Paraplegie November 2014 deutsch

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November 2014 | Nr. 152

paraplegie Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung

Neuer Lebensmut als Mutter Oliver ist Tatiana Mazzas Sonnenschein

Angehörigen-Austausch | «Behinderten-Kultur» | Stephan Welz


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Editorial

Liebe Gönnerinnen und Gönner

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ine Querschnittlähmung zu ertragen, stellt für die Betroffenen eine riesige Herausforderung dar. Der Schock, das Unfassbare, die Ängste und Veränderungen,

die damit verbunden sind, erfassen schlagartig auch das gesamte Umfeld. PatientenPeers, also erfahrene Para- und Tetraplegiker als Ansprechpersonen für neu betroffene Querschnittgelähmte, sind im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil seit 2007 erfolgreich im Einsatz. Mit ihrer oft langjährigen Erfahrung unterstützen sie die Ratsuchenden beim Finden von erprobten Lösungen und zweckmässigen Antworten. Es freut mich deshalb, dass die Schweizer Paraplegiker-Stiftung den Auftrag erteilt hat, dieselbe Dienstleistung für Angehörige zu testen. Der Alltag und die Rollen innerhalb einer Partnerschaft, einer Familie werden sich nach einer Querschnittlähmung für alle verändern. Ein Austausch mit dem Angehörigen-Peer kann helfen, Wege aufzuzeigen. Denn was könnte stärkender sein als das vertrauliche Gespräch mit einer angehörigen Person, die mit denselben Herausforderungen und Fragen konfrontiert war? Wenn sich Menschen mit Behinderung auf die Suche nach neuen Wegen oder «nochMöglichem» machen, entwickeln sie oft erstaunliche Fähigkeiten und Tatendrang. Sie werden Künstler, treten als Politiker aufs Parkett, erkennen Berufschancen oder entdecken als Sportler neue Leidenschaften. Ich kann den in der Reportage porträ­tierten Kunstschaffenden nur zustimmen: Eine neue Berufung kann das Leben erfüllter machen. Sich wieder etwas zutrauen, sich in der Gesellschaft wertvoll und gleich­berechtigt fühlen, das sind zentrale Themen, um wieder glücklich und zufrieden einen bereichernden Alltag zu leben. Ihnen, liebe Gönnerinnen und Gönner, danke ich herzlich für Ihre wertvolle Unterstützung: Sie sind solidarisch und ideell die Peers für uns Rollstuhlnutzer.

Heinz Frei Präsident Gönner-Vereinigung IMPRESSUM: Paraplegie. Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, www.paraplegie.ch 38. Jahrgang  | Ausgabe: November 2014 / Nr. 152  | Erscheinungsweise: vierteljährlich in Deutsch, Fran­zösisch und Ita­lienisch  | Gesamtauflage: 954 490 Exemplare  | Auflage Deutsch: 855 631 Exemplare  | Copyright: Abdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin und der Redaktion. Herausgeberin: Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, 6207 Nottwil, sps@paraplegie.ch | Verantwortlich: Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Unternehmenskommunikation, 6207 Nottwil | Redaktion: Manuela Vonwil (Leitung), Mathias Haehl, redaktion@para­ plegie.ch | Bild: Walter Eggenberger, Beatrice Felder, Astrid Zimmermann-Boog | Layout / Vorstufe: Regina Lips, Michael Kling, Karin Distel | Anzeigen: Fachmedien Axel Springer Schweiz AG, 8021 Zürich, info@fachmedien.ch | Vorstufe / Druck: Swissprinters AG, 4800 Zofingen

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Inhalt

6 News Nottwil bereitet sich auf den bedeutendsten Behindertensport-Anlass in der Schweiz vor: die UCI Para-cycling Strassen-Weltmeisterschaft im Sommer 2015.

10 porträt Tatiana Mazza erlebte vor sechs Jahren einen tragischen Reitunfall und machte dunkle Zeiten durch. Die Geburt ihres Sohnes Oliver im Sommer 2013 brachte wieder viel Sonnenschein ins Leben der 34-jährigen Tessinerin. Mit neuer Energie geniesst die Ergotherapeutin ihre Kleinfamilie, in der auch zwei Hunde eine Rolle spielen.

14 reportage – «Behinderten-Kultur» Kultur bringt Menschen mit Behinderung Freiheit und Respekt des Umfelds. Wenn sie malen wie Roland Burkart, musizieren oder auf Schauspielbühnen spielen, dann kommunizieren sie mit der Welt. Kunst sorgt so für Integration und fördert soziale Anerkennung. Und die Kulturschaffenden können dabei Lebens­qualität zurückgewinnen.

20 Zur Sache Die Diagnose Querschnittlähmung verändert die Lebensrollen und -pläne ganzer Familien. Wenn nichts mehr ist, wie es war, kann ein Gespräch mit einem Menschen, der dieselbe Erfahrung gemacht hat, Zuversicht geben.

26 praxis Der WHO-Bericht «Querschnittlähmung – Internationale Perspektiven» ist ein neues wichtiges Nachschlagwerk für Entscheidungsträger aus Gesundheitswesen und Politik. Wissenschaftler der Schweizer Paraplegiker-Forschung haben massgeblich mitgearbeitet.

32 Mein Tag im Rollstuhl Der ehemalige Bergsteiger Stephan Welz will unbedingt wieder auf die Gipfel, auch wenn der Bündner bei einem Arbeitsunfall abstürzte und sich den Rücken brach. Dem Paraplegiker bleibt Hoffnung, er sagt: «Glaube versetzt Berge!»

34 Finale

Ansichten zum Thema «Krankenkasse» von Martin Senn.

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News

Die vom Swiss Paralympic Committee Geehrten auf einen Blick. (sitzend v.l.n.r.) Tobias Fankhauser, Alexandra Helbling, Bojan Mitic, Marcel Hug, Patricia Keller, Manuela Schär, Heinz Frei, Beat Bösch, Christoph Kunz; (stehend v.l.n.r) Patrick Stoll und Philipp Handler. Auf dem Bild fehlt Jean-Marc Berset.

Ein Dutzend Sportler geehrt An der traditionellen Athletenfeier durch das Swiss Paralympic Committee wurden zwölf Sportlerinnen und Sportler geehrt, die in diesem Jahr an Paralympics, Welt- oder Europameisterschaften Medaillen gewonnen hatten. Unter den erfolgreichsten paralympischen Athletinnen und Athleten strahlte Christoph Kunz aus Reichenbach (BE), Goldmedaillengewinner im Riesenslalom der Paralympics 2014.

Splitter Jobs für Menschen mit Behinderung Bis ins Jahr 2020 soll ein Prozent der 2800 Stellen in der Berner Stadtverwaltung mit Mitarbeitenden mit einer Behinderung besetzt sein. Den Zuschlag für eine in Frage kommende Stelle erhalten Personen mit einer Behinderung, wenn sie gleichwertige berufliche Qualifikationen wie ihre Mitbewerbenden vorweisen. Behindertentauglicher Wohnraum Sämtliche ab 2016 bezugsbereiten 146 Wohnungen der neuen Berner Wohnsiedlung Stöckacker-Süd sollen rollstuhlgängig gebaut werden. Ausserdem wird eine Testwohnung eingerichtet, wo handicapierte Menschen über mehrere Monate ausprobieren können, ob sie den Alltag mit nur wenig Unterstützung bewältigen können. Dieses Angebot richtet sich an Personen, die bislang in einem Heim wohnten.

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Die elf anderen Preisträger kamen aus den Sportarten Leichtathletik und Rad (Para-cycling). Rollstuhl-Leichtathletin Alexandra Helbling wurde mit dem Newcomer-Award ausgezeichnet. Die 21-Jährige aus Emmenbrücke (LU) überzeugte in den letzten Jahren mit guten Platzierungen über die Mitteldistanzen und holte an den Europameisterschaften 2014 in Swansea (Wales) über 400 m eine Bronzemedaille.

Aussergewöhnliches geleistet Die Schweiz schickte an der Leichtathletik-EM in Swansea (Wales) neun TopAthleten in den Wettkampf, um sich mit rund 560 Konkurrenten aus 45 Ländern zu messen. Nach Hause brachten sie 17 Medaillen: Neben der vierfachen Europameisterin Manuela Schär (29) war Marcel Hug (28) mit drei Gold- und einer Bronzemedaille erfolgreichster Schweizer Athlet. An der Para-cycling Strassen-WM in Greenville (USA) fuhr das Schweizer Trio Jean-Marc Berset (54), Tobias Fankhauser (25) und Heinz Frei (56) gleich beim ersten Rennen aufs Podest und erkämpfte sich, hinter den Teams aus Italien und den USA, den dritten Platz im Staffelrennen. Heinz Frei sicherte sich gar den WM-Titel im Zeitfahren auf der 8 km langen Strecke. Schlechte Strassenverhältnisse und viel Wind erschwerten das diesjährige Rennen am Chicago Marathon (USA). Manuela Schär fuhr, 22 Sekunden hinter der US-amerikanischen Titelverteidigerin Tatyana McFadden, auf den zweiten Platz. Bei den Europameisterschaften im Rollstuhl-Badminton in Murcia (Spanien) holte sich ein Schweizer Duo fünf Medaillen: Weltmeisterin Karin Suter-Erath (43) brillierte und wurde dreifache Europameisterin (Einzel, Mixed und Doppel). Sonja Häsler (37) gewann zusammen mit Karin Suter-Erath das Doppel, wurde zweite im Mixed und dritte im Einzel. Von den insgesamt 19 Nationen erreichte das Zweierteam aus Basel Rang drei, hinter England und der Türkei.


