The Luxury Turning Point

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LUXUSWOHNEN Raumpolitiken des Komforts Urban Design Project II / Master Studio 2017


I Luxuswohnen Intro

I Luxuswohnen

Begrifflichkeiten Luxus Wohnen Luxuswohnen: Der Markt Kontemporäre Luxuswohnprojekte in Deutschland Vermarktungsstrategien Exkurs: Rancières Bildregime Vorgehensweise & Materialsammlung Bildregime im Werbematerial Imagefilme

I Luxuswohnen

Mediendarstellung


Diese Arbeit ist im Rahmen des Masterstudiengangs ›Urban Design‹ im UDP II an der HafenCity Universität Hamburg entstanden. Sommersemester 2017 Heidrun Book Julia Marie Englert Petra Palusova Eva Christine Schmitz Lisa Steinke

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Executive Summary UDP II Die vorliegende Arbeit entstand im Sommersemester 2017 im Zuge des ›Urban Design Projekts II‹ des Masterstudiengangs ›Urban Design‹ der HafenCity Universität Hamburg. Innerhalb des Jahresthemas »Luxury – Spatial politics of comfort« wählte die fünfköpfige Autorinnengruppe den Schwerpunktbereich ›Luxuswohnen‹ mit der Fokussierung auf dieses in Hochhäusern. Forschungsobjekt und leitendes Motiv dieser Arbeit stellt dabei der 100 Meter hohe Mundsburg-Wohnturm im Hamburger Stadtteil Barmbek dar. Das Hochhaus wurde im Jahr 1973 als luxuriöser Apartmentturm erbaut. Heute ist seine Bausubstanz dringend überholungsbedürftig und die Wohnqualität entspricht nicht den zeitgenössischen Merkmalen exklusiven Wohnens. In diesem Kontext nähert sich diese Arbeit der Forschungsfrage: »Wie ist der Mundsburg-Wohnturm im Kontext luxuriösen Wohnens in Hochhäusern einzuordnen und welche Szenarien lassen sich basierend auf dessen aktueller Lage für die Zukunft entwerfen?«. In diese Frage spielen vier Erkenntnisbereiche hinein, die in vier Büchern zu den Themen ›Luxuswohnen‹, ›Highrises‹, ›Mundsburg‹ und ›Zukunft‹ in unterschiedlichen Maßstäben überblickt und rekurrierend miteinander verschränkt werden. Dabei wird zunächst in Form von Buch I und II eine theoretische und empirische Grundlage bezüglich aktueller, exklusiver Wohnformen und deren Vermarktung sowie der Bedeutungsgeschichte von Highrises und schlussendlich luxuriösem Wohnen erarbeitet. In Buch III wird den Lesenden ein umfangreicher Einblick in die Geschichte des Mundsburg-Wohnturmes und in dessen heutige Lebenswelt gewährt, während in Buch IV auf Basis der erarbeiteten Erkenntnisse aus den Büchern I-III kritische Zukunftsszenarien für den sanierungsbedürftigen Turm entwickelt und eingeordnet werden. Für die gesamte Arbeit bilden Daten aus empirischer Sozialforschung, aber auch architektonische Analysetechniken eine Datengrundlage. Hierfür wurden u. A. Ansätze aus der Aktionsfoschung, Expertinneninterviews, Medien-und Bildanalyse sowie Baumaterialanalysen angewandt. Die Autorinnen erhoffen sich [im Sinne des kritischen Urbanismus] mit dieser Arbeit einen Impuls und Anknüpfungspunkt für den zukünftigen Entwicklungsprozess des selbstverwalteten Wohnturms vorlegen zu können.

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Lange spielten Wohntürme kaum eine Rolle in den Erscheinungsbildern deutscher Großstädte, die aufgrund stetiger Zuwanderung mit zunehmender Wohnraumknappheit zu kämpfen haben. Während trotzdem lange Zeit nicht in die Höhe gebaut wurde, scheint sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel hinsichtlich architektonischer Leitbilder anzubahnen, der sich in den Silhouetten Berlins, Frankfurts, Hamburgs und Münchens bemerkbar macht. Dass die aus dem Boden sprießenden, schillernden Türme für eine Entspannung des Wohnungsmarktes sorgen ist dabei jedoch ein Trugschluss. Ganz im Gegenteil – Die vertikale Verdichtung in begehrten innerstädtischen Lagen bleibt einem kleinen Teil der Bevölkerung vorenthalten; die Schere zwischen beengten und hoch exklusiven Wohnformen geht immer weiter auseinander. Das Leben in hohen Etagen wird zum Ausdruck von Wohlstand und Erhabenheit und schlägt sich im aufkommenden Trend des Wohnens in Wolkenkratzern nieder; in dem Streben nach Exklusivität, Distanz zum urbanen Geschehen, unverbautem Weitblick und exklusiver Ausstattung des privaten Wohnraums. Die aktuelle ›Bauwelt‹ widmet ihre Augustausgabe 2017 gänzlich dem Wohnen in Hochhäusern sowie der Frage, »ob die Vertikale zwangsläufig ins Luxussegment führt« und unterstreicht damit die Aktualität und fachliche Relevanz zweier Thematiken, die in der vorliegenden Arbeit anhand einer Fallstudie verschränkt und eruiert werden: Luxuswohnen und das Leben in Hochhäusern. Ein Blick in namhafte Zeitungen und Magazine unterstreicht, wie sehr sich auch der mediale und öffentliche Diskurs mit dem Wohnen in Hochhäusern beschäftigt. Meist ist dies dabei als besonders luxuriös, exklusiv und vor allem als besonders teuer konnotiert. So fragte sich die ›FAZ‹ bereits 2015, ob Wohnhochhäuser »Wohnungen für viele oder Luxus für die ›happy few‹« darstellen, der ›STERN‹ titelt im Juni 2017 »Hoch hinaus. Warum Wohnen im Hochhaus der reinste Luxus ist«. Die ›Immobilien Zeitung‹ [2017] ist sich sicher: »Der Wohnturm wird kommen« und auch der ›SPIEGEL‹ [2016] wirft in Bezug auf die »Renaissance der Wolkenkratzer« die Frage auf: »können sie die Wohnungsnot lindern?«. 5


Die regelrechte Aversion gegen das Wohnen in hochgeschossigen Bauten hat in Deutschland Tradition: Im Gegensatz zu amerikanischen und asiatischen Metropolen halten die Städte hier noch immer an den traditionellen, eher niedrigen Silhouetten fest. Eine Ausnahme stellt lediglich Frankfurt am Main dar, dessen stetig wachsende Skyline an das Erscheinungsbild anderer Finanz- und Wirtschaftszentren wie London, New York oder Melbourne erinnert. Wohnhochhäuser galten in Deutschland zudem lange als protzig amerikanisch. Spätestens seitdem viele in den 70er Jahren aus dem Boden gestampfte Bauten, die zunächst als modernste Wohnstandards eingestuft wurden, nach wenigen Dekaden anfingen zu marodieren, haftet diesen ein alles andere als exklusives Image an.

Basis gesammelten Datenmaterials praxisbezogene Konzepte zu entwickeln. Basierend auf einem Erkenntnisinteresse, das in der Verortung des Mundsburg-Wohnturmes in der Sphäre ›Luxuswohnen‹ sowie in der Erschließung möglicher Zukunftsszenarien für den Turm lag, widmet sich die vorliegende Arbeit folgender Forschungsfrage: »Wie ist der Mundsburg-Wohnturm im Kontext luxuriösen Wohnens in Hochhäusern einzuordnen und welche Szenarien lassen sich basierend auf dessen aktueller Lage für die Zukunft entwerfen?«

Dies trifft auch auf den Mundsburg-Wohnturm in Hamburg zu. 1973 als Prestigeobjekt luxuriösen Wohnens gebaut, ist dieser mittlerweile sanierungsbedürftig und aus Sicht vieler Hamburger_innen zwar eine Landmarke, doch aufgrund seiner abgewirtschafteten 70er Jahre-Optik auch ein Makel im Stadtbild. Der Turm ist ein Phänomen, an dem sich die Schnellebigkeit nicht nur baulicher Strukturen, sondern auch des Empfindens und der Wahrnehmung von Luxus erfassen lässt. Schaut man heute auf Bilder der ursprünglich opulenten, hochexklusiven Einrichtung, wirkt diese eher museal, überladen und wenig luxuriös. Gerade im Vergleich zu den schillernden Renderings aktueller Projekte im Segment Luxuswohnen offenbart sich die Differenz zwischen ›alt‹, wobei wir hier von lediglich 40 Jahren sprechen, und ›zeitgenössisch modern‹.

Im Kontext des Jahresthemas ›Luxus – Raumpolitiken des Komforts‹ des Masterstudiengangs ›Urban Design‹ an der Hafencity Universität Hamburg blickt diese Arbeit zunächst auf eine der materiellsten Ausprägungen von Luxus: Hochpreisiges, exklusives Wohnen und dessen Vermarktung. Während im aus dem Urban Design Projekt I hervorgegangene Atlas vor allem ideelle, nicht-monetäre Dimensionen von Luxus beleuchtet wurden, soll an dieser Stelle nun das Augenmerk bewusst auf Luxusphänomene des hochpreisigen Konsums und elitärer Aneignung innerstädtischen Wohnraumes gelegt werden. Vor diesem Hintergrund interessiert uns zunächst, welche speziellen Aspekte Wohnen auf eine luxuriöse Ebene heben können. Abgesehen von klar quantifizierbaren Größen wie dem Preis werden stringente Ausstattungs- und Service-Charakteristika geschaffener Luxusatmosphären des Wohnens in einer Typologie kontemporären Luxuswohnens versammelt. Die Kommunikation und Produktion dieser typologischen Charakteristika werden auf ihre Wirkungsmacht in Vermarktung und medialer Darstellung hin untersucht. Sowohl dem diskursiven Kontext folgend als auch auf unser Forschungsobjekt, den Mundsburg-Wohnturm als eines der höchsten Wohnhäuser: [vgl. Jones Lang Lasalle 2017: 5], zusteuernd, beschäftigt sich der zweite Teil dieser Arbeit mit der Entwicklungsgeschichte des Hochhauses, dessen Symbolhaftigkeit sowie dessen Bedeutung als Ort zum Leben. Hinsichtlich der Fallstudie des Mundsburg-Wohnturms ist außerdem die Möglichkeit der Umwandlung und Weiterentwicklung von in den 70er Jahren erbauten Hochhäusern im innerstädtischen Raum von besonderem Interesse. Die ›plus‹-Strategie des Architekt_innenteams Druot, Lacaton & Vassal bietet in diesem Sinne Inspiration und Strahlkraft und wird in einem Exkurs aufgeführt.

Motiv Als Grenzgänger zwischen den Rollen als mondäner Vorreiter und marodem Schlusslicht in der Arena der Luxus-Wohntürme übte der Mundsburg-Wohnturm eine besondere Faszination auf uns aus. So lassen sich an ihm aktuelle Trends sowie zugleich geschichtliche Aspekte des Luxuswohnens beobachten, in Frage stellen, analysieren, vergleichen und erarbeiten. Dabei interessiert uns nicht nur kontemporäres Luxuswohnen, sondern ebenso der Diskurs um ›Highrise-Living‹ und die Entwicklung und Wahrnehmung luxuriösen Wohnens. Der Wohnturm des Mundsburg-Ensembles ist dabei gerade aufgrund seiner ungewissen Zukunft ein äußerst spannendes, facettenreiches Forschungsobjekt und bietet zudem das Potenzial, nicht nur eine Analyse vorzunehmen, sondern auf 6

Vorgehensweise // Struktur

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Die beiden Themenbereiche ›Luxuswohnen‹ und ›Highrise‹ fungieren als theoretisches Gerüst für die Auseinandersetzung mit dem dem Hamburger Mundsburg-Wohnturm als Forschungsobjekt. Dieser wird in einem dritten Teil im Detail beleuchtet, indem sowohl dessen historischer Hintergrund und Entwicklung über die Zeit, seine baulichen, technischen und architektonischen Komponenten, das soziale Gefüge innerhalb des Turmes sowie vor allem sein aktueller Zustand eruiert wird. Alle in den ersten drei Teilen erörterten Forschungsstränge dienen der Erarbeitung eines möglichst dichten Netzes aus Daten und theoretischen Ansätzen, welches schlussendlich als Fundament hinsichtlich der Bearbeitung unserer Forschungsfrage »Wie ist der Mundsburg-Wohnturm im Kontext luxuriösen Wohnens in Hochhäusern einzuordnen und welche Szenarien lassen sich basierend auf dessen aktueller Lage für die Zukunft entwerfen?« fungiert. Auf Basis der in den ersten drei Büchern gewonnenen Erkenntnisse werden demnach in einem vierten Buch mögliche Zukunftsszenarien für die Entwicklung des Mundsburg-Wohnturmes konzeptioniert und eröffnet sowie deren realistische Bestandskraft im Kontext der vorangegangen Forschung eingeschätzt. Im Kontrast zu der linear angelegten Arbeit verlief der Forschungsprozess zyklisch; auch die Forschungsfrage wurde immer wieder geschärft. Die empirische und theoretische Vorarbeit, die sich in den Büchern I bis III niederschlägt, fand dabei parallel statt und wurde stetig verschaltet, verglichen und modifiziert. Durch enge Zusammenarbeit und Austausch, sowohl innerhalb der Gruppe als auch mit den Dozierenden, ergaben sich im Laufe der Forschung zudem immer wieder neue Aspekte und Korridore, die sich als relevant hinsichtlich der Forschungsfrage und der Szenarienerarbeitung [Buch IV: Zukunftsszenarien für den Mundsburg-Wohnturm] erwiesen. Eine besondere Dynamik erhielt unser Arbeitsprozess zudem durch die Zusammensetzung unserer Projektgruppe. Basierend auf den verschiedenen disziplinären Hintergründen [Architektur, Politik-, Kultur- und Sozialwissenschaften, Grafikdesign und Illustration], die wir in die Forschungsarbeit einbrachten, öffneten sich interdisziplinäre Möglichkeitsspielräume und Verschränkungen unterschiedlichster Ansätze und Perspektiven auf das Feld. Auch die Internationalität unserer Gruppe schlägt sich in der vorliegenden Arbeit in Form einiger Beiträge in englischer Sprache nieder. 8

Methodologie Die von uns beschrittenen, thematischen Pfade in dieser Arbeit zeichnen sich durch Detail- und Facettenreichtum aus. Um sich so komplexen Themenfeldern wie ›Luxuswohnen‹, ›Highrises‹ oder ›Luxuswohnen in Hochhäusern‹ anzunähern, wurde zunächst durch Literaturarbeit deren diskursiver und geschichtlicher Kontext erarbeitet. In einem weiteren Schritt wurde herausgefiltert, welche Aspekte für unsere Fallstudie von Relevanz sind. So fokussiert diese Arbeit z. B. in Buch II: Highrises neben einer geschichtlichen Einordnung des Hochhauses dessen Kraft als Symbolträger von Identitäten und stellt explizit die Rolle von Wohntürmen der 70er Jahre heraus. Dieser Fokus dient der Einbettung des ›Mundsburg-Turmes‹ in einen geschichtlichen, sozialwissenschaftlichen sowie baulichen Kontext. Sozialwissenschaftlich eingeordnet werden zudem Begrifflichkeiten wie ›Luxus‹, ›Wohnen‹ und ›Luxuswohnen‹. Auch Diskurse hinsichtlich des Luxuswohnens in Hochhäusern [Buch II: Luxuswohnen in Hochhäusern] oder der Macht von Bildern in der Immobilienvermarktung [Buch I: Exkurs: Rancières ›Politik der Bilder‹] werden erörtert und aufgezeigt. Neben Literatur diente uns Material aus dem Architekturarchiv Hamburg als Grundlage für die bauliche und architektonische Einordnung des ›Mundsburg-Wohnturmes‹ in Buch III. Um die Typologie kontemporären Luxuswohnens in Deutschland [Buch I: Der Markt] zu erarbeiten, nahmen wir zudem eine exemplarische Analyse des oberen Preissegments des Hamburger Immobilienmarktes vor. Diese wird ergänzt durch einen Einblick in die mediale Berichterstattung rund um einige der analysierten Luxuswohnprojekte. Sowohl die Immobilienmarkt- als auch die Medienanalyse stützen sich dabei nicht auf vorgefertigte, methodische Konzepte, sondern ergaben sich vielmehr aus der Versammlung von sich als relevant herausstellender Parameter hinsichtlich unserer Forschung. Vor allem im Rahmen unserer Erforschung des ›Mundsburg-Wohnturmes‹ bedienten wir uns verschiedenster empirischer Forschungsmethoden. Den methodischen Rahmen gab dabei zunächst die Aktionsforschung vor. Diese löst sich von der strikten Trennung von Wissensproduktion und Praxis sowie vom Objektivitätspostulat klassischer empirischer Sozialforschung. Forschende interagieren, anstatt nur zu betrachten; der 9


Forschungsprozess ist zyklisch angelegt. [vgl. Kromrey 1998: 515ff.] Eine häufig verwendete Methode ethnografischer Feldforschung ist die Situationsanalyse, die in Form von dichten Beschreibungen festgehalten wird. Um ein Gespür für den Ort und die herrschende Atmosphäre zu erhalten, Stimmungen aufzugreifen und uns den Ort zu erschließen, besuchten wir mehrfach den ›Mundsburg-Wohnturm‹ in verschiedensten Konstellationen zu unterschiedlichen Tageszeiten. Dem Wunsch folgend, nachempfinden zu können, wie es sein könnte, im Mundsburg-Turm zu leben, verbrachten wir zudem eine Nacht in einem dort befindlichen ›AirBnB‹-Apartment. Unsere Eindrücke hielten wir in Notizen und dichten Beschreibungen fest [siehe hier Buch III: Dichte Beschreibung]. Unsere Feldbesuche dokumentierten wir zudem in Form von Fotografien, Illustrationen und architektonischen Zeichnungen. Ebenfalls im Rahmen unserer Annäherung an das Forschungsfeld, den Mundsburg-Wohnturm, führten wir zwei Interviews. Nachdem uns ein Eigentümer dreier Wohneinheiten und Verantwortliche für die Vermarktung zahlreicher Apartments im Mundsburg-Wohnturm zunächst sehr ausführliche Einblicke in soziale, bauliche und ökonomische Hintergründe geben konnte, sprachen wir zudem mit einem älteren Ehepaar, welches bereits seit 1975 [ein Jahr nach Fertigstellung] im Mundsburg-Turm lebt. Die jeweiligen, semistandardisierten Interviewleitfäden wurden dabei u. A. auf Basis von Anette Honers Theorie zum dreiphasigen Interview entwickelt, der eine offene, interaktive und spontane Struktur verschlägt. [vgl. Honer 1993: 80ff.] Im Zuge der Erarbeitung unserer Szenarien gelang es uns zudem, zwei informelle Interviews mit Expertinnen der Immobilienwirtschaft zu führen, die wir in Form von Gedächtnisprotokollen festhielten.

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Ergebnis Das Ergebnis unserer Arbeit sind vier Bücher, wobei sich die gewählte Struktur in dem inhaltlichen Aufbau der Arbeit begründet. Während alle Themenstränge miteinander verschränkt sind, soll diese Struktur aufzeigen, wie vielschichtig das von uns aufgespannte Themenfeld ist und dem Leser ermöglichen, sich bei Bedarf genauer in ein gewähltes Thema einzulesen. Innerhalb der Bücher arbeiten wir zudem stetig mit Verweisen auf andere Kapitel in anderen Büchern, um auf die Verlinkungen und Zusammenhänge innerhalb der Themenfelder hinzuweisen und den Lesenden die Möglichkeit zu geben, einem selbstgewählten Strang zu folgen, Vergleiche zu ziehen, sich dichtes Hintergrundwissen anzulesen oder einzelne Aspekte näher zu beleuchten.

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Luxus Der Begriff wird im Sprachgebrauch auch synonym für ›Reichtum‹, ›Überfluss‹, oder ›Verschwendung‹ verwendet. [vgl. Duden] Dies deckt sich mit der landläufigen, häufig verwendeten Definition von Luxus; beispielsweise als ein Lebensstil, Güter oder einen Zustand, der über das gesellschaftlich oder in der Allgemeinheit als notwendig empfundene Maß hinausgeht. [vgl. Historisches Lexikon der Schweiz] Eine historische Beleuchtung des Begriffs offenbart unterschiedliche Lesarten und Konnotationen im Laufe der Jahrhunderte. So wurde der Gebrauch des Wortes während des Mittelalters vor allem mit Unzucht und sündhaftem Verhalten in Verbindung gebracht. In der Neuzeit erfuhr der Begriff später eine politische Einhegung als er hauptsächlich wegen des sozialen und wirtschaftlichen Drang zur Selbstdarstellung seitens des Adels und Klerus sowie reicher Handelsmänner gesellschaftlich in Erscheinung trat. Mit Beginn der Massenproduktion Ende des 19. Jahrhunderts wurden plötzlich exklusive, zuvor nur der reichen Oberschicht vorenthaltene, Güter massentauglich. Hieraus entstand der dringliche Impetus der oberen Klassen, sich mit hochwertigeren bzw. aufwändiger gefertigten Gütern zu umgeben und sich damit von der unteren Klasse abzuheben. In der heutigen Zeit lässt sich aufgrund der fortschreitenden Massenproduktion und dem wachsenden gesellschaftlichen Wohlstand eine immer breitere Erschwinglichkeit von Konsumgütern für alle gesellschaftlichen Gruppen feststellen, weshalb die Werbeindustrie mittlerweile stärker versucht, die Aufmerksamkeit der Konsumenten mit stetig neuen exklusiven Attributen und Labels ihrer Produkte zu erheischen und ihnen ein Gefühl der Distinktion und Selbstdarstellung zu vermitteln. [vgl. ebd.] Wie ein roter Faden zieht sich hier fast durch die gesamte geschichtliche Entwicklung der Drang nach Distinktion und Selbstdarstellung. Dem Luxus-Begriff haftet in diesem Sinne auch eine tiefe sozialpsychologische Komponente an. Im Sinne des französischen Sozialwissenschaftler Pierre Bourdieus ist Distinktion ein Phänomen im Verhalten von Individuen in der Gesellschaft, 13


Der Jahrgang des ersten Semesters im Master Urban Design der HafenCity Universität Hamburg hat im Wintersemester 2016/17 im Rahmen des Urban Design Projekts einen Atlas zum Thema Luxus produziert.

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worin sie ihre Zugehörigkeit zu einer speziellen sozialen Gruppe oder Klasse durch ein bestimmtes Verhalten, durch ihre Meinung oder mit ihrem Lebensstil [Habitus] Ausdruck verleihen: »Social subjects, classified by their classifications, distinguish themselves by the distinctions they make, between the beautiful and the ugly, the distinguished and the vulgar, in which their position in the objective classifications is expressed or betrayed.« [Bourdieu 1984: 6] Der luxuriöse Lebensstil als eine besonders exklusive, kostspielige oder stilvolle Form des Lebensstils kann hier mit inbegriffen werden. Seit der Atlasproduktion im letzten Semester wissen wir, dass Luxus unendlich viele Ausprägungen haben kann, die immer relativ, subjektiv und stark situativ beschaffen sind. Während eine Seite der Betrachtung von Luxusaspekten stark an im kollektiven Wesen verbreitete Wertevorstellungen und symbolische Werte anknüpft, repräsentiert die andere Seite den an materiellen Werte und Konsum orientierten Luxus. So grundlegend die Unterschiede zwischen beiden Formen sind – sie sind untrennbar miteinander verzahnt und stehen somit in einem relationalen Verhältnis zueinander: So lässt die materielle Entbehrung ärmerer Gesellschaftsgruppen – entgegen dem extremen materiellen Überfluss weniger Reicher – sie beispielsweise stärker immaterielle Luxusaspekte wie Zeit oder Erfahrungen wahrnehmen.

Wohnen Wohnen ist eine der grundlegendsten Tätigkeiten bzw. Zustände, die die Existenz von Menschen in unserer Lebenswelt ausmacht – Wer lebt, muss auch wohnen. Martin Heidegger stellte in seinem Vortrag ›Bauen, Wohnen, Denken‹ im Jahr 1951 heraus: »Mensch sein heißt: als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: wohnen.« [Heidegger 1952 entnommen aus Führ 2000: 33] Er verfolgt in diesem Zusammenhang das Wort ›Bauen‹ etymologisch zurück auf das althochdeutsche ›buan‹, was so viel bedeutet wie ›bleiben, sich aufhalten‹. Gleichzeitig verweist er auf die Ursprünglichkeit, die sich hinter ›bauen‹ verbirgt – denn so wurde es früher für ›wohnen‹ verwendet und bezeichnete, »wie weit das Wesen des Wohnens reicht.« [ebd.: 33]. Beide Begriffe waren ursprünglich eng miteinander verschmolzen, haben sich in der sprachlichen Entwicklung jedoch bald auseinander entwickelt. [vgl. ebd. 34] Dennoch sieht Heidegger noch immer eine fundamentale Verbindung zwischen beiden. Er sagt, »Bauen ist eigentlich Wohnen« [ebd.: 35] und stellt eine Kausalität zwischen den beiden Begriffen her: Demzufolge baut der Mensch, um zu wohnen. [vgl. ebd.: 35] Auch die Wortherkunft des Begriffs ›wohnen‹ wird in seiner Bedeutungskette zurückverfolgt: So bedeutete das gotische ›wunian‹: ›zufrieden sein, zum Frieden gebracht, in ihm bleiben‹ und mit ›Friede‹ war ›das Freie‹ oder ›Frye‹ gemeint. In diesem Wort steckt letztendlich die Bedeutung ›bewahrt vor Schaden und Bedrohung‹. Heidegger leitet davon letztlich die ›Schonung‹ ab. [ebd.: 35] Wenn man sich heute mit dem Begriff ›wohnen‹ befasst, klingen alle dieser Bedeutungen noch immer einleuchtend und naheliegend. Aber wie wird die Welt - also der bewohnte [Erd-]Boden, der Raum - zum Wohnraum, bzw. zum ›Schonraum‹? In diesem Kontext bemüht Heidegger die griechische Sprachhistorik. So geht er davon aus, dass der Raum durch Grenzen bezeichnet wird. Jedoch pflegten die Griechen ein anderes Verständnis von Grenzen, bei welchem sie davon ausgingen, dass sich von der Grenze ausgehend das Wesen von ›etwas‹ entfaltet. [vgl ebd.: 41] Ludwig Fromm beschreibt zunächst unter Rückgriff auf Hermann Schmitz’ Begrifflichkeit des individuellen Spürens bzw. der ›Erlebniswirklichkeit‹ das menschliche Empfinden von Raum. Darunter versteht er – bezugnehmend auf Karlfried Graf von Dürckheim –, dass Erleben von Raum ein leiblicher Vorgang ist, bei dem alle Sinne mit einbezogen werden. [vgl. Fromm 2008: 64] Die Atmosphärenkonstruktion stellt in diesem Zusammenhang darauf ab, architektonisch gezielt Wahrnehmungen zu 15


evozieren, die für den Menschen emotional erlebbar werden. So ist ein bestimmter Modus dieses Aufgabenbereichs auch das ›Wohnen‹. Fromm bezieht sich abermals auf Schmitz, wenn er festhält, dass bei der Entstehung von Wohnraum durch die Schaffung von sogenannten ›umfriedeten Orten‹ persönliche Identitäten gestärkt werden: »Hier, im Inneren der Umfriedung, finden unsere Gefühle eine Heimstatt, die sie menschlichen Verfügen zugänglich macht.« [ebd.: 86] Janson und Wolfrum verknüpfen Wohnen ebenfalls mit einem dezidierten Raumverständnis. Auch sie verweisen auf Dürckheims Begrifflichkeit, indem sie den ›Selbstraum‹ als konstituierend für den Wohnraum anführen. Das ›Innen‹ und ›Drinsein‹ im – Gegensatz

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Abb 0 Wohnhochhäuser in Hongkong, China, 2016

zum ›Außensein‹ – wird in diesem Zusammenhang als ein »qualiativ besonderes Erlebnis« beschrieben, »in dem uns die Zugehörigkeit des Raumes zu unserem Selbst fühlbar zum bewusstsein kommt.« [Janson / Wolfrum 2008: 95] Dieser ›Selbstraum‹ wird darüber hinaus als fließend charakterisiert. Somit ist die Sphäre des Eigenen nicht festgelegt, sondern kann sich an unterschiedlicher Stelle offensiv ausdehnen und damit die persönliche Lebenssphäre erweitern. Ausschlaggebend hierfür ist auch das soziale und kulturelle Umfeld. [vgl. ebd.: 96] Die Autoren haben zudem ein erweitertes Verständnis von Wohnraum, das über die vier Wände des eigenen Hauses oder der Wohnung hinausgeht und unter anderem auch gekoppelt ist an die persönlichen Besitzverhältnisse [z. B. das eigene Grundstück oder der Garten]. In den letzten Jahren konnte darüber hinaus ,einhergehend mit der immer schnelllebigeren Gesellschaft und der komplexen Umwelt des 21. Jahrhunderts, ein zunehmender Trend hin zum Individualismus sowie zur privaten Selbstverwirklichung festgestellt werde. Konkret heißt dies, dass die private Sphäre immer mehr an Bedeutung gewinnt als ein Ort der Ruhe und Abschirmung von den Belastungen und stressreichen Einflüssen des öffentlichen Lebens. Der eigene Wohnraum wird in diesem Zuge zunehmend zu einer Art ›Bastion‹, die das Individuum nur noch gezielt und zu ausgewählten Gelegenheiten verlässt. [vgl. ebd.: 98-100] Diese Entwicklung hat auch Implikationen auf das in dieser Arbeit beleuchtete Themas des Luxuswohnens in Hochhäusern.

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Luxuswohnen: Der Markt Einleitung I Luxuswohnen Intro Begrifflichkeiten Luxus Wohnen Luxuswohnen: Der Markt Kontemporäre Luxuswohnprojekte in Deutschland Vermarktungsstrategien Exkurs: Rancières Bildregime Vorgehensweise & Materialsammlung Bildregime im Werbematerial Imagefilme Mediendarstellung

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Der Begriff ›Luxuswohnen‹ wird heute beinahe inflationär verwendet – sowohl auf den durchgestylten Websites schillernder Wohnprojekte als auch in der medialen Berichterstattung. Doch was genau verbirgt sich heute hinter luxuriösem Wohnen? Wie sehen Wohnungen, die als Luxuswohnungen angepriesen werden, aus? Mit welcher Art Ausstattung warten sie auf und in was für Gebäuden befinden sie sich? Wie wirken sie nach außen, und was genau macht ihre Exklusivität aus? Welche Spezifika rechtfertigen Quadratmeterpreise von über 15.000 Euro? Kurz gesagt: Was macht sie so exklusiv? Wenn wir über kontemporäres Luxuswohnen sprechen, bedarf es nicht nur einer theoretischen Einbettung, sondern ebenso einer empirischen. Um sich ein Bild über aktuelle Trends und Standards im Bereich Luxuswohnen zu verschaffen, führten wir eine Analyse des Hochpreissegments des aktuellen Hamburger Wohnungsmarktes [Stand: Juli 2017] durch. Das Ergebnis dieser Analyse ist eine Typologie kontemporären Luxuswohnens, die einen Zeitschnitt macht und aktuell zu beobachtende Merkmale der teuersten Eigentumswohnungen in Hamburg versammelt. Der Fokus der Typologie liegt klar auf dem Hamburger Immobilienmarkt. Dies begründet sich zum einen ganz praktisch in der Rolle der Stadt als derzeitiger Studien- und Wohnort für uns, zum anderen in der Relevanz des lokalen Immobilienmarkts für unser Forschungsobjekt, die Mundsburg Türme. Um diese sowohl in das Marktgefüge, als auch in vorherrschende außen- und innenarchitektonische Trends einzuordnen und schlussendlich ein Szenario für eine mögliche Aufwertung entwerfen zu können, ist es notwendig, eine lokale Vergleichbarkeit herzustellen. Um zu gewährleisten, tatsächlich von Baufirmen und Immobilienbüros kommunizierte und praktizierte Standards in den Blick zu nehmen und die Objekte und deren Merkmale in ihrem Rohzustand zu betrachten, berücksichtigten wir in unserer Fallauswahl ausschließlich Eigentumswohnungen vor ihrem Erstverkauf. Typischerweise verändern Wohnungseigentümer ihr Objekt nach eigenem Gusto. Vom neuen Eigentümer beauftragte Sonderanfertigungen oder veränderte Bodenbeläge würden die Vergleichbarkeit weiter einschränken verschleiern die vom Markt produzierten und 19


diktierten Trends. Letztere sind Objekt unserer Analyse, die darauf zielt, eine Typologie kontemporären Luxuswohnens zu erarbeiten. Im Vordergrund steht dabei die Frage, welche Elemente eines Neubauprojektes Quadratmeterpreise, die oft über 15.000 Eur/qm liegen, rechtfertigen. Wir blicken hier zum einen auf architektonische Charakteristika [hier z. B. Baustil, Fassadendesign, Anzahl der Stockwerke, Vorhandensein von Außenbereichen], zum anderen auf verwendete Materialien im Innenbereich [Fußbodenbelag, Badezimmerausstattung]. Ferner werden Ausstattungsmerkmale der Wohnungen [Fußbodenheizung oder Smart Home Konzepte] sowie zusätzliche Leistungen in Form von beispielsweise Concierge Services in den Blick genommen. Die Auswahl der Fallbeispiele erfolgte zunächst nach Kaufpreis. Um diese einordnen zu können, hilft ein Blick in die ›Wohnimmobilien-Marktübersicht Hamburg‹, herausgegeben von der Hypovereinsbank. Diese wertet alljährlich Daten öffentlich zugänglicher Quellen, wie z. B. der Statistischen Landesämter, aus. Aus dem Report 2016 gehen durchschnittliche Kaufpreise für Eigentumswohnungen [Erstverkauf] in guten bzw. sehr guten Lagen* zwischen 5.500 und 9.800 Eur/qm hervor. Es wird zudem darauf hingewiesen, dass die Preise für Luxusimmobilien deutlich höher liegen [UniCredit Bank AG].

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Die Lage

Sehr gute & gute Lagen: Blankenese, Othmarschen, Rotherbaum, Harvestehude, Eppendorf, Winterhude, Hafencity, Nienstedten, Teile von Uhlenhorst, Teile von Altona, Teile von Volksdorf, Teile von Wellingsbüttel

Basierend auf aktuellen Wohnungsangeboten auf einschlägigen Immobilienportalen wie immoscout.de, neubaukompass.de und immo24.de fiel die Wahl auf fünf Projekte im Luxussegment [Kaufpreise zwischen 6.500 und 20.000 Eur/qm] des Hamburger Immobilienmarktes. Neben dem möglichst hohen Kaufpreis war die Lage ein weiteres Auswahlkriterium: Mit den untersuchten Projekten soll eine möglichst breite Spanne verschiedener Hamburger Stadtviertel abgedeckt werden. Um eine Vergleichbarkeit mit Luxusimmobilien in anderen deutschen Großstädten herstellen zu können und vor allem zu eruieren, inwiefern architektonische Charakteristika und Ausstattungsmerkmale sich ähneln, wird die Analyse des Hamburger Markts durch Projekte in den Städten Frankfurt am Main, München und Berlin ergänzt. Es soll an dieser Stelle angemerkt werden, dass einzelne Projekte keine Basis für einen Vergleich darstellen, uns jedoch im Rahmen der Recherche auffiel, dass die Charakteristika und Trends zwischen den Städten kaum variieren. Die zusätzlich analysierten Objekte dienen in diesem Sinne als exemplarische Darstellungen, die wir jedoch als richtungsweisend erachten.

Projekt

Bauart

Ort

Fertigstellung

Preisspanne Euro/qm

Sophienterrassen

Neubau & Umbau

Hamburg Harvestehude

2017

9.384 – 16.081

Endlich Eppendorf

Neubau

Hamburg Eppendorf

z. B. 7.750

City Living

Neubau

Hamburg Neustadt

z. B. 9.634

Strandhaus

Neubau

Hamburg Hafencity

2017

6.151 – 15.982

Villa Karlstrasse Nr. 8

Neubau

Hamburg Uhlenhorst

2017

11.197 – 12.231

The Seven

Umbau

München Gärtnerstadt

2014

6.500 – 20.000

Living Levels

Neubau

Berlin Friedrichshain

2015

z. B. 9.000 – 16.630

Henninger Turm

Abriss – Wiederaufbau

Frankfurt Sachsenhausen

2017

6.500 – 10.000 [vgl. UniCredit Bank AG 2016]

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21


Typologie

Abb. 1 Typologie ›Kontemporäre Luxuswohnprojekte in Deutschland‹

Kontemporäre Luxuswohnprojekte in Deutschland

Bauart

Umbau

Neubau

Abriss/–

Neubau

Im Segment ›Luxuswohnen‹ ist nur ein Kauf möglich, keine direkte Anmietung. Die Wohneinheiten werden durchweg unmöbliert, auch ohne

Neubau

Neubau

Neubau

Einbauküche, vermarktet. PKW-Stellplätze können optional gegen Aufpreis [ab 35.000 Euro pro Stellplatz] erworben werden.

Neubau

Wiederaufbau Lage

Architektur -büro

München

Berlin

Frankfurt

Hamburg

Hamburg

Hamburg

Hamburg

Hamburg

Gärtnerstadt

Friedrichshain

Sachsenhausen

Harvestehude

Eppendorf

Neustadt

Uhlenhorst

Hafencity

Störmer

k. A.

Richard

Léon

nps

Meixner

Markovic

Wohlhage Wernik

tchoban

Schlüter

Ronai Voss

voss

Wendt

Murphy &

Meier

partners

Baujahr

2014

2015

2017

2017

k. A.

k. A.

k. A.

Anzahl WE

101

56

209

35

12

49

12

68

Preisspanne

z.B.

z.B.

z.B.

1.071.900 – 7.757.000

4.500.000

615.000 4.374.000

z.B.

5.000.000

1.450.000

2.150.000 – 2.990.000

855.000 – 2.980.000

6.500 –

z.B. 9.000 –

6.500 –

9.384 –

z.B.

z.B.

11.197 –

6.500 –

20.000

16.630

10.000

16.081

7.750

9.634

12.231

15.982

Living Levels

Henninger Turm

Sophienterrassen

Endlich Eppendorf

City Living

Villa Karlstraße

Strandhaus

EUR / qm

The Seven

22

k. A.

498.700 – 1.656.300

2017

23


Fußboden

Fenster

Deckenhöhe

3m

3,30-4,10 m

2,60 m

3,50 - 4,80 m

2,70 – 2,90 m

2,65 m

3,20 m

k. A.

Stil

zeitgenössisch/ modern

zeitgenössisch/ modern

zeitgenössisch/ modern

zeitgenössischklassisch

zeitgenössisch/ modern

zeitgenössisch/ modern

zeitgenössischklassisch

zeitgenössisch/ modern

qm

73 – 750

60 – 434

118 – 325

183 – 449

60 – 190

41 – 186

184 – 260

40 – 330

15

14

33

4

5

k. A.

