„IRGENDWO ZWISCHEN O-TON UND 'IST DOCH SO, ODER?'“
Interviews über Interviews
von Kerstin Petermann
I n h a l t Tocotronic (Dirk von Lowtzow) 1000 Robota Die Sterne (Frank Spilker) Go exclusive – Interviews über Interviews mit deutschen Musikbands.
> T O C O T R O N I C <
Dirk von Lowtzow, Jan Klaas Müller und Arne Zank treffen sich 1993 beim Studium (Jura, Jura und Grafik) in Hamburg. Heraus kommt die erfolgreichste Indie-‐Band Deutschlands. Nach 20 Jahren haben sie locker Platz Eins der Albencharts erreicht (2010 mit SCHALL UND WAHN) und sind trotzdem noch eine Indie-‐Band. Zwischendurch haben sie 2003 Rick Arthur McPhail als viertes Mitglied in die Band aufgenommen. Die Band unterstützt ProAsyl und das Simon Rau-‐Zentrum-‐Weißenfels.
Discographie: 1995 DIGITAL IST BESSER
1995 NACH DER VERLORENEN ZEIT
2005 PURE VERNUNFT DARF NIEMALS SIEGEN
1996 WIR KOMMEN, UM UNS ZU BESCHWEREN
1997 ES IST EGAL, ABER
1999 KOOK
2002 TOCOTRONIC
2007 KAPITULATION
2010 SCHALL UND WAHN
2013 WIE WIR LEBEN WOLLEN
Dazu kommen verschiedene Bonus-‐Alben: 1999 KOOK ENGLISCH 2000 KOOK VARIATIONEN 2003 10TH ANNIVERSARY
2005 THE BEST OF... TOCOTRONIC 2008 KAPITULATION LIVE
Empfehlungen: Arte „Durch die Nacht mit...“: Dirk von Lowtzow fuhr im April 2011 mit René Pollesch für Arte Durch Die Nacht. Die beiden Theater-‐Maniacs haben sich viel zu erzählen. ndr „Bernd im Bademantel“: Tocotronic sind in einer der nur 3 Folgen der Sendung zu Gast in Bernd Begemanns Küche.
2008
Pop Portrait. Bezauberndes und erhellendes Mixtape von Tocotronic. Die Vier stellen ihre Lieblingsstücke vor. Die sind bezaubernd, z.B. Klaus Beyers „Ballade von Struppi“ (ausgewählt von Jan Müller) oder „My New House“ von The Fall (ausgewählt von Dirk von Lowtzow). Woher wir wissen, wer welche Lieder gewählt hat? Von den Linernotes. Und die sind erhellend. Denn zu jedem Lied gibt es eine Geschichte – Zeig mir Deinen Plattenschrank und ich sag Dir, wer Du bist.
This Book Is Tocotronic: Ein Lesebuch – Die WegbegleiterInnen aus Kunst und Presse schreiben, was in ihren Köpfen so vor sich geht, wenn sie Tocotronic hören oder entdeckten. Erfahrungsberichte von u.a. Schorsch Kamerun, Frank Spilker und Catharina Rüss. Hörbuch: Dirk von Lowtzow liest H.P. Lovecrafts „Pickman’s Model“ Dokumentionen: „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“ von Vera Vogt (mit Jan Müller) Aufnahmezustand auf zdfKultur (Dirk von Lowtzow zusammen mit Dillon) Coverversionen: Turbonegro – „Sailorman“ Fuck – „1000 No“ Right Said Fred – „You’re my mate“
Was machen Tocotronic eigentlich sonst so? Dirk von Lotzow Phantom and Ghost (mit Thies Mynther) Zusammenarbeit mit Cosima von Borsody
Jan Müller
Arne Zank Rick McPhail
Gastsänger bei und Duette mit u.a.: Sharon Stoned (Sample and Hold) Justus Köhnke DJ Koze (Amygdala) Das Bierbeben Dirty Dishes Musikverlag mit Oliver Frank (Müller+Frank) DJ + Soloalben Comic-‐Veröffentlichungen Glacier of Maine
„Interviews zu geben ist ein Teil des Jobs.“ D a s I n t e r v i e w w u r d e ü b e r T e l e f o n g e f ü h r t . A m 1 7 . A u g u s t 2 0 1 0 h a b e i c h e i n e g u t e S t u n d e m i t D i r k v o n L o w t z o w t e l e f o n i e r t .
Dirk von Lowtzow ist der Sänger von Tocotronic. Die Band hat schon etliche Jahre Interviewerfahrung. Der Rolling Stone titelte im Januar 2010: „Deutschlands beste Band wird volljährig“. Trotzdem wird die Band noch nach den Trainingsjacken gefragt, die sie in ihrer Pubertät anhatte. Und nach der Bedeutung ihrer Liedtexte. Trotzdem hat Dirk von Lowtzow einen plausiblen Grund, Interviews wie dieses hier zu geben. Es soll ja in dem Interview um Eure Erfahrungen mit Interviews gehen. Ihr habt das bestimmt gerade mit Schall und Wahn ein bisschen hinter Euch, diese Interviewflut, die Ihr bewältigen müsst. Eigentlich Ja. Eigentlich Ja. Und kannst Du da mein Gefühl bestätigen, dass sich Fragen auch immer wieder wiederholen, so über die Jahre hinweg? Ja. Das lässt sich, glaube ich, auch gar nicht vermeiden, dass sich das wiederholt. Das ist ganz bestimmt ein strukturelles Problem. Also, es ist, glaube ich, sehr, sehr schwierig, sich als Journalist oder Journalistin i mmer wieder neue Fragen auszudenken. Also, wäre ich in der Situation, ich würde wahrscheinlich auch dasselbe fragen, was alle schon gefragt haben. Es ist nicht nur sehr, sehr schwierig, auf Fragen zu antworten, sondern es ist es auch schwierig, Fragen zu stellen. Das erfordert ein riesen Talent. Also, diese Wiederholungen gibt es bestimmt. Denkst Du da an bestimmte Fragen?
Hmmm… Also, mir fällt da keine ein. Klar, so Begrifflichkeiten wie Hamburger Schule, da kann man die Uhr danach stellen-‐ Das kommt dann immer. Hmmm… Also ich vergesse das dann glücklicherweise alles wieder… Ja, aber genau in die Richtung geht das natürlich. Also zum Beispiel, auch jetzt noch, nachdem das nun schon 15 Jahre her ist, wurdet Ihr kürzlich im ndr-‐Kulturjournal immer noch nach den Trainingsjacken gefragt… Achso, genau ja. Ja, das ist natürlich komisch, weil-‐-‐-‐ Naja, was soll man dazu sagen. Uns selber war das nie bewusst, dass das so ein Thema ist für die Leute und offensichtlich auch nach 15 Jahren immer noch so ein Thema ist. Das waren eben Klamotten, die wir angezogen haben. Wir fanden das cool. Und wenn ich Bilder von damals sehe, finde ich das auch heute noch cool. Aber nervt es Euch nicht, wenn Ihr da immer noch danach gefragt werdet, weil es ja auch mit der Musik eigentlich nichts zu tun hat? Ja, das wollte ich grade sagen: Für einen selber ist es dann eben doch schon 15 Jahre her und man denkt so: Naja, sooo wichtig war es jetzt auch nicht. (Dirk lacht dabei) Aber es scheint … — also versteh mich jetzt nicht falsch. Ich will uns da nicht so überschätzen — Aber das scheint irgendwie so eine Bedeutung zu haben ähnlich dem Pilzkopf bei den Beatles oder so. Irgendwie scheint es die Leute waaahnsinnig zu interessieren. Insofern-‐-‐-‐ ja es ist ok, aber es ist jetzt nicht so das Lieblingsthema, über das man spricht, weil es einfach auch ein bisschen langweilig ist und auch ein bisschen abgehakt. Welche Frage würdet Ihr denn gerne mal beantworten oder zu welchem Thema würdet Ihr gerne mal ein Interview machen? Puhhh (Dirkt überlegt.) Ich weiß nicht. Da fällt mir jetzt ehrlich gesagt nichts ein. Ich erinnere mich, dass ich ein Interview gemacht habe — das war ziemlich kurios — das war ein Interview mit einem Fashion Blog. Das fand ich eigentlich ganz witzig, weil es da mal um etwas ganz Anderes ging, nämlich um Klamotten und nicht um das Album. (Dirk lacht) Oder das Interview mit dem Lustigen Taschenbuch letztens… Genau, so was wie das Lustige Taschenbuch — Das war natürlich auch wahnsinnig witzig. Aber Ihr bleibt auch bei solchen Fragen nach Trainingsjacken höflich? (Dirk antwortet lang gezogen) Jaaa-‐ Also in den meisten Fällen bleiben wir höflich. Also ich weiß nicht… Ich finde das Klischee vom — in Anführungsstrichen — „schwierigen“ Künstler, der ganz schwer zu interviewen ist und dann zu Wutausbrüchen neigt… Das find ich irgendwie kitschig. Ich kann das nicht ab. Warum soll man Journalisten oder Journalistinnen
da mit seinen Allüren quälen. Die können ja auch nichts dafür, die machen ja auch nur ihren Job. Ich glaube, dass liegt ja in der Struktur der Sache selbst: Dass immer, wenn es um Pop-‐Musik geht, das Interview die adäquate Form zu sein scheint, um einen Artikel zu schreiben. Und das würde ich eben infrage stellen. Man erfährt durch Interviews oft weniger, als wenn der oder diejenige, die den Artikel schreibt, etwas über das Album schreiben würde, ohne vorher mit der Band gesprochen zu haben. Da wird immer vorausgesetzt, dass so ein Gespräch irgendwie gewinnbringend ist, aber vielleicht ist das gar nicht so gewinnbringend. Vielleicht ist es ja besser, einfach mal die Schnauze zu halten. Haha. Ihr werdet dann ja auch häufig damit konfrontiert, Eure Musik oder auch speziell die Texte zu interpretieren und zu deuten. Ja. Ich glaube, dass fällt Euch auch manchmal etwas schwer, oder? Du, das ist so: Kein Mensch kann das. Ich sage Dir das und da kannst Du jeden Musiker, Künstler, Schriftsteller oder was weiß ich fragen. Kein Mensch kann das. Weil es ist nicht der gottverdammte Job eines Künstlers oder einer Künstlerin, sein eigenes Werk zu interpretieren. Das ist so. Und wenn die das machen, das kannst Du Dir schwarz auf weiß ausrechnen, dann kommt da nur Mist dabei heraus. Es ist der Job des Rezensenten oder der Rezensentin, das zu tun, und nicht der Job der Künstler selbst. Man kann nicht seine eigenen Sachen interpretieren. Ihr habt es oft genug gesagt… Haha. Ja, weil es absoluter Quatsch ist. Das funktioniert nicht. Aber die Leute wollen es nicht verstehen… Richtig. Und wie aus Boshaftigkeit werdet Ihr immer wieder danach gefragt… Haha. Ja, das stimmt. Und ich kann das auch nachvollziehen. Weil als Journalist oder Journalistin ist man immer auf der Suche nach irgendeiner Bedeutung. Aber wenn es nun mal keine Bedeutung gibt und wenn es kein Dahinter gibt und wenn es einfach wunderschön ist, so wie es ist, dann ist das eben so. (lacht dabei) Und dann können wir das den Leuten auch nicht irgendwie begreiflich machen. Die Frage nach der Bedeutung sind eigentlich auch die schlimmsten. Und man versucht ja auch, die Sachen so zu machen, dass die irgendwie klar sind und die Leute das verstehen. Man hat dann auch immer so das Gefühl, wenn man das dann immer
erst noch erklären muss, dann kann das ja so toll nicht sein. Also, das ist auch schon frustrierend. Wie ernst könnt Ihr denn dann solche Fragen noch nehmen? Oder anders gefragt: Spielt Ihr manchmal auch mit den Interviewern? Puhhh (Dirk überlegt.) Ganz selten. Wir versuchen schon, die Leute ernst zu nehmen. Weil ich finde es blöd, wenn man die so auflaufen lässt und denen jetzt nur Quatsch erzählt. Ich will die auch nicht so behumpsen. Die machen eben ihren Job und das ist schon schwer genug. Ich habe selber schon Interviews geführt und ich weiß, wie schwierig das ist. Das ist wahnsinnig schwierig und da ist auch sehr viel Zufall im Spiel, wie bei jeder Begegnung. Da ist auch eine gewisse Chemie. Manchmal stimmt es eben und manchmal ist man mit Leuten konfrontiert, wo du denkst: Dem oder der möchtest du jetzt eigentlich nicht so gerne begegnen. Und da spielt Ihr dann doch immer mit? Ja. Wir versuchen schon immer als Band, die Journalisten und Journalistinnen ernst zu nehmen. Aber es kommt schon vor, dass man dann anfängt, nur noch rumzualbern. (Dirk lacht) Wenn man am Tag schon zwölf Interviews gemacht hat oder bestimmte Sachen irgendwie so aus dem Ruder laufen und man so kurz vorm Nervenzusammenbruch ist. Was kann denn der Interviewer oder die Interviewerin machen, damit Ihr Euch wohlfühlt? (Dirk seufzt nachdenklich) Also, ich weiß nicht… Wir sind nicht so anspruchsvoll. Du merkst, wir beide führen ja jetzt hier auch ein nettes Gespräch. Wir sind schon umgängliche Menschen. Ich meine nur, es ist ja im Prinzip wie ein Blind Date. Und Du siehst doch: Mit manchen Menschen kann man auf Anhieb ganz gut und mit manchen Leuten hat man das Gefühl… naja. Ich erzähl Dir da sicher auch nichts Neues. Dir wird das ja ähnlich gehen. Ja natürlich. Habt Ihr auch schon merkwürdige Interviewsituationen erlebt oder welche, in denen Ihr Euch unwohl geführt habt? Puhh, ja. Das kommt schon auch manchmal vor: Dass man das Gefühl hat, man redet total aneinander vorbei. Oder so Leute, da kommt man überhaupt nicht auf eine Wellenlänge im Gespräch. Das ist dann natürlich auch schon unangenehm. Und oft leidet man ja auch für die Leute mit, die da das Interview führen müssen. Man ist da dann auch selber wie gepeinigt. Denkst Du da an ein bestimmtes Interview? Ach nee…
Aber ich: Wo ich nämlich mit Euch mitgelitten habe oder mich gefragt habe, was Ihr denkt — das war das Interview mit Sarah Kuttner in ihrer Show. Sie begrüßt Euch mit den Worten: Sie hätte ein Tocotronic-‐Kindheitstrauma, weil Ihr Vater sie mit 13, 14 Jahren immer gedrängt hätte, Eure Musik zu hören, und sie zu jung war. Darum sei sie nie mit Euch warm geworden. Ist das clever, einem Interviewgast so etwas gleich zu Anfang zu sagen? Ach, so schlimm war das jetzt ja nicht. Ich kann Dir auch die Hintergrundgeschichte erzählen: Ihr Vater ist quasi mein Nachbar… Nein, oder? Also, ich kenne ihn jetzt nicht persönlich. Aber er ist ja Journalist und an der Volksbühne in Berlin tätig. Und der Kreis, in dem man sich bewegt, der überschneidet sich. Man kommt so aus dem selben Zusammenhang. Und da ist es natürlich schon ganz lustig, wenn man jetzt mit seiner Tochter konfrontiert wird und die eben sagt: Mein Vater hat mich früher immer mit Euch gequält, als ich vielleicht noch lieber Britney Spears hören wollte. Was man ja mit 12 oder 13 vielleicht auch besser hören sollte. Und das fand ich eigentlich ganz charmant. Dann war es also gar nicht so schlimm oder ein Fauxpas? Nein. Man darf ja nicht vergessen: Es ist wahnsinnig schwierig, so eine … naja … Latenight… Talkshow-‐mäßige Show zu machen. Da muss man ein unglaubliches Talent dafür haben. Und sie hat das ja immerhin auch, glaube ich, vier Mal die Woche gemacht. Da hat man auch mal einen besseren oder einen schlechteren Tag. Und ich glaube, in unserem Fall war sie tatsächlich eher etwas befangen. Weil — ich weiß es nicht — aber ich könnte mir vorstellen, dass auch noch vier Stunden vor der Sendung ihr Vater angerufen und gesagt hat. Behandle mir bloß die Tocotronic gut. (Dirk lacht) Vielleicht war sie dann besonders befangen. Aber eigentlich war es ganz witzig. Aber auch in dem Interview fiel das Wort „Trainingsjacke“. Den sich wiederholenden Themen könnt Ihr so ganz also nicht entkommen. Steuert Ihr das manchmal auch ein bisschen, was da gefragt wird? Indem Ihr zum Beispiel Wörter in den Raum werft? Ne.. Da haben wir, glaube ich, nicht so ein Talent dafür. Das ist eher so ein Politiker-‐Talent. Man hört eine Frage und antwortet mit etwas ganz Anderem, nämlich mit dem, was man sagen möchte. Das ist so der Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss-‐Effekt: Man bringt das, was man sagen will, noch irgendwie unter. Das setzt aber auch voraus, dass man irgendein Anliegen hat, das man loswerden möchte. Und da wir überhaupt gar kein Anliegen haben und auch überhaupt nichts sagen wollen, können wir das auch nicht so gut.
