triebklasse der Mutter (S h -), verliert die C m-Klasse und übernimmt die P e-Klasse des Vaters. Bedenkt man, dass d er Vater nie eine Reaktion h + oder h ± gibt (und im VGP h - mit Quantumspannungen aufweist), dass auch die Mutter (im VGP) kein h + zeigen kann (siehe Seite 231) und sie als a uch Ilse in die Triebklasse S h - gehören, dann scheint eine solche «Fixierung» in der Unterdrückung von personen­ gebundenen Zärtlichkeitsbedürfnissen vom Test her gesehen ein Familienschicksal, ein familiäres «Zwangsschicksal» im Bereich der psychosexuellen Erlebnis- und Erfahrungsmöglichkeiten zu sein, wenn auch nicht notwendigerweise ein hereditäres. (Dieses liegt eher im Affekt- und Kontaktbereich.) Im EKP reagieren Mutter und Tochter im sexuellen Bereich ver­ schieden: die Mutter mit Ambivalenzen (Unterwerfung und Angriffigkeit, s ±), aber auch mit Hingabeverlangen (S 4- - ), Ilse mit totaler (VGP und EKP) Unterdrückung des Zärtlichkeitsbedürf­ nisses, deren Weiterbestehen bei Ilse fünfunddreissig Jahre später noch immer «vordergründig» festzustellen ist (siehe Seite 242).

236


Die Blockierung von Faktortendenzen bei Ilse und ihren Eltern Bei dieser Untersuchung geht es d arum, herauszufinden, wel­ che zwei Faktortendenzen - plus und minus - eines Ganztriebs weder im VGP noch im EKP erscheinen. (Die Reaktionen ± und 0 werden übersehen.) Für jeden Faktor (ob VGP oder allenfalls EKP) ist zu erwarten, dass nicht nur Plus-, sondern auch Minus-Reaktio­ nen erscheinen (oder umgekehrt). Die Konstanten bei Ilse sind: e +0 / h +2 s -2 / p +, k-r (In der zweiten Aufnahme sind die Blockierungen im hy - und d - ver­ schwunden.) Zu den blockierten Faktortendenzen im Ich bei Ilse

Hier liegt eine auffällige Hemmung im Bereich der Ich-Entwick­ lung in der Form einer vertikalen Teilung des Ganztriebs (Sch ± 0, 0 ±) vor. Bei der zweiten Aufnahme sind dadurch die vier Tenden­ zen des Ganztriebs blockiert. Weder kommt es zu «eigentlichem» Verzichten (k -) und zu sichanpassenden, partizipativen Bedürfnis­ tendenzen (p -, Sch —) noch zur Introjektion im Sinn von «Errich­ tung guter verinnerlichter Objekte» (k +), noch zur Bildung eines Ideal-Ichs und später, in der Latenz und Adoleszenz, zur Ich-Idealbildung (p +). Es handelt sich bei Ilse um eine Form von globaler Hemmung der Ich-Entwicklung, vorwiegend aufgrund des dominierenden ZwangsIchs (Sch ± 0), das immer noch versucht, sich von seinen verloren­ gegangenen dualunionistisch ersehnten Liebesobjekten loszureissen. (Diese zwangsneurotische Ich-Strukturierung hat bei der zweiundvierzigjährigen Ilse nur noch im EKP Spuren hinterlassen (siehe Seite 242). Die auffällige Ich-Entwicklungs-Hemmung scheint ihren Ursprung im Verlassenheitsdrama der zwei- und dreijährigen Ilse zu haben (siehe zweiter Teil, Seite 101). Bei den Eltern finden sich (im Test wie auch in ihrer nächsten Verwandtschaft) keine Hinweise auf Erkrankungs­ gefährdung im Ich-Bereich. (Zur vertikalen Teilung des Ganztriebs im Ich siehe Szondi,Ich-Analyse, Seite 290, «Verlassenheit und Zwang».) 237


Vergleicht man die blockierten Faktortendenzen bei Ilse mit den Blockierungen in den Testen ihrer Eltern, kommt man zu fol­ genden Ergebnissen: 1. Die Mutter hat nur drei Blockierungen: s + Aggression, kann nicht aggressiv werden; hy + Exhibieren, kann sich nicht zeigen, auf die Bühne treten; m - Ablösungsbedürfnis; sie wird sich in alle Ewigkeit an ein Objekt oder ein Ersatzobjekt klammern (Sucht­ objekt). Ilse teilt mit der Mutter, aber erst in der zweiten Aufnahme, nur die Blockierung des m Die «Unfähigkeit», sich abzulösen von Haltobjekten, findet sich bei beiden Eltern. Es is t die einzige ge­ meinsame Blockierung unter diesen drei Personen (ein familiäres Zwangsschicksal?). 2. Ilse hat fast dieselben Blockierungen von Bedürfnistendenzen wie ihr Vater: Vater:

h +o

e+o

Ilse:

h+

e+

hy -o d -o

m - o k +i P + i ( s - 2 ) (m -) k - p + s -

Der Vater hat die Blockierungen hy -0 und d -0, die Ilse in der zweiten Aufnahme «abzustossen» vermochte; in dieser wird das d - durch das (familiäre) m - «ersetzt». Beide haben die folgenden Blockierungen gemeinsam: a) e +

Schuldgefühle, Versöhnungsbedürfnis sind blockiert,

b) h + s -

ebenso das personengebundene Zärtlichkeitsbedürfnis und das Unterwerfungs- resp. Hingabebedürfnis.

c) k + p + Die Objektidealisierung und das Ideal-Ich resp. die k - p - Ich-Idealbildung sind kaum entwickelt. Der Vater kann verzichten und sich anpassen (k -, Sch —), d) m -

nicht so Ilse. Unterentwickelter Ablösungsdrang, Freiheitsdrang (im Sinn von sich ablösen von einer halt- und schutz­ gebenden Umgebung und von Alleinseinkönnen).

238


Die Grössenverhältnisse zwischen Gefahr- und Schutzexistenzen Gefahr-Index Vater Mutter Ilse, erste Aufnahme zweite Aufnahme

1,2 1,3 1,2 (2,0) 3,8

Bei den Eltern handelt es sich um «normale» (stabilisierte) Per­ sonen. - Bei der zweiten Aufnahme (während des zweiten Behand­ lungsabschnitts) erfolgt bei Ilse eine Erhöhung und eine partielle Ver­ änderung der Gefahrexistenzen, vermutlich durch Aufdeckung von frühkindlichen Entwicklungsgefahren während der Behandlung (Affekt­ störungen und Neigungen zu depressivem Reagieren, Existenzfor­ men 13 und 6).

Die Proportionen der Vermischungsbilder im VGP und EKP bei Ilse und ihren Eltern

Ilse, erste Aufnahme (zehn Profile)

VGP EKP I

Ilse, zweite Aufnahme (zehn Profile)

VGP EKP I

S

p

Sch

C

2 4

2 1

1 1

5 3

6

3

2

®

0

3

0

1 4

2

5 5

0 \l/

5 71

5 71 @71

Bei Ilse liegt das h öchste «Entwicklungspotential» im Kontakt­ bereich (bei den Eltern im Ich-Bereich) und das kleinste im IchBereich. Bei der zweiten Aufnahme verliert Ilse das Potential im 239


sexuellen Bereich (auch ihr Vater steht auf Null). Das Entwicklungs­ potential der Bedürfnistendenzen erhöht sich jedoch bei ihr im Kontaktbereich und vor allem in der Mitte. Hier hat sich das Ver­ mischungspotential verdoppelt.

Vater (sechs Profile)

Mutter (sechs Profile)

S

P

Sch

C

VGP EKP

0 0

0 1

2 3

2 0

S

0!

1

©

2

VGP EKP

1311 3 0 4 I

I

4

3

©

2

Beim Voter ist die psychische Energie in der Form von erhöhten Anpassungs- und Teilnahmebedürfnissen im Ich-Bereich mobilisiert. Er hat einen geringeren Erfahrungsraum im sexuellen Erleben und im Affektbereich als seine Partnerin. Die Mutter hat die höheren und ausgeglicheneren Vermischungs­ potentiale.

Die Vermischungsbilder und das Verhältnis von Mitte zu Rand Mitte

Rand

Ilse, erste Aufnahme zweite Aufnahme

0,4 I

I I

Vater Mutter

3 1,3

I I

Ilse (Seite 239) konnte die Mitte im Affekt- wie im Ich-Bereich erhöhen (von 0,4 auf I ), zusammen mit einer einseitigen Erhöhung 240


im analen und oralen Vitaltriebbereich (Vektor C). Auffällig ist die einseitige, nur im Ich-Vektor erscheinende Höhe der Vermischungs­ bilder beim Vater gegenüber den drei anderen Vektoren. Bei Behandlungsbeginn hatte Ilse ein niedriges Entwicklungs­ potential in der Mitte. Die Veränderungen im Mitte-Rand-Verhältnis sind - vermute ich zumindest - auf die «gute» Zusammenarbeit im Behandlungsverlauf zurückzuführen, eine Arbeit, die jedoch im Bereich der psychosexuellen Entwicklung zu keiner wesentlichen Veränderung führte. Darüber, was ein günstiges Verhältnis zwischen Mitte und Rand sein könnte, ist nichts bekannt; Untersuchungen über die Ver­ mischungsbilder und deren Mitte-Rand-Proportionen in Testauf­ nahmen vor und nach einer psychotherapeutischen Behandlung, zusammen mit den Veränderungen bei den blockierten Faktor­ tendenzen, werden vermutlich Wesentliches über den Verlauf ei­ ner Psychotherapie anzeigen können.

241


Der Szondi-Test der zweiundvierzigjährigen Ilse

VGP

P

S

c

Sch

Existenzform

1 2 3

h

s

e

hy

k

p

d

m

-

+

-

0

+

-

-

+

±

0

-

-

+

0

+ !!

11

-

-

-

-

0

+

+ !!!

11 (14)16

+

-

-

0

-

+ !!!

-

±

-

-

-

+

0

+ !!!

11

_1

+

+

_;

0

0

0

+ !!!

11

_1 -

4 5

6

+

13 (16)

(3) II (13) (14)16 14

Triebklasse C m + (!)

Das Auffällige im Vergleich zur achtjährigen Ilse (siehe Seiten 212 und 219) Sexualvektor

Die Unitendenzen und die diagonale Teilung des Ganztriebs im VGP haben sich vermindert. (Die Hälfte - VGP und EKP - der SBilder besteht nun aus Vermischungsbildern.) Die Unterdrückung des personengebundenen Zärtlichkeitsbedürfnisses ist im VGP er­ halten geblieben (so wie es auch bei Ilses Eltern war), jedoch nicht im EKP Hier erscheint eine Vielfalt von Sexualbildern, welche die zwei gegensätzlichen sexuellen Bedürfnisse (Zärtlichkeit und Ag242


Komplementärprofile

(ThKP) p

S

Sch

c

Existenzform h

s

e

hy

k

p

d

m

1

+

-

+

±

-

+

+

-

2

+ !

0

+

+

-

3

+

+

+

+

+

4

0

-

+

+

5

+

0

+

+

+

6

+!

-

-

+ !

±

Komplementärprofile

-

6 (12)

-

- !!!

+

- !!!

6

+

- !!!

6

+

14

-!(!) 6 (12) (13)

(EKP) P

S

-

- !!

14 16

Sch

C Existenzform

h

s

e

hy

k

p

d

m

1

0

+

+

_;

±

-

-

+

2

+

+

+

+

±

_!