4

14

The Seven

Living Levels

Henninger Turm

Sophienterrassen

Endlich Eppendorf

City Living

Villa Karlstraße

Strandhaus

Fassade

Etagen

24

25


Services

26

Klima

Fußbodenheizung

Deckenkühlung & Fußbodenheizung

Kühl- und Heizdecke

Fußbodenheizung/ Optional: Kamin/ Klimaregulierung: KNX

Fußbodenheizung / Lüftungsanlage

Fußbodenheizung / Lüftungsanlage

Fußbodenheizung / Kamin

Fußbodenheizung / Kamin / Klimaregulierung über ›KNX‹

Smart Living

›KNX Smart Control‹

›CAT-7 Verkabelung‹

›CAT-7 Verkabelung‹

Optional: ›KNX BUS System‹

Außenbereich

Balkon/

Balkon/

Terrasse

Terrasse

Wintergarten und Balkon

Balkon/ Terrasse/ Gartenanteil

Balkon/ Terrasse/ Gartenanteil

Balkon/ Terrasse

Balkon/ Terrasse/ Gartenanteil

Terrasse

The Seven

Living Levels

Henninger Turm

Sophienterrassen

Endlich Eppendorf

City Living

Villa Karlstraße

Strandhaus

Balkon/

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Typologie kontemporären Luxuswohnens Die wesentlichen Parameter, aus denen sich die Typologie des kontemporären Luxuswohnens zusammensetzt, sind neben den Fakten [Größe, Etagenanzahl, Baujahr Anzahl der Wohneinheiten im Gebäude, Lage] die Architektur [Bauart, Stil, planendes und ausführendes Architekturbüro, Fenster, Deckenhöhe, Fassadenstil], die Innenausstattung [Fußböden, Klimaregulierung, Smart Home-Konzepte, Außenbereiche] und angebotene Extra-Services. Außen

Siehe hier Buch II: Städtebauliche Leitbilder nach dem zweiten Weltkrieg

28

Bezüglich der Außenarchitektur unterscheiden sich die teils neu gebauten, teils umgebauten Gebäude grob zwischen den Stilen ›zeitgenössisch klassisch‹ und ›zeitgenössisch modern‹. Die Fassaden sind dabei z. B. aus hellem Naturstein [›Sophienterrassen‹ und ›Villa Karlstraße‹] oder, im Falle des ›Endlich Eppendorf‹ und des ›City Living‹, aus Klinker. Als Wohnturm sticht der ›Henninger Turm‹ in Frankfurt mit seinen 33 Etagen heraus und überragt damit bei weitem die anderen Objekte. Dies geht einher mit der jeweiligen, von städtebaulichen Maßgaben geregelten Baupolitik vor Ort. Darüber hinaus unterscheiden die Objekte sich in Bezug auf ihre Größe in kleine Projekte [›Villa Karlstraße‹ und ›Endlich Eppendorf‹ mit lediglich 12 WE], mittleren Projekten [mit mindestens 49 WE ›City Living‹, ›Living Levels‹, ›Strandhaus‹] und den beiden Großprojekten ›The Seven‹ mit 101 WE und dem ›Henninger Turm‹ mit 209 WE. Die Größe der Wohneinheiten variiert naturgemäß sehr stark. Während das kleinste Apartment im ›Strandhaus‹ über 40 qm Wohnfläche verfügt, haben Wohntürme wie ›Living Levels‹ oder ›The Seven‹ in den oberen Etagen Penthouses von bis zu 550 qm bzw. 750 qm im Angebot. Die Deckenhöhen der Wohnungen variieren von > 2,60 Metern [›Henninger Turm‹] bis zu > 3,50 Metern [›Sophienterrassen‹],

wobei die Durchschnittshöhe bei > 3 Metern liegt. In allen Objekten sind die Fenster teilweise bodentief. Die planenden und ausführenden Architekturbüros werden in zwei Fällen, in denen explizit mit ihrem Namen geworben wird, besonders hervorgehoben: Pritzker-Preisträger Richard Meier, der das ›Strandhaus‹ in Hamburg entwarf und Léon Wohlhage Wernik, die hinter dem ›The Seven‹ in München stehen. Während noch recht leicht herauszufinden ist, dass nps tchoban voss die ›Living Levels‹ entworfen haben, bleibt das hinter dem ›Endlich Eppendorf‹ stehende Architekturbüro unbekannt. Innen Die Innenausstattung der betrachteten Wohnobjekte variiert wenig bis gar nicht. So verfügen alle Wohneinheiten der Objekte über mindestens eine Außenfläche [Balkon / Terrasse / Gartenzugang / Loggia]; der Bodenbelag ist immer Eichenparkett. Die ›Sophienterrassen‹ setzen sich an dieser Stelle durch das Verlegemuster im Fischgrätenstil ab. Auch verfügen bis auf den ›Henninger Turm‹ alle Wohnungen über Fußbodenheizung sowie in vier der neun Fälle über kontrollierte Belüftungssysteme. Diese sind teilweise über Smart Home-Konzepte [BUS-System im ›Strandhaus‹; KNX Smart Control System in den ›Sophienterrassen‹] regulierbar. Zwei weitere Objekte [›Endlich Eppendorf‹ und Villa Karlstraße‹] verfügen über eine CAT-7-Verkabelung. Services Im Gegensatz zur teilweise ähnlichen Innenausstattung offenbart sich im Bereich der Extra-Services eine klare Differenz zwischen den Luxuswohnprojekten. Lediglich drei der Objekte [›The Seven‹, ›Strandhaus‹ und ›Sophienterrassen‹] bieten einen 24h-Conciergeservice an. Alle drei verfügen zudem über ein hausinternes Fitnessstudio, die ›Sophienterrassen‹ und das ›The Seven‹ zudem über ein Spa. Zusätzlich verfügen die ›Sophienterrassen‹ über eine Club Lounge, während das Strandhaus mit einem Waschplatz für Hunde und Outdoor-Ausrüstungen, einem Weinkeller, einer Ladestation für Elektroautos sowie Post- und Paketempfang aufwartet. Die ›Villa Karlstraße‹, in fußläufiger Nähe zur Außenalster, verfügt über einen hauseigenen Bootsanleger.

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Luxuswohnen: Der Markt Vermarktungsstrategien Eigentumswohnungen im Luxussegment werden nicht nur auf Immobilienportalen zu Schau gestellt, sondern haben häufig - und dies trifft auf all unsere Beispiele zu – eine eigens eingerichtete Website. Im Falle der ›Sophienterrassen‹ und des ›Henninger Turms‹ werden die Immobilien sogar mit hochwertigen Imagefilmen beworben. Für die Vermarktung zuständig sind größtenteils externe Immobilienvermarktungen wie z. B. ›Engel & Völkers‹ oder aber die Bauherr_innen selbst, wie z. B. die ›Frankonia‹ für ihr Objekt ›Sophienterrassen‹. Die Websites sind meist aufwendig gestaltet und programmiert und bieten reichlich Informationsmaterial in Form von Renderings, Bildern von Beispielapartments, Grundrissen, ausführlichen Materialbeschreibungen und Informationen über die Lage der Immobilie. Die Vermarktungsmaterialien scheinen bestimmte Darstellungsformen bewusst zu nutzen, um unterschwellig und doch gezielt gewisse Kundengruppen anzusprechen. Auf welches Klientel die jeweiligen Vermarktungsstrategien abzielen und wie dies diagrammatisch vermittelt wird – inwiefern also ›Regime‹ in Form von Bildern und Sprache hergestellt werden – soll in diesem Kapitel näher betrachtet werden. Um eine theoretische Grundlage zu schaffen, wird zunächst das Werk ›Politik der Bilder‹ des französischen Philosophen Jacques Rancière sowie dessen Interpretation und Anwendung in einem Essay der ›Urban Design‹-Studierenden Rosa Thoneick, Maximilian Bierbaum und Maximilian Sahin rezipiert. In einem zweiten Schritt werden dann die erarbeiteten, theoretischen Konzepte der ›Bildregime‹ beispielhaft auf die Luxusbauprojekte der vorangehenden Marktanalyse angewendet. Ziel ist es, zu erforschen, ob die verschiedenen Projekte unterschiedliche Zielgruppen ansprechen, wie dies sprachlich und bildlich kommuniziert wird und welche Eigenschaften den Bauprojekten an sich durch die Bildsprache und Wortwahl zugeteilt werden. Abb. 2 [rechts] Ausschnitt aus der Projektbroschüre für ›Living Levels‹ 30

31


Luxuswohnen: Der Markt Exkurs: Rancières Bildregime 1 Bild als »rohe, sinnliche Präsenz« Erzählsituation, Bild ist lediglich Abbildung einer Originalsituation/ der Realität 2 Bild als »Diskurs, der eine Geschichte verschlüsselt« Das Erzählte an sich, das hinter der bloßen Abbildung steckt [Rancière 2009: 18]

In seinem 2003 erstmals in französischer Sprache veröffentlichten Werk ›Politik der Bilder‹ diskutiert der französische Philosoph Jacques Rancière die Funktion eines Bildes und hinterfragt, inwiefern Bilder die Gegenwart verändern. Er geht davon aus, dass die Natur der Bilder und ihrer Produktion zu unterschiedlichen Performanzen der Bilder an sich führt und unterschiedliche Perzeptionen/ Reaktionen auf Seiten der Empfangenden auslöst. [vgl. Rancière 2009: 7–9] Bilder sind für Rancière nicht zwingend visuell, sondern können auch sprachlich sein. Er unterscheidet dabei zwischen zwei Formen von Bildern, wobei die Differenz in deren Beziehung zur realen Welt liegt. Bilder als Operationen & Regime der Bildlichkeit »Bilder [...] sind Operationen: Sie sind Beziehungen zwischen dem Ganzen und den Teilen, zwischen einer Sichtbarkeit und einem damit verbundenen Bedeutungs- und Affizierungsvermögen, zwischen Erwartungen und dem, was diese Erwartungen erfüllt.« [Rancière 2009: 10] Während also Bilder Operationen sind und unterschiedliche Arten von Beziehungen sichtbar machen und fördern können, werden die Beziehungen selbst wiederum von Regimen gestaltet. »[Es] zeichnet sich ein eigenständiges Regime der Bildlichkeit [imagéité] ab, das heißt ein Regime der Beziehungen zwischen verschiedenen Elementen und Funktionen.« [Rancière 2009: 11]

32

Der Begriff ›Regime‹ ist absolut zentral für Rancière und wohl am ehesten zu übersetzen als ›Regelwerk‹. Laut Ranciére vermittelt ein Regime ein diskursives Machtverhältnis, das gesellschaftlich errichtet wurde und sich dementsprechend permanent wandelt. Regime bestimmen die Perzeption von Bildlichkeiten, also die in einem Bild liegenden Sichtbarkeiten und somit die Abstraktion des Abgebildeten. Dies trifft vor allem auf das Erzählte, also den im Bild liegenden Diskurs, zu. Abhängig von Sichtbarkeiten und den dahinter liegenden Regimen kann dieser unterschiedlich gelesen werden – ganz abhängig von individuellen Bezugssystemen der Rezipienten. Bilder greifen in diesem Sinne bereits vorhandene Regime auf, nutzen und reproduzieren diese. Regime sind dabei weder willkürlich noch frei verhandelbar sondern entspringen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen. Bilder besitzen eine Produktions- und Darstellungsmacht, die als Bildregime bezeichnet werden können. [vgl. Rancière 2009: 14ff.] Zusammenfassend ist zu sagen, dass laut Rancière Bilder mehr kommunizieren, als das, was sie abbilden: Dies wird vor allem deutlich in der Unterscheidung zwischen Erzählebene und Erzähltem. Eine Darstellung ist dabei immer ein Zusammenspiel verschiedener Regime; die Sichtbarkeiten, also das Perzipierte, dabei eine Frage der subjektiven Bezugssysteme. [vgl. Rancière 2009: 157] Was genau der/ die Betrachter_in wahrnimmt und abstrahiert, ist in diesem Sinne nicht verhandelbar, sondern ergibt sich aus einem bereits vorher bestehenden, subjektiven »System aus Wertigkeiten, Bezügen und Intentionen« [Thoneick/ Bierbaum/ Sahin 2016: 11]. »Das Bild ist nie eine einfache Wirklichkeit.« [Rancière 2009: 12]

33


»Sämtliche Wohnungs darstellungen kommen ohne Menschen aus und zeugen von der Austauschbarkeit eben dieser Menschen oder gar davon, dass der Baltimore Tower eben nicht in erster, sondern nur in zweiter Linie für die Bewohner konzipiert wurde. [...] bei Lacaton & Vassal [...] wird der Mensch in den Mittelpunkt des Bauprozesses gestellt. Da es sich bei dem Projekt um sozialen Wohnungsbau handelt, werden hier Menschen in einen Prozess integriert, an welchem sie sonst selten teilhaben beziehungsweise selten sichtbar werden. So machen die Architekten mit ihren Bildern Politik [...]« [Thoneick/ Bierbaum/ Sahin 2016: 27]

34

Regime des Bildlichen im städtischen Kontext

Bildregime in der diagrammatischen Darstellung von Luxuswohnungen

Unter der Leitfrage, wie die Aufteilung des Sinnlichen sich im städtischen Raum auswirkt und welche Sichtbarkeitsregime damit in Verbindung stehen, wenden Thoneick/ Bierbaum/ Sahin in ihrer Arbeit die Thesen Rancières auf den städtischen Raum an; konkret auf zwei Bauprojekte und deren diagrammatische Darstellung in Broschüren und auf projekteigenen Websites. Diese analysieren und vergleichen sie unter der Prämisse, dass die Darstellungen der Projekte eine entscheidende Rolle im Zuge der Vermarktung von Wohnungen spielen. [vgl. Thoneick/ Bierbaum/ Sahin 2016: 9]

Im Kontext der von uns analysierten Luxusobjekte spielen Vermarktungsstrategien eine wichtige Rolle. Aufbauend auf der Arbeit von Thoneick/ Bierbaum/ Sahin und die Theorien Rancières stellen wir an dieser Stelle die These auf, dass die diagrammatischen Darstellungen der Luxusbauprojekte eine eigene Bildsprache sprechen; dass bildliche Regime kommuniziert und produziert werden. Wir vermuten zudem, dass diese Bildregime ebenso dazu dienen, subtil ein sorgfältig ausgewähltes Klientel anzusprechen und somit die Gruppe der potentiellen Kaufenden einzugrenzen.

Im Zuge der Analyse von Thoneick/ Bierbaum/ Sahin zur diagrammatischen Darstellung des ›Tour Bois le Prêtre‹ in Paris [Druot, Lacaton & Vassal] sowie des ›Baltimore Tower‹ in London [Skidmore Owings & Merrill] wird deutlich, dass die Visualisierungen der Objekte eine eigene Kraft haben, Bildregime zu erzeugen und zu kommunizieren. Die Autor_innen stellen fest, dass die Renderings von Bauprojekten Operationen auf visueller Ebene verschlüsseln. Gerade die Bilder des ›Baltimore Tower‹ transportierten somit Wertigkeit und Exklusivität, während die Visualisierungen des ›Tour Bois Le Prêtre‹ teilweise kein Endprodukt, sondern Planungs- und Bauprozesse zeigen. Regime werden hier neu verhandelbar gemacht, indem Raum für Fantasie und subjektive Assoziationen gelassen wird. [vgl. Thoneick/ Bierbaum/ Sahin 2016: 30]

Bezugnehmend auf die von Rancière herausgearbeitete Produktions- und Darstellungsmacht von Bildern gehen wir davon aus, dass jede gerenderte Fassade, jedes im Showroom platzierte Sofa, jede kommunizierte Deckenhöhe oder Form einer Türklinke Teil eines [von Marketingstrateg_innen bewusst verwendeten] Bildregimes ist. Wir nehmen dabei an, dass diese Regime nicht erst von Marketingstrateg_innen erzeugt werden, sondern durch soziale, politische, kulturelle und rechtliche Aushandlungsprozesse und gesellschaftliche Verhandlungen produziert und in subjektive Bezugssysteme aufgenommen wurden. Beim Betrachten der Websites und Exposés entsteht folglich automatisch eine Assoziation mit ›Luxuswohnen‹, die durch Bildregime kommuniziert wird, welche fester Bestandteil des Bezugssystems sowohl der Erschaffenden und als auch der Betrachtenden sind. So wird z. B. eine bestimmte Deckenhöhe nur zu einem ›Luxusaspekt‹, wenn sie als ein solcher wahrgenommen wird. Diese Wahrnehmungsart wird, unserer These nach, wiederum in Form von Vermarktungsstrategien genutzt und gleichzeitig reproduziert. Die Visualisierungen der hier genauer betrachteten Bauprojekte sind dahingehend nur ein Abbild von dem, was als Luxus wahrgenommen wird; quasi die Erzählsituation im Sinne Rancières. Gleichzeitig jedoch [re-] produzieren die Visualisierungen eben diese Konnotation von bestimmten Materialitäten und Strukturen mit luxuriösem, exklusiven Wohnen, sind somit ebenso Erzählungen.

35


Luxuswohnen: Der Markt Vermarktungsstrategien: Vorgehensweise & Materialsammlung

Imagefilme Website Lichtverhältnisse

Offizielles Werbematerial

Lagebeschreibung

Außen

Renderings

Innen

Tageszeit, Stimmung Winkel Personen Objekte

Bilder Grundrisse

Raumaufteilung

Objektbeschreibung

Sprache

Storyline

Einrichtungsstil

Exposé

Abb. 3 Grafik Vorgehensweise & Materialsammlung 36

Als Materialgrundlage dient das offizielle Werbematerial [Anzeigen auf Immobiliensuchportalen, projekteigene Websites, Exposés, Imagefilme] der Luxuswohnprojekte. Analysekategorien sind die Außen- und Innenvisualisierung in Form von Renderings und Fotos, die Wohnungsgrundrisse, die Storyline, Objekt- und Lagebeschreibungen sowie die verwendete Sprache. Schlussendlich wird exemplarisch herausgefiltert, inwiefern durch Bildregime das potentielle Klientel charakterisiert wird. 37


Dachterrasse ca. 44 m²

BRH 0,25 m

BRH 0,25 m

BRH 0,25 m

Flur ca. 8 m² Zimmer ca. 11 m²

Küche ca. 10 m²

Dusche bodengleich

Duschbad ca. 5,5 m²

Abstellraum ca. 2 m²

BRH 0,25 m

Bereich mit abgehängter Decke

Ankleide ca. 5 m²

BRH 0,25 m

BRH 0,25 m

Bereich mit abgehängter Decke

Schlafzimmer ca. 18 m²

WC ca. 2,5 m²

Bad ca. 6,5 m²

Dusche bodengleich

BRH 0,00 m

Wohn- und Esszimmer ca. 50 m²

Kamin

BRH 0,00 m

BRH 0,25 m

BRH 0,25 m

Dachterrasse ca. 19 m²

Wohnung 48 / 7. OG

›City Living

Zimmer: Größe: Dachterrassen:

3 ca. 119 m² ca. 63 m²

Wohnen: Schlafzimmer: Zimmer: Küche: Bad 1: Bad 2: WC: Flur : Ankleide: Abstellraum: Dachterrassen (anrechenbar):

ca. ca. ca. ca. ca. ca. ca. ca. ca. ca.

Gesamtfläche:

ca. 150,5 m²

50 m² 18 m² 11 m² 10 m² 5,5 m² 6,5 m² 2,5 m² 8 m² 5 m² 2 m²

ca. 32,0 m²

Änderungen der Planung, Ausführungsart und den vorgesehen Baustoffen behält sich der Verkäufer vor, soweit sie sich technisch als zweckmäßig oder notwendig erweisen, oder auf behördlichen Auflagen beruhen. Sie müssen für den Käufer zumutbar sein. Möbel, Einbauküche und Waschmaschine sind nicht im Kaufpreis enthalten und dienen lediglich der Darstellung. Den genauen Lieferumfang definiert die Baubeschreibung. Flächenangaben wurden berechnet nach der Wohnflächenverordnung. Balkone und (Dach-)Terrassen wurden mit der Hälfte ihrer Grundfläche angesetzt. Die in der Zeichnung angegebenen Maß- und Quadratmeterangaben sind ca.-Angaben. Diese Maße können sich im Zuge der Ausführungsplanung und/oder durch Sonderwünsche ändern. Stand: 20.02.2017

www.cityliving-hamburg.de

ƆǐƊƄ

›Endlich Eppendorf‹

›Villa Karlstraße‹

›Sophienterassen‹ Abb. 4 - 25 Collage: Werbematerial

38

39


Luxuswohnen: Der Markt

Außenvisualisierungen

Vorgehensweise & Materialsammlung

Markant bezüglich der Außen- und Umgebungsvisualisierungen ist zunächst die Wetterlage. Hamburg, nicht unbedingt bekannt für stabile Wetterverhältnisse und sonnige Tage, präsentiert sich in allen Visualisierungen von seiner utopischsten Seite: Cyanblauer Himmel, strahlende Sonne und grasgrüne Wiesen lassen die hellen Fassaden von Projekten wie den ›Sophienterrassen‹ und ›Villa Karlstrasse Nr. 8‹ kontraststark strahlen. In der Fassade des Backsteingebäudes ›City Living‹ spiegelt sich die Sonne. Generell wird viel Grün und viel Skyline gezeigt. Während ersteres eher auf Projekte wie die ›Sophienterrassen‹, die ›Villa Karlstrasse Nr. 8‹ und ›Endlich Eppendorf‹ zutrifft, finden sich Panorama-Ausblicke vor spektakulären Sonnenuntergängen vor allem im Hintergrund des ›Strandhaus‹, der ›Living Levels‹, des ›The Seven‹ und des ›Henninger Turms‹. Dies macht vor allem dann Sinn, wenn man sich die Architektur der Projekte anschaut. Alle zuletzt genannten Objekte sind Hochhäuser, der Ausblick wird also mitverkauft und somit auch beworben. Dies wird vor allem bei der Betrachtung des ›Strandhaus‹ deutlich, auf dessen Website tatsächlich mehr Bilder zu finden sind, die den Panoramablick zeigen, als das Gebäude an sich in seiner Außenansicht. Eine weitere Botschaft, die hinter Panoramaausblicken auf Großstädte liegt, ist die Botschaft der Zentralität, des ›Mittendrinseins‹ und dabei doch über den Dingen, über der Stadt, zu stehen. Es ist das Bild von urbanen Kosmopolit_innen, das hier über das Regime des Ausblicks über die Metropole transportiert wird.

Grundrisse

Alle in diesem Kapitel gelieferten Interpretationsansätze hinsichtlich kreierter Bildregime sind als Vorschläge zu verstehen und ergeben sich aus unseren subjektiven Bezugssystemen. Sie werden von uns weder als allgemeingültig wahrgenommen noch als solche kommuniziert, sondern bieten einen Einblick in unsere Wahrnehmung der Visualisierungen an.

In allen Fällen ist die Raumaufteilung durch die Grundrisse bereits vorgeschlagen [Wohnen, Schlafen, Küche, Essen etc.], in den Wohnungsgrundrissen der Projekte ›Endlich Eppendorf‹, ›Strandhaus‹, ›Living Levels‹ und ›Villa Karlstrasse Nr. 8‹ ist sogar bereits die Möblierung beispielhaft eingezeichnet. Dabei fällt auf, dass bereits hier eindeutige Zielgruppen angedacht sind: Die Wohnungen sind aufgrund ihres Grundrisses in den meisten Fällen auf Bewohnende ausgerichtet, die ihre Küche ausgiebig nutzen. Im Umkehrschluss wird davon ausgegangen, dass das Klientel der Apartments sowohl über die nötigen Finanzen verfügt, um fast nur auswärts zu speisen oder Essen liefern zu lassen und auch genau diesen Lebensstil führt. Bade- und Ankleidezimmer hingegen nehmen proportional viel mehr Raum ein. Am deutlichsten wird dies am Beispiel der ›Sophienterrassen‹. In einer 175 qm großen Wohnung entfallen lediglich 9,34 qm auf die Küche, während Bad und Ankleideräume zusammen 38 qm einnehmen. Visualisierungen Visualisierungen, sowohl die des Innen- als auch des Außenbereichs, zeigen niemals den Bauprozess, sondern immer das Endprodukt. Dies ist vor allem hinsichtlich der Tatsache auffällig, dass sich einige der Projekte noch nicht einmal in der ersten Bauphase befinden. Ausnahmefall ist hier ›Endlich Eppendorf‹, auf dessen Website ein Baustellenfoto aus der Luft platziert ist, in das die zukünftige Lage des Projekts eingezeichnet ist.

40

Die diagrammatischen Außendarstellungen sonstiger Projekte hingegen betonen andere Vorzüge: Die Attribute ›im Grünen in der Großstadt‹ und eine ruhige Lage werden durch Weitwinkelaufnahmen der Umgebung [›Sophienterrassen‹] sowie durch pittoreske Fotos des von Bäumen umsäumten Isekanals [›Endlich Eppendorf‹] untermauert. Einen Spagat zwischen Panoramablick und Grün versucht das ›The Seven‹ in München, auf dessen Website sich zahlreiche idyllische Bilder von gepflegten Pflanzenlandschaften im begrünten Atrium des Objekts finden und die klare Botschaft eines Rückzugsorts inmitten der Großstadt vermitteln. Das hier produzierte Regime ist wohl weniger kosmopolitisch als vielmehr das eines ruhigen, gesetzten Lebensstils, gespickt von kulturellen Unternehmungen, mit denen eine Großstadt aufwartet. Die Außenvisualisierungen sind oft realitätsfern. Dies liegt nicht nur an 41


den Wetterverhältnissen, sondern schlägt sich ebenso in den extrem gesättigten Farben der umgebenden Landschaft und den teilweise surreal erscheinenden Renderings nieder. Ein Extrembeispiel ist die Broschüre der ›Living Levels‹, deren Fokus eindeutig auf dem Gesamtdesign und -layout liegt als auf der realen Darstellung eines Wohnhauses. Es wird zudem offensichtlich Wert darauf gelegt, nicht nur die Bauprojekte an sich, sondern auch die Umgebung erlebbar zu machen. Dies gilt vor allem für Objekte in unmittelbarer Wassernähe, die diese natürlich mitvermarkten.

Auch in der Visualiserung des Wohnzimmers im ›Endlich Eppendorf‹ sind ähnliche Charakteristika abzulesen: cleanes, modernes Design ohne viel Schnickschnack, kaum Stoffe oder ausladende Polster. In beiden Wohnzimmer befinden sich Glastische, auf denen Coffeetablemagazine liegen; die Stühle sind angelehnt an das Design der stark nachgefragten Vitra-Stühle. Dominierende Farbe ist ein schlichtes, ruhiges anthrazit. Der Farbton findet sich auch im Sofa des Wohnzimmers im ›City Living‹, allerdings aufgelockert durch neongrüne Kissen. Das Interieur des ›Endlich Eppendorf‹ erscheint ein wenig hochwertiger und ›gesettelter‹ als im ›City Living‹.

Innenvisualisierungen

Das ›Strandhaus‹ reiht sich ein in die Linie einer modern-klassischen, eher puristischen Einrichtung. Auch hier sind wenig Möbelstücke auf viel Raum verteilt sind und die Freiflächen [Regale, Borten, Tische] bis auf einen Blumenstrauß oder ein paar sorgfältig drapierte Magazine hier und da größtenteils freigehalten sind. Ein mitten im Raum stehendes Piano vermittelt Loungecharakter. Ebenso die an verschiedenen Stellen der Wohnung drapierten, großformatigen Magazine und Bücher, eher zum Durchblättern als zum Lesen geeignet sind. Das Interieur im ›Strandhaus‹ wirkt noch einmal hochwertiger als in den beiden vorangegangenen Objekt, z. B. aufgrund der Designer-Lampen. Alle drei Objekte sehen quasi unbewohnt aus.

Einhergehend mit der extrem guten Wettersituation in den Außenvisualisierungen zeigen auch die Renderings der Innenbereiche durchweg helle und lichtdurchflutete Räume. Im Kontrast zu der diagrammatischen Darstellung der Außenbereiche gibt es, bis auf eine Ausnahme, keine Innenraumvisualisierungen bei Dunkelheit. Einzig ein Rendering des Wohn- und Essbereichs im ›Strandhaus‹ existiert sowohl bei Tages- als auch bei Abendlicht. Die Darstellungen der Wohnungen zeigen meist so viel Raum wie möglich, d. h. die Aufnahmen sind aus weitmöglichsten Winkeln aufgenommen, ohne tatsächlich Weitwinkel- oder Panoramaaufnahmen zu sein. Betont wird hierdurch die Großräumigkeit, großzügiger Lichteinfall und Deckenhöhen. Abgesehen von baulichen/ räumlichen Charakteristika der Wohnungen wird hier vor allem das Interior Design in den Vordergrund gerückt. Dies ist gerade in der Hinsicht interessant, als dass die Wohnungen ausnahmslos unmöbliert zum Verkauf stehen. An dieser Stelle lassen sich dementsprechend besonders starke Bildregime herausfiltern, da die Visualisierungen keinesfalls Abbildungen einer Originalsituation, sondern voll und ganz fiktiv erschaffen sind. Die beispielhafte Möblierung ist in allen Fällen hochwertig, variiert jedoch im Stil. Der Einrichtungsstil in der Beispielwohnung des ›City Living‹ lässt sich wohl als modern, jugendlich und eher clean beschreiben. Es kommen wenig Möbel auf viel Raum, die Stühle sind nicht bepolstert, es ist wenig Dekoration [nur einige Bücher und Lampen] vorhanden. 42

In der Beispielwohnung der ›Villa Karlstrasse Nr. 8‹ sind ebenfalls viele Freiflächen, die Räume nicht überladen mit Möbeln. Die Materialitäten jedoch unterscheiden sich von den bisher aufgeführten Apartment-Einrichtungen, indem deutlich mehr Stoff in Form von Teppichen und Gardinen aber auch mehr Leder und Polstermöbel zu sehen sind. Insgesamt wirken die Räume dadurch direkt ein wenig opulenter, herrschaftlicher. Die Einrichtung des ›Henninger Turm‹ ähnelt dem Interieur der Beispielwohnung in der ›Villa Karlstrasse Nr. 8‹. Auch hier ist der Stil modern, doch ebenfalls nicht ganz so minimalistisch gehalten wie bspw. im ›Strandhaus‹, indem die Möbel gepolstert sind und Teppiche ausliegen. Zudem wirkt die Wohnung im ›Henninger Turm‹ als einzige bewohnt: ber fast jeder Sessellehne sind Decken so drapiert, dass es den Anschein erweckt, jemand hätte hier gerade gesessen. Bücher und Zeitschriften sind aufgeschlagen, auf dem Wohnzimmertisch stehen volle Kaffeetassen. 43


Die Visualisierungen des Beispielapartments in den ›Sophienterrassen‹ fallen hier deutlich aus dem Raster. Zunächst springt das Parkett im Fischgrätenmuster ins Auge. Die Beispielwohnung ist pompös eingerichtet: Üppige Polstermöbel, Ledersofas, große Kronleuchter, dicke Teppiche und schwere Vorhänge dominieren den Raum. In den verschiedenen Esszimmer-Situationen finden sich extravagante Stühle mit goldfarbenem Bezug und festlich gedeckte Tafeln. Wenig Freifläche, sowohl im Bild als auch in der Wohnung an sich. Luxus wird hier zur Schau gestellt, hochwertige Materialitäten präsentiert. Der Hauseingang ist mit Marmor ausgestattet. Die Renderings der Wohnung in den Sophienterrassen stehen in starkem Kontrast zu denen der anderen Objekte. Während die Inneneinrichtung z. B. im ›Endlich Eppendorf‹ oder im ›Strandhaus‹ eher auf understatement setzt, indem [augenscheinlich] hochwertige Möbel dezent auf großer Fläche in Szene gesetzt werden, erscheinen die ›Sophienterrassen‹ prunkvoll und feudal. Angesichts der Tatsache, dass Wohnungen unmöbliert verkauft werden, steht von Anfang an fest, dass durch die suggerierten Innenausstattungen Bildregime erschaffen werden. Obwohl in den Renderings, bis auf zwei Ausnahmen, keine Personen zu sehen sind, gilt dies vor allem in Bezug auf [indirekte] Verweise auf potentielles Klientel. Durch die stilunabhängig durchweg hochwertige Ausstattung der Beispielapartments wird dieses subtil als solches dargestellt, das sich nicht nur den Kauf einer derart teuren Immobilie leisten kann, sondern zudem über das nötige Kleingeld für eine exklusives Interieur verfügt. Doch auch der Einrichtungsstil zeichnet ein Bild im Bild – so sprechen cleane, minimalistisch eingerichtete Apartments für Singles oder junge Paare ohne Kinder, und gleichzeitig für ein gewisses ›understatement‹: Reichtum wird gelebt, doch nicht zur Schau gestellt. Sorgfältig in den Renderings platzierte Objekte wie Obstschalen, Coffeetablebooks, großformatige Magazine und ausgewählte Kunstwerke an den Wänden lassen zudem auf einen gewissen Lebensstil schließen. Auch das Piano im Strandhaus vermittelt ein Image der potentiellen Bewohnenden eines solchen Apartments. Es lässt auf Bewohnende schließen, die in ihrer Freizeit als ›hochkulturell‹ konnotierten Beschäftigungen wie dem Klavierspielen oder ihrem Interesse an Kunst nachgehen anstatt z. B. fernzusehen. 44

Nicht wirklich als ›understatement‹ lässt sich hingegen die Einrichtung der Beispielwohnung in den ›Sophienterrassen‹ bezeichnen – und auch hier walten Regime, lässt also die Möblierung, ohne Personen zu zeigen, Rückschlüsse auf Bewohnende zu und charakterisiert diese als sehr wohlhabend. Im Gegensatz zum ›Henninger Turm‹ oder ›Endlich Eppendorf‹ kommuniziert dieser Stil, dass Reichtum nicht mit einer gewissen Bescheidenheit gehandhabt wird, sondern durchaus gerne und deutlich präsentiert werden darf. Einen eindeutigen Bezug zu Familien als Klientel schaffen die ›Villa Karlstrasse Nr. 8‹, auf dessen Renderings spielende Kinder und Hunde im Garten zu sehen sind, das ›Endlich Eppendorf‹, die ebenso einen Hundeauslauf im Garten abbilden sowie in ihrer Beschreibung Familien direkt ansprechen, die sich »zwischen verschiedenen Schulen im Stadtteil entscheiden» könnten. Implizit wurde wohl auch beim Bau des ›The Seven‹ mit Familien gerechnet, denn die Anlage verfügt über einen eigenen Kindergarten [laut Abendzeitung den teuersten der Stadt München]. Sprache Untermauert werden die Bilder im Bild von den Beschreibungen der Wohnobjekte, die sowohl sprachlich als auch inhaltlich die durch Visualisierungen vermittelten Regime konkretisieren. Wenn auf der Website der ›Sophienterrassen‹ Harvestehude als ein Stadtteil beschrieben wird, in dem sich Menschen niederlassen, die über »Rang und Namen verfügen« und die Architektursprache des Objekts als »die des selbstbewussten, wohlhabenden und engagierten Bürgertums« bezeichnet wird, entsteht im Kopf ein anderes Bild der möglichen Bewohnenden als bei einem Blick in das Exposé der ›Living Levels‹. Hier werden vor allem die Nähe zu Berlin’s Clublandschaft, den angesagten Vierteln Kreuzberg und Friedrichshain sowie dem Mediaspree-Gebiet angepriesen; das Objekt wird als »Ruhepol umgeben von den angesagtesten Hotspots Berlins« beworben. Das Klientel, auf welches das ›Living Levels‹ abzielt, scheinen erfolgreiche, eher alleinstehende und ggf. im Medienbereich tätige, junge Menschen zu sein. Die Wohnung wird als Ausgangsort von sowohl Arbeit als auch Nachtleben initiiert. Ähnlich verhält es sich beim Hamburger Projekt ›City Living‹, in dessen Beschreibungen sowohl die Individualität der Kaufenden [»Flächen – So individuell wie ihre Käufer«] als 45


auch die zentrale Lage mit ihren »zahllosen Shopping-Möglichkeiten und einer Vielfalt kultureller Angebote« sowie der Nähe zur Wexstraße als neuem »Hotspot« untermauert wird. Bezüglich des Sprachgebrauchs fällt hier ein deutlicher Kontrast auf: Im Gegensatz zu den blumigen, beinah herrschaftlich klingenden Beschreibungen der ›Sophienterrassen‹ oder auch des ›The Seven‹ mit seinem »von Kolonnaden umsäumten Atriumhof mit Wassergarten«, sind sowohl die Beschreibungen der ›Living Levels‹ als auch des ›City Living‹ in kurzen Sätzen, gespickt mit Anglizismen, verfasst. Inhaltlich betonen sie den Wohnsitz als einen Ort, der sich mitten im Geschehen befindet und die Möglichkeit bietet, am pulsierenden Großstadtleben teilzunehmen. Es wird hier sprachlich ein Bild gezeichnet von jungen, wohlhabenden, agilen und kosmopolitischen Bewohnenden, die die Wohnung ggf. nur als Zweitwohnsitz nutzen und dabei »Am Puls der schnelllebigen Großstadt« [City Living] leben wollen.

scheint, arbeitet die Vermarktung des ›Strandhaus‹ in der Hafencity mit Rückbezügen auf das Hafenflair, die »hanseatische Kaufmannstradition« und den jahrhundertealten Metropolcharakter der Stadt als Hafenstandort. »Sie lassen Ihren Blick über den Hafen, die Elbphilharmonie und die Dächer und Türme der Innenstadt schweifen... Und haben die Gewissheit, an einem ganz besonderen Ort zu Hause zu sein.«

Mit salbungsvollen Formulierungen [»Es ist nicht nur die Lage, die hanseatischer nicht sein könnte«] und einer beinah implizierten Charakterisierung potentiellen Klientels durch ebendiese [»Lage verpflichtet«] wartet auch die ›Villa Karlstrasse Nr. 8‹ auf. Daskreierte Bild ist dem der ›Sophienterrassen‹ sehr ähnlich. Vergleichbar ist an dieser Stelle ein weiteres Detail: Der starke Bezug zur Hamburger Historie sowie zu nicht weiter definierter ›hanseatischer Tradition‹. Neben einem Abriss der Geschichte des Stadtteils Harvestehude sind in den ›Sophienterrassen‹, laut Exposé, »Die zutiefst hanseatischen Attribute Freiheit und Weite [...] spürbar und erlebbar«. Das Klientel wird also nicht nur als wohlhabend und dem Bürgertum angehörig charakterisiert, sondern ebenso als traditionell hamburgisch oder zumindest zutiefst verbunden mit der Stadt.

