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Das Online-Magazin für psychologische Themen, Schicksalsanalyse und therapeutische Arbeit Herausgeber: Alois Altenweger, www.psychologieforum.ch, www.szondi.ch, Szondi-Institut Zürich
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Das Online-Magazin für psychologische Themen, Schicksalsanalyse und therapeutische Arbeit Februar/März 2014 Szondi-Institut Zürich
Die Verantwortung für den Inhalt der Texte, die vertretenen Ansichten und Schlussfolgerungen liegt bei den Autoren bzw. den zitierten Quellen Fotos: Alois Altenweger Szondi-Institut Zürich, Krähbühlstrasse 30, 8044 Zürich, www.szondi.ch, info@szondi.ch , Tel. 044 252 46 55
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Inhalt Thema im Schnittpunkt Dank Hormon gelassener bei Borderline Dr. Annette Tuffs, Universitätsklinikum Heidelberg Wie Gedächtnis und Schizophrenie zusammenhängen Christoph Dieffenbacher, Universität Basel
Psychologisches Mechanismen des Vergessens entdeckt Olivia Poisson, Universität Basel
Psychotherapie
Mario Etzensberger Wie uralte Muster heutige Normen prägen Melanie Keim
Forschung Autismus: Erhöhte Chloridkonzentration in Hirnzellen Jan Dönges
Medizin und Gesundheit Brustkrebsfrüherkennung ist kein Placebo Rüdiger Labhan, Universität zu Lübeck
Büchertipp „Soziale Erschöpfung. Kulturelle Kontexte sozialer Ungleichheit“
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_Inhalt Veranstaltungen
«Ich träume - also bin ich» Eine 4-teilige Vorlesungsreihe des Szondi-Instituts an der Zürcher Volkshochschule
Zu guter Letzt «Ein Wort» Gottfried Benn
Das Schlussbild
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_Thema im Schnittpunkt Dank Hormon gelassener bei Borderline? Studie der Universitätsklinik für Allgemeine Psychiatrie zeigte: Patientinnen mit BorderlineSyndrom schenken ärgerlichen Gesichtern unbewusst mehr Aufmerksamkeit als Gesunde. Ein körpereigenes Hormon mildert die Reaktion ab. Dr. Annette Tuffs, Universitätsklinikum Heidelberg Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung reagieren höchst sensibel auf reale oder vermeintliche Zurückweisung durch ihre Mitmenschen. Das körpereigene Hormon Oxytocin kann die übersteigerte Sensibilität für kurze Zeit abmildern, wie eine Studie der Universitätsklinik für Allgemeine Psychiatrie Heidelberg (Ärztliche Direktorin: Professor Dr. Sabine Herpertz) nun gezeigt hat. Die Heidelberger Wissenschaftler entdeckten, dass Borderline-Patientinnen die Augen ärgerlicher Gesichter verstärkt fixieren und nicht etwa versuchen, dem feindseligen Gegenüber durch Wegschauen auszuweichen. Diese unbewusste Reaktion geht mit einer im Vergleich zu gesunden Probanden erhöhten Aktivität in einem Gehirnbereich (Amygdala) einher, in dem Eindrücke emotional bewertet werden und Angst oder Wut auslösen können. Eingeatmetes Oxytocin normalisierte in der Studie Blickbewegungen und Gehirnaktivität der Patientinnen. Die Ergebnisse sind im American Journal of Psychiatry erschienen. Patienten mit Borderline-Syndrom leben in Folge traumatischer Erfahrungen in der Kindheit in der ständigen Sorge, von ihren Mitmenschen abgelehnt oder negativ beurteilt zu werden. Sie neigen daher dazu, Bemerkungen oder Gesichtsausdrücke in diesem Sinne zu interpretieren. Die Ergebnisse der aktuellen Heidelberger Studie sprechen dafür, dass diese Überempfindlichkeit auf bedrohliche Signale bereits in einem sehr frühen, unbewussten Stadium der Informationsverarbeitung verankert ist. Betroffene schenken Gesichtern, in denen sich Ärger widerspiegelt, unbewusst mehr Aufmerksamkeit als Gesunde dies tun: Sie schauen den Gesichtern schneller und häufiger in die Augen. Gleichzeitig erzeugt der bedrohliche Reiz auch eine heftigere Reaktion im Gehirn. „Diese hohe Gehirnaktivität in bestimmten Bereichen der Amygdala könnte erklären, warum die Patienten empfindlicher und heftiger als Gesunde auf negative Signale ihrer Mitmenschen reagieren, häufig mit aggressivem Verhalten gegen sich oder andere“, erklärt Studienleiterin Dr. Katja Bertsch, Wissenschaftlerin an der Universitätsklinik für Allgemeine Psychiatrie. Oxytocin könnte Therapie erleichtern und Misstrauen abbauen Diese reflexartige Reaktion und die damit verbundene Gehirnaktivität wurde in der Studie durch das Hormon Oxytocin auf ein normales Niveau gesenkt. Für die Studie erhielten 40 Patientinnen und 41 gesunde Vergleichspersonen per Nasenspray Oxytocin oder ein Placebo,
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also ein Präparat ohne Wirkstoff. Anschließend wurden ihre Augenbewegungen erfasst und die Hirnaktivität mittels Magnetresonanztomographie dargestellt, währen sie unterschiedliche Gesichtsausdrücke betrachteten.