Agenda

Kanton fördert Luzerner Sportler Der Kanton Luzern nimmt zwölf weitere Athleten aus den Disziplinen Rudern, Ringen, Kunstturnen, Rollstuhlsport, Schiessen, Schwimmen und Schwingen ins Olympia- und Topsportlerteam auf. Die Sportler – darunter Rollstuhlfahrerin Manuela Schär – erhalten finanzielle

und ideelle Unterstützung in Vorbereitung auf die Olympischen Sommerspiele, die Paralympics in Rio de Janeiro 2016 sowie weitere sportliche Grossanlässe. Der Betrag von jährlich maximal CHF 12 000 pro Teammitglied stammt aus Lotterieerträgen von Swisslos.

Miss und Mister Handicap 2014 Andrea Berger und Felice Mastrovita heissen die neuen Botschafter für Menschen mit Behinderung. Gegen zehn weitere Kandidaten haben sich die beiden Gewinner in der Wahlnacht Ende Oktober durchgesetzt. Die 20-jährige angehende Kauffrau aus Schwarzenburg (BE) lebt mit einer Erkrankung des peripheren Nervensystems. Nach dem Motto «Wer kämpft, kann verlieren – wer nicht kämpft, hat bereits verloren», hat sich die Bernerin für die Miss-Handicap-Wahlen angemeldet. Felice Mastrovita, 32 Jahre, wohnt in Dübendorf (ZH). Der gelernte Heizungsmonteur ist inkompletter Paraplegiker, er sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl. Als Botschafter möchte der gebürtige Italiener die Freizeitund Kulturzugänglichkeit für Menschen mit Behinderung verbessern und sie motivieren, mehr an öffentliche Veranstaltungen zu gehen. Aufgabe der beiden Botschafter im kommenden Jahr ist es, Brücken zwischen Menschen mit und ohne Behinderung zu bauen.

22. / 23.  November Weihnachtsmarkt SPZ Nottwil 26. November Lesung mit Ralph Dutli SPZ Nottwil Bibliothek im Gebäude GZI (19.30 Uhr) 3. Dezember Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung unter dem Motto «Wir reden mit!» 28. März 2015 Rollivision SPZ Nottwil 15. April 2015 Mitgliederversammlung der Gönner-Vereinigung der SPS Nottwil

Brückenbauer. Andrea Berger (20) und Felice Mastrovita (32) sind Miss und Mister Handicap 2014.

Rollstuhl-Spielplatz für alle Rodtegg, die Stiftung für Menschen mit körperlicher Behinderung, hat in der Stadt Luzern einen 2400 Quadratmeter grossen Natur- und Abenteuer-Rollstuhl-Park eröffnet. Der hindernisfreie Spielplatz lässt Kinderherzen höher schlagen: Ein Karussell, Tunnelrutschen, eine Brücke mit Aussichtsplattform, Wasserspielgeräte, eine Rollstuhlrennstrecke mit Leitplanken, eine Schaukel für Rollstühle und ein Kletterberg laden ein zum Spiel. Zu den Favoriten zählt das Vierjah-

reszeitenbecken, das in ein Heubad, Planschbecken, Laubbad oder ein Eisfeld verwandelt werden kann. Idee des neuen Spielparks ist, Menschen mit und ohne Behinderung einander näher zu bringen. Die Kosten von CHF 1.4 Mio. wurden vollumfänglich privat finanziert. Familienspass auf dem Eis Ein weiteres Familien-Freizeitvergnügen bieten unter anderem Kunsteisbahnen in

Yverdon, Bern und Le Locle. Sie stellen eine Metall-Plattform auf Kufen zur Verfügung, die es ermöglicht, bequem mit dem Rollstuhl auf dem Eis zu gleiten. Offeriert wurden die Eisgleiter von der Stiftung Cerebral, die im Rahmen des Projektes «Schlittschuhfahren für Menschen im Rollstuhl» für die Wintersaison 2014/2015 rund 20 Kunsteisbahnen in der ganzen Schweiz mit Eisgleitern ausstatten möchte.

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News

Die Radwelt misst sich in Nottwil Vom 28. Juli bis 2. August 2015 wird in Nottwil die UCI Para-cycling StrassenWeltmeisterschaft stattfinden. 28 Rennen mit gegen 400 Athleten aus allen fünf Kontinenten sowie ein attraktives Rahmenprogramm sollen die WM zum bisher bedeutendsten Behindertensport-Anlass in der Schweiz machen. Text: Roland Spengler | Foto: Tina Achermann

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ie UCI Para-cycling-Weltmeisterschaft 2015, unter dem Patronat der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, kündigt sich als facettenreiches Sport- und Volksfest mit nationaler Ausstrahlung an. Zentrum des Geschehens während fünf Tagen wird die Sport Arena Nottwil sein. Hier befinden sich Start und Ziel aller Rennen, die – mit einer Ausnahme – über einen 15.5 Kilometer langen Rundkurs in Nottwil und Umgebung führen. Dieser ist auf der ersten Hälfte mit happigen Steigungen, auf der zweiten mit schnellen, kurvenreichen Abfahrten gespickt. «Eine sehr selektive Strecke, auf der ein Massensprint am Ende eines Rennens schwer vorstellbar ist. Gewinnen können hier nur TopAthleten. Nebst Kraft sowie Ausdauer sind auch technische Fertigkeiten und hohe Konzen­tration bis zum letzten Meter gefordert», sagt Nationaltrainer René Savary.

René Savary (65), Ex-Radprofi aus Oberriet (SG), betreut die Schweizer Handbike-Fahrer seit 2011.

Die Konkurrenz wächst Zwar kommt das Profil des WM-Parcours den Fähigkeiten der Schweizer entgegen, doch darin schon eine Erfolgsgarantie zu sehen, wäre vermessen. Denn die WM dieses Jahres in Greenville (USA) hat gezeigt, dass die Besten noch näher zusammengerückt sind sowie für Titel und Medaillen immer mehr Fahrer in Frage kommen. Savary: «Die Professionalisierung schreitet unaufhaltsam fort. In etlichen Ländern unternimmt man, gerade auch mit Blick auf die Paralympics 2016 in Rio de Janeiro, vermehrte Anstrengungen, damit sich Spitzenathleten voll und ganz dem Sport widmen können. Bedauerlicherweise fehlen entsprechende Voraussetzungen bei uns.» Hohe Zielsetzungen beibehalten Eine Weltmeisterschaft, zumal im eigenen Land, ist Grund genug, mehr zu investieren. Gemeint sind damit zuerst Umfang sowie Qualität der individuellen Vorbereitung potenzieller WM-Teilnehmer. Im Februar 2015 steht ein Trainingslager im Ausland auf dem Programm. Danach folgen Einsätze bei mehreren topbesetzten Rennen, darunter an den Weltcuprennen in Yverdon (VD) und an den C1-Rennen in Oensingen/Recherswil (SO), die Aufschluss über Formstand und Leistungsvermögen geben werden. Den letzten Schliff holen sich die WM-Fahrer nach der Selektion im Juli in Nottwil. Die besten

Chancen auf einen Platz im Schweizer Team haben derzeit jene fünf Athleten, die dem Nationalkader angehören. René Savary hätte jedoch nichts dagegen, wenn sich der Kreis der Kandidaten noch erweiterte: «Ich wünsche mir sehr, dass sich der eine oder andere aus der zweiten Reihe im Laufe der kommenden Monate deutlich steigert und für eine Teilnahme am wichtigsten Wettkampf des Jahres aufdrängt. Interne Konkurrenz wirkt in der Regel beflügelnd und würde unsere Ausgangslage nur verbessern.»

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Zweisamkeit. Tatiana Mazza spielt mit ihrem Sohn Oliver in seinem Kinderzimmer.


PORTRÄT

«Oliver ist die Sonne meines Lebens» Tatiana Mazza (34) erlebte dunkle Zeiten, seit sie vor sechs Jahren bei einem Reitunfall eine Querschnittlähmung erlitt. Die Geburt ihres Sohnes Oliver im Juli 2013 führte die Tessinerin wieder auf die Sonnenseite, und heute betrachtet sie ihr Leben als erfüllende Existenz. Selbst im Rollstuhl. Text: Mathias Haehl | Fotos: Astrid Zimmermann-Boog

K

lein Oliver tapst von der Küche auf die Terrasse, der 15 Monate alte Junge zermatscht mit breitem Lächeln und sichtlichem Genuss eine Tomate zwischen den Fingern. Er wird «umtanzt» von zwei Hunden: Border Collie Brio ist scharf auf das Stück Brot in Olivers anderer Hand, während der wirblige Jack Russell Terrier Trilly vorbei in die Stube rennt und den Anwesenden Blumenstengel vom Balkon vor die Füsse legt. «Die Hundedame will nur spielen», ruft Tatiana Mazza aus der offenen Küche. Die Frau im Rollstuhl bereitet das Mittagessen vor, es gibt Salat und Pasta. Doch immer wieder wird sie unterbrochen: durch Telefonate von Kunden, die einen Termin in Mazzas Ergotherapie-Praxis Farfalla (deutsch: Schmetterling) wollen; der Postino bringt ein Paket und Post, zudem lobt er den «hübschen kleinen Herrn Oliver». Und nebenbei soll die Hausherrin auch noch dem Journalisten dieses Magazins Auskunft geben und für die Kamera lächeln.

brechen, um den hingefallenen Sohn auf den Schoss zu nehmen. «Amore mio», streichelt und tröstet sie ihren weinenden Buben. Die Frau wirkt zufrieden, trotz der Hektik. Ihr Gemüt ist derzeit hell, doch das war lange Zeit nicht so. «Erst Oliver brachte mir Freude in mein Leben zurück. Heute schmiede ich wieder Pläne, ich freue mich zuzuschauen, wie mein Sohn wächst. Er hat schon sechs Zähne ...» Ein Reitunfall hatte die damals 28-jährige Frau aus der Bahn geworfen. Die früher sehr Sportliche – sie übte sich in Klassiktanz, Eiskunstlauf und Snowboarding – war viel geritten, hatte sogar bei SpringreitWettbewerben mitgemacht. Doch bei einem Hindernissprung im Training fiel sie vor sechs Jahren vom Pferd; ein verzweifelter Hufschlag des Tieres brach Tatiana die Wirbelsäule. «Mehr noch: Der Unfall brach mein Leben.»