Bei genauem Studium des Vermarktungsmaterials wird deutlich, dass es bei keinem der Projekte um die allgemeine Vermarktung von Wohnungen geht. Vielmehr wird in gründlich ausgearbeiteten Konzepten, die von der Bildsprache über Sprachbilder, Websites, Exposes und Imagefilme gehen, versucht, für jedes der Bauprojekte eine ganz bestimmte Art Klientel anzusprechen und zu gewinnen. Bildregime, die auf die Bezugssysteme der Rezipierenden einzahlen, werden sehr deutlich. Es gibt dabei ein Merkmal, dass alle angesprochenen Zielgruppen vereint: Wohlstand. Dies ergibt sich zum einen ganz natürlich aus den astronomisch hohen Preisen, zu denen die Objekte verkauft werden. Zum anderen lässt sich ein gewisser Wohlstand, ein Lebensstandard, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen, ebenso aus den Einrichtungen der Wohnungen und den Beschreibungen der Bauprojekte herauslesen. Die diagrammatischen Visualisierungen, sowohl die bildlichen als auch die sprachlichen, sind dabei höchst ausdifferenziert und detailgetreu. Auch die Art der Beispielmöblierung, die In-Szene-Setzung der Gebäude in ihrem Umfeld, die Sprachlichkeit an sich sowie der Inhalt der Lageund Objektbeschreibungen formen in ihrer Kombination und ihrer Differenz klare und vor allem wirkungsmächtige Regime. Dabei sind alle Visualisierungen Darstellungen von etwas nicht Existierendem: Keine der abgebildeten Wohnungen ist real, keines der gerenderten Gebäude zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Bilder bereits fertiggestellt. Alle Bilder sind solche, die im Kopf des Betrachtenden produziert werden sol-

Die Funktion des Apartments als heimatlichen Anker sowie eine tiefe Verbundenheit zur Stadt werden auch auf der Website des ›Henninger Turms‹ bekräftigt. Hier wird der Rückbezug auf die Historie der Stadt Frankfurt direkt am Gebäude festgemacht und dieses geradezu ikonisiert. Der Wohnturm als »ein Stück Heimat», als »Wahrzeichen der Stadt« und »Unikat« in Frankfurt, der »Heimatmetropole«. Lokalpatriotismus legen jedoch auch die Lagebeschreibungen anderer Hamburger Objekte wie des ›Strandhaus‹ oder der ›Villa Karlstrasse Nr. 8‹ an den Tag. Während, genau wie die ›Sophienterrassen‹, auch die Architektur der ›Villa Karlstrasse Nr. 8‹ auf den Spuren »hanseatischer Tradition« zu wandeln 46

Bezüglich des Klientels suggerieren, trotz ähnlichem Lokalpatriotismus, die Beschreibungen und auch die Ausstattung des ›Strandhaus‹ mit seiner Ladestation für E-Autos und einem Waschplatz für Outdoor-Ausstattung und/ oder Hunde nochmal ein anderes Klientel [wohlhabend, jung und aktiv] als die der ›Villa Karlstrasse Nr. 8‹ oder der ›Sophienterrassen‹. Fazit

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len, und dabei keine Abbildungen einer Originalsituation. Ihre Wirkungskraft als Diskursproduzierende, als Erzählende einer fiktiven Geschichte und als Trigger spezifischer Assoziationen gewisser Bezugsgruppen wird durch diese Tatsache untermauert und intensiviert. Lebensstile und Lebensgefühle werden in Bildern produziert und durch diese kommuniziert. Es wird klar, dass sehr viel Zeit und Geld in die professionelle Vermarktung der Objekte an vorher sehr genau herausgefilterte und definierte Zielgruppen investiert wurde.

»In jedem dieser Beispiele geht es darum, eine Welt hinter einer anderen Wel t sichtbar zu machen.« [Rancière 2009: 69]

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›Strandhaus‹

›Henninger Turm‹

›The Seven‹ Abb. 26-44 Collage: Werbematerial

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Luxuswohnen: Der Markt Vermarktungsstrategien: Imagefilm ›Sophienterrassen‹

»Exklusives Wohnen an der Außenalster.«

»En Suite Bad. Ein Standard, der verwöhnt.«

»Balkon. Schöne Aussichten.«

»Marmor-Waschtische und Dornbracht-Armaturen.«

»Arbeitsbereich. Wo Leistung leicht fällt.«

»Schlafen. Raum für Träume. Einbauschränke. Mehr Platz für’s Leben.«

»Wohnzimmer. Alsterblick par excellence.«

Abb. 44-56 Storyboard Sophienterrassen

»Küche. Geschmack hat seinen Platz. Elektroinduktionsherd und Echtholzdesign von Bulthaupt.«

»Esszimmer. Das Auge genießt mit.«

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»Raumhöhen 3,50 m – 4,80 m«

»Kronleuchter und Naturstein gefasster Kamin.«

Der Werbefilm portraitiert das Alltagsleben eines jungen Paares, das in den Sophienterrassen wohnt. Dabei werden die verschiedenen Räume des Appartements in ihrer Funktion und Einrichtung detailliert vor- und dargestellt. Die Wohnung ist gleichzeitig Lebensmittelpunkt [er arbeitet von zuhause aus, sie scheint nicht zu arbeiten] als auch Repräsentationsort [abendlicher Gästeempfang] der beiden. Der Film vermittelt eine klassisch-konservative Rollenaufteilung. Während er am Schreibtisch sitzt und in Büchern blättert verbringt sie den Tag mit Joggen, Schönheitspflege, Kleiderauswahl und minimalen Vorbereitungen für den Gästeempfang. Die Einrichtung der Wohnung ist opulent luxuriös, die Raumaufteilung wird implizit vorgegeben. 53


Indem der Imagefilm einen Tag im Alltagsleben eines jungen Paares, das in den ›Sophienterrassen‹ wohnt, portraitiert, wirkt dieser sehr persönlich und zugänglich. Zuschauende können sich vorstellen, wie es wäre, in den ›Sophienterrassen‹ zu leben. Angefangen mit einer morgendlichen Laufrunde an der Außenalster wird dargestellt, für welche Zwecke die Wohnung sowie die Umgebung ausgelegt ist und welcher Lebensstil sich in den Räumen einpassen kann. Durch die Beispiel-Bewohnenden des Apartments, das junge Paar, wird ein deutliches Bild vom potentiellen Klientel gezeichnet und in diesem Sinne ein klares Regime kommuniziert. So scheint das Paar so wohlhabend zu sein, dass sein Gehalt ausreicht, um einen derart exklusiven Lebensstil für beide zu finanzieren. Die Rollenverteilung ist klassisch-konservativ, jegliche Charakteristika traditioneller Geschlechterrollen werden bespielt. Während der Mann im Wohnzimmer Bücher liest, schminkt sich die Frau im Badezimmer und huscht dann ins Ankleidezimmer. Die beiden gehen liebevoll und doch distanziert miteinander um, in den über den Tag verteilten Szenen, verbringen sie keine Zeit miteinander. Nicht nur die beiden Hauptcharaktere, sondern auch die Raumaufteilung, der Einrichtungsstil und in der Wohnung platzierte Objekte wie das Piano bedienen Regime, die den Zuschauenden das präferierte Klientel suggerieren. Während es zwei Badezimmer sowie einen Ankleidebereich und wandhohe Kleiderschränke gibt, ist die Küche vergleichsweise klein und eher nicht darauf ausgelegt, für mehrere Personen Essen zuzubereiten. Obwohl am Abend mit Gästen diniert wird, stehen in der Küche weder Töpfe noch benutzte Küchengeräte, im gezeigten Tagesablauf ist keine Sequenz zu sehen, in der er oder sie kochen. Es stellt sich einem die Frage, woher das Essen stammt, das am Abend serviert wird. Ein naheliegender, interpretativer Rückschluss als Zuschauende_r ist, dass das Paar ist wohlhabend genug ist, um größtenteils auswärts zu speisen bzw. Essen kommen zu lassen. Das Piano sowie das prall gefüllte Bücherregal – beides Objekte, die nur von ihm genutzt werden – bedienen das Regime eines gebildeten Mannes mit intellektuellem Anspruch, der sich für Kunst und Kultur interessiert und dessen Hobby es ist, Klavier zu spielen, anstatt z. B. vor dem Fernseher zu sitzen. Seine Partnerin wiederum gibt sich als die perfekte Gastgeberin, indem sie die Gäste durch den Abend führt [sie an der Tür willkommen heißt und später vom Ess- ins Wohnzimmer führt] und sich darum kümmert, 54

dass jede_r mit Getränken und Essen versorgt ist. Sie ist es augenscheinlich gewohnt, Gäste zu empfangen und diesen einen angenehmen Abend zu bereiten, was darauf schließen lässt, dass auch sie aus einem sozialen Umfeld stammt, in dem es an der Tagesordnung ist, derartige Empfänge durchzuführen. Dass das Paar und ihr Alltag nur fiktiv sind, unterstreicht die bewusste Repetition von Rollenbildern, die Kommunikation von Lebensstandards und -stilen sowie die implizite Produktion von Bildregimen, die vermitteln, welche Art Klientel in den ›Sophienterrassen‹ erwünscht sind.

Abb. 57 ›Sophienterrassen‹, Führung: Architektursommer Hamburg, 2017

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Luxuswohnen: Der Markt Vermarktungsstrategien: Imagefilm ›Henninger Turm‹

»Wie lange ist das her… Damals. Du warst der erste, der mich in dieser Stadt willkommen hieß.«

»Ich glaube, es waren die Abenteuer und Wettkämpfe mit dir, die mich stark gemacht haben. Warum warst du so lange fort?«

»Andererseits – Ich habe es kaum gemerkt. Denn in »Als ich dir das erste Mal seit langem wieder meinen Gedanken warst du immer ein Teil von mir.« gegenüberstand [...]. Ich sah, du bist dir treu geblieben. Und hast dir doch erlaubt, dich zu verändern.«

»Morgen weiß ich, wirst du bleiben. Kraftvoll und voller Geborgenheit. In deiner Anmut finde ich meine Inspiration.« Abb. 58-67 Storyboard Henninger Turm

»Und wenn ich in der Welt unterwegs bin, trage ich dich bei mir.«

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»Ein gutes Gefühl, zu wissen, dass es dich gibt.«

Der Werbefilm stellt den ›Henninger Turm‹ als Konstante, der die Stadt Frankfurt und ihre Bürger_innen durch alle Zeiten begleitet, dar. Bildgewaltig beginnt der Sprung in die Historie des Turms mit der Radrenn-Ikone Didi Thurau, der beim Rennen um denselbigen den zweiten Platz belegte und vielen Frankfurter_innen noch immer in schillernder Erinnerung ist. Die Betrachtenden werden auf einer höchst emotionalen Ebene abgeholt und von einer sanften Stimme aus dem Off an den Wahrzeichencharakter des Turms herangeführt. Dieser wird nicht nur personifiziert, sondern bekommt zudem eine Funktion als über die Stadt wachendes Symbol, das Schutz, Stärke, Geborgenheit sowie Heimat ausstrahlt, zugeschrieben. 57


Der Imagefilm für den ›Henninger Turm‹ ist abstrakt, indem er keine Bewohnenden zeigt, sondern die Geschichte des Bauwerks an sich nachzeichnet. Ziel des Films ist es trotzdessen, Zuschauende auf einer höchst emotionalen Ebene abzuholen und eine persönliche Beziehung zwischen ihnen und dem ›Henninger Turm‹ zu initiieren. Durch die in Ich-Form erzählten, persönlichen Assoziationen der Stimme aus dem Off mit dem Turm sowie den Einrichtungsstil kurz gezeigten Wohnung werden dennoch Regime transportiert, die potentielles Klientel charakterisieren. Die Wohnung ist clean und sehr exklusiv ausgestattet, eindeutig nicht von Familien mit Kindern bewohnt. Designermöbel, großformatige Magazine und Bücher sowie ein Klavier in der ansonsten kaum dekorierten Wohnung sprechen die Sprache eines jungen, wohlhabenden sowie gebildeten und kulturell interessierten Klientels. Die Aussage »Und wenn ich in der Welt unterwegs bin, trage ich dich bei mir« ist zu deuten als Bezug auf Menschen, die viel unterwegs sind – z. B. Geschäftsreisende. So wird der ›Henninger Turm‹ zwar als zuhause deklariert, dies könnte allerdings auch ein Zweitwohnsitz sein. Gleiches gilt für die Inszenierung der Stadt Frankfurt als pulsierende Metropole, die niemals schläft. Hier wird eindeutig auf junge, karriereorientierte und energetische Menschen angespielt, die sich in einem Großstadtdschungel wir Frankfurt wohlfühlen und keine Ruhe, sondern Abwechslung und Schnellebigkeit suchen. Abb. 68 ›Henninger Turm‹ Computer-Visualisierung

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Luxuswohnen: Der Markt Mediendarstellung Bauvorhaben im Luxussegment werden häufig aufmerksam von den Medien [dabei hauptsächlich Print] verfolgt. Während plakative Überschriften zum Thema Exklusivität und Hochpreisigkeit von Wohnraum recht flächendeckend zu finden sind, variiert ansonsten sowohl die Häufigkeit als auch der Tenor der Berichterstattung abhängig von den Objekten und ihrer Vorgeschichte. Während im Falle der ›Sophienterrassen‹ und der ›Living Levels‹ in Berlin viel über die historische Behaftung des jeweiligen Baugeländes diskutiert wird, verhandelten die Medien im Raum Frankfurt am Main nicht nur die Hochpreisigkeit des neuen Henninger Turms sondern diskutierten zudem dessen Funktion als Wahrzeichen der Stadt. Das ›Strandhaus‹ in Hamburg hingegen taucht kaum in den herkömmlichen Medien auf; die meisten Beiträge sind auf Architekturportalen und -magazinen zu finden. Hier scheint also weniger die Tatsache, dass ein neuer Luxuswohnturm gebaut wird, von Interesse zu sein, sondern eher die Strahlkraft des bekannten Architekten Richard Meier von Belang zu sein und das Interesse eines Fachpublikums zu wecken. Generell lässt sich feststellen, dass vor allem die Verkaufspreise der Wohnungen eine hohe mediale Durchschlagskraft besitzen – wann immer eine Höchstmarke geknackt wird, echauffiert sich die [mindestens lokale] Presse mehr oder weniger subtil, ist jedoch mindestens genauso neugierig, wer die astronomisch hohen Quadratmeterpreise zahlt. Abb. 69 Werbe- und Informationsstand der geplanten Immobilienanlage ›Dubai Creek‹ in der ›Dubai Mall‹, Dubai

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Sophienterrassen Adresse Baujahr Wohneinheiten Preis pro qm

Sophienterrasse 14, 20149 Hamburg 2014 101 9 384 - 16 081 Euro

Abb. 70 [links] ›Sophienterrassen‹ Abb. 71- 81[rechts] Collage Ausschnitte der medialen Berichterstattung über die ›Sophienterrassen‹

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The Seven Adresse Baujahr Wohneinheiten Preis pro qm

Müllerstraße 7, 80469 München 2014 101 6 500 - 20 000 Euro

Abb. 82 [links] ›The Seven‹ Abb. 83-89 [rechts] Collage Ausschnitte der medialen Berichterstattung über ›The Seven‹

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Living Levels Adresse Baujahr Wohneinheiten Preis pro qm

Mühlenstraße 60, 10243 Berlin 2015 62 9 000 - 16 630 Euro

Abb. 90 [links] ›Living Levels‹ Abb. 91-96 [rechts] Collage Ausschnitte der medialen Berichterstattung über das ›Living Levels‹

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Henninger Turm Adresse Baujahr Wohneinheiten Preis pro qm

Hainer Weg 52, 60599 Frankfurt 2017 209 6 500 - 10 000 Euro

Abb. 97 [links] ›Henninger Turm‹ Abb. 98-108 [rechts] Collage ›Ausschnitte der medialen Berichterstattung über den Henninger Turm‹

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Strandhaus Adresse Baujahr Wohneinheiten Preis pro qm

HafenCity, 20457 Hamburg 2017 66 11 197 - 12 231 Euro

Abb. 109 [links] ›Strandhaus‹ Abb. 110- 115 [rechts] Collage Ausschnitte der medialen Berichterstattung über das ›Strandhaus‹

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Verzeichnis Buch I Literatur- & Abbildungsverzeichnis Bauwelt [2017]. Wohnhochhaus für alle? Recherchen zur Frage, ob die Vertikale zwangsläufig ins Luxussegment führt. Bauwelt 17/2017.

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Strandhaus [2017]. Strandhaus. http://www.strandhaus.hamburg [17.07.2017].

Strandhaus: http://www.strandhaus.hamburg [17.07.2017]. The Seven: http://www.firstestate.de/Index/view/51 [20.07.2017].

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Abb. 45-56 ›Storyboard Sophienterrassen © Julia Marie Englert

Thoneick, Rosa / Bierbaum, Maximilian / Sahin, Maximilian [2016]. Jacques Rancière. Politik der Bilder. Essay im Rahmen des Seminars ›Komposition des Städtischen‹. Hafencity Universität Hamburg [nicht publiziert].

Abb. 57 Sophienterrassen. Führung: Architektursommer Hamburg 2017 © Julia Marie Englert

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Abb. 58-67 ›Storyboard Henninger Turm‹ © Julia Marie Englert Abb. 68 Henninger Turm, Computervisualisierung https://cdn.iz.de/media/images/image-0096925_s930xauto_ c0x210_2770x4045.jpg [04.09.2017].

Abbildungsverzeichnis

Abb. 69 ›Werbe- und Informationsstand der geplanten Immobilienanlage Dubai Creek‹ in der Dubai Mall, Dubai © Julia Marie Englert

Abb 0 Wohnhochhäuser in Hongkong, China, 2016 © Julia Marie Englert

Abb. 70 ›Sophienterrassen‹ © Petra Palusova

Abb. 1 Typologie ›Kontemporäre Luxuswohnprojekte in Deutschland‹ Eigene Darstellung

Abb. 70-81 Collage Ausschnitte der medialen Berichterstattung über die ›Sophienterrassen‹ http://www.mopo.de/hamburg/hamburgs-wohnungsmarkt-ausser-kontrolle-38-euro-warmmiete---das-ist-unanstaendig---26753796 [10.07.2017].

Abb. 2 Ausschnitt aus der Projektbroschüre für ›Living Levels‹ C & H CITY & HOME GMBH 2014: 12. Abb. 3 Grafik: Vorgehensweise & Materialsammlung

http://www.handelsblatt.com/finanzen/immobilien/sophienterrassen-hamburg-bekommt-noch-mehr-luxusvillen/3093846.html [10.07.2017].

Abb. 4-25 Collage ›Werbematerial‹ City Living: http://www.cityliving-hamburg.de/objekt.html [20.07.2017]. Endlich Eppendorf: http://www.endlicheppendorf.de/ [20.07.2017]. Sophienterrassen: http://www.sophienterrassen.de/ [17.07.2017]. Villa Karlstraße: http://www.karlstrasse8.de/home.html [20.07.2017].

http://www.livingathome.de/wohnen-selbermachen/wohnideen/4961-rtkl-sophienterrassen-wohnen-wie-lagerfeld [10.07.2017].

Abb. 26-44 Collage ›Werbematerial‹ Henninger Turm: http://www.henninger-turm.com [17.07.2017].

https://www.nytimes.com/2014/01/10/greathomesanddestinations/A-Touch-of-Lagerfeld-in-His-Native-City.html [10.07.2017].

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http://www.bild.de/regional/hamburg/luxus/hamburgs-teuerste-wohnung-30696030.bild.html [10.07.2017].

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http://www.abendblatt.de/hamburg/article107490370/Sophienterrassen-Hamburgs-neues-Luxus-Quartier.html [10.07.2017]. http://www.abendblatt.de/hamburg/article208435379/Wohnen-wo-frueher-die-Hamburger-gemustert-wurden.html [10.07.2017]. https://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article120973815/ Zoff-im-neuen-Edelviertel.html [10.07.2017]. http://www.dasinvestment.com/deutschlands-teuerste-wohnstrassen-liegen-in-hamburg/ [10.07.2017]. http://www.sueddeutsche.de/kultur/wohnen-in-hamburg-vom-betongold-der-nazis-1.1798442 [10.07.2017]. https://www.shz.de/regionales/hamburg/luxus-im-hamburger-nazi-bauid4595821.html [10.07.2017]. Abb. 82 ›The Seven‹ © Petra Palusova Abb. 83-89 Collage ›Ausschnitte der medialen Berichterstattung über The Seven‹ https://www.tz.de/muenchen/stadt/buergermeister-schmid-csu-kommt-eine-neue-hochhaus-diskussion-8435550.html [10.07.2017]. https://www.tz.de/muenchen/stadt/ludwigsvorstadt-isarvorstadt-ort43328/the-seven-eine-luxus-wohnungen-3657637.html [10.07.2017]. http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.the-seven-muenchens-teuerster-kindergarten.a7d728e5-1c56-4d2e-af4b-bd0c0b16eafa. html [10.07.2017]. http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.wohn-wahnsinn-theseven-atrium-8000-euro-pro-quadratmeter.9f311684-378c-4f0c-ac90986c8ba70a8a.html [10.07.2017].

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http://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Das-neue-Streben-nachLuxus-id16608226.html [10.07.2017]. https://www.welt.de/finanzen/immobilien/article13585272/The-Seven-Muenchens-Luxusdomizile-im-Heizwerk.html [10.07.2017]. http://www.sueddeutsche.de/muenchen/2.220/luxus-wohnturm-the-seven-ganz-oben-1.1055447 [10.07.2017]. https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/04/11/immo-hype-muenchen-baut-teuerste-kita-deutschlands/ [10.07.2017]. http://www.bild.de/regional/muenchen/muenchen/hier-waechst-muenchens-teuerstes-wohnhaus-24787320.bild.html [10.07.2017]. Abb. 90 ›Living Levels‹ © Petra Palusova Abb. 91-96 Collage ›Ausschnitte der medialen Berichterstattung über das Living Levels‹ https://www.welt.de/finanzen/immobilien/article156596950/Russen-undAraber-sind-jetzt-heiss-auf-deutsche-Wohnungen.html [10.07.2017]. https://www.welt.de/print/wams/finanzen/article134144822/Der-ultimative-Luxus.html [10.07.2017]. http://www.bz-berlin.de/berlin/friedrichshain-kreuzberg/erster-blick-in-berlins-umstrittenste-wohnung [10.07.2017]. http://www.tagesspiegel.de/berlin/baugenehmigung-an-der-east-side-gallery-kompromiss-mit-luecke/9520478.html [10.07.2017]. http://www.tagesspiegel.de/berlin/ein-wohnturm-fuer-die-mediaspree/7494490.html [10.07.2017]. http://www.tagesspiegel.de/berlin/friedrichshain-east-side-gallery-alle-reden-einer-baut/8759130.html [10.07.2017].

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Abb. 110-115 Collage ›Ausschnitte der medialen Berichterstattung über das Strandhaus‹

Abb. 97 ›Henninger Turm‹ © Petra Palusova

http://www.immobilien-zeitung.de/141724/wohnturm-wird-kommen [10.07.2017].

Abb. 98-108 Collage ›Ausschnitte der medialen Berichterstattung über den Henninger Turm‹ http://www.fr.de/frankfurt/henninger-gelaende-ein-viertel-fuer-alle-a-698312 [10.07.2017].

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II Highrise Das Hochhaus Definitionsansätze und Bedeutungsgeschichte Symbolcharakter von Hochhäusern

II Highrise

Wolkenkratzer als Identitätsträger Exkurs: Bürotürme als Symbolträger von Globalisierungsprozessen Hochhausbau der 60er und 70er Jahre Städtebauliche Leitbilder nach dem zweiten Weltkrieg Wohntürme der 70er Transformation: Von Bürotürmen zu Lebensräumen Exkurs: Die ›plus‹-Strategie [Luxus-]wohnen in Hochhäusern A dual stereotype of living in high rises

II Highrise

Von Großwohnsiedlungen zu luxuriösen Wohntümen


Diese Arbeit ist im Rahmen des Masterstudiengangs ›Urban Design‹ im UDP II an der HafenCity Universität Hamburg entstanden. Sommersemester 2017 Heidrun Book Julia Marie Englert Petra Palusova Eva Christine Schmitz Lisa Steinke

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Das Hochhaus Definitionsansätze und Bedeutungsgeschichte II Highrise Das Hochhaus Definitionsansätze und Bedeutungsgeschichte Symbolcharakter von Hochhäusern Wolkenkratzer als Identitätsträger Exkurs: Bürotürme als Symbolträger von Globalisierungsprozessen Hochhausbau der 60er und 70er Jahre Städtebauliche Leitbilder nach dem zweiten Weltkrieg Wohntürme der 70er Transformation: Von Bürotürmen zu Lebensräumen Exkurs: Die ›plus‹-Strategie [Luxus-]wohnen in Hochhäusern A dual stereotype of living in high rises Von Großwohnsiedlungen zu luxuriösen Wohntümen

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Die Geschichte des neuzeitlichen Hochhauses ist untrennbar mit der Erfindung des Fahrstuhls 1852 in den USA sowie der des Stahlskelettbaus [1885 in Europa] verbunden. Diese beiden technologischen Entwicklungen machten es um die Jahrhundertwende möglich, weiter in die Höhe zu bauen als jemals zuvor. Während die stadtplanerischen Überlegungen in Europa hinsichtlich des Hochhausbaus noch exemplarisch blieben, entwickelte sich in den USA im Rahmen eines architektonischen Leitbilds, das Skylines als Ausdruck wirtschaftlichen Fortschritts und kapitalistischer Macht unterstützte, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein regelrechter Bauboom. Entscheidende Faktoren waren in den amerikanischen Großstädten wie New York City und Chicago nicht nur die Symbolkraft der Hochhäuser, sondern ebenso die Konzentration von Arbeit und Kapital in den Städten, eine zunehmende Urbanisierung und damit einhergehende Bodenknappheit, die zu extrem hohen Bodenpreisen führte. In diesem Sinne waren Wolkenkratzer nicht nur symbolisch, sondern auch tatsächlich Ausdruck kapitalistischer Kraft: Denn wer ein Hochhaus baute, verfügte über das Kapital, zunächst den Baugrund zu erwerben und zudem die Baukosten zu decken. In Deutschland war um die Jahrhundertwende eine gegenteilige Entwicklung zu beobachten: Während auch hier die Industrialisierung zu starken Urbanisierungsströmen führte, wurde das Hochhaus als nicht adäquate Lösung der Wohnraumknappheit, sondern städtische Verdichtung vielmehr als Quelle allen Übels [wie z. B. Hygieneproblemen und fehlender Ästhetik] angesehen. Stadtplaner vertraten die Trennung von Arbeit und Wohnen und damit einhergehende Auslagerung der Wohnbereiche in Randzonen der Städte. Auch die an die Wolkenkratzer gehaftete Symbolik amerikanischer, wirtschaftlicher Macht wird von den wilhelministischen Städtebauern abgelehnt und dafür plädiert, wenn dann eine ›Kultivierung des Hochhauses‹ bzw. Dessen ›Germanisierung‹ zu verfolgen. [vgl. ebd.: 12] Baurechtliche Bestimmungen unterbanden zudem z. B. in Berlin den Bau von Häusern mit einer Höhe von über 22 Metern; in Hamburg durfte mit bis zu acht Geschossen gebaut werden. [vgl. ebd.: 7-15]

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»Ich habe keine grundsätzlichen Bedenken, dass in Ortschaften, in denen sich ein entsprechendes Bedürfnis geltend macht, die Errichtung vielgeschossiger Häuser [Hochhäuser] für Geschäfts- und Verwaltungszwecke zugelassen wird.« [Adam Stegerwald zitiert in Stommer / Mayer-Gürr 1990: 25]

Abb. 1 [rechts] ›Hochhauskulisse, Dubai‹

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Einen Wendepunkt stellte hier die Genehmigung des Baus einzelner Hochhäuser durch den preußischen Wohlfahrtsminister im Jahr 1921 dar. In der Folge war auch hierzulande ein Bauboom zu verzeichnen, der jedoch noch immer nicht vergleichbar mit dem in den USA war und sein Ende mit Beginn der Weltwirtschaftskrise 1930 fand. Dabei sollten im Kontrast zu amerikanischen, eng beieinander stehenden Wolkenkratzern in Deutschland Türme von bis zu acht Geschossen als einzelne Dominanten das Stadtbild bereichern. Der Bau von Hochhäusern galt nicht nur der Wohnraumbeschaffung, sondern zudem als Konjunkturmaßname, indem Arbeitsplätze auf den Baustellen geschaffen wurden. Nach der Niederlage im ersten Weltkrieg kam den Hochhäusern dabei laut Rainer Stommer / Dieter Mayer-Gürr eine besondere Bedeutung zu: »Sie waren nicht Ausfluß eines dringenden Bedürfnisses, sondern entsprangen dem Wunsch nach Repräsentation und der Manifestation der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.« [ebd.: 27f]. In der Formsprache waren diese dabei im Gegensatz zu den Prachtbauten im Stil der Neogotik oder Art-Déco, wie sie in New York und Chicago entstanden, eher monoton und anonym. [vgl. ebd.: 30] Mit der politischen Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933, die das Hochhaus als Übel der ›Weimarer Republik‹ diskreditierten, kam der Hochhausbau ebenso wie innerstädtische Verdichtung erneut zum Erliegen. [vgl. ebd.: 33f.] Nach Ende des zweiten Weltkrieges fand zwar in Europa ein Umdenken statt, im Zuge dessen auch hier erste Wolkenkratzer entstanden [u. A. ›Pirelli-Turm‹ in Mailand, ›Thyssenhaus‹ in Düsseldorf], allerdings wurde in Deutschlandweiterhin niedrig gebaut – während sich »Der Typus des modernen Hochhauses mit einer durchschnittlichen Geschosszahl von etwa 50 bis 60 Geschossen [...] als Standard in fast der gesamten Welt durch[setzte]« [Lepik 2005: 15]. 5


In den USA indes entwickelte sich, beeinflusst durch die Postmoderne und Architekten wie Ludwig Mies van der Rohe, der sowohl das ›Seagram Building‹ als auch das ›Lever Building‹ in New York entwarf, ein neuer Baustil: Die ›Glasbox‹. [Stommer / Mayer-Gürr 1990: 34f] Architekt Rem Koolhaas attestierte in seiner Arbeit ›Delirious New York‹ [1978] dem Hochhaus und damit verbundener, urbaner Dichte eine zentrale Rolle in der Entwicklung architektonischer Leitbilder der Zukunft. Im Rahmen des in Deutschland in den 70er Jahren präsenten, stadtplanerischen Leitbildes ›Urbanität durch Dichte‹ werden vermehrt Großwohnsiedlungen sowie einzelne Wohntürme [u. A. ›Mundsburg-Wohnturm‹ in Hamburg, ›Colonia-Turm‹ in Köln, ›Ideal‹ in Berlin] geschaffen.

Siehe hier Buch I: Luxuswohnen: Der Markt »Something new under the sun« [Louis Sullivan 1896]

Während die USA den Wettkampf um den Titel des höchsten Wolkenkratzers der Welt seit der Jahrtausendwende vermehrt mit asiatischen Städten austragen, findet auch in Deutschland eine Renaissance des Hochhauses statt. Vermehrt werden seit der Jahrtausendwende in deutschen Großstädten Wohntürme errichtet [u. A. ›Living Levels‹ in Berlin, ›Marco Polo Turm‹ in Hamburg, ›Henninger Turm‹ in Frankfurt], die jedoch bisweilen eher dem Luxussegment zuzuordnen sind. Eine im wahrsten Sinne des Wortes steigende Tendenz ist jedoch eindeutig zu verzeichnen: Dutzende weitere Wohntürme befinden sich im Bau oder in Planung, allein Frankfurt am Main erwartet in den nächsten Jahren fast zwanzig neue Wohnhochhäuser. [vgl. Ochs 2017]

Abb. 2 [rechts] ›Burj Khalifa‹, Dubai‹ Abb. 3 [nachfolgende Seite] Zeitstrahl

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1860

1870

1880

1890

1900

1920

1910

Weltwirtschaftskrise

1. Weltkrieg

Deutschland

keine Verdichtung der Städte gewünscht ≠ Hochhausbau

Erfindung Stahlskelettbau

1930

1918: Genehmigung Hochhausbau

1940

1950

1960

NS: Ablehnung Hochhausbau

Wiederaufbau [niedrig] Umsiedlung in urbane Randzonen

Hochhäuser: 8-12 Geschosse, vereinzelt Wohntürme

sse

Wi

≠ Hochhausbau

fer ns

tra

ns

›Germanisierung‹ des Hochhauses: Türme [≠ Wolkenkratzer]

Wohn- & Bürotürme

vereinzelter Hochhausbau

Bauboom

a

rop

Eu A US

LM van der Rohe

Bauboom

kontinuierlicher Hochhausbau [Wohnen & Büro] Wolkenkratzer: 50-60 Geschosse

Wolkenkratzer [≠Höhenbeschränkungen]

USA

[Berlin] Living Levels

Postmoderne

Art Déco Neo-Gotik Beaux Arts

[NYC] Empire State Building

[NYC] Seagram, Lever Building

[NYC] Rockefeller Center

Erfindung Fahrstuhl

2017

Hochhäuser in [FFM] Planung Commerzbank [HH] Mundsburg

Bauboom

[NYC] Singer Building

2010

›Urbanität durch Dichte‹

[DÜS] Thyssenhaus

Hochhäuser: 6-7 Geschosse

[Chicago] Sears Tower, Willis Tower

[NYC] One World Trade Center

USA in stetigem Wettkampf um höchsten Wolkenkratzer der Welt Skyline als architektonisches Leitbild

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[...]

2. Weltkrieg

[Jena] Turmhaus

vereinzelter Hochhausbau

1970

Hochhaus gilt als Ausdruck ökonomischer Kraft Arbeit & Kapital konzentriert in Städten Urbanisierung hohe Bodenpreise 9


›Hochhaus‹ [Deutschland] 1931 »Ein Hochhaus ist allgemein ein Haus mit mehr als fünf Geschossen.« [Wasmuths Lexikon der Baukunst] ›Hochhaus‹ [Deutschland] 2017 »Baurechtlich gilt ein Gebäude dann als ›Hochhaus‹, wenn die Fußbodenebene des letzten Aufenthaltsraumes mindestens 22 Meter über der Geländeoberfläche liegt.« [Muster-Hochhaus-Richtlinie MHHR 2008]

Abb: 4 ›Turm zu Babel‹ 1595, Lucas van Valckenborch; MittelrheinMuseum, Koblenz

›Hochhaus‹ [International] 2017 International gibt es keine festgelegten Kriterien, die bestimmen, wann ein Haus ein Hochhaus ist. Meist wird dies durch nationale, baurechtliche Bestimmungen definiert. Eine Annäherung bietet der ›Council on Tall Buildings and Urban Habitat‹ [2017], der die Rangliste der höchsten Gebäude der Welt herausgibt. Diese basiert auf der strukturellen Höhe eines Gebäudes, also der Höhe des Gebäudes vom Boden bis zur Turmspitze, ohne Funkantennen. ›Ultrahochhaus‹ [International] ›Ultrahochhäuser‹ sind »Gebäude, deren Gesamthöhe mehr als 100 Meter beträgt und die zugleich über mehr als 40 Geschosse verfügen.« [Klassifizierung der Vereinten Nationen, Internationaler Hochhauskongress in Bethlehem, Pennsylvania/ USA, 1974]

Der Turm zu Babel ist bis heute ein Symbol für den Wunsch der Menschheit, alles zu überragen. [vgl. Stommer / Mayer-Gürr 1990: 12] 10

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Das Hochhaus

Symbolisierung nationaler Identität und der Funktion des Hochhauses als wirtschaftliche und politische Machtdemonstration fließend: Treibende Kräfte der ersten gebauten Hochhäuser waren insbesondere in New York visionäre, kompetitive Unternehmer. Medienmogule wie Joseph Pulitzer, aber auch Isaac Singer, Geschäftsführer des Singer-Nähmaschinen-Konzerns, rivalisierten im Vorhaben, das höchste Haus der Welt zu bauen [Domosh 1988: 331f.]. So kann man bereits hier die Motivation zum Bau dahingehend deuten, dass es neben Werbeeffekten und der dahinter liegenden Kapitalanlagen-Strategie darum ging, seinen eigenen Namen und den der Firma zu verewigen und die einhergehende Marktmacht zu monumentalisieren [vgl. ebd.: 333; King: 10f.].

Symbolcharakter von Hochhäusern »Das Wesentliche der erstrebten Stadtkrone war also nicht ihre konkrete Funktion, sondern die von ihr ausstrahlende Symbolkraft.« [Leuthoff 2011: 63] Hochgewachsene Gebäude dominieren das Stadtbild von Metropolen rund um den Globus. Ihre bauliche Präsenz und Historie ist darüber hinaus Bedeutungsträger und Reflexionsfläche für vielfältige Diskurse. Die Gebäude stehen nicht nur als materielle Punkte in der Stadt, sondern besitzen eine weitere Ebene: Sie sind markante Kommunikationsmittel und Lesezeichen der Zeitgeschichte. Wir gehen davon aus, dass mit und in der gebauten Form eines Gebäudes ein Verständnis der sozialen Welt eingeschrieben wird oder diese dazu genutzt wird, Wirklichkeiten zu konstruieren und Botschaften zu senden. In Bezug auf Hochhäuser unterscheidet der amerikanische Soziologe Anthony D. King [2004] insbesondere zwei Symbolgruppen. Zum einen sind Highrises [und waren von Beginn ihrer Baugeschichte an] Symbole für Macht – ob ökonomische, politische oder kulturelle. Zum anderen repräsentieren sie bestimmte Identitätsgruppen wie Nationen, Unternehmen aber auch Individuen oder Kollektive. [vgl. ebd.: 4f.] Ursprünge und Ausprägungen Schon den zur Jahrhundertwende in New York und Chicago erbauten Hochhäusern wurde etwas distinktiv ›Amerikanisches‹ zugesprochen und auch außerhalb des Kontinents wurden sie als charakteristisch für die amerikanische Zivilisation betrachtet. Vor allem in Bezug auf die USA ist der Übergang zwischen der 12

Siehe auch bei Heike Delitz [2005; 2009]; Thomas Gieryn [2002]; Paul Jones [2011]

Besonders gut zu beobachten ist dies auch am Beispiel einer neuen Art Unternehmen, die Ende des 19. Jahrhunderts auf der Bildfläche erschien: Versicherungen. Diese [so z. B. die ›Metropolitan Life Insurance Company‹] reihten sich nicht nur auf dem amerikanischen Markt zwischen traditionellen Konzernen und Banken ein, sondern nutzen den Hochhausbau, um sich auch physisch inmitten der traditionellen Wirtschaftselite zu platzieren. [vgl. Domosh 1988: 339] Derartige lokale Baudynamiken fanden nach King [2004: 6] Einzug in gesellschaftliche Diskurse und der den hohen Gebäuden zugeschriebene Symbolcharakter etablierte sich auf diese Weise in der amerikanischen Gesellschaft. Die Symbolkraft wirtschaftlicher Stärke des amerikanischen Hochhauses hat ihren Ursprung dabei nicht nur in dessen rein physischer Machtdemonstration, sondern ebenso in seiner Daseinsberechtigung. So waren Hochhäuser in den amerikanischen Großstädten der zwanziger Jahre damals aufgrund der Knappheit innerstädtischen Bodens gleichzeitig der Beweis dafür, dass genug Kapital vorhanden war, astronomisch hohe Bodenpreise zu bezahlen. Die gesellschaftliche Symbolik, so Marianne Rodenstein, ergab sich dementsprechend aus einem ökonomischen Gesetz. [vgl. Rodenstein 2002: 22f.]