-

0

3

-

+

-

+

+

-

-

0

4

+

±

±

-

0

12 12

5 6

+

-

+

+

-

±

±

-

0

+

-

+

±

-

-

0

(14) 2 (12)

13 13

13

gression) in der Form von vier Vermischungsbildern zu einem Aus­ gleich bringen (S + +, + ±, ± +). Die Faktortendenz s-, das Hingabeverlangen, gehört immer noch zu den blockierten Faktor­ 243


tendenzen. Verminderte Blockierung und erhöhte Anzahl Vermi­ schungsbilder im VGP und EKP zeigen einen erweiterten sexuellen Erlebnisraum an. Dieser äussert sich darin, dass nun im EKP Vermi­ schungsbilder in Richtung «marschbereiter» sinnlicher Sexualität (S + +, ± +, + ±) und im VGP Sublimierungs- resp. Sozialisierungstendenzen erscheinen. Die Überbleibsel (Residuen) aus der Kind­ heit sind: die Unterdrückung im Faktor h im VGP und die jedoch durch Legierungstendenzen verminderte Tendenz zur Inversion (S - + ,0 +) im erotischen Bereich (VGP und EKP). Der

Affektvektor

Im VGP erscheint eine etwas «mühsame» Stabilisierung des Affekterlebens. Das Bild P - - dominiert: sich verbergen und auf­ stauen von groben Affektregungen (Beklemmungsgefühle, innere Panik). Der moralische Zensurfaktor hy - dominiert nun im VGP Das Exhibieren ist hier verschwunden, aber nicht blockiert. Im EKP erscheint ein auffälliges Hin und Her zwischen Abel- und KainReaktionen. Der Erlebnisraum im Affektbereich hat sich erweitert: Es erscheinen im Hintergänger (EKP) ein zaghaftes Verlangen nach Friedsamkeit, Wiedergutmachung und Gewissenskonflikte (e +, ±). Scheu-, Scham- und Angstreaktionen sind «möglich» geworden (PH— (!), ± -) und erscheinen zusammen mit Abel-Reaktionen (siehe Vektor P Seiten 212, 213, 219, 220). Der

Ich-Vektor

Im VGP dominieren die Verneinungs-, Hemmungs- (- +) und Verdrängungsbilder (- 0). Das «schrecklich» monotone ZwangsIch der achtjährigen Ilse (Sch ± 0), das weder verneinen noch beja­ hen, weder unterdrücken noch verinnerlichen konnte, hat im EKP Spuren hinterlassen (Sch ± -, ± ± = der Drang, vor unerträgli­ chen inneren Pein- und Angstsituationen auszureissen, in vager Hoffnung, ein Glücklichsein und Schonung jenseits von Konflikt und Anschuldigung zu finden [das Ausreisser-Ich, Sch ± -]). Angst und Ausreissen scheinen eine eher kindliche oder adoleszente Form von Freiheitsdrang anzuzeigen, einen Drang, durch den man zu ei­ ner Befreiung von unlösbaren inneren ichhaften Konfliktsituatio244


nen zu kommen hofft. - Das Positive: Im VGP haben sich die Ten­ denzen k - und p + einen Platz verschaffen können: p + als Drang nach Bewusstwerdung und Ich-Idealstrebungen, wenn auch ver­ bunden mit Hemmungsgefühlen (Sch - +). Die Ich-Tendenz k - ist nicht mehr blockiert. Ilse kann hemmen oder zeitweise Wunsch­ regungen verdrängen. Der

Kontakt-Vektor

Woher dieser ungeheuerliche Anklammerungsdrang, dieses Halt und Schutz suchende Sichanhängen? Schutz wovor? Das Vermischungs­ potential im Vektor C ist gleich Null und erscheint mit zweifaktorieller Blockierung (d +, m -). Das Suchen nach Neuem (d +), das Verlangen nach Alleinsein, das Sichloslassen und Für-sich-sein-Können (m -) sind wie erloschen.

Sechs Profile Blockierung Vermischung

S

P

ST

* •

7

5

Sch (k+2) • 4

C d + ,

m - 0

0

Die Tendenz s - war schon bei der achtjährigen Ilse blockiert. Trotz dieser Blockierung befindet sich hier das höchste Vermischungs­ potential. In den drei anderen Vektoren bestätigt sich die Annahme von Seite 209: Je mehr Blockierung, desto weniger Vermischungs­ potential. Bei der Faktortendenz m + !!! handelt es sich um eine massive Verstärkung akzeptationsneurotischer Schutzmechanismen, aber ohne maniforme Gefährdung wie bei Ilses Vater im ThKR Bei ihr erscheinen im ThKP die depressiven Gefahr-Existenzformen (6). Ilse hat sich gegen die Versuchung durch Alkohol mit einem Ver­ sprechen an ihren Partner «gebunden»: Er entscheidet über Kauf und Verbrauch von alkoholischen Getränken. 245


Zu den Existenzformen

Es dominieren weiterhin die Gefährdungen im Affektbereich, aber mit Verstärkung der hysteriformen ( 14) gegenüber den epileptiformen (13). Bei den ersten finden sich ein bis zwei Existenzfor­ men für Konversionshysterie. (Ilse hatte in ihren Dreissigerjahren Angstanfälle mit Herzbeschwerden.) Bei der Achtjährigen dominierten im VGP «Kain und Depressi­ on» (Testaufnahme während und gegen Ende der Behandlung, Sei­ te 219). Jetzt erscheint die Depressionsgefährdung im ThKP (Existenzform 6). Der theoretische Hintergrund könnte wie folgt «gelesen» wer­ den: Im Unbewussten verbirgt sich eine «Person», die sich mit ih­ ren kindlich-weiblichen Begehren (ThKP: S + -, + ! 0) elendiglich verlassen fühlt und sich ablösen möchte (m - !!, C ± - !!, — !!) und in bewegungssturmartigen Aufregungen (P + +), Beachtung erheischend, einem verinnerlichten, idealen Liebesobjekt nach­ trauert (Sch + -, ± -). Das fünfte Profil im ThKP scheint die hin­ tergründige Konfliktsituation am eindeutigsten zu reflektieren. ThKP

+ 0

+ +

+ -

± - !!!

Existenzform 6

Es hab en sich bei Ilse dieselben Erkrankungsgefährdungen er­ halten (drei Gefahrexistenzen von gleicher Stärke: Existenzformen 13, 14, 6). Die Veränderungen in den Vermischungsbildern jedoch zeigen den erhöhten Entwicklungsstand an. (Die «Löcher» bleiben, aber sie machen weniger Angst, und man kann sie umgehen.) Anders als die achtjährige Ilse ist die zweiundvierzigjährige jetzt auch anpassungsfähig, sie kann sich anpassen und verzichten (der «sozialisierende Alltagsmensch», Existenzform 16). Neben den Zwangs­ mechanismen (Existenzform 12) hat sich auch das Erleben von Schuld- und Reuegefühlen (Abel-Reaktionen, Existenzform I I) ent­ wickelt. Die dominierenden Gefahrexistenzen sind dieselben wie bei ihren Eltern: Existenzform 13 resp. 14, das heisst, die Affekt­ gefahren verteilt auf die drei Ebenen und die Depression (Existenz­ form 6) im ThKP Die Schutz-Existenzformen sind auf drei von vier 246


Möglichkeiten verteilt (Existenzformen II, 12, 16); der Gefahr-In­ dex ist 1,2 (bei der achtjährigen Ilse 1,2 und 3,8). Die Veränderungen in den Vermischungsbildern bei Ilse S

P

Sch

C

Z

Ilse, acht Jahre, erste Aufnahme

S

3

2

8

18

zweite Aufnahme

0

5

5

10

20

7

5

4

0

16

10

7

6

0

23

(beide Male zehn Profile) Ilse, zweiundvierzigjährig (sechs Profile, auf zehn verrechnet)

Das globale Entwicklungspotential (VGP und EKP) geht von 18 (erste Aufnahme) auf 20 (zweite Aufnahme) und von da auf 16 resp. 23 (bei der zweiundvierzigjährigen Ilse). Die Mitte-Rand-Proportionen gehen von 0,4 auf I und (42 Jahre) auf 1,2. Welche Be­ deutung einer Erhöhung oder Verminderung des globalen Entwick­ lungs-Potentials zuzuschreiben ist, könnte durch Testaufnahmen während des Entwicklungsverlaufs bei Kindern und Jugendlichen oder durch Testaufnahmen nach Abschluss von Behandlungen er­ fragt werden. Wurzelfaktoren und Triebklassen

Wurzelfaktoren

acht Jahre achteinhalb Jahre zweiundvierzig Jahre

e - h - s + e - h - d+ m + e - h - hy -

Der «Kern» e - h - hat sich erhalten.

Triebklassen

acht Jahre achteinhalb Jahre

P e - (C m -) S h - (P e -, C d +)

zweiundvierzig Jahre

C m + (S h -) 247


Die Klasse C m + (42 Jahre) ist an die Stelle von P e - getreten. Im Gesamttest dominieren jedoch weiterhin die Affektgefahren (Exi­ stenzformen 13 und 14, siehe Seite 242). Ilse hat durch das Übernehmen der mütterlichen Verantwor­ tungen in der Familie und durch ihre (berufliche) Heimarbeit ihr «Freiheitsschicksal» aufgebaut. Das «Zwangsschicksal» im Bereich des Sexualtriebs, der Affekt- und Ich-Bedürfnisse hat sich gelockert. Der Weg der «Sozialisierung» ihrer Liebesbedürfnisse (das Pflegen, Heilen, das Verschönern und handwerkliche Schaffen) wurde in den Spielen und Phantasien der Achtjährigen schon sichtbar (vgl. Ringger, 1990, Seite 147). Die Verminderung der Blockierungen von Faktortendenzen und die Erhöhung der Vermischungsbilder reflektieren die in der Zwi­ schenzeit erfolgten Reifeprozesse. Der Verwirklichung ihres letz­ ten «Berufswunschs», nämlich Bewirtungsverantwortliche in der alkoholfreien Bar eines Volkstheaters, stand sie sehr nahe, musste dann aber darauf verzichten. Sie hat sich daraufhin zu einer ande­ ren Berufsausbildung entschlossen: Heilmassage. (Zwischen ihrem achtzehnten und einundzwanzigsten Altersjahr war sie Hilfsschwe­ ster.) All ihre Berufswünsche waren ihre eigenen «Erfindungen», so wie schon die Rollenwahlen in den Spielen, als sie acht Jahre alt war. (Von Schicksalspsychologie weiss sie nichts.)

Aufbruch der dritten Generation Einmalige Profilaufnahme bei der zwanzigjährigen Tochter von Ilse Existenzform VGP

_ +

0

+ ±

- +!

11

ThKP

+ 0

± +

-

0

+ -!

(13)

EKP

±

± -

-

0

+

0

0

0

11

Es ha ndelt sich um Ilses erstes Kind (aus erster Ehe), eine le­ bensfrohe, zutrauliche und arbeitsfreudige Person von eher kleiner Gestalt. Sie lernte Automechanikerin, brach aber nach drei Jahren 248


die Lehre vorzeitig ab wegen Allergien, die medizinisch schwierig zu behandeln waren, und während einer Zeit ernsthafter Liebes­ ereignisse und -konflikte. Sie entschloss sich daraufhin, mit einem älteren Freund zusammen ein Kind zu haben. (Zur Zeit der Testauf­ nahme war sie zwanzig Jahre alt, im sechsten Monat der Schwan­ gerschaft.) Zu den Testprofiten

Die psychosexuelle Situation (resp. die Triebkonstellation) im Sexualvektor scheint auf Reifungsschwierigkeiten hinzuweisen. Auf­ fällig ist (wie bei der Mutter und den Grosseltern) die Abwesenheit von personengebundener Zärtlichkeit (h +) und Hingabeverlangen (s -). Die zwei Bilder VGP S - ± und EKP ± 0 stehen der bisexuel­ len Triebkonstellation S ± ± noch sehr nahe. Zu Beginn der Lehre hatte sich das sechzehnjährige Mädchen entschlossen, daheim auszuziehen (nicht wegen Schwierigkeiten) und sich in einer kleinen Wohnung selbständig einzurichten. Die Einwilligung der Eltern hatte es. Merkwürdigerweise erscheint bei dieser Testaufnahme im VGP und EKP kein Ablösungsbedürfnis (m -), als w äre auch hier diese Tendenz wie bei der Mutter und den Grosseltern blockiert und die Anklammerungstendenz überhöht (m + !). Wollte sie sich anders­ wo «einnisten»? Die bei Ilses Tochter vorliegenden zwei Existenzformen, I I und (13), finden sich oft bei Ilse und Ihren Eltern. Zur Analyse der Mitte

Im Affektleben herrscht gegenwärtig grosse Ruhe, «Ebbe» und Entspannung (P 0 0), unterstützt durch ein Gefühl, eine gute Mut­ ter in sich zu haben, zu sein (Sch + ±, Identifizierung mit der «gu­ ten Mutter», die uns einst verlassen hat). Im Hintergrund «warten» Gewissenskonflikte (e ±, P ± ±), Schuldgefühle (P ± -) und ein kräftiges Verlangen nach Verdrängung (Sch - 0 in Konkordanz zwi­ schen ThKP und EKP). Das frühe Heiraten erscheint in dieser Fa­ milie zum dritten Mal (Ilses Mutter, Ilse, Ilses Tochter). Aber sie weiss sich bei ihren Eltern und ihrem Partner in ihrem Zustand gut 249


«aufgehoben» (ihre Urgrossmutter hatte ihre Grossmutter Verstös­ sen, als diese neunzehnjährig und schwanger war). Sie will eine gute Mutter sein (Sch + ±). - Ein jüdisches Sprichwort sagt: «Gott konnte nicht überall sein, darum schuf er die Mütter.» Auch Ilses Tochter hat ihren Mann schon bald einmal verlassen. Bei der Fürsorge der Kinder helfen «neue» Grosseltern und Freun­ dinnen (siehe «Die Kinder von Ilse», Seite I 14).