Zufrieden trotz Hektik Es herrscht Umtriebigkeit im gelben Einfamilienhäuschen in Rancate, einem kleinen Vorort von Mendrisio im hügeligen Tessin. Tatiana Mazza hat die rollstuhlgängigen Zimmer bunt bemalt und mit farbigen Möbeln eingerichtet. Die gelernte Dekorationsgestalterin hat eine Vorliebe für fröhliche Farben und Blumen. «Hier fühle ich mich endlich wohl ...», sagt sie am Tisch. Sie muss den Satz unter-

Hausfrau. Ihr Einfamilienhäuschen in Rancate (TI) hält Tatiana Mazza allein in Schuss.

Ihre Erinnerungen an die Operation und die acht Monate lange Rehabilitation im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil sind von Traurigkeit geprägt. Sie hatte schon früher grossen Respekt vor der Spezialklinik, und als man ihr als «Fussgängerin» vor ihrem Unfall ein Ergotherapie-Praktikum im SPZ angeboten hatte, hatte sie abgelehnt. «Ich glaubte, ich könnte diesen Ort voller Menschen im Rollstuhl nicht ertragen. Weil eine Querschnittlähmung ja meist so endgültig ist. Weil man die Wirbelsäule nicht einfach wie einen gebrochenen Arm flicken kann.» Nur noch weinen Und plötzlich lag sie 2008 selber monatelang in einem der 140 SPZ-Betten. Die einst so unternehmungslustige Frau verzweifelte fast, weil sie nicht mobil war. «Trotz guter Rundumversorgung fiel ich in ein Loch,


Porträt

ich wollte nur noch weinen. Da konnte mir selbst Physiotherapeutin Ines Bersch, die wie ein ‹Engel› für mich sorgte, nicht helfen.» Obwohl sich auch ihre Eltern Doris (66) und Andrea (69) sowie Schwester Romina (40) rührend um sie kümmerten und sie, wie viele Freunde, regelmässig besuchten, kam sie lange Zeit nicht aus dem Tief heraus. «Ich sah mein Leben verwirkt, ich glaubte nicht an die Zukunft.» Distanz zu allen und allem Das Tief hielt nach der Rehabilitation auch zu Hause im Tessin weiter an. Tatiana Mazza erzählt von Sorgen und Problemen: Papierkrieg mit Ämtern und Versicherungen, Ärger mit Vermieter und Trennung von der Geschäftspartnerin. Mit ihr hatte sie sich 2007 selbstständig gemacht; sie kümmerten sich um Rehabilitationspatienten mit operierten Händen. «Zu diesen Problemen kam dazu, dass die Wohnung der Eltern nicht rollstuhlgängig war, sodass ich einen Monat in einem Hotel in Como, Italien, wohnte.» Tatiana Mazza suchte in dieser Zeit bewusst Distanz zu allen und allem. Sie zweifelte an Gott, denn es könne doch nicht dessen Plan sein, Menschen in den Rollstuhl zu bringen. Jahrelang drehten sich ihre Gedanken weiter um Negatives. Gut hatte sie eine Aufgabe: ihren Beruf, den sie nach der Rehabilitation

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weiterhin ausüben konnte. Zwei Jahre nach dem Unfall schuf sie sich ihre eigene Praxis. Später liess sie sich ihr eigenes behindertengerechtes Häuschen bauen, dies auch dank der finanziellen Unterstützung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, wofür sie heute noch sehr dankbar ist. «Ich arbeitete drei Jahre am Stück, ging nie in die Ferien und sparte für mein eigenes Zuhause. Und ich wollte mich ablenken, um nicht an mein Schicksal denken zu müssen.» Neu verliebt So lernte sie Marco kennen, einen ihrer Patienten. Drei Jahre hatte die junge Frau keine Gefühle zu Männern mehr zugelassen; sie, die früher unbeschwert in einer Partnerschaft lebte. «Ich hatte Angst, mich Marco anzuvertrauen, weil ich auch von anderen Menschen Ablehnung erfahren hatte, seit ich im Rollstuhl sass.» Marco versprach ihr, den Beinersatz nicht zu beachten. Also verliebte auch sie sich, und die beiden zogen zusammen. Bald wurde sie schwanger. «Ich hätte nie gedacht, dass ich eine gute Mutter werden könnte», gibt sie zu. Doch ihre Ärztin sagte: «Sie können dem Kind zwar nicht nachspringen, aber sie entwickeln andere Qualitäten. Sie schaffen das, auch im Rollstuhl!» Das

machte Tatiana Mazza Hoffnung. Die werdenden Eltern freuten sich zusehends auf die anstehende Geburt. Schwanger – und allein Vorerst zumindest. Denn im siebten Schwangerschaftsmonat verliess Marco ihr Häuschen; der bereits zweifache Vater zog zu seinen Eltern zurück. «Und seither herrscht Funkstille.» Sie wirft einen liebevollen Blick auf ihren Sohn, der mittlerweile mit den beiden Hunden herumtollt. «Ach ja, der Vater fehlt ihm schon!» Und wieder muss sie Oliver nachfahren, der sein Essen an die Hunde verfüttert. «Basta!», sagt sie, mit einem Lächeln. Es fällt ihr schwer, die Wünsche des Kleinen nicht immer zu erfüllen. «Er ist mein Sonnenschein!» Der alltägliche Rummel kommt ihr recht, Ablenkung tut ihr gut. «Ich liebe meine Hunde, machte nebenbei in Bellinzona eine Ausbildung zur Hundedresseurin. Und an der technisch-medizinischen Schule in Lugano gebe ich angehenden Bewegungstherapeuten Unterricht.» Doch manchmal, da komme sie schon an ihre Grenzen, gibt sie zu, ein unsicheres Lächeln huscht über ihr Gesicht. Obwohl, jetzt am Tisch wirkt sie souverän: Sie füttert Oliver, wehrt die bettelnden Hunde ab


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« Ich kann zwar nicht mehr gehen – doch ich kann denken und meine Hände gebrauchen.» und versorgt Eltern und Reporter mit Essen und Trinken. Es ist erstaunlich, wie Tatiana Mazza den Haushalt und ihre «drei Kleinen», Oliver und die Hunde, im Griff hat. «Ach, die machen ja keine Probleme», sagt sie mit einer abweisenden Handbewegung. «Ich habe mich lange schwach gefühlt. Oder auch sehr verletzlich. Etwa, als zweimal Einbrecher in mein Haus eindringen wollten.» Doch Hirtenhund Brio vertrieb die Diebe, und seit den Einbrüchen hat sie eine Alarmanlage installiert. Wieder kämpferischer geworden Inzwischen ist Tatiana Mazza wieder kämpferischer geworden. Das bestätigen auch ihre Eltern: «Tatiana ist hartnäckig, sie macht immer, was sie will – und das kommt meistens gut. Zudem bewundern wir sie für ihre

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Autonomie.» Und die Tochter redet sich in Rage, wenn sie an die Missstände für Rollstuhlfahrer im Tessin denkt. «Das fängt schon hier am Bordstein der Quartierstrasse an, geht über den Zugang zum Kinderhort und hört bei den vielen Restaurants der Gegend auf, die ich aufgrund von Hindernissen nicht befahren kann.» Es gäbe etliches zu tun, aber viele Politiker drückten sich um die Verantwortung. Wenn sie noch Zeit hätte, würde sie sich vermehrt engagieren. Ja, sie sitze im Rollstuhl. «Aber ich kann arbeiten. Ich kann zwar nicht mehr gehen – doch ich kann denken und meine Hände gebrauchen. Und ich habe Oliver; er ist mein Leben und meine Zukunft. Oliver gibt mir Kraft.»

1  Ergotherapeutin. In ihrer Praxis Farfalla betreut Tatiana Mazza Patienten mit operierten Händen. 2  Lehrerin. Sie bereitet den Unterricht vor, den sie in Lugano angehenden Bewegungstherapeuten gibt. 3  Naturliebend. Tatiana Mazza tollt gerne mit Oliver und ihren Hunden Brio und Trilly herum. 4  Unterstützung. Grossmutter Doris Mazza liebt es, sich um ihren Enkel Oliver zu kümmern und so Tochter Tatiana zu helfen.