Donald Trump und der Hochhaus-Bau: Auch Donald Trump gehörte in den neunziger Jahren zu den männlichen Unternehmern, die den Hochhausbau traditionell als strategisch-symbolischen Kräfte Beweis schätzten. So zitiert Tierney [1999] Donald Trump, der über seinen New Yorker Skyscraper sagt: »By putting the brand on the building, I can get more rent per square foot, solely and simply because of the Trump name.«. Neben der Branding-Strategie wird in der Literatur auch auf die Verwirklichung eines [männlichen] Egos und der Phallus-Symbolik verwiesen, so auch unter anderem in Bezug auf Donald Trump, der vier Versuche gemacht habe, das höchste Gebäude der Welt zu bauen [King: 14].

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Die enge Verknüpfung der Entstehungsgeschichte von Die enge Verknüpfung der Entstehungsgeschichte von Hochhäusern mit dem Aufstieg kapitalistischer Wirtschaftssysteme und die darin liegende Symbolik hat noch einen weiteren Grund: So wurden Wolkenkratzer um die Jahrhundertwende nicht nur als Büro- und Produktionsgebäude genutzt, sondern beherbergten zunehmend Warenhäuser. Diese waren Symbole für die moderne Großstadt und wurden gleichzeitig als »Kathedralen des Kommerz« [Leuthoff 2011: 57] verstanden. Nicht nur im ökonomischen, sondern auch im sozialen, gesellschafts-identitären Diskurs kamen den auf amerikanischem Boden gebauten Hochhäusern eine repräsentative Kraft zu: Sie verkörperten die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, den extrem prägnanten Fortschrittsgedanken der goldenen Zwanziger, wirtschaftlichen Aufstieg und Modernität. [vgl. ebd.: 10; Stommer 1990: 9-13] Die neu erbauten Hochhäuser standen somit für Kommerz und Kapitalismus [vgl. Leuthoff 2011: 26f.; Rodenstein 2002: 22] und wurden zu einem nationalen Symbol der Modernität und des Fortschritts. [vgl. King 2004: 11; Leuthoff 2011: 10] Bereits in Bezug auf die um die Jahrhundertwende entstehenden Hochhäuser schreibt Rainer Stommer: »Die ›Alte Welt‹ hatte einen Rivalen bekommen, der in einer Gruppe von Hochhäusern bisher ungeahnter Größe seine Kraft und Dynamik zum Ausdruck brachte. Die Skyline New Yorks, die jedem Neuankömmling und Besucher unvergessen blieb, wurde zum Synonym für das ›Land der unbegrenzten Möglichkeiten‹.« [Stommer 1990: 9] Wirtschaftliche Machtdemonstration durch Höhe Der Bau von Hochhäusern als Repräsentation von ökonomischer Kraft und Fortschritt wurde von anderen, wirtschaftlich aufstrebenden Ländern adaptiert und manifestiert das Wetteifern vor allem asiatischer Wirtschaftszentren mit der Weltmacht USA. Anthony D. King stellt heraus, inwiefern »the spectacular high rise building has become a metaphor of modernity, if not worldwide, at least in some postcolonial or ‚emerging‘ nation states.« [ebd.:17]. Analog zu ihrer aufstrebenden Stellung in der Weltwirtschaft wurde seit den dreißiger Jahren zunächst in Shanghai und ab dem späten 20. Jahrhundert auch in u. A. Kuala Lumpur, Seoul und Singapur hoch hinaus gebaut. Shanghai als ›globales, kapitalistisches 14

Zentrum‹ wurde in Chinas politischen Programmen Mitte der Neunziger als die Antwort auf die amerikanischen Metropolen Los Angeles und New York propagiert. Es galt und gilt, ausschließlich Amerikas Architektur zu kopieren und zu übertreffen [Japan und Europa baten nicht genug Reibungsfläche] und sich somit Symbole der Macht zu überschreiben. [vgl. King 2004: 17] Mit dem ›Chongquing Tower‹ [in Chongquing] gelang China Mitte der neunziger Jahre der größte Coup im Wettbewerb um die höchsten Häuser der Welt. Das 516 Meter hohe Bürohochhaus übertrumpfte nicht nur alle Gebäude der westlichen Welt, sondern stand wiederum auch symbolisch für die neue, erstarkte Rolle Chinas in der globalen Wirtschaft – die Architektur der Transformation von einem Entwicklungsland in eine Industrienation – eine Weltmacht [vgl. ibd.: 16; Hansen / Lang 1996]. King erklärt, dass die historische Architektursprache Chinas dabei eher horizontale Strukturen beinhaltet. Der neue vertikale Ehrgeiz entspricht der universalisierten Sprache, wirtschaftliche Macht zu demonstrieren und beinhaltet die Logik des »private, profit-driven system of capitalist land values, and classically represented by Manhattan or Hong Kong« [ebd.: 19]. Mit der neuen, nacheifernden Bauweise wurde somit auch ein Stück eigene, nationale Identität aufgegeben. Während die meisten europäischen Metropolen an einem traditionell eher niedrigen Stadtbild festhalten, zeigt sich der Wettbewerb zwischen London und Frankfurt um dem symbolischen Titel ›New York of Europe‹ sowohl im Kampf um Standorte für wichtige Institutionen wie der Europäischen Zentralbank, als auch um imposante Wolkenkratzer. [vgl. ebd.:14] Die Funktion von Wolkenkratzern als symbolische Machtdemonstration im politischen oder ökonomischen Sinne ist dabei besonders im Hinblick auf die Tatsache signifikant, dass ihr Bau häufig finanziell nicht lukrativ ist und selten mit schnellen Gewinnen einhergeht. Ganz im Gegenteil: Je höher gebaut wird, desto exponentieller steigen die Baukosten. [vgl. Lepik 2005: 23]

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Chicago

Berlin

Dubai

Düsseldorf

Mumbai

Frankfurt am Main

Hamburg Sao Paolo

»Das Wesentliche der erstrebten Stadtkrone war also nicht ihre konkrete Funktion, sondern die von ihr ausstrahlende Symbolkraft.« Abb: 5 - 15 [Leuthoff 2011: 63]

Köln

Skylines

München

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Das Hochhaus Wolkenkratzer als Identitätsträger Hochhäuser als Symbole kapitalistischer Vormachtstellung werden seit einigen Dekaden auch von Großkonzernen zu Zwecken der Machtdemonstration und Werbung genutzt. Immer mehr Wolkenkratzer tragen den Namen einer global agierenden Firma; hier vor allem die jeweiligen Hauptquartiere. Angefangen mit dem ›Chrysler Building‹ in New York über den ›Petronas Tower‹ in Kuala Lumpur, den ›Commerzbank Turm‹ in Frankfurt oder den ›Bank of China Tower‹ in Hong Kong transportieren die Wolkenkratzer eine architektonische Landmarke, die jeweilige Firmenidentität und deren mächtige Position in der globalen Marktwirtschaft. Als Touristenattraktion und Fotomotiv ist zudem automatische Werbung für das Unternehmen sowie dessen Wiedererkennungswert impliziert.

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In Bezug auf den Wettbewerb zwischen alten Großkonzernen wie z. B. Banken und Versicherungen und neuen Marktdominanten, hier vor allem High Tech Konzernen wie ›Samsung‹ oder ›Google‹, die weniger auf Wolkenkratzer als vielmehr auf hochmoderne Firmencampi setzen, wird die unterschiedliche physische Sichtbarkeit besonders deutlich. Dan Harvey, Vizepräsident der Eigentumsberatung bei einem der weltweit größten Immobilienberatungsunternehmen stellt hierzu fest: »Real estate is one of the few places where there’s a bricks and mortar connection with their corporate culture. [...] It’s a manifestation of corporate culture and disruption and a way to say to people, I’m here, deal with me, I’m not waiting for permission.« [zitiert in: Allen 2014].

Abb. 16 - 24 [von links nach rechts] ›Torre BBVA Bancomer, Mexico City‹ ›Chrysler Building, New York‹, ›Bank of America Tower, New York‹, ›ADNOC Headquarters, Abu Dhabi‹, ›Petronas Towers, Kuala Lumpur‹, ›Pertamina Energy Tower, Jakarta‹, ›Commerzbank, Frankfurt am Main‹, ›Lotte World Tower, Seoul‹, ›UniCredit Tower, Mailand‹

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Das Hochhaus Exkurs: Bürotürme als Symbolträger von Globalisierungsprozessen

Abb. 25 Bürohochhäuser in Dubais Geschäftsviertel

Doch nicht nur weltweit bekannte, von und nach Großkonzernen benannte Hochhäuser symbolisieren wirtschaftliche Globalisierungsprozesse. Die Architektin und Stadtsoziologin Monika Grubbauer stellt in einer Analyse digitaler Fotoarchive [›stock photography‹] fest, dass der gewöhnliche Büroturm eines der meist benutzten Symbole für ökonomische und kulturelle Globalisierungsprozesse ist. Indem die abgebildeten Gebäude meist aus ihrem lokalen Kontext gerissen werden [z. B. sind keine Menschen oder andere Anhaltspunkte, die auf den genauen Ort der Aufnahme schließen lassen könnten, zu sehen], vermittelten die Archivbilder nach der Analyse Grubbauer’s den Eindruck einer Standardisierung architektonischer Leitlinien und einer Homogenisierung des Stadtbildes von Metropolen. Das Abbild eines dekontextualisierten Büroturms repräsentiere damit kein individuelles Gebäude mehr, sondern konstruiere und bediene eine Kategorie. [vgl. Grubbauer 2010: 64ff.] Die Dekontextualisierung des Büroturms hat nicht nur dessen Stereotypisierung zur Folge, sondern impliziert gleichzeitig eine Symbolik: Grubbauer stellt fest, dass die Abbildungen von Bürotürmen in enger Verbindung mit den Attributen ›Zentralität‹ und ›Globalität‹ stehen. Sie leitet daraus den absichtlichen Transport einer Assoziation dieser mit ›global cities‹ sowie mit internationalisierter, ökonomischer Aktivität ab. [vgl. ebd.: 75ff.] Bürotürme sind in diesem Sinne zum Symbol für wirtschaftlich erfolgreiche, vernetzte Megastädte geworden. Die Konstruktion eben dieser Symbolik sowie die Verbreitung der Bilder, vor allem in den Kontexten Kapitalismus, Wirtschaft und Globalisierung, verweist wiederum auf die zuvor bereits angeführte Produktion und Kommunikation von Bildregimen im Sinne Jacques Ranciéres. 20

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Hochhausbau der 60er und 70er Jahre Städtebauliche Leitbilder nach dem zweiten Weltkrieg II Highrise Das Hochhaus Definitionsansätze und Bedeutungsgeschichte Symbolcharakter von Hochhäusern Wolkenkratzer als Identitätsträger Exkurs: Bürotürme als Symbolträger von Globalisierungsprozessen Hochhausbau der 60er und 70er Jahre Städtebauliche Leitbilder nach dem zweiten Weltkrieg Wohntürme der 70er Transformation: Von Bürotürmen zu Lebensräumen Exkurs: Die ›plus‹-Strategie [Luxus-]wohnen in Hochhäusern A dual stereotype of living in high rises Von Großwohnsiedlungen zu luxuriösen Wohntümen

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Nach dem zweiten Weltkrieg liegt der städtebauliche Fokus auf dem Wiederaufbau der Städte und der schnellen Schaffung von Wohnraum. Dominiert wird der Wiederaufbau vom städtebaulichen Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt, wobei vor allem im innerstädtischen Bereich eine Trennung von Arbeit, Erholung und Wohnen verfolgt wird. Prinzipiell wird niedriggeschossig gebaut; der Bau von Hochhäusern bedarf noch immer Ausnahmegenehmigungen. Begründet wird dies mit der Sorge vor dem Anstieg des Bodenwertes sowie dem Streben danach, traditionell niedrige Stadtsilhouetten zu bewahren und nicht in das historische Stadtbild einzugreifen. Hochhäuser werden somit nur vereinzelt gebaut und erreichen zudem keine Höhen, die vergleichbar mit den häufig über 50 geschossigen Wolkenkratzern in amerikanischen Städten sind. Von Hochhäusern spricht man hierzulande bereits bei acht bis zwölf Stockwerken; lange galt eine Traufhöhe von 22 Metern in deutschen Städten. [vgl. BBSR 2011; Rodenstein 2002: 25-28; Lepik 2005: 15] Urbanität durch Dichte Geprägt vom Wirtschaftswunder und einem damit einhergehenden, fortschrittlichen und zunehmend optimistischen Denken erfährt der Städtebau in Deutschland einen Paradigmenwechsel. Das Wiederaufbaudenken wird dabei von einem Wachstumsdenken abgelöst. Eine Rückbesinnung von reinem Bauen auf soziale Funktionen und urbane Strukturen findet statt. Die Rede des Ökonoms Edgar Salin auf dem Augsburger Städtetag 1960 – ein Plädoyer für die kompakte, verdichtete Stadt – gilt im Nachhinein als Katalysator des Urbanitätsdiskurses. Das Dogma ›Urbanität durch Dichte‹ entspringt dem Ziel, aktives, urbanes Leben anzuregen und einen Rahmen für soziale Kontakte und Interaktion im urbanen Raum zu schaffen, anstatt diese zu entzerren. Erreicht werden soll dies durch bauliche Dichte sowie durch Multifunktionalität und Nutzungspluralität innerstädtischer Bereiche. Signifikant für den Paradigmenwechsel war zudem der wachsende Einfluss von Sozialwissenschaftler_innen auf den zuvor von den Disziplinen Architektur und Städtebau dominierten, städ23


tebaulichen Diskurs. ›Urbanität durch Dichte‹ wird zum Leitbild, das den deutschen Städtebau der kommenden zwei Dekaden prägt und in Verbindung mit dem starken demografischen und wirtschaftlichen Wachstumsdenken der damaligen Zeit einen Bauboom auslöst. Die Massenproduktion von Wohnraum entlud sich dabei in zwei parallelen Strömungen. Um mehr Wohnraum zu schaffen und die innerstädtischen Bereiche zu verdichten, wurden Hochhäuser und Großwohnsiedlungen wie z. B. das ›Neue Kreuzberger Zentrum‹ in Berlin gebaut. Der noch immer vorherrschende Ansatz, nicht in amerikanische Höhen gehen zu wollen, brachte die Großstädte in die Bredouille, trotz Verdichtung noch immer nicht über genug Wohnraum zu verfügen. So wurden in den Peripherien der Städte gleichzeitig Großsiedlungen hochgezogen, so genannte ›Entlastungsstädte‹. Im Sinne von Le Corbusiers ›Ville Radieuse‹ und Frank Lloyd Wrights ›Broadacre City‹ wurde hier die räumliche Trennung von Arbeiten und Wohnen beibehalten, also entgegen des Prinzips ›Urbanität durch Dichte‹ agiert, und eigene Freizeit- und Versorgungsanlagen errichtet. Die bekanntesten Beispiele für derartige periphere Großwohnsiedlungen sind das ›Märkische Viertel‹ und die ›Gropiusstadt‹ in Berlin sowie Köln Chorweiler, Hamburg Steilshoop und Bremen Vahr. [vgl. BBSR 2011; Köhler 1996: 233ff.]

aufkauften, hoch bebauten und damit die Prämisse der ›Punkthochhäuser‹ umgingen. [vgl. Rodenstein 2002: 20-29] Im Laufe der Zeit wird das städtebauliche Leitbild Frankfurts immer wieder angepasst und die Stadt erntet den Spitznamen ›Mainhattan‹. Laut Stadtplanungsamt Frankfurt [2017] werden Hochhäuser und Höhenversprünge im dortigen Stadtbild als identitätsstiftend angesehen. Die Hochhausplanung wird bis heute stetig fortgeschrieben und Hochhausachsen werden weitergeführt. Die Ausbildung der Skyline wird aktiv verfolgt, wobei Türme mindestens 60 Meter hoch sein müssen, um eine Fernwirksamkeit zu erzielen. [vgl. ebd.]

Abb. 26 Blick auf Frankfurt am Main und dessen Skyline.

Sonderfall Frankfurt am Main Ausnahme ist hier Frankfurt am Main, das nach dem zweiten Weltkrieg eine von anderen deutschen Städten abweichende Politik bezüglich des Hochhausbaus einführte. Diese begründet sich vor allem in der Bekennung der Stadt zum Handels- und Finanzzentrum [nachdem klar war, dass Bonn die neue Bundeshauptstadt sein wird] und den damit einhergehenden Bemühungen um ein wirtschaftsfreundliches Klima. Dieser Programmatik folgend entwickelte sich in den eingereichten architektonischen Vorschlägen eine Tendenz zum Bau höherer Gebäude [acht bis zwölf Stockwerke] als in anderen deutschen Städten. Das Amt für Städtebau und Stadtplanung lockerte die Richtlinien für den Hochhausbau und die Zonierung; der Bau von ›Punkthäusern‹ im Stadtgebiet wurde zugelassen. Der auch diese großzügigen Richtlinien immer weiter überschreitende, intensiv betriebene Hochhausbau ist den Interessen einiger Investoren geschuldet, die z. B. mehrere Grundstücke nebeneinander 24

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Hochhausbau der 60er und 70er Jahre

Architectural and technical characteristics

Wohntürme der 70er

Due to economic expansion, the 70s were a time period of extensive building. In order to reach a level of higher productivity and lower costs, the construction process was industrialised, specifically by the development of prefabricated, standardized construction elements. The generative architecture known as typical for the 70s is thus characterized by particular panel construction systems which led to strict limitations in the construction raster and no flexibility in spatial disposition. While there was no insulation at the beginning, insulation systems were developed later on, which exemplifies the experimental character of many buildings from the 70s. Such are also known for poor sound proofing and poor window insulation. As most of them have central heating, there are no energy regulation properties. The apartments are mostly divided into rather small rooms, the large window casements tend to be leaky and warped. Advantages of the typical 70s construction practice are efficiency, a fast construction process, lower costs, better thermoregulation. However, the buildings are known for their rough design and their massive and uniform look, which is regarded negatively by many. A problem is their tendency to have construction defects and their high degree of structural decay. [vgl. Baunetzwissen 2017]

In der Gropiusstadt, die von Walter Gropius selbst als lediglich viergeschossig entworfen wurde, wurde nach der Errichtung der innerdeutschen Grenze und einer vom Senat dringlich verordneten Nachverdichtung das mit 31 Stockwerken bis dato höchste Wohnhochhaus [West-] Deutschlands errichtet. Abgelöst wurde das 90 Meter hohe ›Ideal‹ in der Gropiusstadt mit seinen bereits im Jahre 1972 vom ›Colonia-Haus‹ in Köln, das mit seinen 45 Etagen auf 171 Metern lange Zeit den Titel innehatte. Und auch der 1973 errichtete Wohnturm der ›Mundsburg‹ in Hamburg reiht sich mit 101 Metern Höhe und 29 Wohnetagen in die Anfang der 70er Jahre hochgezogenen Wohntürme ein. Konträr zum städtebaulichen Leitbild der ›Urbanität durch Dichte‹ lässt sich dabei von einem ersten Hoch des Bauens von Wohnhochhäusern in Deutschland sprechen. [vgl. Jones Lang Lasalle 2017: 5-7]

The main interests throughout a renovation process would thus be an improvement of the outer look as well as the modernisation of the insulation [generally thermoregulation], the roof, the elevators and the fire escape system – all according to the new technical norms.

Abb. 27 [links] ›Hoyerswerda in Sachsen ehemalige DDR, 1960‹ Abb 28 [rechts] ›Rostock, Lütten Klein, fotografiert von Hubert Link, 1969‹ 26

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Hochhausbau der 60er und 70er Jahre Transformation: Von Bürotürmen zu Lebensräumen In der Geschichte von Wohn-Hochhäusern lassen sich im Laufe der Zeit zwei Funktionalitätsverschiebungen erkennen. Zum einen wurde das Hochhaus im europäischen Raum erst nach der Zeit des zweiten Weltkrieges auch eine typische Wohnform. Zuvor dienten Häuser dieser Bauweise allein als Büro- oder Geschäftshäuser, wie beispielsweise das zehngeschossige, als Kontor geplante ›Chile-Haus‹ in Hamburg, welches 1924 fertig gestellt wurde zeigt. [vgl. Schubert 2000: 232f.] Insbesondere in New York und Chicago wurden dagegen schon zur gleichen Zeit Wohnungen in Hochhäusern realisiert. Die Wohnungen lagen in den oberen Stockwerken zentraler Geschäftshäuser und wurden den Bedürfnissen der oberen Mittelschicht entsprechend gestaltet [vgl. Li Yi 2011: 26]. Die im Abschnitt über die städtebaulichen Leitbilder festgehaltenen Ideen von Stadt können generell als eine »Voraussetzung für das Verständnis der Verbreitung bzw. Verhinderung des Wohnhochhauses, als die Wahl der Wohnform« [Herlyn 1970: 90] verstanden werden. Mit Ende der Baustagnation in Deutschland der Nachkriegszeit und im Zuge des ›Urbanität durch Dichte‹-Leitbilds erfuhr der reine Bau von Wohnhochhäusern einen Aufschwung. In Deutschland ist der Anteil an Wohnhochhäusern in den Städten entsprechend des späten Bautrends relativ gering. In den Sechziger Jahren wohnten nur ein bis 2,5 Prozent der deutschen Stadtbevölkerung in einem Hochhaus, bzw. ›hohen Haus‹ mit mehr als acht Geschossen. [vgl. Herlyn 1970: 99 mit Bezug auf eine Studie von Wolfgang Trebuth für die ›Neue Heimat‹]. In West-Berlin entstanden in dieser Zeit aus Prestigegründen eher innerstädtisch Bürohochhäuser, »für die keineswegs immer eine reale Nachfrage bestand«. [Bodenschatz 2000: 124]. An der Peripherie »wurden im Zuge des Baus von Großsiedlungen zahlreiche Wohnhochhäuser […] errichtet.« [ebd.] 28

»Living in high-rises required a special type of behavior, one that was acquiescent, restrained, perhaps even slightly mad.« [Ballard 1975]

Ein neueres Phänomen liegt in der zweiten Funktionalitätsverschiebung. Die hohe Nachfrage nach zentralem Wohnraum in Städten führt dazu, dass Bürohochhäuser zu Wohnhochhäusern umfunktioniert werden. In Nordamerika zeigt sich diese Tendenz seit der Jahrtausendwende bei einer Vielzahl von Bürotürmen, die in erster Linie vor dem zweiten Weltkrieg erbaut wurden. [vgl. Li Yi 2012: 49] ›Redevelopment‹ ist das Stichwort, wenn es darum geht, die unrentablen, nicht-funktionalen Büro-Häuser in Wohnraum umzuwandeln. Durch Frankfurt zieht sich der Leerstand von Büro-Immobilien wie ein rotes Band. Seit einigen Jahren wird diese Typologie strategisch, mit Unterstützung der städtischen Bauaufsicht, durch Umnutzungs-Projekte aufgelöst. Kerngebiet ist die ehemalige ›Bürostadt Niederrad‹ im Süden Frankfurts, wo 2012 geschätzt 300.000 qm Gewerbe- und Büroflächen frei standen. [vgl. Günther 2012] Heute – fünf Jahre später - gehört die monofunktionale Bürostadt der Vergangenheit an. [vgl. FNP 2017] Im Zuge der Teilkonversion der Geschäftsstadt in ein gemischt genutztes Gebiet entsteht das neue Quartier ›Lyoner Viertel‹. Zu einem der ersten Projekte zählt das Projekt ›Lyoner 19‹ in Frankfurt am Main. Das ehemalige Bürogebäude wurde um drei Etagen aufgestockt, aufwendig saniert und zu hochpreisigem Wohnraum umgewidmet. [vgl. Santifaller 2010]

Die Revitalisierung des ehemaligen Bürohochhauses in der Lyoner Straße 19 [Frankfurt Niederrad] zum Wohnhochhaus ›Lyoner 19‹ wurde durch den Projektentwickler Günter Hägele unter der Planung von ›Stefan Forster Architekten‹ und mit dem Bauherrn ›Dreyer Vierte Verwaltungsgesellschaft mbH‹ realisiert. Am rentabelsten zeigte sich für Hägele das ›Szenario Wohnen‹ gegenüber ›Büroraum‹ oder ›Abriss‹. Geschaffen wurden 98 Wohnungen für die Zielgruppe ›gutverdienende Singles‹. Durch die AufAufstockung des Gebäudes von 14 auf 17 Geschosse und die Bearbeitung der Fassaden wirkt die Silhouette nun schlank und modern. Die Kosten für das Projekt sollen sich auf rund 15 Millionen Euro belaufen. [vgl. Santifaller 2010 ] Abb. 29 ›Lyoner 19‹ ursprünglich

Abb. 30 ›Lyoner 19‹ nach der Umgestaltung

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Hochhausbau der 60er und 70er Jahre

»Transformation rather than demolition«

Exkurs: Die ›plus‹-Strategie Im Rahmen ihrer Studie ›plus‹ [2004] stellen die Archtekt_innen Frédéric Druot, Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal die Frage nach dem Umgang mit Gebäuden der Nachkriegsmoderne. Basierend auf Rem Koolhaas’ Ansatz des ›Suspending Judgement‹, nehmen sie sich explizit 60er und 70er Jahre Bauten in den Pariser ›banlieues‹ an. Dabei spricht sich das Trio deutlich für einen sensitiven Umgang mit der vorhandenen Architektur und Bausubstanz in den ›banlieues‹ aus und gegen die in den 90er Jahren in Frankreich herrschende Praxis des Abrisses und Neuaufbaus von Großwohnsiedlungen der 60er und 70er Jahre. Druot, Lacaton & Vassal stellen die These auf, dass man mit den finanziellen Mitteln, mit denen man eine Wohneinheit abreißen und neubauen würde, drei bis vier bestehende Wohneinheiten erweitern und modernisieren könnte. [vgl. Druot, Lacaton & Vassal 2007: 14ff.] Unter der Prämisse, alte Strukturen für relativ wenig Geld zu renovieren, die Lebensqualität der Bewohnenden zu erhöhen und die Apartments an modernste Wohnstandards anzupassen, studierten die drei französischen Architekt_innen anhand von bereits durchgeführten und geplanten Projekten [u. A. ›Latapie in Floirac‹, Bordeaux; ›Cité Manifeste‹, Mulhouse, ›Malakoff‹, Nantes; ›Cauciauville‹, Le Havre] die Möglichkeiten der baulichen, typologischen und programmatischen Aufwertung modernistischer Baustrukturen. Gebäude sehen sie dabei nicht als statische Strukturen, sondern vielmehr als Objekte in einem veränderbaren, aufwertbaren und wiederverwertbaren Zustand an.

Mit ›Suspending Judgement‹ meint Koolhaas die Aufschiebung einer Beurteilung. Gedacht als moralische, ethische Herangehensweise platziert er Architekt_innen inmitten der sie umgebenden Realität und fordert sie heraus, an dieser mitzuarbeiten, anstatt sie zu ignorieren.

Großwohnsiedlungen in den Peripherien französischer Großstädte, die seit den 80er Jahren aufgrund hoher Arbeitslosigkeit und Kriminalitätsraten sowie des hohen Bevölkerungsanteils mit Migrationshintergrund als soziale Brennpunkte gelten. »The relationship of Druot, Lacaton & Vassal to the context is never formal, but always performative: the role of the new intervention does not lie in simulating what already exists, but in reanimating it and exploiting its latent potential.« [Druot, Lacaton & Vassal 2007: 23] Abb. 31 [rechts] Typologie einer Apartment-Erweiterung und Umstrukturierung

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Grundlegende Charakteristika eines Umbaus im Sinne der ›plus‹-Strategie sind Transparenz, Öffnung der Räume und Sichtachsen und die Simplifizierung des Alltagslebens der Bewohnenden. Auch der Gemeinschaftssinn innerhalb des Hauses soll durch bauliche Maßnahmen angestoßen und gestärkt werden. Die Typologien der vorhandenen Apartments werden dabei verändert und, ebenso wie gemeinsam genutzte Flächen, den spezifischen Bedürfnissen der Bewohnenden angepasst. Durch kleinstmögliche Eingriffe versuchen Druot, Lacaton & Vassal dies umzusetzen. Der wesentliche Teil der baulichen Maßnahmen lässt sich dabei bereits am Namen ablesen: Ein größtmögliches ›plus‹ an Raum soll geschaffen werden. [vgl. ebd.: 15ff.] Die Vereinfachung der alltäglichen Praktiken und Bewegungsmuster soll dabei durch die Reorganisation von Aufzugssystemen und Treppenhäusern sowie die Umgestaltung von Eingangsbereichen erreicht werden [indem z.B. eine Treppe in eine Rampe umgewandelt wird oder der Aufzug nicht mehr auf Zwischenebenen, sondern auf allen Etagen individuell landet]. Zudem werden gemeinschaftlich genutzte Innen- und Außenbereiche restruk31


»A new habitat that is attentive, simple and generous« [Druot, Lacaton & Vassal 2007: 243]

turiert sowie Gemeinschaftsräume und neue Serviceeinrichtungen [wie z. B. Pförtnerservice] geschaffen. Die Aufenthaltsräume, gemeinsam genutzte Außenbereiche sowie die Offenheit der angebauten Loggien sollen es den Bewohnenden erleichtern, miteinander in Kontakt zu treten. Maßnahmen zur Raumöffnung, -erweiterung und Transparenz sind vorwiegend die Vergrößerung der Fenster, der Anbau von Außenflächen und die damit einhergehende Erweiterung des Wohnraumes in Form von Balkonen, Wintergärten und Loggien. Innerhalb der Apartments werden z. B. Bad und Schlafzimmer vereint, indem die dazwischenliegende Trennwand entfernt wird. Gleiches gilt für Küche und Wohnzimmer. Vereinzelt werden zudem Apartments zusammengelegt. Hier kommt sowohl ein horizontaler Zusammenschluss [siehe hier z. B. ›Le Havre – Cauciauville‹ in ebd.: 143f.], als auch ein vertikaler, Stockwerk-übergreifender Zusammenschluss [siehe hier z. B. ›Nantes – Malakoff‹ in ebd.: 161ff.] in Frage. Zusammenlegungen werden nur vorgenommen, wenn dabei keine Bewohnenden ihren Wohnraum verlieren. Generell steht für Druot, Lacaton & Vassal im Vordergrund, die Bewohnenden-Struktur eines Wohnhauses langfristig zu erhalten: Umzüge im Rahmen der Restrukturierung werden zwar vorgenommen, allerdings nur innerhalb des Hauses. [vgl. ebd.: 100-120] Im Planungsprozess kommt den Bewohnenden eine partizipative Rolle zu, denn »Wir entwickeln unsere Projekte immer von innen nach außen.« [Lacaton im Interview mit Kunsmann 2013]. Strategie ist es, den alltäglichen Wegen und Praktiken des Bewohnenden Schritt für Schritt zu folgen, sobald er_sie die Wohnung verlässt. Auf Basis dieser Erfahrungen wird eruiert, inwiefern durch bauliche Maßnahmen der Alltag der Bewohnenden erleichtert und verbessert werden kann. Druot, Lacaton & Vassal fanden so eine Analyseform, die es ermöglicht, anhand neuer Parameter

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zu denken, zu entwerfen und zu planen. Diese lenken den Blick auf Triviales wie Balustraden, Balkone, Flure, gemeinschaftlich genutzte Flächen, Parkplätze und Treppenhäuser, anstatt im Sinne architektonischer Trends zu denken. [vgl. ebd.: 79f.] Die Metamorfosis des ›Tour Bois Prêtre‹ 2011 nahm sich das Trio Druot, Lacaton & Vassal des eigentlich zum Abriss stehenden Wohnturms an und sanierte ihn nach ihrer ›plus‹-Strategie. Die alte, aus rosaroten Eternitplatten bestehende Fassade wurde durch eine Glasfassade ersetzt sowie umlaufende Wintergärten und Balkone, die in den Wohnraum eingebunden wurden, angefügt. Eine Wohnung von 44 qm gewann z. B. durch die Erweiterung 26 qm hinzu, insgesamt vergrößerte sich die Wohnfläche des ›Tour Bois Prêtre‹ von 8.900 qm auf 12.460 qm. Die neue Glasfassade ersetzt die alten PVC-Fenster durch bodentiefe, höchst lichtdurchlässige Öffnungen und stellt gleichzeitig die mobile Trennwand zwischen Apartment und Außenfläche dar. Durch minimale Veränderungen der Grundrisse wurde die Wohnfläche der Apartments erweitert und geöffnet. Dies geschah hauptsächlich durch die Entfernung von Trennwänden [z. B. zwischen Küche und Wohnzimmer] sowie in einigen Fällen durch die Zusammenlegung von zwei Wohneinheiten. Größtenteils behielten die Bewohnenden ihre ursprünglichen Wohnungen; lediglich in einigen Fällen fanden Umzüge in größere oder kleinere Apartments innerhalb des ›Tour Bois Prêtre‹ statt. Bezüglich gemeinsam genutzter Flächen wurde der Eingangsbereich renoviert und restrukturiert sowie die Außenflächen neu gestaltet. So wurde z. B. ein neuer Garten hinter dem Turm angelegt, der nur für die Bewohnenden zugänglich ist. Im Erdgeschoss wurden neue Gemeinschaftsräume und Serviceeinrichtungen

Der 1958 bis 1962 von Raymond Lopez gebaute Wohnturm im Pariser Norden zählt auf 50 Metern Höhe 16 Stockwerke mit jeweils vier oder acht Wohneinheiten. Die insgesamt 96 Apartments teilen sich in 32 Fünf-Zimmer-Wohnungen, 28 Drei-Zimmer-Wohnungen und 36 Zwei-Zimmer-Wohnungen auf. Als Sozialwohnkomplex befand sich der ehemals als elegantes Vorzeigeprojekt geltende Turm seit Anfang der Jahrtausendwende auf der Abrissliste. Mit ihrem Gegenentwurf positionierten sich Druot, Lacaton & Vassal in der Diskussion um den Umgang mit Bestandsbauten des sozialen Wohnungsbaus der 60er und 70er Jahre in Frankreich. [vgl. Kunsmann 2013]

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Moderne Utopie

Abb. 32 Umverteilung der Wohneinheiten im ›Tour Bois Prêtre‹

geschaffen. Mit dem Ziel, den Zugang zu Wohnungen zu erleichtern und das Sicherheitsgefühl der Bewohnenden zu stärken wurden zudem zwei neue Aufzüge gebaut und die Treppenhäuser restrukturiert. [vgl. Kunsmann 2013a; Lacaton & Vasall [o. J.]; Druot, Lacaton & Vassal 2007: 220ff.] Wesentlicher Bestandteil der Planung war laut Druot, Lacaton & Vassal die Kooperation mit den Bewohnenden des ›Tour Bois Prêtre‹. Im Vorfeld besuchte das Architektenteam alle Wohnparteien einzeln, um die Baumaßnahmen zu besprechen. Durch die Vorfabrikation der Loggienmodule konnten diese bis auf einen Tag während der gesamten Bauphase in ihren Wohnungen bleiben.

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Das von Druot, Lacaton & Vassal angewendete Verfahren ist unkompliziert und kostensparend. Die Gesamtkosten für die Neuorganisation der Flächen sowie die technischen Verbesserungen im ›Tour Bois Prêtre‹ beliefen sich auf 11.250.000 Euro netto. Die Aufwertung zog keine Mieterhöhungen nach sich und hatte zudem keine sonst üblichen Verdrängungsprozesse zur Folge: Alle Bewohnenden blieben im Haus. Vor allem durch den Anbau der Wintergärten sank zudem der Gesamtenergieverbrauch um mehr als 50 Prozent. [vgl. Frearson 2013] Die Restrukturierung des ›Tour Bois Prêtre‹ wurde zu einem Erfolgsmodell sozialverträglicher, kostengünstiger und höchst wirksamer Sanierung und wird in Fachkreisen sowohl kritisch beäugt als auch hoch gelobt. Das ›Deutsche Architekturmuseum‹ würdigte das Projekt mit einer Ausstellung: »Die Transformation des Tour Bois le Prêtre ist deswegen mehr als ein Architekturprojekt. Es ist ein Modell für Architekten, Planer, Denkmalschützer, Developer und Politiker für eine physische und soziale Rehabilitation des Massenwohnungsbaus der 60er und 70er Jahre in Frankreich und anderswo.« [Deutsches Architekturmuseum 2012].