Habt Ihr manchmal das Gefühl, dass sich dann auch die Antworten wiederholen? Naja, die Fragen wiederholen sich ja auch, Auf die gleichen Fragen kann man sich ja nicht immer etwas völlig Neues aus dem Ärmel schütteln. Wir machen das manchmal schon. Aber das beißt sich dann auch so ein bisschen mit dem Anspruch, das Gegenüber ernst zu nehmen. Über die Jahre findet man auch selber einen anderen Zugang, wenn sich Fragen wiederholen. Um noch mal auf die Trainingsjacken zurückzukommen: Man kann das jetzt, 2010, aus der Distanz heraus mit Sicherheit besser beurteilen, was das war und warum man diese Klamotten angezogen hat. Das ist dann auch für einen selber manchmal ganz interessant zu überlegen: Was war eigentlich der Grund. Diskutiert Ihr dann auch manchmal darüber? Zu bestimmten Fragen, was Ihr da antworten wollt. (Dirk zögert und ringt sich ein Seufzen ab) Puhhh, Wir haben das manchmal schon überlegt, aber… hmm, also eigentlich nicht. Nein. Ich mag es eben nicht so, wenn man so strategisch vorgeht und so sagt: Komm wir setzen uns jetzt vorher zusammen. Das machen wir eigentlich nicht. Und immer wenn man es mal probiert hat, geht das auch nach hinten los. Es hat sich eigentlich über die Jahre gezeigt: Am besten ist, sich eigentlich überhaupt nicht auf diese Sachen vorzubereiten und einfach zu gucken, was passiert. Man kann es wirklich überhaupt nicht steuern. Und wenn Du es versuchst, Du wirst scheitern. Es ist ein Windmühlenkampf. Als Journalist oder Journalistin sitzt Du immer am längeren Hebel. Du kannst alles drehen und verändern, wie Du möchtest. Aber autorisiert Ihr die Interviews nicht manchmal auch? Jaaa. Das kommt vor. Wenn es ganz große, ausführliche Interviews sind oder wenn es — also ich will jetzt nicht hierarchisch sein — wenn es besonders wichtige Medien sind. Manche Zeitungen machen das von sich aus, so wie der Spiegel. Aber weißt Du, man fragt sich auch manchmal: Was ist dadurch gewonnen. Wenn man jedes Interview autorisieren will, das ist wirklich ein Fulltime-‐Job. Und bei welchen Medien lasst Ihr das dann autorisieren? Ich weiß es nicht. Das kommt ganz darauf an. Oft wird einem das auch einfach angeboten. Seriöse Zeitungen machen das grundsätzlich. Oder wenn das Leute sind, die einem eher nahe stehen. Bei einer Zeitschrift wie der Spex zum Beispiel, mit der man seit 18 Jahren eng zusammen arbeitet. Das sind dann natürlich auch Leute, die kennen einen einfach. Und wenn die das Interview abgetippt haben, dann schicken die das rüber und 'schaut doch mal drauf'. Das ist dann eher so eine Freundschaft oder Vertrauenssache. Und dann gibt es so Medien, wo man eher das Gefühl hat: 'Oh, jetzt könnte es haarig
werden' und die so auf der Kippe sind. Zeitschriften, die einen persönlich nicht so interessieren oder wo man so denkt: 'Naja kann man mal machen', aber wo man nicht sicher ist und es könnte ganz schrecklich werden. Da ist man dann auch vorsichtig und lässt das autorisieren. Lest Ihr die fertigen Interviews dann auch? Also auch, wenn Ihr sie vorher nicht autorisiert. Ja, ja. Doch. Man macht das schon. Man ertappt sich schon dabei, aber eigentlich ist das das Allerschlimmste. Das versuchen wir permanent, uns abzugewöhnen. (Dirk lacht) Weil spätestens dann kriegt man einen Sprung in der Schüssel. Es ist wirklich hochgradig neurotisierend. Wenn man immer das liest, was man gesagt hat? Ja, das ist wirklich grauslig. Ja, aber zu Deiner vorherigen Fragen nochmal: Dann gibt es natürlich auch bestimmte Zeitungen, da macht man einfach gar keine Interviews. Welche denn? (Dirk überlegt und druckst dann rum) Naja, so bestimmte Zeitungen… abgesehen von der politischen Ausrichtung… Ich weiß nicht, ob wir mit der Bild-‐Zeitung reden würden. Aber die wollen natürlich auch nicht mit uns reden. Puhh, Was gibt es da noch für ein Beispiel… Vielleicht Zeitungen, die Euch von der Zielgruppe her nicht nahe stehen? Das Deutsche-‐ Bahn-‐Magazin? Das Interview mit dem Deutsche-‐Bahn-‐Magazin war eines der besten überhaupt. Die Kulturjournalistin war eine der besten Journalistinnen, die wir überhaupt kennen gelernt haben. Sehr gut informiert. (Dirk lacht) Das Deutsche-‐Bahn-‐Magazin ist eine der besten Zeitschriften überhaupt. Nein. Es gibt so Zeitschriften, da wird etwas von einem verlangt, was man den Leuten nicht geben kann. Weißt Du, wenn man zum Beispiel ein Gespräch mit einer Zeitschrift wie der Neon macht. Das lehnen wir immer ab, weil das sind Zeitschriften, die ich überhaupt nicht ertragen kann. Wo ich die Krise kriege. Wo es immer um irgendwelche Befindlichkeiten geht oder um Gefühle und all so einen Schmarrn. So Homestories? Genau, Homestories heißt das. Und da sagen wir immer: Wir machen das nicht und wenn, dann nur strikt über die Musik. Das ist ja auch das Schreckliche am zeitgenössischen Journalismus, dieser Befindlichkeitsquatsch. Dass immer alle erzählen müssen, wies ihnen geht. Es gibt aber auch viele Musiker und Musikerinnen, die das ganz bereitwillig tun. Die
erzählen dann von ihrem Opa und der Oma und die Mutter hat… und die Kinder… und dann gehe ich da auf den Spielplatz… Das will ich doch alles gar nicht wissen. Aber wie privat dürfen denn Fragen sein? Oder welche würdet Ihr ablehnen? Puuh. Eigentlich alles, was in den Bereich Privatsphäre geht. Wo kann man denn da die Grenze ziehen? Weißt Du, das ist bei uns so: Man wird auch nicht oft danach gefragt. Das muss man auch ehrlich zugeben. Das Wichtigste ist auch, dass man sich selbst nicht zu wichtig nimmt. Ich meine, wir sind ja nun auch nicht Brad Pitt und Angelina Jolie. Wenn Brad Pitt erzählt: 'Ich kaufe immer im Kaisers ein', dann hat das ja noch einen gewissen Unterhaltungswert. Aber wenn mir dann irgend ein Musiker von einer mittelbekannten Band, wie wir das sind, dann erzählt: 'Ich kauf immer im Kaisers ein'… ja so what? Was hat das für einen Unterhaltungswert? (Dirk lacht) Das heißt, die Leute fragen uns eigentlich auch nie. Das Privatleben ist ja auch nicht so spannend. Ich finde es eben einfach gut, das grundsätzlich nicht zu thematisieren. So wie „Unsere Lena“. (Dirk lacht) Na also, meine Lena ist das nicht. Waaaas? (Und wieder lacht Dirk) Geht Ihr an Interviews anders heran, je nachdem, für welches Medium das ist? (Dirk überlegt) Geht man da unterschiedlich ran? Also… Nein. Man muss sich eigentlich immer überraschen lassen. Eigentlich versuchen wir, immer relativ neutral zu sein. Und bei den Musikzeitschriften ist es so: Da arbeiten Leute schon sehr lange. Und wenn da jemand kommt vom Intro oder so, dann kann man eigentlich Gift drauf nehmen, dass man den oder diejenige schon kennt. Dann ist es auch eher so, als würde man jemanden wiedertreffen, den man längere Zeit nicht gesehen hat. Nein, man muss sich eigentlich drauf einlassen. Und man merkt ja auch relativ schnell, wie die Leute so sind und ob man da mehr in die Tiefe gehen kann, oder eben nicht. Also je nachdem, wie informiert die Journalisten sind und wie auch die Chemie stimmt. Um das noch einmal aufzugreifen. Ich meine, Du darfst ja auch nicht vergessen: Es gibt ja viele Leute, die kommen zum Interview und da kannst Du froh sein, dass die das Album überhaupt mal gehört haben. Das muss auch mal gesagt werden. Die kommen dann an und da ist man auch perplex über die Chuzpe, die die haben.
Wie geht Ihr damit dann um? Tja, was will man machen. Man muss halt versuchen, die halbe oder dreiviertel Stunde irgendwie sinnvoll über die Bühne zu kriegen. Wenn man das Gefühl hat, da kommt so überhaupt kein Gespräch zustande, das ist eigentlich noch schlimmer, als wenn man wenigstens noch übers Wetter labern kann. Das wird eben sehr schnell sehr peinlich. Gab es auch schon Situationen, in denen Ihr gedacht habt: Boahh, jetzt möchten wir eigentlich gehen? (Dirk zögert ein wenig) Ja. Das kam auch schon vor. Ich vergesse das dann aber auch glücklicherweise wieder. Sonst würde ich Dir das jetzt erzählen. Es gab sicherlich schon auch Situationen, wo man gedacht hat: Man, jetzt reichts aber mal. (Dirk lacht) Wirklich schade, dass Dir kein Beispiel einfällt. Ja ich weiß. Es sind aber auch manchmal Situationen, wo man das Gefühl hat, die Leute sind einfach vorsichtig. Wir können das selber manchmal gar nicht so einschätzen. Aber ich glaube, wir haben leider Gottes, obwohl wir das schrecklich finden, schon auch auf viele Leute eine einschüchternde Wirkung. Ich weiß nicht, kannst Du das bestätigen? Nein. Nein. Das ist aber so und da hat man das Gefühl, die Leute sind so aufgeregt. Man darf ja auch nicht vergessen, es hat sich einiges geändert: Als wir angefangen haben, Musik zu machen, da waren wir, sagen wir mal ungefähr 23 Jahre. Und die Leute, die uns interviewt haben, waren erfahrene Journalisten, die so zehn Jahre älter waren als wir. Mittlerweile sind wir ja leider schon so steinalt. (Dirk lacht) Und die Leute, die uns interviewen, sind so alt wie wir, als wir angefangen haben, Musik zu machen. Oft hat man das Gefühl, die Leute sind sehr aufgeregt und nervös oder haben Hemmungen und sind noch nicht so erfahren. Das finden wir auch gar nicht tragisch. Aber da muss man die dann auch manchmal beruhigen. Da hat man mitunter auch so eine leicht therapeutische Funktion. Findet Ihr das dann ein bisschen sympathisch? Ja. Ich meine, ich stelle es mir auch fürchterlich vor, Leute zu befragen. Es ist nicht nur schrecklich, so ausgefragt zu werden, sondern es ist ja auch schrecklich, Leute so zu löchern. Es ist wahnsinnig schwierig. Es ist eine Kunstform. Deswegen meinte ich eingangs auch, dass das Format Interview vielleicht ein bisschen überstrapaziert wird. Ein richtig gutes Interview zu machen, das erfordert von beiden Seiten ein extremes Können — dass das unterhaltsam wird und nicht langweilig.
Es kann nicht jeder so sein wie Andy Warhol, der die besten Interviews gegeben hat überhaupt, oder Karl Lagerfeld. Das ist einfach auch ein Talent, Bonmots rauszuschleudern. Aber auch die Fragen, die Steilvorlagen dafür zu liefern. Siehst Du es dann sogar ein bisschen als Eure Aufgabe, für die Unterhaltung zu sorgen und auch Anekdoten zu erzählen? Nee. Überhaupt nicht. Weil ich Anekdoten nicht ausstehen kann. Ich hasse Anekdoten, grundsätzlich. Mir fallen auch nie welche ein. Das finde ich eigentlich die allerschlimmsten Fragen überhaupt: Erzähl doch mal eine Anekdote aus Eurem Alltag. Da muss ich sofort verstummen. Ich finde das aber auch bei anderen belästigend, also wenn andere das erzählen. Warum gebt Ihr dann überhaupt Interviews? Um mal die Kernfrage dieses Interviews zu stellen. Weil wir vertraglich dazu verpflichtet sind. Wenn man ein Album veröffentlicht, dann ist man vertraglich dazu verpflichtet, das Album zu promoten. Und deshalb macht man diesen Interviewmist. Also es ist nicht ganz freiwillig, muss man sagen. Das wird Dir jeder Musiker sagen. Es gehört eben dazu und ich finde es auch in Ordnung. Es ist ein Teil des Jobs. Tja, warum macht man das jetzt? Also aus Spaß an der Freude bestimmt nicht. Das ist eine sehr ehrliche Antwort. Das ist die Wahrheit. Du kannst natürlich zu nichts gezwungen werden. Wenn Du also von heute auf morgen sagen würdest: 'Wir geben keine Interviews mehr'. Dann würden die uns nicht in Ketten legen und in den Kerker schmeißen. Aber wenn man Platten macht, muss man die Platten promoten. Das ist natürlich auch in unserem eigenen Interesse. Wir wollen ja auch, dass sich das Album verkauft. Aber hat sich das Verhältnis zu den Interviews ein bisschen auch geändert: Dass Ihr am Anfang bei den ersten Interviews noch aufgeregter wart und Euch gefreut habt? Also ich würde sagen: Die Desillusion hat sich ziemlich schnell eingestellt. Dass das nicht so etwas Tolles ist. Gleichermaßen kann ich aber auch sagen, es gibt immer noch Momente, wo einem das schon noch Spaß macht. Aber man darf sich nicht erhoffen, dass das jetzt eine tolle Sache sei. In welchen Situationen gebt Ihr am ehesten Interviews? Auf Tour vor Konzerten? Nein, auf Tour oder vor Konzerten geben wir gar keine Interviews. Das haben wir früher manchmal gemacht. Aber das ist echt wahnsinnig stressig, wenn man so gar nicht seine Ruhe
hat und schon total heißer auf die Bühne kommt. Nein, wir machen das meistens so: Wenn ein Album rauskommt, dann gibt es eine Woche, in der man die Interviews macht, und dann vielleicht noch mal ein paar Tage, wo man noch ein paar Interviews macht. Aber dann gibt es eben so einen Zeitraum, in dem das abgearbeitet wird. Man darf aber auch nicht vergessen: Wir lehnen schon wahnsinnig viel ab und sieben aus. Wir versuchen schon, auch wirklich nur das Nötigste zu machen. Weil ich mich auch schäme, wenn man so überpräsent ist. Man will die Leute ja auch nicht belästigen. Das ist ja nun nicht der Fall. Aber um so schöner, dass Du Dir heute die Zeit nimmst. Ja, gerne. Das ist ja kein Problem. Und es ist schön, dass Du das sagst, aber es ist schon so, dass man manchmal denkt: Mann, warum denn jetzt schon wieder. Man kann doch die Leute auch mal in Ruhe lassen. (Dirk lacht) Das ist auch echt ein ganz, ganz heißes Thema in der Band. Wir reden da sehr oft drüber, wie man das besser machen kann. Ob man das mal anders machen kann. Aber es gibt da noch nicht wirklich eine Lösung. Denn ich finde alle anderen Strategien, die andere Bands gemacht haben, so abgefuckt. Wie Radiohead, die gesagt haben: Wir geben überhaupt gar keine Interviews mehr. Tja, die können es sich eben auch leisten. Da ist das bei EA80 beeindruckender, dass die keine Interviews geben. Ja genau. Als Radiohead das damals gesagt haben, waren die sowieso schon alle mehrfache Millionäre. Dann wärs mir auch egal, weißt Du. Da finde ich das eher so einen Fake, denn die Marke muss man auch nicht mehr vorstellen. Aber für viele Bands ist das eben auch eine ökonomische Notwendigkeit, auf sich aufmerksam zu machen. Und bei EA80 habe ich das immer sehr, sehr respektiert, dass die keine Interviews geben. Dass die das so durchgezogen haben und auch noch nie Interviews gegeben haben. Weil, so ein Funken Narzissmus ist bestimmt in jedem Menschen und man fühlt sich schon manchmal ein bisschen gebauchpinselt, wenn man sich in der Zeitung sieht. Und das dann so vollkommen auszublenden und zu sagen, wir machen das gar nicht, das finde ich schon bewundernswert. Eine Frage muss ich noch loswerden, die sicher auch nicht so clever ist, so am Ende des Interviews zu stellen: Die Frage nach dem Du oder Sie? Es passiert Euch bestimmt häufig, dass Ihr einfach geduzt werdet, einfach aus dem Gefühl heraus: Rockmusiker sind Berufsjugendliche und da möchte man ein wenig lockerer sein. Das habe ich ja auch so gemacht. Ist das ok für Euch? Ja, finde ich genau richtig. Anders fände ich es auch komisch. Es ist auch schwer zu sagen… Naja, es ist so: Ich tippe jetzt mal, dass Du ein bisschen jünger bist als ich — Und wenn Leute jünger sind als wir, dann bitte sollen sie uns mit möglichst großer Respektlosigkeit begegnen. Wenn aber Leute älter sind als wir, also zum Beispiel von Aspekte oder vom Kulturjournal oder so… Der hat uns gefälligst zu siezen und mit Respekt zu behandeln.