250


Weitere Testergebnisse zu Stefan, Carol und ihren Eltern

251


Zur Szondi-Test-Aufnahme beim achtjährigen Stefan

Aufnahme im Alter von 7;6 bis 8;0 Jahren, gegen Ende der ersten Behandlungszeit Vordergrundprofile (VGP) Stefan (7; 10)

Nr.

SozWert

p

S

Sch

C

II

h

s

e

hy

k

p

d

m

1

+

+

+

-

0

-

0

+

2

+

0

+

+

-

+

3

+

0

0

0

-

+

4

+

0

0

- !

0

5

+

-

0

+

0

6

+!

-

0

+

-

7

+

-

0

-

8

4- !

-

0

-

9

+

-

0

10

+

-

-

+

0

+

2 2

+

2 +

2

- !

+

0

2

- !

0

+

2

+

- !!

0

+

2

0

+

- !!

0

+

2

+

0

+

0

+

+

8

3

6

1

7

6

12

13 X 0

4

6

2

I0

Tend. Sp. Gr. 0

252

-

0

T T Existenzform Sp

Sy %


Analyse der Vektorbilder und Faktorreaktionen in den Vordergrundprofilen In den Vektorbildern und Faktorreaktionen finden sich die durch­ schnittlichen alterstypischen Reaktionen selten. Durchschnittlich­

keit ist aber kein Kriterium für Normalität oder Erkrankungsgefähr­ dung. Neben der Durchschnittlichkeit gibt es den individuellen Ent­ wicklungsweg mit seiner unermesslichen Vielfalt von Bewältigungs­ versuchen, Schutz- und Abwehrmechanismen in der Psyche jedes Individuums. Dennoch müssen die alterstypischen «Werte» berück­ sichtigt werden. Sie si nd Gesichtspunkte, unter denen der indivi­ duelle Entwicklungsgang einerseits und die Erkrankungsdispositio­ nen oder Erkrankungsgefährdungen anderseits beleuchtet werden können. (Die krankheitsbildtypischen Vektorbilder und Faktorreak­ tionen und deren Verknüpfung stimmen weitgehend mit der Dar­ stellung der Krankheitsbilder in der psychoanalytischen Psychopa­ thologie überein.) a) Die auffälligste Abweichung von den Durchschnittswerten er­ scheint in den Vordergrundprofilen des fast achtjährigen Stefan im Ich-Vektor: Es liegt eine Fixierung der Ich-Entwicklung auf frühinfan­ tile Stufen vor: Sch 0 - (!), + - (!), 0 ±; sieben infantile Ich-Bilder. Nur drei Bilder verweisen auf einen Ubergang zur Latenzzeit: das Anpassungsbild mit Argwohn und Misstrauen (Sch — !) und die zwei Ausreisserbilder mit Anklagetendenz (Sch ± - !). Das Zu­ sammenfallen dieser frühinfantilen Ich-Bilder mit bestimmten an­ deren Faktorreaktionen und Vektorbildern ergibt, dass es sich nicht nur um eine blosse Fixierung der Ich-Entwicklung handelt. (Davon wird in der Analyse der Existenzformen die Rede sein.) Die Quan­ tumspannungen im paranoid-projektiven Bereich (Sch p - !!) sind ein weiteres Anzeichen für eine hier vorliegende krankheitsbildtypische I ch-Entwicklungsstörung (Verfolgungsangst u nd Verfolgungsdrang). b) Im Bereich der psychosexuellen Entwicklung fällt die totale Ab­ wesenheit der Faktortendenz s + auf. Aggression, Angriffs- und Wehrimpulse fehlen. Es liegt in diesem Bereich ein partielles here­ ditäres Triebschicksal vor, wie es auch bei Carol, Stefans Schwe­ ster, zu vermuten ist (siehe Seite 283). 253


c) Im Affektbereich ist die hohe Anzahl von Symptomfaktoren zu beachten, vor allem im Faktor e (e 0). Sie beruht auf der Schwierig­ keit bei Stefan, grobe Affektregungen (e -) und Regungen wie Mit­ leid, Reue, Wiedergutmachung (e +) aufzustauen. Die «ethische Instanz» hat sich aufgrund einer vorliegenden frühkindlichen Affekt­ mobilität noch kaum entwickeln können. Das moralische Empfin­ den hy - (Sichverbergen, Scham- und Schandegefühle, Schüchtern­ heit) zeigt sich erst andeutungsweise (verglichen mit den Durch­ schnittsreaktionen in diesem Alter). d) Im Kontaktbereich verweist die hohe Anzahl von Symptomfak­ toren auf die Schwierigkeit bei Stefan, Liebesobjekte in Besitz zu nehmen, zu behalten (er gibt nie d -). Ebenfalls findet sich bei ihm kein Verlangen nach Ablösung, Abtrennung von Liebesobjekten, an die man sich einst anklammern konnte (gibt nie m -). Beide Reak­ tionen finden sich nur in den Hintergängern (siehe Test der Mutter, Seite 276). Die sechs ersten Kontaktbilder verweisen auf eine depressive Crundstimmung im Kontakterleben (C 0 ±, + ±, + 0), auf eine ungelöste, nicht durchgearbeitete, frühinfantile depressive Phase. Die vier folgenden Bilder (C 0 +) zeigen ein gegenteiliges Verhal­ ten an: Zusammen mit erhöhtem Partizipationsdrang (p - !!), er­ höhtem Zärtlichkeitsbedürfnis (S + ! -) und passiv weiblicher Ein­ stellung verweisen diese Kontaktbilder auf glückliche, zufriedene, kindliche Anhänglichkeit an Liebesobjekte, ohne Bedürfnis nach Suchen oder klebriger Anhänglichkeit. Die gegensätzlichen Anzei­ chen für Tendenzen zu depressiver Verstimmung und für «glückli­ che Anhänglichkeit» werden während der folgenden drei Jahre un­ tergehen (wegen des allmählichen Einbrechens der maniformen Erkran­ kungsgefährdung, siehe Seite 260).

254


Zur Analyse der Existenzformen in den Vordergrund- und den theoretischen Komplementärprofilen (VGP und ThKP)

a) Die Vordergrundprofile (Seite 252)

In acht Profilen erscheint die paranoid-projektive Erkrankungs­ gefährdung (Existenzform 2). (Die Allmachtsphantasien und die kainitischen Ansprüche auf Beseitigung der «Aggressoren» - in der Form von Zwangsimpulsen - erscheinen im theoretischen Hinter­ gänger.) Neben der dominierenden paranoid-projektiven Gefähr­ dung erscheint ein Profil für epileptiforme (13) und eines für deTheoretische Komplementärprofile (ThKP) Stefan (7;10)

P

S

Sch

C Existenzform

h

s

e

hy

k

p

d

m

1

-

0

-

+

+

+

+

0

13(17)

2

-

+

0

+

-

+

-

0

13 16

3

-

+

0

+

+

-

0

4

-

±

0

0

+ !

+

0

3

12

5

-

+

±

±

+ !!

+

0

3

12

6

_;

+

+

+

+ !

±

3

7

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+

+

+

0

+!

-

3

(13)

_;

+

+

+

-

+ !!

-

3

(13)

9

-

+

+

-

+ !!

-

3

10

-

+

+

±

0

8

-

-

+

-

12

(17)

12

255


pressiv-melancholische (6) Erkrankungsdisposition. Damit sind die Erkrankungsgeßhrdungen in der Sippe des Vaters angezeigt (siehe

Seite 166). b) Im theoretischen Hintergänger finden sich wegen Quantum­ spannungen p + ! und vorliegender Tendenz zu diagonaler Spaltung der Bedürfnistendenzen des Ganztriebs (Existenzform 3) sechs Pro­ file, die für eine paranoid-inflative Ich-Störung sprechen. Dabei gilt es vor allem zu bedenken, dass man bei Inflation (Allmachtsgefühle, Allmachtsgedanken, Allessein) in der Schicksalspsychologie von der Aufhebung der Triebgegensätze (beispielsweise bald Engel, bald Teu­ fel sein) und von flottierendem Identifizierungsdrang spricht, also von einer Störung der Integrationsfähigkeit des Ichs. Die inflativen Allmachtsbegehren im theoretischen Hintergänger erscheinen ver­ bunden mit Gewissenskonflikten (e ±), mit Konflikten im inzestuö­ sen Klebebereich (C - 0, ± 0, - ±) und mit einem männlich-ag­ gressiven Verlangen. (S - + zusammen mit Sch 0 + ! und p + !! ergibt ein von männlich-sadistischer Angriffigkeit und von Allmachts­ ansprüchen besessenes Ich [der arme «Kleine Prinz»].) Die Durch­ schlagskraft dieses theoretischen Hintergängers in die Spielgehalte beruht vermutlich auch auf der Schwäche der Ich-Tendenz k - im VGP und EKR

Analyse des Hintergängers (EKP) Stefan musste bei der zweiten Wahl noch kontrolliert und ge­ führt werden. Unsicherheiten, ob wirklich richtig gewählt wurde, sind vorgekommen. - Die Vektorbilder überblickend und aufgrund der Konkordanzanalyse lässt sich sagen: a) Ich-Bereich

Im egodiastolischen Bereich (Faktor p) liegen im EKP keine Ver­ änderungen vor. Es w ird kaum zu einer Umkehr von p - zu p + kommen, das heisst, die Ich-Funktion p + (ohne Quantumspan­ nung: Bewusstwerdung, Bewusstmachung, Ich-Idealbildung) wird vermutlich kaum zum Funktionieren gelangen, was auf eine Ver­ minderung der «Existenzkraft» hindeuten könnte. (Existenzkraft 256


Empirische Komplementärprofile (EKP) Stefan (7; 10) s

Sch

P

c

Existenzform h

s

e

hy

k

p

d

m

1

+

0

+

+

±

0

_j

-

2

+

+ !!

0

-

-

-

+

-

3

-

+

+

0

Hh

+

+

-

12

4

+

-

0

+

0

-

-

(12)

5

-

+

0

+

0

+!

-

(12)

6

+

-

+

+

0

-

-

(12)

7

+

+

+

+

0

0

_;

+

(14)

8

0

-

+

+

-

0

+

+

(14)

9

±

+

-

0

0

+

10

+

+

0

-

-

+

_1

-

0

15

(12)

17

13 16

vereinfacht gesagt - bedeutet, «sich von der gemeinsamen Es-IchMatrix absondern, als be wusstes Ich dem Es e ntgegentreten und mit dem Geist die partizipative Verbindung aufnehmen» (Szondi, 1960, Seite 139). Dieser verminderte Absonderungsdrang (Existenzkraft) im Ich zeigt sich durch die extreme Stärke der Inflation (Aufhebung der Triebgegensätzlichkeiten, Beidesseinkönnen [ThKP]) und als erhöh­ ter Projektionsdrang im VGP ( p - !!). In beiden «Fällen» handelt es sich um eine Schwächung der Integrationsfähigkeit des Ichs. (Ich erinnere an die sich wiederholenden Verfolgungsängste und Ver­ folgungsimpulse und auf die Allmachtsbegehren im Spiel von Ste­ fan.) 257


b) Psychosexueller

Bereich

Im EKP zeigt sich ein mehrmaliges Schwanken, ein Hin und Her zwischen extrem männlich-aggressiven und weiblich-passiven Ten­ denzen. Eine psychosexuelle Entwicklung hat bei Stefan kaum statt­ gefunden, das heisst, der Entwicklungsweg zu einer Geschlechts­ differenzierung - in hetero- oder homosexueller Richtung - oder zu einer Legierungsfähigkeit von Aggression und Zärtlichkeit er­ scheint nur andeutungsweise (drei Profile zeigen sie an). c) Im Affektbereich zeigt sich im Faktor e (in Konkordanz mit dem ThKP) eine erhöhte Tendenz zur Reaktion ± (Gewissenskonflikte: «Will ich gut oder böse, lieb oder zerstörerisch sein?»). Die im EKP neuen Bilder (P + +, ± +, 0 +) verweisen auf eine hintergründi­ ge Tendenz, mit dem Lieb- und Gutsein auf die Bühne zu treten. (P + +; bewegungssturmartige Tendenzen werden beim Elfjährigen zum dominierenden Affektbild im VGR) d) Im Kontaktbereich schwankt alles zwischen Treue, Inzest (kleben und sich anhängen [C -!+,-! 0; dreimal d - !]) sowie Untreue, Ablösungsdrang und Auf-die-Suche-Gehen: C + (!) -. Diese Konfliktspannungen sind unlösbar. Schon jetzt dominiert im EKP (der Entwicklungsnorm entsprechend) der Ablösungs­ drang (C + -), das Zurückstossen der Liebesobjekte (siebenmal m -). Zudem erscheint dreimal das Kontaktbild C - (!) das ver­ zweifelte Kleben an einem Objekt, welches man in Wirklichkeit schon längst verloren hat. Unlösbarer Zwiespalt (C -i—, - +) und Verzweiflung (C - ! -) ebenso wie die Bilder für Glücklichund Unglücklichsein im VGP werden in den folgenden drei Jahren durch diagonale Spaltung der Kontakttriebkomponenten und Uni­ tendenzen (C + - !, 0 - !), das heisst durch maniforme «Reak­ tionsbildung» (Existenzform 7), zum Verschwinden gebracht (sie­ he Seiten 261, 265).

