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Foto ©Alois Altenweger

Das Online-Magazin für psychologische Themen, Schicksalsanalyse und therapeutische Arbeit Herausgeber: Alois Altenweger, www.psychologieforum.ch und Szondi-Institut Zürich


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Das Online-Magazin für psychologische Themen, Schicksalsanalyse und therapeutische Arbeit

Januar 2013

Szondi-Institut Zürich

Die Verantwortung für den Inhalt der Texte, die vertretenen Ansichten und Schlussfolgerungen liegt bei den Autoren bzw. den zitierten Quellen.

Szondi-Institut, Krähbühlstrasse 30, 8044 Zürich, www.szondi.ch, info@szondi.ch, Tel. 044 252 46 55


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Inhalt Artikel - Die Sache mit den Ahnen Alois Altenweger - Die zwei Gesichter des Selbst Friederike Gerstenberg und Manfred Schmitt

Medizin und Gesundheit Roboter in der Gesundheitsversorgung Wenn das Gehirn Fehler macht Probleme im Alter Alternative Medizin: Hauptsache, es geht besser

Bücher Wie wir vor lauter kommunizieren unser Leben verpassen Rezension: Sudhir Kakar – ein indischer Psychoanalytiker erzählt

Über den Tellerrand hinaus Der Effekt von Verhaltenstherapie auf das Gehirn Online Therapie-Behandlung

Mitteilungen Tagung: Familie – Schicksal oder Wahl

Zu guter Letzt Ewigkeiten Paul Celan Fotos: ©Alois Altenweger


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__Artikel Schicksalsanalyse

Die Sache mit den Ahnen Alois Altenweger Szondi postuliert den über Generationen wirkenden Einfluss der Ahnen aus deren Verwurzelung in den Genen, die von Generation zu Generation Wiederholung und Sicherung* ihrer Existenz betreiben. Damit sorgen sie nach Szondi für die permanente Präsenz der Ahnen und deren Manifestationen. Die Frage stellt sich, ob ausschliesslich die Gene als Ahnenträger funktionieren oder ob es noch andere «Ahnenvermittler» gibt, denn unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Selektion müssten nach wenigen Generationen zumindest die negativen Ahnenforderungen schon lange ausgemerzt worden sein.

Ahnen können verblüffen. Ahnenansprüche und ihr hartnäckiger Wiederholungsdrang sowie ihre sehr spezifisch an individuellen Mustern («pattern of behaviour» nach Szondi) orientierten Aktivitäten nutzen die Triebbedürfnisse, um sich im Menschen zu realisieren. Das heisst umgekehrt, dass die Muster von Krankheiten, Lebensformen und Aktivitäten der Vorfahren in den Genen als Information gespeichert worden sind und dort «begierig» auf eine Wiederholung, ja gewissermassen auf eine Auferstehung warten. Darum auch der szondische Ausdruck vom familiären Unbewussten als «Warteraum» der Ahnen. Das ganze Konglomerat von sog. Ahnenansprüchen wird in Form von Triebbedürfnissen der rezessiven Gene darin beherbergt. Eine gentheoretische Annahme, die zwar plausibel erscheinen mag, aber in wissenschaftlicher Beziehung nicht hinreichend belegt ist und faktisch erst in jüngster Zeit durch Erkenntnisse epigenetischer Forschung wieder Substanz gewonnen hat. Nichtsdestotrotz bleibt die genetische Beweislage für die Ahnenansprüche dünn, und so stellen sich die Fragen, ob es genetisch geprägte Ahnenmanifestationen überhaupt gibt, wie sie genetisch verankert sind und ob daraus ein Wiederholungsdrang und -zwang (für einige Generationen oder für immer?) abgeleitet werden und wie sich die Prägung der Gene durch eine höchst individuelle und spezifische Aktivität eines Urahns vollziehen kann. Die entsprechend anzunehmende bio-physische Kommunikation – der Prägungsvorgang sozusagen – ist völlig ungeklärt. Ergänzend wäre noch die Annahme Szondis zu prüfen, ob das familiäre Unbewusste wirklich der Ahnenraum ist und sonst – ausser den Kontaktstellen zum darunter oder daneben gelagerten individuellen und kollektiven Unbewussten – nichts


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enthält. Zu den sich stellenden Fragen gehören weiter das Konzept des Unbewussten und die Überprüfung seiner Lokalität und Konsistenz. Die Wirksamkeit der Ahnen wird bei Szondi empirisch belegt. So konnte er zweifelsfrei bei zahlreichen Klienten, Familien und ganzen Familiengruppen psychische Störungen, Krankheiten, kriminelle Verhaltensweisen und zugleich entsprechende Sozialisierungen, Berufswahlen und Wiederholungen von Lebensart und «Zwangswahl» feststellen, die sich im Stammbaum und Genogramm als Vererbung zeigten. Dabei ist «Zwangswahl» eher eine Konklusion, die sich aus offenkundigem Verhalten erschliessen lässt und also keine Wahl darstellt, sondern eine vorgespurte Form, fast eine Vorbestimmung oder sogar Prädestination. Szondi spricht in diesem Zusammenhang von einem Lebensplan, der in den Genen festgelegt sei. Da sich die aufgezählten Eigenschaften und Merkmale als Vererbung präsentieren, sind sie nach Szondi «vererbte Existenzmöglichkeiten als Ahnenansprüche». Die Logik, die sich aus der Tatsache der Vererbung ergibt, deutet auf die Gene als Träger des Erbes und damit Sitz der Ahnenfiguren hin, die «als Lebensmöglichkeiten, als ‹pattern of behaviour›, für sein [des Einzelnen] eigenes Schicksal in seinem Unbewussten vorhanden sein müssen, und zwar im Kern der Zellen, d.h. in den Genen der Chromosomen. Die im Erbgut mitgebrachten Ahnen streben alle zur Manifestation. Psychologisch drückt man diesen Manifestationsdrang als ‹Ahnenanspruch› aus. Da diese Ahnenansprüche zwar dynamisch, doch völlig unbewusst sind, spricht man – tiefenpsychologisch – von einem ‹familiären Unbewussten›» (Szondi, Freiheit und Zwang, 1968,20).

Ahnen können uns seltsam vertraut sein, aber mit einem unguten Gefühl. Aber irgendwie will es nicht einleuchten, dass die Ahnensünden der Vergangenheit mittels eines genetischen Mechanismus von Generation zu Generation weitergereicht werden, ohne dass darin ein Sinn ersichtlich wäre. Beflügelt es den «élan vital»? Nein. Erhöht es die Lebensqualität? Nein. Trägt es zur besseren Lebensbewältigung bei? Nein. Denn wenn es u.a. eine Aufgabe der Gene ist, den Organismus funktionell zu optimieren und solcherart zu reproduzieren, dann wäre es absurd, schädigendes Verhalten aus dem Ahnenerbe fortzupflanzen und dafür die Gene zu bemühen. Die häufig in der Wissenschaft postulierte natürliche Selektion des Erbguts hätte dann rasch dafür gesorgt, dass «schlechte» Gene wegselektioniert worden wären.


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Genreiche und genarme Regionen auf menschlichen Chromosomen. Auf Metaphasechromosomen aus einem menschlichen weiblichen Lymphozyten wurden durch Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung die Alu-Sequenzen markiert (grün). Diese Sequenzen sind in genreichen Abschnitten der Chromosomen besonders häufig. DNA ist rot eingefärbt, so dass auch genarme Regionen sichtbar sind. (Quelle: Wikipedia) Da stellt sich die Frage, ob Ahnenansprüche nicht wirksam werden können, also als vererbt erscheinen, ohne den biologischen Erbgang durchlaufen zu haben? Vielleicht brauchen die Ahnenansprüche gar keinen Sitzplatz auf den Genen? Wie steht es dann beispielsweise mit der Vererbungsthese im Falle der transgenerationalen Erscheinungen, wie sie die Psychoanalytikerin Anne Ancelin Schützenberger beschreibt und in ihrem Buch «Oh, meine Ahnen! Wie das Leben unserer Vorfahren in uns wiederkehrt» die Weitergabe von Ahnenmanifestationen in Krankheit, Wahl und Lebensart nachdrücklich dokumentiert und dafür eine therapeutische Behandlungsmethode aufgebaut hat? Unter anderem spielt bei der therapeutischen Arbeit von Schützenberger das Genosoziogramm als Aufklärungs- und Deutungsinstrument eine zentrale Rolle und kommt dabei der schicksalsanalytischen Stammbaumforschung sehr nahe. Die Lebensgeschichte der Familie und der Anverwandten wird dabei akribisch aufgearbeitet und untersucht. Lebensweise, Ehe und Beziehungen, Beruf und familiäre Verpflichtungen werden als unbewusstes Netzwerk beschrieben, um so aus der Herkunftsgeschichte einen Kontext zur aktuellen Lebensart zu entschlüsseln. Unter anderem lehnt sich Ancelin Schützenberger an das Konzept der familiären (Ahnen)verpflichtungen von Boszormeny-Nagy an. Boszormeny-Nagy postuliert, dass eine auf einer Familie seit Generationen lastende Schuld als Verpflichtung zu bestimmten Lebensentscheidungen und Lebensweisen unbewusst und unreflektiert weitergegeben wird, was bei Szondi eindeutig dem Zwangsschicksal zugeordnet wird. Häufig geschehe dies in ritualisierten Formen als Familienloyalität, ohne dass das prägende Urerlebnis bewusstes Wissen sei. Dazu Ancelin Schützenberger: «Um eine Person oder ein Individuum gut zu verstehen, muss man den Umfang seiner Bedürfnisse, seiner Verpflichtungen, seines Engagements und seiner Verantwortlichkeiten im Beziehungsfeld der Familie über mehrere Generationen hinweg bestimmen» (2007,44). «Die transgenerationalen Weitergaben werden nicht ausgesprochen, sind Geheimnisse, ungesagte, verschwiegene, verheimlichte Dinge, die manchmal sogar zu denken verboten sind, undenkbar sind. Sie gehen von einer Generation zur nächsten, ohne dass sie bedacht oder «verdaut», assimiliert würden. Und dann sieht man Traumata auftreten, Krankheiten, körperliche oder psychische Phänomene, die oft verschwinden, wenn man sie [die verheimlichten Dinge] wieder «durcharbeitet», indem man über sie spricht [aber zuerst aufdeckt!], über sie weint, sie hinausschreit» (2007,136). Nahe an der Schicksalsanalyse ist Ancelin Schützenberger dann, wenn sie von einem «Lebensskript» spricht, «das Krankheit und Tod, viele Unfälle und Misserfolg vorsieht», analog zum «Lebensplan» von Szondi, ein Lebensplan, der als Leitmotiv das Ahnendiktat enthält. Nun ist Ancelin Schützenberger der Ansicht – und darin sieht sie ihre therapeutische Aufgabe –, dass das «Lebensskript» in ein «positives Skript» umgewandelt werden kann. «Der Klient wird – wird wieder – ein handelndes Subjekt und wird seine Wahl treffen – und


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endlich leben» (2007,179f.). Das trifft sich nun schon fast passgenau mit Szondis Konzept der Zwangs- und Freiheitswahl. Doch lassen wir Ancelin Schützenberger (2007,74f.) mittels eines Falles – dem «Schmetterlingsjäger» ihres Kollegen Nicolas Abraham – zu Worte kommen: «Nicolas Abraham, ein ungarisch-französischer Psychoanalytiker, erzählt die Geschichte eines Mannes (Abraham 1978), der gar nichts von der Vergangenheit seines Grossvaters wusste. Dieser Patient ist Amateurgeologe. Jeden Sonntag geht er Steine suchen, sammelt sie und zertrümmert sie. Er macht auch noch Jagd auf Schmetterlinge, fängt sie und legt sie in ein Glas mit Zyanid. Ganz banal. Dieser Mann fühlt sich sehr schlecht und sucht eine Therapie. Er macht verschiedene Therapien, unter anderem eine Analyse – aber ohne grossen Erfolg. Er fühlte sich einfach nicht wohl in seinem Leben. Er wendet sich an Nicolas Abraham, der die Idee hat, ihn in seiner Familie Nachforschungen anstellen zu lassen, er solle mehrere Generationen zurückgehen [Für einen Schicksalsanalytiker selbstverständlich] Der Mann erfährt, dass er einen Grossvater hat, der Vater der Mutter, von dem niemand spricht. Da gibt es ein Geheimnis. Der Therapeut rät seinem Klienten, die Familie des Grossvaters zu besuchen. Dabei entdeckt dieser, dass sein Grossvater Dinge getan hat, die nicht eingestanden werden können: Er hatte eine Bank ausgeraubt und vermutlich noch schlimmere Verbrechen begangen. Dafür war er in ein Straflager nach Afrika geschickt worden, zur Zwangsarbeit, zum «Steineklopfen». Er war dann exekutiert worden in einer Gaskammer; von all dem wusste sein Enkel nichts.

