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Paris neu erfinden: Temporäre Nutzungen prägen die Stadtentwicklung

Anne Hidalgo setzt sich seit ihrer Wahl zur Bürgermeisterin von Paris im Jahr 2014 dafür ein, mehr Lebensqualität in die am dichtesten besiedelte europäische Hauptstadt zu bringen, „Paris neu zu erfinden“. Zu ihren Strategien gehört auch der öffentliche Wettbewerb Réinventer Paris, den Hidalgos Vizebürgermeister Jean-Louis Missika, zuständig für Stadtentwicklung, Architektur und den Großraum Paris, und seine Mitarbeiterin Marion Waller organisieren. In der französischen Metropole hat sich dadurch die Perspektive auf Zwischennutzungen stark gewandelt: Leerstand soll nachhaltig und kreativ wiederbelebt werden. Temporäre Nutzungskonzepte werden als Initialzündung für die Entwicklung ganzer Quartiere wahrgenommen und bewusst eingesetzt.

Großartige Nachbarschaften möglich machen Les Grand Voisins, übersetzt Groß(artig)e Nachbarn, heißt das Projekt, das in Paris einen großen Einfluss auf das Thema Zwischennutzung hatte: Ins ehemalige Saint-Vincent-de-Paul-Spital im zentralen 14. Arrondissement, unweit von Montparnasse und Rathaus, kommen täglich bis zu 1.000 Personen in die ehemaligen Ambulanzen, Krankenzimmer, Höfe und Parkplätze. Heute sind dort Kleingärten, ein Markt, ein Boules-Feld, Ateliers, Büros und ein Obdachlosenheim untergebracht – ein Erfolgsprojekt, das vor kurzem um weitere zwei Jahre verlängert wurde.

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Die Stadt hatte Ende 2014 im Rahmen des groß angelegte Projektes Réinventer Paris, das mittlerweile in seine zweite Runde gegangen ist, einen Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem sich Architektinnen, Designer, Raumunternehmerinnen und Immobilienentwickler um leerstehende Räume in Paris bewerben konnten. Dazu gehörten ehemalige Polizeiwohnheime, ein aufgelassener Busbahnhof oder ein geschlossenes Umspannwerk. Die Stadt wollte nicht einfach an die Höchstbietenden verkaufen, sondern die innovativsten Lösungen für diese Flächen und Immobilien finden. Dazu gehören Zwischennutzungen, die der Stadtplanung Aufschlüsse über die Bedürfnisse einer Nachbarschaft geben und Fehlplanungen bei Mischnutzungen verhindern sollen. „Paris als Stadt der Innovation – das ist das Image, das wir entwickeln wollen“, erklärte Marion Waller, die im Pariser Rathaus an dem Projekt beteiligt ist und das Vorhaben 2015 beim New Cities Summit in Jakarta vorgestellt hat. Mischnutzungen durch gemischte Teams Insgesamt schrieb die Stadt in der ersten Runde von Réinventer Paris 150.000 Quadratmeter aus, die „neu erfunden“ werden sollten – auch mit dem Ziel, den Leerstand in öffentlicher Hand stark zu reduzieren. Stadtentwicklungsprojekte würden fast immer fragmentiert angelegt, so Waller in ihrem Vortrag in Jakarta. Zuerst werde ein Architekt bzw. eine Architektin gesucht, dann Immobilienentwickler, dann Nutzerinnen und Nutzer – genau das wollte man in Paris vermeiden. Réinventer Paris habe sich deswegen gezielt an Teams gerichtet, die sich bereits in der Phase der Ausschreibung formieren und durchaus außergewöhnlich besetzt sind. Planerinnen, Entwickler, Nutzerinnen, Betreiber, Künstlerinnen, Designer, Philosophinnen – sie alle sollten zusammenarbeiten, das Konzept für einen Ort entwickeln und dabei das ganze Projekt mitdenken – und, so Marion Waller, „alle 23 Orte in die Betrachtung mit einbeziehen und die Menschen, die rund um diese Orte leben“.

Die veränderte Stadt neu erfinden 2017 startete die Stadt die zweite Runde von Réinventer Paris, diesmal mit einem Fokus auf den Pariser Untergrund. Leerstehende Tiefgaragen, aufgelassene U-Bahnstationen oder eine 2.000 Quadratmeter große Unterführung, die unterhalb der Pont-Neuf verläuft, gehörten zu den 34 Flächen – zwei davon in Privatbesitz –, für die man sich bewerben konnte, für Zwischennutzungen sowie für langfristige Nachnutzungen. Die Pariser Stadtregierung wollte den veränderten Verkehrsbedingungen Rechnung tragen: Seit 1992 hat sich, bedingt durch die Anpassungen des öffentlichen Verkehrsnetzes, die Anzahl der Autos in den Pariser Innenbezirken um 32 Prozent verringert, und diese Zahl soll weiter sinken. Die Überreste der ehemaligen Transiträume sollen nun sinnvoll genützt werden.

Paris als europäisches Vorbild Réinventer Paris ist mit dieser zweiten Runde noch nicht abgeschlossen. Bereits jetzt konnten private Immobilienunternehmen in das Projekt eingebunden werden. Denkbar wäre die Weiterentwicklung zu einer Plattform für Stadtentwicklungsprojekte, auf der sich Immobilienwirtschaft, öffentliche Hand und Raumunternehmen treffen – in ein wegweisendes Konzept, das in Europa einzigartig ist.

Die „Neuerfindung“ der Stadt soll nicht nur mehr Lebensqualität für die Metropole bringen. Bei fast allen Projekten handelt es sich um Mischnutzungen, die leistbaren Raum für Kulturschaffende, Start-ups oder Ateliers schaffen. Damit ist Paris zum Vorbild anderer Städte in Europa geworden, etwa der britischen Hauptstadt. So schätzt der Think Tank Centre of London, dass 2018 mehr als 24.000 Gewerbeimmobilien leerstanden, etwa die Hälfte davon seit mehr als zwei Jahren.

Einzigartiges Kooperationsmodell Paris ist es gelungen, den größten Wettbewerb für urbane Entwicklung und Leerstandsaktivierung auf die Beine zu stellen, den es in einer Stadt dieser Größe jemals gab. Den Zuschlag bekommt nicht das höchste Angebot, sondern das kreativste Projekt. Wie viele andere Städte verfolgt Paris das Konzept der Smart City. Doch anders als in anderen europäischen Städten definiert man diesen Wandel als „Bottomup“-Entwicklung. Die Stadtregierung propagiert ein Modell, in dem kleine und große Projekte kooperativ gestaltet werden sollen: von der Stadtverwaltung, der Immobilienwirtschaft und den Bürgerinnen und Bürgern. Zwischennutzungen gehören zum Fundament dieses Konzeptes.

Les Grands Voisins, Paris Foto: Nais Bessaih

Die „Neuerfindung“ der Stadt Paris soll nicht nur mehr Lebensqualität für die Metropole bringen. Bei fast allen Projekten handelt es sich um Mischnutzungen, die leistbaren Raum für Kulturschaffende, Start-ups oder Ateliers schaffen.

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