Der Gefahr-Index (Gl) Das Verhältnis der Gefahr- zu den Schutz-Existenzformen ist 22 : 12 (1,8 : I). Im VGP finden sich zehn Gefahr-Existenzformen gegenüber einer Schutz-Existenzform. 258


Im Gesamttest dominieren die Ich-Existenzgefährdungen (Exi­ stenzform 2 mit Triebklasse Sch p - !): - fünfzehnmal die paranoid-projektive und inflative Existenzform (2 und 3). - fünfmal die epileptiforme Disposition (Affektstörung, Existenz­ form 13), vorwiegend im ThKP (zusammen mit den inflativen Ich-Tendenzen).

(Beim elfjährigen Stefan werden die Affekt- und die Kontakt­ störungen [maniformer und depressiver Art] an die erste Stelle tre­ ten.) Die Schutz-Existenzformen liegen bei Stefan fast nur in den Hintergängern; auch beim Elfjährigen werden sie nur im ThKP und EKP zu finden sein, dann aber um fast die Hälfte vermindert. - Im Vergleich dazu befinden sich zum Beispiel bei Iwan die SchutzExistenzformen vorwiegend im VGP und die Gefahren in den Hin­ tergängern (siehe Analyse der Existenzformen des achtjährigen Stefan, Seiten 269, 270).

259


Interpretation des Szondi-Tests des elfjährigen Stefan

Analyse der Vektorbilder und Faktorreaktionen in den Vordergrundprofilen (vgl. Seite 252) Vordergrundprofile (VGP) Stefan (11;0 Jahre)

p

h

s

e

hy

k

p

d

T II T Existenzform + m 0 Sp

1

+

0

+

+

_;

±

0

-

7

2

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0

+

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-

-

0

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3

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0

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+

-

-

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-!

(7)

4

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0

+

0

-

+

- !

5

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0

0

+

-

0

+

-

6

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0

0

+

0

-

+

-!

7

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0

+

-

-

+

-!

8

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0

+

+

0

-

+

-!

9

+

+

+

+

-

-

+

- !

Nr. Soz.Wert

S

Sch

C

2 (7) 14 14 2 (7) (2)

14 7

10 I0

Z 0

z ±

lend. Sp. Gr. 0

260

8

2

4

3

2

2

0

14

Sy %

16


a) Psychosexueller

Bereich

S + ! 0 (erhöhtes Zärtlichkeitsbedürfnis in Unitendenz): Die Monotonie dieser Bilder und die Quantumspannungen sprechen für eine psychosexuelle Unreife. Die Faktortendenz s + (Aggression, Angriffslust und Wehrhaftigkeit) bleibt weiterhin, auch im Hinter­ grund, blockiert (siehe EKP). Die Monotonie der Bilder gleicht ei­ ner Stabilisierung, aber im Sinn einer Fixierung (eventuell Regressi­ on) auf frühkindliche Liebesbedürfnisse, die Stefan nicht zu befrie­ digen vermag. Bei einer solchen Monotonie mit Quantumspannun­ gen im Zärtlichkeitsbedürfnis meint Szondi, dass man wegen «IchStörungen unfähig geworden ist, seine Bedürfnisse nach Liebes­ bindung in der Wirklichkeit zu entladen» ( 1960, Seite 70; an dieser Stelle werden auch die damit verbundenen Erkrankungsgefährdun­ gen angegeben, die denen von Stefan entsprechen). Das Vektor­ bild S + 0 kann zu dieser Entwicklungszeit noch häufig gezeigt werden. Auch beim achtjährigen Iwan findet sich im VGP dieselbe Mo­ notonie im Sexualvektor. Während der Behandlung zeigten sich je­ doch bei Iwan im EKP eine grössere Mobilität im Bereich der sexu­ ellen Tendenzen, eine stärkere Tendenz zur Legierung und vor al­ lem im Gesamttest weniger gewichtige und andersartige Erkran­ kungsdispositionen. b) Bereich der Affekte

Hier hat sich das Erleben in Richtung erhöhter Affektflut (P + +, + ±) verändert. Es d ominiert die Neigung zu bewegungssturmartigem Suchen nach Entspannung von gestauten Affekten, durch Aufregung, Sich-bemerkbar-Machen, Lautwerden usw. Zugleich wird mit Gutmütigkeit, Wiedergutmachung und Liebsein «exhibiert». Die Faktortendenz e + wird sich nun definitiv im Vordergrund eta­ blieren (zum Teil dem Entwicklungsziel entsprechend). Was sich hier im Affekterleben zu «strukturieren» beginnt, nähert sich jedoch dem einer hystero-epileptischen Erkrankungsdisposition (Existenzform 14). Die Erhöhung von e + und P + + im VGP zeigt an, dass Stefan sich jetzt in einer sich stabilisierenden Affektlage zu halten versucht, um vor den bedrohlichen, sich hintergründig stauenden Energien 261


der groben Affekte (P —, -0), den Tötungsphantasien und Besei­ tigungsansprüchen «Ruhe zu haben». Die Anpassungsreaktionen im Ich (Sch —) helfen dabei mit. c) Ich-Bilder

Im Ich- und im Kontakt-Vektor erscheinen die auffälligsten Ver­ änderungen nach diesen drei Jahren. Zu berücksichtigen wäre, dass sich die Quantumspannungen, die beim Achtjährigen fast ausschliess­ lich im Ich-Vektor (p - !) zu finden waren, nun in den Vitaltrieben, im Bereich der Psychosexualität und im Kontakterleben «eingeni­ stet» haben, und zwar in der Form einer monotonen Erhöhung der Faktortendenzen m - !, h + !. Im Vordergrund finden sich fünf typische Ich-Bilder der Latenz (Sch —, - 0), also das Verlangen nach Anpassung, das Verzichten auf früheren Verfolgungsdrang (0 - !). Lediglich noch eine Neigung zu regressivem Verhalten im Ich zeigt sich in der Form spiegelbild­ licher Umkehr (Sch 0 -, -0), von Projektion und Verdrängung. Die Stufe der Latenz im Ich-Bereich scheint erreicht worden zu sein. Aber auch dieses Erreichen erfolgt etwas monoton. Das Ich-Bild Sch —, die Legierung von Projektion und Verneinung, erscheint ebenfalls im Hintergänger EKP als das häufigste Bild, das heisst, die Tendenzen k + und p + sind beim elfjährigen Stefan blockierte Tendenzen geworden. Die Tendenz p + war schon beim Achtjäh­ rigen blockiert. Die Frage stellt sich: Handelt es sich hier um einen vorzeitigen Stillstand in der Umlaufbahn der Elementarfunktionen im Ich (Szondi, 1963, Seite 389)? Können vielleicht nur so die ur­ sprünglichen Erkrankungsgefährdungen (Existenzformen 2, 3 und 13) entmachtet werden? d) Das Kontakt-Erleben

Zu bemerken ist, dass die Bilder C + -, 0 - die häufigsten Kontaktbilder oft bis zur Pubertät oder Vorpubertät sind. Zusam­ men machen sie in allen Gruppenuntersuchungen dreissig bis fünf­ zig Prozent aller Kontaktbilder aus. Stefan hat also das «Entwicklungs­ ziel» der Latenz erreicht, wieder aber mit Quantumspannungen und mit Monotonie. 262


C + -!

Extensiver Kontakt, Ablösungsbedürfnis, kindlicher Drang

CO-!

nach immer wieder anderen oder neuen Objekten. Enttäuschung, Verlust des Vertrauens, Abtrennungsverlan­ gen, Neigung zu Haschen und Hasten, «vom einen zum anderen gehen», Beschäftigungsdrang, Unruhe.

Wiederum nähern sich diese Vektorbilder bei Stefan einer Ent­ wicklungsgefährdung, und zwar wegen des Vorliegens von Profilen maniformer Gefährdung (Existenzform 7) und der fast ständigen Reaktion C + - ! (die «hypomelancholische Reaktion», Seite 266). Es ist typisch für die Latenzzeit und den Ubergang zu ihr, dass inzestuöse und ödipale Verbindungswünsche, das Sich-anklammern-Wollen, das intime und intensive Kontaktverlangen mit ein­ zelnen Personen, also C - (!) 0, - + (!), ± +, in den Hintergrund zu treten haben. Ein solches Verlangen und Sichsehnen wird auch Theoretische Komplementärprofile (ThKP) Stefan (11,0 Jahre)

P

S

Sch

c Existenzform

h

s

e

hy

k

P

d

m

1

-

+

-

-

+!

0

+

+

2

-!

+

-

-

+

+

3

-!

-

-

+

+

-

+!

4

-!

-

0

+

-

+!

13 (16)

5

-!

±

-

+

-

+

12

6

-!

0

+

+

-

+!

12 (16)

7

-!

+

-

0

+

+

-

+!

8

-!

±

-

-

+

+

-

+!

9

-

-

-

0

+

+

-

+ ! (3)

+

6

9

+ ! (3) 6 3

3

(13) (16) (13)( 17)

10

263


von Stefan in den Hintergrund verbannt, nur eben durch extreme diagonale Teilung des Ganztriebs und mit Quantumspannungen. Was er zurückzustossen hat, ist ein unbefriedigter, «für ewig» gestauter inzestuöser Anklammerungsdrang (ThKP: C —I- !). Was im Kontakt-, Ich- und Affektbereich als Fortschritt angese­ hen werden kann (Ablösung, Anpassung, Verstärkung von e +), erscheint zugleich verbunden mit neuartigen Gefahr-Existenzfor­ men. Diese treten an die Stelle der früheren, der damals in mono­ toner und «massiver» Form erschienenen Gefahr-Existenzformen im Ich (Existenzform 2 und 3). Dem Vordergänger mit erhöhtem unbefriedigtem Zärtlichkeits­ bedürfnis, zusammen mit erhöhtem Ablösungsdrang und Suchen nach erweitertem Kontakt, mit dem Lieb-sein-Wollen und dem Zei­ gen von Gütigsein, steht ein Hintergänger (ThKP) gegenüber, der Empirische Komplementärprofile (ThKP) Stefan (ll;0 Jahre)

P

S

Sch

c Existenzform

h

s

e

hy

k

P

d

m

1

+

_H

+

+

0

0

+

0

2

0

+

-

+

-

-

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-

3

+

_m

-

+

+

+

-

0

3

(9)

4

0

+ !