Womit aber verbringt dieser Enkel seine Wochenenden? Als Amateurgeologe geht er Steine klopfen, und als Schmetterlingsjäger fängt er Schmetterlinge und legt sie in ein Glas mit Zyanid (Abraham 1978). Der symbolische Kreis ist geschlossen, und er bringt das Geheimnis, «das innere Objekt seiner Mutter», zum Ausdruck, ein Geheimnis, das er gar nicht kennt. In einer gewissen Anzahl von Fällen sind die Freizeitbeschäftigungen, die sich von Familiengeheimnissen herleiten, mit einem erstaunlichen Sinngehalt aufgeladen. In diesen Fällen sind die Psychoanalyse und die individuelle Psychotherapie, die sich nur mit der symbolischen Vergangenheit und den Traumata im individuellen Leben beschäftigen, nicht ausreichend. Die transgenerationale Methode lässt das Individuum seine Familiengeheimnisse, seine vollständige Genealogie und seine Geschichte in ihrem wirklichen Zusammenhang spüren. Wenn man seine Geheimnisse und die vorher bestimmten Enthüllungen findet, verschwinden bestimmte Gefühle eines schwierigen Lebens, schädliche Wiederholungen und Traumata. In der transpersonalen Sicht leidet die Person, die an dem «Phantom» [bei Szondi die Ahnen, A.A.] leidet, «das aus seiner Gruft herausgekommen ist», in Wirklichkeit an


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einer «Familiengenealogie-Krankheit», an einer unbewussten Familienloyalität, an den Folgen von etwas Ungesagtem, das zum Geheimnis geworden ist. Vom psychoanalytischen Standpunkt aus sehen Abraham und Török darin eine «Bildung des dynamischen Unbewussten. Sie liegt vor, nicht weil das Subjekt selber etwas verdrängt hätte, sondern wegen seiner direkten Empathie in Bezug auf ein unbewusstes und verleugnetes elterliches Subjekt». Man könnte vielleicht von einem teleskopartigen Zusammenschieben der Generationen und der Zeit sprechen, von einem time collapse. […] Ein seltsames Verhalten, Krankheit oder Delirium sind oft Verkörperungen für dieses «Phantom» und inszenieren in verbaler oder handelnder Agitation [Zwangswahl bei Szondi, A.A.] das lebendig im väterlichen oder grossväterlichen Unbewussten [im familiären Unbewussten] begrabene Geheimnis. Die Frage bleibt unbeantwortet, auf welche Weise die Familiengeheimnisse im alltäglichen Leben, wenn die Dinge nicht benannt werden, weitergegeben werden.» (Hervorhebungen durch A.A.) Auf dieses Problem ist auch Szondi gestossen, dass die genetische Weitergabe aus irgendwelchen Gründen oft nicht plausibel ist. So bemerkt er in einem von ihm als Genverwandtschaft diagnostizierten Fall: «In diesem Fall lässt sich die Genverwandtschaft nicht notwendig auf Grund der Mendel‘schen Gesetze ableiten, doch wird sie durch die paranoiden Merkmale, die in den Familien der Ehepartner symmetrisch auftreten, sehr wahrscheinlich gemacht» (Szondi 1944, 1987,108f). Indirekt räumt Szondi damit ein, dass die Möglichkeit der transgenerationalen Weitergabe von psychischen Merkmalen besteht, ohne dass für ihn eine genetisch bedingte Vererbung offenkundig wäre. Wissenschaftlich gesehen ist es nun so, dass – wenn auch nur in einem Fall – diese genetische Hypothese nicht zutreffen, die genetische Übertragung von Ahnenmanifestationen nicht als strikte Gesetzmässigkeit gelten kann. Mit anderen Worten heisst dies, dass eine «zweite Schiene» der Übertragung von «Ahnenansprüchen» gesucht werden muss. Dies legt nahe, die Ahneninformationen nicht in der genetischen Struktur, sondern – als Hypothese – in den energetischen Kraft- und Informationsfeldern des Organismus und in deren Verkopplung mit anderen Informationsfeldern der Umwelt zu suchen. Dabei ist die Annahme von Kraftfeldern dem schicksalsanalytischen Konzept nicht fremd, beruht doch die szondische Trieblehre auf dem Prinzip polarisierter Spannungs- und Kraftfelder, die je nach Spannungsdichte, Frequenz und Impulsfolge rezessiv oder dominant wirksam werden können, sich überlagern und somit verstärken oder auslöschen. Eine Hypothese, sicher, aber warum im konkreten Fall Dominanz oder Rezessivität bei den vom Gen ausgelösten Merkmalen herrscht, wird von der Genetik zum heutigen Zeitpunkt nicht beantwortet. Zu beachten wäre noch die Tatsache, dass nicht Gene, sondern die von ihnen zur Produktion freigegebenen Proteine die vererbte Disposition in konkrete Wirkung und Gestaltung umsetzen. Gene sitzen übrigens nicht als Globuli auf der DNA, sondern sind mehr oder weniger lange, schwierig abzugrenzende DNA-Stücke. Gesetzt den Fall, die Arbeitshypothese gilt, dass wir in einer Informationen-Cloud unvorstellbaren Ausmasses leben – quasi in einem Informations-Äther –, die sowohl Behälter als auch Quelle der Reproduktion von Ahnenexistenzen, -wissen und -ansprüchen sein könnte, so wäre eine weitere, sich daraus ergebende Hypothese die, dass uns eine Cloud permanent umgibt und wir unbewusst Informationen mit ihr austauschen, sie also sozusagen unser unbewusster, externer, alle Vergangenheit bewahrender Datenspeicher darstellt. Das Ausmass und die Auslese der Informationen sowie die Insistenz, in dem spezielle Ahneninformationen aktiviert werden, um in unser aktuelles Leben einzugreifen, sind noch völlig offen. Wie sich diese Daten materialisieren – als Krankheiten, Begabungen, spirituelle


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Und wie lange haben diese Ahnen schon gewartet? Fähigkeiten, psychische Störungen und dergleichen –, ist in den Studien und Materialien Szondis umfassend und detailliert belegt. In Computeranalogien gesprochen, ist unser Gehirn die Festplatte mit Arbeitsspeicher, während wir unsere persönlichen Dateien («Kopien» unseres Wissens, unseres Erlebens und unserer Erfahrungen) in eine kosmische Cloud auslagern. Eher unbewusst als bewusst können wir mit den dort gelagerten Dateien der Ahnen und anderer Menschen kommunizieren, so wie wir im Computerbereich mit den entsprechenden Passwörtern und dem Zugangscode in der Cloud der Computerwelt Informationen, die andere dort gelagert haben, abrufen können. Träger und Transporteure der Informationen sind Biophotonen, ein Teilchen, dessen Wesen, Struktur, Erscheinungsweise und Stellenwert als Informationsvehikel in einem späteren Text beleuchtet wird.


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Wir arbeiten ständig an unserer Informationen-Cloud Zum Schluss ein Wort zur Epigenetik als momentaner Highflyer der genetischen Forschung: Eine wesentliche Rolle spielen epigenetische Vorgänge (d.h. DNA-Moleküle werden einoder ausgeschaltet, also auch solche Moleküle, die Funktionsbestandteil eines Gens sind) bei Anpassungen von Anlagen und Dispositionen des Menschen an sich verändernde Umweltbedingungen. Diese epigenetische Aktivität ermöglicht die Einfügung von Erfahrungen (positive und negative!) des Individuums in spezifische DNA-Funktionsweisen und damit – Stand der Forschung – die Weitergabe mittels Vererbung. Genetische Forschungen im Rahmen einer Studie an der Universität Zürich haben u.a. gezeigt, «dass chronischer schwerer Stress oder traumatische Erlebnisse während der Kindheit verschiedene psychische Spätfolgen hervorrufen [können], unter anderem BorderlinePersönlichkeitsstörungen oder Depressionen», und dass dies mittels epigenetischer «Programmierung» geschieht. Ferner heisst es in einer weiteren jüngeren Publikation von


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Bernhard Kegel (2009,242): «Mit Hilfe der Epigenetik gelingt es zum ersten Mal, eine Brücke zwischen sozialen Erfahrungen über Hirnfunktionen bis hin zu molekularen Vorgängen in den Zellen zu schlagen […] Schon relativ milde Formen von umweltinduziertem Stress sorgen […] für das Erscheinen neuer Phänotypen.» Damit haben wir neben den Genen einen weiteren «Täter» im genetischen Wirkungsfeld, der auf den Phänotyp des Menschen einwirkt. Nur, die Kernfrage bleibt: Wie vollzieht sich die Einwirkung? Welche Mittel werden vom Ich eingesetzt, um das Erleben einer Umweltsituation in den Code einer biologischen Weisung umzuschreiben (epigenetische Markierung), die via Gehirn eine Methylgruppe (sozusagen eine frei in der Zelle schwadernde mobile DNA-Taskforce) in Marsch setzt und diese DNATaskforce «selbstorganisierend» an die genetisch relevanten Abschnitte der Desoxyribonukleinsäure (DNA) andockt und dort weisungsgemäss Schalter betätigt? Wie wird eigentlich der ganze Ablauf gesteuert? Ein Sprung zurück zur Psychologie: Könnte es nicht sein, dass die Vernetzung des Selbst (des Pontifex oppositorum Szondis) mit dem kollektiv-kosmischen Unbewussten diesem Selbst den Zugriff zu einem umfassenden «Schalt- und Steuerungsplan» des Organismus in der bereits erwähnten Informationen-Cloud öffnet? Die Diskussion über diese Thesen ist eröffnet. Wir werden das Thema in weiteren Artikeln vertiefen. * Weiterführende Literatur Dawkins, Richard: Das egoistische Gen. Springer Akademischer Verlag 2010. Quellen Kegel, Bernhard: Epigenetik. Wie die Erfahrungen vererbt werden. DuMont 2009. Szondi, Leopold: Schicksalsanalyse. Schwabe 1996, 4. unveränderte Auflage. Ancelin Schützenberger, Anne: Oh , meine Ahnen! Wie das Leben unserer Vorfahren in uns wiederkehrt. Carl-Auer Verlag 2007, 5. Auflage, ISBN 978-3-89670-502-0. Zit. bei Ancelin Schützenberger: Abraham, Nicolas: L’écorce et le noyau. Aubier-Flammarion 1978,393–474 Biographisches Anne Ancelin Schützenberger ist emeritierte Professorin für Psychologie an der Universität Nizza und Mitbegründerin der International Society of Group Psychotherapy. Als Psychotherapeutin arbeitet sie mit psychoanalytischen Methoden unter Einbezug der Erkenntnisse von Moreno, Nicolas Abraham und Boszormeny-Nagy. Bei Moreno erhielt sie das Rüstzeug zum gruppentherapeutischen Arbeiten und zum Psychodrama, bei BoszormenyNagy vertiefte sie sich in familientherapeutisches Arbeiten und lernte die transgenerationalen Aspekte der familiären Bindungen und Schuldzuweisungen kennen.


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Die zwei Gesichter des Selbst Friederike Gerstenberg und Manfred Schmitt

Persönlichkeitsforscher entwickeln Methoden, die unbewusste Eigenarten von Menschen entschlüsseln helfen sollen. Ein Ausschnitt aus einem Text der Zeitschrift „Gehirn&Geist“ Nr.9/2012. Menschen sagen oft das eine, tun aber das andere. Da ist der Freund, der die Trennung von seiner Ex angeblich schon verkraftet hat und sich trotzdem jeden Abend in den Schlaf weint. Da ist die Schwester, die eigentlich eine Diät macht, aber in unbeobachteten Momenten Pralinen nascht. Da ist der Arbeitskollege, der sich für ganz besonders schlau hält, doch leider lassen seine Leistungen zu wünschen übrig. Und da ist die Bekannte, die trotz herausragender Fähigkeiten ständig in Sorge ist, dümmer zu sein als die anderen. Solche Beispiele lehren uns, lieber einmal abzuwarten und zu schauen, ob die Selbstbeschreibungen der Menschen in unserer Umgebung auch wirklich zutreffen. Doch warum erzählt jemand etwa nach dem Scheitern seiner Beziehung nicht, wie es ihm wirklich geht? Viele Gründe sind dafür denkbar. Vielleicht schämt er sich und will nicht zugeben, dass er immer noch an seiner Verflossenen hängt; vielleicht erwarten seine Freunde, dass er den Beziehungscrash nach ein paar Wochen überwunden hat. Auch mangelnde Selbstreflexion mag mitunter eine Rolle spielen: Die Bekannte, die sagt, sie sei dümmer als ihre Kolleginnen, kann ihre Fähigkeiten vielleicht nur nicht angemessen einschätzen. Möglicherweise vergleicht sie sich mit einem allzu perfektionistischen Standard. Auf Grund unseres Gesundheitsbewusstseins planen wir beispielsweise, künftig weniger Süßigkeiten zu essen. Diesem Vorsatz mögen wir dann auch meistens treu sein – aber längst nicht immer. Schuld daran ist der Theorie zufolge die unbewusste Ebene. Auf ihr drängen sich zuweilen andere Motive und Bedürfnisse als in unseren Gedanken. Wir kennen sie zwar nicht, dennoch lenken sie unser Verhalten. Zugang mit Umwegen Das klingt plausibel, wissenschaftlich gesehen steht und fällt die Idee jedoch mit der Messbarkeit des Unbewussten. Freud sah in Träumen und Versprechern (den berühmten "freudschen Fehlleistungen") ein Fenster zum unbekannten Innern der Menschen. Einige seiner Überlegungen mündeten in die Entwicklung so genannter projektiver Tests. Bei ihnen müssen Probanden mehrdeutige oder gänzlich abstrakte Bilder interpretieren. Was sie aus den Formen herauslesen, soll Aufschluss über ihre unbewussten Motive, Gefühle und Einstellungen geben.