In weiteren Studien gilt es zu prüfen, welchen Einfluss diese Wirkung von Oxytocin auf die Gefühle der Probanden hat, ob sie sich sicherer fühlen und gelassener reagieren. Außerdem prüft die Heidelberger Arbeitsgruppe in einer gerade angelaufenen Untersuchung, ob
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Oxytocin sich dämpfend auf aggressives Verhalten auswirken könnte. Zum Medikament eignet sich das Hormon, das bei Gesunden Angst- und Stresserleben im zwischenmenschlichen Austausch vermindert, trotz seiner positiven Wirkung derzeit noch nicht – die Halbwertszeit beträgt in der jetzigen Verabreichungsform als Spray lediglich 45 Minuten. „Wir hoffen allerdings, Oxytocin in Zukunft begleitend zur Psychotherapie einsetzen zu können, damit die Patienten sich im Gespräch mit dem Therapeuten weniger bedroht fühlen, leichter Vertrauen aufbauen und die Therapie als hilfreich erleben“, erklärt Dr. Bertsch. „Das muss aber noch genauer untersucht werden.“ Das Borderline-Syndrom ist eine psychische Störung, die häufig mit extremen Stimmungsschwankungen, heftigen, als unkontrollierbar erlebten Gefühlsausbrüchen und Schwierigkeiten mit zwischenmenschlichen Beziehungen einhergeht. Die Betroffenen geraten im Alltag in quälende Anspannungszustände, in denen viele zu Selbstverletzungen und anderen selbstschädigenden Verhaltensweisen neigen. Experten schätzen, dass etwa sechs Prozent der Jugendlichen und bis zu zwei Prozent der Gesamtbevölkerung, rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland, darunter leiden.
Informationen zu aktuellen Oxytocin-Studien der Heidelberger Arbeitsgruppe: http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Studie-Wut.134323.0.html http://www.oxytocin-studie.de/ Kontakt: Dr. rer. nat. Katja Bertsch Psychologische Leiterin der Arbeitsgruppe Persönlichkeitsstörungen Universitätsklinik für Allgemeine Psychiatrie Heidelberg Zentrum für Psychosoziale Medizin Tel.: 06221 / 56 36 502 E-Mail: katja.bertsch@med.uni-heidelberg.de
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Wie Gedächtnis und Schizophrenie zusammenhängen Viele psychiatrische Erkrankungen werden von Gedächtnisstörungen begleitet. Basler Forschende haben nun ein Netzwerk von Genen gefunden, das grundlegende Eigenschaften von Nervenzellen steuert und für Gedächtnis, Hirnaktivität und Schizophrenie eine Rolle spielt. Ihre Forschungsresultate wurden in der Online-Ausgabe der US-Fachzeitschrift «Neuron» publiziert. lic. phil. Christoph Dieffenbacher, Universität Basel
Sich für eine kurze Zeit Informationen merken zu können – zum Beispiel eine Telefonnummer –, ist eine grundlegende Fähigkeit des menschlichen Gehirns. Dieses sogenannte Arbeitsgedächtnis macht uns fähig, die uns umgebende Umwelt zu verstehen. Für die Aufrechterhaltung eines intakten Arbeitsgedächtnisses verwendet das Gehirn viel Energie – bei vielen psychiatrischen Erkrankungen ist es aber gestört. Forschende der Transfakultären Forschungsplattform «Molecular and Cognitive Neurosciences» (MCN) von Universität Basel und Universitären Psychiatrischen Kliniken beschreiben nun ein Netzwerk von Genen, welches grundlegende Eigenschaften von Nervenzellen steuert und mit Arbeitsgedächtnis, Hirnaktivität und Schizophrenie zusammenhängt. Ionenkanäle mit Effekten In der Studie untersuchte Angela Heck die genetischen Grundlagen des Arbeitsgedächtnisses bei über 2800 gesunden jüngeren und älteren Versuchsteilnehmern. Um aus dem gesamten Genom der Probanden biologisch sinnvolle Gen-Gruppen identifizieren zu können,
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verwendete sie Methoden der Bioinformatik. Bei der Analyse stach eine bestimmte GenGruppe – nämlich jene der spannungsabhängigen Ionenkanäle – deutlich heraus. Gerade diese Moleküle sind für eine grundlegende Eigenschaft von Nervenzellen verantwortlich: für ihre elektrische Erregbarkeit. Darauf wurde die gleiche Methode bei einer Population von über 32‘000 Patienten mit Schizophrenie und gesunden Probanden angewendet – die Ionenkanäle gehörten auch hier zu den Gen-Gruppen mit den genomweit stärksten Effekten. In einem weiteren Schritt untersuchte Matthias Fastenrath mit Mitteln der funktionellen Bildgebung die Hirnaktivität von rund 700 gesunden Versuchsteilnehmern, während sie eine Arbeitsgedächtnisaufgabe lösten. Die Gen-Gruppe der Ionenkanäle korrelierte dabei stark mit der Aktivität in zwei unterschiedlichen Hirnregionen im Gross- und Kleinhirn. Aus früheren Studien ist bekannt, dass genau diese beiden Hirnareale zur Aufrechterhaltung eines intakten Arbeitsgedächtnisses beitragen. Moleküle, welche die elektrische Erregbarkeit der Nervenzellen steuern, spielen also für ein intaktes Arbeitsgedächtnis und für die Funktion von definierten Hirnarealen eine wichtige Rolle. Eine Störung dieses Mechanismus könnte auch zur Entwicklung einer Schizophrenie führen. Ausgangslage für Medikamente Die Ergebnisse der Studie tragen dazu bei, die molekularen Grundlagen wichtiger Gedächtnisprozesse und psychiatrischer Erkrankungen zu verstehen. Die Ergebnisse bieten eine gute Ausgangslage für die Entwicklung von Medikamenten zur Therapie von Gedächtnisstörungen und psychiatrischen Erkrankungen.