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Die Kraft der Kunst sprengt Grenzen Menschen im Rollstuhl spielen auf Schauspielbühnen, sie malen und musizieren. Kultur gibt ihnen Freiheit und bringt Respekt des Umfelds. Sie lässt sie mit der Welt in Dialog treten – und die Behinderung vergessen. Kunst sorgt für Integration und fördert damit soziale Anerkennung.


Š Roland Burkart

Reportage


Reportage

Text: Mathias Haehl | Fotos: Beatrice Felder, Walter Eggenberger und zVg

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enschen mit Querschnittlähmung oder anderen Behinderungen haben oft eine jahrelange «medizinische Karriere» hinter sich. Sie haben genug von Krankenhäusern und Therapien, sie suchen Ablenkung und Geborgenheit in Natur und Kultur. Spazieren oder Sporttreiben kann Erholung bringen – durch Kunstschaffen spüren sie sich oft gar noch mehr: Menschen mit Behinderung können ihre Kreativität fördern, ihre Gefühle ausdrücken, mit Kunstkonsumenten in Kontakt treten und sich so integrieren. Alles das schätzt Victor Bisquolm an der Kunst. Der 65-jährige Maler und Bildhauer stammt aus dem Bündnerland, er lebt und arbeitet

seit langem in Berlin. Als 17-Jähriger erlitt er einen Skiunfall, brach sich den Rücken und ist seither auf den Rollstuhl angewiesen. Kultur war ihm stets wichtig: «Schon als Kind habe ich gerne geschnitzt, dann lebte ich meine Kreativität als technischer Zeichner aus und habe später drei Jahre Kunst studiert.» 15 Jahre wirkte er in Australien, wo er an der Universität von Warrnambool bei Melbourne den Bachelor of Arts absolvierte und gar in der Nationalgalerie Canberra ausstellen durfte. Mittlerweile zieren seine Gemälde und Plastiken nicht nur diverse Galerien, sie stehen und hängen auch im Schweizer ParaplegikerZentrum in Nottwil.

Erfüllend und anregend Victor Bisquolm kann von seiner Kunst leben, er betont: «Es ist erfüllend und anregend, dass ich mich durch Kunst ausdrücken kann. Oft gehe ich bewusst auch an meine Grenzen. Etwa, wenn ich als Steinmetz Klötze von mehreren hundert Kilos bearbeite; dann schüttelt mein Arzt schon mal den Kopf.» Manchmal fragen Besucher an Bisquolms Vernissagen verblüfft: «Was, das haben Sie gemacht?» Der Künstler lächelt dann ob deren Unglaube. «Bei meiner Arbeit kann ich mich vergessen – ich will nicht rumsitzen, Bier trinken und rauchen.» Victor Bisquolm beklagt, dass manche Querschnittgelähmten gar kein Ziel

Leben für die Kunst. Der Bündner Wahlberliner Victor Bisquolm kann von seiner Bildhauerei und Malerei leben.


Kreativer Fluss. Der Luzerner Roland Burkart ist stolz, neue Welten zu erschaffen (siehe Seiten 14 /15).

mehr hätten, er nennt sie «Paschaplegiker». Er will aktiv bleiben, dazu muntert ihn auch sein Arzt auf: «Ihr Körper sagt schon, wenn er genug hat – tun Sie ruhig, was Sie glücklich macht!» Neue Welten erschaffen Später auch einmal von seiner Kunst leben zu können wie Victor Bisquolm, dahin zielt das Schaffen des Luzerners Roland Burkart. Der 33-Jährige fiel 2007 aus zehn Metern Höhe, als er in seinem ersten Beruf als Flachmaler eine Fassade verschönerte. Er wollte nach dem Unfall weiterhin in einem ähnlichen Metier tätig bleiben und meldete sich an

der Kunsthochschule an. Stolz erklärt er: «Als einer von mehr als 100 Bewerbern hatte ich das Glück, einen der 15 Plätze an der Schule zu bekommen.» Roland Burkarts Talent wurde trotz eingeschränkter Mobilität seiner Hände schnell ersichtlich. Der Tetraplegiker kann seinen Rollstuhl und seine Behinderung vergessen, wenn er mit Stiften und Pinseln malt oder am Computer mit der Maus seinen Ideen freien Lauf lässt. Roland Burkart interessiert sich vor allem für Illustrationstechniken, und er kommt ins

Schwärmen, wenn er Schweizer Zeitungscartoonisten wie Nico Cadsky, Patrick Chappatte oder Felix Schaad erwähnt, die mit treffendem Strich Polit- oder Wirtschaftsereignisse auf den Punkt bringen. Roland Burkart sagt:

Schwebende Kunst. Sue Austin taucht als «Wheel­chair-Diver» im Rollstuhl.

Provokation oder kraftvolle Kunst? Wie war das mit Vincent van Gogh (1853–1890)? Ein Aufschrei ging durch die Kulturszene, als er sein Selbstporträt mit einem blutigen Verband über dem Ohr in Öl verewigte – man sah Kunst eines verzweifelten Künstlers. Das ungeschönte Werk eines manisch-depressiven Malers, der an mangelndem Selbstvertrauen litt, war eine Provokation für das Publikum. Schockieren ist seit jeher ein probates Mittel, um auf Kunst aufmerksam zu machen. Auch Behinderungen werden dabei immer wieder thematisiert: Pop-Sängerin Lady Gaga wollte provozieren, als sie sich 2011 bei der Präsentation zu ihrer CD «Born this Way» im Rollstuhl fotografieren liess. Es war ein pietätloser Affront, befanden Fans. Bryan Adams, kanadischer Rocksänger, machte als Fotograf Schlagzeilen: indem er versehrte britische Soldaten mit Prothesen zur Schau stellte. «Grenzgängig» und «umstritten» war die vorherrschende Meinung in Internetforen. Eindrückliche Kunst Zur Schau stellen: Das war und ist das Ziel der Kunst. Aktionskunst ist eine der lebendigsten Arten der Zurschaustellung. In der Axis Dance Company aus den USA machen Menschen mit Behinderung seit 27 Jahren Tanzkunst. Die britische Paraplegikerin Sue Austin liess sich als Taucherin im Rollstuhl filmen. Das Video «Wheelchair-Diver» brachte der Performance-Künstlerin viele lobende Kommentare ein: «herzerwärmend», «kraftvolle Kunst». Kraftvolle Jazzmusik machte Michel Petrucciani (1962–1999). Es war eindrücklich zu erleben, wie der Glasknochenkranke Klavier spielte. «Behindertenbonus» Oft wird Künstlern mit Behinderungen vorgeworfen, sie nutzten Mitleid aus. Klassikexperten spotteten beispielsweise über den blinden Tenorsänger Andrea Bocelli: Er sei unbegabt, und die Hallen seiner Konzerte seien nur voll, weil er den «Behindertenbonus» ausspiele. Dass Andrea Bocelli aber mit seiner Bühnenpräsenz analog zum blinden Soulsänger Stevie Wonder oder dem Jazzer Ray Charles beim Publikum viel Emotion und Begeisterung zu schaffen vermochte, bleibt dabei vergessen.

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Reportage

Lebenskraft wecken. Marianne Tay Hangartner, Kunsttherapeutin im Schweizer Paraplegiker-Zentrum, hilft einer Patientin beim Malen.

«Zeichnen gibt mir Befriedigung. Wenn es mir läuft, komme ich in einen künst­lerischen Fluss. Und erschaffe neue Welten ...» Er plant, eine Teilzeitanstellung als Illustrator zu finden und sich einem Gemeinschaftsatelier anzuschliessen. Es tut Zuschauenden weh, wenn er sich den Griffel mühsam in die Hand klemmen muss und sich beim Zeichnen verrenkt. Doch er schafft Auf- und Anregendes, diverse Bilder an den Wänden seiner Wohnung zeugen davon. Trotz Behinderung sagt Roland Burkart zufrieden: «Ich lebe für meine Kunst, ich habe eine neue Berufung.» Theaterspiel ist das Schönste Ebenfalls eine Berufung in der Kunst hat der Schwyzer Hanspeter Annen (65) gefunden: Seit der Gründung der Laiengruppe

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«Bühne 66» verfolgte er das Theaterspiel voller Bewunderung. Bis er dann als 17-Jähriger mitmachen durfte – und seither in mehr als 30 Stücken auf der Bühne stand. Er sagt: «In eine Rolle zu schlüpfen und herauszuschälen, was einen Menschen ausmacht, das ist für mich das Schönste!» Der langjährige Versicherungs-Generalagent leidet seit 2011 an der ALS-Krankheit (Amyotrophe Lateralsklerose), bei der sich Nerven und Muskeln abbauen. Seit zwei Jahren kann er sich nur noch im Rollstuhl fortbewegen und musste sich frühpensionieren lassen. «Mir bleiben die Spazierfahrten mit meiner Partnerin – und das Theater.» Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, kommt Hanspeter Annen in Fahrt. In einer Theater-Umsetzung des Buches und Filmes «Ziemlich beste Freunde» von Philippe Pozzo

di Borgo hat er vor mehr als 1000 Zuschauenden ein Dutzend Mal die Hauptrolle gespielt und viele Menschen berührt. Er war Mittelpunkt der Geschichte einer Freundschaft zwischen einem Unternehmer im Rollstuhl und dessen Pfleger, wider Erwarten und über die Gesellschaftsschichten hinweg. «Es war wohl meine letzte grosse Rolle», sagt Hanspeter Annen, der im letzten Jahr den Kulturpreis der Gemeinde Schwyz erhalten hatte. «Ich bin dankbar, das Theater gab mir viel Lebensfreude und Kraft. Dies hilft mir, mein unausweichliches Schicksal, den baldigen Tod, besser zu ertragen.» Lebensmut neu wecken Der Rollstuhl kann auch eine Chance sein, bislang unentdeckte Qualitäten zu entwickeln: Marianne Tay Hangartner, Kunsttherapeutin


Heike Meyer Egli (53) ist Dozentin am Institut für Heilpädagogik in Bern und bietet Coaching im Rahmen unterstützter Beschäftigung an. Sie publizierte zur schulischen Integration von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung.