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Tintenkleckserei nach Rorschach Wissenschaftler streiten allerdings bis heute über die Aussagekraft dieser Verfahren. So ist zum Beispiel unklar, was dabei überhaupt erfasst wird. In den letzten 15 Jahren haben Forscher deshalb eine Reihe weiterer "indirekter Verfahren" vorgeschlagen, um unbewusste Persönlichkeitsmerkmale sichtbar zu machen. Als bekanntestes unter ihnen gilt der Implizite Assoziationstest (IAT, siehe auch Gehirn&Geist 9/2007, S. 30). Ein Team um den Psychologen Anthony Greenwald von der University of Washington in Seattle entwickelte diese Methode 1998. Der Test basiert auf der Annahme, dass sich unbewusste Ansichten in der Schnelligkeit niederschlagen, mit der wir auf bestimmte Reize reagieren. Seine Probanden mussten zunächst lernen, auf zwei auf dem Computerbildschirm erscheinende Wörter unterschiedlich zu reagieren: Bei angenehmen Begriffen wie "Glück", "Freude" oder "gut" sollten sie die Taste "e" drücken, bei unangenehmen wie "Pech", "schlecht" oder "böse" die Taste "i". Nach diesem Übungsdurchgang ging es ans Eingemachte: Jetzt tauchten nicht nur positive und negative Wörter auf dem Monitor auf, sondern dazwischen auch Fotos von Gesichtern schwarzer und weißer Personen. Zunächst galt es, bei Weißen wie auf die guten Wörter mit dem Tastendruck "e" zu reagieren; bei Schwarzen wie auf die unangenehmen Wörter dagegen mit "i". Der Clou: Im nächsten Durchgang änderte sich die Tastenbelegung. Jetzt mussten die Probanden für positive Begriffe und schwarze Gesichter die Taste "e" bedienen; für negative Wörter und weiße Gesichter drückten sie nun "i". Rückschluss aufs Unbewusste Während dieser Prozedur wurden die Reaktionszeiten registriert. Wenn ein Proband im Durchgang "weiß und gut; schwarz und schlecht" schneller reagierte als bei der Tastenkombination "weiß und schlecht; schwarz und gut", dann sprach das laut Greenwald dafür, dass im Gedächtnis des Teilnehmers Menschen weißer Hautfarbe eher mit guten Eigenschaften, Schwarze dagegen eher mit schlechten assoziiert sind. Studien zufolge gilt genau das für drei Viertel der weißen Amerikaner. Für IAT-Befürworter sind diese (impliziten) Assoziationen gleichbedeutend mit unbewussten Einstellungen.

Clever hinters Licht geführt Neben dem IAT gibt es noch eine Reihe anderer, trickreicher Verfahren, die unbewusste Anteile der Persönlichkeit registrieren sollen. Eine Forschergruppe um den Sozialpsychologen Keith Payne ersann 2005 beispielsweise die Affective Misattribution Procedure (AMP). Dieser Test erfasst keine Reaktionszeiten, sondern Bedeutungen und Bewertungen, die Menschen mit bestimmten Objekten und Ereignissen verbinden. Die Versuchsperson sieht auf einem Bildschirm ihr unbekannte chinesische Schriftzeichen und muss raten, welche Bedeutung das Zeichen hat. Steht es für etwas Gutes oder Schlechtes, etwas Interessantes oder


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Langweiliges, etwas Bedrohliches oder Beruhigendes? Der Kniff an der Sache: Kurz vor dem chinesischen Symbol erscheint ein Bild oder ein Wort. Da die Person die Bedeutung des chinesischen Zeichens nicht kennt, überträgt sie die Bedeutung des Bilds oder Worts auf das Schriftzeichen, so Paynes Annahme. Blendet man zum Beispiel Kürzel politischer Parteien (CDU, SPD, FDP) ein, so bewerten CDU-Wähler chinesische Lettern, die auf "CDU" folgen, im Schnitt besser als solche, die nach "SPD" erscheinen. Entscheidend für die Erfassung unbewusster Einstellungen ist nun, dass das Verfahren auch funktioniert, wenn die Bilder oder Wörter nur subliminal dargeboten werden – also so kurz, dass wir sie nicht bewusst wahrnehmen. Trotzdem wirken sie unterschwellig auf uns und beeinflussen, wie wir das folgende Schriftzeichen bewerten. Diskrepanzen zwischen bewusst und unbewusst Grundsätzlich können dabei zwei Formen von Diskrepanzen auftreten: Der explizite (bewusste) Selbstwert kann höher oder niedriger sein als der implizite (unbewusste). Die erste dieser beiden Diskrepanzen rücken viele Wissenschaftler in die Nähe des Narzissmus. Dahinter steckt der Gedanke, dass Narzissten unbewusst versuchen, nach außen großes Selbstbewusstsein auszustrahlen, weil unbewusst ausgeprägte Zweifel an ihnen nagen. Sigmund Freud war der Auffassung, dass wir nur durch eine langwierige Psychoanalyse und mit Hilfe eines ausgebildeten Therapeuten Zugang zu unseren unbewussten Motiven erlangen können. Weniger aufwändig und prinzipiell möglich wäre es, im Internet einen IAT zu absolvieren. So könnte man etwa erfahren, ob man Ausländern gegenüber wirklich so tolerant ist, wie man glaubt. Allerdings gibt es nicht für jedes psychologische Merkmal einen IAT. Außerdem können wir nicht wissen, in welchen Bereichen unseres Selbst Ungereimtheiten bestehen. Wir müssten also sehr viele IATs oder AMPs durchführen, um unseren Selbstdiskrepanzen auf die Schliche zu kommen. Vielleicht aber können Menschen mit einem unausgewogenen Ich von denen lernen, deren Selbst auf beiden Ebenen miteinander in Einklang steht. Viele unserer Mitmenschen haben im Lauf ihres Lebens offenbar recht gut gelernt, ihre Fähigkeiten, Motive, Einstellungen sowie ihre Persönlichkeit realistisch einzuschätzen. Wie gelingt es ihnen, die unbewussten und bewussten Teile ihres Selbst aufeinander abzustimmen? Es scheint, als gäbe es neben Psychoanalyse und der Durchführung vieler IATs eine weitere Möglichkeit, sein bewusstes und sein unbewusstes Selbst einander anzunähern: Vermutlich reicht es auch, ab und an eine Einschätzung von außen einzuholen und einen Menschen in seinem persönlichen Umfeld zu fragen, was er eigentlich über einen denkt und wie er einen sieht. Man muss sich dafür ja nicht gleich filmen lassen. © Spektrum.de


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__Gesundheit und Medizin

Roboter in der Gesundheitsversorgung (nur) als Gehilfen erwünscht Claudia Gähwiler Roboter könnten Gesundheitsfachkräfte künftig entlasten und die Versorgung und Betreuung von Patientinnen und Patienten verbessern, zeigen Forschende der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in einer Studie von TA-SWISS (Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung). Risiken sind fehlende zwischenmenschliche Kontakte und Regelungen sowie steigende Gesundheitskosten. Die alternde Gesellschaft, fehlendes Gesundheitspersonal und steigende Gesundheitskosten bringen Roboter als mögliche Alternativen ins Spiel. Werden wir künftig von Maschinen gepflegt? Ein interdisziplinäres ZHAW-Forscherteam aus den Bereichen Gesundheit, Ökonomie und Mechatronik entwickelte Szenarien für das Zentrum für TechnologiefolgenAbschätzung TA-SWISS, die beschreiben, wie Roboter im Gesundheitswesen bis 2025 eingesetzt werden könnten. Neben einer umfassenden Literaturstudie befragten die Forschenden Akteure wie Patienten, Spitalmanagerinnen, Pfleger oder Ärztinnen und liessen die Ergebnisse von Experten diskutieren. Gehilfen, keine Gefährten In der Industrie sind Roboter längst präsent. Fortschritte in der künstlichen Intelligenz und der Produktion berührungsfreundlicher Materialien machen sie auch fürs Gesundheitswesen interessant. Neben der technischen Machbarkeit und den Kosten spielt jedoch die Akzeptanz potenzieller Anwender eine zentrale Rolle. Diese nimmt bei zunehmender Interaktivität der Geräte ab. Sie ist also bei sozial interagierenden Robotern, die Patienten als Gefährten unterstützen, am tiefsten. «Viele Befragte befürchten, dass der zwischenmenschliche Kontakt verloren gehen könnte. Zudem fehlt Robotern auch die umfassende und flexible Sicht auf Patienten und Situationen», so Projektleiterin Heidrun Becker vom Departement Gesundheit der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Pflegefachkräfte fürchten zudem, dass sie aus Spargründen von Robotern ersetzt werden könnten. Allerdings begrüssen sie mechanische Assistenten als Gehilfen, um sie von schweren Arbeiten wie das Heben oder Tragen von Patienten zu entlasten. Die Betroffenen selbst erhoffen sich von Robotern vor allem einen unabhängigeren Alltag mit smarten Rollstühlen, intelligenten Gehilfen oder Servicerobotern für den Haushalt. Zukünftige Generationen älterer Menschen wachsen mit viel mehr Technik als früher auf und werden daher offener im Umgang mit Robotern im Gesundheitswesen sein. Telepräsenzroboter, welche beispielsweise per Videogespräch die persönliche Anwesenheit einer Pflegekraft oder Ärztin ersetzen, könnten Senioren sozusagen als «digitale Nabelschnur gegen die Vereinsamung» dienen. Allerdings geht laut den befragten Experten mit der gewonnenen Selbstständigkeit eine gewisse Abhängigkeit von Maschinen einher. Zum Beispiel könnte ein Stromausfall dazu führen, dass lebenswichtige Medikamente nicht verabreicht werden. Wenn Pflegeroboter also Zuhause eingesetzt werden, übernehmen Patienten und Angehörige automatisch mehr Verantwortung. «Umstritten ist bei Experten, ob das Pflegepersonal mit Robotern so entlastet wird, dass ihm mehr Zeit für die direkten Begegnungen mit den Patienten bleibt», so Becker. Einig sind sich die Experten jedoch, dass die mechanischen Geräte nur als Ergänzung zu menschlichen Kontakten eingesetzt werden sollten und die Gesundheitskosten wahrscheinlich eher steigen als senken werden: Die Anschaffung ist teuer,


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zudem entwickelt sich die Technik rasch und zwingt, sie immer wieder zu ersetzen. Unzureichende Regelungen Bereits für die Testphase von mechanischen Assistenten reicht die heutige Rechtslage nicht aus. Wer haftet bei Schäden? Roboter sind zudem auf digitale Patientendaten angewiesen. Oftmals erheben Telepräsenz- oder Assistenzroboter auch noch gesundheitsbezogene Daten aus der Umgebung der Patienten und des Gesundheitspersonals. «Regelungen im Haftungsrecht, im Datenschutz und in der Ethik sollten deshalb überprüft werden», so die ZHAW-Forscherin. «Es ist wichtig, dass die Entwicklungen proaktiv begleitet werden. So können Chancen genutzt und Risiken kontrolliert werden.» Zudem empfehlen die Autorinnen der TA-SWISS-Studie, bei Forschungsprojekten frühzeitig die späteren Nutzer und Betroffenen einzubeziehen, damit die Entwicklung nicht an ihren Bedürfnissen vorbei zielt. Robotertypen in der Gesundheitsversorgung Die Studie von TA-SWISS ordnet die Geräte drei verschiedenen Typen zu. In die Gruppe der Trainingsgeräte und Hilfsmittel fallen Armund Beintrainer in der Rehabilitation, mit elektronischen Sensoren ausgestattete «schlaue» Greif- und Gehhilfen oder navigierende Rollstühle. Daneben gibt es aber auch Telepräsenz- und Assistenzroboter, welche die persönliche Anwesenheit einer Pflegekraft, eines Therapeuten oder einer Ärztin ersetzen oder bestimmte Arbeitsschritte wie zum Beispiel den Transport unterstützen. Die dritte Kategorie bilden sozial interagierende Roboter, die als Begleiter und Gefährten dienen. Hier steht die unmittelbare Beziehung zwischen Roboter und Mensch im Vordergrund.