Auskünfte: Prof. Dr. med. Andreas Papassotiropoulos, Transfakultäre Forschungsplattform «Molecular and Cognitive Neurosciences», Fakultät für Psychologie der Universität Basel und Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Tel. +41 61 267 05 99, E-Mail: andreas.papas@unibas.ch
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_Psychologisches Mechanismen des Vergessens entdeckt Um leistungsfähig zu bleiben muss das menschliche Gehirn vergessen können: Unwichtige Informationen werden so gelöscht und das Gehirn entlastet. Ist dieser Vorgang gestört, kann dies zu schweren psychischen Erkrankungen führen. Olivia Poisson, Universität Basel Das menschliche Gehirn ist so konstruiert, dass nur bedeutende Informationen dauerhaft gespeichert werden – alles andere wird vergessen. Bisher war allerdings unklar, ob es sich dabei um einen aktiven oder passiven Vorgang handelt. Wissenschaftler der transfakultären Forschungsplattform Molecular and Cognitive Neurosciences (MCN) der Universität Basel
haben nun ein Molekül entdeckt, das den Vorgang des Vergessens aktiv fördert und steuert. Das sogenannte Musashi-Protein ist für die Struktur und Funktion von Synapsen im Gehirn zuständig, dem Ort, an dem Informationen von einer Nervenzelle zur Nächsten übertragen werden. Für die aktuelle Studie untersuchten die Wissenschaftler Attila Stetak und Nils Hadziselimovic zunächst anhand olfaktorischer Reize die Lernfähigkeit von genetisch veränderten Fadenwürmern (C.elegans), denen das Musashi-Protein fehlte. Es zeigte sich, dass diese Würmer im Vergleich zu nicht manipulierten Exemplaren gleich gute Lernfähigkeiten besassen. Mit zunehmender Dauer des Experiments stellten die Forscher allerdings fest, dass der genetisch veränderte Stamm das Erlernte viel besser behalten konnte. Der manipulierte Stamm ohne das Musashi-Protein war also weniger vergesslich.
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Vergessen ist kein Zufall Weiterführende Experimente zeigten, dass das Protein die Synthese von Molekülen hemmt, die für die Stabilisierung von Synapsen zuständig sind. Diese Stabilisierung scheint eine zentrale Rolle beim Lern- und Vergessensprozess zu spielen. Die Basler Forscher identifizierten zwei parallel ablaufende Stoffwechselprozesse: Einerseits fördert das Protein Adducin das Wachstum der Synapsen und somit auch das Erinnern, andererseits verhindert das Musashi-Protein aktiv die längerfristige Stabilisierung dieser Synapsen und fördert somit das Vergessen. Über die Lebensdauer einer gespeicherten Information entscheidet demnach das Gleichgewicht zwischen den beiden Proteinen. Vergessen ist also kein passiver sondern ein aktiver Prozess. Eine Fehlfunktion dieses Vorgangs kann zu schweren psychiatrischen Erkrankungen führen. Das Musashi-Protein bildet einen interessanten Angriffspunkt für Medikamente, die zu schnelles Vergessen verhindern sollen, wie es beispielsweise bei Alzheimerpatienten der Fall ist. Die therapeutischen Möglichkeiten dieser Entdeckung sollen nun weitere Experimente zeigen. Die Forschungsplattform MCN Die transfakultäre Forschungsplattform MCN ist eine gemeinsame Einrichtung der Fakultät für Psychologie der Universität Basel und der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Ihr Ziel ist, die Erforschung der neurobiologischen Grundlagen kognitiver und emotionaler Prozesse am Menschen voranzutreiben und zur Entwicklung neuer Therapien für psychiatrische Erkrankungen beizutragen. Die Plattform wird von Prof. Dominique de Quervain und Prof. Andreas Papassotiropoulos gemeinsam geleitet. Originalbeitrag Hadziselimovic, N., Vukojevic, V., Peter, F., Milnik, A., Fastenrath, M., Fenyves, B., Hieber, P., Demougin, P., Vogler, C., de Quervain, D.J.F., Papassotiropoulos, A. & Stetak, A. Forgetting is regulated via Musashi-mediated translational control of the Arp2/3 complex. Cell, online. Weitere Auskunft Prof. Dr. med. Andreas Papassotiropoulos, Transfakultäre Forschungsplattform «Molecular and Cognitive Neurosciences», Fakultät für Psychologie der Universität Basel und Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Tel.: +41 (0)61 267 05 99, E-Mail: andreas.papas@unibas.ch
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_Psychotherapie
Wie uralte Muster heutige Normen prägen Mit einem fulminanten Referat hat der Psychotherapeut Mario Etzensberger das Kolloquium für Psychotherapie und Psychosomatik am Universitätsspital Zürich eröffnet. Er zeigte auf, wie Mythen heutige Verhaltensregeln prägen und plädierte für eine psychotherapeutische Praxis, die sich dem Zeitgeist entgegenstellt. Melanie Keim
Mario Etzensberger: «Sodom und Gomorrha, Amor oder Narziss haben mehr mit unserer heutigen Realität zu tun, als wir gemeinhin glauben.» (Bild: Melanie Keim)