Haha. Wenn ich das gewusst hätte mit der Respektlosigkeit… Ha. Das war schon ganz gut. Ja, es ist eben wahrscheinlich wie immer, wenn man jemanden trifft und kennen lernt: Wie es eben passt… Ja genau. Wie es grade passt. Man merkt das ja. Man hat das ja manchmal auch bei Konzerten: Da kommen Leute, die vielleicht so 20 Jahre alt sind, und fragen nach einem Autogramm: 'Können Sie mir bitte ein Autogramm geben?' Da denkt man dann: 'Was ist denn jetzt los?' (Dirk lacht) Aber ich finde, wenn jetzt jemand von der FAZ kommt oder so, dann hat der schon erst mal zu fragen, ob man sich duzen soll oder man bleibt eben beim Sie. So eine Vertraulichkeit kann ich auch nicht leiden. Na, dann bin ich froh, dass ich das richtig gemacht habe. Ja, absolut. Alles perfekt. Dann danke ich Dir, dass Du Dir die Zeit genommen hast. Gerne.
> 1 0 0 0 R o b o t a <
Mag es der Fluch der Hansestadt sein. Aber die drei Hamburger hätten ja auch versuchen können, nicht nach NDW und Hamburger Schule zu klingen. Haben sie aber nicht – Warum auch. Stattdessen haben sie nach ihrer Gründung 2008 drauf los geschrammelt, Palais Schaumburg gecovert und zu allem Überfluss noch den HANS gewonnen. Klar, dass da die Presse abgesteckt ist. Wenn sie sich dann gegen das Label Hamburger Schule wehren, heißt es, sie wären respektlos, jugendlich draufgängerisch etc. etc... Am bezeichnendsten war wohl das abgebrochene Interview mit Intro-‐ Redakteur Wolfgang Frömberg in London – mittlerweile sind die „jungen Hipster“ und der Redakteur sowas wie Freunde. Im Interview sind Anton Spielman, Jonas Hinnerkort und Sebastian Muxfeldt einfach nett. Und erstaunlich routiniert dafür, dass sie gerade erst 17 bzw. 18 Jahre waren, als Du nicht, Er nicht, Sie nicht herauskam.
Discographie: 2008 DU NICHT, ER NICHT, SIE NICHT
2008 HAMBURG BRENNT EP
2010 UFO
Sampler: GESTATTEN, WIR KOMMEN AUS HAMBURG MÜSSEN ALLE MIT #5
Empfehlung: Dokumentarfilm „Utopia Ltd“: Sandra Trostel begleitet die Band und zeigt dabei ganz nebenbei, wie sie immer erfolgreicher wurde. 2012
„Wir sind keine Praktikanten-‐Band.“ F ü r d a s I n t e r v i e w h a b e n w i r u n s i m C a f é d e r M o r i t z b a s t e i L e i p z i g g e t r o f f e n . A m 2 6 . O k t o b e r 2 0 1 0 h a b e i c h v o r d e m K o n z e r t e i n e k n a p p e S t u n d e m i t A n t o n S p i e l m a n , J o n a s H i n n e r k o r t u n d S e b a s t i a n M u x f e l d t g e s p r o c h e n .
Die zwei Jahre Bandgeschichte und zwei Alben von 1000Robota reichen für genug Interviewerfahrung, um die 45 Minuten Redezeit auszureizen, die uns bleibt. Dann muss die Band auf die Bühne, denn das Interview findet vor dem Konzert statt, wie das eben häufiger der Fall ist. Anton Spielmann und Jonas Hinnerkort sind aber nicht wirklich gestresst. Entspannt sitzen sie im Café und erzählen von ihren Erfahrungen in Interviews. Teil 2 der Reihe: Interviews über Interviews. Wie viele Interviews habt Ihr denn in den zwei Jahren, die Ihr jetzt unterwegs seid, schon gegeben? Wisst Ihr das noch? Anton: Boah. Ich glaube, ich habe schon viele Interviews gegeben. Zusammen waren es schon ein paar. Keine Ahnung wie viele. Ungefähr. 50, 100, 200? Anton: Naja, 50 vielleicht, so ungefähr. Und das erste Interview, das Ihr gegeben habt? Mit wem war das? Wie habt Ihr das wahrgenommen? Anton: Ich weiß nicht mehr, mit wem das war, wie die Frau hieß. Aber es war im Office von Tapete. Ich bin zu spät gekommen, das weiß ich noch. Ich musste vom Bahnhof mit dem Bus fahren und es war recht spät abends. Es war auch ziemlich unkoordiniert und nicht so, wie das jetzt ist. Man hatte das Gefühl, das Gespräch läuft super und es gibt da so einen Austausch. Die Dame versteht, was man da sagt. Infolge dessen hat man dann natürlich Interviews total euphorisch gelesen, um zu bewundern, was denn die Leute so schreiben. Man dachte ja
auch, die Motivation für so ein Treffen ist halt, dass die Leute eben mögen, was man macht. Dann war das aber so ein Artikel, der wendete und drehte alles und was ich so gar nicht erwartet hatte. Erst nach und nach habe ich dann das Konzept von Interviews ein wenig durchschaut. Aber wie Du ja auch schon so gut sagst, sind wir noch nicht an dem Punkt, wo man sagt, man weiß jetzt genau, wie das läuft. Diese Professionalität und Strategie haben wir nicht. Wie sieht denn das Konzept aus, das Ihr da durchschaut habt? Anton: Naja, es ist halt eine Form der Berichterstattung, die mittlerweile geprägt ist von einem Reporterkult. Die ist halt sehr auf die eigene Meinung fixiert, von der ich erst mal nicht ausgehen kann. Seid Ihr da denn überhaupt noch aufgeregt vor einem Interview? Oder wart Ihr das überhaupt? Anton: Aufregung ist da, glaube ich, das falsche Wort. Eher so euphorisch. Wie wir anfangs beschrieben haben: Dass man sich etwas Anderes versprochen hat. Mittlerweile ist diese Euphorie schon gleich Null. Weil ich erzähle ich Dir jetzt etwas, aber ich habe keine Ahnung, ob Du mir überhaupt zuhörst. Tue ich. Anton: Ja, aber es gibt doch auch solche Interviews, wo Du auf Leute triffst, die schon ganz genau ihre Geschichte im Kopf haben. Jonas: … die dann ihre Frage beenden mit „…ist doch so?“. Anton: … Genau. Die haben ihren Artikel quasi schon einmal vorgeschrieben und suchen sich dann nur noch O-‐Töne. Die lassen das unter dem Motto laufen: Das ist nur meine Inspiration für das Interview. Aber eigentlich hat das dann nichts mehr mit dem zu tun, was wir mitteilen möchten. Und das ist dann natürlich unangenehm. Da spielt für die Euphorie sicher auch keine Rolle mehr, für welches Medium das Interview ist? Anton: Das ist uns scheißegal. Jonas: Das spielt keine Rolle, weil die Situation ist immer dieselbe. Es ist eigentlich egal, wer Dir gegenüber sitzt, weil es darum geht, was Du dem erzählst. Und letztendlich solltest Du ja jedem dasselbe erzählen. Du kannst ja nicht sagen: Ok, das ist jetzt Die Welt und da dreh ich jetzt meine Botschaft mal ein bisschen zurecht für die. Die Fragen wiederholen sich ja sicher auch?
Anton: Ja, manchmal. Aber das ist gar nicht das Hauptproblem. Klar, wiederholen sich Fragen, aber Songs wiederholen sich auch. Die Routine, mit der man damit umgeht, das ist eine Form der Gelassenheit. Genießt Ihr es, nach dem ganzen Rummel die Gelegenheit zu haben, in Interviews über Euch sprechen zu können? Jonas: Was heißt denn „über uns“? Anton: Wie definierst Du das denn? Über unsere Privatsphäre? Nein. Das meine ich gar nicht. Eher so: In den vergangenen zwei Jahren ist eine Menge auf Euch eingestürmt durch den Erfolg. Geben Euch Interviews die Gelegenheit, das ein wenig zu verarbeiten, indem Ihr darüber sprecht? Anton: Also erstens sehen wir Interviews nicht als Unterhaltungsfaktor. Und zweitens sehe ich Interviews eher so als Wörterbuch, aus dem der Zuhörer vielleicht Erkenntnisse gewinnen kann über unsere Musik, wenn er es liest. Aber erst mal muss es so betrachtet werden, dass diese Erkenntnis in erster Linie nur über die Musik erreicht werden kann. Jonas: …Beziehungsweise sind Interviews oft so etwas Beiwerkliches, mit dem ganz viel kaputt gemacht werden kann. Anton: …wenn etwas falsch verstanden wird zum Beispiel. Oder wenn man etwas falsch ausdrückt. Das ist etwas Grundsätzliches, was ein Interview dann nicht mehr zu dem macht, was es für uns eigentlich ist. Denn tatsächlich ist ein Interview so eine Art …erm… (Anton zögert und antwortet dann lang gezogen) Ideenprägung… Jonas: …na so eine Erläuterung. Eine Erläuterung zum Werk. Ist in dem Kontext auch die Äußerung zu verstehen, mit der Ihr in Berlin mal das Publikum begrüßt habt: Ihr möchtet Euch nach dem Rummel erst mal auf das konzentrieren, für das Ihr eigentlich geliebt werden solltet, nämlich Musik und eine neue Platte machen? Jonas: Ja, genau. Das ist so ein bisschen die Erkenntnis, die wir nach den Interviews gewonnen haben: Dass so ein Interview nie das wiedergeben kann, was durch die Musik vermittelt werden soll. Tauscht Ihr Euch mit anderen Bands über Eure Erfahrungen mit Interviews aus oder bekommt Ihr vielleicht auch so …sagen wir mal: ein paar Ratschläge von erfahrerenen Bands? Jonas: Nein. Das ist gar nicht der Fall und war es auch nie. Ich wüsste auch nicht, in welcher angenehmen Form das stattfinden sollte. Ich glaube, das wäre auch jedem unangenehm. Und Euer Label Buback gibt Euch auch keine Hinweise oder macht Vorgaben?
Anton: Das Label ist viel zu schlau und wir sind es anscheinend auch, als dass das überhaupt eine Frage wert wäre. Das war nie Thema. Und Vorgaben gibt es nicht. Ein Label wie Buback Tonträger ist dafür bekannt… oder ist für denjenigen gut, der seine künstlerische Freiheit haben möchte. Künstlerische Freiheit bedeutet in der Form, dass man so wenig wie möglich eingekesselt wird in Pflichten, Aufgaben, Tätigkeiten, Ratschlägen… Deswegen bekommen wir von Buback so etwas in keinerlei Hinsicht. Also auch keine Vorgaben: Ihr müsst zur Promotion so und so viele Interviews geben? Anton: Nein. Wir sagen: Das wird uns jetzt zu viel. Dann müssen wir es nicht machen. Jonas: Wir lehnen ja auch viele Interviews ab. Das kriegt nur niemand mit, weil das dann nirgendwo steht. Und Interviews mit wem lehnt Ihr ab? Anton: Also ich finde es eigentlich interessant, mit möglichst vielen Leuten zu reden. Jonas: Unangenehm wird es immer dann, wenn sich jemand nicht oder falsch mit der Band auseinandergesetzt hat. Du kannst nicht von einer Band erwarten, ein ernsthaftes Gespräch über ihr Werk zu führen, wenn der dann nicht weiß, wer das eigentlich ist. Dann kommst Du zu keinem Gespräch und an dem Punkt macht das für uns auch keinen Sinn und darum sagen wir dann: Das hat leider grade… Anton: …Wenn jemand zum Beispiel sagt: „Euer erstes Album 'UFO' habt Ihr dieses Jahr veröffentlicht und wie geil ist es, so einen britischen Sound zu haben“, dann kann man schwer weiter reden. Ich fürchte, das ist Euch tatsächlich passiert, oder? Anton: Ja. Autsch… Anton: (lächelt lakonisch) Sonst würde ich das nicht so sagen. …Das ist böse. Anton: Na, ich glaube, er hat es nicht böse gemeint. Er hat sich einfach nicht richtig informiert. Oder die Fakten verdreht. Das sollte man recherchieren. Habt Ihr denn noch ähnliche Situationen erlebt? Anton: Ähnliche Situationen…? Ich glaube, wir befinden uns gerade auf einer Woge der Zufriedenheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemals schon etwas doof war in meinem Leben.