Quelle: ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, 21.12.2012 Fachinformationen: Prof. Dr. Heidrun Karin Becker, Telefon 0041 58 934 64 77, heidrun.becker@zhaw.ch


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Schlüsselmoleküle für die Entwicklung des auditorischen Systems:

Wenn das Gehirn Fehler macht Dr. Corinna Dahm-Brey Etwa zwei bis drei Prozent aller Kinder und zehn bis zwanzig Prozent der älteren Erwachsenen leiden unter Hörproblemen, die auf neurologische Verarbeitungsstörungen zurückzuführen sind. Obwohl ihr Innenohr voll funktionsfähig ist, interpretiert ihr Gehirn die akustischen Signale fehlerhaft. Eine solche Hörstörung wird häufig in Zusammenhang mit Dyslexie (Lesen und Verstehen von Wörtern und Texten) und Autismus gebracht. Die Arbeitsgruppe Neurogenetik an der Universität Oldenburg unter Leitung von Prof. Dr. Hans Gerd Nothwang hat nun zusammen mit WissenschaftlerInnen der Universität Tel Aviv neue Schlüsselmoleküle für die fehlerfreie Interpretation von akustischen Signalen identifiziert. Ihre Forschungsergebnisse haben die ExpertInnen kürzlich in der international renommierten Online-Fachzeitschrift der Public Library of Science PLOS ONE 2012 vorgestellt. Auditorische Verarbeitungsstörungen treten bei Jungen doppelt so häufig auf wie bei Mädchen. „Das verweist auf einen genetischen Hintergrund“, betont Nothwang. Um die genetischen Ursachen der Entwicklungsstörungen der Hörbahn zu identifizieren, versucht er mit seiner Arbeitsgruppe die Faktoren aufzuspüren, die maßgeblich an der Ausbildung der Hörbahn beteiligt sind. „Erst seit wenigen Jahren kennt man die so genannten microRNAs – also kleine Nukleinsäuren – die bei der Genregulation eine wichtige Rolle spielen. Zu ihrer Produktion in der Zelle ist das Enzym Dicer erforderlich“, erklärt der Neurobiologe. Dieses Enzym haben die WissenschaftlerInnen aus Oldenburg und Tel Aviv mit einem speziellen Verfahren bei Mäusen lokal ausgeschaltet und damit unterbunden, dass zelluläre microRNAs in der Hörbahn hergestellt werden. Das Ausschalten von Dicer im embryonalen Stadium hatte drastische Folge: Ein Teil der Hörbahn entwickelte sich überhaupt nicht, ein weiterer Bereich war erheblich beeinträchtigt. „Diese Befunde ließen erstmals den Schluss zu, dass die Klasse von kleinen regulatorischen Nukleinsäuren als Schlüsselmoleküle für die korrekte Ausbildung der Hörbahn sorgen“, so Nothwang. Durch weitere genetische Analysen sei es außerdem gelungen, das kritische Zeitfenster für das Wirken von Dicer und damit von microRNAs auf die frühe embryonale Entwicklung einzugrenzen. Künftig wollen die WissenschaftlerInnen noch einen Schritt weitergehen und die entscheidenden microRNAs und ihre genauen Funktionen identifizieren. „Genetische Störungen wie beispielsweise Mutationen in den microRNAs führen sehr wahrscheinlich zu Fehlentwicklungen in der Hörbahn. Damit könnten sie zu auditorischen Verarbeitungsstörungen beitragen“, so der Neurobiologe. Auch für diese Untersuchungen werde die erfolgreiche Kooperation mit der israelischen Arbeitsgruppe fortgesetzt. ForscherInnengruppe: Elena Rosengauer, Heiner Hartwich, Anna Maria Hartmann, Anya Rudnicki, Somisetty Venkata Satheesh, Karen B. Avraham, Hans Gerd Nothwang Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg 10.12.2012 Fachkontakt: Prof. Dr. Hans Gerd Nothwang, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften, Tel.: 0441/798-3932, E-Mail: hans.g.nothwang@uni-oldenburg.de


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Probleme im Alter Menschen in der zweiten Lebenshälfte sind meist erfahren genug, um entscheiden zu können, was für sie wichtig und unwichtig ist. Sie müssen sich nicht mehr andauernd beweisen, und die Prioritäten im Leben haben sich etwas verschoben. Doch selbst das Leben von erfahrenen Älteren hält manchmal Krisen bereit. Psychologisches Institut der Universität Zürich – Psychotherapeutisches Zentrum Häufige Herausforderungen älterer Menschen sind: Zunehmende körperliche Beeinträchtigungen und Krankheiten Die mit dem Alter einhergehenden körperlichen Abbauprozesse können einem sehr zu schaffen machen. Wenn die Sehkraft, das Gehör und die Bewegungsfähigkeit nachlässt, ist das gewohnte Leben sehr herausgefordert. Schwere Krankheiten wie ein Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krebs erfordern auch häufig eine Anpassung an die neue Situation. Und manchmal scheint es so, als ob das Leben sich nicht mehr lohnt. Zunehmende Gedächtnisprobleme und Gedächtnisstörungen Mit dem Alter nimmt die Vergesslichkeit zu. Je häufiger man etwas vergisst oder Schlüssel verlegt, desto belastender kann das sein. Möglicherweise wurde eine Gedächtnisstörung oder Demenz diagnostiziert. Ängste, wie das weitergehen soll, Mutlosigkeit und Rückzug aus den Kontakten mit anderen Leuten führen aber meist zu einer Verschlimmerung der Gedächtnisprobleme. Depression, Trauer, Ängste und Schlafstörungen Verschiedene andere Erlebnisse können dazu beitragen, dass ein älterer Mensch sehr traurig (depressiv) oder ängstlich wird. Verluste von Menschen werden betrauert. Konflikte mit nahen Angehörigen können sehr belasten. Trennung und Scheidung sind andere Beispiele. Schlafprobleme sind nicht selten nach solchen Ereignissen. Diese Gefühle wie Trauer, Traurigkeit und Angst sind keine Krankheit. Aber dauert die ständige Niedergeschlagenheit und Angst mehrere Monate an, kann es sich um eine ernstzunehmende Krankheit handeln wie Depression, Angststörungen und Schlafstörungen. Nicht alle Probleme und Krisen im Alter erfordern eine Psychotherapie. Manchmal entwickeln sich Krisen aber dramatisch, so dass sie kaum mehr aus eigener Kraft zu bewältigen sind. Dann kann eine Psychotherapie hilfreich sein. Eine Psychotherapie kann helfen, die belastenden Gefühle zu bewältigen. Eine Psychotherapie kann stärken, mit Krisen besser klar zu kommen. Eine Psychotherapie bietet auch die Chance, sich besser kennen zu lernen und neu zu orientieren. ∞ Kontakt: http://www.psychologie.uzh.ch/institut/pz/contact.html


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Alternative Medizin:

"Hauptsache, es geht mir besser" Die klassische Medizin hat bei vielen einen schlechten Ruf: Sie suchen nach alternativen Behandlungsverfahren, von denen sie sich mehr versprechen, obwohl ihre Wirksamkeit höchst umstritten ist. Die Argumente für ihre Entscheidung sind vielfältig. Ulrike Gebhardt "Gibt es da auch etwas Homöopathisches?" Eine häufige Frage bei Arzt und Apotheker: Alternative Heilmethoden sind beliebt. Fast zwei Drittel der erwachsenen Deutschen hätten mindestens einmal eine Alternative oder Ergänzung zur klassischen Medizin genutzt, so das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, die kürzlich 1700 Personen dazu befragt hatte. Die Anzahl der Nutzer von Naturheilverfahren hat sich damit in den letzten Jahren auf hohem Niveau stabilisiert. Was ist Alternativmedizin? Eine allgemein gültige Definition der Begriffe "Alternativmedizin" oder "Komplementärmedizin" (im englischsprachigen Raum kurz "CAM") gibt es nicht. Synonym werden häufig auch die Begriffe Erfahrungsmedizin, Ganzheitsmedizin, Naturheilkunde oder Traditionelle Medizin gebraucht. Im Allgemeinen versteht man darunter eine Vielzahl verschiedener medizinischer Praktiken, die genutzt werden, um die körperliche und geistige Gesundheit zu erhalten oder zu verbessern, Erkrankungen vorzubeugen, zu diagnostizieren oder zu heilen. Allen Verfahren gemein ist, dass sie sich abgrenzen wollen von der klassischen "Schulmedizin". Doch auch hier sind die Grenzen fließend. Was mancherorts als Alternativmedizin gilt, wie etwa einige Anwendungen der Pflanzenheilkunde, fällt woanders unter die schulmedizinische Behandlung. Zu den alternativen Heilmethoden werden bei uns zum Beispiel gezählt: Akupunktur, anthroposophische Medizin, Pflanzenheilkunde, Homöopathie, manuelle Therapien (Chiropraktik, Osteopathie, Massage), Naturheilkunde (Aromatherapie, Kräutermedizin, Ernährung, Nahrungsergänzung) und die Traditionelle Chinesische Medizin. Dabei ist die Wirksamkeit vieler dieser Heilverfahren mindestens umstritten, wenn nicht sogar widerlegt. "In einigen Kreisen herrscht Unverständnis darüber, wie man sich trotz der Errungenschaften der Aufklärung so 'dumm' verhalten könne, Methoden in Anspruch zu nehmen, deren Wirksamkeit sich im Rahmen des gängigen wissenschaftlichen Denkens nicht erklären lasse", erklärt Stefan Schmidt von der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg. Der Spruch "Wer heilt, hat Recht" weise denn auch den Weg zurück ins Mittelalter, sagte Edzard Ernst, emeritierter Professor für Alternativmedizin der Universität Exeter kürzlich in einem Interview mit Medscape Deutschland. Eine Frage, viele Antworten Warum aber setzen so viele, gar nicht mittelalterlich denkende Menschen ihre Hoffnung auf alternative Therapien? Fallen sie dabei lediglich auf die Werbetricks von fragwürdigen Heilversprechern herein? "Eine einfache Antwort auf die Frage des 'Warum' gibt es nicht", sagt Wolfgang Weidenhammer vom Kompetenzzentrum für Komplementärmedizin und


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Naturheilkunde an der TU München. "Der Patient, der sich selbst wegen einer banalen Angelegenheit behandelt, wird andere Gründe haben als derjenige mit einer Krebserkrankung." Trotz des komplexen Bilds kristallisierten sich aus Patientenbefragungen drei Motivationen heraus: Viele legten Wert auf ein persönliches Arzt-Patienten-Verhältnis, in dem es um den Menschen und nicht allein um das kranke Organ gehe, sagt Weidenhammer. In der Komplementärmedizin würde mehr auf dieses Verhältnis geachtet. Zum anderen seien Patienten heutzutage informierter, wollten häufig einfach eine Zweitmeinung einholen und aktiv das Behandlungsspektrum erweitern. Der dritte Grund: Menschen suchen nach Behandlungsformen mit weniger Nebenwirkungen. "Die alternative Medizin gilt hier als 'sanft'. Dabei greifen einige Methoden, wie es etwa die Erfahrung mit der chinesischen Arzneitherapie zeigt, massiv in den Organismus ein", sagt Wolfgang Weidenhammer. John Astin von der Standford University School of Medicine versuchte vor fast 15 Jahren zu der Frage, warum Patienten auf alternative Heilverfahren vertrauen, zum ersten Mal einen theoretischen Unterbau zu liefern [1]. Er befragte 1035 US-Amerikaner zu ihrem Gesundheitszustand, ihrer Einstellung zur klassischen Medizin, ihren religiösen Überzeugungen und Werteinstellungen. 40 Prozent der Befragten hatten im vorangehenden Jahr alternative Medizin wie etwa Akupunktur, Chiropraktik, Pflanzenheilkunde oder Homöopathie in Anspruch genommen. Dabei tendierten solche Personen stärker zu alternativen Behandlungen, die im Vergleich einen höheren Bildungsstatus angaben, größere Gesundheitsprobleme hatten, über ein "Transformationserlebnis" berichteten, das ihre Weltsicht verändert hatte, und an Angststörungen, Rückenproblemen oder chronischen Schmerzen litten. Auf das "Warum" ihrer Therapiewahl hin befragt, gaben die Personen an, nach der alternativen Behandlung sei es ihnen besser gegangen, Schmerzen und andere Symptome hätten abgenommen, und die Behandlung funktioniere besser für das persönliche Gesundheitsproblem als Verfahren der klassischen Medizin. Die Befragten nutzten die alternativen Heilverfahren überwiegend nicht aus Enttäuschung über die klassische Medizin, sondern weil sie stimmiger mit den eigenen Überzeugungen, Werten und religiösen Einstellungen waren. Weltbild und Wirksamkeit Was dabei im Kopf der Menschen vor sich geht, versucht der Psychologe Stefan Schmidt zu erklären: "Wenn ich mich für eine Therapie entscheide, die für mich stimmig ist und in mein Weltbild passt, kommt der Therapie eine positive Bedeutung zu, die schließlich zu einem positiven Gesamterlebnis führt." Sprich: Es geht mir besser – auch wenn die spezifische Wirksamkeit der Methode laut naturwissenschaftlicher Analyse unklar ist. Wie mächtig die eigene Gedankenwelt, die Sinnkonstruktion dabei sei, zeigen Untersuchungen wie von J. Bruce Moseley zur Wirksamkeit der Gelenkspülung bei Patienten mit einer Kniearthrose [2]: Die Spülung allein oder in Verbindung mit der Entfernung lockerer Knorpelteilchen reduzierte die Schmerzen der Behandelten über den Beobachtungszeitraum von zwei Jahren deutlich. Genauso verbesserte sich der Zustand aber auch bei den Patienten, die eine "Scheinoperation" erhielten, bei denen also bis auf zwei kleine Hautschnitte nichts am Knie gemacht worden war. "Der beobachtete Effekt war also unspezifisch und nur auf das eigene Erklärungsmodell 'wenn abgenutzte Knorpelteilchen