Athene, Seraphim, Sodom und Gomorrha, Amor oder Narziss. Diese Namen sind uns geläufig, womöglich auch die Geschichten und Mythen dahinter. Doch was haben diese griechischen Götter, mythischen Gestalten und biblischen Figuren mit unserer heutigen Realität zu tun? Mehr als wir gemeinhin glauben, sagte Mario Etzensberger in seinem Vortrag an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Der Psychotherapeut, der lange die Psychiatrischen Klinik Königsfeld leitete, sieht in unserer heutigen Realität eine stetige Wiederholung alter Geschichten und Muster und umgekehrt in diesen «alten Hüten» einen wichtigen Schlüssel für heutige Verhaltensmuster. Auseinandersetzung mit Geschichte «Alles, was ich Ihnen heute erzähle, ist Plagiat», stellte Mario Etzensberger klar und fügte an: «Es gibt nur wenig wirklich Neues». Und zwar gelte das für die Gesellschaft, die Wissenschaft wie für das Individuum. Neben der biblisch geprägten linearen Zeitvorstellung wies Etzensberger auf eine kreisförmige Vorstellung von Zeit hin. Auf erfrischende Art und Weise zeigte er, wie uralte Geschichten, Rituale und Mythen stets wiederkehren und daher auch in unserer heutigen Kultur präsent sind. So findet er die im Gilgamesch-Epos zentrale Suche nach Unsterblichkeit bei Darth Vader aus Star Wars wieder. Oder er zeigte die
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Freiheitsstatue als perfektes Abbild des «Sol invictus», des unbesiegbaren Sonnengottes aus der römischen Mythologie. Heutige gesellschaftliche Normen, Handlungsmuster und Geschichten, die uns prägten, seien also keineswegs neue Erfindungen, sondern uralte Muster in neuer Form. Wenn wir diese historische Realität jedoch nicht mehr kennten oder nicht kennen wollten, so verschliesse sich damit auch ein wichtiger Zugang zu unserer ganz individuellen Geschichte. Für die therapeutische Praxis habe diese Auseinandersetzung mit Kultur und Geschichte zwei wichtige Funktionen: Einerseits werde ein auf dem Menschen lastender Gesellschaftsdruck sichtbar und fassbar, was Verständnis und Akzeptanz für die eigenen Handlungsmuster und das damit verbundene Leiden schaffe. Wenn ein Patient etwa an einem übermässigen Perfektionismus leidet, so schafft das Bewusstsein, dass diesem Verhaltensmuster uralte gesellschaftliche Muster zugrunde liegen, bereits Erleichterung. Andererseits können diese Geschichten auch als Exempel unterstützend wirken, wie etwa der Hinweis, dass auch Jesus auf dem Weg zum Kreuz dreimal fiel. V Von allem etwas. Nicht verwerfen, sondern einschmelzen.
Eklektizismus als Konsequenz Aus diesem stetigen Wiederkehren des Alten folgt Etzensbergers zweites Grundprinzip: das eklektische Arbeiten. So will er sich nicht auf eine einzige, Wahrheit oder Methode festlegen, sondern dem bereits vorhandenen Rüstzeug stets neues, kritisch Geprüftes hinzufügen. Für Etzensbergers Werdegang heisst das in Stichworten: Faszination für griechische Sagen, die Offenbarungen Jung und Freud, der Übergang vom Hypothetisieren zu häufigen Laboruntersuchungen, das Anfreunden mit der Verhaltenstherapie. Aus diesen Erfahrungen hat sich seine heutige, eklektische therapeutische Praxis gebildet.
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Dieses akkumulative Verfahren fordert Etzensberger auch von seinen Patienten. Alte Verhaltensmuster, die eine Patientin als störend und negativ empfindet, sollen nicht wie ein alter Zopf abgeschnitten werden, sondern durch neue ergänzt werden. Das Handelsinstrumentarium einer Person wird so erweitert. Etzensberger betrachtete das lange Zeit als notwendige Konsequenz der uns aufgeladenen Geschichte, was im Grunde Resignation bedeutete. Heute ist er aber der Überzeugung, dass «störende» Verhaltensweisen durchaus als schöne Muster betrachtet werden können. Eine Patientin soll ihren als «störend» empfundenen Perfektionismus also ruhig als «schönes» Muster behalten, das es wie im Grimmschen Märchen «Sechse kommen durch die ganze Welt» gezielt einzusetzen gilt. Schliesslich wurde auch der schiefe Turm von Pisa nur durch seinen «Makel» überhaupt berühmt. Ein voller Werkzeugkasten Damit stellt Etzensberger weniger aktuelle psychotherapeutische Ansätze in Frage, sondern vorherrschende Tendenzen in unserer Gesellschaft und Wissenschaft wie absolute Wahrheitsansprüche. Auch stellt er sich mit der geforderten Aufhebung einer klaren Wertung einem zunehmenden Bedürfnis unserer Gesellschaft nach festen Normen und klaren Kategorien wie «schön» und «gut» entgegen. Doch auch diese in Wissenschaft und Gesellschaft sichtbaren Muster seien weder neu noch per se schlecht. Allerdings könne es nicht schaden, ihnen mit einem kritischen Blick und dem vollen Werkzeugkasten, den die Wissenschafts- und Kulturgeschichte liefere, zu begegnen. Das Programm des Montagskolloquiums Das Kolloquium für Psychotherapie und Psychosomatik richtet sich an Fachärzte der Psychiatrie und Psychotherapeuten sowie an die interessierte Öffentlichkeit. Im laufenden Frühjahrssemester ist das Programm dem Thema «Zeit» gewidmet. Das Kolloquium findet bis am 26. Mai jeweils montags von 11.15 bis 12.30 Uhr an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsspitals Zürich statt. Melanie Keim ist freie Journalistin in Zürich.