Außer eben dieser einen Situation. Anton: Ja, aber die war noch nicht mal doof, die war einfach nur gleichgültig. Die war so: 'Erm… ja ok. Entschuldigung, ist irgendwie gerade ein komischer Empfang'. Und dann aufgelegt. Achso, das war ein Telefoninterview. Und für solche Situationen wurde ja das Auflegen erfunden. Anton: (lacht zustimmend) Jaha. Jonas: Die optimale Interviewsituation ist ja immer die reine Gesprächsform, wenn es ein Dialog wird. Aber auch ein Dialog in der Form, dass… Es ist halt auch blöd, wenn der Interviewer sozusagen zu viel vorgibt, nach dem Motto: 'Das meint Ihr doch so oder das meint Ihr doch so. Es muss eben eine natürliche Ebene geschaffen werden, die das Verhältnis — hier Interviewer und dort Band — auch klar macht, ohne dass… Anton: …Interessant sind die Interviewer, die es schaffen, Songs zu durchschauen. Das erlebt man auch manchmal. Das sind wahnsinnig schlaue Menschen, die die komplette Struktur der Songs durchschauen und einem das dann auf den Tisch werfen. Die beenden zwar den Satz auch mit 'Ist doch so, oder?' Aber dann macht das Spaß. Und dann könnt Ihr auch nicht sagen 'Nee, ist nicht so'. Anton: Doch, man kann schon die Magie noch aufrecht erhalten. Aber so macht das dann eben Spaß. Also mögt Ihr das schon, so zu inter… Anton: …gefordert zu werden. Ja. Nein. …zu interpretieren. Also diese Interpretationsfragen zu Euren Liedern und Alben. Anton: Naja. Interpretation ist ja auch eine Form des Interesses gegenüber etwas. Wenn Leute anfangen zu interpretieren — Songs oder Alben — dann heißt das gleichzeitig, sie setzen sich damit auseinander. Und das ist ja schon erst mal eine ganz gute Anfangssituation, mit der man als Musikinteressent umgehen kann. Ja, gibt es denn überhaupt so das Durchschauen eines Liedes? Interpretation ist ja immer etwas Offenes. Ein richtig oder falsch gibt es ja eigentlich nicht. Anton: Doch schon. Es gibt ja schon bestimmte Ideen, die hinter bestimmten Songs stecken. Die Form, das lyrische Spiel und ob man ein Ich zu einem Ich macht oder ob man es zu einem Du macht. Klar gibt es Interpretationen, die allemal stimmen, die auch stimmen sollen in der Form, wie
wir sie voraus geben. Aber bei anderen Interpretationen kommst Du nicht so schnell dahinter. Dann legt Ihr doch Wert darauf, dass erkannt wird, was Ihr Euch bei dem Lied gedacht habt? Jonas: Nee, darauf legen wir weniger Wert. Anton: Trotzdem gibt es immer wieder diese Momente, in denen ein Journalist genau diesen Gedanken formuliert, den man sich da irgendwo in dieser ganzen Kiste gedacht hat. Und das ist dann natürlich… Jonas: …das engt das ein. Und deswegen sagen wir: Oft kann so ein Interview, so ein Format einengen. Anton: Deswegen lehnen wir so Fragen von vornherein ab wie: 'Wie ist denn das zu interpretieren?'… Jonas: Das kann man nicht beantworten… Anton: …Aber wenn jetzt jemand fragt: 'Ich habe mir das so gedacht…' dann können wir da schon eher drauf eingehen. Weil dann ist dieser Punkt erreicht, an dem er sich damit auseinander gesetzt hat. Aber sobald jemand völlig interpretationsfrei mit dieser Frage an uns herantritt, dann macht das keinen Sinn, weil das erfordert ein Gegenüber, das sich genauso damit auseinander setzt. Das muss auch nicht die Situation sein, dass wir uns da wieder erkennen in der Form, wie wir uns das gedacht haben. Das kann ja auch sein, dass das ein ganz neuer Aspekt wird, den wir so noch nicht gedacht haben, der aber auch durchaus sinnvoll ist. Deshalb ist es auch jedem Journalisten zu raten, sich damit auseinander zu setzen, weil wir da durchaus offen sind für solche Fragen. Welche Erfahrungen habt Ihr denn mit Journalisten generell gemacht? Wie treten sie Euch gegenüber? Anton: Die treten uns eigentlich meistens recht höflich gegenüber. Teilweise höflicher als wir es sind. Haha. Ihr werdet ja auch immer wieder als so schwierig beschrieben. Ich kann das jetzt nicht bestätigen. Aber habt Ihr eine Vorstellung davon, warum das so ist? Anton: Minderwertigkeitskomplexe? Du meinst die Journalisten? Weil sie häufig älter sind als Ihr vielleicht? Anton: Ja. Vielleicht. Aber dann sollten sie eigentlich noch weniger Angst haben oder weniger genervt sein. Weil dann sollten sie das eigentlich alles schon kapiert haben und verstehen, dass junge Leute manchmal euphorisch sind.
Und könnte es auch manchmal ein Problem sein, dass Euch da Journalisten gegenüber sitzen, die das einfach mal seit 20 oder 30 Jahren machen und… Jonas: …Bestimmt. Das schon. Aber das kann man so auch nicht pauschalisieren… Anton: Ich meine, ich würde mir mal wünschen, dass jemand von der Musikexpress kommt, der seit 20 Jahren Interviews macht. Der, der da kommt, ist meistens Praktikant und das tut dann meistens auch weh. Weil wir sind keine Praktikanten-‐Band. Und dann passt das auf einmal nicht mehr. Dann kommt es zu so etwas wie „Euer erstes Album 'Ufo'.“ Anton: Genau. Dann kommt es zu so etwas. Und dann kommt es in Folge dessen zu so etwas wie „Wir sind schwierig in Interviews“. Was ist dran an der Geschichte, dass ein Redakteur der Intro in London einfach von einem Interview weggegangen ist und gesagt hat: „Ach Scheiß drauf“? Anton: Nein. Ich glaube, es war eher anders herum: Wir sind gegangen. Der Witz ist aber, dass… — wie hieß der gute Herr noch — Wolfgang. Also Wolfgang hat vor wenigen Monaten ein neues, sehr interessantes, tolles Interview für die neue Intro-‐Ausgabe gemacht. Verschiedene Eitelkeiten von unserer Seite sowie von seiner Seite haben das damals einfach zum Kochen gebracht. Im Nachhinein war das für beide Parteien eigentlich eine recht witzige Angelegenheit. Und wäre Wolfgang wirklich angepisst gewesen, hätte er nicht so einen Artikel geschrieben. Also Gerüchte… Anton: Ja. Die Gerüchteküche brodelt. (Und lacht dabei.) Ist ja auch manchmal ganz gut… Anton: Tja, kommt drauf an, was man will… Was bei Euch auffällt ist: Ihr habt immer sofort eine Antwort parat. Ihr müsst nicht lange nachdenken. Anton: Na schau mal: Wir gehen da total leichtsinnig ran. Wir machen uns keine Gedanken, weil wir noch gar nicht wissen, was es heißt, sich Gedanken zu machen. Was es heißt, präzise Antworten zu geben. Was wir machen ist: Aus einem Blues heraus und mit einer gewissen Intuition zu reagieren. Das kommt aus einem Selbstvertrauen heraus, dass das, was wir machen, gescheit ist. Und lest Ihr die Interviews dann noch mal, wenn sie veröffentlicht sind?
Anton: Um Gottes Willen. Da würde ich ja schon lange unter den Apfelbäumen liegen. Aber habt Ihr schon Sachen bereut, die Ihr gesagt habt? Jonas: Klar. Anton: Aber das ist ja das Gute daran, wenn man mit so einer Mentalität ran geht: dass dann die… tja die Fehlerprävention viel klarer gegeben ist. Jonas: Leute, die glauben, Fehler sind schlecht, sind selber schlecht… Anton: …Wenn Du Angst hast, Fehler zu machen, dann brauchst Du es gar nicht mehr machen… Jonas: …dann brauchst Du es gar nicht erst versuchen… Anton: …weil Du machst immer Fehler. Dein ganzes Leben lang, bis Du ins Grab fällst. Was habt Ihr denn im Nachhinein bereut? Anton: Ach, das kann ich jetzt nicht mehr sagen. Jonas: 'Bereut' ist ja auch wieder falsch. 'bereut' ist ja so etwas Tiefes… so etwas wie schämen… Anton: …so etwas wie Reue ist das ja. Und es ist eher so, dass die Sachen, die wir sagen, eine von Grund auf interessante Basis haben, sie aber verfeinert werden müssen. Dieses Verfeinern kommt mit dem Alter. Durch Wissen, das man erwirbt. Durch Sachen, die man erlebt. Durch alles mögliche. Deswegen sage ich ja auch: Junger Erfolg ist das Schlechtere. Leute, die jung Erfolg haben, haben die Qual, dass die Mutter …sagen wir mal… die Öffentlichkeit ist. Das bringt so ein gewisses Feeling. Wenn ich 35 bin und 20 Alben veröffentlicht habe, dann schaue ich mir meine 20er an und denke wahrscheinlich: Um Gottes Willen. Hofft Ihr denn, dass Ihr mit den Jahren noch mehr lernt, präzise Antworten zu geben? Anton: Nööö. Jonas: Das ist sicherlich die eine Ebene, wo man so lernt, sich vor der Presse zu artikulieren. Inhaltlich und thematisch ist das aber so ein sich fortspinnender Prozess… Anton: …aber so ein Prozess, der vor allem mit sich selber einhergeht. Dafür brauche ich nur eine handvoll Leute. Dafür brauche ich vor allem keine Redakteure. Die Redakteure brauche ich nur für die Kritiken. Wenn es auch um Inhalte geht, lasst Ihr Interviews dann auch autorisieren? Jonas: Teilweise. Es kommt drauf an, welche. Es klappt nicht immer… Anton: …aber wenn wir es machen, dann ist es auch wichtig. Denn teilweise sind Sachen, die ich sage, so verschroben und so komplex, dass man sich da Sachen rauspicken kann, wenn man sie zerreißt. Das kann dann wahnsinnige Nachteile haben. Es ist schwierig. Ich möchte einfach nicht, dass Leute mich falsch verstehen bei einer Sache, die mir so wichtig ist.
Dann muss man auch kritikfähig sein, wenn man so aus dem Bauch heraus argumentiert. Anton: Ja. Und das sind wir nicht. Wir sind sehr sensibel. Wir machen sensible Sachen. Dann muss es für Euch schwierig sein, die Kommentare in Blogs zu lesen, wenn da steht… Anton: …zum Glück lesen wir das ja nicht, Ihr blendet das aus? Anton: Wir blenden das nicht aus, es existiert für uns einfach nicht. Jonas: Weil es existiert tatsächlich auch in dieser Form des Dialogs nicht. Wenn jemand etwas im Internet schreibt, schreibt er das an niemanden. Das ist einfach leere Materie. Wenn aber jemand ankommt und sagt: „Ey, das kannst Du doch nicht so ernst meinen…“, dann hat das schon eine ganz andere… erm… Anton: …Rauheit… Rauigkeit. Dann ist das ein ganz anderes Gefühl. Zum Glück erleben wir das ganz selten. Jonas: Man sagt uns, es wird sehr viel böses Zeug im Internet über uns erzählt. Aber wahnsinnig selten erleben wir, dass jemand zu uns kommt und uns das sagt. Quasi noch nie. Das kam noch nie so über die Schwelle des Internets hinaus. Darum kann man das auch so von einem fern halten. Und grundsätzlich kann man auch die Idee ausschließen, dass Du etwas sagst und jemand anderes das so versteht, wie Du Dir das vorstellst. Also es geht da wirklich nur darum, Sachen zu vermitteln, die jemand anderen zum Denken bewegen, so dass der seine eigene These entwickelt. Grundsätzlich kann man sagen: So wie wir uns das vorstellen, das versteht ohnehin niemand in der Form… Anton: …weil wir sind Phantasievögel. Das verstehen wir teilweise selbst nicht. Das ist aber auch der Sinn dahinter, wenn man die Lieder dann der Interpretation zugänglich macht: Dass man diskutiert, was jeder damit assoziiert. Und auch wenn das Gegenüber etwas anderes in dem Lied sieht, hat es sich doch damit auseinander gesetzt und das ist per se schon mal nicht schlecht. Anton: Genau. Jeder kleine Denkanstoß ist schon super. Jonas: Aber es ist schwierig zu sagen, um was es geht. Man möchte nicht diese Magie aus der Musik nehmen. Das klang vorhin aber ein bisschen anders. Anton: Genau. Das war aber auch eine andere Idee. Da ist ja auch das Songwriting ein bisschen anders. Jonas: Man möchte nicht seine Songs analysieren, einen Essay darüber schreiben, was das jetzt bedeuten oder bezwecken soll. Anton: Das Manifest steht halt in der Form.
Jonas: Und Gefühle kann man nicht in Phrasen formulieren. Bei einem Text kann man sich nicht einen Teil oder eine Zeile rauspicken. Das ist auch der Gedanke, den wir von Kunst haben: Dass es eben keine Unterhaltung ist in der Form, dass man sich entspannt. Es soll Denkanstöße geben, es soll etwas entfachen in den Köpfen. Oder in den Herzen. Das müssen wir erst mal so als Fazit über der Diskussion stehen lassen, denn es ist ja schon eine viertel Stunde vor offiziellem Beginn des Konzerts. Es ist also nicht mehr viel Zeit und ich habe ja gesehen, Ihr habt vorhin schon ein Interview gegeben… Anton: …und davor auch schon… Ok, davor auch schon. Anton: …und davor auch schon… Ok. Ich sehe schon, das könnten wir noch eine Weile so weiter machen. Anton: Ey. Ich kann echt nicht mehr. Das glaube ich und es tut mir auch Leid. Aber das ist auch genau die Frage: Wie anstrengend ist das denn? Anton: Das ist sehr anstrengend. Aber ist es dann überhaupt tragbar, vor Konzerten noch Interviews zu geben? Anton: (antwortet mit einem lang gezogenen und einlenkenden) Najaaaa. Jonas: Also ich kann mir wirklich anstrengendere und döfere Sachen vorstellen… Anton: …Fließbandarbeit, Schularbeiten… …Ja, hier sitzt man ja noch recht nett im Café. Aber habt Ihr das denn öfters, dass Ihr vor Konzerten noch so viele Interviews gebt? Anton: Nein, das haben wir eigentlich gar nicht so häufig. Das war bei dem Album jetzt recht präsent. Aber dafür sind wir zu unerfolgreich, als dass das so stark ist. Ich drücke Euch auch die Daumen, dass solche Interviewmarathons eher die Ausnahme bleiben. Jetzt entlasse ich Euch erst mal, damit Ihr rechtzeitig zum Konzert kommt. Danke, dass Ihr Euch die Zeit noch genommen habt. Anton und Jonas: Gerne und Tschüß.
> D i e S t e r n e <
Discographie: 1993 WICHTIG
1999 WO IST HIER
1994 IN ECHT
2002 IRRES LICHT
1995 UNTER GEIERN
2004 DAS WELTALL IST ZU WEIT
1996 POSEN
1997 VON ALLEN GEDANKEN SCHÄTZE ICH DOCH AM MEISTEN DIE INTERESSANTEN
1998 STELL DIE VERBINDUNG HER
2006 RÄUBER UND GEDÄRM
2010 24/7
Dazu kommen verschiedene Bonus-‐Alben: 2003 LIVE IM WESTWERK 2004 DIE INTERESSANTEN SINGLES 1992 – 2004
2008 MIT ALL DEN LEUTEN (Frank Spilker Solo) 2012 FÜR ANFÄNGER (Album zu 20 Jahren Die Sterne)
Die Sterne sind irgendwie Frank Spilker und dann doch nicht. Der Name und die ersten Tapes sind aber dem Sänger zu verdanken – aus der Zeit, als er noch in Bad Salzuflen wohnte, da wo das Fast Weltweit-‐Label aka Bernadette La Hengst, Bernd Begemann und Jochen Distelmeyer herkommt. In Hamburg ist die Band dann gewissermaßen ein Nachschlagewerk der lokalen Musikszene: die Mitglieder spielen auch bei Kolossale Jugend (Christoph Leich), den Goldenen Zitronen und Kommando Sonne-‐nmilch (Thomas Wenzel). Bezeichnend ist für Die Sterne, dass die Mitglieder sich außerhalb der Band als Produzenten und Soundtrack-‐Komponisten (Frank Will und Thomas Wenzel), Labelbetreiber und Plattenladen-‐Inhaber (Christoph Leich) betätigen. Ach ja und der funky, blues-‐ lastige Sound.