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weggespült werden, kann ich das Knie wieder besser bewegen' zurückzuführen", sagt Schmidt. Ähnlich sehen die Ergebnisse von Studien aus, in denen Migränepatienten homöopathisch behandelt wurden. Tatsächlich berichteten die Betroffenen von einer Besserung ihrer Symptome, weniger Schmerztagen und weniger Medikamentengebrauch – im selben Umfang wie in der Kontrollgruppe, die Placebos erhalten hatte [3,4]. Auch zur Anwendung von Akupunktur, TCM und anderen alternativen Behandlungsverfahren lassen sich vergleichbare Resultate finden, die gern als Beweis für die Wirksamkeit alternativer Heilverfahren angeführt werden. Kritiker allerdings zitieren sie ebenso: als Beleg, dass diese Methoden eben nicht mehr sind als Placebos und womöglich sogar negative Folgen haben, falls sie beispielsweise eine wissenschaftlich erwiesen wirksame Therapie verzögern oder ganz verdrängen. Zumal es auch zahlreiche weitere Studien gibt, die keinerlei Besserung der Untersuchten bei alternativen Verfahren finden. Evidenz kontra Placebo oder Gesamtwirksamkeit? An dieser Stelle zeigt sich der Unterschied zwischen der wissenschaftlichen Herangehensweise an den Nutzen und/oder Schaden von Alternativmedizin und dem, was ihre Anwender bewegt, sie zu verwenden: Sie erleben einen Effekt – was dahintersteckt, interessiert, wenn überhaupt, erst an zweiter Stelle: "Wenn ich ein Schmerzmittel einnehme, ist es mir weniger wichtig, was der Effekt des Wirkstoffs und was derjenige des Placebos ist. Hauptsache, es geht mir besser", sagt Stefan Schmidt. Inzwischen wisse man, dass Placebo und Wirkstoff zusammenarbeiten und eine scharfe Trennung der beiden, so wie stets gefordert, keinen Sinn mache, da sich beide Größen nachweislich gegenseitig beeinflussten. "Placebo sollte als Behandlungsoption aufgefasst werden und nicht als Störgröße", meint der Psychologe weiter. Davon, Behandlungsmöglichkeiten generell wegzulassen, weil der spezifische Wirknachweis fehle, hält der Freiburger Forscher deshalb nichts. Auch die Bundesärztekammer hat sich des Placeboeffekts angenommen. So ist in einer Abhandlung darüber zu lesen: "… der Nutzen einer Behandlung setzt sich für den Patienten aus dem Verum-(Wirkstoff) und dem Placeboanteil zusammen; je nach Krankheit und Behandlung können die Anteile unterschiedlich groß sein" [5]. Edzard Ernst sieht das deutlich kritischer: "Um bei meinem Patienten einen Placeboeffekt hervorzurufen, brauche ich kein Placebo. Wenn ich ihm eine wirksame Therapie gebe und dies mit Empathie und Verständnis tue – so wie ein guter Arzt das eben macht –, dann profitiert mein Patient sowohl von einem Placeboeffekt wie auch von dem spezifischen Effekt meiner Therapie. Mit anderen Worten: Die alleinige Gabe eines Placebos, beispielsweise in Form eines Homöopathikums, enthält meinem Patienten etwas vor, das ihm eigentlich zusteht." Ganz unabhängig von der persönlichen Entscheidung, auf alternative Behandlungsverfahren zu setzen, ist die offene Diskussion um deren Anwendung ebenso wirtschaftsgetrieben. Denn natürlich geht es auch um Geld. Um viel Geld: Für schätzungsweise sechs Milliarden Euro wanderten in Europa allein im Jahr 2010 pflanzliche Arzneimittel über den Ladentisch. Homöopathische Produkte machen inzwischen rund 0,7 Prozent des europäischen Pharmamarkts aus, was im Jahr 2010 rund einer Milliarde Euro entsprach. "In einer Zeit, in der die finanziellen Ressourcen knapper werden, kämpfen die klassische und die alternative Medizin um ihre Anteile", erklärt Stefan Schmidt. Und dieser Kampf tobt vor allem um eine Zielgruppe, so Edzard Ernst: "Alle Daten zeigen einhellig, dass vor allem diejenigen Menschen sich der Alternativmedizin zuwenden, die genug Geld in der Tasche haben."


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Wolfgang Weidenhammer, der Koordinator des gerade abgeschlossenen EU-Projekts "CAMbrella" (Complementary and Alternative Medicine), sieht angesichts des Interesses und des verbreiteten Einsatzes alternativer Heilverfahren dringenden Forschungsbedarf: "Die Menschen brauchen vertrauenswürdige Informationen über deren Wirksamkeit, Sicherheit und Kosten." In Europa sei die Erforschung der Komplementär- und Alternativmedizin stark vernachlässigt worden, entsprechende Programme und Initiativen seien einzurichten, so Empfehlungen von CAMbrella. Wo liegen die Chancen, wo die Risiken? Für Weidenhammer ist dabei zentral: "Die Bedürfnisse der Patienten sollten bei dieser Forschung die Schlüsselpriorität haben." © Spektrum.de


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__Bücher Rezension der Autobiografie «Die Seele der Anderen»:

Sudhir Kakar – ein indischer Psychoanalytiker erzählt Alois Altenweger Die Geschichte: Ein indischer Ingenieur auf dem verschlungenen Weg zu Ausbildung und Praxis als Psychoanalytiker. In der Art einer autobiographischen Erzählung schildert Sudhir Kakar seine Jugend in einer «bunten» und vielfältigen indischen Grossfamilie, sein widerwilliges Studium in Indien und Deutschland und das Ausleben seiner Spätpubertät in Mainz. Als Erwachsener macht er die Bekanntschaft des deutsch-amerikanischen Psychoanalytikers Erik H. Erikson, der ihm bei Mitscherlich in Frankfurt zum Einstieg in die ersehnte psychoanalytische Ausbildung verhilft. Ein facettenreiches Leben in Indien, verknüpft mit Lebenserfahrungen in den USA und Deutschland bildet den Stoff eines zuweilen vergnüglich-selbstironischen Buches.


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Der Autor fährt nach seiner Trauung «zu einem herzhaften Brunch ins Royal Hawaiian Hotel, den wir mit Pink Mai Tais». – Der abrupte Satzabbruch ist nicht etwa ein Fehler, sondern Sudhir Kakar kündigt damit das nahe Ende der Lektüre an. Von der Erinnerung überwältigt, verliess er uns mitten im Satz, der glücklich mit Katharina, «azurblaue Augen und langes blondes Haar», einer Deutschen, Verheiratete. – Erst Google konnte die Köstlichkeit von Pink Mai Tais erklären: es ist ein Rum-Cocktail, bestehend aus zwei Sorten Rum, Curaçaolikör, Orangen- und Zitronensaft und seit 1953 eine Spezialität der Hotelbar des Royal Hawaiian. Nun, Deutschland liefert auch die Schlüsselerlebnisse von Sudhir Kakar, einem indischen Psychoanalytiker freudscher Richtung. Doch von vorne: Das Buch gliedert sich in Kindheit und Jugendzeit in Indien, Studium und selbständig Leben lernen in Deutschland, einen Aufenthalt in den USA und schliesslich ein Pendeln zwischen Europa und Indien, mit verschiedenen Lehrverpflichtungen auf allen Kontinenten und garniert mit der Arbeit in der eigenen psychoanalytischen Praxis in Indien. Im ersten Teil werden Leserinnen und Leser in das Phänomen der indischen Grossfamilie eingeführt. Dabei legt Kakar den erzählerischen Schwerpunkt auf die Schilderung der Geborgenheit in der Familie. Meilenweit entfernt von der abgeschotteten, ja fast introvertierten Lebensart unserer mitteleuropäischen Klein- und Kleinstfamilien wuchs Sudhir Kakar in der offenen Grossfamilie auf. So kann er später sagen, dass «die Vorstellung eines unausweichlichen Generationenkonflikts immer noch als Fremdimport des Westens» empfunden wird. Er lernte in der Grossfamilie spielerisch die verschiedensten Charaktere und Lebensarten kennen und erhielt so risikolos Anschauungsunterricht darüber, wie man sich mehr oder weniger glückhaft und geschickt durchs Leben schlängelt. Die räumliche Nähe, das Zusammensein, vor allem das gemeinsame Schlafen vieler Personen in einem Haus mit wenigen Zimmern, da waren «an jedem xbeliebigen Tag zwischen 15 und 25 Erwachsene» anwesend, führten für Kakar zu einem spannenden Hör-, Spür- und Anschauungsunterricht in Sachen Sexualität, Lebenskunst und Liebe. Sex fasziniert Sudhir Kakar; Vorfreude, Freude und freudiger Nachklang – dies wird beim Lesen spürbar und untermalt als sinnlicher Hintergrund das Buch. Der spätere Psychoanalytiker wandelte schon in frühen Jahren unbewusst in Freuds Spuren. Davon zeugt beispielsweise die minutiöse Wikipedia-würdige Schilderung indisch-traditioneller Auffassung vom Geschehen beim Masturbieren und bei den pubertären Sexspielen im Internat. Das Leben in der Grossfamilie ermöglichte ihm, sich nicht auf die Eltern als «Inspirationsquelle» verlassen zu müssen, sondern als junger Mann monatelang in den Familien von Onkeln und Tanten zu hospitieren. Er zog schliesslich bei einer jüngeren, selbstbewussten und eigenwilligen Tante namens Kamla ein, eine der damals noch seltenen Business-Woman Indiens, und wählte sie nach eigenem Bekunden gewissermassen zur Herzensfreundin und Lebensratgeberin. «Wir weihten uns gegenseitig in die intimsten Details unseres Lebens ein. Während der schwierigen Zeit meiner ersten Ehe war Kamla die Person, der ich an emotionalem Beistand und Ratschlägen am meisten verdanke.» Überhaupt kommt die familiäre Verbundenheit, das Leben in und mit dem Clan und die weitläufige Vernetzung von – ohne zu übertreiben – Hunderten von Verwandten und Bekannten, Angeheirateten, deren Familien und zahlreichen zugewandten Haus-, Studien- und Geschäftsfreunden aufs Lebendigste zur Darstellung. Diesen Aspekt indischen Lebens erzählt Kakar mit mäandernder Leichtigkeit. Sowohl die beachtlichen Segnungen dieses Systems, nämlich innerhalb dieses Verbundes von Verwandten ein eigenes Netz als materiellen Rückhalt aufzubauen, als auch die Möglichkeit, sich bei einzelnen ausgewählten Personen für Monate niederzulassen, sich zu erholen und einfach da zu sein, ohne grössere Leistungen vollbringen zu müssen, werden vom Autor mit spürbarer Genugtuung ausgebreitet. Man könnte neidisch werden! Umgekehrt vergisst Kakar nicht, den beachtlichen Einfluss der Grossfamilie auf persönliche