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_Forschung Autismus: Erhöhte Chloridkonzentration in Hirnzellen Bei autistischen Kindern könnte eine erhöhte Chlorid-Konzentration in Nervenzellen das Gehirn in falsche Bahnen lenken. Das legt jetzt eine kontroverse Tierstudie nahe. Sollten die Forscher Recht behalten, ergäben sich völlig neue Perspektiven für eine Therapie. Denn der Prozess lässt sich umkehren. Jan Dönges
Es ist ein durchaus bemerkenswerter Mechanismus, dem französische Forscher seit einiger Zeit auf der Spur sind. Nicht weniger versuchen sie, als damit ein für alle Mal zu erklären, warum es beim Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen zu den typischen AutismusSymptomen kommt. Und wie sie sich – zumindest im Tierversuch – verhindern lassen.
Schaltungen
Bei den Betroffenen, so erklären es Yehezkel Ben-Ari vom Institut de Neurobiologie de la Méditerranée des INSERM in Marseille und seine Kollegen, versage während der Geburt ein
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Schalter im Gehirn: Das Hormon Oxytozin, das unter anderem auch die Wehen auslöst, senkt den Gehalt an Chlorid-Ionen in den Hirnzellen während der Geburt drastisch ab. Das wiederum führt normalerweise dazu, dass der Neurotransmitter GABA fortan nicht mehr, wie im Fötus, erregend auf die Nervenzellen wirkt, sondern hemmend wie bei Erwachsenen. Unterbleibt jedoch – aus welchen Gründen auch immer – diese Wirkung des Oxytozins, blieben die Chlorid-Werte dauerhaft hoch, und der Schalter klemmt. Das, so die Spekulation der Forscher, lenke das Gehirn im entscheidenden Moment auf eine falsche Bahn. Das neuronale Netzwerk könne sich nicht mehr ungestört entwickeln. Die Studie sei "ziemlich klasse", meint dazu im Magazin "Science" der Hirnforscher Emanuel DiCicco-Bloom von der Robert Wood Johnson Medical School der Rutgers University in Piscataway: Kaum jemand habe bisher einen solchen Effekt auf dem Plan gehabt. Das bestätigt auch Nils Brose vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen: Das Team habe einen "hochinteressanten Befund" geliefert. Doch überzeugt sind beide Forscher trotzdem noch nicht. Klinische Studien unterstützen die Annahme Die Wirkung der Chlorid-Ionen erforscht die Gruppe um Ben-Ari bereits seit einigen Jahren. Zuletzt hatten sie eine kleine Studie vorgelegt, für die sie an Autismus erkrankte Kinder und Jugendliche mit dem Diuretikum Bumetanid behandelten, einem harntreibenden Medikament, das Chlorid-Ionen mit dem Urin ausspült und so den Gehalt im Gehirn senkt. Bei den drei- bis elfjährigen Probanden zeigten sich leichte Verbesserungen der Symptome, allerdings gilt die Aussagekraft der Studie als sehr begrenzt. Eine größer angelegte Phase-II-Studie ist bereits angelaufen und soll Ende des Jahres veröffentlicht werden. Überdies hat Ben-Ari bereits eine Firma gegründet, mit der er den Einsatz von Chlorid-Senkern bei neurodegenerativen Erkrankungen erforschen will. Ein dichtes Netzwerk von GABA-Interneuronen In diesem Ausschnitt aus dem Kortex einer Maus sind Neurone ohne GABA grün angefärbt. Die rot gefärbten GABA-Interneuronen tragen wohl durch ihre hemmende Wirkung dazu bei, die Erregung im Gehirn unter Kontrolle zu halten. Behalten sie jedoch die erregende Rolle, die sie während der Hirnentwicklung spielen, nach der Geburt bei, könnte dies autistische Symptome auslösen. Die aktuelle Untersuchung seines Teams ist nun darauf ausgelegt, die angenommenen neurobiologischen Grundlagen des Mechanismus zu erhärten [1]. Dazu griffen sie auf zwei verbreitete Tiermodelle für Autismus zurück: Zum einen schalteten sie bei Mäusen ein Gen aus, dass auch beim Fragile-X-Syndrom eine Rolle spielt, einer gängigen Ursache für autistische Störungen bei Kindern; zum anderen verabreichten sie schwangeren Rattenmüttern Valproinsäure, was auch bei Menschen das Autismusrisiko erhöht. Beides führte erwartungsgemäß bei den neugeborenen Nagern zu untypischen Verhaltensweisen, die nach gängiger wissenschaftlicher Praxis als tierische Entsprechung einer Störung aus dem autistischen Spektrum aufgefasst werden können. Die Tiere haben beispielsweise ein abnormes Sozialverhalten und rufen deutlich seltener nach ihrer Mutter, wenn sie von ihr getrennt sind. Erwartete Veränderungen in den Hirnzellen
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Neben diesen Verhaltensauffälligkeiten beobachteten Ben-Ari und Team jedoch auch die Veränderungen auf Zellebene, die laut ihrer Theorie zu erwarten sind: Bei beiden Tiergruppen unterblieb das übliche Absinken des Chlorid-Spiegels während der Geburt, beide Gruppen hatten über Tage hinweg erhöhte Chlorid-Werte und bei beiden behielt der Neurotransmitter GABA im Hippocampus seine erregende Wirkung. Erstaunlicherweise konnten sie dieselben Effekte auch hervorrufen, indem sie den schwangeren Nagetieren eine Substanz verabreichten, die die Wirkung von Oxytozin im Gehirn blockierte. Das bestätigt ihre Hypothese über dessen Wirkung auf den GABASchaltvorgang. Als entscheidendes Ergebnis ihrer Studie sehen diese allerdings auch ein ganz anderes Phänomen: Es gelang ihnen nämlich, durch Gabe von Bumetanid – also dem diuretischen Chlorid-Senker, den sie auch in der klinischen Studie testeten – alle genannten Effekte am Erscheinen zu hindern. Die Wissenschaftler gaben das Medikament dazu bereits den werdenden Nagetiermüttern.