-

0

_ il

+

0

0

6

13

5

0

+

-

-

+

+

6

+

-

+

-

7

+

-

+

0

8

0

+

0

9

+

+

+

10

264

-

0 ±;

±

-

0

-

+

0

+

-

0

-

-

-

(14)

15 (6)

(6)

12 14 16


das Zärtlichkeitsbedürfnis unterdrückt, von Angriffslust und Lust am Unterworfenwerden hin und her gerissen wird (s ±), der ein unersättlicher inzestuöser Anklammerer ist, sich wegen der Stau­ ung grober Affekte in Panik befindet («unbehagliche Beklem­ mung») und in der Angst lebt, von solchen Affektregungen überfal­ len zu werden (P - 0). Auffällig ist die Konkordanz zwischen ThKP und EKP (Seite 263) der Affektbilder in den Profilen 4, 5, 6, 7 und 9 und der Faktortendenzen e - und e ±. Die neuen Vektorbilder (P + +, + ± (0 +) im VGP stehen «unter dem Druck», der durch die Konkordanz der Affektbilder im ThKP und EKP entstanden ist. Beim Achtjährigen war eine erhöhte Konkordanz, aber in Richtung sich vordrängender Affektkonflikte (e ±) im ThKP und EKP festzu­ stellen. Offenbar konnten solche Ambivalenzen nicht auf die Vor­ dergrundbühne treten (ein Vorgang, der in die Latenzzeit gehört). Stattdessen entwickelte sich im Vordergänger eine hysteriforme Umbildung des Affekterlebens (Existenzform 14). Damit konnten das Aufstauen von groben Affekten (e -), die Angst vor dem Durchbrechen solcher Erregungen und das mühsame Verbergen­ müssen (P - + , -0, —), das heisst alle emotionale Un-Zufriedenheit und das Erleben ethischer Konflikte e ± im Hintergrund ver­ riegelt werden. Der moralische Zensurfaktor (hy -) ist blockiert, im ethischen Bereich wird «exhibiert». Der Kontaktbereich (VGP und EKP) Schon beim Achtjährigen zeigte sich in der zweiten Wahl ein Hinundherschwanken hintergründig im Kontaktbereich einerseits zwischen Treue, Inzestverlangen, Kleben und Sichanhängen (C - +, - 0 und dreimal d - !) und anderseits Untreue, Ablösung, auf die Suche gehen nach neuen Objekten (C + -, + ! -). Schon damals dominierte im EKP der Ablösungsdrang, das Zurückstossen des Schutz- und Haltobjekts zusammen mit Isolierungsverlangen (m -, C —). Drei Jahre später werden im VGP die Tendenzen m - ! und d + Wurzelfaktor. Diese neue Kontaktkonstellation noch verstär­ kend, erscheinen dieselben Reaktionen in den EK-Profilen (vor al­ lem d +). Die Monotonie und die Quantumspannungen im VGP zeigen die neue Erkrankungsgefährdung an, noch gemildert durch 265


das Suchen nach neuen Objekten, das diffuse Suchen nach erwei­ tertem Kontakt (d +). Szondi nennt das Kontaktbild C + - die «hypomelancholische Reaktion» (I960, Seite 194). Das Liebes- und Haltobjekt ist verlo­ ren gegangen. Bei Depression bedeutet dies, dass die «Loslösung von der Mutter und das Auf-die-Suche-Gehen ein physiologischer Schritt in der Entwicklung ist, aber ein äusserst bedrückender, schick­ salsschwerer Schritt, den wir per analogiam zu der hypomanischen Reaktion des Kleinkinds (C 0 -) die hypomelancholische Reaktion (C + -) nennen können». Szondi meint, dieses vergebliche Suchen nach dem einen, ein­ maligen und verlorenen Inzestobjekt, dem Liebes- und Haltobjekt, erhöhe die Traurigkeit und erschwere die Trauerarbeit. (Hinzuge­ fügt sei der bemerkenswerte Satz von Szondi: «Wir nehmen an, dass das U rbedürfnis, Kleben und Sichanklammern an die Mutter [C - +] im Menschen nie völlig erlischt. Darum bringt jedes Su­ chen - wenn auch in Freiheit - stets eine depressive Stimmung mit sich» [I960, Seite 194].) Für Stefan war der Entwicklungsprozess bis zum elften Lebens­ jahr verlangsamt und eher mühsam, aber schliesslich doch «erfolg­ reich». Er hatte mit elf Jahren eine Fähigkeit zur Besinnung entwikkelt, bei der die Berücksichtigung der Realität (der äusseren wie der inneren) zum Ausdruck kam. Wenn ihm auch die Fähigkeit zur Konzentration auf intellektuellem Gebiet fehlte (vor allem im Rech­ nen, in der Geometrie und beim Lernen von Fremdsprachen), so glaubte ich doch feststellen zu können (in den Gesprächen mit ihm zu dieser Zeit), dass sich seine Fähigkeit zur Besinnung erhöht hat­ te und ebenso - im affektiven Bereich - seine Friedlichkeit im Ver­ halten. Seine heftigen «Entspannungsangriffe» auf mich und seine Unruhe, die drei, vier Jahre früher sehr gross sein konnte, waren verschwunden. Er war zurückhaltender, im Phantasieren diszipli­ nierter; seine Wünsche, die vereinigten Eltern oder Mutter und Va­ ter als E inzelfiguren zu schützen, zu schonen oder zu retten, er­ schienen neben Tötungs- und Verletzungsverlangen ihnen gegen­ über. Mögen auch sein Gerechtigkeits- und sein Wiedergutmachungs­ bedürfnis (e +) und der Drang, sein Gut- und Nettsein zu demon266


strieren (P + +), kindlicher Art sein und weitgehend blossen Schutzund Abwehrcharakter haben, so ermöglichten sie ihm doch, zu­ sammen mit seiner gewachsenen Besinnungsfähigkeit, seinen Weg unter Gleichaltrigen und älteren Kindern zu finden, sich zu Hause wie auswärts einzugliedern, angenommen und im grossen und ganzen geliebt zu werden. Seine Gutmütigkeit, Besinnungsfähigkeit und sein Reichtum an Phantasie sollen sich - wie ich vernommen habe - auch später, trotz Krankheitseinbrüchen, weitgehend erhal­ ten haben.

Zum Profil der Latenzzeit bei Stefan Die erwähnten Entwicklungsschritte bei Stefan im Affekt-, Ichund Kontaktvektor decken sich mit den durchschnittlichen Verän­ derungen im Entwicklungsverlauf im Übergang zur und während der Latenzzeit. Sie gehen zusammen mit dem Wirksamwerden von Sozialisierungsprozessen und der Einschulung, das heisst mit einer Kontakterweiterung im Leben der Kinder, wodurch diese über den Familienverband und über die hier vorherrschenden intimen Be­ ziehungen hinaus versetzt werden. Dieser Entwicklungsprozess erfasst zumeist alle Triebbereiche (bei Stefan bleibt der sexuelle Bereich davon mehr oder weniger unberührt) und erreicht seinen Höhepunkt im fünften bis neunten Lebensjahr (was in den Gruppen­ untersuchungen von Kindern aus verschiedenen Ländern und Kon­ tinenten festgestellt werden konnte [siehe erster Teil, Seite 75, Latenzprofil]). Wie schon in den Vordergrundprofilen festzustellen war: Die hohe Anzahl von Gefahrexistenzen im Ich-Bereich hat sich bei Stefan nach drei Jahren um die Hälfte vermindert, von 15 auf 6,5 «extreme IchExistenzformen». Es scheint aber zu einer Art von Fixierung der IchEntwicklung auf der Stufe der Latenz gekommen zu sein. Durch ge­ wisse Fortschritte im affektiven Bereich (grössere Anpassungsfähig­ keit mit Fähigkeit zum Rücksichtnehmen) und im intellektuellen Be­ reich (Besinnlichkeit, Zeichnen, Malen, Lesen, Basteln) scheint Stefan ein der Latenz entsprechendes Verhalten zu haben. Die Verminde­ rung der Gefahrexistenzen im Ich-Bereich geht jedoch einher mit ei­ ner Erhöhung der Erkrankungsgefahren im Affekt- und Kontaktbereich. 267


Man kann vermuten, dass die Stärke der paranoid-projektiven und inflativen Existenzformen beim Achtjährigen teilweise auf ei­ nem Entwicklungsrückstand beruhte, der dann durch den lange andauernden Einschulungsprozess, durch die Einflüsse der Umge­ bung und durch die Psychotherapie teilweise nachgeholt werden konnte. Der Kern dieser Ich-Gefährdung mag weiter bestanden haben. Für Stefan und sein Weiterlebenkönnen war es wahrschein­ lich von Wichtigkeit, dass er aus dem dunkeln Bereich von Verfol­ gungsangst, Verfolgungsdrang, Allmachtsphantasien und massiven Beseitigungsimpulsen, gegen den Vater und manchmal gegen sich selbst gerichtet, austreten konnte (Verminderung der Gefahr-Exi­ stenzformen 2, 3 und 13).

Analyse der Existenzformen und der Gefahrund Schutzproportionen im Test des acht- und elfjährigen Stefan Alle Analysen der Existenzformen bei den Kindern und den El­ tern sind nach den Angaben Szondis (1972, Lehrbuch der Experi­ mentellen Triebdiagnostik, Anhang I, Seite 435 und Tabelle 25) vor­ genommen worden. In der nachfolgenden Tabelle der Existenzformen finden sich die während der ersten Behandlungszeit dominierenden Spiele und Phan­ tasien in der Zeichensprache des Tests «gespiegelt»: Verfolgungs­ ängste, Verfolgungs- und Tötungs- resp. Beseitigungsverlangen zu­ sammen mit Allmachtsgefühlen und Allmachtswünschen. (Der Tö­ tungs- als B eseitigungsdrang [e -, P - +] meint in der Schicksals­ psychologie: Unfähigkeit, grobe Affektregungen der inneren und äusseren Situation entsprechend zu stauen und zu entladen [we­ gen Traumata oder epileptiformer Erkrankungsgefährdung]. Affekt­ regungen wie Hass und Wut, Neid und Eifersucht, Rache und Zorn können weitgehend nur in der Form von Vernichtungs- oder Schuld­ angst erlebt werden. Das «böse» Objekt muss verfolgt und besei­ tigt oder totgewünscht werden.) Im Test des achtjährigen Stefan dominieren die (projektiven und inflativen) paranoiden Ich-Gefährdungen (vierzehn Profile) und se268


Die Existenzformen im Test des achtjährigen Stefan (verkürzt dargestellt)

10 Profile, Seiten 252, 254, 256

A. Die Gefahr-Existenzen 1. Extreme sexuelle Existenzformen

0

2. Extreme affektanfällige Existenzformen (13, 14)

3. Extreme Ich-Existenz­ formen (2, 3) 4. Extreme KontaktExistenzform (6) Gefahr Z

6

epileptiforme (übergerechte, zornige, rachsüchtige): 5mal hysteriforme: 1 mal

©

projektiv-paranoid (VGP) inflativ-paranoid (ThKP)

1

depressiv-melancholische Existenzform

8mal 6mal

21

B. Die Schutz-Existenzformen Zwangsimpulse Anpassung Strafbedürftige Humanisierung

8mal 2mal 1 mal 2mal

Gefahr-Index (Gl)

13

Schutzexistenzformen nur im ThKP und EKP

21 : 13

1,7

kundär die affektanfälligen, epileptiformen Existenzformen (fünf resp. sechs Profile). - Ich erinnere: In der Familie des Vaters traten über mehrere Generationen hinweg Schizophrenie und Epilepsie auf. 269


Die Existenzformen im Test des elfjährigen Stefan (vereinfachte Darstellung)

9 Profile

A. Die Gefahr-Existenzen 1.5

sadistisch-masochistisch, s ±, ThKP (EKP)

2. Extreme affektanfällige Existenzformen (13, 14)

©

hysteriforme (VGP+ EKP): 6,5mal epileptiforme (nur ThKP und EKP): 3mal

3. Extreme Ich-Existenz­ formen (2, 3)

@

projektiv-paranoide (VGP) 2,5mal inflativ-paranoide (ThKP) 5mal

4. Stimmungs- und KontaktExistenzformen (6, 7)

©

maniforme (VGP) depressive (ThKP EKP)

1. Extreme sexuelle Existenzformen (9)

Gefahr £

4,5mal 4mal

27

B. Die Schutz-Existenzformen Alle Schutz-Existenzformen: ThKP und EKP

Gefahr-Index (Gl)

8

=

Verlust an zwangsneurotischer Existenzform (von 8 auf 3)

27:8

=

3,4

Die monovektorielle paranoide (projektive und inflative) Erkran­ kungsgefährdung beim achtjährigen Stefan hat sich beim elfjährigen um die Hälfte vermindert, die projektive im VGP von 8 auf 2,5; die inflative im ThKP hat sich jedoch mit fast der gleichen Stärke erhal­ ten (was auch im zweiten Behandlungsverlauf in den Phantasien sicht­ bar wird). Es erscheint nun im Gesamttest eine dreivektorielle Er­ krankungsgefährdung (Affekt, Ich, Kontakt). Im VGP dominieren die erstmalig auftretenden hysteriformen Affektstörungen (Existenz270


form 14) zusammen mit den maniformen Existenzformen (Existenz­ form 7). Die epileptiformen Existenzformen, die schon beim Acht­ jährigen (mit einer Ausnahme) nur in den Hintergängern erschie­ nen, haben sich jetzt dort leicht vermindert (von 5 auf 3). Das Auffälligste im Test des Elfjährigen sind die bisher nicht er­ schienenen Existenzformen im Stimmungs- und Kontaktbereich. Die maniformen dominieren im Vordergänger und die depressiven in beiden Hintergängern. Stefan hat sich aus der übermächtigen projektiv-paranoiden IchEntwicklungsgefährdung (und zum Teil aus der epileptiformen) «heraus»entwickeln und sich in eine diese Kernbildung entmachtende, für die Entwicklung günstigere «Strukturierung» seiner Person ret­ ten können: die hysteriformen und maniformen Erkrankungsge­ fahren sind in den Vordergrund getreten. Die Schutz-Existenzen haben sich jedoch um die Hälfte vermindert, und zwar aufgrund eines Verlusts von zwangsneurotischen Mechanismen im Hinter­ gänger (von 8 auf 3). Der Gefahr-Index hat sich verdoppelt (von 1,7 auf 3,4). - Sieben Jahre später erfolgte der durch einen äus­ seren Anlass hervorgerufene Einbruch von Verwirrung, vermutlich dem in jener Zeit vorherrschenden Triebwirbel entsprechend, im maniformen und depressiven Störungsbereich resp. im Stimmungs­ und Kontaktbereich.