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Entscheidungen zu erwähnen. Berufswahl steht unter dem Diktat des Vaters und des Grossvaters, die Frauen lassen im Hintergrund ihre «mütterlichen» Ambitionen spielen, und die kommerziellen Kontakte werden zum Einstieg in das Berufsleben selbstverständlich aktiviert. Die engere Familie entschied für Kakar die Berufswahl: «Ich erinnere mich, dass wir damals zu einem Familienurlaub einen meiner Grossonkel in Srinagar besuchten. Ein Familienrat, an dem ich nicht teilnehmen durfte, wurde (zur Behandlung meiner beruflichen Zukunft) einberufen. Wenn eine Karriere im öffentlichen Dienst oder beim Militär nicht in Frage kam, standen einem Mittelklassejungen nur noch zwei andere Berufsmöglichkeiten offen: Ingenieur oder Arzt.» Nun war auch ein Medizinstudium ausgeschlossen, da der junge Sudhir Kakar dazu neigte, beim Anblick von Blut in Ohnmacht zu fallen. Zum Bedauern seines Grossvaters, der gut verdienender Chirurg war. Die bereits erwähnte Kamla bot sich nun an, für eine Zulassung zum Ingenieurscollege in Ahmedabad besorgt zu sein und Kakar während des Studiums bei ihr wohnen zu lassen. Damit war die Entscheidung gefallen, es ging ins Ingenieurstudium, was der junge Sudhir zwar nicht begeistert, aber widerstandslos akzeptierte. Ein einziges Aufmucken findet sich in einem Brief an seinen Vater, aus dem der Autor folgende Stelle zitiert: «Hinsichtlich des Colleges bin ich sehr zufrieden. Ich interessiere mich zwar nicht besonders fürs Ingenieurstudium, bemühe mich aber nach Kräften, Interesse dafür zu entwickeln. […] Das Fach, das mich am meisten interessiert, ist Psychologie. In meiner Freizeit kann ich sogar einschlägige Bücher lesen», zu denen die Traumdeutung von Sigmund Freud gehörten. Dem gelungenen Abschluss der Ausbildung in Indien schloss sich ein Praktikum in Deutschland an. Der sechsmonatigen Arbeit in der Hamburger Schiffswerft «Howaldtswerke» sollte eine Weiterbildung zum Wirtschaftsingenieur folgen; im Anschluss an das Studium war die Übernahme «eines gut bezahlten Jobs in Indien als Ingenieur» vorgesehen. Doch es kam anders: während der fünf Jahre in Deutschland absolvierte Kakar unter heftigen brieflichen Auseinandersetzungen mit seinem Vater die von diesem noch geforderte betriebswirtschaftliche Ausbildung, die er an der Universität von Mainz absolvierte. Dabei entfaltete Kakar mit aller Intensität ein Liebes- und Sozialleben, letzteres in aufmüpfigen linken Studentenkreisen, so dass ihm die Erinnerung blieb, seine Ausbildung habe er sich im Wesentlichen abends in Kneipen bei angeregter Diskussion über Politik, besonders aber über Literatur und Kunst geholt. «In jedem April demonstrierten wir unsere politische Überzeugung durch Teilnahme am Ostermarsch gegen Atomwaffen. Die Märsche boten auch Gelegenheit, in einer idealistischen, erregenden und zugleich intimen Atmosphäre Frauen kennenzulernen.» Sicherlich führte dieses muntere Studentenleben, bei dessen Schilderung das Deutschland der frühen 60er-Jahre gut skizziert wird, dazu, dass die Deutschkenntnisse Kakars nahezu perfekt wurden, so dass er begann, Kurzgeschichten zu schreiben, die in der Lokalzeitung Mannheimer Morgen veröffentlicht wurden. Für jede Geschichte bekam er 50 Mark, «für mich eine fürstliche Summe, mit der ich mir ein wenig Luxus leisten konnte wie etwa Buchkäufe und mehr als eine Einkehr in ein Restaurant, wo ich mein Leibgericht Rumpsteak mit Zwiebeln und Bratkartoffeln ass», denn das von der Familie geschickte Studiengeld war äusserst knapp bemessen und eher auf die Verpflegung in der Mensa der Uni ausgerichtet. Auch an das von ihm geschätzte Glas Wein dachte man in Indien bei der Bemessung des monatlichen Checks sicher nicht. «Im Rückblick verstehe ich meine fünf Jahre in Deutschland als das, was Erik H. Erikson als ‹psychosoziales Moratorium› bezeichnet hat, eine freiwillig verlängerte Jugend und Pubertät.» Am Namen Erikson eröffnet sich der dritte Teil der Autobiografie, der umwegreiche Einstieg in die psychotherapeutische Ausbildung. In Indien wieder angelangt, bemächtigte sich Kakars eine tiefe Unzufriedenheit, Wirrnis und Orientierungslosigkeit. Die Befreiung kam aus unerwarteter Richtung, nämlich in Gestalt des Psychoanalytikers Erik H. Erikson, der das


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Haus von Kamla gemietet hatte, um in Indien Untersuchungen zu seinem Buch Gandhis Wahrheit durchzuführen. Kakar wohnte zu dieser Zeit in einem Anbau des Hauses, und so lernte er Erikson kennen. Grosse Hemmungen vor dem berühmten Psychoanalytiker hatte er offenbar nicht, denn die Kontakte wurden rasch freundschaftlich und entwickelten sich zum vertrauten Zusammensein: «Wir sassen dann draussen auf dem Balkon mit Blick auf den Fluss Sabarmati. In einverständigem Schweigen schlürften wir Gin mit Tonic und genossen den Anblick des uralten Lebens, das sich am Flussufer abspielte. […] Von der Sonne schwarz gegerbte Wäscher mit Lendenschürzen schlugen unter lautem rhythmischen Gegrunze Stoffe auf flache Steine; mit ihren dampfenden Kesseln über Holzfeuern übten Färber ihr altes Handwerk aus; die frisch gefärbten, fünf Meter langen Saris hingen in bunter Farbenmischung zum Trocknen zwischen Bambusstangen, während die Sonne langsam hinterm Horizont versank und zinnoberroter Dunst sich zu Grau verdunkelte.» – Und wie war die damalige psychische Verfassung Sudhir Kakars angesichts dieser postkartenwürdigen Schilderung? «Ich war 26 Jahre alt, einsam, sehnte mich heftig danach, nach Europa zurückzukehren und zugleich in Indien bleiben zu können, und war voller höchst hanebüchener Pläne für mein Leben, wollte so viele Dinge zugleich tun, weil ich nicht wusste, was ich wirklich machen wollte.» Mit einer rechten Portion Selbstironie – die im Übrigen das Buch locker durchzieht – schildert dann Kakar, wie es ihm gelang, Erikson in allerletzter Minute vor dessen Abflug an der Türe des Hotelzimmers «die frohe Kunde zu überbringen, dass ich ihn zu meinem Guru erwählt hatte». Erikson nahm ihn als Schüler an, allerdings sollte Kakar noch seinen Doktor in einem Wirtschaftsfach machen. Dies geschah «günstig» in Wien, ein Aufenthalt, den der Autor mit viel Sympathie für die Wiener, für kauzige Originale, Kaffeehäuser und das Wiener Leben schildert. Nach dem Doktorat gelangt Kakar auf Umwegen an die Harvard Universität zu seinem «Guru» Erikson und beginnt als dessen Assistent parallel zu studieren und in Seminaren Themen wie Organisationslehre zu unterrichten. Crux der Sache war aber, dass er eigentlich Psychoanalytiker werden wollte, aber über die Tätigkeit an der Harvard Business School immer weiter in die Managementlehre geriet. Einer psychoanalytischen Ausbildung in den USA stand vorab die Bestimmung des US-Berufsverbandes im Wege, nur Ärzte zur Ausbildung zu Psychoanalytikern zuzulassen. So kehrte er nach einem längeren Aufenthalt in den USA wieder nach Indien an eine Ausbildungsstätte für Management zurück, heiratete und arbeitete eher lustlos, bis unverhofft die Erlösung aus Deutschland in Form eines Briefes von Alexander Mitscherlich eintraf, der ihn auf Empfehlung von Erik H. Erikson als Ausbildungskandidaten für Psychoanalyse an das Sigmund Freud Institut in Frankfurt nehmen wollte. Zugleich beschaffte ihm Mitscherlich den Kontakt zu einem Forschungsinstitut in Deutschland, an dem Kakar eine Stelle annehmen konnte, wo er sich speziell mit Zukunftsforschung und entsprechenden Gutachten und Prognosen für die Wirtschaft beschäftigte. Daneben begann er bei einem Dozenten des Instituts von Mitscherlich seine Lehranalyse. So war also Deutschland wieder an der Reihe, ein Land, zu dem er schon bei seinem ersten Aufenthalt eine spürbare Verbundenheit entwickelte. Doch zurück zur Psychoanalyse am Mitscherlich-Institut: Man erhält vom Autor auf wenigen Seiten ein gutes Bild der Weiterentwicklung der Psychoanalyse zu einer Lehre, die weit über die freudsche individualistische Zentrierung hinausgriff und kulturelle, soziale und gesellschaftspolitische Bedingungen mit einbezog. Die Schilderung seines Erlebens in den psychoanalytischen Sitzungen ist für therapeutisch Interessierte sehr aufschlussreich, kommt doch dabei u.a. zum Ausdruck, dass die sog. Abstinenz des Analytikers – falls sie lege artis praktiziert wird – als Mangel und eher als Unterdrückung von natürlicher Emotionalität denn als analytisch bedingte Zurückhaltung des Therapeuten empfunden wird. «Mein Gurumodell verlangte auch, dass der Analytiker sein Mitgefühl, sein Interesse, seine Wärme und Zuneigung viel offener zum Ausdruck bringt, als das im psychoanalytischen Modell […] üblich oder gar möglich war.» Den Unterschied zwischen seinem – sagen wir mal indisch-hinduistischen – Empfinden und dem Konzept der Psychoanalyse beschreibt er wie folgt:


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«Später wurde mir klar, dass auf einer allgemeineren Ebene viele unserer abweichenden Konzeptionen die Konsequenz einer tieferen Kluft zwischen unseren Weltbildern war. Das psychoanalytische Weltbild entsteht durch eine Sichtweise auf menschliche Erfahrung, die im Wesentlichen eine Kombination des Tragischen mit dem Ironischen ist. Sie ist insofern tragisch, als sie die menschliche Erfahrung von Zweideutigkeiten, Unsicherheiten und Absurditäten durchsetzt sieht, in der dem Menschen kaum eine andere Wahl bleibt, als seine Last an unbeantwortbaren Fragen, unausweichlichen Konflikten und unbegreiflichen Schicksalsschlägen zu tragen. […] Dagegen ist die hinduistische Weltsicht im Wesentlichen romantisch. In den Launen des Schicksals und dem, was als Lebenstragödie erscheint, sieht sie Masken, hinter denen sich der eigentliche Kern der Person verbirgt, und das ist sat-chit-ananda, Sein, Bewusstsein, Glückseligkeit. Das höchste Ziel des menschlichen Lebens ist der Versuch, diese Essenz zu realisieren.» Diese Einsicht in die Verschiedenheit westlicher und indischer Anschauungen führte den Autor, wie er schreibt, zu einem lebenslangen Suchen «nach den Ursprüngen der indischen Identität im Vergleich oder Kontrast zur Identitätsentwicklung in westlichen Gesellschaften». Kakar schloss seine Ausbildung am Mitscherlich-Institut ab und war nun berechtigt, sich erstens Psychoanalytiker zu nennen und zweitens Behandlungen unter Supervision durchzuführen. Allerdings erfährt man nichts über das Ende seiner Lehranalyse und das nicht immer leichte Ablösen vom Analytiker und den diese Ablösung begleitenden Wellenschlag. In Deutschland kommt es nicht zur Praxiseröffnung. Kommerzielle Schwierigkeiten beim Institut für Zukunftsforschung führen zum Verlust seiner Stelle, er ist arbeitslos und beschliesst, mit Frau und Kind nach Indien zurückzukehren, um in Delhi «in einem 10m 2 kleinen Würfel mit Sperrholzwänden und einer niedrigen Holzdecke» seine Praxis zu eröffnen. Eine Praxis, die nur spärlich Klienten und Klientinnen sah und sich des öfteren zur schamanistischen Tätigkeit mit Geisteraustreibung entwickelte. Neben einer «Fehlerquote von 90%» vertiefte sich sein Wissen enorm darüber, wie psychische Störungen von seinen Landsleuten wahrgenommen werden. Der Leser wird dabei zu einem Exkurs (siehe Anhang) über die hinduistische Geisterwelt und ihre vielfältigen Einflüsse mitgenommen, die sehr drastisch sein können. Aus dem Text geht nicht hervor, ob der Autor selbst an die Geisterexistenz glaubt, behandelt hat er sie jedenfalls wie Realitäten. Immerhin stellt er fest, dass er ständig über seine (indische) Kultur und die dazu widersprüchlichen Anforderungen seiner psychoanalytischen Arbeit stolpere. Und beispielsweise die Einladungen zu einem Essen im Familienkreis seiner Klienten ablehnte. Die Auseinandersetzung zwischen traditionellen Erwartungen seiner Klientenschaft an einen Guru und den Aktivitäten eines Psychoanalytikers und die Reflexionen des Autors über seine Zwickmühle zählt für therapeutisch Interessierte zu den aufschlussreichen Seiten des Buches. Kurz gesagt: Manches, was sich bei uns als allgemeingültige Wahrheiten der Psychoanalyse präsentiert, stellt sich in Indien als lokale Betrachtungsweise eines Westeuropäers heraus. Sehr schön wird dies vom Autor in der Schilderung der Analyse eines 26-jährigen Sozialarbeiters. Das Zusammenwirken indischer Kultur, indischem Familienverständnis und Heilserwartungen wird hier aufs Beste dargestellt. Vieles ist anders und manches verblüffend ähnlich. Die von Kakar für viele indische Klienten diagnostizierte «mütterliche Bezauberung» ist kaum ein spezifisch indisches Phänomen, sondern wurde schon von Freud unter dem Stichwort der ödipalen Verführung abgehandelt, doch wenn man Kakar liest, gewinnt man den Eindruck, in Indien sei die Verbandelung zwischen Mütter und Söhnen besonders intensiv. «In eine Welt von Müttern eingebettet», umschreibt der Analytiker den Zustand eines Klienten. Die Schilderung von Teilen dieser Analyse gehört sicher zu den eindringlicheren Passagen des Buches und zeigt die ganze Tiefe und Vielfältigkeit sowohl des neurotisierenden Hintergrundes des Klienten als auch die analytische Arbeit des Autors.