Empfehlungen: Frank-‐A-‐Delic auf Byte.fm: Jeden Donnerstag 14:00 – 15:00 legt Frank Spilker beim Hamburger Radiosender auf und gewährt als Moderator einen Blick in die Lieder, die ihn derzeit bewegen. Sauerkraut Nicht Sushi. Sampler des L’Age D’Or Labels mit nicht nur den Sternen, aber auch. Sonst noch: Jonas, Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, Stella...
1999
Du und viele von Deinen Freunden: Frank Spilker ist Interviewpartner von Astrid Vits’ Interview-‐Band Du und viele von Deinen Freunden. Schwarzkopf + Schwarzkopf, 2004
Was machen Die Sterne eigentlich sonst so? Veröffentlicht mit der Frank Spilker Gruppe Solo-‐Alben Hat 2013 den Roman Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. veröffentlicht, Hoffmann und Campe, Hamburg 2013 Thomas Wenzel Veröffentlichte Soundtracks zu Park Fiction und Der Strand von Trouville agiert unter dem Pseudonym Julius Block Christoph Leich Veröffentlichte Soundtracks (u.a. zu Dunckel) Betrieb einige Monate den Plattenladen „Seemannsglück“ in Leipzig Frank Will Produziert Hörspiele und Soundtracks (u.a. Der Strand von Trouville, Der Olympische Sommer, sag die zukunft voraus Richard von der arbeitet als Solokünstler DJ RVDS Schulenburg Betreibt das Label it’s Frank Spilker
„Es gibt eigentlich keine dummen Fragen.“ F ü r d a s I n t e r v i e w h a b e i c h m i c h a u f d e r S o u n d I n v a s i o n L e i p z i g m i t F r a n k S p i l k e r g e t r o f f e n . A m 3 0 . O k t o b e r 2 0 1 0 s a ß e n w i r z u s a m m e n i m F o y e r d e s L e i p z i g e r G e w a n d h a u s .
Nach bald 20 Jahren Bandgeschichte werfen die Die Sterne mit ihrer Musik ganz sicher mehr Fragen auf, als die nach der Bedeutung ihres Namens. Zum Beispiel die Frage nach der Hamburger Schule: Warum sie doch irgendwie dazu gehören und warum das aber eigentlich total langweilig ist. Lohnt es sich da, für solche Fragen vor dem Konzert das Essen ausfallen zu lassen? Frank Spilker erzählt über seine Interviewerfahrungen im dritten Teil der Interviews über Interviews, das selbstverständlich auch zwischen Soundcheck und Essen stattfindet. Ihr werdet sicher häufiger mit Interviewsituationen wie dieser konfrontiert: Das Interview findet vor dem Konzert statt und Ihr quetscht es zwischen Soundcheck und Essen. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie eng da der Zeitplan ist, beschreib doch bitte mal, wie so ein Tag aussieht. Meistens reisen wir zusammen an. Der Stress entsteht dann oft dadurch, dass man große Zeitunterschiede hat zwischen den Konzerten. Das heißt, dass Konzerte oder Soundchecks mal sehr früh sind und andere wieder sehr spät. Wenn dann auf ein spätes Konzert ein sehr
frühes folgt, hat man natürlich Probleme. Und der andere große Faktor ist die Entfernung, die zurückzulegen ist. Wenn man bei 500 oder 600 Kilometern Strecke 7 Stunden auf der Autobahn verbringt, hat man natürlich viel weniger Tag. Das sind so die Faktoren. Heute war es so, dass wir alle pünktlich da waren; rechtzeitig 16:00, obwohl wir erst 00:30 auf der Bühne stehen. Ich sag mal, da ist so ein Interview zwischendurch kein Problem. Das einzige, was ich immer ein bisschen schwierig finde, ist einen genauen Termin auszumachen. Wir haben zwar in unserem Plan stehen: 17:00-‐18:00 Uhr Soundcheck. Aber der dauert dann meistens noch eine halbe oder ganze Stunde länger. Und dann ja noch essen gehen… Also ist es doch recht anstrengend? Naja, es ist vor allem dann anstrengend, wenn sich alles verschiebt. Bei Festivals ist das gerne so, weil alle Journalisten gehen auf die Festivals. Das ist sehr effizient, weil da sind viele Bands und da muss man nicht jede einzeln aufsuchen. Das heißt, man kann dann 10 Interviews machen statt einem. Dementsprechend geht es den Bands dann auch so, dass man auf Festivals ganz viele Termine hat. Und wenn dann irgendetwas durcheinander kommt, dann gibt es Stress. Aber zum Essen kommt Ihr schon noch? (Frank Spilker antwortet mit einem ergebenen Lachen) Manchmal nicht. Das ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Aber ist das nicht eine Situation, in der Ihr sagen könntet: 'Auf das Interview verzichten wir jetzt, das wird zu stressig'? Meistens ist es so, dass man eher sagt: Das Essen macht man nicht. Wir haben dann so das Gefühl, wenn man es vorher ausgemacht hat, ist es nicht fair, das dann abzusagen. Aber was dann gar nicht geht, ist, wenn dann noch jemand ankommt und spontan ein Interview machen möchte. (lachend) Der kriegt das dann ab. Die Interviewanfragen laufen über Eure Promotionagentur. Ist das so ein Stück Arbeit, das Ihr abgegeben habt? Man will sich auch nicht selbst promoten. Ich finde, man kann sehr viel in einem Geschäft selber machen, aber man kann sich nicht selber nach außen vertreten. Das ist sehr schwierig. Das widerspricht auch dem, was man als Künstler macht. Aber Ihr entscheidet selbst, wie viele und welche Interviews Ihr macht? Entscheiden? Klar. Es kann einen keiner zwingen. Wir haben ja sowieso die volle Kontrolle, weil wir ja auch die Leute bezahlen, die da für uns arbeiten und Interviews akquirieren. Und wenn wir sagen 'Wir wollen das nicht' dann gibt es niemanden, der sagt: 'Ihr müsst'. Aber
selbst wenn da eine große Plattenfirma ist und die hat viel Geld ausgegeben, kann sie letztendlich nichts machen, wenn da ein Journalist von der Tagesschau kommt, ein Interview machen möchte und der Künstler sagt nein. Obwohl jedem Künstler einleuchten sollte, dass ein Feature in der Tagesschau ganz gut wäre. Hat sich Eure Sicht auf Interviews geändert, dadurch dass Ihr Euch selber vertreibt? Nein. Überhaupt nicht. Unsere Sicht auf Interviews hat sich durch Erfahrung geändert. Letztendlich mit der ernüchternden Erfahrung, man kann nicht von einer Organisation… oder vom Image einer Organisation oder Zeitung ableiten, wie ein Interview wird. Das ist völlig von der Person abhängig, mit der man spricht. Du kriegst vorher keinen Hinweis, wenn Du sie nicht kennst. Was sind denn dann Gründe für Euch, Interviews zu geben? Puhh. Das Ganze gehört, glaube ich, in den großen Bereich Marketing und Promotion. Das kann sehr unterschiedlich sein, wie man das macht. Man muss dafür keine Interviews machen. Ich glaube aber, dass man den Vorteil nutzen sollte, den man als regionale Band in dem Haifischbecken des Musikgeschäfts hat: Nämlich dass man vor Ort ist und jedes Interview machen kann. Natürlich können das Projekte, die international unterwegs sind, nicht so leicht. Das ist ein Wettbewerbsvorteil. Lehnt Ihr viele Interviews ab? Also ehrlich gesagt: Die Leute, die wissen, dass wir ihnen keine Interviews geben würden, fragen auch gar nicht. Wer ist das? Es gibt ja so getarnte rechte Organisationen, auch gerade im Internet, so verschiedene Webseiten, die sich auch tarnen als Kulturmagazin. Und da ist man froh, wenn man das noch rechtzeitig rauskriegt. Was war so die krasseste Interviewsituation, die Ihr erlebt habt? Es gibt Leute, die ein unglaublich ignorantes Selbstbewusstsein entwickeln, bei denen man auch annehmen kann, dass da psychoaktive Substanzen eine Rolle spielen. Aber das ist auch schon fast der journalistische Normalfall. Das kommt vor und das finde ich auch das Schwierige an der Situation: Wenn Du nicht weißt, warum tickt das Gegenüber so seltsam. Aber ich habe auch schon oft erlebt, dass man sich nach dem Interview wirklich scheiße gefühlt hat und hinterher war es ein super Artikel. Gibt es denn so wirklich dumme Fragen, die Euch vielleicht auch irritiert haben?
Dumm… Also ich weiß nicht. Ich finde, es gibt eigentlich keine dummen Fragen. Das dümmste ist, keine Fragen zu haben. Also, wenn man merkt, da ist jemand, der will ein Interview machen, hat sich aber überhaupt nicht damit beschäftigt — Dann kommen so die Standardfragen: Wie heißt ihr. Wie seid Ihr auf den Namen gekommen? Was macht Ihr für Musik? Also schlimmstenfalls. Das passiert aber nicht häufig, oder? Häufiger als man denkt. Und man könnte denken, dann eher so bei Schülerzeitungen… Aber tatsächlich passiert das auch sehr oft bei den ganz großen Publikationen. Meiner Theorie nach ist der Hintergedanke der Redakteure dabei, dass man jemanden hinschickt zu einer Band, der möglichst keine Ahnung hat. Weil dann stellt er die gleichen Fragen, die auch der Fernsehzuschauer stellen würde. Aber eine Band, die es seit bald 20 Jahren gibt, zu fragen: 'Wie seid Ihr auf den Namen gekommen?'… Dazu gehört schon eine Menge Chuzpe. Ich finde es aber auch nicht so überraschend, dass das weniger bei Schülerzeitungen passiert, weil die das ja eher aus so einem Fantum heraus machen, weil sie eben die Musik mögen und nicht, weil Die Sterne unbedingt Thema in der Redaktion sein müssen. Ja, man merkt dann auch, dass es besser ist, in manchen Bereichen gar nicht stattzufinden als auf so einem Niveau. Ich habe Interviews gemacht mit regionalen Fernsehsendern, wo ich dachte: Das wird total schlimmer Quatsch, weil die können sich gar nicht dafür interessieren, was wir machen. Und dann waren das aber super Gespräche, weil der Typ einfach Fan war. Und dafür andere Sendungen… Ich habe ein Interview mit 3Sat gemacht, das ganz grauemhaft war. Oder da war vor kurzem ein Interview mit dem Hamburger Festival Dockville und die Journalistin war von der Sorte Ich habe eine bestimmte Meinung und die will ich jetzt bestätigt haben. Das kommt dann eben aus Ecken, wo man das nicht denkt: Du denkst: 3Sat, Kulturzeit, da sitzen eigentlich Sterne-‐Fans und trotzdem schicken die da Leute, die machen da so einen Quatsch, Fans sind also die besseren Interviewer? Ich glaube, das angenehmste ist, mit Leuten zu reden, die Interesse haben, Es ist gar nicht so wichtig, wahnsinnig gut vorbereitet zu sein. Was genau macht ein Gespräch dann im Gegenzug merkwürdig? Ganz klar ein Grundproblem ist eben, wenn Leute nicht ergebnisoffen an ein Interview rangehen, sondern eine bestimmte Aussage haben wollen, die sie sich vorher überlegt haben. Das gibt es ganz oft. Das ist der Klassiker. Die einfach noch mal die vorgeschriebenen
Antworten bestätigt haben wollen vom Künstler und so lange fragen, bis sie eine Antwort bekommen, die sie ungefähr so hindrehen können, dass es in ihrem Sinne ist. Man kann sagen: der klassische Bildzeitungs-‐Journalismus. Aber das gibt es eben nicht nur in der Bildzeitung, sondern auch bei Fanzines oder kleinen Zeitungen. Es gibt immer wieder Leute, die sich überlegen, dass das, was sie wahrnehmen, wichtiger ist als das, was sie vielleicht aus der Gesprächssituation herausziehen können. Die also von einem Interview nur wollen, dass man das bestätigt, was sie sich überlegt haben. Das ist ja, wie wir gehört haben, unabhängig davon, von welcher Zeitung oder welchem Sender der Interviewer kommt. Habt Ihr trotzdem Unterschiede festgestellt zwischen zum Beispiel kleinen Magazinen und etablierten Zeitungen? Die gibt es auf jeden Fall, aber das ist schwer zu pauschalisieren. Was natürlich online nicht so ein Problem ist, ist der Platz und Zeit. Das heißt, das Netz ist geduldiger als Papier. Bei einem Zeitungsartikel, wo stark gekürzt wird, findet man eben ein Gespräch auch eher verstümmelt wiedergegeben. Das passiert im Internet selten. Dafür ist es auch manchmal konzentrierter. Autorisiert Ihr dann Interviews auch häufig? Am liebsten würde ich das immer machen, aber wir sind da nicht so völlig pingelig. Ich habe auch schon erlebt, dass ich ein Interview autorisiert habe und dann habe ich dabei einen Satz aus dem Zusammenhang gerissen, es autorisiert und mich hinterher trotzdem völlig missverständlich dargestellt gefühlt. Es ist auch so: Wenn man schon anfängt zu autorisieren, ist im Grunde schon so ein Misstrauen da. Aber es ist tatsächlich manchmal eine Hilfe. Hab Ihr denn schon mal bereut, etwas gesagt zu haben? Ja. Schon. Auf jeden Fall. Auch so aus dem engsten Bekanntenkreis: Ted Gaier zum Beispiel hat einen Artikel geschrieben über die Jägermeister Rockliga, wo wir mitgemacht haben… Er hat sich da irgendwie backstage geschlichen und hatte auch das Interview nicht abgemacht und hat da Sachen aufgeschnappt und aus dem Zusammenhang gerissen und in der Zeit und in der Spex geschrieben. Das war sozusagen das Schlimmste und Niveauloseste, was man machen kann im Journalismus und das kam dann aus dem ganz engen Freundeskreis. Puhh. Da weiß man nicht, was man sagen soll… Ja. Das meinte ich eben auch: Man weiß nicht, was der andere vorhat. Das ist ja wirklich ein Extremfall. Aber auch, wenn das Interview ordentlich angemeldet und ganz offen geführt wird, kann es ja unangenehm sein: Wenn immer die gleichen Fragen gestellt werden. Oder wenn es banale Fragen sind. Welche Fragen wollt Ihr denn nicht hören?