Stefan und sein Vater Im Test des Vaters von Stefan (siehe Seite 167) erscheint eine auffällige Häufung von depressiv-melancholischen Existenzformen (siebenmal auf zehn VG-Profile). Szondi nennt Personen, die ein solches Testbild zeigen, die Tiefverstimmten und Selbstankläger. Im Alltag gibt sich der Vater jedoch als e ine von Selbstsicherheit, Gutmütigkeit, Gefälligkeit und Selbstgefälligkeit erfüllte Person, frei von Skrupeln, Hemmung oder Schuldgefühlen. Er scheint das «Abgründige» weit hinter sich gelassen zu haben. Stefans Gesichtszüge gleichen denen seines Vaters, manchmal legt er ein ähnliches Verhalten an den Tag oder stellt Überlegungen an, die von seinem Vater stammen könnten. Seine Phantasie und 271


das Überlegen stehen bei ihm weitgehend im Dienst seiner infanti­ len Allmachtswünsche und von Wiederholungszwängen und haben die Aufgabe, schmerzliche, unangenehme Erinnerungen und Äng­ ste (von innen oder aussen ausgelöst) abzustossen. Phantasie und Spiel stellten für ihn vermutlich auch eine Ersatzbefriedigung für Kontakt dar, der ihm wegen Unangepasstheit entging. Wenn er sich unter Kindern auch zeitweise isolierte, so war er doch kein Autist. Das gierige Fressen und Verschlingen mit dem Wunsch, der Stärk­ ste zu sein, wie auch das Töten (Beseitigen der Bösen, Gefährlichen) waren nur teilweise mit Triumph verbunden. Oft handelte es s ich einfach um ein Weghabenwollen, und dies mit Ungestüm. Das Fres­ sen und Töten muss auch im Zusammenhang mit einer Verstärkung des Drangs nach projektiver Identifizierung gesehen werden, sei es mit den Bösen als den Stärksten oder mit den strafenden Ag­ gressoren, mit Gott, dem Sohn Gottes, der gegen die Bösen kämpft oder - in der Jugendzeit - mit dem Sohn eines polnischen Grafen (als Stefan im Ausland eine Kunstakademie besuchte). Andere sich w iederholende Anzeichen, die in die maniforme Er­ krankungsgefährdung gehören, sind: das Lärmen, der Bewegungs­ drang (ungestümes Verhalten), nicht endenwollendes Lachen (Ge­ lächter), Fressen und Beissen. Überlegungen zum Sterben und über den Tod kommen mehrmals vor. (Das Sterben und der Tod spielen bei der depressiven und manischen Erkrankungsgefährdung eine be­ sondere Rolle.) Der Achtjährige erklärte mir einmal: «Ich weiss jetzt, was es ist, wenn man tot ist. Dann kann man seine Finger nicht mehr bewegen, man kann nicht einmal mit dem Daumen so machen»; er machte es mir vor (Bewegungslosigkeit gegen Bewegungs- und Ver­ änderungsdrang). Zerstören und Töten im Spiel und in der Vorstellung, mit oder ohne Triumph, sind bei Stefan selten mit Affektregungen verbun­ den. Sie lösen nachträglich auch keine Besorgnis-, Schuld- oder Reuegefühle aus. (Einige Hinweise auf Besorgnisgefühle oder Mit­ leid erscheinen am Schluss der Behandlung und in den «Wachträu­ men».) Wunschregungen wie «die Bösen, Gefährlichen beseitigen», «der Stärkste sein», «keine Feinde mehr haben», kein feindliches Über272


Ich, das böse werden oder Vorwürfe machen könnte, solche Re­ gungen zeugen von einem starken Verlangen nach «Sicherheit», Ruhehaben-Wollen, einem Drang, sich von Schrecken oder Angst auslö­ senden Bildern erlöst, befreit zu fühlen. (Von früheren Untersuchun­ gen wurde mir mitgeteilt, dass stereotype Antworten zum Beispiel beim Rorschachtest wie «das ist der Wolf», «das ist der Teufel» ein normales Wahrnehmen und Assoziieren oft verhindert hätten.) Mit einer gewissen Verachtung und triumphierend kann Stefan ein Liebesobjekt zerstückeln und auffressen. Solche Szenen haben sich während beiden Behandlungsabschnitten abgespielt. Dem Va­ ter gegenüber braucht Stefan den Beweis, die Sicherheit: «Ich bin nicht schwach, ich bin stärker als er, ich habe keine Angst vor ihm, ich kann ihn jederzeit töten» (beseitigen). Es scheint, als ob er sich bei dieser «inneren Auseinandersetzung» mit dem Vater nicht von einer introjizierten Mutterfigur zurückgehalten fühlt. Sie ist dem Vater gegenüber nicht da. Das Triumphieren (das Ausbrechen in endloses Lachen) zeigte sich am stärksten beim Zerstückeln und Auffressen der Mutter. Affektregungen wie Hass, Wut oder Zorn sind bei Stefan nie erschienen (zumeist nur Ungestüm); Eifersuchts-, eventuell Racheund Neidregungen hat er manchmal in einen Spielverlauf einbrin­ gen können. Nach D. W. Winnicott (1990, 1994) können der Säugling und das Kleinkind Trieb- und Affekterfahrungen erst aufgrund eines in den ersten Lebensmonaten erreichten Ich-Selbst-Gefüges machen. Die ersten Ich-Entwicklungsschritte setzen eine «hinreichend gute», eine «überlebende» und zu Wiederherstellung fähige Mutter oder Pflegeperson voraus. Wenn sich dieses Ich-Selbst-Gefüge nicht in ausreichendem Mass entwickelt, kommt es zu diffusen Affektregun­ gen und Verlust des Innewohnens im Körper, zu Zuständen, die das Ich schwächen. Hingegen können Triebverlangen und emotio­ nale Erregungen das Ich stärken, wenn dieses sich durch die sich wiederholenden Befriedigungs-, Befriedungs- und Wiederherstel­ lungserfahrungen getragen fühlt. Leopold Szondi nennt dies «ich­ hafte Geborgenheit». - Im negativen Fall erscheinen Verwirrungszustände, verbunden mit Vernichtungsängsten (Todesangst, Be­ 273


drohung mit Vernichtung), die - nach D. W. Winnicott - dem Säug­ ling und Kleinkind nie gänzlich erspart werden können. Die Gefahr entsteht dadurch, dass die Frühabwehrmechanismen in exzessiver Weise mobilisiert werden. Es erfolgt unter anderem eine Spaltung zwischen triebhaften Verlangen, diffusen Affektregungen einer­ seits und dem Phantasieren, den Gedanken (dem «Geist») ander­ seits. Stefan bringt das ihn Bewegende und Erregende meistens in der Form von Tumult und kindlicher Phantasterei hervor, oft in «origineller» Weise, aber doch weitgehend abgelöst vom realen Erleben und den Alltagsvorkommnissen. Affekterregung führt bei ihm zumeist zu wildem Getue, Ungestüm, Überstürzungen oder diffuser Angriffslust, Drang nach Überwältigung oder Vernichtung (Beseitigung).

Bemerkungen zu maniformer Erkrankungsgefährdung und maniformem Reagieren Geläufige Ängste, die maniformes Reagieren auslösen können, sind:

• Angst vor dem Erleben von Verlassenheit, Vereinsamung, Ab­ getrenntwerden, vor Wiederholung von Enttäuschungserlebnis­ sen, vor Leeregefühlen und Alleinsein, vor Verzweiflung, man habe das unentbehrliche Liebesobjekt getötet, verletzt und könne es nicht wiedergutmachen (Hoffnungslosigkeit). Maniforme Abwehrmechanismen (maniformes Reagieren) äussern sich:

• als Abkehr, Abwendung von Gedanken und Erinnerungen an Tod, Sterben, Liebesverlust, Betrübnis (Kummer und Gram), als Abwendung von Unlust auslösenden Schuldgefühlen, als «Verzicht» auf den Aufbau von Objektidealen (wegen Enttäuschungsangst); • als H aschen und Hasten; in der Form von exzessivem Bewe­ gungsdrang, häufigen Ortsveränderungen, Unruhe, viele «Freun­ de» haben oder Bindungslosigkeit, «Treulosigkeit»; • als Triumphieren: Entwertung, Verachtung (Triumphieren mit oder ohne Vernichtung) von Gegnern, Feinden (von «Ungeziefern»), 274


von Über-Ich-Repräsentanten, von Liebesobjekten wegen Verun­ treuung oder Verrat; als Triumphieren, Entwerten, Lächerlichmachen, Vernichten von Rivalen; • in der Form von oralen Exzessen: von Drogen, Alkoholismus, als Drang nach Konsumieren, masslosem Erwerbsdrang, Profitgier, nach Konsumption (Verzehr, Verbrauch als gieriges Ausrauben und Entleeren); • in der Form von Abwehr durch gegensätzliches Verhalten, Agieren und gegensätzliche Gefühle: statt «Durcharbeiten» von Trauer, Kummer und Besorgnis erscheint Fortschrittsglaube, Akti­ vismus, Zerstreuung suchen, Feste veranstalten; ein Sichschuldigfühlen wird durch unmittelbares «spontanes» fröhliches Singen oder Pfeifen niedergehalten usw. Der Kern maniformen Reagierens lautet: Entwertung, Trium­ phieren, Hasten und Haschen (im Szondi-Test: k - !, s +, 0, m - !).

275


Zur Analyse des Szondi-Tests der Mutter von Stefan

Vordergrundprofile

(VGP)

p

S

Sch

c Existenzform

h

s

e

hy

k

p

d

m

1

-

0

0

0

-

±

0

+!

2

-

0

0

+

_;

-

+

+

3

-

0

+

+

+

-

0

±

4

-

0

+

+

0

-

+

+

5

-

-

+

+

0

+

+

6

-

0

+

-

-

+

+

+

7

-

-

+!

0

-

+

+

+

8

0

-

+

0

0

_1

0

+

( ' 3)( 14)

14

11 (13) (14) 2

8

Zu den Vektorbildern, Faktorreaktionen und Existenzformen (siehe Seite 170, Stefans Mutter) Die

Vordergrundprofile

Die Testperson gehört zur Triebklasse S h -, zu den «aktiven Humanisten». Die Sozialisierung (S - 0, —; e + ,m +) beruht auf einer teilweisen Unterdrückung des personengebundenen Zärtlichkeits- und Aggressionsbedürfnisses (h -, s -), ferner auf einer von Gewissenhaftigkeit, Wiedergutmachung und Mitleid getragenen «ethi276


sehen» Gemütserregbarkeit (e +), zusammen mit einem Verlan­ gen nach Nähe, Halt und Anhänglichkeit im Kontaktbereich (m +).

Theoretische Komplementärprofile (ThKP)

S

c

Sch

P

Existenzform

h

s

e

hy

l<

P

d

m

1

+

+

±

+

+

0

+

_1

2

+

-

+!