Daraufhin zeigte deren Nachwuchs keines der autismustypischen Kennzeichen mehr, obwohl sie entweder das defekte Fragile-X-Gen trugen oder als Embryo der Valproinsäure ausgesetzt waren. Wenn man so will, haben die Forscher damit die Tiere von ihren autistischen Symptomen geheilt. Neue Perspektiven für die Autismus-Therapie Dementsprechend eröffne die Studie gänzlich neue Perspektiven für die Autismustherapie, erläutern Andrew Zimmermann und Susan Connors in einer begleitenden Veröffentlichung in
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"Science" [2]. Die Theorie von Ben-Ari und Kollegen habe den Vorteil zu erklären, warum unterschiedlichste Ursachen wie etwa Genveränderungen oder auch Umweltgifte Autismus auslösen können: Allen oder zumindest einigen davon wäre demnach gemein, dass sie das Wechselspiel von Oxytozin, Chlorid und GABA aus dem Tritt bringen. Dass sich dieser Schluss jetzt schon aus der Studie ziehen lässt, bezweifelt allerdings der Göttinger Forscher Brose: "Die verwendeten Tiermodelle sind nicht optimal geeignet, um Aussagen über Autismus bei Menschen zu treffen." Beide Verfahren, autismusähnliche Symptome auszulösen, hätten noch eine Reihe ganz anderer Wirkungen, die mit Autismus nicht direkt in Zusammenhang stünden. "Es wäre daher interessant zu sehen, ob der Mechanismus auch bei Mausmodellen auftritt, die den menschlichen Autismus besser modellieren". Als Beispiel nennt er genetische Störungen der Gene, die bei der Synapsenbildung eine Rolle spielen. Sie kämen bei Erkrankungen des autistischen Spektrums gehäuft vor und ließen sich ebenfalls im Tierexperiment nachbilden. Erst dann zeige sich, ob es die zentrale Gemeinsamkeit wirklich gebe. In einer telefonischen Pressekonferenz kündigte Ben-Ari bereits an, in einer Nachfolgestudie weitere Tiermodelle einzusetzen. Aber möglicherweise ist die Hirnentwicklung von Nagetieren und Menschen grundsätzlich nicht gut vergleichbar, wendet DiCicco-Bloom ein. Sie verläuft bei den Mäusen und Ratten erheblich rascher als bei Kindern, der GABA-Effekt schlägt darum vielleicht wesentlich deutlicher zu Buche. Die Wissenschaftsjournalistin und Autismus-Expertin Emily Willingham wendet außerdem ein, dass sich sowohl Valproinsäure als auch das Fragile-X-Syndrom bekanntermaßen auf GABA auswirken. Möglicherweise kompensieren die Wissenschaftler also lediglich einen speziellen Effekt beider Auslöser, der mit "üblichen" Störungen des autistischen Spektrums bei Menschen wenig zu tun hat. Chlorid-Senker vor der Geburt? Sollte er sich dennoch in weiteren Untersuchungen erhärten, wäre es die nächstliegende Konsequenz, das Bumetanid prophylaktisch allen werden Müttern kurz vor der Geburt zu verabreichen oder den Neugeborenen kurz danach. Das aber halten selbst die Autoren für nicht praktikabel. Es bestehe keine Möglichkeit, einen Fötus auf sein Autismusrisiko zu untersuchen. In der Regel wird eine autistische Störung erst in einem Alter von zwei Jahren erkannt. Frühesten dann sei eine Therapie mit Chlorid-Senker ratsam. In diesem Sinne liefert die Studie der französischen Forscher wohl eher neue Impulse für die Grundlagenforschung als konkrete Hoffnungen auf einen baldigen Einsatz in der Therapie. Bumetanid selbst immerhin gilt im Allgemeinen als gut verträglich: Es wird seit den 1970er Jahren unter anderem bei Nierenerkankungen und Herzproblemen angewendet – in Ben-Aris klinischer Studie von vor einigen Jahren blieb es weitestgehend ohne Komplikationen. © Spektrum.de
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_Medizin und Gesundheit
Brustkrebsfrüherkennung ist kein Placebo „Warten, bis man den Brustkrebs spürt, und dann erst zum Arzt - das ist keine Option“, stellt Prof. Alexander Katalinic klar. Der Wissenschaftler vom Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Universität zu Lübeck und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein warnt vor voreiligen Schlüssen aus selektierten Studien und zeigt die Konsequenzen für das Mammographie-Screening-Programm auf. Rüdiger Labahn, Universität zu Lübeck