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Was bleibt nach der unterhaltsamen und nicht selten fesselnden Lektüre? Es stellt sich jedoch die Frage, ob das ganze psychoanalytische Instrumentarium und der entsprechende individualpsychologische Ansatz für indische Klienten und Klientinnen wirklich nützlich und hilfreich sind. Sudhir Kakar zeigt deutlich, dass er in seiner psychoanalytischen Praxis eine sehr eigene Arbeitsweise pflegt, «nicht als abstrakte, intellektuelle Übung», sondern als eine Methode, in der Kultur, Überlieferungen, religiöser Hintergrund seiner Klientinnen und Klienten und familiäre Bindungen eine wesentlich grössere Rolle spielen als in der individualistisch zentrierten «westlichen» freudschen Psychoanalyse. So schreibt er denn auch: «Ich empfand es als eine schwere Verarmung meines Innenlebens, ihnen [den zahlreichen Familienmitgliedern] nur beiläufige Beachtung als unbedeutende Kleindarsteller zu schenken oder sie in der analytischen Interpretation zu elterlichen Figuren zu reduzieren.» Legt man das Buch beiseite und lässt den Inhalt Revue passieren, stellt man fest, dass im Lichte der jüngsten Nachrichten aus Indien das Leben dort doch geschönt beschrieben wird, wie auf einer Fotografie mit Unschärfen. Die sozialen Spannungen, die Schranken zwischen den Kasten, die herrschende Ausgrenzung und die entwürdigende und verächtliche Behandlung der nicht offensichtlich in der Familie geborgenen Frau in Indien, wie es die jüngsten Meldungen aus diesem Land vor Augen führen, werden kaum gestreift, während der Autor ausführlich auf die Kriegsgräuel im Ablösekrieg Pakistans von Indien eingeht, denn davon war die Grossfamilie, aus der er stammt, direkt betroffen. Wie auch immer, das Buch «Die Seele der Anderen» lohnt sich zu lesen. Titel: Autor: Verlag: ISBN: Preis:

Seele der Anderen. Mein Leben zwischen Indien und dem Westen. Sudhir Kakar C.H. Beck München, 2012 978 3 406 64125 1 Fr. 36.90

Der Autor wurde 1938 geboren und lebt in Goa, Indien. Ergänzende Literatur Wer – knapp und trefflich geschrieben – mehr über das aktuelle Indien erfahren möchte, ist mit dem Buch «Indien» von Urs Schoettli aus dem NZZ Verlag (2009) gut bedient. Anhang «Die bösartigen Geister, von denen ich hier spreche, sind allgemein als Bhuta-Preta bekannt, obwohl die Hindu-Dämonologie zwischen verschiedenen Kategorien dieser übernatürlichen Wesen unterscheidet. Zum Beispiel bildet sich der Bhuta aus den Seelen derjenigen, die früh eines gewaltsamen Todes sterben, während ein Preta der Geist eines Kindes ist, das als Kleinkind starb oder missgestaltet geboren wurde. Eine dritte Kategorie, die der Pishacha, steigt aus der mentalen Verfassung einer toten Person auf; ein Pishacha ist zumeist der Geist eines Mannes, der entweder verrückt, lasterhaft oder gewaltätig war. […] Die Bhuta-Preta sollen in einem Zwischenreich zwischen der menschlichen Welt und der Welt der Ahnengeister (Pitri-Lok) existieren. Bis über sie geurteilt ist und ihre karmischen Schulden getilgt sind, um in die Welt der Ahnengeister eingehen zu können, sehnen sie sich nach einem menschlichen Körper, in den sie hineinfahren und ihn mit ihrem schändlichen Tun arglistig krank machen können» (S. 219).


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Wie wir vor lauter Kommunizieren unser Leben verpassen Autorin: Nina Pauer Verlag: Fischer (S.), Frankfurt, 2012. 233 S ISBN: 9783100606303 Preis: Noch nie haben wir auf so vielen Kanälen gleichzeitig kommuniziert. Vor allem Menschen zwischen 15 und 35 haben ein zweites, ein virtuelles Ich im Internet, das ihr Leben prägt wie nichts Vergleichbares zuvor. Wer nicht postet, ist nicht! Wer sich nicht einloggt, bleibt außen vor. «Wir müssen dieses Ich im Auge behalten, wir müssen nach ihm schauen, wir müssen erreichbar sein, reagieren können, wenn es etwas von uns will. Wir müssen es füttern, permanent. Das alles tun wir schon lange nicht mehr ganz freiwillig. Wir haben es nicht mehr unter Kontrolle. Wir könnten nicht mehr damit aufhören». Nina Pauer erzählt und erklärt dieses neue Leben. Sie klagt nicht über Facebook & Co., sondern beschreibt die Wirkung exzessiver und besonders virtueller Kommunikation bis tief in den analogen Alltag hinein. Dabei trifft sie nicht nur den Nerv der Betroffenen, sondern bringt die seit Langem einschneidendste Veränderung unserer Gesellschaft und unserer Gegenseitigkeit auf den Punkt. Die Autorin Nina Pauer, Jahrgang 1982, studierte Geschichte, Soziologie und Journalistik an der Universität Hamburg und der Université Michel Montaigne in Bordeaux. Heute ist sie Redaktorin im Feuilleton der ZEIT.


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__über den Tellerrand hinaus

Der Effekt von Psychotherapie auf das Gehirn Dr. Susanne Igler (Philipps-Universität Marburg)

In Deutschland erkranken rund ein Drittel der Menschen mindestens einmal im Leben an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung. Psychotherapie ist neben der Pharmakotherapie eine effektive und weit verbreitet eingesetzte Methode zur Behandlung dieser Erkrankungen. So tritt Panikstörung bei rund 3-5% auf und ist gekennzeichnet durch plötzlich einsetzende panische Angst, Herzrasen, Schwitzen und dem Gedanken, sterben zu müssen oder in Ohnmacht zu fallen. Eine innovative Studie zum Einfluss von Psychotherapie auf Hirnprozesse bei Patienten mit Panikstörung wurde unter Leitung von Professor Dr. Tilo Kircher und Dr. Benjamin Straube federführend in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Philipps-Universität Marburg überwacht und ausgewertet. Sie erschien unter dem Titel: „Effect of cognitivebehavioral therapy on neural correlates of fear conditioning in panic disorder“am 1. Januar 2013 in der Zeitschrift „Biological Psychiatry“. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen die besondere Rolle des linken inferior frontalen Kortex bei der Furchtkonditionierung bei Patienten mit Panikstörung. Patienten zeigen eine Hyperaktivierung dieser Region vor Therapie im Vergleich zu Gesunden, die sich nach der Teilnahme an der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) auf das Normal-Niveau reduziert (Kircher et al., 2013). Weiterhin konnte gezeigt werden, dass bei Patienten der linke inferior frontale Gyrus eine erhöhte Verknüpfung (Konnektivität) zu Regionen der Furchtverarbeitung (u.a., Amygdala, anterior zinguläre Kortex, Insula) aufweist, was auf einen erhöhten Zusammenhang „kognitiver“ und „emotionaler“ Prozesse bei Patienten mit Panikstörung im Vergleich zu Gesunden hinweist. Kirchers Studie ist damit die erste, die Effekte von kognitiver Verhaltenstherapie auf neurale Korrelate der Furchtkonditionierung nachweisen konnte. Kognitive Verhaltenstherapie scheint demnach nicht primär auf emotionale Prozesse, sondern eher auf kognitive Prozesse verbunden mit dem linken inferior frontalen Gyrus, zu wirken. Diese Erkenntnis soll helfen, Therapieverfahren weiter zu optimieren, um Patienten mit Panikstörung und deren Folgen (z.B., Agoraphobie) noch effizienter therapieren zu können. Weitere Analysen dazu sollen zum Beispiel Aufschluss darüber geben, ob genetische Prädispositionen der Patienten die beschriebenen neuralen Prozesse sowie den Erfolg der Therapie beeinflussen (siehe Reif et al., im Druck). Andere Auswertestrategien fokussieren hingegen eher auf Unterschiede in der neuralen Verarbeitung zwischen Patienten, die eine bessere oder schlechtere Wirkung von kognitiver Verhaltenstherapie bereits vor der Therapie vorhersagen. Weitere Informationen: Volltext auf www.psychologieforum.ch. Stichwort Verhaltenstherapie. Ansprechpartner: Prof. Dr. Tilo Kircher, E-Mail: kircher@med.uni-marburg.de


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Online-Therapie Behandlung Im Rahmen des Psychotherapeutischen Zentrums der Universität Zürich führen wir Internetbasierte Therapien für Trauma - Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) Depression Schwere Trauer sind Therapien, die aus einer begrenzten Anzahl von 12 bis 16 Schreibsitzungen bestehen und auf vorgegebene Behandlungsschritte beruhen. Jeder Behandlungsphase geht eine ausführliche Einleitung voraus, die den Sinn einzelner Übungen erklärt. Die Aufgaben bearbeitet der Klient zu den selbst festgelegten Terminen zweimal wöchentlich. Sie werden vom Therapeuten innerhalb eines Arbeitstages beantwortet und kommentiert. Diese Interaktion findet innerhalb eines passwortgeschützten Internetportals statt, das strengsten Sicherheitsvorkehrungen genügt. Es sind manualisierte, das heisst, strukturierte und auf Module aufbauende Therapien mit kognitiv-verhaltenstherapeutischer Grundlage, die sich in verschiedenen Studien für die Anwendung als Internet-Therapien als besonders geeignet erwiesen haben. Ziel der kognitiven Verhaltenstherapie ist es, ein besseres Verständnis und Einblick in die Erkrankung zu erhalten. Patienten werden ermutigt ihre problematischen Gedanken zu hinterfragen, hinderliche Verhaltensmuster zu erkennen und bessere Strategien zu erarbeiten um mit schwierigen Lebenssituationen umzugehen. Der Therapeut unterstützt den Klienten darin, korrektive, positive Lebenserfahrungen zu machen, wichtige Lebensziele wiederzufinden, sowie Massnahmen zu planen und durchzuführen. Internet-Therapie von Trauma - Posttraumatischer Belastungsstörung Diese Behandlung richtet sich an Menschen, die eine traumatische Erfahrung vor mindestens drei Monaten hatten, worunter sie immer noch leiden. Sie bearbeiten wöchentlich zwei Schreibaufgaben zu 45 Minuten mit festen Schreibterminen, die Sie vorher mit Ihrem Therapeuten vereinbart haben. Die Behandlung besteht aus insgesamt 12 Schreibaufgaben. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wirkung des Schreibens besonders verstärkt wird, wenn auf bestimmte Weise und in bestimmter Reihenfolge über diese Erfahrungen geschrieben wird. Aufgrund dessen wird die Behandlung in drei Phasen unterteilt: 1. Selbstkonfrontation Selbstkonfrontation mit den schmerzhaften Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen bezüglich des traumatischen Ereignisses. Sie werden gebeten, vier mal die schlimmsten Momente, ohne Rücksicht auf Grammatik und chronologische Reihenfolge zu schildern. Diese ersten Texte haben an sich schon eine heilende Wirkung.