+

-

-

9

3

+

0

-

-

+

0

(9)

4

+

-

-

+

-

0

5

+

+

-

0

0

-

-

6

+

±

-

+

+

-

-

-

7

+

+

-!

+

+

0

-

-

8

+

+

-

±

+!

+

±

-

6

9

12

11 16 16

1

13 13

3

12

Im Affektbereich mag das Verhalten zeitweilig durch phobieartige Ängste oder bewegungssturmartiges Verhalten beeinträch­ tigt werden (Existenzformen 14, 13). Im Ich-Bereich erstaunt das Vorliegen einer erhöhten Instabili­ tät. Beinahe in jedem Profil erscheint ein anderes Ich-Bild. Der IchBereich ist ausserdem dadurch charakterisiert, dass die Idealisie­ rungsfaktoren (die Objekt- und Ich-Idealisierungstendenzen k +, p +) schwach sind. Der Hintergrund (EKP) Die Abwesenheit von k + (Introjektion) und p + (Bewusstwerdung und Ich-Idealbildung) ist hier noch auffälliger. Es h andelt sich um ein ausserordentlich anpassungsbedürftiges und zu Verdrängun­ gen neigendes Ich (Existenzform 16), das sich allerdings zeitweise 277


Empirische Komplementärprofile (EKP)

P

S

Sch

c Existenzform

e

hy

k

p

d

m

+

±

-

0

+

0

-

0

+

+

0

12 (13)

+

-

-

+

+

0

11

-

+

+

_1

-

+

0

+

+

+

-

-

-

+

0

6

+

_;

+

+

-

-

+

0

7

+

+

-

±

-

0

+

0

-

+

±

_;

0

+!

0

h

s

1

+

-

2

+

+

3

-

4

±

5

8

16

(6)

16 16 15 16

(13) 16 (6)

(14) 16

in der Gefahr befindet, die Grenze des Sichanpassens (Unterdrükkung eigener Impulse und die Machtübergabe an andere) bis zur Selbstentwertung (s -, k - !) hin zu überschreiten (EKP viertes und achtes Profil). Im Gegensatz zu ihrem Partner (mit k + als Wurzel­ faktor) ist bei der Mutter von Stefan die Faktortendenz k - (Sichan­ passen, Unterdrücken, Verneinen) die am häufigsten gebrauchte Ich-Funktion. Vom Hintergrund her (EKP) mag ein solches Sichan­ passen die vordergründige Instabilität des Ichs «ausbalancieren», jedoch mit der Gefahr der Selbstentwertung (k - !, s -) und einer Tendenz zu depressiven Verstimmungen (Existenzform 6). Sehr auffällig in dieser Testaufnahme sind: a) Die (totale) Blockierung (VGP und EKP der Faktortendenzen d -, m -. b) Das monotone Vektorbild im EKP C + 0, das unstillbare Su­ ch en(TriebklasseCd + )z us amm enm i td e mVordergänger,C + + , dem multilateralen Bindungsbedürfnis. 278


Der theoretische Hintergänger (ThKP) Er konnte sich vom Liebes-, Schutz- und Haltobjekt nicht wirk­ lich trennen. (Bei C — ist zu vermuten, dass die Person eher abge­ trennt worden ist, als dass sie sich abgetrennt hätte.) Dieser Hin­ tergänger klebt am verlorengegangenen Objekt (C —) und fühlt sich vereinsamt (Existenzform I : Lebensverneinung, eventuell sui­ zidale Neigungen). Der Hintergänger staut grobe Affektregungen wie Hass, Eifer­ sucht, Wut, möchte damit auf die Bühne treten und kann es doch nicht (hy ±, -). Im sexuellen Bereich dominieren die Legierung und die Legierungs­ versuche (S + +, + ±), die «normale sinnliche Sexualität», wenn auch teilweise durch sadomasochistische Bedürfnistendenzen (Exi­ stenzform 9 und s ±) beeinträchtigt. Trotz der Sozialisierung im VGR den Anpassungsbedürfnissen im EKP und der hohen Anzahl von Vermischungsbildern im S- und P-Vektor (im EKP) sind im VGP und EKP sechs (von insgesamt acht) Faktortendenzen blockiert: s +2, e - , k +2, p +2, d -0, m -0 (siehe Seite 282). Sie repräsentieren das Nichtgelebte, Unbewältigte im Leben dieser Frau und Mutter. Der Gefahr-Index ist niedrig (I : I ). Fast zwei Drittel der GefahrExistenzen befinden sich aber im ThKP Unter den Schutz-Existen­ zen fällt (im EKP) die ausserordentliche Stärke der Existenzform 16 auf: Bei dieser handelt es sich um den anpassungsbedürftigen und verzichtenden Alltagsmenschen. (Hier ist die Existenzform 16 mit dem e + verbunden.) Es handelt sich beim sozialisierenden «Alltagsmenschen», dem «Sichanpassenden und Verzichtenden», wie Szondi ihn nennt, nicht um eine geistlose, sich «bloss» anpas­ sende Existenzweise. Der Begriff «Alltagsmensch» darf nicht ent­ wertet werden, indem man ihm die Bedeutung einer eher minder­ wertigen Existenzweise zuschreibt im Sinn eines simplen, sich an­ passenden Durchschnittsmenschen, im Vergleich etwa mit dem «geistig humanisierten Menschen» (Existenzform 17). Jeder Mensch birgt ein Stück Durchschnitts- und Alltagsmensch in sich und wird bewusst und unbewusst in manchen Situationen durch Anpassung und Verzicht seine Erleichterungen suchen und finden. 279


Die Gefahr- und Schutz-Existenzformen bei der Mutter von Stefan

Schutz-Existenzen

Cefahr-Existenzen

Extrem sexuelle Existenzformen

2,5

Affektanfallige Existenzformen

(4 epileptiforme, 3 hysteriforme)

4

Sich bezwingende

3

Sich anpassende

Extreme /ch-Existenzformen

3

Extreme Kontakt-Existenzformen

3

I

Schuld- und strafbed端rftige

15,5

Gefahr-Index (Gl) = 速


Testergebnisse bei Stefan, Carol und ihren Eltern

Die Triebklassen (VGP) bei Stefan, Carol und ihren Eltern (die «Gefahrklassen») Vater

S s - !! Sch k + (ist vermutlich die Konduktorperson)

Mutter Carol Stefan, acht Jahre elf Jahre zweiundzwanzig Jahre

ShS s - (Sch p +) Sch p - ! (P hy -, + S h +) Sh + ! S s - ! Sch k +

Eltern und Kinder sind in einer S-Klasse (S h -, S h + oder S s -). Beide Kinder und der Vater gehören ausserdem noch in eine SchKlasse: k-h.pT oder p - !. Auffällig ist die Übereinstimmung der Triebklassen zwischen dem Vater und dem zweiundzwanzigjährigen (vorübergehend internierten) Stefan (drei Profile). Die familiären Unruheherde sind bei allen vier Personen im se­ xuellen (erotischen) Triebbereich und (mit Ausnahme der Mutter) im Gebiet der Ich-Bedürfnistendenzen zu finden.

Die Blockierungen von Faktortendenzen bei Stefan, Carol und ihren Eltern Auf die Blockierung von Faktortendenzen wurde schon bei Ilse und ihren Eltern hingewiesen. Bei diesen Untersuchungen geht es darum, herauszufinden, welche von den vier Faktortendenzen ei­ nes Ganztriebs aufgrund von «Wahlakten», also weder im VGP noch im EKR erscheinen können. (Die Reaktionen 0 und ± werden übersehen.) Im VGP oder allenfalls im EKP ist von jedem Faktor zu 281


erwarten, dass er nicht nur als Plus-, sondern auch als Minus-Reak­ tion erscheint (oder umgekehrt). In einem Vektor gibt es e in- bis zweifaktorielle (ausnahmsweise drei- bis vierfaktorielle) Blockie­ rungen. Es w erden nur die Blockierungen mit 0-1-2 Ausnahmen notiert (zum Beispiel: Mutter, acht Profile: e-,= Auf sechzehn Profile kann die Testperson nur einmal eine Reaktion e - geben. Sie kann grobe Affekte nicht aufstauen; diese sind blockiert. (Sie finden sich dann im ThKP in mehr oder weniger grosser Zahl.) Die An­ nahme ist: Jedes faktorielle Bedürfnis (beispielsweise das Bedürfnis e) sollte im Hinblick auf die gegensätzlichen Bedürfnistendenzen (e +, e -) sowohl in Richtung e - wie e + gestaut werden können. Blockierte Faktortendenzen stehen in einem engen Zusammen­ hang mit den Wurzelfaktoren, Triebklassen, den Vermischungs- und Entmischungsbildern sowie den Existenzformen. Es ist zu vermu­ ten, dass sie für den Entwurf einer schicksalspsychologischen Ent­ wicklungslehre von grösserer Bedeutung sein können. (Testergeb­ nisse können nur Hinweise geben. Das zu Erfassende und zu Verste­ hende liegt im Bereich unserer allgemeinen tiefenpsychologischen Verstehensmöglichkeiten.) Sie scheinen eine Verengung von Erleb­ nis- und Erfahrungsmöglichkeiten in den entsprechenden Triebge­ bieten anzuzeigen. Man wird von einer Verminderung der Möglich­ keiten sprechen können, Trieb-, Affekt- und Ich-Erfahrungen (even­ tuell Es-, Ich- und Über-Ich-Erfahrungen) zu machen. Die Gewähr dafür, dass der Test wertvolle Hinweise gibt, liegt darin, dass der Entwicklungsgang (vom dritten bis zum zwanzig­ sten Lebensjahr) zu faktoriellen und vektoriellen Umkehrungen al­ ler gegensätzlicher Faktortendenzen und Vektorbilder im Durch­ laufen der verschiedenen Entwicklungsabschnitte führt (siehe H. J. Ringger in Szondiana X, 1974). Der Ausfall bestimmter faktorieller und vektorieller Gegensätzlichkeiten wird auf traumatische oder hereditäre Einwirkung zurückzuführen sein und kann zu Symptom­ bildungen, Charaktereigenheiten oder sich allmählich strukturieren­ den Erkrankungsgefährdungen führen.

282


Die blockierten Faktortendenzen bei Carol, Stefan und ihren Eltern

S h Vater

10 R VGP hy-,

P s

e

S +0

e~o

Sch hy

hy-,

k

k-o

C p

d

m

m +0

P-o (p+î)

8R

S+Z

e-,

k+, P

Carol 8 J. 10 R

S+2

e"2.

k +,

P-,

e-2

(k-4)

P +1

k +,

P

k-o

P+o-

Mutter

Stefan 8 J. 10 R

h-z

11 J. 9 R

h~o

22 J. 3 R

hy-,

S +2

s +0

e

_0

+2

+2

d-2

m~o

d+2

d " , m +2

d+o

m-o

~0

1. Bei allen vier Personen sind die Faktortendenzen s + und e blockiert (mit zwei Ausnahmen bei Stefan, 8 und I I Jahre). Diese Blockierungen scheinen familiärer Natur zu sein. Die blockierte Ten­ denz e - erscheint verbunden mit den affektanfälligen epileptiformen Gefährdungen, die bei den vier Personen zu finden sind, und die blockierte Tendenz s + mit den depressiv-melancholischen Ge­ fahrexistenzen (s-, k + , d +): sechsmal Existenzform 6 im VGP beim Vater, bei den anderen drei Personen je zwei- bis viermal. 2. Die Blockierungen im Ich-Vektor sind eher individuell zu deu­ ten: Vater

Die «Bausteine» (Bedürfnistendenzen) für Anpassung, Ver-

(nur VGP)

zieht (k -), Anteilnahme und das Projizieren (p -) sowie teilweise die Ich-Idealbildung (p +) sind blockiert. Mutter Blockiert sind Verinnerlichung (als Introjektion) und IchIdealbildung (k + ,p +). 283


Im Ich-Bereich fehlen k + ,p -, das heisst die projektiven Identifizierungen mit einem verinnerlichten Liebesobjekt. Stefan Der Elfjährige hat in vier Faktoren dieselben Blockierun­ gen wie die Mutter; bei ihm entspricht dies der maniformen Erkrankungsgefährdung. (Bei den Vorfahren der Mut­ Carol

ter scheint - ich konnte dem nicht nachgehen - eine solche Erkrankungsgefährdung vorgelegen zu haben.) Ich verweise hier noch einmal auf die Testergebnisse beim Vater (zehn Profile VGP) und dem zweiundzwanzigjährigen Stefan (drei Profile). Sie haben dieselben Blockierungen in den Bedürfnisten­ denzen (s + ,e -, k -, p - und p +), dieselben Latenzproportionen S s -, Sch k + ,P e + und C 0 (dieselbe Reihenfolge), ferner diesel­ ben Triebklassen S s -, Sch k + und Wurzelfaktoren s -, k + ,e +. Schliesslich haben sie beide ein erhöhtes Vermischungspotential in der Mitte, Vater 2:1, Sohn 4:1. (Der Verlust von Vermischungs­ bildern im Rand [Gebiet der Vitaltriebe] und die massive Erhöhung derselben in der Mitte erschienen schon beim Elfjährigen.) Im Kontaktbereich flieht der Vater ein zwiespältiges Anklammerungsverhalten, Anklammerung überhaupt (m + ist blockiert, und das häufigste Kontaktbild ist C + -). Der Sohn «rettet» sich in «treue Anhänglichkeit» (C - +), blockiert sind d +0, m -Q ( kann sich nicht ablösen und auf die Suche gehen). - Ich erinnere an die Mitteilung des Vaters über sein Verhältnis zum sechsjährigen Ste­ fan: «Eigentlich habe ich Angst vor ihm, er gleicht mir zu sehr.»