«Kunst ist ein Akt persönlicher Befreiung» Heike Meyer Egli, wie profitieren Menschen mit Behinderung von künstlerischer Betätigung? Sie hat die gleichen Funktionen wie bei nichtbehinderten Menschen: Künstlerische Betätigung kann Ausdrucksmittel oder Hobby sein, der Entspannung und dem Stressabbau dienen, therapeutische Qualität haben oder gar Profession sein.

Rollenspiele. Für den Schwyzer Hanspeter Annen ist es das Schönste, Rollen von Theaterstücken einzustudieren.

im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ), erinnert sich an einen Bergbauern mit Händen wie Schaufeln, der mit Engelsgeduld auf feinste Art Enziane modelliert hat. Die Therapeutin sagt: «In der Unausweichlichkeit, mit dem Rollstuhl leben zu müssen, nimmt sich manch einer Zeit, sein Leben zu ändern.» Und sie erklärt: «Wir wollen im SPZ mit der Kunsttherapie die innere Kreativität und den Lebensmut von frisch Querschnittgelähmten neu wecken. Denn oft leben sie nach einem Unfalltrauma sehr nach innen gerichtet und verschliessen sich nach aussen.» Beispiele wie Victor Bisquolm, Roland Burkart oder Hanspeter Annen zeugen von Erfolg. Kunst kann Menschen zwar nicht heilen – aber ihnen Lebensqualität zurückgeben.

Was motiviert dabei am meisten? Von zentraler Bedeutung ist, dass Kunst ermöglicht, eigene Ausdrucksformen zu finden. «Behinderung» ist von der Weltgesundheitsorganisation WHO als soziale Beeinträchtigung definiert. Behinderung in diesem Sinn kann im Rahmen künstlerischer Ausdrucksformen überwunden werden. Kunst eröffnet Menschen mit Beeinträchtigung Zugang zu sozialer Anerkennung, die ihnen sonst leider oft vorenthalten bleibt. Künstlerische Tätigkeit kann also ein Akt der persönlichen Befreiung sein. Welche Kunstsparten eignen sich besonders für Menschen im Rollstuhl? Prinzipiell alle Sparten. Letztlich entscheiden die verfügbaren Bewegungskompetenzen darüber, welche Kunstform praktiziert werden kann. Wichtig ist, wie Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit mit sozialer und/oder technischer Hilfe kompensiert werden können. Menschen mit Behinderung haben oft einen Mitleidsbonus, der Aufmerksamkeit garantiert. Setzen sie Provokation anders ein? Künstlerische Provokation werden sie wahrscheinlich zu den gleichen Zwecken einsetzen wie Personen ohne Beeinträchtigung. Also um aufzurütteln, ein Zeichen zu setzen und zum Nachdenken anzuregen. Es wäre zu wünschen, dass die Medien dies dann nicht wegen einem «Mitleidsbonus» aufgreifen. Sondern weil sie finden, dass es wichtig ist, die Botschaft einer grösseren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Können Personen testen, welche Kultursparte die für sie ideale ist? Ich sehe hierfür keinerlei Bedarf. Wie finden denn Sie und ich heraus, welche Form der Kunst die richtige für uns ist? Uns interessieren Ausdrucksformen, wir haben spezifische Begabungen oder wir haben Freunde, die künstlerische Ausdrucksformen an uns herantragen und so weiter. Kurz, das Bedürfnis und die Lust, eine Kunstform praktizieren zu wollen, stehen am Anfang. Und dann gilt es einfach auszuprobieren.

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zur Sache

Erfahren und gefragt Die Diagnose Querschnittlähmung bedeutet, das Leben neu zu gestalten. Dies trifft nicht nur auf den Patienten zu, sondern gleichermassen auf sein nahes Umfeld. Für Angehörige erprobt das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil ein zusätzliches Angebot: den Austausch mit erfahrenen Angehörigen von Querschnittgelähmten, sogenannten Angehörigen-Peers.

Gesprächsvorbereitung. Die erfahrene Angehörige Alexandra Marbach hat viele Antworten und Tipps. Sie nutzt die Abendstunde auf ihrer Terrasse, um die wichtigsten Gedanken zu notieren.


Text: Manuela Vonwil | Fotos: Walter Eggenberger, Beatrice Felder

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s ist etwas Schlimmes passiert, du musst sofort ins Spital kommen!» Ein solcher Anruf kann abrupt die Lebenspläne mehrer­er Menschen verändern. Auf dem Weg ins Spital und während bangen Stunden des Wartens auf Neuigkeiten schwanken ihre

Gefühle zwischen Hoffnung und Ohnmacht. Wenn nach den Untersuchungen die Diagnose Querschnittlähmung bestätigt wird, ist der Schock gross. «Der erlittene Schmerz von Partnern, Müttern, Vätern, Kindern und Geschwistern ist unendlich», weiss Thomas Weber. Er ist einer von mehreren Psychologen am Schweizer ParaplegikerZentrum (SPZ) Nottwil. Zusammen mit dem Team der Sozialberatung bieten sie einerseits therapeutische, andererseits emotionale und organisatorische Unterstützung an. Sozialberaterin Cordula Ruf kennt die Fragen,

Reden und Wissen machen stark Gemäss einer klinikinternen Umfrage aus dem Jahr 2013 vermissen Angehörige den verbalen und emotionalen Austausch mit einer Bezugsperson, die den Rehabilitationsprozess, die Rückkehr nach Hause und den Alltag zusammen mit einem querschnittgelähmten Menschen selber erlebt hat. «Man weiss einzig aufgrund persönlicher Erfahrung, wie sich eine Mutter, ein Ehepartner, ein Sohn oder ein Schwager in dieser Situation fühlt», ist sich Pflegefachfrau und Stationsleiterin Sabine Felber bewusst. Sie ist verantwortlich für das Pilotprojekt «Angehörigen-Peer», welches den Austausch zwischen Angehörigen während der Rehabilitationsphase unterstützt (siehe Box). Es ist

« Gespräche über neue Chancen machen Mut.» welche im ersten Moment im Vordergrund stehen: Wo kann ich hier übernachten? Wer kümmert sich um die Kinder? Wer schaut zu den Haustieren? Wie erhalte ich freie Tage von meinem Arbeitgeber, um bei meinem Partner, bei meinem Kind zu sein? Zukunftsfragen, verbunden mit emotionalen Entscheidungen, werden danach wichtig; ebenso Gespräche mit Menschen, die eine ähnliche Erfahrung gemacht haben.

eine von mehreren Massnahmen zur verbesserten Integration von Angehörigen in den Rehabilitationsalltag. Laut der Umfrage sind auch die Weiterbildung von Angehörigen und der Peer-Austausch nach dem Spitalaustritt ein grosses Bedürfnis. «Jedes Angebot, das die Angehörigen stärkt und sie Verantwortung übernehmen lässt, kommt schlussendlich dem querschnittgelähmten Menschen zugute», ist Sabine Felber überzeugt. Sie hat für das Pilotprojekt drei Angehörigen-Peers rekrutiert, die seit Anfang Jahr im SPZ im Einsatz sind. Zusammen teilen sie sich ein 50 % -Pensum.

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zur Sache

Ruth Kreiliger (55) ist Angehörigen-Peer im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil. Ihr Mann ist seit einem Kletterunfall im September 2009 querschnittgelähmt. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder.