„Je früher ein Brustkrebs erkannt wird, umso besser ist die Prognose, umso schonender ist die Therapie. Ist der Brustkrebs bei Entdeckung kleiner als zwei Zentimeter, leben nach zehn Jahren noch über 95 Prozent der betroffenen Frauen. Hat der Tumor erst in den Körper gestreut, sind es nur noch 12 Prozent. „Diese Erkenntnis ist nicht neu und lässt sich jedem Lehrbuch der Frauenheilkunde entnehmen“, betont Katalinic. Den Brustkrebs in einem frühen und damit günstigen Stadium zu erwischen, gelingt nur mit systematischer Früherkennung. Das Mammographie-Screening ist hier die Methode der Wahl. Die aktuelle Diskussion, ob das Mammographie-Screening nicht sogar überflüssig sei, ist aus Sicht von Katalinic kontraproduktiv: „Bei der ganzen Diskussion sollte man im Auge behalten, dass die Kritiker ihre Aussagen im Wesentlichen auf ausgewählte negative Studien zum Mammographie-Screening stützen, die zur Aussage kommen, ein Rückgang der Brustkrebssterblichkeit sei nicht zu beobachten.“ Dabei blieben laut Katalinic folgende Aspekte unerwähnt: • Es gibt hochwertige Studien, die aus den 1980er Jahren stammen, die eine Mortalitätsreduktion durch Mammographie-Screening in der Größenordnung von 15 - 30 Prozent zeigen. • Obwohl die Studien aus einer Zeit sind, die mit der heutigen Technik und Qualität des Mammographie-Screening nicht mehr vergleichbar sind, stellte sich ein Rückgang der Brustkrebssterblichkeit ein. • Die Qualität und Technik der Mammographie von 1980 wird kommentarlos mit der Qualität der heutigen digitalen Mammographie gleichgesetzt. Dies ist ein Vergleich, der offensichtlich hinkt und daher nur sehr bedingt Schlüsse auf aktuelle Programme zulässt. • Die Kritiker nutzen für ihre Argumentation auch so genannte Beobachtungsstudien, die äußerst fehleranfällig sind. Die grundlegende Prämisse dieser Studien ist zweifelhaft. Es
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wird angenommen, dass vor der Einführung des Mammographie-Screening keinerlei Mammographien zur Früherkennung durchgeführt wurden. In Deutschland z.B. gab es jedoch bereits seit den 1980er Jahren eine ausgeprägte Mammographie-Kultur, die sicher auch zum kontinuierlichen Rückgang der Brustkrebssterblichkeit in Deutschland geführt haben dürfte. • Auffällig ist, dass die Kritiker des Mammographie-Screenings hauptsächlich „negative“ Beobachtungsstudien zur Argumentation verwenden, während Beobachtungsstudien mit positiven Ergebnissen, die es in vergleichbarer Zahl gibt, für das Mammographie-Screening systematisch ausgeblendet werden. • Tod ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Endpunkt einer Früherkennung. Für eine Brustkrebspatientin ist es absehbar ein Unterschied, ob sie sich nur einer schonenden Operation mit Erhalt der Brust, einer Amputation der Brust oder einer Chemotherapie unterziehen muss. Diese Endpunkte sind bislang zu wenig berücksichtigt worden und müssen stärker in den wissenschaftlichen Fokus gebracht werden. Diesen Argumenten folgend, sei eine faire Bewertung des deutschen MammographieScreening-Programms, das erst 2005 begonnen hat, noch gar nicht möglich. Das Programm ist langfristig wissenschaftlich eng zu begleiten und die Ergebnisse der vom Bundesamt für Strahlenschutz initiierten Evaluation der Brustkrebssterblichkeit abzuwarten. „Forderungen, heute das Mammographie-Screening abzuschaffen, sind sachlich und fachlich nicht tragbar und kommen den Bedürfnissen der Frauen in der Brustkrebsfrüherkennung nicht entgegen“, hält der Epidemiologe Katalinic fest. „Alternativen zum MammographieScreening werden von den Kritikern nicht genannt, und zwar auch deshalb, weil es keine gibt. Die Alternative, keine Brustkrebsfrüherkennung mehr zu betreiben, ist keine.“ Das Mammographie-Screening sollte aus Sicht von Katalinic aber noch weiter verbessert werden. Insbesondere die Aufklärung über das Screening, über die bekannten Nebenwirkungen und die zu erwartenden Effekte könnten im Schulterschluss beispielweise mit der Selbsthilfe optimiert werden. Kontakt: Universität zu Lübeck Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie Prof. Dr. Alexander Katalinic Ratzeburger Allee 160, Haus 50 D-23562 Lübeck Tel: +49 451 5005440 Email: alexander.katalinic@uksh.de