2. Kognitive Umstrukturierung Auch in der zweiten Phase werden vier Texte geschrieben. Sie arbeiten Ihre Erfahrungen nochmals in Form eines unterstützenden Briefes an einen fiktiven Freund auf, dem das


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gleiche widerfahren ist wie Ihnen. Sie entwickeln sich auf diese Weise vom Opfer zum Berater. 3. Schicksal teilen In der letzten Phase werden zwei Texte geschrieben, die zusammen einen Brief bilden. Dieser kann (muss aber nicht) nach Beendigung der Behandlung abgeschickt werden. Sinn und Zweck ist es, die Vergangenheit in einem würdigen Dokument festzuhalten. Mit dem Verschliessen des Briefes wird auch mit einem Teil der Vergangenheit abgeschlossen. Die Vergangenheit ist damit nicht vergessen oder zur Seite geschoben, sondern hat einen eigenen Platz bekommen und hat dadurch weniger Einfluss auf die Gegenwart. Internet-Therapie von Depression Die Behandlung richtet sich an Menschen, die an depressiver Stimmung leiden. Die Grundlage für diese Internet-Therapie ist die kognitive Verhaltenstherapie, welche in der normalen Sprechzimmertherapie eine wissenschaftlich überprüfte Therapie ist, die eine hohe Wirksamkeit aufweist. Der Klient bearbeitet wöchentlich zwei Schreibaufgaben zu 45 Minuten mit festen Schreibterminen, die vorher mit dem Therapeuten vereinbart werden. Die Behandlung besteht aus insgesamt 16 Schreibaufgaben, aufgeteilt in fünf Therapiephasen: 1. In welchen Situationen bin ich depressiv? Hier werden Lebensphasen betrachtet, in welchen depressive Stimmungen auftreten und welchen Einfluss diese auf das Leben nehmen. 2. Aufbau positiver Aktivitäten Depressive Menschen haben häufig wenig Struktur in ihrem Alltag und wissen nicht so richtig, wohin es gehen soll in ihrem Leben. In dieser Phase erarbeiten Sie mit ihrem Therapeuten neue Lebensziele und Alltagsstrukturen. 3. Bewusstwerdung und Veränderung von negativen und automatischen Gedanken Depressive Menschen neigen gehäuft zu negativen Gedanken, wie beispielsweise Schuldgefühle oder selbstabwertendem Denken. Mit Hilfe dieses Therapiemodules sollen diese oft automatischen Gedanken erkannt werden und alternative, hilfreichere Gedanken gelernt werden. 4. Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen Depressive Menschen haben häufig Schwierigkeiten Grenzen zu setzen, Nein zu sagen, Kontakte zu knüpfen, aber auch positive Gefühle zu äussern. Hier werden Sie ermutigt, neue Erfahrungen in Konfliktsituationen zu machen und neu erlernte Verhaltensweisen einzuüben. 5. Rückfallprävention In dieser Phase soll ein "Notfallkoffer" mit den Erfahrungen aus der Therapie erstellt werden. Internet-Therapie von anhaltender schwerer Trauer Diese Behandlung richtet sich an Menschen, die einen traumatischen Verlust erlitten haben und nach sechs oder mehr Monaten noch darunter leiden. Diese Menschen erleben den schweren Verlust als ein persönliches Trauma. Aus Studien wissen wir, dass sich Verlusterlebnisse / Schwere Trauer auf die gleiche Art und Weise behandeln lassen wie die Posttraumatische Belastungsstörung. Aus diesem Grunde besteht diese Internet-Therapie aus denselben Schritten und Behandlungsphasen wie sie weiter oben beschrieben wurden. http://www.psychologie.uzh.ch/fachrichtungen/psypath/Psychotherapie1/Onlintherapie.html


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__Mitteilungen

FAMILIE – SCHICKSAL ODER WAHL Samstag, 16. März 2013 • 9.30 – 17.00 Uhr ISAPZURICH • Hochstrasse 38, 8044 Zürich (Nähe Universitätsquartier) VORTRÄGE, WORKSHOPS, PODIUMSGESPRÄCH Moderation: Dr. phil. Paul Brutsche Dr. phil. Kathrin Asper lic. phil. Marco della Chiesa lic. phil. Ursula Kübler Prof. Dr. phil. Urs Mehlin Dr. phil. Isabelle Meier Dipl.-Psych. Dafnea Sorgedrager

Jeder Mensch hat eine Familie – eine Mutter, einen Vater, Vorfahren, Verwandte… ob er sie kennt oder nicht. Die Familie – anwesend oder abwesend – ist bestimmend für unsere körperliche und psychische Identität. Aber nicht nur unsere bluts- und angeheiratete Verwandtschaft prägt uns. Wir sind auch Teil zahlreicher ideeller und sozialer Systeme mit familienähnlichen Funktionen. Eltern, Geschwister und Kinder zu haben sind menschliche Ur-erfahrungen, archetpiysche beziehungsformen. Auch wer ohne leibliche Eltern aufgewachsen ist, kann einer Mutter, einem Vater in der Aussenwelt und in sich selber begegnen; in einem Menschen, einer Gruppe, einer Idee, im Traum, in der Natur…. Wer zur Familie gezählt wird und welche Rolle jedes einzelne Familienmitglied spielt, ist jedoch in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich, eine Tatsache, die gerade in unserer multikulturellen Gesellschaft von Bedeutung ist.

Eintritt inklusive Café, Gipfeli, kleiner Mittagslunch Verbindliche Anmeldung bis zum 2. März 2013 Siehe Rückseite Kontakte maerztagung@isapzurich.com Tel. +41 (0)76 380 34 43 www.isapzurich.com


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PROGRAMM MĂRZTAGUNG 2013 FAMILIE - SCHICKSAL ODER WAHL 9.30 – 10.00

Türöffnung, Kasse, Café und Gipfeli

10.00 – 10.15

Dr.phil. Paul Brutsche – Einleitung und Vorstellung der Workshops

10.15 – 11.15

Dipl.- Psych. Dafnea Sorgedrager Familienerbe – Ressourcen und Belastungen

11.15 – 11.30

Pause und Einschreibung in Workshops

11.30 – 12.30

Dr. phil. Isabelle Meier Archetypische Dimensionen der Grosseltern-Enkelkind-Beziehung Jungscher Blickwinkel auf Geburt, Identität und Tod hinsichtlich der Grosseltern-Elternkind-Beziehung. Mit Beispielen aus Kultur und klinischer Praxis.

12.30 – 13.15

Kleiner Mittagslunch, danach Workshops

13.15 – 15.15

WORKSHOPS Dr. phil Kathrin Asper Wohl und Weh in der Familie Wir befassen uns mit einschlägigen Familienthemen, wobei sich alle TeilnehmerInnen einbringen können. Dazu begleiten uns Märchentexte, welche auf die ewig menschliche Note dieser Thematik aufmerksam machen.

lic. phil. Ursula Kübler Migrantenfamilien: Probleme, Belastung, Bereicherung? Was beobachten wir, wenn wir mit Migrantenfamilien therapeutisch arbeiten? Gestaltet sich die Arbeit anders? Traditionelle schweizerisch-europäische Wertvorstellungen begegnen anderen Kulturen, Traditionen und können eine Auseinandersetzung in uns auslösen, sei dies in uns persönlich, in unserer Identität als Mensch wie auch in unserer Identität als PsychotherapeutIn. Wie hilfreich ist dabei die analytische Psychologie mit ihrem Konzept der Archetypen und des kollektiven Unbewussten?


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lic. phil Marco Della Chiesa „Wenn dein Stammbaum sprechen könnte“ – Ahnendrama Im Ahnendrama versuchen wir die Ahnen psychodramatisch zu verlebendigen. Wir können unser Genogramm, unseren Stammbaum oder Teile davon aufstellen und mit den Figuren in einen Dialog treten. Auch wenn wir unsere Grosseltern nicht gekannt haben, können wir mit ihnen, bzw. mit unseren inneren Repräsentationen dieser Figuren in Kontakt oder in einen Rollenwechsel treten.

Prof. Dr. phil. Urs Mehlin Der Beitrag des Vaters Archetypische ebenso wie persönliche Funktionen des Vaters sollen angesprochen und diskutiert werden. Besonders interessieren uns dabei die möglichen Folgen tyrannischer, schwacher oder abwesender Väter für deren Familien. 15.15-15.30

Pause

15.30-17.00

PODIUMSGESPRÄCH

REFERENTINNEN UND REFERENTEN Kathrin Asper, Dr. phil. Psychotherapeutin in eigener Praxis in Meilen. Dozentin, Lehranalytikerin und Supervisorin am ISAPZURICH. Buchautorin und Vortragstätigkeit mit Schwerpunktthemen: Selbstwertstörungen, psychotherapeutische Fragen, Kunst, Literatur. Brutsche Paul, Dr. phil. Nach Schulen in Basel Ausbildung in Philosophie und Theologie in Freiburg, Paris und Innsbruck. Später Studium der Psychologie an der Universität Zürich und am C.G. Jung Institut. Früherer Präsident der Schweiz. Gesellschaft für Analytische Psychologie, sowie des C.G. Jung-Instituts Zürich und des ISAPZURICH. Lehr- und Supervisionsanalytiker. Vortragstätigkeit mit den thematischen Akzenten Kunst, Kreativität und Bilderdeutung. Della Chiesa Marco, lic. phil. Psychotherapeut ASP. Psychodrama-Ausbildung am Moreno Institut Stuttgart; Analytische Ausbildung am C.G. Jung-Institut Zürich. Psychotherapeutische Arbeit mit Gruppen in psychiatrischen Kliniken (Hohenegg) und im Suchtbereich. Professor emerit. für Psychologie, Soziologie und Kommunikation an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Eigene Praxis für Psychotherapie und Supervision in Zürich. Ursula Kübler, lic.phil., Studium der Psychologie und Religionsethnologie an der Universität Zürich. Analytische Grundausbildung, Weiterbildung in Traumatherapie. Vorstandsfrau und Redakteurin der internen Zeitschrift der schweizerischen Märchengesellschaft (SMG). Arbeitet selbständig und angestellt als Psychotherapeutin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Dozentin und Lehranalytikerin am ISAP Zürich. Mehlin Urs H., Prof. Dr. phil. Studium in Germanistik, französischer Literaturwissenschaft und Psychologie an Uni Basel. Tätigkeit am Institut für Angewandte Psychologie und am


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Oberseminar des Kt. Zürich als Dozent für Pädagogik und Psychologie, Musiktheater sowie Lehrtätigkeit an der Universität Zürich. Seit Diplomierung 1980 am C.G. Jung-Institut regelmässige Unterrichtstätigkeit an Seminarien und mit Vorlesungen in den Bereichen Märchen, Entwicklung, Erziehung. Kunst, Literatur, Film und Psychologie. Isabelle Meier, Dr. phil. Ausbildung am C.G.Jung-Institut Zürich. Sie arbeitet in freier Praxis in Zürich. Sie bildete sich auch als Therapeutin für Katathymes Bilderleben aus. Sie ist Lehranalytikerin und Supervisorin am ISAPZURICH und dessen gegenwärtige CoPräsidentin. Mitherausgeberin des Buches „Seele und Forschung“ (Bern: Karger Verlag, 2006) und Schweizer Verantwortliche für die Fachzeitschrift ‚Analytische Psychologie’. Sorgedrager Dafnea, Dipl.-Psych., Studium der Psychologie, Diplom in Tiefenpsychologie und Familientherapie. Psychotherapeutische Praxis für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Ausbildnerin und Supervisorin für Kinder- und Erwachsenentherapeuten. Seminare und Vortragstätigkeit v.a. im Bereich traumatischer Auswirkungen der Vorfahren auf die Nachkommen. Autorin von „Familienwahrheiten – Spurensuche in uns“ (2007). ANMELDUNG MÄRZTAGUNG 2013 • Familie – Schicksal oder Wahl Samstag, 16. März 2013 • 9.30 – 17.00 Uhr ISAPZURICH • Hochstrasse 38, 8044 Zürich (Nähe Universitätsquartier) Verbindliche Anmeldung bis 2. März 2013

Per

Post

ISAPZURICH Hochstrasse 38, CH-8044 Zürich

Fax

+41 (0)43 268 56 19

Email maerztagung@isapzurich.com Name

Email

Vornam e

Tel

Adresse

Fax

Eintritt CHF

Allgemein 120.-

AHV/IV 80.-

Studierende 30.-

ISAP-Studierende und Fakultät 20.-

Eintritt inklusiv Café, Gipfeli und kleiner Mittagslunch

Zahlung in bar an der Tageskasse

Unterschrift


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__Zu guter Letzt

DIE EWIGKEITEN fuhren ihm ins Gesicht und drüber hinaus. langsam löschte ein Brand alles Gekerzte, ein Grün, nicht von hier, umflaumte das Kinn des Steins, den die Waisen begruben und wieder begruben. Paul Celan

Aus „Lichtzwang“ Suhrkamp, 1970


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