Verstehen gibt Sicherheit Ruth Kreiliger, an wen haben Sie sich nach dem Unfall Ihres Mannes gewandt, als es die Angehörigen-Peers noch nicht gab? Ich suchte den Kontakt zu erfahrenen Rollstuhlfahrern und ihren Angehörigen. Von ihnen wollte ich möglichst rasch aus erster Hand erfahren, wie der Alltag verläuft. Sie haben mir Ausblick auf das künftige Leben mit meinem Mann im Rollstuhl, als Ehepaar und als Familie, gewährt. Von ihnen zu hören, welche Fortschritte sie machen oder wie sie gemeinsam in die Ferien fahren und welche Freizeitaktivitäten sie unternehmen, waren Lichtblicke. Wie haben Sie sich selber Sorge getragen? Ich habe mich zurückgezogen, als ich es brauchte, das eine oder andere Telefon

Angehörige wollen andere Information Eine davon ist die 31-jährige Alexandra Marbach. Vor sieben Jahren erhielt die junge Frau den unerwarteten Anruf: Ihr Freund ist zehn Meter vom Baugerüst gestürzt. Sie erinnert sich an die zehnmonatige Rehabilitation im SPZ Nottwil: «Mein Freund hat täglich ein intensives, vielfältiges Training absolviert und dabei viel von Ärzten, Pflegefachper­ sonen und Therapeuten gelernt.» Alexandra Marbach selber benötigte nicht dieselbe Tiefe an Querschnitt-Fachwissen, sie suchte nach anderen Informationen. «Es gehen einem so viele Gedanken durch den Kopf. Das Fachpersonal gab mir Auskunft, wann immer ich danach verlangte. Trotzdem blieben Fragen unbeantwortet,

unbeantwortet gelassen und Hilfe bewusst angenommen oder gar gesucht. In meiner Familie hatte ich zeitweise eine Kontaktperson, welche Neuigkeiten familienintern weitergeleitet hat. Neue Informationen, und davon gab es zu Beginn viele, waren nicht immer einfach einzuordnen. Hier war ich beharrlich und habe bei den Fachpersonen nachgefragt. Verstehen gab mir Sicherheit. Nach und nach habe ich versucht, meine früheren Routinen wieder aufzunehmen. Ich habe mir auch einige Tage Urlaub gegönnt, um wieder ein bisschen zu mir zu finden. Was beinhaltet Ihre Aufgabe als Angehörigen-Peer? Es gibt so viele Faktoren und offene Fragen, welche Partner, Eltern, Kinder belas­ ten können. Existenzängste, Zukunftsaussichten, die neuen Rollen in einer Partnerschaft, der Umzug in eine rollstuhlgängige Wohnung, aber auch die Planung des Alltags oder der Freizeit werden zum Thema. Darüber reden hilft. Gerade zu Beginn, wenn der Schock tief sitzt, ist das Erzählen wichtig, dann höre ich einfach zu. Später, wenn die Zukunft greifbarer wird, folgen die konkreten Fragen. Hier kann ich Tipps aus meinem Alltag geben. Angehörige schätzen, wenn ich ihnen im SPZ Nottwil zeige, wo sie gewünschte Angebote finden. Besonders gerne führe ich sie in die Bibliothek, weil sie eine Ablenkung zum Klinikalltag bietet, oder auf die Dachterrasse des Guido A. Zäch Instituts, da man dort oben wieder einmal «den Überblick» hat. Was hat Sie motiviert, Angehörigen-Peer zu werden? Heute, fünf Jahre nach der Diagnose Querschnittlähmung, kann ich sagen, dass es uns als Paar und Familie gut geht. Oft ging es nur in kleinen Schritten voran, aber es gibt einen Weg. Als Angehörigen-Peer kann ich davon erzählen und anderen Mut machen. Das bedeutet mir viel. Zukunftsaussichten. Die Bibliothek im Guido A. Zäch Institut bietet Rückzugsmöglichkeit für ein offenes Gespräch zwischen Angehörigen. Paraplegie, November 2014 |

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Angehörige einbeziehen die sich mir im Alltag mit einem Tetraplegiker stellten.» Mangels Peer-Angebot suchte Alexandra Marbach damals den Austausch mit erfahrenen Para- und Tetraplegikern im SPZ Nottwil. Neben ihr stehen heute Ruth Kreiliger (siehe Interview) und Reinhold Hunkeler als erfahrene Angehörige für Gespräche mit neu betroffenen Angehörigen zur Verfügung. «Manchmal stammen die grossen Weisheiten von einem Angehörigen oder einem Rollstuhlfahrer und nicht von der Fachperson», anerkennt Psychologe Thomas Weber das Peer-Angebot.

Erfahrungsaustausch. Reinhold Hunkeler, Ruth Kreiliger und Alexandra Marbach treffen sich regelmässig mit Projektleiterin Sabine Felber (v.r.n.l.).

Mitbetreuung durch Angehörige wird für das Schweizer Gesundheitswesen zunehmend wichtig: Pflegekräftemangel, wachsende Bevölkerungszahl im Rentenalter, Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenpflege, steigende Gesundheitskosten setzen das Gesundheitssystem unter Druck. Angehörige haben unmittelbaren Einfluss auf das Resultat der Patienten-Rehabilitation. Mit einem umfassenden Rehabilitationskonzept stellt das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) sicher, dass diese gezielt in den Rehabilitationsprozess einbezogen werden. Dies geschieht einerseits durch den Austausch mit Ärzten, Pflegefachpersonen und Therapeuten ebenso wie mit Mitarbeitenden der Psychologie, Sozialberatung, Seelsorge, Lebensberatung und des Patientensupports, andererseits durch spezielle Angebote. Dazu gehören Informations- und Schulungstage zur Vermittlung von querschnittspezifischem Fachwissen, der Aufenthalt in Übungswohnungen für Paare und Familien, spezialisierte Pflegeberatung zu Hause durch ParaHelp sowie Entlastungsferien für Betreuende. Angehörigen-Peer im SPZ Nottwil Peer bedeutet «Gleichgestellter», «Ebenbürtiger». Der Angehörigen-Peer hört zu, erzählt von eigenen Erfahrungen und macht Angehörige mit den Angeboten der Schweizer Paraplegiker-Gruppe vertraut. Seine Rolle grenzt sich dadurch klar vom beruflichen Fachpersonal ab. Der Angehörigen-Peer ist selber Ehepartnerin, Freundin oder naher Verwandter eines Tetra- oder Paraplegikers. Das Peer-Angebot für Angehörige im SPZ Nottwil ist schweizweit einmalig. Beauftragt von der Schweizer Paraplegiker-Stiftung befindet es sich in einer Pilotphase, welche Ende 2014 abgeschlossen und evaluiert wird. Bereits seit 2007 erfolgreich im Einsatz sind Patienten-Peers, also erfahrene Para- und Tetraplegiker als Ansprechpersonen für neu betroffene Querschnittgelähmte.

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praxis

WHO-Erfolg mit Nottwiler Forschern Die Schweizer Paraplegiker-Forschung (SPF) hat zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen bedeutenden Bericht über die weltweite Situation von Querschnittlähmung veröffentlicht. Kürzlich nominiert für den wichtigsten europäischen Buchpreis, erhält der WHO-Weltbericht – und damit die SPF – international hohe Anerkennung. Text: Manuela Vonwil | Foto: Per von Groote

Schweizer ParaplegikerForschung (SPF) Mit der SPF verfügt die Schweizer Paraplegiker-Stiftung über eine international wettbewerbsfähige Forschungsinstitution. Ihre Forschung umfasst klinische und gesellschaftliche Projekte. Das Tätigkeitsgebiet erstreckt sich über die ganzheitliche Funktionsfähigkeits- und Rehabilitationsforschung und fördert somit eine nachhaltig bessere Gesundheit.


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s sind bemerkenswerte Neuigkeiten, welche Per von Groote von der Schweizer Paraplegiker-Forschung (SPF) verkündet: «Unser internationaler Gesundheitsbericht wurde für den europäischen Buchpreis für medizinische Bücher nominiert. Das kommt einer Oscar-Nominierung gleich. Wir haben zwar nicht gewonnen, gehören jedoch unter insgesamt 700 eingereichten Titeln zu den sieben Büchern, die als ‹sehr empfehlenswert› in der Kategorie ‹Public Health› ausgezeichnet wurden.» Einmal pro Jahr vergibt die British Medical Association (BMA), Herausgeberin des renommierten British Medical Journal (BMJ), diesen wichtigen Preis. Beim Bericht handelt es sich um ein 250 Seiten starkes Werk (siehe Box), das von Jerome Bickenbach und Per von Groote in Zusammenarbeit mit der WHO entwickelt und koordiniert wurde. Beide sind wissenschaftliche Mitarbeiter der SPF in Nottwil. «Wir haben dazu weltweit rund 200 Autoren rekrutiert, eine imposante Menge bestehender Daten ausgewertet, dutzende Betroffene interviewt sowie Expertisen und Erkenntnisse aus laufender Forschung miteinbezogen», offenbart Per von Groote. Verdiente und einmalige Chance Die WHO, bei diesem Projekt der starke Partner an der Seite der SPF, ist das mächtigste gesundheitspolitische Gremium der Welt. «Die Möglichkeit, zusammen mit der WHO einen Bericht genau zum Thema ‹Querschnittlähmung› zu verfassen, ist aussergewöhnlich. Dass es das SPF-Logo neben das WHO-Signet auf den Buchdeckel geschafft hat und dadurch weltweit verbreitet wird, macht uns schon ein bisschen stolz», sagt Per von Groote. Für diesen Erfolg haben die SPF und ihre Mitstreiter während fünf Jahren intensiv gearbeitet. «Damit existiert heute ein einzigartiger Bericht, der weltweit alle

Nominiert: «Querschnittlähmung – Internationale Perspektiven» Der internationale Gesundheitsbericht fasst wissenschaftliche Fakten und neuste Erkenntnisse zum Thema Querschnittlähmung zusammen. Er beschreibt die wichtigsten Ergebnisse sowie Massnahmen, wie das Gesundheitssystem Betroffenen effektiv helfen kann. Der WHO-Bericht war im September nominiert für den «2014 BMA Medical Book Award», den wichtigsten europäischen Buchpreis für medizinische Bücher. Soeben ist er auf Deutsch und Französisch erschienen. Mehr Informationen auf www.who.int / disabilities / policies / spinal_cord_injury / report /

Lebensbereiche von Menschen mit Querschnittlähmung beleuchtet», beschreibt er das Ergebnis. Erkennbare Trends mit Folgen Die neuen Erkenntnisse sind vielfältig. Global betrachtet sind Verkehrsunfälle häufigster Grund für eine Querschnittlähmung. Die gesammelten Informationen verdeutlichen aber, dass in Ländern mit hohem Nationaleinkommen vermehrt Krankheiten wie Krebs oder Osteoporose sowie Stürze die Ursachen sind. Hiervon sind vor allem ältere Menschen betroffen. «Das hat erhebliche Auswirkungen auf ein Land und sein Gesundheitssystem», erklärt Per von Groote. Werden länderspezifische Ergebnisse zu Ursachen, betroffenen Alters- und Bevölkerungsgruppen betrachtet, lassen diese Folgen erahnen für Kosten, Ausbildung, Nachwuchs in Gesundheitsberufen, Betreuung, ebenso wie für Prävention und Behandlung von Querschnittlähmung. Auch hochentwickelte Länder mit gut funktionierendem Gesundheitssystem stehen vor grossen Herausforderungen – gerade weil die Lebenserwartung, auch mit Querschnittlähmung, zunimmt.