284


Die Vermischungsbilder bei Carol, Stefan und ihren Eltern (Vater: nur VGP; Mutter, Stefan, Carol: VGP und EKP)

S

P

Sch

C

Mitte : Rand

VGP

0

©

1

©

VGP

3 6

2 3

©

5 2 1 3

1 5

0 3 3

2 4

5 7 12 !

0 2 2

4

: 1

0 1 1

1 0 0

(4

: 1)

Vater VGP 10 Profile

Mutter 8 Profile

EKP I

2 5 7

Carol 10 Profile

VGP EKP I

0 0 0

2 4

VGP EKP I

1 4 5

1 5

Stefan

VGP

elf Jahre 9 Profile

EKP S

1 2 3

7 2

Stefan

VGP

1

EKP I

0 1

1 2

Stefan acht Jahre 10 Profile

22 Jahre 3 R, unter Lithium

©

©

©

©

2

:1

5! 0 5

1,2 : 1

1,5 : 1

©

0,8 : 1

©

Das höchste Vermischungspotential liegt bei allen vier Personen im Affektbereich. Der elfjährige Stefan (auch der zweiundzwanzigjährige) haben ein hohes Vermischungspotential in der Mitte im Vergleich zum Potential in den Vitaltrieben. (Beim Vater beruht es auf den Affektbildern P + + und bei Stefan auf P + +, + ± und auf den dominierenden Ich-Bildern Sch — im VGP und EKP) Könnten die Verhältnisse von Mitte zu Rand, die zwischen I : I bis 2 : I liegen, auf ein (noch genauer zu bestimmendes) Gleichge285


wicht im «psychischen Energiehaushalt» einer Person hinweisen? Auch die grossen Unterschiede zwischen den beiden VitaltriebVektoren (S : C beim Vater 0 : 4 und bei Carol 0 : 6) oder zwischen den beiden Mitten-Vektoren (beim Vater 7 : I und beim achtjähri­ gen Stefan 6 : 3) wären in ihrer Bedeutung zu untersuchen. Das ausgeglichenste und höchste «Potential» erscheint bei der Mutter.

286


Nachwort

Zur Analyse der Existenzformen Die Existenzformen verweisen, mit Ausnahme der Formen 16 und 17, auf Erkrankungsgefährdungen (die Existenzformen 11,15 und 12 auf neurotische Gefährdung) und werden mit Begriffen der medizinischen Psychopathologie (Psychiatrie) oder durch Hinwei­ se auf Charaktereigenschaften und Charakterdeformationen bezeich­ net. Das mag für viele nach Psychiatrie «riechen», und so auch der Gefahr-Index, das Verhältnis zwischen Schutz- und Gefahrexisten­ zen, der psychiatrischen Auffassung entsprechend, dass p sychoti­ sche Gefährdung durch den Aufbau von neurotischen Abwehrme­ chanismen vermindert werden kann. (In der Tiefenpsychologie unter­ scheidet man zwischen einerseits den Abwehr- und Schutzmechanismen und anderseits den Angstbewältigungsversuchen.) Was das verschwiegene oder offene Kritisieren der Krankheits­ bilder, krankheitsbildspezifischen Ängste und Abwehrmechanismen betrifft, sei folgendes erwähnt: Jeder Mensch ist Träger von be­ stimmten psychischen Erkrankungsd/spos/t/onen. Sie k önnen in be­ stimmten Situationen zum Vorschein kommen, die eine oder die an­ dere vielleicht nur in der Form geringfügiger Verwirrungs- oder Er­ regungszustände, in Symptomen, oder sie manifestieren sich in Cha­ raktereigenschaften oder Charakterdeformationen. Szondi betrach­ tet diese als «egoifizierte Formen gewisser Triebschicksale». Der Charakter wird teilweise zu einer «Maske», zur «Persona, durch wel­ che unsichtbare, uralte Triebe zu uns sprechen» (1947, Seite I 13; 1952, Seite 424. Solche Charaktereigenheiten und -deformationen be­ schreibt er im Kapitel «Die wichtig sten Gefahrklassen», 1960, Seite 302). Jede Erkrankungsdisposition verweist auf bestimmte Gefahr-, Angst- und Verzweiflungssituationen. Durch Bewusstmachung (er­ 287


leben lassen) und durch das Aufspüren der Möglichkeiten, unbe­ friedigte und unbefriedete Triebansprüche durch «Sozialisierung und Sublimierung» zu befreien, können solche Ängste und Verzweiflun­ gen vermindert oder bewältigt werden. Die Analyse der Existenzformen dient nicht zur Herstellung ei­ ner Diagnose. Diese kann nur aufgrund der Kenntnisse der allge­ meinen und der speziellen experimentellen Syndromatik erstellt werden ( 1952, dritter Teil). Zur Analyse der Existenzformen als einer Indikationsmethode schreibt Szondi (1972, Anhang I, Seite 436): «Wir nehmen gerne an, dass u nsere Indikationsmethode nur eine <intuitiv-interpretative> Deutungsmethode und keine statistische darstellt. ... Wir ha­ ben die Indikationsmethode für Tiefenpsychologen und analytische Therapeuten entworfen und nicht für Bewusstseinspsychologen, die gewohnt sind, die Seele mit «Psychometrie zu messen». Zur Psy­ chometric eignen sich die ständig fliessenden und wechselnden Pro­ zesse des Unbewussten gar nicht. Der Ausgangspunkt der Indika­ tionsskala war nie statistischer Natur. Denn das einfache Zusam­ menzählen der Testprofile in den einzelnen Existenzformen ist noch nicht höhere Statistik. Sie dient einzig und allein dem Ziel eines bei­ läufigen Schätzen-Könnens und nicht einer exakten statistischen Nach­ prüfbarkeit z. B. durch irgendeine Korrelationsrechnung. Sowas wäre in der Tiefenpsychologie des Unbewussten ein Absurdum. Hier ist wie in der Psychoanalyse Freuds - nur die Kasuistik und nur die intuitive Interpretation die einzig adäquate Forschungsart. ... Für

uns war von Anfang an klar, dass der Gefahrindex niemals allein als Indikator für eine Psychotherapie angewandt werden darf. Dies wur­ de von uns bereits 1966 betont. Nur die tiefenpsychologischen Analysen und die kasuistische Deutung der Proportionen von den Gefahr- und Schutzexistenzformen können Brauchbares für die In­ dikation einer analytischen Therapie aussagen. Aber auch diese Aus­

sagen fussen nur auf Schätzungen und nicht auf absoluten Zahlen­ grössen.» Das Rechnen bei der Analyse der Existenzformen führt zu nichts, wenn wir die Gefahr- und Schutzexistenzen nicht durch das beim Patienten vorliegende Leiden und Schicksal sichtbar machen kön288


nen. Das rechnerische Denken sucht nach blossen Resultaten, das andere Denken heisst das meditative, das Nachsinnen und Sich­ versenken. Maniforme Ängste und Abwehrmechanismen zum Beispiel kön­ nen auch bei normalen Kindern und Erwachsenen erscheinen. Sie werden mobilisiert, wenn es darum geht, eine momentane Ver­ stimmung, eine Leere, Niedergeschlagenheit oder eine andauernde Depression abzustossen. D. W. Winnicott erwähnt das manisch­ depressive Reagieren im Gesellschaftsbetrieb, im «Aspekt von Ge­ schichte und Soziologie», und meint, dass dieses Reagieren sich von der manisch-depressiven Psychose «beim Individuum in nichts un­ terscheide» (1990, Seiten 254, 286; 1983, Seiten 99, 292). Alle Erkrankungsgefahren, ob psychotische, neurotische oder psychopathische, mit ihren spezifischen Ängsten, Befürchtungen und Abwehrreaktionen können als k ollektive Verhaltenseigenhei­ ten und -deformationen in Familien, Familienverbänden, in Kollek­ tiven und Völkern zum Vorschein kommen (A. und M. Mitscherlich, «Die Unfähigkeit zu trauern, Grundlagen kollektiven Verhal­ tens», 1967). Ich wiederhole meine in den einleitenden Bemerkungen erwähn­ te Behauptung: Der Test sagt uns nie, was wir im Einzelfall zu ma­ chen oder zu verstehen haben. Er wird erst das hergeben, was er zu leisten vermag, wenn wir seine Ergebnisse in den Rahmen des uns zur Verfügung stehenden gesamten «Materials» zu stellen ver­ mögen (der Lebensgeschichte, Symptomgeschichte, der Träume und der Mitwelt der Testperson).

289


Dank

Ich danke der Stiftung Szondi-Institut für die Veröffentlichung dieser Untersuchungen. Besonderen Dank schulde ich Frau Elisa­ beth Altenweger für die aufmerksame Durchsicht und die mühsa­ me Arbeit der Korrektur. Genf 2006 Hans-Jörg Ringger

290


Literatur

Desoille, R., (1945). Le Rêve Eveillé Dirigé en psychothérapie. RU.F. Desoille, R., (1955). Introduction à une psychothérapie rationel­ le. Paris: L'Arche. (Ferner: Fahre, N., [1973]. Le triangle brisé. Trois psychothérapies d'enfants par le R.E.D. Paris: Payot.)

Klein, M. (1962). Das Seelenleben des Kleinkindes. Klett. Mitscherlich, A., Mitscherlich, M. (1967). Die Unfähigkeit zu trau­ ern. München: R. P iper. Ringger, H. J. (1 974). Die faktoriellen Reaktionen und ihre Wand­ lungen zwischen dem dritten und zwanzigsten Lebensjahr Szondiana, 74, X. Ringger, H. J. ( 1983). Die Teilungsarten der Ganztriebe im Entwick­ lungsverlauf vom dritten bis zwanzigsten Lebensjahr Szondiana, 83, I.

Ringger, H. J. (1986). Zur Psychologie des Paroxysmaltriebs. Szondiana, 86, 2.

Ringger, H.J. (1990). Heilen im Spiel. Erhältlich im Szondi-Institut, Krähbühlstr. 30, 8044 Zürich, Tel. Ol 252 46 55. Ringger, H.J. (1997). Einführung in die Einzelpsychotherapie mit Kindern und Jugendlichen. Schriftenreihe aus dem Szondi-Institut,

Heft 4. Szondi, L. (1947). Experimentelle Triebdiagnostik. Bern: Huben Szondi, L. (1952). Triebpathologie. Bern: Huben Szondi, L. (1956). Ich-Analyse. Bern: Huben Szondi, L. (I960). Lehrbuch der experimentellen Triebdiagnostik. Bern: Huben

291



Hans-Jörg Ringger

Dr.phiL, Studium der Heilpädagogik, Philosophie, Deutsche Literatur in Genf, Paris, Göttingen und Zürich. Ausbildung in Psychoanalyse, Schicksalspsychologie, in aktiver Wachtraumtherapie und im psychodramatischen Behandlunsverfahren. Unterrichtete von 1961 bis 1970 in der Schweiz. Gesellschaft für Schicksalsanalytische Thera­ pie (SGST) und von 1971 bis 1986 am Szondi-Institut Zürich. Neben seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit führt er eine therapeutische Praxis. Der Autor lebt in Genf.

ISBN 978-3-905708-14-1


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