Abb. 33 Typologien ›Tour Bois Prêtre‹

»Die Bewohner sind wie Bäume im Wald – welches Recht habe ich als Architekt, dies zu verändern und zu entscheiden, was gut und was schlecht ist?« [Lacaton im Gespräch mit Kunsmann 2013]

»I believe that the modern utopia begins today, in point of fact. It begins with the idea of recycling spaces, which allows of strategies of union, hybridisation and conversion; strategies that generate complexities one was unable to arrive by obliterating the pre-existing.« [Vassal in Druot, Lacaton & Vassal 2007: 75]

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[Luxus-]wohnen in Hochhäusern A dual stereotype of living in high rises II Highrise Das Hochhaus Definitionsansätze und Bedeutungsgeschichte Symbolcharakter von Hochhäusern Wolkenkratzer als Identitätsträger Exkurs: Bürotürme als Symbolträger von Globalisierungsprozessen Hochhausbau der 60er und 70er Jahre Städtebauliche Leitbilder nach dem zweiten Weltkrieg Wohntürme der 70er Transformation: Von Bürotürmen zu Lebensräumen Exkurs: Die ›plus‹-Strategie [Luxus-]wohnen in Hochhäusern A dual stereotype of living in high rises Von Großwohnsiedlungen zu luxuriösen Wohntümen

High-rise buildings started to get involved in the urban scene in the end of the nineteenth and the begin of the twentieth century. Throughout the decades, it has developed into an well-known urban phenomenon. Nevertheless, we recognize a dual understanding of high-rise architecture. While observing comparable spatial attributes, we can differentiate between two types of associations with high-rise buildings: the social mass housing type representing the low-end form of living and the prestigious building towers, or ›skyscrapers‹, serving as urban landmarks. One accommodates the ›outcast‹, the other the privileged, one exists on the periphery, the other in the very centre. How can a serially produced tower block generate such massive difference? About a hundred years ago, modernist architects and planners have set a goal to create equal dwelling conditions. The after-war period brought about a severe shortage of resources. The housing crisis and the need to accommodate as many people as possible created the need for a new housing concept. Mass-produced high-rise block apartments became a convenient way how to reflect on these conditions and at the same time provide a certain living standard – a relative comfort, central heating and running water. Seriality of the production and the spatial conditions have answered the egalitarian vision. However, throughout the decades of economic and social change, this vision of egalitarian society slowly vanished and society became [as is still becoming] more and more polarized. High-rise had to face a challenge – to resist or adapt to the changing situation. Depending on the geographical location, local class differentiation and city’s wealth, highrise typology with such extensive spatial imprint has therefore split into two stereotypes. Following the polarization of society, it resulted into a dual stereotype, which largely reflects the social and political configurations. Architecture that was based on the egalitarian theme and spatially reflects this philosophy, had to adapt to the emerged pattern of hierarchical stratification [Urban, 2012: 169-175]. The location, the quality of the construction and the functional assessment, that appear to be the

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key factors for assigning the high-rise building to one of the types, make them available to a specific social group. Despite the relative inflexibility of the spatial aspects assigned to both types, the differentiating factors enable the assignment of different social groups and lifestyles to each of them. Paradoxically, the concept originally planned to be representative of the equal space for living, found its way to portray exclusion. [ibid.] Urban planning after World War II has been significantly influenced by the ›Athens Charter‹ [from french Charte d’Athènes] – a document published by Le Corbusier in 1943. After he exhibited his ideas for the ideal city in the ›Contemporary City‹ [Ville Contemporaine] in 1920, he became a member of a syndicalist movement. [Foster, 1911: 1-4]. He adjusted his proposal according to the new impulses, which reflected in the ›Radiant City‹ [Ville Radieuse] in 1935. This concept has been used as a blueprint of social reform. [Curtis, 1986: 118]

Syndicalism is a proposed type of economic system, considered a replacement for capitalism. It suggests that workers, industries, and organisations be systematized into confederations or syndicates. It is a system of economic organization in which industries are owned and managed by the workers. Abb. 34 [rechts] ›Ville Radieuse‹

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[Luxus-]wohnen in Hochhäusern Von Großwohnsiedlungen zu luxuriösen Wohntümen Die anfängliche, euphorische Vision der Urheber der ›Charta von Athen‹ [u. a. Le Corbusier, Walter Gropius] hinsichtlich einer dringend notwendigen Demokratisierung der Lebensumstände in den zunehmend explodierenden Großstädten – insbesondere für die ärmeren Arbeiterschichten der städtischen Bevölkerung – wich in den 60er und 70er Jahren einer breiten Welle der Ernüchterung. Diese wurde vor allem im öffentlichen Diskurs durch die teilweise stark überzeichnete Negativdarstellung von sogenannten ›Problemsiedlungen‹ oder ›Ghettos‹ durch die Medien, aber auch durch städtische Politiker auf Führungsebene, massiv befeuert. [vgl. Graham 2015: 621-625] Quer durch die Großstädte westlicher Industriestaaten wurden soziale Großwohnsiedlungen zunehmend wie große Schandflecken der sonst schillernden Wirtschafts- und Finanzzentren wie London, New York oder Toronto stigmatisiert. Wie der britische Stadtforscher und –theoretiker Steven Graham mit Nachdruck kritisiert, wurden problembehaftete Beispiele wie der medial ausgeschlachtete, bauliche wie soziale Verfall der Großwohnsiedlung ›Pruitt-Igoe‹ im krisengeschüttelten US-amerikanischen St. Louis der 70er Jahre zum ›Pars pro toto‹ einer gesamten Ära des Baus sozialverträglicherer Wohnlösungen erklärt und pauschal auf oft überspitzte Problemszenarien reduziert. [vgl. ebd.: 623-624] Graham fasst jene Tendenz der Dämonisierung entsprechend wie folgt zusammen: »›Pruitt-Igoe‹ emerged as a leitmotif of urban decay, collapse and hopelessness.« [ebd.: 625].

Ähnlich wie ›Pruit-Igoe‹ lassen sich in fast jeder westlichen Großstadt Beispiele für problembehaftete Siedlungen sozialer Hochhausbauten finden, die wegen ihrer marodierenden Entwicklung medial abgeurteilt wurden. So plante die Lokalverwaltung im schottischen Glasgow den Abriss des größten der 1964 erbauten ›Red Road‹-Massen-Wohnblocks als Liveübertragung im Fernsehen zu inszenieren um vor dem internationalen Sport-Ereignis ›Commonwealth Games‹ in 2014 symbolisch eine neue städtebauliche Ära einzuläuten. Was, kurz bevor das Abriss-Spektakel stattfinden sollte, aufgrund des breitflächigen Protests der Einwohner_innen erfolgreich verhindert wurde, steht symptomatisch für die negative Konnotation und plakative Verbannung der Idee von Großwohnsiedlungen als erschwinglichem Wohnraum für die breite Masse im Innenstadtbereich zugunsten von exklusiven Luxus-Wohntürmen für einen vergleichsweise kleinen Teil einer reichen Elite. [vgl. ebd.: 625]

Abb. 35 [links] Abriss der Gebäudekomplexe von ›PruittIgoe‹ in St. Louis Abb. 36 [rechts] ›Redroad‹-Häuser in Glasgow in den 80er Jahren

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Was folgte war ein Paradigmenwechsel, der laut Graham katalysiert wurde von der klischeehaften Gleichsetzung sozialer Großwohnsiedlungen mit Kriminalität, [Gang-]Gewalt und Drogenmissbrauch, während Versuche neutraler Reflektion über das Scheitern einiger Großwohnprojekte in den medialen wie politischen Rufen nach Abriss und Beseitigung förmlich erstickt wurden. Der fast unisone Tenor neoliberaler bis rechtskonservativer Stimmen wie des Stadtökonoms Edward Glaeser lauteten entsprechend: Hochhaussiedlungen trügen aufgrund der erhöhten Gänge und der isolierten Wohneinheiten zur sozialen Entfremdung sowie zum Kontrollverlust bei sozial schwächeren Bewohnerstrukturen bei. Der Bau von sozialen Hochhaussiedlungen für sozioökonomisch benachteiligte Gruppen sei demnach ein vergeblicher Versuch, das Problem des Bevölkerungswachstums in urbanen Zentren in den Griff zu bekommen. [vgl. ebd.: 624-627] Luxus-Metamorphose innerstädtischer Wohntürme Paradoxerweise wurde jedoch sukzessive in Weltstädten wie London, Vancouver und New York, aber auch Metropolen des Globalen Südens wie Mumbai baupolitisch beharrlich an der Idee des ›High-Rise-Livings‹ festgehalten. Der Unterschied liegt allerdings in dem nun dezidierten Fokus auf die Zielgruppe am entgegengesetzten Ende des Einkommenspektrums. So werden vor allem die Problemfaktoren des sozialen Verfalls als Legitimationsgrundlage verwendet, um die systematische Verwandlung und Privatisierung von Sozialbausiedlungen in schillernde Luxus-Wohntürme für die einkommensstarke Elite hoch über den Dächern der Städte voranzutreiben. Steven Graham macht in diesem Zuge insbesondere privatwirtschaftlich orientierte Planer_innen und Entwickler_innen für die irreversible Verwandlung von Innenstädten mit zuvor weitestgehend erschwinglichen Mietpreisen in zunehmend sozial und ästhetisch homogene Luxusenklaven verantwortlich. Deren Ziel sei es, – wie die Beispiele New York oder London nahelegen – ein ›Neu-Branding‹ der städtischen Bildsprache vorzunehmen, bei dem schwebende Luxus-Ikonen aus Glas und Stahl im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. [vgl. ebd. 629ff.] Die von Graham kritisierten, teilweise aggressiven Vermarktungs- und Spekulationsstrategien millionenschwerer Investoren sowie das Anlocken von präferiert finanzstarkem, internationalem Kapital führe aus seiner Sicht in vielen Großstädten indes immer mehr zur Verdrängung 42

sowie zur damit einhergehenden Prekarisierung der einkommensschwachen Schichten. Diese würden als Randerscheinung weit unten in den ›irdischen‹ Straßen der Städte zurückgelassen und aus der Perspektive von oben lediglich zum unterhaltsamen Spektakel der wohlhabenden Turmbewohner_innen beitragen. [vgl. ebd.: 631-640] Carol Willis [1995] stellt in ihrem Buch ›Form Follows Finance‹ ebenfalls auf den stark vom Kapital regierten Kontext ab, in dem der Hochhausbau in Amerikanischen Großstadt-Zentren eingebettet ist: »Skyscrapers are the ultimate architecture of capitalism. The first blueprint for every tall building is a balance sheet of estimated costs and returns. That bottom line is as true today as it was in 1893 […]. Just as functional concerns, municipal codes, and individual sites affect building forms, so does the program for profit. […] Cities are competitive commercial environments where buildings are businesses and space is a commodity.« [Willis 1995: 181] Diese zunächst hauptsächlich für Gewerbe- und gebrandete Großkonzern-Wolkenkratzer konstatierte Tendenz wird jedoch mit fortschreitendem Trend hin zur immer kostspieligeren und luxuriöseren Errichtung von Wohntürmen ausgedehnt und wirft zum Teil starke Unverhältnismäßigkeiten auf: Während der Bau von Luxus-Wohntürmen einen nie dagewesenen Boom erfährt, befinden sich lokale Konjunkturen und Wohnungsmärkte auf einem neuen Krisenstand, wie die Städtebeispiele Vancouver, London, New York oder Melbourne zeigen. [vgl. Graham 2015: 630-633; Costello 2005: 49ff.] Anstelle von vermehrter Schaffung dringend benötigter erschwinglicher Wohnflächen, werden Großteile der zuvor für den Sozialbau genutzten oder brachliegenden Flächen an die meistbietenden Investoren aus dem Ausland veräußert.

Die die Wohneinheiten jedoch nur einen Bruchteil des Jahres – wenn überhaupt – tatsächlich bewohnen.

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Weiter heißt es in der Beschreibung: »The resulting form achieves visual impact and provides tenants with the safety and security needed to ensure their well-being.«

Aus Grahams Sicht erfüllen die aus dem städtischen Bild zunehmend emporragenden Luxus-Wohntürme daher lediglich den Zweck von überdimensionierten, prunkvollen ›Wertanlage-Silos‹, die ihr Versprechen des nachhaltigen Städtebaus unter Vorschub fadenscheiniger Legitimationsversuche zwecks urbaner Verdichtung – so unter anderem durch Vermarktung als ›sustainable high-rises‹ – schuldig bleiben. [vgl. ebd.: 628] Als ein jüngeres ikonisches Beispiel kann hier der im Dezember 2015 fertiggestellte, 85 Stockwerke hohe ›432 Park Avenue‹-Apartmentturm in Manhattan, New York City, genannt werden. Dieser wird sogar unter den Finalisten der ›Best Tall Buildings 2016‹ aufgeführt und von der Jury unter anderem für sein innovatives Design gelobt, das eine »impactful presence for both building occupants and urban dwellers« [Wood/Henry 2016: 30] ermögliche und somit eine »pioneering solution for building tall on a particularly small plot« [ebd.: 30] darstelle. In Anbetracht der astronomisch steigenden Mietpreise im New Yorker Stadtkern und seinen umliegenden Bezirken liegt der Schluss nahe, dass mit diesem Objekt ausschließlich hochsolvente Käufer_innen angesprochen werden und sowohl großräumige Apartmentflächen wie auch geräumige Servicebereiche wie Lounges, Lobbies, Fahrzeugstell- oder gar Hubschrauberlandeplätze zur selbstverständlichen Grundausstattung ihrer urbanen Wohnresidenzen zählen. Der häufig betonte Nachhaltigkeitsfaktor ist in diesem Zusammenhang fraglich.

Abb. 37 ›432 Park Avenue‹-Apartmentturm in Manhattan 44

Auch der Faktor Sicherheit ist ein wiederkehrendes Motiv, das sich durch die allgemeine Verbreitung von Luxus-Wohntürmen weltweit zieht. So stehen Luxus-Apartmenttürme nicht nur für maximalen Wohnkomfort, sondern ebenso für die hermetische Abschottung gegenüber ärmeren Bevölkerungsschichten. Sie werden zu vertikalen Hochsicherheitsfestungen ausgebaut, die jeder Verbindung zur ›irdischen‹ Realität der Großstädte entbehren. [vgl. Graham 2015: 637ff.] Von innen gleichen die aufragenden Wohnbauten hotelähnlichen Wohlfühlparks, die es in schwindelerregenden Höhen ermöglichen, ein Sonnenbad am Pool oder ein sündhaft teures Gängemenü im hauseigenen Panoramarestraurant einzunehmen. Bei nur wenigen anderen Beispielen wird der scharfe Kontrast zwischen Arm und Reich so frappant wie an dem neuen Lifestyle-Image der globalen Luxus-High-Rises. Wohl einer der bekanntesten und gleichsam extremsten Fälle dieser Form des Luxuswohnens ist der 2010 erbaute ›Antilia‹-Wohnturm in Süd-Mumbai, welcher mit seinen 27 Stockwerken alleinig die Funktion eines überdimensionierten Einfamilienhauses für eine fünfköpfige Familie erfüllt. [vgl. ebd.: 637]

Der Wohnturm wurde von dem indischen Petrolchemie-Unternehmer Mukesh Ambani – Sohn des Milliardärs und Firmengründers Dhirajlal Hirachand Ambani – als Privathaus im Zentrum Mumbais erbaut, wird jedoch Medienberichten zufolge kaum von der Familie genutzt, da er angeblich nicht der religiösen ›Vatsu‹-Harmonielehre entsprechen soll. Ambani gilt als reichster Mann Asiens. Mumbai zählt mit seinen 18,4 Millionen Einwohner_innen zu den größten Metropolregionen der Welt, von denen jedoch über die Hälfte in von Armut gezeichneten, informellen Siedlungen leben.

Abb. 38 ›Antilia‹-Wohnturm in Mumbai 45


Der Begriff beschreibt Eltern[paare] im mittleren bzw. im Rentenalter, deren Kinder bereits im Erwachsenenalter sind und und aus dem Elternhaus ausgezogen sind.

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Charakteristisch ist bei den heutigen Luxus-Wohntürmen gleichermaßen die Rundumversorgung mit allen alltäglichen Notwendigkeiten und Services, die ein Verlassen der gesicherten und erhöhten Ebenen des Hauses schlichtweg überflüssig machen. Erwirkt wird somit durch den Bau jener ›vertikalen Gated-Communities‹, wie Graham sie nennt, ein gänzlicher Rückzug der einkommensstarken, globalen Elite aus dem sozialen Gefüge der Stadt sowie die Errichtung von sterilen, in Stahl und Glas materialisierten Sicherheitszonen, die für Externe in der Regel unzugänglich sind. [vgl. ebd.: 637; Harris 2015: 606] Graham ruft in diesem Kontext erneut das Bild des von Michel De Certeau evozierten Blicks vom obersten Stockwerk des ›World Trade Centers‹ in Erinnerung, der einen völlig losgelöst vom städtischen Treiben wie ein Voyeur auf die Straßenzüge schauen lässt. Hiermit unterstreicht er die von ihm beschriebene übervorsichtig distanzierte und gleichsam schaulustige Vorliebe wohlhabender Luxus-Turmbewohnewohner_innen für das am von ihnen fast unberührten Boden stattfindende, gewöhnliche Leben in Städten des Globalen Südens wie Guatelmala City, Caracas oder Istanbul wider. [vgl. ebd.: 607; Graham 2015: 639]. So ist das luxuriöse Wohnen hoch oben in den Lüften der Großstadt, abgesehen vom in verschiedenen Städten unterschiedlich stark ausgeprägten Sicherheitsaspekt, häufig auch eine Lifestyle-Entscheidung, die präferiert von wohlhabenden, sogenannten ›empty-nesters‹ oder meist jungen, gut ausgebildeten ›professionals‹ getroffen wird. Diese ziehen, wie beispielsweise in Melbourne, vor allem das Leben im Stadtzentrum [CBD] der Peripherie vor und schätzen die 24/7-Angebotsstruktur von Cafés, Shops sowie Freizeit- und Erholungsangeboten gepaart mit der erstklassigen Infrastrukturanbindung, die die Wohngegend für sie bietet. [vgl. Costello 2005: 55-56]. Gleichzeitig erfreuen sich Stadtplanung und -entwicklung sowie Politik und Verwaltung an dem vermehr-

ten Zuzug von zahlungskräftigen, gut ausgebildeten und kreativen Eliten, die die Stadt mit ihrer Finanzstärke und ihrem Innovationspotenzial weiter aufwerten. [vgl. ebd.: 55; Graham 2015: 219] Insgesamt laufen alle der genannten Eigenschaften der sich rasant verbreitenden Luxus-Apartmenttürme auf zwei zentrale Punkte hinaus: Abschottung bzw. Distinktion der reichen von den ärmeren Schichten sowie die kommerzielle Ikonisierung und somit Instrumentalisierung der ikonischen Hochbauten für die Ballung von möglichst viel internationalem Kapital im eigenen Stadtgebiet. Abb. 39 ›Australia 108‹-Wohnturm in Melbourne

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Hamburg und Luxs-›High-Rise-Living‹ Vor allem sind jene beschriebenen Tendenzen schlussendlich in Städten zu beobachten, deren Stadtbild ohnehin von Hochhausarchitektur geprägt wurde und Höhenbegrenzungen für den Bau von Gebäuden historisch bedingt immer schon gering ausfielen. [vgl. Graham 2015: 619] In kulturell wie architektonisch vom Hochhausbau geprägten Städten wie New York, London, Shanghai oder Hong Kong – die Stadt mit den derzeit meisten Hochhäusern der Welt – ist der Schritt von den Bürotürmen und Wohntürmen‹ hin zu Luxus-Wohntürmen daher ohnehin nicht mehr weit. [vgl. Janser 2011: 35-36] In Großstädten des Bundesgebiets hingegen bilden hochragende Wohntürme mit Superlativcharakter – insbesondere im Luxussegment – jedoch bislang eher die Ausnahme. So wurde im Kapitel ›Städtebauliche Leitbilder nach dem zweiten Weltkrieg‹ bereits angeführt, dass einzig im bundesdeutschen Finanzzentrum Frankfurt am Main mit seiner Skyline aus Büro- und vermehrt auch Wohntürmen eine Ausnahme besteht. Für die Stadt Hamburg spielen die hier beschriebenen Aspekte des Luxuswohnens in Hochhäusern indes bisher kaum eine Rolle. In Anbetracht vereinzelter Projekte wie des ›Strandhauses‹ oder des geplanten ›Elbtowers‹ zeichnen sich zwar punktuell Aspekte aus den beschriebenen internationalen Beispielen ab, gleichzeitig sprechen Anhaltspunkte überwiegend dafür, dass Luxus-Apartmenttürme in Hamburg eher die Ausnahme bleiben. So wäre der ›Elbtower‹ mit seiner Lage am östlichen Elbrücken aus Hamburgs städtischem Ensemble weitestgehend entrückt, womit er wohl kaum als Ikone für innerstädtisches Luxus-Wohnen herhalten würde. [vgl. Baunetz 2017] Selbst bei einer potenziellen Luxus-Aufwertung des direkt an der Alster hochragenden Mundsburg-Apartmentturmes [siehe Buch IV, Szenario 2] bleibt die Vorstellungeines sich etablierenden Hochhaus-Wohnerlebnisses für wohlhabendere Hamburger vorerst ein Gedankenspiel. 48

Der 200 Meter hohe Turm soll nach der Fertigstellung der Elbphilharmonie eine neue architektonische Ikone in Hamburg verkörpern, dessen Nutzungskonzept zwar noch nicht beschlossen ist, Wohnflächen im Kontext einer Mischnutzung jedoch denkbar sind.

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Abb. 21 Pertamina Energy Tower, Jakarta © SOM Abb. 22 Commerzbank, Frankfurt am Main © 2009 Swiss Post Solutions AG Abb. 23 Lotte World Tower, Seoul © Lotte Abb. 24 Uni-Credit Tower, Mailand https://www.unicreditgroup.eu/en/unicredit-at-a-glance/headquarter-unicredit-tower.html [23.08.2017]. Abb. 25 Blick auf Frankfurt am Main und dessen Skyline. http://www.frankfurt.de/sixcms/media.php/688/Feh_skyline.jpg [31.08.2017]. 55


Abb. 26 Hoyerswerda in Sachsen ehemalige DDR, 1960, [o.A.] Abb 27 Rostock, Lütten Klein © Hubert Link [1969]. Abb. 28 ›Lyoner 19‹ ursprünglich http://www.deutsches-architektur-forum.de/pics//schmittchen/981lyoner19.jpg [27.08.2017].

Abb. 37 ›Antilia‹-Wohnturm in Mumbai http://www.cityam.com/assets/uploads/content/2015/04/antilia-5540efee60310.jpg [30.08.2017]. Abb. 38 ›Australia 108‹-Wohnturm in Melbourne https://urban.melbourne/forum/southbank-australia-108-70-southbankblvd-319m-mixed-use [30.08.2017].

Abb. 29 ›Lyoner 19‹ nach der Umgestaltung Epizentrum [Wikimedia Commons]. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3f/Frankfurt_Lyoner_Straße_19.20130511.jpg [27.08.2017]. Abb. 30 Typologie einer Apartment-Erweiterung und Umstrukturierung Druot, Lacaton & Vassal 2007: 134. Abb. 31 Umverteilung der Wohneinheiten innerhalb des ›Tour Bois Prêtre‹ Druot, Lacaton & Vassal 2007: 227. Abb. 32 Typologien ›Tour Bois Prêtre‹ Druot, Lacaton & Vassal 2007: 225. Abb. 33 [rechts] › Ville Radieuse‹ http://images.adsttc.com/media/images/5200/1ed5/e8e4/4e6d/ b000/0011/large_jpg/1311654875-5472658196-5d3ee65a7c-b.jpg?1375739598 [31.08.2017]. Abb. 34 [links] Abriss der Gebäude- komplexe von ›Pruitt- Igoe‹ in St. Louis http://www.stltoday.com/opinion/editorial/editorial-pruitt-igoe-is-the-only-site-for-geospatial-agency/article_16bf8df3-046e-5a45-8cdd-bbf1995bb4bd.html, abgerufen am: [30.08.2017]. Abb. 35 ›Redroad‹-Häuser in Glasgow in den 80er Jahren http://www.redroadflats.org.uk/?page_id=143 [30.08.2017]. Abb. 36 ›432 Park Avenue‹-Apartmentturm in Manhattan https://cdn.vox-cdn.com/uploads/chorus_image/image/49055345/1.0.jpg [30.08.2017]. 56

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III Mundsburg Einleitung Historischer Rückblick

III Mundsburg

Umbau des ›Mundsburg-Centers‹ Architekturanalyse Baulicher Zustand Material & Textur Apartmenttypologie Mundsburg heute Medienanalyse damals und heute Leben im Mundsburg-Apartmentturm 24 Stunden in Apartment 10/5 Akteursnetzwerk

III Mundsburg

Zwischenfazit


Diese Arbeit ist im Rahmen des Masterstudiengangs ›Urban Design‹ im UDP II an der HafenCity Universität Hamburg entstanden. Sommersemester 2017 Heidrun Book Julia Marie Englert Petra Palusova Eva Christine Schmitz Lisa Steinke

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III Mundsburg Einleitung III Mundsburg Einleitung Historischer Rückblick Umbau des ›Mundsburg-Centers‹ Architekturanalyse Baulicher Zustand Material & Textur Apartmenttypologie Mundsburg heute Medienanalyse damals und heute Leben im Mundsburg-Apartmentturm 24 Stunden in Apartment 10/5 Akteursnetzwerk Zwischenfazit

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Das Arsenal der Mundsburg Türme, gelegen im Stadtteil Barmbek Uhlenhorst an der Hamburger Straße 1-15, umfasst eine Gesamtfläche von 60.000 qm. Die hoch aufragenden Drillingstürme prägen nicht nur die Skyline von Barmbek und dem Hamburger Osten, sondern auch das Stadtbild der Elbmetropole als »städtebauliche Fixpunkte« [Schubert 2010: 248]. Die Anfänge an der Hamburger Straße Bereits im Jahr 1958 planten die ideengebenden Projektentwickler, die Hamburger Immobiliengesellschaft ›Spranger & Büll‹, ein Einkaufszentrum an der Hamburger Straße die auf dem Warenhaus-Konzept von Karstadt basieren sollte. Beauftragt wurde die Hamburger Architektengemeinschaft ›Garten, Kahl & Bargholz‹. Auf den Bau des Einkaufszentrums, folgte eine Erweiterung der Einheit mit der Planung eines ergänzenden Gebäude-Komplexes ›Mundsburg‹ zwischen Humboldtstraße Winterhuder Weg. Die Architekten der Mundsburg-Türme hatten es sich zur Aufgabe erklärt »für jede einzelne Aufgabe entsprechend den unterschiedlichen Inhalten eine individuelle, angemessene Lösung zu finden, die eine bei Wahrung eines menschlichen Maßstabes gute Einfügung in die bauliche Umgebung ermöglicht, die sozialen Bedürfnisse der späteren Nutzer berücksichtigt und durch sparsamen baulichen Aufwand eine wirtschaftliche Erstellung verspricht.« [Heggemann o. J.]

Nach dem langjährigen Planungsprozess und dem darauffolgenden Bau, erfolgte im März 1970 eine Teileröffnug der heutigen ›Hamburger Meile‹ mit kleineren, integrierten Bürohochhäusern. Mit den damals rund 50.000 qm war es zu dieser Zeit eines der größten Einkaufszentren Europas. Die Fertigstellung erfolgte drei Jahre später im Jahr 1973.

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Mundsburg-Zwillinge oder Drillinge?

Die 100 und 97 Meter hohen Zwillingstürme sowie das Basisgeschoss mit integriertem Sportcenter und Kino bilden mit ihrer Fertigstellung im Jahr 1973 den Kopf für das angeschlossene Einkaufszentrum ›Hamburger Straße‹. Der dritte Turm, ›Hamburg Mannheimer‹ genannt, im eigentlichen Sinne nicht zur ›Mundsburg‹ gehörend, aber dennoch optisch fester Bestandteil des Ensembles, beherbergt auf 26 Etagen 133 Apartments und wurde nach den anderen beiden Türmen 1977 fertiggestellt. Ähnlich wie in dem Mundsburg-Apartmentturm befinden sich in dem kleinsten der drei Türme mit den kleinen umlaufenden Balkonen ebenfalls Einund Zweizimmerwohnungen, die jedoch ausschließlich vermietet werden. Das Design ähnelt dem der als Punkthochhäuser gebauten Zwillingstürme: Auch im Wohnturm ›Hamburg Mannheimer‹ sind im Basisgeschoss Büro-, Gewerbe- und Praxisräume vorhanden. Zu Zeiten seiner Eröffnung 1973 galten die Apartments des Mundsburg-Wohnturms als sehr exklusiv. Dies begründete sich in verschiedensten Ausstattungs- und Servicedetails. Das Gebäude selbst verfügte über eine Vorrüstung für eine zentrale Klimaanlage, die aufgrund der zu erwartenden hohen Betriebskosten [insbesondere durch die erste Ölkrise 1973] jedoch letztlich nie in Betrieb genommen wurde. Als weiterer Vorzug wurde die Möglichkeit, mit dem Aufzug das [mittlerweile nicht mehr vorhandene] Schwimmbad auf Höhe der vierten Etage zu erreichen, wahrgenommen; im Eingangsbereich wird man bis heute zu bestimmten Tages- und Nachtzeiten von einem Pförtner begrüßt. Die Kaufpreise der Wohnungen waren zu Zeiten der Fertigstellung dementsprechend sehr hoch. Anders als in den USA blieb das Konzept des innerstädtischen Hochhauswohnens im gehobenen Segment in Hamburg ein Einzelfall. Ein vergleichbares Bauwerk in Hamburg ist das kleinere Wohnhochhaus ›Palmaille 35‹ in Altona – ebenfalls aus dem Baujahr 1973. 4

Mundsburg-Apartmentturm in den 70er Jahren: Sanierung des Mundsburg-Centers: Siehe dazu Buch III – Umbau des MundsburgCenters.

Siehe dazu Buch III – Historischer Rückblick.##

Järntorget Bis zum Verkauf der Zwillingstürme in den 80er Jahren an den schwedischen ›Järntorget‹, Konzern, der rund 150 Milionen D-Mark zahlte, blieb die Gesamtverwaltung der Ge- bäude in den Händen der Erbauer. ›Järntorget‹ erwies sich für die Verwaltung des

Mundsburg-Apartmentturms und des Büroturms jedoch als Fehlgriff, da sich der Konzern schon nach kurzer Zeit in finanziellen Schwierigkeiten befand und den Komplex wieder verkaufen musste.

Abb. 1 Originalzeichnung des Architekten Werner Kahl des Mundsburgensembles

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Abb. 2 Planung des Wohntums ›Hamburg Mannheimer‚ des Architekten Werner Kahl 6

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Sanierungen und Teil-Verkauf Die erste umfassende Sanierung, die von 1996 bis 1998 andauerte und zunächst vor allem das Einkaufszentrum betraf, resultierte im Abriss des Schwimmbads, der Sauna und des Sportzentrums im Basisgeschoss. Zudem wurde das bisherige Gewerbeflächenangebot stark ausgebaut und eine geschlossene Mall vor die existierenden Ladeneinheiten gesetzt. Die Wiedereröffnung fand im Dezember 1998 statt. Das Zentrum galt nach dieser Erweiterung und der architektonischen Aufwertung lange als das umsatzstärkste und flächenmäßig größte Einkaufszentrum der Region Hamburg [Schubert 2010: 248]. Ein Grund für dessen Attraktivität ist auch die gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr durch die U-Bahn, diverse Buslinien und 2.500 angegliederte Parkplätze. Im April 2007 erwarb das börsennotierte Immobilienunternehmen ›alstria office REIT-AG‹ den Büroturm und das Center des Mundsburgkomplexes. Diese stellten fest, dass »der vorgefundene haustechnische Zustand des Objektes eine umfassende Revitalisierung erfordert« [alstria: 2017]. Aufgrund der Komplexität des Gebäudes entschied sich ›alstria‹, diese in zwei Schritten durchzuführen. Der erste Schritt, die vollständige Sanierung des Büroturms, erfolgte 2011 und dauerte zwei Jahre. Im August 2013 begann die zweite Phase mit der Renovierung des Mundsburg Centers. Nach der Neukonzeptionierung verfügt das Center mit seinen drei Schwerpunkten ›Freizeit und Entertainment‹ im 2. Obergeschoss, ›Gastronomie‹ im 1. Obergeschoss sowie der ›Nahversorgung‹ im Erdgeschoss über ein sehr markantes Nutzungskonzept, welches den Standort nachhaltig positiv beeinflusst. Der Fokus des weiteren Projektverlaufs lag auf der Außenfassade des Büroturms, durch die ein zeitgemäßes Gesamtbild entstehen sollte.

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Hochhäuser in Deutschland Siehe dazu Buch II – Städtebauliche Leitbilder nach dem zweiten Weltkrieg

Revitalisierung Das Center sollte zudem neu positioniert werden, um ein neues Image zu erhalten. Es sollten neue Geschäfte aquiriert werden, um das Händlerangebot vor Ort aufzubessern.

Sanierung des Mundsburg-Centers: Siehe dazu Buch III – Umbau des Mundsburg-Centers.

Abb. 3 Mundsburg Apartmentturm aus einem Zeitungsartikel der 70er Jahre

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Historischer Rückblick Der Wohnturm in den 70er Jahren III Mundsburg Einleitung Historischer Rückblick Umbau des ›Mundsburg-Centers‹ Architekturanalyse Baulicher Zustand Material & Textur Apartmenttypologie Mundsburg heute Medienanalyse damals und heute Leben im Mundsburg Apartment-Turm 24 Stunden in Apartment 10/5 Akteursnetzwerk Zwischenfazit

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Als potenzielle Käufer und Interessenten den Mundsburg-Apartmentturm kurz nach dessen Fertigstellung 1973 betraten, fanden sie sich in einem großzügigen Foyer wieder. Der Fußboden aus hellem Marmor, die Wände mit dunklem Holz getäfelt. Um in einer der vielen zur Verfügung stehenden Wohnungen zu gelangen, mussten selbstverständlich keine Treppen gestiegen werden, sondern es standen hochmoderne Schnellaufzüge zur Verfügung, die jeden der sie betrat in ungewohnt kurzer Zeit durch die Stockwerke hindurch trugen. Angekommen in einer der Etagen war auch hier der hochwertige Marmorboden zu bestaunen. In jeder Etage, die stilvoll beleuchtet war und praktische Müllklappen im Amerikanischen Stil enthielt, befinden sich vier Apartments. Wer eines dieser Apartments durch die Eingangstür aus Mahagoni betritt, findet sich in einer der großzügig geschnittenen Wohnungen mit einem unvergleichlichen Ausblick wieder. Der Panoramablick auf Hamburg scheint Interessenten die Millionenstadt Hamburg zu Füßen zu legen. Hamburg kann bei Tag und Nacht beobachtet werden - seien es die Segelregatten auf der Alster, die Köhlbrandbrücke in der Ferne und an klaren Tagen kann der Blick selbst bis hin zu den Harburger Bergen reichen. Hat man seinen Blick von Hamburgs Panorama durch die hochwertigen Isolierglasfenster abwenden können, so konnte der ideale Schnitt der Wohnungen

Textauszüge und Fotografien sind in Teilen Originalauszüge der ersten Broschüre des Mundsburg-Apartmentturms aus dem Jahre 1973. Teile der ursprünglichen Ausstattungen lassen sich noch heute wiederfinden, jedoch hat sich vieles grundlegend verändert, weshalb ausschließlich in der Vergangenheitsform verwendet wird.

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wahrgenommen werden, deren Ausstattungen bis ins kleinste Detail durchdacht waren. Der robuste ›Longlife-Teppichboden‹ trug Besucher wie auf Wolken durch die Räumlichkeiten. Für die elegante und praktische Einrichtung war das Hamburger Einrichtungshaus ›ORDNUNG‹ verantwortlich, die zeitgemäße und farblich aufeinander abgestimmte Möbelstücke von ›Interlübke‹, ›COR‹ und ›de Sede‹ ausgewählt haben. Bei einem Blick in die Küche fielen nicht nur die dunkelgrün glasierten Kacheln und die Einbauküchen aus massivem Teak- oder Eichenvollholz auf, sondern auch die hochmodernen Elektrogeräte der Marke ›Siemens‹. Platz musste nicht vergeudet werden, da Einbauschränke integriert waren und den potenziellen Bewohnern eine voll ausgestattete Waschküche mit Münz-Wasch- und Trockenautomaten zur Verfügung stand. Luxuriöses Wohnen in Hamburg Uhlenhorst – einmalig in Hamburg. Bestechend war auch die Lage des Mundsburg-Apartmentturms: kurze Verkehrswege zur Innenstadt und zum Flughafen, eine große Auswahl an öffentlichen Verkehrsmitteln vor der eigenen Haustür und ein Parkhaus für den PKW. Doch zu verlassen brauchte man das eigene Zuhause kaum, denn die vielzähligen Einkaufsmöglichkeiten des Mundsburger Einkaufszentrums ließen keine Wünsche offen. Die wohlverdiente Freizeit konnte zudem im modernen Hallenschwimmbad des Hauses, dem Solarium, der Sauna, oder dem Fitness-Center verbracht werden. Nach körperlicher Ertüchtigung luden darüber hinaus Restaurants, ein einzigartiger Dachgarten, das hauseigene Kino oder das benachbarte Theater zum Verweilen ein.

Abb. 4-9 Originalbroschüre des Mundsburg-Apartmentturms aus den 70er Jahren

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Ein neues Hochhaus für Hamburgs Bürger mit dem Hang zum Besonderen – fernab jeder Konkurrenz und voller außergewöhnlicher Vorzüge eine zukunftssichere Kapitalanlage noch dazu! 13


Abb. 10 [linke Seite] Originalpreisliste der Apartments im Mundsburg-Wohnturm, 1979 Abb. 11-15 [rechte Seite] Zeitungsannoncen des Mundsburg-Apartmentturms 1970-1985

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Historischer Rückblick

Bebauungsplan ›BarmbekSüd 15‹

Umbau des ›Mundsburg-Centers‹

Der Bebauungsplan ›BarmbekSüd 15‹ mit seinem 69.000 qm großen Plangebiet sollte ein überörtliches Geschäftszentrum auf der nordwestlichen Seite der Hamburger Straße etablieren. Geplant waren Verkaufsflächen auf drei Ebenen, die über Fußgängerpassagen zu erreichen sein sollten [durch Fußgängerstege, die in Richtung der U-Bahnhöfe ›Mundsburg‹ und ›Wagnerstraße‹ verlaufen sollten]. Damit folgte man dem Plan, einen nahtlosen Anschluss an die Öffentlichen Verkehrsmittel zu gewährleistet. Das Projekt umfasste insgesamt etwa 90.000 qm Bruttogeschossfläche, von der etwas mehr als die Hälfte – rund 50.000 qm – auf Ladenflächen entfielen. [vgl. Freie und Hansestadt Hamburg: 1968] Der Bebauungsplan führte durch das ausgewiesene Einkaufszentrum zu einer funktionalen Abhängigkeit aller Grundstücke untereinander, weshalb die Bebauung einheitlich durchgeführt werden musste. Ein Parkhaus sollte das Fahrzeugaufkommen des Einkaufszentrums ›Hamburger Straße‹ wie auch das der Hochhäuser und des ›Mundsburg-Centers‹ abdecken. Die direkte Angliederung eines Parkhauses an ein Einkaufszentrum, war zur damaligen Zeit noch äußerst ungewöhnlich, wurde jedoch aufgrund der zentralen Lage und der damit verbundenen hohen Grundstückspreise realisiert. [vgl. Falk: 58]

Im Ortsausschuss Barmbek-Uhlenhorst 1968, Jahre nach Planung des Einkaufszentrums ›Hamburger Straße‹ und einige Jahre vor Fertigstellung des Mundsburg-Ensembles, löste die Baumasse beim Baugenehmigungsverfahren bei einigen Anwesenden Unbehagen aus. »Ist es der Sinn der Architektur, immer Größe, Stärke und Brutalität zu demonstrieren?« fragte am 26. März 1968 der CDU-Abgeordnete Walter Schirmer während der Sitzung. Die entstehenden Hochhäuser erschienen einigen Anwesenden als zu massiv. Dennoch erteilte der Regionalausschuss schließlich die Baugenehmigung. [vgl. Sitzung der Bürgerschaft: Einkaufszentrum Hamburger Straße]

Abb. 16 Blick von der Rönnhaidbrücke auf die Baustelle des MundsburgAreals mitsamt des im Bau befindlichen Mundsburg-Centers [ehemals NeckermannWarenhaus]

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»Ein großer Vorteil ist, dass es hier hinter dem Haus einen Parkplatz gibt. Zunächst war kein Parkhaus dabei, wurde aber nach ein oder zwei Jahren gebaut und heute wären wir alle sehr aufgeschmissen, wenn wir nicht diese Parkmöglichkeit hätten.« [vgl. Interview Ehepaar B.]

Für den ruhenden Verkehr war hinter den Geschäftsgebäuden ein langgestrecktes, fünfgeschossiges Parkhaus für circa 2.000 Fahrzeuge vorgesehen: Damit waren 500 Parkplätze mehr geschaffen worden als in der Verpflichtungen nach der Reichsgaragenordnung vorgesehen. [vgl. Freie und Hansestadt Hamburg – Bezirk Hamburg-Nord]

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Der erste Umbau des ›Mundsburg-Centers‹ in den 90er Jahren

Auf die Frage, ob das Ehepaar B. die ehemaligen Sportmöglichkeiten genutzt hat, antworten beide: »Kaum. Also das Schwimmbad mal so zwei, drei oder vier mal. Aber es war sehr beliebt!« [vgl. Interview Ehepaar B.]