Ja. Das ist zum Beispiel eine davon: Das Schlimmste ist eben immer, wenn Fragen zurück gegeben werden an den Interviewpartner. Also zum Beispiel: 'Was wolltest Du schon immer gefragt werden?' oder 'Was bist Du noch nie gefragt worden?' oder eben 'Was kannst Du nicht mehr hören?' Das ist so… 'Mir fällt nichts ein, also sag Du doch mal etwas'. Das finde ich dann immer auch so ein bisschen respektlos, weil, wenn Du keine Frage hast, musst Du auch kein Interview machen. Aber ich weiß ja auch, was gemeint ist, jetzt in dem Fall. Ich musste das auch fragen, weil sich bestimmte Fragen ja wahrscheinlich wiederholen. Ja, aber ich finde es auch logisch, dass bestimmte Themen immer wieder auftauchen, weil man ja auch Themen vorgibt als Band. Du machst ja eine Platte mit bestimmten Inhalten und zu denen kommen dann eben die Fragen. Und es kommen teilweise die gleichen Fragen, aber es ist auf Seiten der Journalisten eine viel zu große Angst, dass das jetzt irgendwie schlimm wäre. Weil erstens kann man ja mit den Antworten variieren und zweitens will man ja bestimmte Themen auch erörtert haben. Deswegen wählt man ja Songtitel aus und bestimmte Sounds. An welche Themen denkst Du da genau? Ich möchte zu dem am liebsten gefragt werden, was die aktuelle Platte an Ideen vermittelt und was da an Musik drauf ist. Das ist klar. Darüber möchte man reden als Band und nicht über: erstens Platten, die schon ewig alt sind und zweitens: nicht unbedingt immer auf der Metaebene. Es geht einem ja um die Platte. Unsere Arbeit besteht ja aus der Musik und dazu möchte man dann auch gerne gefragt werden. Also dann tatsächlich doch auch Interpretationsfragen und Fragen nach der Bedeutung der Lieder? Na… Nein. Das ist ja kein Rätselspiel. Wir machen ja kein Galgenraten: So, jetzt ratet mal, was wir sagen wollen. Es geht darum… Was ich mich zum Beispiel immer frage, wenn ich eine Platte von einer anderen Band höre, ist: Wie ist jemand zu dem Thema gekommen und zu der Musik. Es gibt ja immer Einflüsse: Bücher, die man gerade gelesen hat oder Musik, die man gehört hat, Fragen, die man sich gestellt hat, persönliche Dinge. Diese ganzen Faktoren sind für mich so der Hintergrund einer Platte. Das wäre das, was mich interessieren würde und letztendlich auch das, worüber ich reden möchte. Ein anderes Thema, das immer wieder gerne angesprochen wird, ist die Hamburger Schule. Dabei ist das doch ziemlich abgehakt. Das hast Du selbst auch schon gesagt mit dem Hinweis: „Und darauf immer wieder angesprochen zu werden, macht es auch nicht besser“. Kann man sich gegen die Frage eigentlich wehren? Naja. Nur so… Also so direkt sagen…
Ja, aber man kann ja auch seine Geschichte nicht verleugnen. Man kann sich letztendlich nur da rausziehen, indem man sagt: Dazu habe ich alles gesagt. Siehst Du denn noch einen Sinn für die Leser, wenn Du eine Frage zum 10. Mal beantwortest? Naja, es kann ja schwer zum 9. Mal eine Frage zum 9. Album kommen, wenn das 9. Album erst gerade rausgekommen ist. Und wenn dann eine Frage zehn Mal kommt, dann hat das auch einen Grund und dann freut einen das eigentlich auch eher, weil das heißt, dass man etwas kommuniziert hat. Neben der Musik werdet Ihr aber auch recht häufig nach politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen gefragt. Ist das ein Thema, über das Ihr gerne sprecht? Es ist ja nicht so, dass die Musik, die wir machen, frei ist von diesen Themen. Es hat etwas damit zu tun, dass man nicht beim Lovesong stehen bleibt, sondern dass man auch Gedanken, die man hat, verallgemeinert und sagt: Das geht jetzt anderen auch so. Zum Beispiel diese 24/7-‐Mentalität, die wir ja auf dem aktuellen Album ansprechen, inwieweit sich das Thema normalisiert. Das heißt, entweder Du hast gar keine Arbeit oder Du bist komplett drin in dem System. Das ist jetzt erst einmal eine Behauptung und jeder kann da ansich eine Meinung dazu haben. Und da wird es dann interessant, finde ich. Da kommt man ins Gespräch, auch wenn jemand sagt 'Finde ich nicht' oder 'Wie kommst Du denn darauf'. Das bedeutet also, eher eine Diskussion mit dem Interviewer über das Album, was dann aber Spielraum für Interpretationen lässt. Also für mich ist nicht wichtig zu sagen, ob zum Beispiel ein Lied wie 24/7 jetzt ironisch gemeint ist oder nicht. Das ist völlig Wurst. Es ist relativ klar, dass wir jetzt nicht alle in die FDP eingetreten sind… (Frank Spilker muss hier selber lachen) und zur totalen Selbstausbeutung aufrufen. Das kann man sich denken. Trotzdem ist es ja, wenn Du das im Klartext liest, nichts anderes: Ein Text, den man notwendigerweise leicht ironisch verstehen muss und nicht genau weiß, wie ist das jetzt gemeint. Ich würde aber immer diese Art zu Texten dem moralischen Zeigefinger vorziehen. Habt Ihr schon Situationen erlebt, in denen Ihr so komplett am Interviewer vorbeigeredet habt? Ja, natürlich. Aber mit der Einschränkung, dass ich das Gefühl beim Gespräch hatte und dann war das trotzdem ein guter Text. Das funktioniert aber nicht immer, oder? Ich habe ein Interview gelesen, bei dem am Ende die Frage stand: „Du fühlst Dich aber nicht sinnlos, oder?“ Wie reagiert man darauf?
Ja, das ist so eine Frage… Da weiß man nicht, was man sagen soll. Meistens liegen dem ja gewisse Missverständnisse zugrunde: Ich rede über die Geschichte, die ich erzählen will und es wird verstanden, dass ich immer über mich rede. Das ist so, wie es Leute gibt, die die Schwarzwaldklinik sehen und die operiert werden wollten von dem Schauspieler, der den Arzt gespielt hat. Was macht Ihr, wenn Ihr im Interview an einen Punkt kommt, an dem Ihr eigentlich sagen müsstest: 'Das geht jetzt nicht mehr. Wir würden eigentlich gerne gehen'? Sagt Ihr das? Überspielt Ihr das? Oder merkt Ihr das erst hinterher? Puhh. Es gibt da natürlich Rituale. Mitunter hat man ja von vornherein ein bestimmtes Zeitlimit. Ich habe auch noch nie ein Interview abgebrochen. Ich habe zwar schon sehr gelitten, aber nie gesagt: „ So, das ist mir jetzt zu doof, ich geh jetzt“. Leider, muss ich sagen. Bist Du da zu höflich? Ja, das ist schwer, weil die Erkenntnis kommt erst so peu á peu, dass man weiß, man müsste eigentlich mal Schluss machen. Ist es Euch dann wichtig, mit dem Interviewer persönlich unter vier Augen zu sprechen und ein direktes Interview zu führen? Beziehungsweise, wie steht Ihr denn zu Alternativen wie Telefon-‐ oder Email-‐Interviews und EPK? Hm. Also es ist schon ein Unterschied, ob bei dem Interview ein Tape läuft oder nicht. Das finde ich total ok. Telefoninterview ist ok. Email-‐Interview finde ich auch sehr gut, weil man da mehr Zeit hat als vielleicht jetzt zwischen Soundcheck und Essen und weil man sich hinsetzen kann, wenn man wirklich Lust dazu hat: Da ist man dann unter Umständen auch geduldiger. Dann fehlt Euch auch die Beziehungsebene nicht? Man sitzt sich nicht gegenüber und merkt dann ja auch nicht, wie der Interviewer auf die Antwort reagiert. Also, ich finde das nicht schlimm. Ich weiß natürlich nicht, wie ich das als Journalist sehen würde, aber für mich als Interviewten ist das eigentlich besser. Und das EPK? Das setzt sich ja immer mehr durch und ist vielleicht eine ganz gute Ergänzung zu der Presseinfo, die bei CD-‐Veröffentlichungen an die Presse geschickt wird. Ja, das meinte ich vorhin schon. Das ist ja genau der Vorteil gegenüber den internationalen Bands: Die machen das EPK ja deshalb, weil sie nicht vor Ort sein können. Wir haben auch lange überlegt, ein EPK zu machen, und haben uns letztendlich immer gefragt: Aber warum? Wir können ja kommen. Wir können ja jederzeit überallhin fahren und live ein Interview machen. Das EPK hat ja auch den Nachteil, dass alle Sender und Zeitungen das selbe Material bekommen.
Geht Ihr eigentlich unvoreingenommen an Interviews heran oder bereitet Ihr Euch auf Interviews vor in dem Sinne, dass Ihr auf bestimmte Fragen schon Routine-‐Antworten habt? Ich wünschte, das wäre so, dass wir da routinierter wären. (Frank Spilker macht eine kurze Pause und fährt dann etwas zögerlich fort) Ich finde, dass wir in punkto Selbstdarstellung eigentlich nicht die beste Arbeit machen. Also die Sterne sind immer so ein bisschen ein ständiges Understatement, so im Vergleich zu anderen Bands, die vielleicht angeben wie eine Tüte Mücken. Aber das ist eine Frage der Persönlichkeit. Da kann man auch nicht sagen: Wir wollen das anders machen. Wenn man sich das vornimmt, sitzt man dann in der Interviewsituation und macht es doch wieder wie immer. Da hier jetzt schon die ersten Aufbauarbeiten anfangen, nur noch eine letzte Frage: Gibt es denn etwas, das der Interviewer machen kann, damit Ihr Euch wohlfühlt? Ich glaube, wenig. Weil die Faktoren dafür sind außerhalb unserer Reichweite und der des Journalisten: Das sind Zeit, Umgebung und so weiter. (Frank Spilker überlegt) Ansonsten nur… ins Gespräch kommen. Also, wenn man irgendwann das Gefühl hat, das ist gar kein Frageninterview mehr. Aber das kann man nicht erzwingen. Wenn es, wie hier jetzt, laut wird, merkt man, dass es ein bisschen unangenehm wird. Oder wenn die anderen warten. Das habe ich jetzt im Hinterkopf und das schränkt so ein bisschen ein. Aber es muss ja auch nicht perfekt sein. Dann sollen die anderen auch nicht länger warten. Ich danke Dir, dass Du Dir die Zeit genommen hast. Gerne.
Go exclusive – Interviews über Interviews mit deutschen Musikbands. Kerstin Petermann
Abstract Recently, a number of insight-‐studies into music journalism emerged. However, they mostly focus on the journalists’ views. In extensive interviews with German bands I explore the musicians' views on interviews. It gives them the opportunity to share their experiences with journalists and on what makes interviews interesting. Even more: It gives them the chance to speak about the role of journalists and how they perceive being the object of coverage in the press. Results show that bands pursue two approaches on being interviewed, while they are well in accordance on certain aspects concerning the interview form and situation. Keywords: interview, band, music group, pop music, music journalism,
Einleitung Dr. Med. konstatiert in der Kolumne der Fachzeitschrift Medium (7+8/2010) »Eine Inflation an Interviews grassiert in den deutschen Medien«. Schuld daran seien der Produktionsalltag in den Redaktionen, die ökonomischen Zwänge und der Zeitdruck. Für den Musikjournalismus bestätigt Thomas Venker (2003: 211ff) diese bedrückenden Arbeitsbedingungen und weitet sie auf die Zusammenarbeit mit der Industrie, also Platten-‐ und Promotionfirmen sowie Bandmanagement aus. Während in Venkers (ibid) Darstellungen diese Bedingungen nicht dazu führen, dass Musikjournalist_innen weniger engagiert oder idealistisch an die Arbeit gehen, stellt André Doehring (2011: 182) in der redaktionellen Beschäftigung eine professionelle Distanz zum Berichtsgegenstand Musik fest. Einen der in seiner Studie befragten Redakteure zitiert er wie folgt. »Klar sind die (Bands) nett für die dreißig Minuten Interview«. Aber man dürfe nicht erwarten, dass sie einem im Interview mehr sagen, als anderen Journalist_innen auch (2011: 192f). Allerdings wird von Journalist_innen die professionelle Distanz als wesentlicher Bestandteil des Berufsverständnisses begriffen und als Notwendigkeit, um den eigenen journalistischen Ansprüchen gerecht zu werden. Noch spezifischer offenbart sich die Bedeutung des Interviews für den Musikjournalismus in der Feststellung Doehrings (2011: 190), dass es zum Auswahlkriterium für die zu besprechende Musik werden kann, ob die Band für ein Interview zur Verfügung steht. Nicht zu vernachlässigen ist zudem das Interview als Werbe-‐ und Promotionplattform. Von den Musikjournalist_innen ist die Promotion durchaus akzeptiert, sofern sie diese Plattform selbst eröffnen und entsprechend kontrollieren (Doehring 2011: 233). Anja Peltzer (2013) widmet darüber hinaus eine ganze Studie der Untersuchung von Fragestrategien in Pressekonferenzen von Popkünstler_innen und stellt auch für diese spezielle Darstellungsform und der ihr eigenen Inszenierung ein enormes Werbepotential fest.