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_Büchertipp Soziale Erschöpfung Prof. Dr. Ronald Lutz von der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Erfurt hat ein neues Buch mit dem Titel „Soziale Erschöpfung. Kulturelle Kontexte sozialer Ungleichheit“ veröffentlicht, das in der Reihe Edition Soziologie des Beltz Juventa Verlags erschienen ist. In der Ankündigung des Verlags heißt es: „Soziale Erschöpfung ist ein Kennzeichen der sich spaltenden Gesellschaft, sich verfestigender sozialer Ungleichheit. Formen zeigen sich als von verwundbaren Menschen vielfach erlebtes Drama der Unzulänglichkeit, des Scheiterns und der Einsamkeit, da Unterstützung Mangelware ist; man ist müde, sich selbst zu sein und unterwirft sich letztlich den verfügbaren Mustern des Sich-Einrichtens. Es fehlen oftmals Ressourcen, sich für dieses oder jenes zu entscheiden. Soziale Erschöpfung wird zur Kehrseite der Menschen, die in den Aktivierungszumutungen der Politik das Ideal abbilden. Diese Erschöpfung zeigt sich in Handlungsmustern, in „erschöpften Familien“ und verdichtet sich in Kulturen der Armut, die Folgen für die Entwicklungschancen der Kinder haben. Sozial erschöpfte Menschen sind immer weniger in der Lage, ihre alltäglichen Verrichtungen eigenständig, sinnvoll und nachhaltig zu organisieren.“ (Quelle: Beltz Juventa Verlag, Weinheim) Professor Lutz hat das Thema „Soziale Erschöpfung“ unter den Gesichtspunkten Zugänge: Moderne und Erschöpfung, Ungleichheit: Drinnen und Draußen, Armut: Fakten und Prozesse, Erweiterung: Wohlstandskonflikte und Prekarisierung, Pathologien: Beschleunigung und Erschöpfung, Prozess: Verwundbarkeit und Soziale Erschöpfung, Kulminationspunkt: Kulturen der Armut sowie Ausstieg: Gesellschaftliche Herausforderungen dargestellt. Roland Hahn
Prof. Dr. Ronald Lutz ist seit Ende 2012 Vizepräsident für Qualität und Kommunikation an der Fachhochschule Erfurt. Seit 1993 ist er an der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften Professor im Lehrgebiet „Menschen in besonderen Lebenslagen“ Ronald Lutz Soziale Erschöpfung Kulturelle Kontexte sozialer Ungleichheit Reihe: Edition Soziologie 2014, 156 Seiten broschiert Fr. 21.90 ISBN 978-3-7799-2723-5 Kontakt: Prof. Dr. Ronald Lutz, Tel.: 0361 6700-510/-701, E-Mail: lutz@fh-erfurt.de
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_Veranstaltungen «Ich träume – also bin ich» Der Traum als psychisches Symptom und die Traumarbeit sind in der vom Szondi-Institut vertretenen Schicksalsanalyse wichtiges Mittel der therapeutischen Arbeit und stehen im Mittelpunkt. Wesentlich dabei ist, dass unser Traumverständnis ein integrierendes ist. Das heisst, dass alle Aspekte der Traumdeutung von tiefenpsychologisch orientierten Therapien bei uns berücksichtigt werden.
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Ein Traum wird in der schicksalsanalytischen Kur als Aktivität des Ich-Bewusstseins erfahren, welches im Schlaf die unbewussten Probleme «anspricht», gestaltet und wie auf einer Bühne «theatralisch» inszeniert. Traumdeutung erfasst immer die verschiedenen Qualitäten des Unbewussten, so dass Deutung auf die persönlichen, kollektiven und schicksalsanalytischfamiliären Quellen zurückgeführt wird. Wir werfen auch einen Blick auf das Traumverständnis in asiatischen Kulturen und insbesondere gehen wir auf die Vorstellung einer «Traumwelt» [mit entsprechender Digeridoo-«Traum-Musik»] der Aborigines ein. In der ersten heutigen Vorlesung fragen wir nach den Traumquellen, nach Aufbau, Struktur und Vernetzung des Traumes (Traumstrukturalismus), nach Traumcharakteristiken, nach einem Traumsinn und Traumkonsequenzen. Ferner zeigen wir die therapeutische Arbeit mit Träumen. In der 2. Vorlesung wird die jungianische Traumdeutung behandelt. In der 3. Vorlesung wird die schicksalsanalytische Traumdeutung vorgestellt. In der 4. Vorlesung behandeln wir den Traum in der Literatur. Das Traumtagebuch von Arthur Schnitzler, Träume bei Kafka, Novalis und Goethe. Ferner: Traumarbeit in weiteren therapeutischen Verfahren: systemische und existenzialpsychologische Traumarbeit. Die "Zürcher Schule" der Traumdeutung - ein deutender Versuch. Ausklang der Vorlesung.
Veranstaltungsdaten: Jeweils Montags, 19.00 h, 5., 12., 19. Und 26. Mai 2014 Anmeldung: www.vhszh.ch oder telefonisch: 044 205 84 84
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_zu guter Letzt
Ein Wort Ein Wort, ein Satz - : aus Chiffren steigen Erkanntes Leben, jäher Sinn, die Sonne steht, die Sphären schweigen und alles ballt sich zu ihm hin. Ein Wort – ein Glanz, ein Flug, ein Feuer, ein Flammenwurf, ein Sternenstrich – und wieder Dunkel, ungeheuer, im leeren Raum um Welt und Ich. Gottfried Benn
Klett-Cotta, Sämtliche Gedichte 1956
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Im März