22 Jahre nach der Fertigstellung des Mundsburg-Apertmentturms und des dazugehörigen Einkaufszentrums wurde dieses 1996 erstmals saniert und umgebaut. Die ehemalig offene Center-Struktur wurde durch eine Glasfassade geschlossen, indem eine verglaste Mall im amerikanischen Stil vor die existierenden Ladeneinheiten gesetzt wurde. Zudem wurden das Schwimmbad, die Sauna sowie das Sportzentrum im Basisgeschoss abgerissen und durch ein Multiplexkino ersetzt. Insgesamt wurde das Gewerbeflächenangebot stark ausgebaut. Im Laufe dieses Umgestaltungsprozesses hat sich das Geschäftsangebot verändert und kleine Betriebe, wie beispielsweise ein ansässiger Metzger und ein Stoffwarengeschäft, sind größeren Konzernen gewichen. Anwohner des Mundsburg-Apartmentturms wurden über die Umbaumaßnahmen in einer detaillierten Broschüre informiert, die jeder Wohnungseigentümer erhielt. In diesem großformatigen Printmedium wurden vermeintliche Mängel fotografisch abgebildet, um den Sanierungsbedarf hervorzuheben. Dabei wurde nicht nur der bauliche Zustand in den Fokus genommen, sondern auch das in die Jahre gekommene Design sowie die Außengestaltung aus dem 70er Jahren. Zudem wurden durch detaillierte Baupläne und Computersimulationen dargestellt, was sich durch die Sanierung verändern wird.

I vorher

I nachher

Abb. 17 und 18 Informationen zum Umbau sowie einen Einblick in die Original-Broschüre haben wir freundlicherweise durch das Ehepaar B. erhalten.

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[beide auf der linken Seite] Computersimulation für den Umbau des Mundsburg-Centers aus der Informationsbroschüre für die Wohnungseigentümer.

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Abb. 19 - 23 [Im Uhrzeigersinn links beginnend] Bestandsaufnahmen des ehemaligen ›Mundsburg-Centers‹ vor der ersten Sanierung aus der Informationsbroschüre für die Wohnungseigentümer des Apartmentturms.

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Die Sanierungsarbeiten dauerten zwei Jahre – das Einkaufszentrum wurde im Dezember 1998 wiedereröffnet. Der zweite Umbau des ›Mundsburg-Centers‹ Nachdem der Immobilienkonzern ›alstria office REITAG‹ das Management des Einkaufszentrums und des Büroturms übernommen hatte, erfolgte zwischen 2013 und 2015 die nächste umfassende Neugestaltung des Mundsburg-Centers mit seinen rund 12.500 qm Verkaufsfläche und den 25 Gewerbeeinheiten. Während dieser Umbaumaßnahmen wurde, anders als während der ersten zweijährigen Sanierung, der laufende Betrieb nicht eingestellt. Ab August 2013 hat man nach den Plänen von ›Boge Johannsen Architekten BDA‹ mit dem Umbau begonnen. Neben der neuen gestalterischen Linie für die öffentlichen Bereiche, wurde auch eine Modernisierung der zentralen haustechnischen Anlagen vorgenommen sowie die Mieterstruktur verändert. So wurde zum Beispiel rund 17 Jahre nach Abriss der Sportanlagen erneut ein Fitness-Center mit angegliedertem Solarium etabliert. Auch die seit 1998 im Einkaufszentrum befindliche ›Spielbank Hamburg‹ wurde im Laufe der Arbeiten modernisiert. Darüber hinaus wurde verstärkt Wert auf die Nahversorgung durch die Sanierung des seit 1973 ansässigen ›Penny-Marktes‹ und kleinerer Dienstleister gelegt. Elemente, die bei der Sanierung 1998 etabliert wurden, wie beispielsweise die verglaste Außenfassade, wurden bei dem erneuten Umbau erhalten und nur durch Details, wie unter anderem einer Karusselldrehtür, ergänzt. Die Umgestaltung des Haupteinganges, dem durch eine neue direkte Beleuchtung eine modernere Erscheinung verleiht werden sollte, war die äußerlich sichtbarste Veränderung. [vgl. alstria office REIT-AG: 2017] 22

I vorher »Aus meiner Sicht ist ein weiterer Vorteil die rund um die Uhr Belebung des Platzes. Das man zu jeder Zeit, wann auch immer man hier ankommt, keine Bedenken zu haben braucht, dass einem irgendwas passiert und man muss auch nicht durch die dunklen Gassen irren. das ist schon sehr schön und liegt vor allem an dem Spielkasino und dem Kino im Haus.« [vgl. Interview Ehepaar B.] »Wie mein Mann schon sagte, die Lage ist sehr gut, mit der U-Bahn und den Bussen allemal. Wir haben praktisch einen Kilometer Einkaufszentrum mit allem was man braucht, Post und so weiter.« [vgl. Interview Ehepaar B.]

Abb. 24 und 25 [rechte Seite] Computersimulation für den Umbau des Mundsburg-Centers aus der Informationsbroschüre für die Wohnungseigentümer.

I nachher

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Architekturanalyse Baulicher Zustand III Mundsburg Einleitung Historischer Rßckblick Umbau des ›Mundsburg-Centers‚ Architekturanalyse Baulicher Zustand Material & Textur Apartmenttypologie Mundsburg heute Medienanalyse damals und heute Leben im Mundsburg-Apartmentturm 24 Stunden in Apartment 10/5 Akteursnetzwerk Zwischenfazit

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Throughout the process of the building examination, we were collecting information that portray the structure and its condition. It is slightly over 100 m in total and consists of 32 floors. The tower is a part of an ensemble consisting of a bigger complex - shopping mall and other two towers. It is therefore functionally interconnected with other parts of the complex at the bottom part. The tower alone hosts 29 apartment floors and three technical floors on the top. Its modernist visage is most recognizable through the raster geometry and the repetitiveness of the facade elements, as well as the overall proportion and the typology of the inner spaces. Each floor consists of 7 types of apartment that can be divided into 3 main typological categories. The apartments in each category vary in very small details, which even underlies the generativeness of the spatial constitution and the possibility to create a symmetrical outline for the plan. Even if the tower stands proudly and appears majestic from the street view, by closer inspection it is clear to the observer, that it has been through better times. Since the building is almost 50 years old, several sings of depreciation of the material is found on many spots. In the texture overview, the pictures catch the material and the color selection that can be found on the outer side of the building.

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Architekturanalyse Material & Textur

Abb. 26 - 37 [Start links oben] Fotografische Dokumentation der im Bau verwendeten Materialien des MundsburgApartmentturms

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Architekturanalyse Apartmenttypologie Höhe Etagen Gesamtwohnfläche Apartmentanzahl Größe

100, 51 m (bis zur Dachkante) 32 (29 Apartment-Etagen + 3 technische Etagen) 10 000 qm (netto) 175 exklusive 1- or 2-Zimmer-Apartments 38 qm bis 68 qm

Heizung

Fernwärmeanschluss (›Vattenfall‹) mit zentraler Warmwasserversorgung. Mit Umschluß im April 2007 erfolgte auch die technische Trennung der Heizanlage von den Gebäudeteilen Geschäftshochhaus und Basisgeschoss

Rohbau

Stahlbeton-Schotten-Bauweise

Entlüftung

Fassade

Stahlbetonbrüstungen mit Wärmedämmung, vorgesetzte Aluminium Konstruktion, dunkelbronze, mit in Höhe der Geschossdecke vorgehängten hell emaillierten Stahlblechpaneelen

Zentrale, permanente Entlüftung aller Bäder und Küchen über das Dach

Fassadenlift

Reinigung der Fassadenflächen über Außenbefahranlage

Fenster

Dreh- und Drehkippfenster aus Aluminium, dunkelbronze, mit Isolierverglasung Thermopane parasolbronze

Fensterbänke

Marmorabdeckungen über den Radiatoren

Zwischenwände

Porelith-Leichtbauwände

Estrich

9 cm schwimmender Zementestrich mit zweilagiger Schalldämmung

Etagenhallen, Podest und Treppen

Aufzüge

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3

2

Belage aus italienischem Marmor für Auftritte und Bodenplatten, hellbeige (›Botticino Classico‹), Stellstufen und eingelegte Friese der Etagenhalle, dunkelbraun (›Damasco‹). Zwei ›KONE‹ Expressaufzüge (3,5 m/sek) mit je 30 Haltestellen, ausgestattet mit digitaler ›Lutz Videotechnik‹, 2002-2003 gebaut

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Abb. 38 Isometrie mit Schnitt‹

1 Einkaufszentrum 2 Apartments 3 Technische Etagen 29


1

The structure of the apartment tower offers seven different types of apartment units. The typology can be subdivided into three main groups of 1- and 2-bedroom apartments. All the apartments were originally equipped with the integrated made-to-measure furniture. Throughout the years, some apartments underwent renovation processes (bathrooms, kitchen, additional partitions or semi-partitions dividing the living area and the kitchen) and the original interior design has been changed. The service areas (the kitchen and bathroom) are small in size, but fully functional and equipped. The object needs technical upgrade mainly on its facade. The main luxury treat, considering the original proposal from the early 1970s, is the view that is available for all the apartments from 5th to 28th floor in diverse directions - AuĂ&#x;enalster and city centre, Stadtpark and the airport to the other direction and to Berlin Tor, EIlbek and Wandsbek.

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Abb. 39 Grundriss MundsburgApartmentturm 3D

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Apartment Typ 2 / 5

65, 72 - 68, 7 qm

Wohnzimmer Schlafzimmer Küche Eingangsbereich

ca. 30 qm ca. 14, 5 qm 6 qm 12 qm

Abb. 40 - 43 [links beginnend] Grundriss der Apartmenttypen im Mundsburg-Wohnturm

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38, 16 - 38, 90 qm

Wohnzimmer Küche Badezimmer Eingangsbereich

ca. 25 qm 4 qm 4 qm 2 qm

Apartment Typ 7

Apartment Typ 1 / 3 / 4 / 6 Gesamtgröße

Gesamtgröße

0m

1m

2,5 m

Gesamtgröße

46, 24 qm

Wohnzimmer Schlafzimmer Badezimmer Eingangsbereich / Vorratskammer

ca. 25 qm 6 qm 4 qm 10 qm

5m

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Mundsburg heute Leben im Mundsburg-Apartmentturm III Mundsburg Einleitung Historischer Rückblick Umbau des ›Mundsburg-Centers‹ Architekturanalyse Baulicher Zustand Material & Textur Apartmenttypologie Mundsburg heute Leben im Mundsburg-Apartmentturm 24 Stunden in Apartment 10/5 Akteursnetzwerk Zwischenfazit

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Das Ensemble der drei Mundsburg-Hochhäuser übte bereits während der Bauphase eine unwahrscheinliche Strahlkraft auf die Hamburger Umgebung in Barmbek und darüber hinaus aus: Aufgrund ihrer – besonders für das Hamburger Bild – überragenden Statur ist man als außenstehende_r Betrachter_in oft gebannt von der gleichförmigen quadratischen Form sowie den übereinander gestapelten glänzenden Fensterfronten, bei deren Anblick sich sofort die Vorstellung einer atemberaubenden Aussicht über die Stadt aufdrängt. Auch die Anwohnenden fühlten sich von den schillernden Türmen aus Glas und Stahl angezogen. So gab es einige, die in Erwägung zogen oder davon träumten, eines Tages selbst ein Apartment hoch in den lichtdurchfluteten Ebenen mit großzügigem Panorama zu bewohnen: Das Ehepaar B. wohnt fast seit der Fertigstellung im Mundsburg-Wohnturm. Des Berufes wegen nach Hamburg zugezogen, lebte das Ehepaar zunächst in einer Wohnung in der Wandsbeker Chaussee im Stadtteil Eilbek. Von dort aus hatten sie schnell ein Auge auf den damals inmitten der komplett neu entstehenden Magistrale an der Hamburger Straße emporwachsenden Mundsburg-Apartmentturm geworfen. [Kommentar LS an Julia: Hierzu gab es doch diesen Zeitungsartikel von der Bebauung der Hamburger Straße oder? Passt der in irgendeiner Form hier zwischen?] Insbesondere die Vorstellung von dem Ausblick und der Helligkeit der Apartments begeisterte beide so sehr, dass sie den Schritt unternahmen, ein Wohnobjekt zunächst aus Neugier ohne direkte Kaufabsicht zu besichtigen. [vgl. Interview Ehepaar B.] Frau B. beschreibt ihre erste Wahrnehmung des Mundsburg-Wohnturmes folgendermaßen: »[...W]ir waren fürchterlich entsetzt über das Klima in Hamburg damals – keine Sonne und viel Regen. Und da sahen wir von unserem Schlafzimmer – wir hatten so ein schmales Schlafzimmer – und aus diesem Fenster sahen wir in Eilbek, dass hier ein Haus hochwuchs. Und das wurde immer höher. Und wir sahen, wenn ein Sonnenstrahl war, lag der auf diesem Haus.« [ebd.] Letztendlich entschieden sich dann beide doch für den Kauf – das war 1975. Umgerechnet zahlte das Ehepaar damals für ihr Apartment mit Blick zur Südwest-Seite umgerechnet 75.000 Euro – was für damalige Verhältnisse stark überhöht war. Heutzutage ist der Preis weitaus höher angesetzt. Für eine Wohnung auf vergleichbarer Ebene 35


kostet aktuell ca. 2.700 Euro pro qm und etwa 180.000200.000 Euro insgesamt. Zu den vielen Interessent_innen zählte damals auch der junge SP, der über sich selbst sagt: »Ich wusste als Jugendlicher schon, dass ich hier mal wohnen würde, weil ich als Kind mit meinen Eltern hier immer vorbeigefahren bin […]. Ich fand das schon immer faszinierend.« [Interview mit SP am 12.07.2017] So war er 1993 mit gerade einmal 23 Jahren der jüngste Käufer eines Apartments im Mundsburg-Wohnturm.

SP erwarb eine 40 qm große Ein-ZimmerWohnung [seine erste] im 28. Stockwerk des Turmes [Nr. 28/5; die vordere Zahl steht für das Stockwerk, die hintere für die ApartmentNummer]. Der Preis belief sich damals auf 245.000 DM

Aufgrund der kleineren Wohneinheiten [Apartmenttyp 2, 5 und 7], die heutzutage durch einen Teil der Eigentümer_innen möbliert vermietet werden, hat sich der Mundsburg-Apartmentturm darüber hinaus als eine oft praktische und schnelle Lösung erwiesen, die es erlaubt unkompliziert über eine kürzere Zeitspanne hinweg Wohnungen zu beziehen: »Ich habe häufig panische Anrufe von Männern, die auf ihren Koffern sitzen und ganz schnell ein Dach über dem Kopf brauchen. Die nisten sich dann hier ein, erstmal für den Übergang und merken dann wie komfortabler es hier ist und bleiben dann doch länger als sie ursprünglich geplant hatten und vpätestens wenn die neue Partnerin auf der Matte steht, dann ziehen sie wieder aus.« [ebd.] Allgemein sieht der inoffizielle Vermarkter des Mundsburg-Apartmentturms SP einen Trend von Leervermietungen hin zur Vermietung voll ausgestatteter Wohnungen. Insbesondere die Ein-Zimmer-Apartments von knapp 40 qm werden hierfür gern genutzt. [vgl. ebd.] Das breite ›AirBnB‹-Angebot, das sich einem bei der Google-Suche eröffnet, bestätigt seine Aussage. Andererseits befinden sich auch sogenannte ›Wiederholungstäter‹ unter den Eigentümern, die vor einiger Zeit ihre Erstwohnung erworben haben und in Folge dessen auf den Geschmack gekommen sind. Zur Frage, wie lang es dauere, bis ein vakantes Objekt wieder verkauft ist, äußert sich SP wie folgt: »Ich sag mal so, 20. Stock mit Alsterblick wird immer gerne genommen! Das Angebot ist glaube ich kleiner als die Nachfrage, sowohl in der Vermietung wie auch im Verkauf.« [ebd.]

Kostenpunkt: rund 1.000 Euro monatlich

Abb. 44 SP auf dem Dach des Mundsburg-Apartmentturms

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Wohnen und Alltag im Mundsburg-Wohnturm Von der Original 70er Jahre-Innenausstattung in den Wohnungen ist aufgrund der individuellen Renovierungen, die von verschiedenen Generationen der Eigentümer_innen mit der Zeit vorgenommen wurden, heute kaum etwas geblieben. Eine Ausnahme bildet die sich im 29. Stockwerk befindliche ›Scheich-Etage‹, die von zwei Brüdern der Scheichs-Familie schrittweise – teilweise noch im Originalzustand – aufgekauft und zur Wohnetage ausgebaut worden ist. Bewohnt wurde die Etage mangels Präsenz der beiden Brüder in Hamburg kaum und so mutet die verwaiste Wohnung heute lediglich eher museale an. Hin und wieder sieht eine Reinigungskraft noch nach dem Rechten. Aufgrund der langen Nichtbenutzung der sanitären Anlagen [Leitungen sind mittlerweile dicht und marode] ist die Wohnung jedoch faktisch nicht mehr bewohnbar. [vgl. ebd.]

Im Jahr 2015 erfuhr die Lobby eine dekorative Aufwertung in Form einer Wand, die wie das Wasser über eine mit Metall beschichtete Fläche laufen lässt. Vor der Wand befindet sich ein Arrangement aus Pflanzen

Allein wegen der baulichen Hochhausstruktur birgt der Mundsburg-Apartmentturm eine Reihe distinktiver Merkmale, die den Wohnalltag im Haus strukturieren und für Bewohnende und Externe in unterschiedlichen Situationen zutage treten. Da wären beispielsweise die zwei Fahrstühle – als unabdingbare Hilfsmittel, um die 29 Etagen ohne viel Zeit- und Kraftaufwand zu bewältigen, die gleichsam auch eine Art Treffpunkt für die Bewohnenden. Viel Zeit für ausgedehnte Gespräche lässt er mit seiner enormen Geschwindigkeit nicht zu. Dennoch tauscht man – je nach Vertrautheitsgrad – immer einige Höflichkeiten aus oder erkundigt sich nach dem gegenseitigen Befinden. Ähnlich verhält es sich mit der kürzlich erst modernisierten Lobby, in der Bewohnende gut und gerne auf dem Weg in ihre Wohnung oder hinaus kurz stehenbleiben, um einen kurzen Plausch mit Nachbar_innen, oder mit dem hauseigenen Service-Personal abzuhalten. Aus dem Gespräch mit dem Ehepaar B. wird in diesem Zusammenhang deutlich, dass es die große Zahl der Mietparteien im Mundsburg-Wohnturm z. B. auch erlaubt, höchst selektiv Kontakt zu den Nachbar_innen zu pflegen. So schildert Frau B. an anderer Stelle: »Also ich sag immer: Die Kontakte die man haben will, kann man haben und die man nicht haben will, die kann man ausblenden.« [Interview mit Ehepaar B.].

Abb. 46 und 47 [links] Lobby des Mundsburg-Apartmentturms, 1996 [rechts] Lobby des Mundsburg-Apartmentturms, 2015

Abb. 45 Lobby des MundsburgApartmentturms, 1975 38

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Für die Betreuung alltäglicher Prozesse und Hausgeschäfte des Wohnturms wurde eigens Hauspersonal für verschiedene Belange fest angestellt. So gibt es – wie in jedem Haus mit mehreren Wohnparteien – einen Hausmeister [Herr M.], eine Reinigungskraft [Frau B.] sowie zwei Pförtner, die im regelmäßigen Wechsel im Eingangsbereich [Lobby] sitzen und den Besucher_ innen- und Bewohnenden-Verkehr in den Wohnturm, bzw. aus dem Wohnturm hinaus, übersehen. Während sich der bereits seit vielen Jahren im Haus tätige Herr M. um anfallende Schäden sowie die Wartung und Instandhaltung der Hausanlagen kümmert und von allen Hausbewohnenden wertgeschätzt wird, scheint die Reinigungskraft Frau B. förmlich zu einem festen Teil der Hausgemeinschaft gewachsen zu sein. Ihren Reinigungsdienst verrichtet sie bereits seit mehr als 20 Jahren im Mundsburg-Turm. Während SP von einer »Perle« [ebd.] spricht, lobt das Ehepaar B. sie auch in höchsten Tönen: »Ja, also die ist doch – die ist sehr, sehr effektiv und sehr gut. Es läuft besser als früher [...]. Was hatten wir früher? Drei, vier Damen alle für ein paar Stunden und das gab ewig Querelen. Und die Frau Bögler, die ist – also das läuft; es ist fantastisch.« [Interview mit Ehepaar B.] Indes ist die Wahrnehmung des Concierge-Services auf unterschiedlichen Ebenen ambivalent: Während die Vermarkter-Seite den Concierge gern im Lichte eines integren Doormans ähnlich wie in zeitgenössischen Luxus-Wohnimmobilien sehen möchte, wiegeln andere ab: »Concierge ist übertrieben! Wir haben schlicht und einfach am Abend einen Pförtner. Es wird gerne Concierge oder Doorman und so genannt – also ich habe in Berlin wirklich mit einem Concierge gelebt, ne. Also ich weiß wovon ich spreche. Wir hatten wirklich am Kurfürstendamm einen Concierge [...] wir haben schlicht und einfach zwei Pförtner im Wechsel – und also die sind immer sehr in Ordnung.« [ebd.] Wenn es dagegen allein nach SP ginge, würden die Haus-Services einer noch viel größeren Bandbreite versehen werden: 40

Die Bezeichnung dieser Servicekraft schwankt stark. Während einige fortwährend von ›Concierge‹ oder ›Doorman‹ sprechen, halten es andere etwas bescheidener mit ›Pförtner‹.

Wenn das nach mir ginge, würde ich noch einen Pagenservice oder so einen Runnerservice anbieten, dass man sagen kann, man bestellt – wie keine Ahnung, zum Beispiel Lebensmittel – und holt die dann abends nur noch ab oder so, aber das lässt sich dann so also der Aufwand ist viel zu groß. Das gleiche gilt auch für einen 24-Stunden-Dienst, also so einen Concierge-Service der rund um die Uhr – also das ist nicht zu bezahlen.« [Interview SP] In dem Kostenpunkt hingegen herrscht jedoch breite Übereinstimmung. So ist bei dem aktuellen Anstieg der Hausgelder – nicht zuletzt wegen der erhöhten Versicherungskosten für den Wohnturm – nicht an außergewöhnliche Zusatzservices zu denken. Viele der Hausbewohner_innen könnten sich die Erhöhungen bald schlichtweg nicht mehr leisten. [vgl. ebd.]

Abb. 48 Nachbarturm des Mundsburg-Apartmentturms ›Hamburg Mannheimer‹

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Ursprünglich wurde die Funktion der Concierges bzw. Pförtner per Beschluss in der Eigentümerversammlung eingeführt, weil es im Mundsburg-Apartmentturm ein vermehrtes Problem mit Suiziden gab. In fast allen Fällen handelte es sich bei den Suizidopfern um Haus-Externe, die sich unbemerkt Zutritt zum obersten Stockwerk des Hauses verschaffen konnten und sich in die Tiefe stürzten. Die Gitterstäbe an den Außenwänden des Treppenhauses zeugen ebenfalls von den vorgenommenen Präventionsmaßnahmen. [vgl. ebd.; Interview mit Ehepaar B.] Seit Beginn in den 70er Jahren ist der Mundsburg-Wohnturm darüber hinaus umgeben von einer vielschichtigen Struktur verschiedener Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten. Rund herum und entlang der Hamburger Straße säumten über die Jahrzehnte hinweg verschiedenste Fachgeschäfte und kleine Läden die Ausläufer des Mundsburg-Apartmenttowers sowie das Shopping-Center, die ›Hamburger Meile‹. Außerdem gab es bis zum Bau des ›Mundsburg-Centers‹ im Jahr 1998, das heute von der zweiten bis vierten Ebene ein großes Multiplex-Kino beherbergt, eine Schwimmund eine Sporthalle mit Squash- und Tennis-Courts, die sich großer Beliebtheit erfreuten und gleichsam viele Leute von Außerhalb anzogen. Im Zuge der umfassenden Umbauarbeiten der umliegenden Gewerbeflächen in den 90er Jahren wurden die Fitness- und Wellnessanlagen jedoch vollkommen abgerissen und durch das Kino ersetzt. Somit entschwand Ende der 90er Jahre nun auch der letzte Glanz des mondänen 70er Jahre-Charmes fast gänzlich aus dem Wohnturm. Das heutige ›Mundsburg-Center‹ wird von der ›alstria office REIT-AG‹ betrieben. Diese hat die Gewerbeflächen mit einer programmatischen Durchmischung einer ganzen Palette verschiedener Branchen in den letzten Jahren zu einem großen Shopping-Center mit direkter Verbindung zum benachbarten Einkaufszentrum des von der ›ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG‹ betriebenen ›Hamburger Meile‹ umstrukturiert. 42

Abb. 48.1 Blick aus dem Fenster des Ehepaar B auf das Baugerüst des Mundsburg-Centers, 1998

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Sowohl von Bewohnenden- als auch von der Vermarktungs-Seite wird dies weitestgehend begrüßt. [vgl. Interview SP]: »Es ist für das Objekt ein Riesen Vorteil, dass der Eigentümer ›alstria‹ das in den letzten Jahren so revitalisiert hat, wie es jetzt hier so zu sehen ist.« [Interview SP] Die Tatsache, dass sich auch für die Interviews immer der gleiche Gastronomiebetrieb im ›Mundsburg-Center‹ vorgeschlagen wurde, unterstreicht, wie sehr das Angebot der Einkaufspassage von den Bewohnenden angenommen wird. Dies geht so weit, dass einige von ihnen mit dem Service-Personal der Gaststätten auch privat vertraut sind. Bis zum Center-Umbau 1998 hatte sich in dem im Erdgeschoss gelegenen Lokal ›Friesenhof‹ sogar ein Bewohnenden-Stammtisch des Mundsburg-Apartmentturmes etabliert. Als dem Lokal jedoch zeitgleich mit dem Baubeginn des ›Mundsburg-Centers‹ gekündigt wurde, schliefen auch die regelmäßigen gemeinsamen Treffen ein. [vgl. ebd.; Interview Ehepaar B.] Da kein Weg um das ›Mundsburg-Center‹ umhin führt, um ins Innere des Wohnturmes zu gelangen, ist die unmittelbare Umgebung aufgrund der hohen Besucherfrequenz zudem ganztägig äußerst belebt. Dies sorgt zum einen für eine maximal komfortable Erreichbarkeit aller Einkaufsmöglichkeiten und zum anderen für ein erhöhtes Sicherheitsgefühl, was besonders für die betagtere Generation der Bewohnenden von Vorteil ist. [vgl. ebd; Interview Ehepaar B.]

Abb. 50 Benachbarte Geschäfte des Mundburg-Apartmentturms Abb. 51 Fressmeile und Kinokasse des ›Mundsburg-Centers‹

Abb. 49 ›Louisiana‹ Restaurant im Mundsburg Center Hier haben die Interviews mit Herrn P und dem Ehepaar B stattgefunden.

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1 Bekleidungsgeschäfte 2 Tanzschule 3 IT-Service 4 Bushaltestelle

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5 Hotel 6 Drogerie

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8 Copyshop 9 Personalvermittlung 10 U-Bahn-Station 11 Nagelstudio 12 Reinigung 13 Gesundheitsdienstleistungen 14 Apotheke

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15 Café 16 Änderungsschneiderei

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17 Supermarkt 18 Theater

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19 Computergeschäft 20 Kosmetiksalon

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21 Frisör 22 Fitnessstudio 23 Kino 24 Restaurants 25 Aufzug 26 Bar

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27 Parkhaus 28 Büro 29 Geldautomat

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Abb. 52 Das Quartier rund um die Mundsburg mit allen Dienst- und Serviceleistungen

30 Spielhalle 31 Post 32 Stadtradstation 33 Öffentliche Toiletten 34 Videoüberwachung 35 Gymnasium Lerchenfeld 36 Metzgerei 37 Schuhgeschäft 38 Bäckerei

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Hausgemeinschaft

Hauptsächlich der privaten Filmuniversität Finkenau und der ›Miami Ad School‹.

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Aufgrund der recht kleinen Wohnungsschnitte ist der Turm wenig familiengerecht. Wenn hier Paare wohnen, sind sie in der Regel kinderlos. Unter den meist in den Ein-Zimmer-Apartments lebenden Singles befinden sich viele zeitweilig nach Hamburg delegierte Geschäftsleute; so z. B. Angestellte von IT-Firmen, Versicherungsfirmen und anderen Branchen. Auch junge Ärzte aus dem Ausland, gleichsam wie so genannte ›Medizintouristen‹, die für einen Eingriff im international namhaften ›Universitätsklinikum Eppendorf‹ eigens angereist sind, zählen zu den Bewohnenden. Mit den wechselnden Firmen, die ihre Mitarbeiter in den Wohnungen unterbringen, und ihren verschiedenen Standortverhältnissen, ändert sich auch die Herkunft der Bewohnenden-Struktur phasenweise. So stammten in den 90er Jahren viele zeitweilig untergebrachte Mitarbeiter_innen aus fernöstlichen Ländern wie China und Japan. Heutzutage sind es vor allem Mieter_innen aber auch Eigentümer_innen aus dem Nahen Osten und Nordafrikanischen Staaten. Im Kontrast zu den stark wechselnden, temporären Gesichtern im Mundsburg-Apartmentturm, gibt es auch noch einen Teil alteingesessener Bewohner_innen der ersten Stunde: Viele sind davon bereits im Rentenalter und haben die ereignisreiche Entwicklung des Wohnturmes von Anfang an miterlebt. Weitere Interessenten der möblierten Apartments sind internationale Studenten mit einem höheren Budget für die Lebenshaltungskosten. Die Fluktuation ist aufgrund der Vielschichtigkeit der Hausgemeinschaft entsprechend hoch. Einige der ursprünglichen Bewohnenden sterben, vorübergehende Mieter_innen oder Eigentümer_innen kommen hinzu oder ziehen wieder weg. Dies bleibt an mancher Stelle auch nicht gänzlich konfliktfrei. So herrscht den Schilderungen von SP zufolge beispielsweise ein von distanziertem Misstrauen geprägtes Verhältnis zwischen vielen alt

Eingesessenen und neu zugezogenen Bewohnenden mit nahöstlichem Hintergrund. Im Allgemeinen verlaufen die Beziehungen in der Hausgemeinschaft jedoch weitestgehend harmonisch. [vgl. Interview SP] SP kommt in der Hausgemeinschaft als mehrfacher Eigentümer, Vermarkter und Bewohner eine Sonderrolle in der Haus- und Eigentümergemeinschaft zu. Diese begründet sich darin, dass er sich vor einigen Jahren aus freien Stücken der Vermarktung des Mundsburg-Wohnturmes als Ganzes angenommen hat. Aufgrund seiner mehreren Rollen in Verbindung mit dem Mundsburg-Apartmentturm bezeichnet er Abb. 53 Aussicht vom Dach des Mundsburg-Apartmentturms

sich selbst humorvoll als ›Mädchen für alles‹. Da viele der Eigentümer_innen selbst eher im Hintergrund bleiben möchten und aufgrund seiner guten Beziehungen, die er mit einigen Angehörigen der Eigentümergemeinschaft pflegt, wurde ihm in einigen Fällen die Verwaltung der Wohnobjekte übertragen. [vgl. ebd.] Auch im Rahmen der jährlich stattfindenden Eigentümerversammlung hat er eine Funktion im von der Eigentümergemeinschaft gewählten Beirat inne. Da er die Interessen für einige Ko-Eigentümer_innen mitvertritt, wurden ihm in der Folge auch Stimmrechte übertragen, weshalb er Prozesse in einem gewissen

In der Eigentümerversammlung entscheiden alle ca. 150 Eigentümer der WEG [siehe Abschnitt WEG] über wichtige Belange des Hauses. Dies umfasst bauliche Veränderungen, Reparaturen und andere aktuelle Tagesordnungspunkte. Auch der Beirat wird in diesem Rahmen gewählt.

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Maß auch bündeln und – wenn auch limitiert – steuern kann. Eine weitere Zuständigkeit fällt ihm mit der Betreuung der offiziellen Webseite des Mundsburg-Wohnturmes zu, dessen Idee ebenfalls von ihm stammt. Von Eigentümer_innen-Seite wird diese bündelnde Funktion weitgehend positiv im Vergleich zu vormaligen Verhältnissen betrachtet. [vgl. ebd.] Das Ehepaar B. dazu: »Jährlich ist eine Eigentümerversammlung. [...] Da werden von der Verwaltung Wenztel Themen eingebracht: die üblichen, wie Entlastungen und die Beiratswahl. Früher war es sehr zersplittert, alle haben durcheinander geredet oder sich fürchterlich aufgeregt und jetzt ist es mehr gebündelt, dadurch dass es eben diese Internetseite von Herrn SP gibt und er die Menschen, die er vermittelt hat über seine Internetseite auch als Bevollmächtigter vertritt, sodass also die Entscheidungen gebündelter sind.« [Interview Ehepaar B]

In den 90er Jahren unternahm zuvor ein Kieler Augenarzt, selbst mehrfacher Eigentümer im Mundsburg-Wohnturm, den Versuch einer tiefgreifenden Umgestaltung der gesamten Mundsburg-Anlage einschließlich des heutigen Mundsburg-Centers sowie der technischen und juristischen

Abb. 54 Mundsburg-Apartmentturm und Büroturm

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Trennung selbiger, übernahm sich jedoch angesichts der Kosten und scheiterte letztendlich mit seinem Vorhaben. Der Hausgemeinschaft sicherte er in diesem Zuge mehrere Modernisierungsarbeiten zu, die jedoch nie umgesetzt wurden.

Rechtliche Grundlagen einer Wohnungseigentümergemeinschaft Die 175 Wohnungen des Mundsburg-Apartmenthochhauses sind im Besitz von circa 150 Eigentümer_Innen. Sie gelten als Ko-Eigentümer_innen, die in einer ›Wohnungseigentümergemeinschaft‹ [WEG] nach dem ›Wohnungseigentumsgesetz‹ organisiert sind [WoEigG]. Hierzu gehört auch das ›Teileigentum‹, welches als »Sondereigentum an nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen eines Gebäudes in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum, zu dem es gehört« [WoEigG §1 Abs. 2], definiert ist. Tiefgaragen-Stellplätze zählen beispielsweise zum Teileigentum. Die WEG gilt als unauflöslich [WoEigG §11]. Nur wenige Sonderfälle lassen eine Auflösung zu: »Eine abweichende Vereinbarung ist nur für den Fall zulässig, daß das Gebäude ganz oder teilweise zerstört wird und eine Verpflichtung zum Wiederaufbau nicht besteht.« [ebd.] Die Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums werden auch gemeinschaftlich geteilt, hierzu ist jede_r Eigentümer_in verpflichtet. So werden Kosten für die Instandhaltung und -setzung sowie Verwaltungskosten den Anteilen entsprechend aufgeteilt. [vgl. WoEigG §16] Um unter anderem solche kleineren, oft anfallenden Instandhaltungsmaßnahmen effizient zu bearbeiten, braucht es eine Verwaltung mit entsprechender Berechtigung. [vgl. WoEigG §27 Art.2] Die Verwaltung kann von der WEG selbstständig übernommen werden. Die Einheitsgröße der WEG des Mundsburg-Apartmentturms macht jedoch die Bestellung eines privaten Verwalters [WoEigG §29] sinnvoll. Im Falle der Mundsburg ist es die Immobilienverwaltung Dr. Wentzel mit Sitz in Hamburg. Neben den typischen administrativen und buchhalterischen Aufgaben wird die Einberufung der Eigentümerversammlung mindestens einmal im Jahr vom Verwalter übernommen. Die Versammlungs-Statuten sind dabei im Paragraph 24 des Wohnungseigentumsgesetz [WoEigG §24] festgeschrieben. In der Verwaltungsstruktur kann, wie im Fall Mundsburg, auch ein Verwaltungsbeirat [WoEigG §29] auf Bestellung hin tätig werden. Dieser besteht »aus einem Wohnungseigentümer als Vorsitzenden und zwei weiteren Wohnungseigentümern als Beisitzern« [ebd.]. Seine Rolle wird im Gesetz weniger als Mediator zur Hausgemeinschaft, sondern als ›Unterstützung des Verwalters‹ festgelegt. [WoEigG §29 Art.2] SP, der uns als Interviewpartner zur Verfügung stand, ist Mitglied des Verwaltungsbeirats.

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»Dann gibt es für die Zeit in der Nacht eine Sperre der Türen [die hinter den Klingelschildern auf denen keine Namen, sondern nur Apartmentnummern stehen]. Also man kann dan nicht durch Knopfdruck wie sonst die Tür aufmachen. Das ist ein Nachteil wenn Notfälle sind. Man muss also selbst unten zu Tür gehen um diese zu öffnen. […] Es ist nicht ideal gelöst!« (15:00 - 15:53 – Herr und Frau B) »Also im Grunde genommen bis auf uns, wir haben ja nichts zu verheimlichen, unser Name steht da wo wir ihn brauchen. Also das ist ein ganz großer Fehler – hier unangemeldet zu wohnen ist tatsächlich möglich.« (16:57 - 18:04 – Frau B) Abb. 55 Klingelanlage des Mundsburg-Apartmentturms

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»Also da gibt es ja die finanzielle Determinante, aber auch die Lage natürlich. Da wir also gerne so innenstadtnah wohnen [...] und das sollte so nach heutigen Maßstäben auch kein Bau aus den 50er Jahren sein, sondern schon auch so 70er oder später. [...] Man sollte sich nicht beirren lassen durch das Gerede der anderen, die so austarieren wollen, dass sie die besseren sind und noch was Besseres haben. ›Sie in ihrer Betonwüste und ich in meinem schönen Häuschen.‹ – Da sollte man nicht drauf hören, sondern das machen, was man selbst für richtig hält.« [Ehepaar B.]

»Wir haben also nicht den Wunsch ins Grüne zu gehen, wir wollen unsere Familie nicht vergrößern und wir möchten gerne mitten im Leben sein.« [Interview Herr B]

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Abb. 56 Blick auf das ›ErnstDeutsch-Theater‹ aus dem Fenster des Ehepaars B im Mundsbur Apartmentturms, Herbst 1986. Die Fahnen, die früher auf dem Dach aufgestellt waren, repräsentierten die Nationalitäten der im Haus lebenden Bewohner.