Dieser einführende Überblick in die Literatur zum Interview und seiner Bedeutung im Musikjournalismus zeigt: Es gibt bereits einige Studien und Erkenntnisse zur Sichtweise von Musikjournalist_innen. Bisher gibt es allerdings nur vereinzelte Einblicke in die Sichtweise der Interviewten, also der Bands und Musiker_innen. Die hier vorgestellten Interviews ermöglichen die direkte Ansprache Interview-‐relevanter Aspekte und eine Einschätzung durch die Bands als Interviewte. In der Auswertung ermöglichen die Interviews zudem die Ableitung einer generelleren Sichtweise auf das journalistische Interview und auf die Erfahrungen, die die Bands gemacht haben. Methode Als Grundlage der Analyse dienen sechs Interviews, die ich mit sechs Bands zum Thema Interviews geführt habe. Alle sechs Bands sind dem Indiepop und -‐rock zuzurechnen und kommen aus Deutschland. Das Publikum, das sie ansprechen ist demnach zunächst als ähnlich anzunehmen. Alle sechs Bands sind zudem Thema in den führenden deutschen Musikmagazinen und Feuilletons. Allerdings unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Interviewerfahrung. Das ist durch ihre recht unterschiedlichen Bandgeschichten bedingt, die von zwanzig bis zwei Jahren zurückreicht. Die Interviews habe ich zwischen Herbst 2010 (17. August 2010) und Winter 2012 (22. Dezember 2012) geführt. Bis auf das Interview mit Interviewpartner 1, das als Phoner über Telefon geführt wurde, fanden alle Gespräche als face-‐to-‐face-‐Situation statt. Um die Anonymität der Interviewpartner_innen weitgehend zu wahren, werden die Interviews in der Folge ihrer Durchführung von eins bis sechs durchnummeriert. Einige Interviews wurden mit mehreren Bandmitgliedern geführt. Hier verzichte ich auf eine Unterscheidung der Gesprächspartner_innen, zumal es sich lediglich bei einem Bandmitglied um eine Frau handelt, die demnach durch eine Geschlechterbezeichnung auch individuell erkennbar wäre. Die Interviews und Transkripte können bei mir eingesehen werden, wenn die Notwendigkeit besteht. Die Interviews sind als halboffene Interviews geführt, die in Form der Konversationsanalyse sozialwissenschaftlich analysiert und ausgewertet werden. Es handelt sich dabei um eine sozialwissenschaftliche Herangehensweise, die dem kommunikationswissenschaftlichem Hintergrund des Untersuchungsgegenstandes (das journalistische Interview) geschuldet ist. Dabei wird mit Peter Berger und Thomas Luckmann (1966) davon ausgegangen, dass die Kommunikation als soziale Interaktion die soziale Wirklichkeit reflektiert und bestimmt. Ausgangspunkt für die Untersuchung sind demnach in erster Linie die Interviews. Sie bilden mit ihren expliziten und impliziten Äußerungen die Interpretationsgrundlage, auf der die Analyse der Sichtweise der Interviewten beruht. Ergebnisse der Analyse Bei der Analyse zeigt sich, dass die professionelle Distanz, die André Doehring (2011: 182) für die Journalist_innen konstatiert, eben nicht nur bei den Journalist_innen zu finden ist, sondern ebenso bei den interviewten Bands. Das heißt, in den Interviews offenbart sich eine deutliche Skepsis gegenüber der Darstellungsform des Interviews. Das geht so weit, dass
Interviewpartner 1 dem Interview als musikjournalistische Darstellungsform die Relevanz abspricht: »Ich glaube, dass liegt ja in der Struktur der Sache selbst: Dass immer, wenn es um Pop-‐ Musik geht, das Interview die adäquate Form zu sein scheint, um einen Artikel zu schreiben. Und das würde ich eben infrage stellen. Man erfährt durch Interviews oft weniger, als wenn der oder diejenige, die den Artikel schreibt, etwas über das Album schreiben würde, ohne vorher mit der Band gesprochen zu haben. Das fände ich persönlich interessanter. Also wie das ja auch bei Büchern passiert, wo es ja weniger Interviews mit Schriftstellern oder Schriftstellerinnen gibt.« (Interview 1). An anderer Stelle im Interview äußert Interviewpartner 1, dass kein ständiger Kontakt zwischen Band und Musikjournalist_innen besteht. Die Band kenne zwar den Großteil der Redakteure, weil sie bereits seit zwanzig Jahren von der Presse begleitet wird, es bestehe aber keine freundschaftliche Verbindung. Wenn man bei einem Interview auf bekannte Redakteur_innen trifft, dann sei das laut Interviewpartner 1 (Interview 1) »eher so, als würde man jemanden wiedertreffen, den man längere Zeit nicht gesehen hat«. Eine ganz ähnliche Distanz beschreiben auch die Interviewpartner 6 im Interview 6. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass beide selbst ab und zu als freie Autoren für Musikmagazine schreiben und in Köln leben, wo auch die Intro, eines der führenden deutschen Musikmagazine, ihren Redaktionssitz hat, wodurch eine örtliche Nähe zu den Redakteur_innen gegeben ist. Diese hier gezeigte Distanz findet sich in unterschiedlicher Form in allen Interviews geäußert. Häufig geht sie jedoch mit der Enttäuschung einher, dass im Gespräch oder im späteren Text des Interviews, die intentierten Inhalte nicht adäquat wiedergegeben werden und dem Interview als Darstellungsform damit eher mit der gebotenen Nüchternheit zu begegnen ist. Interviewpartner 2 äußert im Interview 2 diese Enttäuschung explizit: »Mittlerweile ist diese Euphorie schon gleich Null. Weil ich erzähle ich Dir jetzt etwas, aber ich habe keine Ahnung, ob Du mir überhaupt zuhörst. (...) Das ist so ein bisschen die Erkenntnis, die wir nach den Interviews gewonnen haben: Dass so ein Interview nie das wiedergeben kann, was durch die Musik vermittelt werden soll.« (Interview 2). Die Ernüchterung und Distanz äußert sich in den Interviews in zweierlei Hinsicht: Zum einen wird der Promotion-‐Effekt des Interviews immer wieder betont und so auch akzeptiert. Zum anderen zeigt sich die Tendenz, das Interview als Teil der Arbeit von Künstler_innen zu begreifen. Das ist selbstverständlich eine sehr nüchterne und unromantische Sichtweise auf den Beruf eines Kunstschaffenden. Es ist allerdings auch eine realistische Sichtweise, die umso wichtiger ist, je mehr auf die ökonomischen Zwänge von Musiker_innen aufmerksam gemacht werden muss. In der Sichtweise werden Parallelen zum Berufsverständnis von Musikredakteur_innen deutlich, das sich in Doehrings (2011) Befragungen offenbart. Die Notwendigkeit, das Interview als Promotionplattform zu begreifen, wird unter anderem in folgenden Äußerungen von Interviewpartner 6, Interviewpartner 1 und Interviewpartner 4 deutlich:
»Natürlich kann man als Künstler die Entscheidung treffen, nicht mehr diese Werbegespräche über sein neuestes Produkt führen zu wollen. Aber dann muss man auch keine Platten mehr machen. Wenn man eine Platte herstellt, möchte man damit jemanden erreichen und nicht in den luftleeren Raum rufen. Wenn man also Leute erreichen möchte, sozusagen durch seine Kunst kommunizieren, ist es natürlich schön, ein Forum geboten zu bekommen, um etwas zu sagen.« (Interview 6). »Frage: Warum gebt Ihr dann überhaupt Interviews? Um mal die Kernfrage dieses Interviews zu stellen. Interviewpartner 1: Weil wir vertraglich dazu verpflichtet sind. Wenn man ein Album veröffentlicht, dann ist man vertraglich dazu verpflichtet, das Album zu promoten. Und deshalb macht man diesen Interviewmist. Also es ist nicht ganz freiwillig, muss man sagen. Das wird Dir jeder Musiker sagen. Es gehört eben dazu und ich finde es auch in Ordnung. Es ist ein Teil des Jobs. Tja, warum macht man das jetzt? Also aus Spaß an der Freude bestimmt nicht.« (Interview 1). »Frage: Würdet Ihr auch Interviews geben, wenn Ihr auf die Presse nicht angewiesen wärt? Interviewpartner 4: Gute Frage. (überlegt) Kann sein, dass wir das nicht machen würden. Frage: Und warum nehmt Ihr Euch dann jetzt die Zeit, obwohl Ihr gerade vom Soundcheck kommt und in einer Stunde schon wieder auf der Bühne stehen müsst? Interviewpartner 4: Weil ich ja will, dass Du etwas über uns schreibst und dass das dann Leute lesen. Ich will ja von der Musik leben. Das darf man ja nicht vergessen: Es ist ja auch ein Job.« (Interview 4). Insbesondere die letzten beiden Äußerungen machen deutlich, dass die Band als Job begriffen wird, der zwar erfüllend ist, aber auch für den Lebensunterhalt sorgen soll. Das Interview wird dann notwendigerweise zum Teil des Jobs von Musiker_innen. Dabei ist hervorzuheben, dass Interviewpartner 1 immer auch betont, wie schwierig das Interviewen ist. Es lässt sich besonders bei ihm feststellen, dass das Interview auch für die Interviewer_innen als Job und Arbeit begriffen wird. Im Gegensatz zu der professionellen Distanz der Musikjournalist_innen ist die Distanz der Bands nicht zwingend eine selbstgewählte Sichtweise auf den eigenen Beruf. Zu der Distanz kommt bei den Musiker_innen häufig eine Enttäuschung über das mitunter fehlende Engagement der Journalist_innen oder die ernüchternden Zwänge der Musikindustrie. In allen sechs Interviews lassen sich Äußerungen finden, die Erfahrungen mit solchen Enttäuschungen reflektieren: »Das dümmste ist, keine Fragen zu haben. Also, wenn man merkt, da ist jemand, der will ein Interview machen, hat sich aber überhaupt nicht damit beschäftigt – Dann kommen so die Standardfragen: Wie heißt ihr. Wie seid Ihr auf den Namen gekommen? Was macht Ihr für Musik? Also schlimmstenfalls. (...) Das Schlimmste ist eben immer, wenn Fragen zurück gegeben werden an den Interviewpartner. Also zum Beispiel: 'Was wolltest Du schon immer gefragt werden?' oder 'Was bist Du noch nie gefragt worden?' oder eben 'Was kannst Du nicht mehr hören?' Das ist
so... 'Mir fällt nichts ein, also sag Du doch mal etwas'. Das finde ich dann immer auch so ein bisschen respektlos, weil, wenn Du keine Frage hast, musst Du auch kein Interview machen.« (Interview 3). »Frage: Mir scheint, es ist leichter, über Musik zu reden als über die Texte... Zum Teil stimmt das wohl. Aber das liegt sicher auch an der Art wie Interviews geführt werden, weil solche Dinge vor allem dann passieren, wenn man einen Fragekatalog hat, den man abarbeiten will anstatt es als Austausch, als Gespräch zu betrachten, das sich in diese oder jene Richtung entwickeln kann.« (Interview 6). »Ich meine, Du darfst ja auch nicht vergessen: Es gibt ja viele Leute, die kommen zum Interview und da kannst Du froh sein, dass die das Album überhaupt mal gehört haben. Das muss auch mal gesagt werden. Die kommen dann an und da ist man auch perplex über die Chuzpe, die die haben.« (Interviewpartner 1). »Wir haben allerdings einmal per Mail ein Interview gemacht. Da waren wirklich 10 Klischeefragen durchdekliniert. Ich habe das dann meinem Mitbewohner gegeben, der hat das dann beantwortet ...« (Interview 4). Daraus spricht die explizit geäußerte Ernüchterung, die Interviewpartner 5 eher implizit ausdrückt: »Das heißt, so wie der Interviewer sich vorbereitet hat und vielleicht schon weiß, worauf er hinaus will, weißt Du als Künstler auch, was Du sagen willst. Und dann kann es natürlich passieren, dass alles ganz anders kommt und Du ein wirkliches Gespräch führen kannst.« (Interview 5). Diese Äußerung macht deutlich, dass der inspirierende Gedankenaustausch eben nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme ist. Zu dieser Ernüchterung über mangelnde Vorbereitung oder mangelndes Interesse kommt an verschiedenen Stellen die Erkenntnis und Akzeptanz des Systems von Medien und Musikindustrie. »Interviewpartner 6a: Teilweise sind Interviewpartner sogar unzufrieden, wenn man nicht die Antwort gibt, den zitierfähigen Slogan, der maximal drei Zeilen lang ist und am Ende einen Punkt hat... Interviewpartner 6b: ...Stimmt, das gab es auch. Da waren Leute konsterniert, weil wir nicht gut mitgespielt haben, denn es ist ja wie ein PingPong-‐Spiel: Einer schlägt auf, der andere spielt den Ball zurück. Da ist es nicht vorgesehen, dass man den Spielfluss unterbricht, dass man überlegt und dann ernsthaft auf die Frage antwortet. Aber wir können eben nicht diesen einen Satz abfeuern, der knallig ist und leicht hinzuschreiben. Mitunter waren die ‚Medienpartner’ deshalb sehr unzufrieden mit uns und haben eigens ausgedachte Antworten hingeschrieben, die ihnen besser gefielen als das, was wir tatsächlich gesagt hatten.« (Interview 6). »Interviewpartner 5a: Und mir ist gerade noch etwas eingefallen: Es gibt einen Unterschied zwischen Interviewsituationen. Es ist etwas ganz anderes, ob Du ein Interview für Print gibst
oder fürs Radio. Bei den Formatradios hast Du genau ein Zeitfenster vorgegeben – meinetwegen 50 Sekunden zwischen den Songs... Interviewpartner 5b: ...und da musst Du performen... Interviewpartner 5a: ...und da hast Du die Schere im Kopf, wenn Du weißt, Du musst das jetzt in einem Satz sagen. Interviewpartner 5b: Und ein anderer Unterschied ist auch: Beim Radio merkt man genau, dass es dem Interviewer nur darum geht, seine Fragen zu stellen und die Antworten sind eigentlich völlig egal. Aber Du weißt ja bei unserem Interview, dass Du das hinterher in eine lesbare Form bringen musst, deswegen bist Du natürlich daran interessiert, Deine Fragen so zu stellen, dass Du auch eine vernünftige Antwort bekommst. Du bist auch gespannt auf die Antwort. Beim Radio oder Fernsehen ist nur wichtig, dass man kurz und knapp antwortet. Das sieht man auch an den Augen: Die Interviewer schauen schon auf ihre Moderationskarte oder darauf, wo das nächste rote Licht ist. Da sind so old-‐school Interviews angenehmer.« (Interview 5). Bei all der hier gezeigten Ernüchterung und Distanz lässt sich aber beim Großteil der Bands auch eine grundsätzlich positive oder sogar eine idealistische Haltung dem Interview gegenüber erkennen. Zum Beispiel in der Äußerung von Interviewpartner 4: »Ich rede ja wirklich gerne mit Leuten, aber manchmal sind Interviews einfach so klischeehaft durchdekliniert, dass es dann wieder belanglos wird. Aber oft sind natürlich auch Fragen dabei, aus denen sich ein gutes Gespräch entwickelt.« (Interview 4). Sie zeigt zum einen natürlich die explizit geäußerte Enttäuschung, zum anderen aber auch eine grundsätzlich positive Haltung dem Interview gegenüber, das heißt, der Wille, sich auf gehaltvolle Gespräche einzulassen. Deutlich wird diese zwiegespaltene Sicht auch bei Interviewpartner 3: »Aber ich habe auch schon oft erlebt, dass man sich nach dem Interview wirklich scheiße gefühlt hat und hinterher war es ein super Artikel. (...) Ich habe Interviews gemacht mit regionalen Fernsehsendern, wo ich dachte: Das wird total schlimmer Quatsch, weil die können sich gar nicht dafür interessieren, was wir machen. Und dann waren das aber super Gespräche, weil der Typ einfach Fan war. Und dafür andere Sendungen... Ich habe ein Interview mit 3Sat gemacht, das ganz grauenhaft war.« (Interview 3). Differenzierter lässt sich noch feststellen: Die Unterschiede in der Einschätzung der Interviews durch die Bands liegen weniger in der Feststellung einer generellen Distanz oder Enttäuschung, sondern darin, wie die Bands mit dieser Erkenntnis in der Praxis umgehen. Hier lassen sich wesentliche Unterschiede konstatieren, die sich mit zwei Herangehensweisen der Bands an Interviews beschreiben lassen. Die erste Herangehensweise ist von Idealismus geprägt und der vorurteilsfreien Annahme, dass das Gespräch für beide Seiten gewinnbringend und inhaltsvoll sein kann. Die zweite Herangehensweise ist hingegen geprägt von einer Resignation gegenüber dem Interview als Darstellungsform.
Der Idealismus zeigt sich dadurch, dass die Band mit den grundsätzlichen Wunsch in das Interview geht, Inhalte zu vermitteln. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass es das Hauptziel des Interviews ist, Inhalte zu diskutieren, und es auch im Interesse der Musikjournalist_innen ist, ein gehaltvolles Gespräch zu führen. Diese Sicht zeigt sich zum Beispiel in folgender Äußerung: »Ganz klar ein Grundproblem ist eben, wenn Leute nicht ergebnisoffen an ein Interview rangehen, sondern eine bestimmte Aussage haben wollen, die sie sich vorher überlegt haben. Das gibt es ganz oft. Das ist der Klassiker. Die einfach noch mal die vorgeschriebenen Antworten bestätigt haben wollen vom Künstler und so lange fragen, bis sie eine Antwort bekommen, die sie ungefähr so hindrehen können, dass es in ihrem Sinne ist. Man kann sagen: der klassische Bildzeitungs-‐Journalismus. Aber das gibt es eben nicht nur in der Bildzeitung, sondern auch bei Fanzines oder kleinen Zeitungen. Es gibt immer wieder Leute, die sich überlegen, dass das, was sie wahrnehmen, wichtiger ist als das, was sie vielleicht aus der Gesprächssituation herausziehen können. Die also von einem Interview nur wollen, dass man das bestätigt, was sie sich überlegt haben.« (Interview 3). Interviewpartner 5a und 5b zeigen an mehreren Stellen des Interviews, dass sie mit Engagement in die Interviewsituation gehen. Sie recherchieren zur bisherigen Arbeit der Interviewer_innen, gehen davon aus, dass die Interviewer_innen ähnlich vorbereitet sind, sie betonen immer wieder die Möglichkeit zu einem sinnvollen Gedankenaustausch, die das Interview bieten kann und vor allem: Sie sind bereit, Zeit und Energie in das Interview zu investieren. Gerade dieser letzte Punkt wird auch bei Interviewpartner 3 deutlich, wenn er sagt: »Meistens ist es so, dass man eher sagt: Das Essen macht man nicht. Wir haben dann so das Gefühl, wenn man es vorher ausgemacht hat, ist es nicht fair, das dann abzusagen. Aber was dann gar nicht geht, ist, wenn dann noch jemand ankommt und spontan ein Interview machen möchte.« (Interview 3). Eine besonders strikte Form dieser idealistischen Sicht, bei der die Inhalte eine entscheidende Rolle spielen, vertritt Interviewpartner 2, wie an der folgenden Äußerung zu sehen ist: »Das spielt keine Rolle, weil die Situation ist immer dieselbe. Es ist eigentlich egal, wer Dir gegenüber sitzt, weil es darum geht, was Du dem erzählst. Und letztendlich solltest Du ja jedem dasselbe erzählen. Du kannst ja nicht sagen: Ok, das ist jetzt Die Welt und da dreh ich jetzt meine Botschaft mal ein bisschen zurecht für die.« (Interview 2). Hier zeigt sich, dass die Inhalte das Wichtigste am Interview sind, sogar wichtiger als die Interviewer_in, die nahezu eine Statistenrolle innehat. Eine Sicht auf das Interview, die so davon geprägt ist, als Interviewte etwas zu geben und zum Gelingen des Interviews beizutragen, fordert auch den Interviewer_innen Engagement ab. Das bedeutet, die Bands, die hier diese idealistische Sicht vertreten, fordern auch von den Interviewer_innen entsprechend Interesse am Gespräch und eine entsprechende Vorbereitung. Deutlich wird das unter anderem an folgenden Äußerungen: »So ein Gespräch ist ja auch ein Wechselspiel und ich bin immer daran interessiert, was den anderen an uns interessiert. (...)