Nachschlagwerk für Entscheidungsträger Mit dem Beitritt zur UNO Behindertenrechtskonvention (BRK) bekennt sich die Schweiz seit 2014 klar zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Der umfassende WHO-Bericht zeigt hiesigen Entscheidungsträgern, wie sich die Konvention in der Schweiz umsetzen lässt. Für die WHO steht nun die weltweite Umsetzung der im Weltbericht beschriebenen Empfehlungen im Vordergrund. Dabei geht es unter anderem um Verbesserungen im Gesundheitssektor, bei der Beschäftigung und Selbstständigkeit von Menschen mit Querschnittlähmung, aber auch bei der Haltung gegenüber behinderten Menschen. Anlässlich sogenannter «Stakeholder-Dialoge» werden die Wissenschaftler der SPF mit bedeutenden Akteuren aus Gesundheitswesen, Politik, Forschung und Entwicklung zusammenkommen. Ziel ist es, sie über die Konsequenzen von Querschnittlähmung zu informieren und von der Notwendigkeit von Reformen zu überzeugen.

Arbeitsrisiko in Nepal. Gemäss WHO-Bericht erleiden weltweit jedes Jahr zwischen 250 000 und 500 000 Menschen neu eine Querschnittlähmung. Paraplegie, November 2014 |

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Mosaik

ISO-Zertifikat für SPS Mit grosser Freude konnte Direktor Joseph Hofstetter im September das ISO-Zertifikat 9001:2008 für die Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) ent­gegennehmen. Zu den zertifizierten Bereichen gehören neben der Direktion der Stiftung Unternehmenskommunikation und Marketing, Immobilien, Finanzen und Controlling, Unternehmensentwicklung, Direkthilfe sowie Rechtsdienst. Überreicht wurde das Zertifikat von Astrid Kassowitz von der Firma Kassowitz & Partner AG. In ihrem Bericht zur Erstzertifizierung der Stiftung gratulierte sie zum sehr guten Resultat: «Die Leistungserfüllung der SPS-Mitarbeitenden ist auf hohem Niveau. Das Zertifikat ist ein neutraler Nachweis ihrer ausgezeichneten Leistung zum aktuellen Zeitpunkt. Es beinhal­tet aber auch die Verpflichtung, sich permanent weiterzuentwickeln und zu verbessern.» Während der nächsten beiden Jahre findet nun jährlich ein Aufrechterhaltungsaudit statt und 2016 die Rezertifizierung. Bereits Ende 2013 hatte das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) die ISO-Zertifizierung erlangt.

Freude herrschte bei der Zertifikatsübergabe. (v.l.n.r.) Stiftungsratspräsident Daniel Joggi mit Hund Inka, Robert Arnold, Projektleiter Prozess- und Qualitätsmanagement SPZ, Astrid Kassowitz von der Zertifizierungsstelle Kassowitz & Partner AG, Joseph Hofstetter, Direktor SPS, und Céline Dori, wissenschaft­liche Mitarbeiterin SPS.

Jung und selbstbestimmt Im Schweizer Paraplegiker-Zentrum finden vom 13. bis 31. Juli 2015 die bekannten Jugendrehab-Wochen statt. Das Angebot richtet sich an Jugend­ liche im Alter von 12 bis 17 Jahren mit angeborener oder früh erlittener Querschnittlähmung. Mit einem massgeschneiderten, abwechslungsreichen Programm werden die Selbstständigkeit für den Alltag gefördert, Begeisterung für Sport geweckt, bei gemeinsamen Aktivitäten das Selbstbewusstsein

gestärkt und Weichen für die Zukunft gestellt. Denn nur mit hoher Autonomie haben junge Menschen im Rollstuhl Aussicht auf Chancengleichheit und bessere Lebensqualität. Die Überweisung durch den behandelnden Arzt ist bis 28. Februar 2015 möglich. Weitere Informationen: Andrea Violka, T +41 41 939 60 60, E-Mail: jugendrehab.spz@paraplegie.ch, www.paraplegie.ch

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Namentlich PD Dr. med. Timo Hinrichs, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Schweizer Paraplegiker-Forschung, hat die langfristigen Effekte körperlicher Aktivität und Belastung im mittleren Alter auf die Gesundheit im Alter untersucht. Daraus lassen sich praktische Konsequenzen für die Arbeitsplatzgestaltung von heute 40- bis 60-Jährigen ableiten. Für seine For­schung wurde er Ende August mit dem Vonto­bel-Preis für Alter(n)sforschung und am 1. September mit dem Preis der Dr. Heinz und Helene Adam Stiftung ausgezeichnet. Tobias Fankhauser, erfolgreicher Behindertensportler aus Hölstein (BL), konnte am 30. September im Schloss Ebenrain in Sissach den mit CHF 15 000 dotierten Kantonalbankpreis 2014 der Jubiläumsstiftung der Basellandschaftlichen Kantonalbank entgegennehmen. Der 25-Jährige lebe Menschen mit Behinderung vor, wie Schicksalsschläge neue Perspektiven eröffnen könnten, würdigte Regierungs- und Stiftungsrat Urs Wüthrich die Leistungen von Tobias Fankhauser.

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besondere Spenden

Grosszügige Kollekte Die 16. Töffsegnung des Motorradclubs Born führte 800 Bikerinnen und Biker aus den Kantonen Aargau, Bern, Baselland, Schaffhausen, Schwyz, St. Gallen, Zug und gar aus Deutschland und Frankreich nach Solothurn auf Kappels Hausberg zur Bornkapelle. Pfarrer Josef Hurter, Ehrenmitglied ohne Motorrad und entsprechendem Führerausweis, hatte einen anstrengenden Einsatz: Er segnete jeden einzelnen Töff und benötigte dazu 10 Liter Weihwasser. Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung durfte sich über die eingezogene Kollekte in der Höhe von CHF 3700 freuen.

Engagement hat Tradition Ende August machte die Katholische Frauengemeinschaft Bazenheid (SG) einen Ausflug nach Nottwil. Die 37 Frauen hatten CHF 1500 mit im Gepäck, die sie der Schweizer Paraplegiker-Stiftung persönlich überbrachten. Der gespendete Betrag ist das Ergebnis des traditionellen Schöggeliverkaufs mit Tombola anlässlich ihrer Hauptversammlung 2014. An einer Führung durch das Schweizer Paraplegiker-Zentrum liessen sie sich über das umfassende Leistungsnetz zugunsten querschnittgelähmter Menschen informieren. Das Gesehene und Gehörte hinterliess bei den Teilnehmerinnen «einen prägenden Eindruck».

«Getunte» Spende Die Tuning Society hatte zur fünften Tuning Night nach Tägerwilen (TG) eingeladen. Teilnehmer aus vielen Ländern Europas folgten dem Aufruf, sodass weit über 600 Autos, von dezent getunt bis extrem verändert, zu bestaunen waren. Zu den häufigsten Unfällen mit Folge Querschnittlähmung zählen Verkehrsunfälle. Die Organisatoren der Tuning Society wollten deshalb nicht nur ein

Tuningtreffen veranstalten, sondern auch ein Zeichen setzen: Sie spendeten der Schweizer Paraplegiker-Stiftung CHF 3333 aus ihrer Sammelaktion «Tuner tun Gutes». Marcel Erne (rechts im Bild), Präsident der Tuning Society, überreichte den Scheck persönlich in Nottwil an Johannes Bolliger vom behindertengerechten Fahrzeugumbau der Orthotec.