Luxusaspekte der Bewohnenden Werden die Bewohnenden danach gefragt, welche Aspekte sie ganz besonders an ihrem Leben im Mundsburg-Apartmentturm schätzen, wird mehrfach auf die schwer zu übertreffende Einbettung in eine äußerst vielfältige Infrastruktur von Einkaufsmöglichkeiten, [öffentlicher] Verkehrsmittel, kultureller Angebote, medizinischer Versorgung [das UKE ist nicht weit entfernt] sowie die umfangreichen Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten verwiesen. Insbesondere für ältere Bewohnende wie das Ehepaar B. ist es eine große Erleichterung, alles fußläufig erreichen zu können und nicht jeden Tag das Gebäude verlassen zu müssen. Auf die Frage, ob sie ihre Wohnung heute gegen eine beliebige andere in Hamburg tauschen würden, entgegnet Herr B.: »Also da gibt es ja die finanzielle Determinante, aber auch die Lage natürlich. Da wir also gerne so innenstadtnah wohnen [...] und das sollte so nach heutigen Maßstäben auch kein Bau aus den 50er Jahren sein, sondern schon auch so 70er oder später. [...] Man sollte sich nicht beirren lassen durch das Gerede der anderen, die so austarieren wollen, dass sie die besseren sind und noch was Besseres haben. ›Sie in ihrer Betonwüste und ich in meinem schönen Häuschen.‹ – Da sollte man nicht drauf hören, sondern das machen, was man selbst für richtig hält.« Hieraus wird jedoch auch deutlich, wie stark die subjektive Sicht der Bewohnenden, die sich aus persönlichen Beweggründen bewusst für ein Leben im Mundsburg-Apartmentturm entschieden haben, von der Außenwahrnehmung abweichen kann. Der Luxus, den beispielsweise das Ehepaar B. im Mundsburg-Turm erlebt und empfindet, wird bei Weitem nicht von jedem auf das Wohngebäude projiziert. Das Ehepaar ist darüber hinaus besonders begeistert von dem kulturellen Angebot wie z. B. dem ›Ernst-Deutsch-Theater‹, das genau auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt und von ihrem Fenster

Sie passen den Vorstellungsbeginn immer genau ab, indem sie von ihrem Fenster aus beobachten, wann sich die Besucher_innen in das Theater hinein begeben.

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aus im sechsten Stock zu sehen ist. Beide wollen nicht auf die Möglichkeiten verzichten, die ihnen das innerstädtische Leben bietet. Auch das Gefühl von Sicherheit, das die belebte Atmosphäre in und um den Mundsburg-Turm herum erzeugt, ist ihnen in diesem Zusammenhang wichtig. [vgl. ebd.] Gelobt wird auch der Umgang innerhalb der Hausgemeinschaft, der von gegenseitiger Höflichkeit geprägt sei. Herr B. hebt in diesem Kontext besonders positiv die »Selbstverständlichkeit des Wohnens« [Interview Ehepaar B.] hervor: Sie schätzen die Balance aus distanzierter Höflichkeit und gewahrter Privatsphäre, bei der sich jedoch zu keinem Zeitpunkt das Gefühl der sozialen Isolation für sie persönlich einstelle. [vgl. ebd.] Als weiterer zentraler Faktor ist die Aussicht aus dem Wohnturm anzuführen, die dem Betrachtenden selbst in den unteren Stockwerken eine über das Stadtbild erhabene Perspektive gewährt. So ist der Ausblick meist auch die allererste Assoziation beim Anblick des hochragenden Mundsburg-Apartmentturmes. Allerdings scheint die Setzung von Interessenschwerpunkten teilweise kulturell bedingt zu sein. SP teilt in diesem Zusammenhang seine Erfahrung aus der Arbeit als Vertriebler: »Es steht und fällt natürlich alles mit der Aussicht - besonders bei den Leuten aus der westlichen Hemisphäre. Die mieten und kaufen natürlich insbesondere über die Aussicht und Höhe. [...] Das ist bei den ausländischen Interessenten interessanterweise gar nicht so, also alles was so aus der persischen Ecke da so kommt – auch bei den Asiaten. Die sind gar nicht so auf den Blick über Hamburg, über die Alster abonniert, sondern die wollen einfach die Integrität [...]. Die wollen da einfach wie gesagt autark ihr Ding da durchziehen und schätzen hier eben die Infrastruktur. Das ist natürlich unser großer Pluspunkt [...], hier ist alles fußläufig zu erreichen. Du kannst mit Badeschlappen und kurzer Hose ins Kino gehen und alle anderen stehen da in Pelzmänteln.« [Interview SP] Ein Teil der Bewohnenden hat sich mit der Entscheidung, sich eine Wohnung in dem Gebäude zu kaufen, einen Traum erfüllt. Für sie bedeutet das Wohnen im Mundsburg-Wohnturm eine Mischung aus der anhaltenden persönlichen Faszination und einem zum Alltag zugehörigen Gefühl des Zuhause-Seins. Dieses lässt sie auch über vereinzelt auftretende Probleme oder negative Aspekte marginalerer Natur hinwegsehen und ändert nichts an der allgemeinen Zufriedenheit mit ihrer Wohnsituation. So meint SP über sich selbst: »Mir war es wichtig dass ich zu Hause bin, wenn ich wirklich durch den Hauseingang durch bin und nicht wenn ich durch ein Graffiti beschmiertes Treppenhaus mich gekämpft habe oder 56

ich mit nem zerkratzten Fahrstuhl auf meine Etage gefahren bin, sondern ich wollte wirklich schon unten dann zu Hause sein [...]. [...]Eigentlich wollte ich hier ja mal mit den Füßen zuerst raus, das war ja so der Masterplan.« [Interview SP] Auch das alteingesessene Ehepaar B. bereut den Kauf ihrer Wohnung bis heute nicht: »[...E]s hat sich aus unserer Sicht gelohnt das Geld investiert zu haben, sowohl von dem Sozialen her, als auch von dem Kulturellen, von der Geldanlage her – von unserer Zufriedenheit her.« [Interview Ehepaar B.] Dass der Mundsburg-Wohnturm zu einer Art ›Liebhaberstück‹ über die Zeit gewachsen ist, beweisen auch die vermehrten Filmproduktionen, die bereits in den Innenräumen des Gebäudes stattgefunden haben – allen voran die Hamburger ›Tatort‹-Reihe mit dem Schauspieler Mehmet Kurtuluş.

Abb 57 Blick auf die U-Bahnstation ›Mundsburg‹ von dem Apartment des Ehepaars B. Abb 58 Weihnachtsbäume auf dem Dach des Mundsburg-Apartmentturms, Dezember 1986. Eine ehemalige Tradition, die es heute nicht mehr gibt.

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Problemlage des Mundsburg-Apartmentturms

Dies war auch für uns selbst bei unserem Feldbesuch im ›AirBnB‹Apartment deutlich wahrnehmbar.

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In Anbetracht der stetigen Nutzung des Mundsburg-Wohnturms bleiben ein gradueller Verschleiß sowie damit einhergehende Komplikationen nicht aus. Auch aus einer derart umfangreichen und diversen Hausgemeinschaft ergeben sich an mancher Stelle und in einigen Situationen zwangsläufig Konflikte. In diesem Sinne hat ein Zusammenspiel von Faktoren – einige mit mehr, andere mit weniger direkter Relevanz oder Auswirkung sowie einige langfristige und schleichende, andere eher unmittelbare und kurzfristige – dazu beigetragen, dass sich der Mundsburg-Apartmentturm aktuell an einem kritischen Scheidepunkt seiner Entwicklung befindet. Dessen Richtung und ihr weiterer Verlauf sind daher bislang noch nicht vollkommen gewiss. [vgl. Interview SP] Da wären zunächst die üblichen Alltagsprobleme, die unspezifisch für jedes beliebige Wohnhaus gelten können: Dazu zählt unter anderem der in den Wohneinheiten äußerst präsente Straßen- und Verkehrslärm der von der untenliegenden Hauptverkehrs-Kreuzung hochdringt. Die sich aus der vermehrten kurzfristigen Vermietung der Wohneinheiten ergebende, hohe Fluktuation der Bewohnenden-Struktur im Haus schlägt sich sowohl ästhetisch in den unterschiedlichen Ausstattungsund Einrichtungsstilen in den Wohnungen als auch in der baulichen Substanz des Wohnturms nieder. Die Renovierungsarbeiten der verschiedenen Bewohnendengenerationen hinterlassen oft Spuren und Schäden und sorgen darüber hinaus für eine oft als störend empfundene Geräuschkulisse im Haus, da die Wohneinheiten über die Leitungen miteinander verbunden sind. Gleichzeitig sind neue Käufer_innen und Eigentümer_innen mit fortschreitender Wohnnutzung des Gebäudes dazu angehalten, die Heizungsrohre gleich mit zu sanieren, wenn sie Modernisierungsarbeiten in der Wohnung durchführen. [vgl. ebd.]

Mitverantwortlich für die fluktuierende Hausgemeinschaft ist des Weiteren die in den vergangenen Jahren stark zugenommene Fremdvermietung der kleinen Apartmenttypen 2, 5 und 7 über ›AirBnB‹ und andere Anbieter. Diese Entwicklung wird seitens des Ehepaars B. als starker Nachteil betont, da die Wohnungsgäste häufig Dreck und Abfall am hausinternen Müllschlucker hinterließen und sich wenig an die Gepflogenheiten des Hauses halten würden. So werden die Ein-Zimmer-Wohnung gar als eine »Wunde« oder »Unterbrechung« empfunden. [vgl. Ehepaar B.] Die Unübersichtlichkeit, die sich mit dem fliegenden Wechsel von Hausbewohnenden einstellt, hat dem Mundsburg-Turm verstärkt in den 80er Jahren gar zu dem zweifelhaften Ruf und Spitznamen ›Nuttenbunker‹ verholfen, als sich zeigte, dass vereinzelte Apartments im Mundsburg-Wohnturm verstärkt für das Rotlichtgewerbe zweckentfremdet wurden: »[Und das mit dem horizontalen Gewerbe, das hat sich in den 80ern dann mal eingeschlichen, deshalb gab es ja dann diese Pförtnerposition. Das ist auch in den Jahren immer mal wieder aufgekommen. Da gab es dann so eine Webseite da stand dann: Kommen sie bitte zum Mundsburg-Turm und klingeln sie bei ›Traum‹. Man kriegt das ja dann relativ schnell mit. [...] Der letzte Fall, der mir bekannt ist, war 2003.« [Interview SP] Entgegen den für die Entwicklung des Mundsburg-Wohnturmes weniger schwer wiegenden Reibungspunkten auf der sozialen Ebene der Hausgemeinschaft bestehen allerdings weitaus gravierendere Komplikationen, was den baulichen Zustand des Hauses betrifft. as mitunter größte Problem stellt in diesem Zusammenhang die brüchige Betonfassade dar, die dringend sanierungsbedürftig ist. Spürbar für die Haus-Bewohnenden ist dies vor allem bei starken Regenfällen, wenn das Wasser durch die undichten Fensterrahmen dringt. Auch die brüchigen Eisenrohre verursachen regelmäßig an unterschiedlichen Stellen des Hauses Wasserschäden. Das Ehepaar B. räumt in diesem Zuge gar ein, dass sie schon öfter ihrem Besuch bei sich in der Wohnung wegen der Situation in ihrer Wohnung absagen mussten: »Aber wir wollen auch nicht verschweigen, das kann man auch ruhig sagen, manchmal sagen wir es soll keiner kommen, weil wir wieder unendlich irgendwo Wasserschäden haben. Oder diese ewigen Verschmutzungen vorm Haus. Also es ist relativ schmutzig bei uns. Und da sind wir manchmal ein bisschen zurückhaltend, ob wir sagen: Ne, jetzt lassen wir lieber mal niemanden kommen. Es ist zu unangenehm. [...] Gravierende Wasserschäden hatten wir schon oft! Von oben, von rechts, von links [...]. Da hätte man keinen Besuch mitbringen können.« [Interview Ehepaar B.] Weitere störende 59


Siehe Buch I: Begrifflichkeiten

Der Versicherer hat bereits oft gewechselt und es ist nur eine Zeitfrage, wie lange der aktuelle Versicherungsschutz die schadhafte Fassade noch mit abdeckt.

Nebeneffekte sind die unangenehmen Gerüche, die sich durch die alten Abwasserrohre und den damit zusammenhängenden, zusätzlichen Schäden in den Wohnungen ausbreiten. Wahrnehmbar war dies auch bei unserem Feldbesuch. Neben der rein physischen Wahrnehmung sind dabei olfaktorische wie auch die optisch-ästhetischen Wahrnehmungen des an-einemOrt-Seins doch ebenfalls maßgebliche Faktoren, die das Wohngefühl mitdefinieren. [vgl. Fromm 2008: 65] Damit eng verbunden ist zudem die Tatsache, dass das Hausgeld Jahr für Jahr exponentiell steigt, da die Versicherungsbeiträge immer weiter in die Höhe getrieben werden. Um die Fassade ist es aktuell so schlecht bestellt, dass fraglich ist, wie lang der Versicherungsschutz überhaupt noch vom aktuellen Versicherer ›Allianz‹ gewährleistet werden kann. [Interview SP] In diesem Zusammenhang wurde deshalb eine Abstimmung über eine Fassadensanierung in der nächsten Eigentümerversammlung angesetzt. Der zentrale Knackpunkt bei der Abstimmung ist allerdings die Zahlungsfähigkeit einzelner Eigentümer_innen, mit der jedoch der weitere Fortbestand des Mundsburg-Turmes steht und fällt. Wird die notwendige, absolute Mehrheit nicht erzielt, kann der Mundsburg-Apartmentturm sukzessive nicht weiter in Stand gehalten werden, was gravierende Folgen für die gesamte Baustruktur sowie die Hausgemeinschaft hätte.

Abb. 59 [rechts] Aufzuganlage in der Technischen Etage Abb. 60 [unten] Ausblick vom Dach des Mundsburg-Apartmentturms

Siehe Buch IV: Szenario A; B

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Mundsburg heute 24 Stunden in Apartment 10/5 »Was die […] Aussicht angeht, werden wir nicht enttäuscht: Es ist erstaunlich hell in dem Zimmer und die Abendsonne kreiert eine […] wohnliche Atmosphäre des abendlichen Ankommens und Zuhause-Seins. Dass man direkt an einer Hauptverkehrsader und –kreuzung wohnt, vergisst man ob der stark vernehmbaren Geräuschkulisse wohl nie im Mundsburg-Turm – dafür sind die heulenden Motoren, Sirenen und knatternden Motorräder akustisch zu präsent. Die Stadt und die dichte Infrastruktur, in die die Mundsburg-Türme verwoben sind, ragt buchstäblich durch die Fenster in die Wohneinheiten. Vergisst man sie zu schließen, nimmt man sie sogar mit in den Schlaf.« [vgl. Dichte Beschreibung, Feldbesuch Mundsburg-Apartmentturm, 18.07.2017] Abb. 61 Zeichnung des Apartments 10/5

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Gestern Abend gegen halb sieben überquere ich mit meinem Fahrrad die vom abendlichen Berufsverkehr belebte Kreuzung an der Hamburger Straße, die von den Mundsburg-Türmen schon aus weiter Ferne sichtbar überragt wird. Heidrun, Eva, Julia und Petra sind bereits in die vorher auf ›AirBnB‹ reservierte Wohnung – die eigentlich nur eine Maximalbelegung von 2 Personen zulässt – eingecheckt und somit bin ich die Letzte, die sich noch für den nächtlichen Feldbesuch des Mundsburg-Wohnturms an dem Concierge im Eingangsfoyer vorbei stehlen muss. Nachdem ich im vorangegangenen Interview mit dem Co-Eigentümer SP bereits erstaunlich viel über die Lage, Ausstattung, Eigenschaften und individuellen Stadtpanoramen Abb. 62 [oben] Der Weg zum Wohntumr der einzelnen Apartmenttypen gelernt habe, fahre ich dem Wohnturm mit einer Mischung aus Vorfreude und Anspannung entgegen. Mein Fahrrad schließe ich an einer der am Gehwegrand aufgereihten Eisenstangen an. Dabei fühle ich mich leicht von einem Sprinter Fahrer beobachtet, der sein etwas heruntergekommenes, schlecht mit rostroter Farbe lackiertes Fahrzeug direkt neben dem Gehweg geparkt hat und offenbar auf irgendwen oder –was wartet. Direkt vor meinem Blickfeld räumt ein Paar gerade Einkäufe aus ihrem schwarzen Kleinwagen. Sie sehen nach Feierabend aus. Ich bewege mich in Richtung Eingangstür des Mundsburg-Centers, das ich durchqueren muss, um in das Foyer des Wohnturmes zu gelangen. Direkt neben jenem liegen ein Nagelstudio, ein kleiner Schlüsseldienst-Stand und wenige Schritte weiter ein ›Penny‹Markt. Schon bereits bei meinen vorigen Feldbesuchen und –erkundungen rund um den Mundsburg-Wohnturm kam mir der Gedanke, dass das Ensemble an Einkaufsmöglichkeiten eher an ›Otto-Normalverbraucher‹ als an Luxus-Shopping erinnert. Würde im direkten Wohnumfeld eine Bewohnerstruktur mit gehobenen Konsumansprüchen leben, würde man genau an dieser Stelle wohl eher einen erstklassig sortierten Edeka-Markt mit exklusiver Produktpalette vorfinden als sich zusammen mit gestressten Feierabendeinkäufer_in64

nen an Discounterregalen mit Schnäppchenangeboten vorbeizuschieben. Ich kaufe Croissants, Aufstrich und etwas zu trinken und stelle mich in einer der beiden langen Kassenschlangen an. Vor und hinter mir legen Student_innen, Angestellte [vorwiegend Singles], ältere Damen oder Mütter ihre Einkäufe auf das Beförderungsband – einige davon mit großer Wahrscheinlichkeit auch der Bewohnerschaft des Mundsburg-Towers zugehörig. Ich zahle und steuere durch den Gang des Mundsburg-Centers das Eingangsfoyer des Wohnturmes an. Unsicher, ob ich ohne Kommentar und kritischer Nachfrage von Seiten des Concierges durch die Eingangshalle komme, strebe ich rasch und zielstrebig die beiden Aufzüge an. Mein Glück ist wohl, dass sich in diesem Moment eine elegant gekleidete, ältere Bewohnerin und ein jüngerer Mann vom Typ IT-Student / Systemiker ebenfalls auf den Fahrstuhl in Richtung Wohnetage wartend im Foyer aufhalten. Der in die Jahre gekommene Concierge mit Hemd und Neunziger-Jahre-Schlips – leicht entschleunigt in seiner Reaktionsfähigkeit – wirkt von dem Personenaufkommen überfordert und so stehle ich mich in den sich gerade öffnenden Aufzug und entgehe einer unangenehmen Konfrontation bzw. Rechtfertigungssituation. Obwohl Fahrstuhlsituationen generell nicht eines gewissen Gefühls der sozialen Beklemmung entbehren, ist die Atmosphäre weder unentspannt noch habe ich als Studentin das unangenehme Gefühl, aus dem Sozialraster des Hauses zu fallen. Im Hintergrund läuft anstelle von Musik gedämpft ein Radiosender, der gerade Hamburger Lokalnachrichten ausstrahlt. Im 10. Obergeschoss lande ich in weniger als 15 Sekunden. Ich verabschiede mich von den verbleibenden Fahrstuhlinsassen und betrete den hell marmorierten Flur des Stockwerks, das in regelmäßigen Abständen von mahagonifarbenen Wohnungstüren eingegrenzt wird. Er ist geräumig, quadratisch geschnitten und wirkt gepflegt – beinahe etwas hoteliesk. Der Flur wird hell beleuchtet, was ihm ohne wirklich stattfindenden Personenverkehr eine gewisse Verlassenheit beigibt. Er wirkt abgeschirmt von den Mikrowelten, die sich hinter jeder Wohnungstür abspielen.Neben jeder Apartmenttür ist eine glänzende Plakette mit der jeweiligen Bezeichnung der Wohneinheit an der Wand angebracht. Wo man sonst den Namen der Bewohnenden liest, findet sich stattdessen die entsprechende Wohnungsnummer eingraviert. In meinem Falle mache ich die ›10/5‹ ausfindig und klopfe, bis mir die Komilitoninnen Eintritt gewähren. Vom schmalen Flur mit hellbraunem Teppich gehen direkt drei Türen mit 65


Bad, Küchenzeile und Wohn-/ Schlafzimmer ab. Das Bad ist mit urspsprünglichen blau-gewolkten Fliesen gekachelt und damit dem Stil der siebziger Jahre ebenso originalgetreu wie die Küchenzeile mit ihrer dunkelgrün gesprenkelten Fliesenverkleidung und den mahagonifarbenen Lamellenschrankwänden. Der Größe nach genügen alle Räume gerade so den Grundansprüchen eines Einpersonenhaushaltes – was verhältnismäßig jedoch durch den Fakt der Anwesenheit von fünf Personen gerade ausgehebelt wird. Die Decken hängen tief und spannen einen geometrischen Raum nicht höher als 2,50 Meter auf. Betritt man das Wohnzimmer, so eröffnet sich einem direkt der Ausblick durch die großzügige Fensterfront auf die Hamburger City Süd. Die Einrichtung umfasst ein Ikearegal, einen Esstisch, einen Fernsehschrank mit Flachbildschirm sowie einen Einbau-Kleiderschrank, der augenscheinlich ebenfalls zur Originalausstattung gehört. Hinzu kommt eine überdimensional große Schlafcouch in anthrazit-melierter Tweed-Optik. Das Bücherregal beinhaltet auffällig viel russische Literatur sowie einige Dekorationselemente wie eine handbemalte Porzellan-Mini-Schildkröte, ein Fantasie-Männchen aus Metall und einen offenbar recycelten Modellhubschrauber, die allesamt offenbar vom Eigentümer platziert wurden. Was die vorhandene Technik betrifft, befindet sich alles auf einem Durchschnittsstand der heutigen Zeit: Plasmabildschirm, Cerankochfeld, Wasserkocher, Toaster und ein Siebträger-Kaffeeautomat der Marke ›DeLonghi‹. Lediglich die Rahmenelemente des Apartments fallen ein wenig aus der Zeit, wie die Fensterrahmen und die leicht bräunlich abgetönten Scheiben, die AuslegAbb. 63 [oben] Wohnzimmer Abb. 64 [unten] Küche Abb. 65 [rechts] Badezimmer

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ware, die Fliesen oder die Tapete. Was die zuvor bereits im Interview mit SP betonte Aussicht angeht, werden wir nicht enttäuscht: Es ist erstaunlich hell in dem Zimmer und die Abendsonne kreiert eine außergewöhnlich wohnliche Atmosphäre des abendlichen Ankommens und Zuhause-Seins. Dass man direkt an einer Hauptverkehrsader und –kreuzung wohnt, vergisst man ob der stark vernehmbaren Geräuschkulisse wohl nie im Mundsburg-Turm – dafür sind die heulenden Motoren, Sirenen und knatternden Motorräder akustisch zu präsent. Die Stadt und die dichte Infrastruktur, in die die Mundsburg-Türme verwoben sind, ragt buchstäblich durch die Fenster in die Wohneinheiten. Vergisst man sie zu schließen, nimmt man sie sogar mit in den Schlaf. Auch der anbrechende neue Tag wird eingeläutet von der Geräuschkulisse des geschäftigen Berufsverkehrs. Autos hupen, Polizei- und Feuerwehrwagen heulen die Hamburger Straße entlang, Busse schnaufen, Bremsen quietschen, Motoren rauschen. All diese Geräusche verfangen sich auch bis in die höheren Stockwerke in den offenen Fenstern. Die Gastwohnung bietet alle Voraussetzungen, seine morgendlichen Rituale durch zu exerzieren. Nacheinander benutzen wir das Bad. Zum Duschen im Wannenbad bekommt man in Sekundenschnelle Warmwasser. In jeder Ecke sind – passend zur blau-gewolkten Kachelgarnitur – blaue Konsolen, Abstellbretter und Haken angebracht und auch ein großzügiger Heizkörper, der durch seine weiß gemusterte Verkleidung ebenfalls wie Originalausstattung aus den Siebziger Jahren wirkt, ist im Badezimmer vorhanden. Wir bereiten Kaffee und Obst zum Frühstück vor und setzen uns gemeinsam an den massiven, dunkelbraun gebeizten Holzesstisch. Es ist bald 12 Uhr – Zeit für unseren Checkout aus der mondänen Mundsburg-Wohnung mit der augenfälligen Luxus-Patina der Siebziger Jahre. Wir packen unsere Taschen zusammen, werfen noch einmal einen Blick über den marmorierten Fenstersims durch die Scheibenfront. Man kann die Wolken am Himmel beobachten, wie sie sich langsam über die Stadt schieben. Es wird ein warmer Tag.

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Mundsburg heute Akteursnetzwerk

»Da ›Akteur‹ im Englischen (wie auch im Deutschen) oft auf Menschen beschränkt ist, wird manchmal das aus der Semiotik entlehnte Wort ›Aktant‹ verwendet, um nichtmenschliche Wesen [...] in die Definition mit einzubeziehen.« Latour 2002: 372

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Nach dem ausführlichen Gespräch mit SP [vgl. Interview SP] erschlossen sich uns viele Zusammenhänge, wie die einzelnen Akteure um den Mundsburg-Apartmentturm zusammenhängen und welche Wirkungsmacht sie innehaben. Diese Informationen werden auf den folgenden Seiten in einem Akteursnetzwerk in Beziehung gesetzt. Mitgedacht werden auch hier im Sinne der ›Akteurs-Netzwerk-Theorie‹ die »stillen Aktanten«, also nicht-menschliche Formen, die im Handlungsgefüge Aktionen beeinflussen oder einschränken. Hier kann beispielsweise an Gesetzesvorschriften gedacht werden, die vom Bauamt auf ihre Einhaltung hin überprüft werden.

Abb. 66 [linke Seite] Antennen auf dem Dach des Mundsburg-Wohnturms

Abb. 67 [rechte Seite] Klingelanlage im Eingangsbereich des Mundsburg-Wohnturms

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Garten, Kahl & Bargholz Architektengemeinschaft

Entwurf

Spranger & Büll Immobilien- und Projektentwickler

Austausch bezüglich illegaler Vorgänge im Gebäude

Verkauf an KoEigentümer in den 70er Jahren

Teileigentümergemeinschaft Ko-Eigentümer_innen

Ko-Eigentümer_innen

Ko-Eigentümer_innen

SP

Prof. Utov ehemaliger Ko-Eigentümer und Besitzer 60 Wohnungen

_ Temporär in Hamburg lebende und arbeitende Geschäftsleute z.B. Angestellte für Konzerne wie Siemens, Versicherungskonzerne, IT-Unternehmen

Beiratsmitglied in leitender Funktion

Enges Vertrauensverhältnis

_ Junge Paare (kinderlos) _ Mediziner_innen in Ausbildung aus der ›MENA-Region‹

Zuständig für bauliche Modifikationen

_ Wenig Studierende

Beirat

z.B. von Privatakademien, oft international

_ Ältere Erstbewohner_innen Allianz Versicherung zuvor andere Versicherer

_ Ko-Eigentümer aus dem Ausland

Versichert den Wohntrum

häufig aus der MENA-Region, Gesundheitstouristen des UKEs)

Mundsburg-Center ›alstria‹

Bewohnerstruktur Angestelltenverhältnis

Leitet und organisiert

Jährliche Eigentümerversammlungen

Bauamt

Mundsburg Türme

Vermarktung und Verwaltung eigener sowie von Wohnobjekten weiterer Ko-Eigentümer

Ko-Eigentümer

175 Wohneinheiten verteilen sich auf circa 150 Eigentümer 50 % davon werden fremdvermietet

Abstoß der Anteile 1996

Polizei

Eigentümer

Büro-Turm

Servicepersonal Technische Verzahnung

_ Pförtner (zwei ältere Herren) _ Reinigungskraft ›Rosie‹ _ Hausmeister ›Herr Mommsen‹

Abb. 68 Akteursnetzwerk Mundsburg

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SP ist ein zentraler Akteur für unsere Forschung zu den Mundsburg Türmen gewesen. Er selbst nimmt eine Mehrfach-Rolle ein: Er ist selbst Besitzer & Bewohner [seit 1988] sowie Vermieter im Appartment-Turm; außerdem ist er Verwaltungsbeirats-Vorsitzender der Wohnungseigentümergemeinschaft [WEG], darüber hinaus betreibt er ein Makler-Gewerbe und vermittelt für Eigentümer Wohnungen im Appartment-Turm an Interessenten. In einem dreistündigen Interview, hat er uns relevante Informationen zum Mundsburg Komplex gegeben, insbesondere zu der Entwicklung der internen Organisationsstruktur und der baulich-technischen Veränderung der letzten Jahren. Daraus konnten wir die Basis für detailliertes Netzwerk aus Akteuren und Aktanten erstellen, welches wir mit unseren eigenen Beobachtungen und Recherchen ergänzt haben.

175 Wohnungen

50 %

50 %

150 Eigentümer_innen

Erstwohnsitz 15 bis 20 Parteien wohnen ›aktiv‹ im Wohnturm

72

75 %

selbstgenutzt

25 %

fremdvermietet

Zweitwohnsitz

Abb. 69 Apartmentstruktur Mundsburg

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Zwischenfazit Der Mundsburg-Apartmentturm am Wendepunkt III Mundsburg Einleitung Historischer Rückblick Umbau des ›Mundsburg-Centers‹ Architekturanalyse Baulicher Zustand Material & Textur Apartmenttypologie Mundsburg heute Medienanalyse damals und heute Leben im Mundsburg-Apartmentturm 24 Stunden in Apartment 10/5 Akteursnetzwerk Zwischenfazit

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Zur Frage, wie sich der Mundsburg-Apartmentturm in der in Buch I und II erarbeiteten Typologie des luxuriösen Wohnens mit seiner Entwicklung über mehr als vier Dekaden hinweg einordnen lässt sowie welche vorauszusetzenden Faktoren er bei genauerer Untersuchung hinsichtlich seiner potenziellen Fortentwicklung in naher Zukunft zu erkennen gibt, lassen sich einige zentrale Punkte nachfolgend zusammenfassen. Architektonisch, funktional und auch ästhetisch hat der Mundsburg-Wohnturm zur Zeit seiner Fertigstellung viele Kriterien des komfortablen Wohnens erfüllt: Von der Architektur aus Stahl und Glas, der technischen Ausstattung wie die Zentralheizung oder die Warmwasserversorgung, über den funktionalen Schnitt der Wohnungen, den Müllschluckern bis hin zur – für diese Ära so typische – Innenausstattung mit Schrankwänden und den satten Farben der 70er Jahre – der Mundsburg-Wohnturm setzte damals neue Standards eines mondänen und modernen urbanen Wohnverständnisses. Auch angesichts der exklusiven Lage mit Blick wahlweise auf die Alster, das Stadtpanorama oder aber ins Grüne stand der Turm anderen Luxus-Immobilien der Stadt in nichts nach. Dennoch zeigt sich in der Gesamtbetrachtung von den Anfängen bis heute, dass es eine entscheidende Abstufung der Qualitäten des komfortablen und des luxuriösen Wohnens gibt. Zwischen beiden Kategorien finden sich viele Schnittmengen. Jedoch lassen insbesondere die Geschichten wie Bewohner_innen zu ihren Wohnungen im Munsdburg-Wohnturm gekommen sind durchblicken, dass ein Wohnungskauf in diesem Haus nicht viel mit dem distinguierten, exklusiven Luxus-Gefühl zu tun hat, das einem heute durch aufpolierte Webseiten und Renderings vermittelt wird. So-

Der dem Normal-Verbraucher dienenden ›Penny‹-Discountermarkt war schon damals der dort vertretene Lebensmittelladen in der Einkaufspassage im Erdgeschoss.

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wohl für unseren Interviewpartner SP als auch für das Ehepaar B. war der damalige Kaufpreis ihrer Wohnung viel Geld. [vgl. Interview SP; Interview Ehepaar B.] Auch aus der Auswertung des Bildmaterials früherer Phasen des Wohnturmes geht hervor, dass die unmittelbar umliegenden Gewerbeflächen schon damals nicht dem Luxussegment entsprachen. Das Schwimmbad und die Sporthalle mit Sauna stellten ein für die damalige Zeit tatsächlich außergewöhnlich luxuriöses Serviceangebot direkt im Hausverband dar. Dennoch war dies auch für Externe zugänglich und erfüllte in diesem Sinne wohl eher die Funktion eines zentral gelegenen Sport- und Erholungsangebots für das Quartier als die eines exklusiven Angebots mit Eigentum-Charakter für die Wohngemeinschaft . Mit dem Umbau der Passage in das heutige Mundsburg-Center verlor der Mundsburg-Wohnturm einen weiteres Luxusmerkmal aus glänzenden Anfangszeiten.

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Da die Pförtner ihre Arbeit erst ab 16 Uhr aufnehmen, stellt es auch kein großes Problem dar, sich unbefugt Zutritt zu den Fahrstühlen und ins Innere des Wohnturmes zu verschaffen.

Abb. 70 Das Turmensemble an der Mundsburg

Zudem hat das Gebäude im Laufe der Zeit einen starken Wandel auf baulicher und sozialer Ebene durchgemacht. Die Struktur der Hausgemeinschaft hat sich seit den 70er Jahren immer mehr diversifiziert. Die beschriebene Nutzung der Wohnungen für das Erotik- und Prostitutionsgewerbe in einigen Fällen sowie die in den letzten Jahren vermehrte Vermietung speziell der Ein-Zimmer-Apartments als Ferien- bzw. ›AirBnB‹-Apartments wirkt sich eher mindernd auf die subjektiv wahrgenommene Wohnqualität einiger Bewohner_innen aus. Zwar sind die in Buch II ganz klar als Luxusaspekte identifizierten Faktoren der exklusiven Abgeschlossenheit und Distanz gegenüber der Außenwelt sind in Anbetracht des aufgewerteten und zu bestimmten Tages- bzw. Nachtzeiten kontrollierten Eingangsbereich zwar ansatzweise gegeben. Dennoch ist diese beispielsweise vor 16 Uhr leicht umgänglich und es besteht nach wie vor eine undurchsichtige Distanz zwischen der Lobby und den Wohnebenen. In diesem Zusammenhang gab es vor allem in den 90er Jahren auch Tiefphasen, in denen die Eigentümer_innen auch bei den Kaufpreisen einen starken Rutsch in die Tiefe verzeichnen mussten. Der zentralste identifizierte Aspekt für diese Untersuchung, der eine Einordnung des Mundsburg-Wohnturms in die in Buch I aus der Analyse hergeleitete Typologie des kontemporären Luxuswohnens schlichtweg nicht zulässt, ist jener des maroden baulichen Zustandes des Gebäudes – allen voran die leichte bis mittelschwer beschädigte Betonfassade, die bald auch eine Gefahr für den umliegenden Verkehrs- und Passantenverkehr darstellen könnte - und den damit einhergehenden zum Teil wesentlich einschränkenden Auswirkungen auf die Wohnqualität im Haus. Erschwerend hinzu kommt die nicht gesicherte finanzielle Absicherung im Falle eines Beschlusses für die dringend notwendigen Sanierungsarbeiten am Haus im Rahmen der Eigentümerversammlung Anfang September 2017. Hiermit deuten sich bereits 77


die relevanten harten Faktoren und Parameter an, die maßgeblich sind für die Entwicklung von Szenarien mit möglichen Handlungsspielräumen hinsichtlich der kurz- bis mittelfristigen Zukunft des Mundsburg-Apartmentturmes. Diese werden einleitend im nachfolgenden [Verweis auf Buch IV] erneut im Detail zusammengetragen. Die Tatsache jedoch, dass die Bewohnenden der Frage, ob sie immer noch gern im Wohnturm der Hamburger Straße 3 wohnen, nach wie vor entschlossen zustimmen, lässt den Schluss zu, dass es sich bei diesem Fallbeispiel zwar um einen längst verblichenen Glanz des Luxuswohnens im monetären, klar quantifizierbaren und typologisch einzuordnenden Sinn handelt. Dennoch rekurriert dies auf ein anderes, viel weiteres Verständnis von Luxus. So deutet die hier vorgenommene Analyse darauf hin, dass der empfundene Luxus stattdessen in sehr spezifischen Erwartungen und Wahrnehmungen besteht, die die Bewohner_innen in dem Mundsburg-Apartmentturm trotz aller baulichen Mängel und Störfaktoren erfüllt sehen – sei es ästhetisch/baulich oder sozial: z. B. wenn keine Kinder gewünscht sind oder wenn man Zentralität dem Leben im Grünen bevorzugt oder man trotz Ferienwohnungsvermietung trotzdem die spezielle Konstellation der Hausgemeinschaft wertschätzt. Prioritäten müssen besonders gesetzt sein, um das Leben im Mundsburg-Wohnturm subjektiv auf der Individualebene als luxuriös zu betrachten und trotz – teils mehr, teils weniger – einschränkender Faktoren an der Idee festzuhalten, dass das Gebäude wieder in einen bewohnbareren Zustand versetzt werden kann.

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Verzeichnis Buch III Literatur- & Abbildungsverzeichnis Alstria office REIT-AG [2017]. Mundsburg Center. https://www.alstria.de/ portfolio/projektentwicklung/mundsburg-center/ [20.07.2017]. Ehepaar B. [2017]. Interview mit Ehepaar B. vom 14.08.2017.

Schubert, Dirk [2010]. Hochhäuser in Hamburg - (noch) kein Thema? Geschichte, Gegenwart und Zukunft eines ambivalenten Verhältnisses. In:In: Rodenstein, M. [Hrsg.]. Hochhäuser in Deutschland. Zukunft oder Ruin der Städte. Stuttgart: Vieweg+Teubner Verlag, 231–254.

Falk, Bernd R. [1980] Zur gegenwärtigen Situation und künftigen Entwicklung der Shopping-Center in den westeuropäischen Ländern. In: Heineberg, H. (Hg.): Einkaufszentrum in Deutschland. Enwicklung und Forschungsstand und -probleme mit einer annotierten Auswahlbiographie. Münstersche Geographiearbeiten 5. Paderborn, 47-61.

Sitzung der Bürgerschaft: Einkaufszentrum Hamburger Straße [1966]. Vergabe der im Bebauungsplanbereich liegenden städtischen Grundstücke. Drucksachen Nr. 304. VI. Wahlperiode. Hamburg 23. November 1966. Hamburger Straße und Mundsburg-Center 102 Einkaufszentrum, 491f.

Freie und Hansestadt Hamburg [1968]. Ein Beispiel unkonventioneller Zusammenarbeit. Staatliche Pressestelle.

WoEigG. Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz).

Freie und Hansestadt Hamburg / Bezirk Hamburg-Nord [1966]. Bebauungsplan Barmbek-Süd 15. Maßstab 1:1000.

Abbildungsverzeichnis

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Abb. 1 Originalzeichnung des Architekten Werner Kahl des Mundsburgensembles Hamburgisches Architekturarchiv

Heggemann, Hedwig [o. J.]. Gerolf Garten & Werner Kahl. http://www. architekturarchiv-web.de/portraets/h-k/kahl/index.html [12.07.2017].

Abb. 2 Planung des Wohntums ›Hamburg Mannheimer‹ des Architekten Werner Kahl Hamburgisches Architekturarchiv

Latour, Bruno [2002]. Glossar. In: Die Hoffnung der Pandora: Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Frankfurt: Suhrkamp, 372-382. Mundsburg Broschüre [1973]. Verkaufsbroschüre. [o.A.] SP [2017]. Interview mit SP vom 13.07.2017.