Ja, so ein Respekt ist schon wichtig. Man merkt auch, ob der wirklich da ist. Das gilt für beide Seiten, denn es geht ja um Kommunikation, um einen Austausch... (...) Man hat ja manchmal so Interviewtage, an denen man 20 Interviews am Stück macht... Das ist ohnehin schwierig, weil es wirklich anstrengend wird, wenn man die Antworten eben nicht einfach abspulen will. Wenn man dann jemanden dasitzen hat, der sich vielleicht noch nicht mal das Album angehört hat, dann ist das echt ärgerlich. Da denkt man schon, das hätte man sich sparen können.« (Interview 5). »...Aber wenn jetzt jemand fragt: 'Ich habe mir das so gedacht...' dann können wir da schon eher drauf eingehen. Weil dann ist dieser Punkt erreicht, an dem er sich damit auseinander gesetzt hat. Aber sobald jemand völlig interpretationsfrei mit dieser Frage an uns herantritt, dann macht das keinen Sinn, weil das erfordert ein Gegenüber, das sich genauso damit auseinander setzt. (...) Also ich finde es eigentlich interessant, mit möglichst vielen Leuten zu reden. Unangenehm wird es immer dann, wenn sich jemand nicht oder falsch mit der Band auseinandergesetzt hat.« (Interview 2). Interessanterweise unterscheidet Interviewpartner 3 zwischen Interesse und Vorbereitung. Es wird aber deutlich, dass die Interviewer_innen ebenso etwas für ein gutes Interview tun müssen wie die Band: »Ich glaube, das angenehmste ist, mit Leuten zu reden, die Interesse haben, Es ist gar nicht so wichtig, wahnsinnig gut vorbereitet zu sein.« (Interview 3). Wenn diese legitime Forderung nicht erfüllt wird, dann kommt es eben zur Ernüchterung. Gehen die Bands trotzdem beim nächsten Interview wieder unvoreingenommen mit dem Vorsatz in das Interview, ein gehaltvolles Interview zu führen, für das sie gerne die Zeit und Energie aufwenden, dann kann von Idealismus gesprochen werden. Führt die Ernüchterung allerdings dazu, dass dem Interview keine besondere Bedeutung zugemessen wird, dann kann von Resignation gesprochen werden. Gemeint ist, dass der Anspruch an das Interviewgespräch mit der Zeit und mit zunehmend ernüchternden Erfahrungen niedriger angesetzt wird. Das bedeutet, sie gehen nicht mehr mit einer bestimmten Erwartungshaltung in das Gespräch, was dazu führt, dass sie auf die Interviewer_innen reagieren. Dadurch ist der (inhaltliche) Verlauf des Interviews von den Interviewer_innen abhängig, wie folgende Äußerungen zeigen: »Also das ist für mich einfach eine Frage des Respekts dem Interviewer gegenüber. Umso blöder ist es dann natürlich, wenn man das Gefühl hat, der andere hat sich keine Gedanken gemacht. Dann sind die Antworten natürlich auch nur blabla. Aber gerade, wenn da jemand vor mir sitzt und man merkt, dass der sich damit auseinander gesetzt hat, dann ist das doch super. Da werd ich mich doch nicht hinsetzen und einsilbige Antworten geben.« (Interview 4). »Und man merkt ja auch relativ schnell, wie die Leute so sind und ob man da mehr in die Tiefe gehen kann, oder eben nicht.« (Interview 1).
Diese Fokussierung auf die Rolle der Interviewer_innen ist zwar zunächst gleichbedeutend mit einer Distanz gegenüber dem Interview. Sie schließt aber nicht aus, dass die Bands sich auf gehaltvolle Diskussionen gerne einlassen oder sich von guten Interviews zum Nachdenken anregen und inspirieren lassen, wie auch die Äußerung von Interviewpartner 4 belegt. Damit liegt die Verantwortung für ein inhaltlich gelungenes Interview bei den Interviewer_innen. Das entspricht selbstverständlich auch dem Berufsverständnis des Journalisten nach Michael Haller (20013). Der Beitrag, der demnach von den Interviewten zu erwarten ist, ist die Kooperation in der Kommunikation, das heißt, dass die Interviewten das Gespräch nicht aus nicht nachvollziehbaren Gründen oder in unangemessener Weise verweigern beziehungsweise boykottieren. Diese Kooperationsbereitschaft zeigten alle sechs interviewten Bands. Die Aussagen machten deutlich, dass sie bereit sind, freundlich auf die Interviewer_innen zuzugehen und ihren Teil des Interviews somit zu erfüllen: »Das ist ein schönes Projekt, das Du da hast und da machen wir gerne mit. Dass wir jetzt hier sitzen und Kaffee trinken und über Interviews reden ist ja auch mindestens genauso wertvoll, wie hier zu sitzen, Kaffee zu trinken und Zeitung zu lesen.« (Interview 5). »Warum soll man Journalisten oder Journalistinnen da mit seinen Allüren quälen. Die können ja auch nichts dafür, die machen ja auch nur ihren Job.« (Interview 1). »Natürlich gibt es wiederkehrende Fragen und wiederum auch Fragen, die nie gestellt werden, obwohl wir gerne drüber reden würden. Aber grundsätzlich nehmen wir erstmal jede Frage und auch den oder die Fragende ernst und tun sie nicht ab, weil wir etwas ähnliches schon häufiger gefragt wurden.« (Interview 6). »Nein … ich finde, das ist einfach eine Frage des Respekts. Du kommst hierher. Du hast Dir vorher Gedanken über das Interview gemacht. Du wartest hier auf uns. Was soll ich da hier sitzen und den verschlafenen Künstler raushängen lassen.« (Interview 4). Der Unterschied besteht, wie gezeigt, darin, welche Bedeutung die Bands dem Interview beimessen beziehungsweise inwieweit sie die Rolle desjenigen übernehmen, der das Interview thematisch prägt. Bands, die eher idealistisch an ein Interview herangehen, verbinden damit den Wunsch, eine vorher mehr oder weniger bestimmte Aussage zu vermitteln – sie sehen das Interview als Plattform, das Gespräch thematisch zu bestimmen. Exemplarisch lässt sich das an zwei Äußerungen gegenüberstellen: »Das (Lancieren von bestimmten Themen) setzt aber auch voraus, dass man irgendein Anliegen hat, das man loswerden möchte. Und da wir überhaupt gar kein Anliegen haben und auch überhaupt nichts sagen wollen, können wir das auch nicht so gut.« (Interview 1). »Lancieren? Hmmm... Man hat es natürlich ein bisschen in der Hand. Man wird ja auch ganz oft gefragt: ‚Ich bin jetzt durch mit meinen Fragen. Habt Ihr noch etwas, das Ihr loswerden wollt?’. Und da hat man natürlich die Möglichkeit zu sagen: ‚Ja, wir können uns ja noch kurz
darüber oder darüber unterhalten, weil das ist auch ein sehr wichtiges Thema’. Aber wir lancieren das nicht direkt.« (Interview 5). Neben diesen beiden grundlegenden Herangehensweisen, die die Beziehung zwischen Interviewer_in und Interviewten beeinflusst, lassen sich aus den direkten Abfragen einiger für das Interview relevanter Aspekte einige allgemeine Sichtweisen der Bands ablesen. Allgemein, da sie in bemerkenswerter Übereinstimmung von den Bands geäußert wurden. Zum einen zählt dazu die bereits erwähnte Bereitschaft, den Interviewer_innen freundlich und kooperativ zu begegnen sowie die daraus resultierende Abneigung, bewusst zu provozieren. Zum anderen lassen sich aus den Antworten klare Hinweise für Journalist_innen hinsichtlich der Organisation des Interviews ableiten. Speziell zur Interviewform und Interviewsituation (-‐zeitpunkt) waren die Antworten übereinstimmend beziehungsweise bei einigen Bands sogar fast wortgleich. Entsprechend möchte ich zum Abschluss der Ergebnisse einen Überblick über diese beiden Punkte geben. Die typischen Interviewsituationen und Interviewformen lassen sich aufgrund der übereinstimmenden Antworten in Form von Listen entsprechend der Präferenz darstellen. Tabelle 1 – Die verschiedenen Interviewformen 1. das Email-‐Interview 2. das Face-‐to-‐face-‐Interview (aufgezeichnet) 3. das Interview per Chat 4. das Face-‐to-‐face-‐Interview (live) 5. das Telefoninterview (Phoner) Am beliebtesten ist demnach das Email-‐Interview. Es bietet Zeit und Gelegenheit, die Antworten in Ruhe zu durchdenken und auszuformulieren. Zwischen live geführten und einem aufgezeichneten Interview (also auch Print) gibt es entscheidende Unterschiede: live (im Radio oder TV) sind Interviewer_innen häufig abgelenkt und an Sendepläne oder Zeitvorgaben gebunden. Dadurch ist eine Kommunikation, in der sie auf die Interviewpartner_innen eingehen, nur schwer möglich. Die Antworten werden so beliebig. Bei aufgezeichneten face-‐to-‐face-‐Interviews ist dieser persönliche Kontakt sehr wohl möglich und kann als positiver Kommunikationsfaktor ausgespielt werden. Das Telefoninterview wird als eher unangenehme Kommunikationssituation empfunden. Es fehlt der visuelle und persönliche Kontakt, den das face-‐to-‐face-‐Interview bietet. Es ermöglicht aber auch nicht die freie Zeiteinteilung und das Durchdenken der Antworten, wie das beim Email-‐Interview der Fall ist. Tabelle 2 – Die verschiedenen Interviewsituationen 1. individuell vereinbart und ohne Zeitdruck 2. auf Pressetagen 2. vor Konzerten 4. als EPK vorproduziert und an Redaktionen verschickt 5. als Roundtable mit mehreren Gesprächspartner_innen und Interviewer_innen
Die beliebteste Interviewsituation ist ohne Zweifel die, die möglichst nahe an einem entspannten Treffen im Alltag ist, das heißt ohne Zeitdruck, mit Vorbereitung und in entspannter Atmosphäre. Pressetage und Interviews vor Konzerten haben gleichermaßen Vor-‐ und Nachteile: Pressetage können stressig sein, sind aber als Interviewtage eingeplant und die Band muss sich „lediglich“ auf die Interviews konzentrieren. Die Antworten können von Interview zu Interview ausdifferenzierter und routinierter werden. Vor dem Konzert ist der Stress besonders groß, es ist im Vorfeld schwer einzuplanen, wieviel Zeit bleibt. Zudem sind andere Dinge wie Soundcheck einzuplanen. Ein weiterer organisatorischer Aspekt betrifft die Autorisierung des Interviews. Es ist ein Leichtes, sie den Bands anzubieten, was von diesen durchaus geschätzt wird. Es ermöglicht ihnen, die Aussagen, auf die ja insbesondere für die idealistische Herangehensweise an Interviews von Interesse sind, zu überprüfen. So lässt sich der Eindruck vermeiden, dass Formulierungen und Äußerungen ‚verdreht’ und ‚falsch wiedergegeben’ werden. Es ist eine Frage des Vertrauens, eine Autorisierung des Interviews anzubieten. Es bleibt nun letztendlich den Journalist_innen überlassen, ein Interview bereits im Vorfeld entsprechend dieser Einschätzungen zu organisieren oder sich zumindest der Vor-‐ und Nachteile bewusst zu sein. Diskussion der Ergebnisse Einer Erkenntnis sollten sich Journalist_innen aber in jedem Falle bewusst sein: Eine umfassende Vorbereitung und echtes Interesse an den Interviewpartner_innen sind unabdinglich. Das heißt zum einen, sich einen Überblick über die Bandgeschichte und die Musik zu verschaffen, um Fakten einordnen zu können und selbst aufwerfen zu können. Die Vorbereitung heißt aber auch, sich über das Umfeld der Band zu informieren und über das spezifische Thema des Interviews bescheid zu wissen. Nur so kann sich eine Diskussion und ein Gespräch entwickeln, das für beide Seiten (und das Publikum als dritte Seite) interessant, spannend und inspirierend ist. Leider scheint es vor allem an dieser Vorbereitung und der Bereitschaft der Journalist_innen zu mangeln, sich auf diese Kommunikation einzulassen. Damit widerspricht die Einschätzung der Bands der Einschätzung von Thomas Venker (2003). Er gesteht den Musikjournalist_innen das nötige Engagement zu und sieht, wie erwähnt, die wesentlichen Gründe für schlecht geführte Interviews in den Bedingungen, die Partner aus der Musikindustrie vorgeben, und in den ökonomischen Zwängen, denen Redaktionen unterliegen. Nun mag diese Einschätzung die Sozialisierung der Intro als ehemaliges Fanzine und Thomas Venkers als Fanzine-‐Autor zugrunde liegen. Die Intro und speziell Thomas Venker (als Initiator der Interview-‐Reihe »Kochen mit...«) pflegen tatsächlich eine idealistische Sicht auf das Interview und bemühen sich an verschiedenen Stellen, diese Ansprüche umzusetzen. Das zeigt auch die Befragung durch André Doehring (2011: 210 und 214). Das bedeutet jedoch nicht, dass sich diese auf die Intro fokussierte Sicht in der
Erfahrung der Bands widerspiegelt, die sich auch aus Interviews mit anderen Magazinen speist. Referenzen Berger, Peter and Luckmann (2009). Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit – Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt/M: Fischer Doehring, André (2011). Musikkommunikatoren. Bielefeld: Transcript. Haller, Michael (20013). Das Interview -‐ Ein Handbuch für Journalisten. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft. Peltzer, Anja. (2013). Ware Inszenierungen – Performance, Vermarktung und Authentizität in der populären Musik. ASPM Beiträge zur Popularmusikforschung 39: 119-‐136. Venker, Thomas (2003). Ignoranz und Inszenierung – Schreiben über Pop. Mainz: Ventil Verlag. Danksagung An dieser Stelle muss ich natürlich zunächst den Bands danken, die sich bereitwillig die Zeit für die umfangreichen Gespräche genommen haben. Mehr noch, sie haben mich darin bestätigt, dass das Thema der Interviews im Musikjournalismus ein wichtiges ist, das auch für die Bands eine wesentliche Rolle spielt, da es beim Interview im Wesentlichen um Interesse an der Band und ihrer Musik geht. Zudem möchte ich meinem Bruder danken, der mich als erstes darin bestärkt hat, das Thema zu verfolgen und zu vertiefen.