Jubiläum bewegt zur Spende Die Firma Schiller feiert dieses Jahr ihr 40-jähriges Bestehen. Das Unternehmen entwickelte sich zu einem heute international führenden Hersteller von Geräten auf dem Gebiet der Herz- und Lungendiagnostik, Defibrillation und Patientenüberwachung. Schiller AG, seit Anbeginn dem Retten von Leben verpflichtet, nimmt das Jubiläum zum Anlass, der Schweizer Paraplegiker-Stiftung mehrere Defibrillatoren und Trainingsgeräte zu Ausbildungszwecken zu spenden. Persönliche Spendenübergabe. Jenny Beeler, Communications Manager (links) und Claudia Schiller, Head of Marketing, beide von Schiller AG, mit Helge Regener, Geschäftsführer Schweizer Institut für Rettungsmedizin (Sirmed). 30 | Paraplegie, November 2014


Mosaik

Gut beraten «Uneingeschränkt mobil» heisst ein neuer TCS-Ratgeber. Erstellt wurde er unter anderem in Zusammenarbeit mit der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Die Publikation richtet sich an körperlich eingeschränkte Menschen. Sie enthält nützliche Kontaktadressen und zeigt vielfältige Möglichkeiten und Lösungen auf, um weiterhin mobil zu bleiben. Gratis herunterladen unter www.ratgeber.tcs.ch

Mit Plan gegen Schmerzen In der Schweiz ist eine von sechs Personen von chronischen Schmerzen betroffen. Das Zentrum für Schmerzmedizin des Schweizer Paraplegiker-Zentrums hat den englischen Kurzfilm «Schmerz verstehen und wissen, was dagegen zu tun ist» übersetzt. Der Film erklärt, warum bei anhaltenden Schmerzen eine ganzheitliche Sicht und planvolles Vorgehen hilfreich sind. Weitere Informationen unter www.schmerz-nottwil.ch / schmerzvideo

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Strassenhelfer lernen in Nottwil Pannenhelfer, die sich auf die Berufsprüfung «Strassenhelfer mit eidgenössischem Fachausweis» vorbereiten, absolvieren das Ausbildungsmodul «Mensch/Rettung» in Nottwil. Hier üben sie, wie sie Nothilfe leisten können, wenn sie als erste am Unfallort eintreffen. Instruiert werden sie im Schweizer Institut für Rettungsmedizin (Sirmed). Der neue Beruf wird gesamtschweizerisch durch den Verein «RoadRanger» angeboten.

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Briefe an die Stiftung

Ein Stück Freiheit Mit Freude habe ich die erste Tour mit meinem Handbike mit Elektroantrieb gemacht. Ohne Ihren finanziellen Beitrag wäre es undenkbar gewesen, den Traum eines eigenen Bikes zu verwirklichen. Gemeinsam mit Freunden eine Biketour zu machen, ist jetzt möglich. Das ist wunderbar. Daniela Fuchs, Baar ZG Unterstützt von der Schweizer ParaplegikerStiftung konnte ich einen Rollstuhl anschaffen. Besonders möchte ich den Mitarbeitenden der Orthotec in Cugy (VD) danken für die Qualitätsarbeit beim Anpassen des Rollstuhls. Nun kann ich wieder Ausstellungen besuchen und einkaufen gehen. Bernard Boulens, Genf Unser neues Auto ist umgebaut, und ich kann wieder ohne fremde Hilfe ein- und aussteigen. Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung hat die Kosten für die Anpassung übernommen. Nur dank dieser Unterstützung kann ich von den erstaunlichen technischen Errungenschaf-

Treppensteigen leicht gemacht

ten profitieren. Und diese erleichtern mein Leben sehr. Erik te Beest, Muhen AG Ein herzliches Dankeschön für Ihren finanziellen Beitrag zur Anschaffung eines Handbikes. Dieses Sportgerät hilft mir, physisch und psychisch fit zu bleiben. Es bietet mir einen Ausgleich, bringt Freude in meinen Alltag und erlaubt mir, vermehrt soziale Kontakte zu pflegen. Matthieu Montavon, Boécourt JU Unser Seniorenausflug führte ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil. Sie haben den rund 70 Senioren auf eindrückliche, emotionale und unvergessliche Art aufgezeigt, mit welchem Engagement Sie querschnittgelähmte Menschen pflegen, ins «neue» Leben eingliedern, begleiten und unterstützen. Meine Frau und ich sind bereits Gönner. Unseren drei Kindern werden wir zu Weihnachten eine Gönner-Dauermitgliedschaft schenken. Markus Gabriel, Adligenswil LU

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Leidenschaft für Berge. Stephan Welz und seine Frau Brigitte planen neue Touren.

Stephan Welz Der 55-Jährige stammt aus Trogen (Appenzell Ausserrhoden). Mit seiner Frau Brigitte (55) und Sohn Florian (19) lebt der ehemalige Bergführer in Davos Platz; die 22-jährige Tochter Yvonne wohnt ganz in der Nähe. 2008 stürzte er bei einem Arbeitsunfall 50 Meter tief auf Asphalt. Der Paraplegiker lag zwei Monate im Koma. Er arbeitet in einem Teilzeitpensum für Argo, die bündnerische Stiftung für Integration von Menschen mit Behinderung.


Mein Tag im Rollstuhl

« Glaube kann Berge versetzen» Stephan Welz aus Davos war leidenschaftlicher Bergsteiger. Bei einem Arbeitsunfall fiel er 50 Meter tief und brach sich den Rücken. Mit der Hilfe seiner Familie rappelte er sich wieder auf. Der 55-Jährige im Rollstuhl hat einen Traum: «Eines Tages will ich wieder auf die Berge.»

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Aufgezeichnet von Mathias Haehl | Foto: Marcel Giger

Morgens wache ich gegen acht Uhr auf, dann hilft mir meine Frau Brigitte beim Aufstehen. Ohne ihre Unterstützung geht bei mir gar nichts! Wir frühstücken zusammen, meist Milch und Müesli. Die Spitex geht mir fast täglich bei der Grundpflege zur Hand. Seit meinem Arbeitsunfall vor sechs Jahren bin ich querschnittgelähmt. Ich weiss noch ganz genau, wie sich der Schicksalsschlag ereignete: Tagelang hatte ich mit anderen Bergführern im Auftrag des kantonalen Tiefbauamtes oberhalb der durch Steinschlag gefährdeten Prättigauerstrasse Steine weggeräumt. Wir hingen mit Seilen gesichert in der Wand. Doch an jenem Freitag, 29. Februar 2008, war ich unachtsam und stürzte in die Tiefe. Zwei Monate im Koma Während des Falls war ich hellwach, ich versuchte irgendwo Halt zu bekommen. Ein Wunder, dass ich den Sturz auf den Asphalt überlebte! Erst beim Aufprall verlor ich das Bewusstsein; ich lag zwei Monate im Koma. Die Ärzte hatten wenig Hoffnung, dass ich überleben würde. Im Kantonsspital Chur und danach in der Klinik Valens kam meine Familie jeden Tag ans Bett – bis ich aufwachte und mich eines Tages ins Gespräch einmischte ... Es folgten fünf harte und intensive Monate im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil, weil ich als Querschnittgelähmter mit einer

zusätzlichen schweren Hirnverletzung vieles neu erlernen musste. Ich schätzte das Topangebot der Therapien sehr und die Natur rund um die Spezialklinik: Jeden Tag drehte ich im Rollstuhl meine Runde zwischen Sempachersee und Wiesen. 50 Viertausender bestiegen Die Liebe zur Natur habe ich schon seit meiner Kindheit, deshalb wurde ich Landwirt. Später arbeitete ich als Forstarbeiter, als LKW-Chauffeur oder Flughelfer. Auch das Bergführerpatent machte ich und leitete von 1987 bis 2003 Touren. Ich habe 50 der 55 Viertausender der Alpen bestiegen, war gar bei der Viertbegehung des Ama Dablam in Nepal dabei. Was für Gefühle ich auf dem 6856 Meter hohen Traumgipfel hatte? – Das war die totale Freiheit, und ich war so stolz auf meine körperliche Leistung. Es bleibt mir der Blick aufs Tinzenhorn, wenn ich mittags zusammen mit meiner Frau und Sohn Florian esse. Einen Tag pro Woche arbeite ich bei Argo, der bündnerischen Stiftung für Integration von Menschen mit Behinderung. Ich bearbeite Kunststoffknochen für medizinische Ausbildungszwecke. Nicht mein Traumjob – aber ich kann etwas machen und bin unter Leuten. Physio- oder Ergotherapie füllen meine anderen Nachmittage. Der Verlust meiner Selbstständigkeit macht mir schwer zu schaffen.

Die Sorgen vergesse ich abends bei einem gemütlichen Znacht in trauter Familienrunde. Als politisch interessierter Mensch – Abstimmen gehört für mich zur Pflicht als Schweizer – schaue ich gerne historische Filme, wie unlängst ‹Grüningers Fall›, die Rehabilitation des Schweizer Judenretters. Danach kann ich in Ruhe einschlafen. Gäste wurden Freunde Wenn ich so gegen 22 Uhr die Augen zumache, laufen vor meinem geistigen Auge Filme aus der Bergwelt ab. Ich träume oft und sehe Bilder, wie ich Gäste aus fremden Ländern auf die Gipfel führte. Ich wollte ihnen etwas bieten, Freude bescheren. Das scheint mir gelungen zu sein, denn mehrere Gäste sind heute Freunde, die mich manchmal besuchen. Die Berge sind hier in Davos zwar nah, aber nur zu ihnen hochschauen reicht mir nicht. Eines Tages will ich unbedingt wieder bergsteigen! Nicht nur mit den Bahnen auf die Gipfel fahren. Als motorbegeisterter Ex-Chauffeur mache ich auch gerne Schifffahrten. Ich bin Mitglied der Dampferfreunde des Thunerund Brienzersees; auf diesen Seen bin ich umgeben von wunderbaren Gipfeln. – Ach ja, die Berge! Der Mensch soll Träume haben, sagt man. Die Ärzte machen mir da zwar keine Hoffnungen; aber wie heisst es doch: Glaube kann Berge versetzen.

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Finale

Krankenkasse - kranke Kasse Schon wieder  zu  wenig Kohle  …

Prämien Martin Senn ist freischaffender Illustrator.

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