Abb. 3 Mundsburg Apartmentturm aus einem Zeitungsartikel der 70er Jahre Kommerzielle Mundsburg-Broschüre Abb. 4-9 Originalbroschüre des Mundsburg-Apartmentturms aus den 70er Jahren Abb. 10 Originalpreisliste der Apartments im Mundsburg-Wohnturm, 1979 Freundlicher Weise von Ehepaar B. zur Verfügung gestellt

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Abb. 11-15 Zeitungsannoncen des Mundsburg-Apartmentturms 1970-1985 Freundlicher Weise von Ehepaar B. zur Verfügung gestellt

Abb. 45 Lobby des Mundsburg- Apartmentturms, 1975 bezogen von SP [Urheber unbekannt]

Abb. 16 Blick von der Rönnhaidbrücke auf die Baustelle des Mundsburg-Areals mitsamt des im Bau befindlichen Mundsburg-Centers [ehemals Neckermann-Warenhaus] Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg: Einkaufszentrum Hamburger Straße. Negativ-Kartei Nr. 85669/30a

Abb. 46 Lobby des Mundsburg-Apartmentturms, 1996 bezogen von SP [Urheber unbekannt]

Abb. 17-18 Computersimulation für den Umbau des Mundsburg-Centers aus der Informationsbroschüre für die Wohnungseigentümer. Freundlicher Weise von Ehepaar B. zur Verfügung gestellt

Abb. 48 Nachbarturm des Mundsburg-Apartmentturms ›Hamburg Mannheimer‹ © Julia Marie Englert

Abb. 19-23 Bestandsaufnahmen des ehemaligen ›Mundsburg-Centers‹ vor der ersten Sanierung aus der Informationsbroschüre für die Wohnungseigentümer des Apartmentturms. Freundlicher Weise von Ehepaar B. zur Verfügung gestellt

Abb. 48.1 Blick aus dem Fenster des Ehepaar B auf das Baugerüst des Mundsburg-Centers, 1998 Freundlicher Weise von Ehepaar B. zur Verfügung gestellt

Abb. 24 und 25 Computersimulation für den Umbau des Mundsburg-Centers aus der Informationsbroschüre für die Wohnungseigentümer. Freundlicher Weise von Ehepaar B. zur Verfügung gestellt Abb. 26-37 Fotografische Dokumentation der im Bau verwendeten Materialien des Mundsburg-Apartmentturms © Petra Palusova

Abb. 47 Lobby des Mundsburg-Apartmentturms, 2015 bezogen von SP [Urheber unbekannt]

Abb. 49 ›Louisiana Restaurant‹ im Mundsburg Center © Julia Marie Englert Abb. 50 Benachbarte Geschäfte des Mundburg-Apartmentturms © Julia Marie Englert Abb. 51 Fressmeile und Kinokasse des ›Mundsburg-Centers‹ © Julia Marie Englert

Abb. 38 Isometrie mit Schnitt © Petra Palusova

Abb. 52 Das Quartier rund um die Mundsburg © Julia Marie Englert und Petra Palusova

Abb. 39 Grundriss Mundsburg-Apartmentturm 3D © Petra Palusova

Abb. 53 Aussicht vom Dach des Mundsburg-Apartmentturms © Julia Marie Englert

Abb 40-43 Apartmenttypen im Mundsburg-Wohnturm © Petra Palusova

Abb. 54 Mundsburg-Apartmentturm und Büroturm © Julia Marie Englert

Abb. 44 SP auf dem Dach des Mundsburg-Apartmentturms © Julia Marie Englert

Abb. 55 Klingelanlage des Mundsburg Apartment-Turms © Julia Marie Englert

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Abb. 56 Blick auf das ›Ernst-Deutsch-Theater‹ aus dem Fenster des Ehepaars B im Mundsburg-Apartmentturm, Herbst 1986. © Ehepaar B. Abb. 57 Blick aufdie U-Bahnstation ›Mundsburg‹ von dem Apartment des Ehepaars B. © Ehepaar B.

Abb. 69 Apartmentstruktur Mundsburg © Julia Marie Englert und Petra Palusova Abb. 70 Das Turmensemble an der Mundsburg © Julia Marie Englert

Abb. 58 Weihnachtsbäume auf dem Dach des Munds-burg-Apartmentturms, Dezember 1986. Eine ehemalige Tradition, die es heute nicht mehr gibt. © Ehepaar B. Abb. 59 Aufzuganlage in der Technischen Etage © Julia Marie Englert Abb. 60 Ausblick vom Dach des Mundsburg-Apartmentturms © Julia Marie Englert Abb. 61 Zeichnung des Apartments 10/5 © Petra Palusova Abb. 62 ›Wohnzimmer‹ © Petra Palusova Abb. 63 ›Küche‹ © Petra Palusova Abb. 64 ›Badezimmer‹ © Petra Palusova Abb. 65 Apartmentstruktur Mundsburg Eigene Darstellung Abb. 66 Antennen auf dem Dach des Mundsburg-Wohnturms © Julia Marie Englert Abb. 67 Klingelanlage im Eingangsbereich des Mundsburg-Wohnturms © Julia Marie Englert 84

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IV Zukunft

IV Zukunft

Ausgangslage Zukunftsszenarien für den Mundsburg-Wohnturm Überblick Szenario A Szenario B Szenario C Fazit

IV Zukunft

Konklusion


Abb. 0 Ball des Beaux Arts, New York, 1931 Diese Arbeit ist im Rahmen des Masterstudiengangs ›Urban Design‹ im UDP II an der HafenCity Universität Hamburg entstanden. Sommersemester 2017. Wir möchten an dieser Stelle unseren Interviewpartner_innen für ihre Unterstützung und ihre Bereitschaft, ihre Perspektive und Geschichten mit uns zu teilen, ganz herzlich danken.

Heidrun Book [6047193]

Petra Palusova [6047304]

B.A. Kulturwissenschaften

B.Sc. Architektur, Urban Design

Julia Marie Englert [6239182]

Eva Christine Schmitz [6047479]

B.A. Kommunikationsdesign

B.A. Communication and Cultural Management Lisa Steinke [6047649] B.A. Politikwissenschaften, Soziologie

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Ausgangslage Die Zukunft des Mundsburg-Apartmentturms – Ein Problemaufriss IV Zukunft Ausgangslage Zukunftsszenarien für den Mundsburg-Wohnturm Überblick Szenario A Szenario B Szenario C Fazit Konklusion

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Im vorausgegangenen Buch III wurde zunächst die historische Entwicklung des Mundsburg-Apartmentturmes bis in die heutige Zeit, eine allgemeine architektonische Analyse, Vermarktungsstrategien sowie eine Darstellung und Analyse sozialer Wirkungsgefüge, alltäglicher Strukturen und Praktiken des ikonischen Wohnturms aus den 70er Jahren vorgenommen. Nachfolgend sollen nun noch einmal die für den Entwurf von Szenarien bezüglich der Zukunft des Mundsburg-Apartmentturms ausschlaggebenden Faktoren zusammengefasst werden. Diese bilden die Grundlage für mögliche Akteurskonstellationen und entsprechende Handlungsstränge. Fest steht, dass der Mundsburg-Wohnturm zwar bereits in den vergangenen Jahren einigen sporadischen Reparatur- bzw Aufwertungsmaßnahmen unterzogen wurde. »Das Objekt […] ist im Prinzip ein alter Kasten. Wir haben im Laufe der Jahre immer das am Laufen gehalten, wo man dann so ran kommt – also ich sag mal sichtbare Dinge wären jetzt so die Eingangshalle, die Waschküche, die Wasserwand, der Tresen, die Beleuchtung, die Klingelanlage[.]« In Anbetracht der zunehmenden Risse in der Fassade, die witterungsbedingt aufgrund des bröckelnden Betons entstehen, wird eine Betonfassadensanierung dringend notwendig, welche jedoch vom zuständigen Planer unter Verweis auf den dringenden Bedarf einer kompletten Fassadensanierung [nach Vorbild des benachbarten Büroturmes: Abtragung der kompletten Fassade und Kapselung von außen; Kostenpunkt: rund 8,5 Millionen Euro] zurückgewiesen wurde. Eine vollständige Gebäudesanierung mit Entkernung und Modernisierung der Leitungssysteme, wie sie der Büroturm erfahren hat [geschätzter Kostenpunkt:

Hierbei spannen die aufgezeigten Wege einen emergenten Raum von Möglichkeiten auf. Die Abhandlung von Eventualitäten, wie sie in den Szenarien dargestellt werden, stellt archetypische Verläufe dar, die je nach Auftreten neuer / anderer Akteure Akteure oder Handlungen kontingenten Verschiebungen und Abweichungen unterliegen werden.

z. B. die Beseitigung der Dachdurchfeuchtung, die Generalüberholung der Mittelspannungsanlage, der Klingelanlage sowie der Brandmeldeanlage und die Erneuerung der Fahrstuhlanlage im Jahr 2003/2004 für insgesamt 600.000 Euro. Auch die Eingangslobby samt Briefkasten-Bereich und Concierge-Schalter wurden im Jahr 1996 renoviert und 2015 mit einer Wasserwand als Dekorationselement versehen. [Interview SP] 3


Siehe dazu Buch III – Akteurskonstellation / WEG

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rund 15-18 Millionen Euro], erscheint laut Aussage von Herrn Philipps aufgrund der komplexen Eigentümer_innenstruktur in Form der Wohnungseigentümergemeinschaft kaum denkbar. Selbst wenn diese Variante mittels temporärer Umsiedlungen bewerkstelligt werden würde, wäre der verursachte Lärm und die versperrte Sicht durch Baugerüste für die verbleibenden Apartments - die teilweise nur tageweise als möblierte Unterkunft vermietet werden - nicht mehr bewohnbar und folglich auch kaum noch vermittelbar. Einhergehend mit den Folgeschäden und Mängeln, die im Zusammenhang mit der maroden Fassade entstehen - wie beispielsweise Wasserschäden durch Regen, der z.T. auch durch die Fensterrahmen in die Wohnungen gelangt, ist ein drastischer Anstieg des Hausgeldes hauptsächlich wegen explodierender Versicherungskosten zu verzeichnen. Ohnehin stellt die Versicherung des Hauses ein weiteres zentrales Problem dar - nicht nur wegen der exponentiell steigenden Beiträge, sondern auch wegen der schwindenden Möglichkeit, überhaupt noch einen Versicherungsschutz für den aktuellen baulichen Zustand des Mundsburg-Apartmentturmes zu erwirken: So räumt auch der Verwalter und Eigentümer SP selbst ein, dass das »Haus [...] im Grunde genommen nicht mehr versicherbar [ist].« Die Schadensquote liegt aktuell bei 803 Prozent mit Versicherungskonditionen zu 45.000 Euro im Jahr zuzüglich Selbstvorbehalt [5.000 bis 8.000 Euro pro Schadensfall], wobei der Jahresbeitrag jedoch bald auf 120.000 Euro erhöht werden soll. Diese Kosten werden zusammen mit den gleichsam zunehmenden Kosten für ein veraltetes Heizsystem sowie die überholten Elektrizitätsanlagen in den kommenden Jahren weiter ansteigen und das Hausgeld sukzessive weiter in die Höhe treiben. Der derzeitige Zustand der Fassade ist in einem derart maroden Zustand, dass es laut der Hausverwaltung »im Prinzip einen Mitarbeiter [bräuchte], der sich nur um die Schäden i[m] Haus [...] kümmert.« Die Risse in der Fassade

sind indes nicht nur für die Bewohnerschaft des Hauses ein Problem. Sie stellen gleichzeitig eine wachsende Gefahr für die Passanten- und Verkehrssicherheit in der umliegenden und äußerst belebten Stadtinfrastruktur dar. So wird es immer wahrscheinlicher, dass sich in naher Zukunft die Stadt [Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, HBauO 2005 §§15-20; §19 Vekehrssicherheit] einschaltet, wenn beispielsweise die Verkehrssicherheit nach §19 HBauO 2005 nicht mehr gewährleistet werden kann. Nach Berichten der Bewohner ergibt sich aus einem Schadenfall in der Regel häufig eine ganze Kette neuer Schäden, was hauptsächlich auf das mehrfach beklagte marode Abwasser- und Rohrsystem sowie die veraltete Heizungsanlage zurückzuführen ist, die hin und wieder bei Komplikationen für ganze Stockwerke abgestellt werden muss. Auch aus diesen Umständen ergibt sich ein dringender Handlungsbedarf hinsichtlich notwendiger Modernisierungsarbeiten, die sich jedoch ebenfalls aufgrund der heterogenen Eigentümer_innen- und Bewohner_innenstruktur komplex gestalten dürfte. Viele der eher älteren Eigentümer haben derart hohe Einlagen für Sanierungsarbeiten schlichtweg nicht einkalkuliert. Eher kürzlich eingezogene Bewohner_innen hingegen scheuen umfassende Modernisierungen, weil sie ohnehin vor nicht allzu langer Zeit bereits Mittel in die Renovierung ihres Apartments investiert haben und fürchten, diese Investitionen nun umsonst getätigt zu haben. Um ein Stimmungsbild der Eigentümergemeinschaft einzufangen, ist deshalb Mitte September eine außerordentliche Versammlung mit einem Informationsteil angesetzt, der die Eigentümergemeinschaft zunächst über die kritische Sachlage in Kenntnis setzen soll. Viele der Eigentümer_innen und Bewohner_innen haben bisher keine Kenntnis, geschweige denn einen Überblick über die vielschichtige Problemlage des Mundsburg-Apartmentturmes, wie sie sich u.a. dem Verwalter und mehrfachen Eigentümer SP eröffnet: »[...] Ich sehe natürlich Dinge, die jetzt andere nicht sehen, weil sie ganz einfach den Blick dafür nicht haben oder auch nicht die Informationen […] es ist wirklich schwierig zu sagen!« Im Anschluss an den Informationsteil soll darüber hinaus eine Abstimmung stattfinden. Gegenstand dessen ist konkret der Beschluss der vollumfänglichen Fassadensanierung mit Verkapselung in Höhe von 8,5 Millionen Euro. die anteilig als Sondereinlage auf jede_n Wohnungseigentümer_in umgelegt werden soll [kleine Wohnungen 31.000 Euro, große Wohnungen mit 60.000 Euro mit entsprechender Verdopplung bei mehreren Wohnungen im Besitz]. 5


Gültig ist der Beschluss nur dann wenn diese mit absoluter Mehrheit [51 Prozent] erfolgt. Ob dieser Beschluss gelingt ist aktuell schwer zu prognostizieren, da sich viele Eigentümer_innen sonst im Hintergrund halten. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass für den Mundsburg-Apartmentturm ein dringender Handlungsbedarf besteht, da sonst kaskadenartige Veräußerungsschübe seitens der Eigentümer realistisch sind. Dies wurde auch von SP noch einmal mit Nachdruck betont: »Also ich hoffe mal dass wir nicht stillgelegt werden irgendwann! Ich hoffe, das wir diese Fassadensanierung grundsätzlich hinbekommen – mit allen Vorbehalten. [...] Wenn wir nichts machen, werden wir in den nächsten Jahren Probleme bekommen, das steht ganz außer Frage! Und dann muss man gucken ob man nicht schnell, doch nochmal schnell aussteigt – also jetzt aus eigener Sicht dann gesehen.« Aus jener Sachlage ergeben sich in der Gesamtschau verschiedene, zum Teil miteinander verschränkte Konstellationen, die sich im Groben unter drei verschiedenen Szenarien subsumieren lassen.

Abb. 1 Blickachse Mundsburg

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Zukunftsszenarien für den Mundsburg-Wohnturm Überblick IV Zukunft Ausgangslage Zukunftsszenarien für den Mundsburg-Wohnturm Überblick Szenario A Szenario B Szenario C Fazit Konklusion

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Mundsburg - quo vadis? Die Zukunft des Mundsburg-Wohnturmes kann in unterschiedliche Richtungen verlaufen. Auf Basis der vorangestellten Erkenntnisse bezüglich ›Luxuswohnen‹, ›Highrise-Living‹ und des Ausgangswissens über den aktuellen Zustand des Wohnturmes erarbeiteten wir drei mögliche Entwicklungsstränge. Wir gehen dabei im Sinne der ›Szenario-Technik‹ vor. Zu diesem Zweck wurden sowohl zukünftig positive als auch negative Entwicklungsfaktoren variiert und verschaltet sowie »empirisch-analytische Elemente mit kreativ-intuitiven Elementen« [Weinbrenner 2001] kombiniert. Zur besseren Nachvollziehbarkeit der drei herausgearbeiteten Szenarien dient zunächst eine Übersicht aller vorstellbaren Varianten. Zusätzlich reichern Visualisierungen als Kommunikationsmittel die Ausarbeitung der Szenarien an und lassen Vergleiche zu. Im Buch I führen wir mit Bezug auf Rancière [2009] an, dass Bilder so genannte ›Regime‹ erzeugen und kommunizieren. Diese Regime transportieren Diskurse und gesellschaftliche Machtverhältnisse und determinieren die Wahrnehmung des Abgebildeten. Auch den Visualisierungen unserer Szenarien haften diskursive Vorstellungen und Wünsche an; sie implizieren und verhandeln gesellschaftliche Konfliktverhältnisse. Wie Weinbrenner ordnen wir Szenarien daher als politisch ein: »sie modellieren erwünschte bzw. unerwünschte gesellschaftliche Entwicklungen und haben somit die Funktion eines ›Frühwarnsystems‹, das ein rechtzeitiges Eingreifen und Umsteuern ermöglicht.«. [ebd.]

»The potential for development and transformation which emerges from big housing complexes is beyond compare. The occasion to explore and the cases are innumerable. The exercise is a necessary revolution.«[Druot, Lacaton & Vassal 2007: 243]

Siehe Buch I: Exkurs: Rancières ›Politik der Bilder‹]

»Many urban scholars and researchers, [...] have become hampered by poverty of imagination, and a reluctance to use their work to dream the urban impossible and harvest the future in the present.« [Paul Chatterton 2010 mit Bezug auf Harry Cleaver 1993]

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Mietparteien ziehen aus/ Wohungsveräußerungen

Hausgeld steigt alle zahlen nicht alle zahlen

Kostendeckung vollständig andere Parteien übernehmen

Mängelbeseitigung

neue Schäden: erneute Mängelbeseitung notwenidig

Versicherung kündigt

mediale Aufmerksamkeit

ECE / Alstria als neue Akteure

Gefährdung des Öffentlichen Raums

Stadt übt Druck aus

[A] oberflächliche Sanierung

Abriss öffentlich: Stadt

Denkmalschutz [B] WEG Abstimmung

keine Sanierung

Verfall

Mietparteien ziehen aus/ Wohungsveräußerungen

Versicherung kündigt

drastischer Wertverlust der Immobilie

Besetzung

[C]

Ankauf durch

privat: Investor

Mischnutung

Wohnen

nicht alle zahlen alle zahlen Kostendeckung vollständig

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Sanierung

LuxusSanierung

Gentrifizierung

umfassende Sanierung

Abb. 2 Grafik Szenarien: Mundsburg-Apartmentturm

freie Fläche

Gewerbe + Büro + Wohnen

keine Kostendeckung WEG: kommerzielle Beteiligung

andere Parteien übernehmen Sanierung: Alles Notwendige Wettbewerb

Sanierung nach Vorbild von: Lacaton & Vassal

WEG bleibt bestehen

Antrag bei Stadt zur Mischnutzung

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Zukunftsszenarien für den Mundsburg-Wohnturm

Abb. 3 Ausschnitt Grafik Szenarien: MundsburgApartmentturm

Szenario A

Verfall

WEG Abstimmung

oberflächliche Sanierung

nicht alle zahlen alle zahlen

Hausgeld steigt keine Kostendeckung andere Parteien übernehmen

Mängelbeseitigung

Voraussetzung für dieses Szenario ist das Eintreten des Falles, dass sich nach der Informationsveranstaltung und Eigentümerversammlung im September zur Lage des Mundsburg-Apartmentturmes nicht auf eine Komplettsanierung mit vollständiger Fassadensanierung geeinigt – d.h. der Beschluss von 51 Prozent der Stimmanteile für eine umfassende Sanierung – verfehlt wird. Diese Situation ist vor allem in Anbetracht der bereits angeführten Heterogenität der Bewohnenden- und Eigentümer_ innen-Struktur keine unwahrscheinliche Begebenheit: Viele der Eigentümer_innen sind bereits im Rentenalter bzw. finanziell nicht stark genug aufgestellt, um jene erforderlichen Rücklagen in einem kurz- bis mittelfristigen Zeitrahmen aufzubringen. [vgl. Interview SP] In diesem Falle besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sich auf gar keine übergreifende Sanierungsmaßnahme geeinigt werden kann. Der in diesem Szenario beschrittene Weg wäre demnach jener der Einigung auf eine Behebung der dringendsten Mängel – die aktuell in erster Linie in der rissigen Fassade bestehen. Selbst bei positiver Abstimmung für eine günstigere Variante einer ›reinen Betonsanierung‹, die jedoch von Planern als de facto ineffektiv eingestuft wird, ist laut Aussage von SP nicht gesichert, ob die Kosten von allen Eigentümern zuverlässig getragen werden können. Fallen einige Parteien aufgrund von Zahlungsunfähigkeit aus, würden die Kosten auf den Rest der Wohnungseigentümergemeinschaft umgelegt. [vgl. Interview SP] 12

neue Schäden: erneute Mängelbeseitung notwenidig

Mietparteien ziehen aus/ Wohungsveräußerungen Versicherung kündigt

mediale Aufmerksamkeit

ECE / Alstria als neue Akteure

Gefährdung des Öffentlichen Raums

Stadt übt Druck aus

SP befürchtet in diesem Kontext, »dass bis man die alle dann an Bord hat, da werden sicherlich [...] drei, vier, fünf Jahre vergehen. Der Hausverwalter meint, er kriegt es innerhalb von zwei Jahren hin, Zahlungsunwillige irgendwie zur Zahlung zu bewegen – das sehe ich ehrlich gesagt nicht so.« [Interview SP] Weiter schildert er: »Selbst bei mir hat in den letzten zwei Monaten ein Umdenken eingesetzt, weil ich gedacht habe, naja gut, wenn wir das jetzt so durchpauken und sagen als Beispiel Zahlungsziel ist: 2. Januar […] Das heißt die Leute haben jetzt praktisch noch drei, vier Monate Zeit, sich um die Finanzierung zu kümmern. So, und dann bin ich der erste der zahlt, aber was ist wenn ich der einzige bin? Oder einer von zehn, zwanzig? Und was machen wir mit den zwanzig, dreißig Leuten die dann nicht bezahlen? Das sind ja dann locker zwei Millionen, die da fehlen!« [Interview SP] So berichtet er auch von vielen Eigentümer_innen, die in diesem Zuge ihre Wohnungen bereits veräußert haben. [vgl. Interview SP] Die Tendenz des graduellen Schwundes von Eigentümer_innen ist demnach eine realistische Begleiterscheinung des zunehmend maroden Zustands der Bausubstanz des Mundsburg-Apartmentturms. Gleichzeitig wird es in der Eigentümer_innenstruktur jedoch immer auch einen hartnäckigen Kern geben, der einerseits finanziell stark genug aufgestellt ist und sich wegen der zentralen Lage, der Aussicht und der schwer zu übertreffenden Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel schlichtweg weigert, sein Eigentum im Mundsburg-Wohnturm aufzugeben. [entnommen aus Interview mit A.M. Deiters-Schwedt] 13


Aktuell beträgt das Hausgeld für die kleinen Ein-Zimmer-Wohnungstypen bereits 500 Euro. [Interview SP]

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Kette von weiteren Schäden

Gefahrenlage durch marode Bausubstanz

Ungeachtet des Umstandes, ob alle Eigentümer die nacheinander anfallenden Kosten der Mängelbeseitigungen selbst schultern können oder diese kollektiv auf die WEG umgelegt werden, wird sich aus den oberflächlichen Sanierungsmaßnahmen auf lange Sicht eine Schleife von immer wieder neu auftretenden Schäden und Problemherden ergeben. So wurden auch im Gespräch mit dem alt eingessenen Bewohner- und Eigentümer-Ehepaar B. das zum Teil defekte Heizungssystem des Hauses beklagt. [vgl. Interview mit Ehepaar B.] Gleichsam wie die korrodierten Abwasserrohre und auch die betagten Steigleitungen zusammen mit der veralteten Warmwasseraufbereitung bringen diverse Nachteile und Komplikationen sowohl für den Wohnkomfort und Alltag der Bewohner_innen als auch für die längere bauliche Sicht mit sich und sind reif für die Reparatur. Die Interviewgespräche geben genug Anlass, anzunehmen, dass auch der unabdingbare Versicherungsschutz für den Mundsburg-Wohnturm nicht mehr lange unter den aktuell geltenden Konditionen gewährleistet werden kann, was perspektivisch die Beiträge und somit auch das Hausgeld für die einzelnen Wohnungen in die Höhe treiben wird.

Ausgehend von dem dringlichsten Problem – der maroden Betonfassade – ist die Sicherheit für Passanten und die Gewährleistung eines fließenden, reibungslosen Verkehrs bereits aktuell nicht mehr vollständig gewährleistet. Bis die Versicherung abspringt, ist es beim Auftreten neuer Risse daher nur eine Frage der Zeit, bis es zu einer Gefahrenlage kommt. Dies sieht SP ähnlich: »Die Gefahr sehe ich nur, wenn wir das jetzt nicht machen […] Das Haus altert jetzt unproportional schnell weiter. [...W]enn der Tag kommt, an dem die Verkehrssicherheit hier nicht mehr gegeben ist, an dem Tag gehen wir alle zu Fuß, wir ziehen alle aus. Und das prekäre an der Geschichte ist, nicht nur dass wir eine Komplettsanierung machen müssen, wir haben auch kein Bestandsschutz mehr.« Spätestens wenn es zu Einschränkungen und Gefahren für die umliegenden Straßen kommt, schaltet sich das Hamburger Amt für Bauordnung und Hochbau der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen ein. Entsprechend der Hamburger Bauordnung [HBauO 2005, z.B. §19 ] müsste diese Druck auf die WEG ausüben, die Schäden soweit zu beheben, dass keine Gefährdung des öffentlichen Raumes mehr besteht. Dies könnte bis zu einer Klage vor Gericht führen. Dennoch bliebe in diesem Fall das Problem der Finanzierung bestehen, denn: Eine für die Sanierung [ungeachtet welcher Art und welchen Ausmaßes] beauftragte Baufirma würde nur tätig werden, wenn diese Sicherheiten über die Zahlungsfähigkeit seitens der WEG hat. Ist dies nicht gewährleistet, wird keine Sanierung durchgeführt und der Mundsburg-Wohnturm wäre letztendlich dem weiteren Verfall, einhergehend mit weiterer Abstoßung von Wohnungen eines Großteils [jedoch nicht aller] der Eigentümer_innen, geweiht. Ein Aufkauf durch einen Investor, wie z. B. durch die ›ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG‹, wäre an dieser Stelle zumindest denkbar. Die Möglichkeit,

§ 19 HBauO – Verkehrssicherheit [1] Bauliche Anlagen und die dem Verkehr dienenden nicht überbauten Flächen von bebauten Grundstücken müssen verkehrssicher sein. [2] Die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs darf durch bauliche Anlagen oder deren Nutzung nicht gefährdet werden. [3] Allgemein zugängliche Flächen und Treppen in Gebäuden sowie auf Grundstücken müssen eine Durchgangshöhe von mindestens 2m haben. [4] Öffentlich zugängliche Wege auf den Grundstücken und Eingänge von Gebäuden müssen überschaubar und zu beleuchten sein. [5] Gebäude sind mit einer vom öffentlichen Weg aus gut erkennbaren Hausnummer zu kennzeichnen; bei Gebäuden mit Aufenthaltsräumen muss die Hausnummer beleuchtbar sein.

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dass die Stadt in der Rolle als potenzieller Käufer auftritt, hingegen wohl kaum: Weder die Idee, dass die Stadt der WEG das gesamte Objekt auf einmal abkauft, noch jene der finanziellen Bezuschussung von Mitteln für die Sanierung hat in diesem Szenario realistischen Bestand. So könnte die Stadt laut einer Expertin für Immobilienmarkt- und Standortanalysen [persönliche Kommunikation DS 2017] einerseits kaum die Mittel aufbringen, um den Aufkauf aller Wohnungen zu schultern, andererseits ist jene Art von Privateigentum fast unantastbar für die öffentliche Hand. Denkbar wäre somit die Möglichkeit des schrittweisen Aufkaufes von Teilen des Turmes über einen längeren Zeitraum. Diese ist jedoch unter Verweis auf die fehlenden Mittel sowie auf die fehlenden Rahmenbedingungen [ein Kauf wäre nur bei Umwandlung in Sozialwohnungen relevant, was bei der Lage äußerst unwahrscheinlich ist] nicht gegeben. [vgl. persönliche Kommunikation DS 2017] Schlüsselrolle der WEG

Siehe dazu: Buch III – Akteursnetzwerk und WEG

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Zusammenfassend liefe der Mundsburg-Wohnturm in diesem Szenario nach einer Verkettung von oberflächlichen, auf lange Sicht unzureichenden Sanierungsmaßnahmen einem zunehmenden Verfall entgegen, welcher – in Anbetracht des steigenden Hausgeldes und der außerordentlichen Kosten – Hand in Hand mit der Veräußerung eines Großteils der Wohneinheiten ginge. [vgl. Interview SP] Die Stadt wäre zwar in der Pflicht, rechtliche Schritte gegen die WEG einzuleiten, letzten Endes aber machtlos, was die ordnungsgemäße Durchführung einer Sanierung betrifft, da die Übernahme der Kosten durch die WEG nicht vollständig gewährleistet werden könnte. Schaltet sich in diesem Fall auch kein Investor mit entschlossener Kaufabsicht ein, würde sich der weitere bauliche Verfall des Gebäudes bis zu einem Grad einstellen, an dem selbst für die treusten und finanziell solventesten Eigentümer_innen die Ansprüche des annehmbaren Wohnens und Lebens in dem Gebäude nicht mehr erfüllt werden könnten. An dieser Stelle könnte sich das hier beschriebene Szenario A mit Szenario B kreuzen.

Ohnehin spielt die Organisationsstruktur der WEG eine wichtige Schlüsselrolle: Wie auch Beispiele anderer Immobilien wie in zeigen, steht sich das Eigentümer_innenkonstrukt aufgrund der Fragmentierung und der geringen Handlungsfähigkeit hinsichtlich der limitierenden Beschlussregelung selbst im Weg. So ist es ein Ziehen und Zerren von privaten Interessen, die oft in entgegengesetzte Richtungen ausschlagen. Darüber hinaus können sich hinter den Eigentümer_ innen die unterschiedlichsten Finanzlagen verbergen. Folglich wäre für es für in der Zukunft liegende, ähnliche Fälle von Wohntürmen, deren Eigentümer_innen als WEG organisiert sind, ein wichtiger Diskussionspunkt, ob dies tatsächlich eine zukunftsfähige Organisationsstruktur für derartige Wohneigentümerstrukturen darstellt. [entnommen aus ebd.] 17


Zukunftsszenarien für den Mundsburg-Wohnturm

Abb. 4 Ausschnitt Grafik Szenarien: MundsburgApartmentturm

Szenario B

drastischer Wertverlust der Immobilie WEG Abstimmung

keine Sanierung

Verfall

Mietparteien ziehen aus/ Wohungsveräußerungen

Versicherung kündigt

Nachdem sich bei der außerordentlichen Eigentümer_innenversammlung wiederholt keine Mehrheit für eine Sanierungsvariante gefunden hat, blickt man nun mit Ungewissheit in die Zukunft des Wohnturms. Im Verlauf des Jahres häufen sich kleinere wie größere Reparaturmaßnahmen. Probleme gibt es verstärkt mit verstopften Fallrohren der Abwasserleitung. Der dadurch entstehende Kanalgeruch sowie Reparaturmaßnahmen durch private Wohnungen hindurch beeinflussen den Wohnkomfort der Bewohnenden negativ. Der Zustand der Betonfassade verschlechtert sich mit dem winterlichen Wetterumschwung – die Fassade wird zum Dauerpatienten der Verwaltung, was die Instandhaltungsrücklage strapaziert. Das Gebäude in der Abwärtsspirale Als Reaktion auf den sich zunehmend verschlechternden Zustand des Gebäudes kündigen einige Mietparteien ihre Mietverträge und ziehen aus. Auch einige Eigentümer_innen werfen ihre Wohnungen auf den Markt. Die Verwaltung kündigt unterdessen eine Wohngelderhöhung an, um über ausreichende finanzielle Mittel zu verfügen, wenn es zu den weiterhin erwartbar steigenden Instandsetzungs und -haltungskosten kommt. Einige besorgte Eigentümer veräußern ihre Wohnung darauf18

Denkmalschutz Besetzung

Ankauf durch

öffentlich: Stadt

Abriss

privat: Investor

Sanierung

freie Fläche

Gentrifizierung

LuxusSanierung Mischnutung

Gewerbe + Büro + Wohnen Wohnen

hin mit Verlusten; andere haben weniger Glück und warten auf einen Verkauf. Die bisherige Warteliste der Kaufinteressent_innen schrumpft. [vgl. Interview S.P.] Trotz einer stetigen Offenlegung des Problems auf den Versammlungen der WEG kommt für einige Bewohnende aber auch Eigentümer_innen die Information gegen Ende des Jahres unverhofft: Die letzte übrig gebliebene Versicherung ›Allianz‹, die sich zuvor nach zähen Verhandlungen bereit erklärt hatte, den Mundsburg-Wohnturm noch einmal zu versichern, kündigt den Vertrag zum Jahresende auf. Die konstant neu entstehenden Mängel sind ein nicht mehr kalkulierbares Risiko, das die Schadenquote exponentiell steigen lässt. In der Verwaltung wird das Thema mit größter Diskretion bearbeitet: In jedem Fall will man vermeiden, dass die Öffentlichkeit von der angespannten Situation erfährt, um sowohl einen Imageschaden des Mundsburg-Apartmentturmes abzuwenden, als auch um den Marktwert der Immobilie nicht negativ zu beeinflussen. Der Mundsburg-Wohnturm macht Schlagzeilen Als jedoch zwei Monate später ein größerer Teil der vorgehängten Fassade herunter bricht und – glücklicherweise ohne Personenschaden – medienwirksam auf dem Gehweg der Hamburger Straße landet, wird der desolate Zustand 19


So titelt z. B. die Hamburger Morgenpost: »Hoch bauen, tief fallen: Einstiges 70er Jahre Luxus-Wohnhochhaus verkommt zur Schrottimmobilie.«

des Turmes über Nacht zu einem öffentlichen Thema. Lokale Medien nehmen sich dem Gebäude an und berichten über die desolaten Zustände. Zusammen mit einigen Bewohnern löst der Hamburger Denkmalverein eine Debatte aus: Sollte das ›Mundsburg-Ensemble‹ geschützt werden? Wie andere Fälle aus der Vergangenheit [u. A. der Abriss der ›Post-Pyramide‹ in der City-Nord oder das Verfahren um die ›City-Höfe‹] zeigen, sind sowohl die Stadtverwaltung als auch ein Großteil der Hamburger_ innen den 70er Jahre Bauten nicht sonderlich milde gestimmt und verkennt ihren zukünftigen Modewert. [vgl. Interview mit Kristina Sassenscheidt, Vorsitzende des Hamburger Denkmalvereins in Hirschbiegel 2017]

Ein Investor nutzt die Chance Im Zuge der Debatten entbrennen unter der heterogenen Wohnungseigentümergemeinschaft Streitigkeiten darüber, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten: Eine Fraktion finanziell besser situierter Eigentümer_innen pocht auf die überfällige Sanierung, steht damit jedoch noch immer allein da. Neben einer Gruppe Eigentümer_innen, die schlicht und ergreifend nicht über die finanziellen Rücklagen für eine Sanierung verfügen, gibt es noch eine Gruppe ›Nostalgiker‹, welche die Dringlichkeit einer Sanierung verkennt und den ›Mundsburg-Wohnturm‹ in seiner ursprünglichen Form belassen möchte. Eine weitere Splittergruppe fokussiert individuelle Lösungen, also den Abverkauf ihres Eigentums und somit den Ausstieg aus der WEG. Die Verwaltung Dr. Wentzel kommt unterdessen mit einem privaten Investor ins Gespräch. Dieser ist daran interessiert das Wohnhochhaus als alleiniger Eigentümer zu übernehmen. Es heißt, dass der finanzstarke Investor eine Luxussanierung vor Augen hat. Mit individuellen Angeboten und in Verhandlungsgesprächen bietet der Investor vielen Eigentümer_innen ein akzeptables bis attraktives Angebot zum Wohnungsverkauf. Mit dieser Option und Exit-Strategie ist insbesondere die gewachsene Gruppe an Personen glücklich, die ihre Wohnung[en] in den letzten Monaten nicht auf dem normalen Markt verkaufen konnte. Der Druck auf die zerstrittene Eigentümergemeinschaft ist hoch und die Überzeugungs-Strategie des Investors geht auf. In ihrer Ausweglosigkeit beschließt die WEG in der einberufenen außerordentlichen Mitgliederversammlung einen Komplettverkauf. Nur wenige Monate später wird das Konzept einer Luxussanierung präsentiert. 20

Sanierungskonzept Der Mundsburg-Wohnturm wird zunächst einer Komplettsanierung unterzogen. Die veraltete Fassade wird durch eine leichte, extrem lichtdurchlässige Glasfassade ersetzt. Auch werden dieser Außenbereiche in Form von Balkonen, Loggien und Wintergärten vorgehängt und die Fenster, welche die Wohnbereiche von den neuen Außenbereichen trennen, bodentief gezogen. Die Wohnungen werden im Loft-Stil, also als möglichst offene Räume, angelegt. Damit sie trotz niedriger Deckenhöhe Großzügigkeit und Luftigkeit vermitteln, werden Trennwände zwischen Küche und Wohnbereich sowie optional zwischen Bad und Schlafbereich entfernt. Frei stehende Kücheninseln folgen dem Trend offener Küchen, die in den Wohnbereich und damit in das Leben innerhalb des Apartments integriert sind. Um größere Wohnungen zu erhalten werden zudem auf allen Etagen zwei oder mehrere Wohneinheiten kombiniert und somit bis zu 120 qm große Wohneinheiten erzeugt. In den beiden oberen Etagen werden die bestehenden sieben Wohnungen zu jeweils zwei Penthouses pro Etage kombiniert, wobei die beiden Penthouses in der obersten Etage einen privaten Zugang zum Dach erhalten, welches sie exklusiv als Terrasse nutzen können.

Es werden die Ableitungen, die veralteten Heizungsrohre, die Abwasserleitungen, die Steigleitungen und die Fallrohre erneuert bzw. ersetzt, die zentrale Wasseraufbereitung dezentralisiert und das Belüftungssystem modernisiert.

Abb. 5 ›Visulaisierung Innenraum – Szenario B‹

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Für die Umgestaltung des Eingangsbereiches, der Flure sowie für die Inneneinrichtung der gemeinschaftlich genutzten Bereiche wird ein renommierter Interior Designer wie z.B. Philippe Starck oder Calvin Klein engagiert, dessen Name auch zur Vermarktung des neuen Luxusturms genutzt wird.

Abb. 6 Visulaisierung Außenfläche – Szenario B

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Ausstattung

Vermarktungsstrategie & Zielgruppe

In allen Wohneinheiten wird Eichenparkett im Schiffsboden-Stil verlegt. Die Temperaturregulierung [Fußbodenheizung und Klimaanlage] findet über das in der Standardausstattung enthaltene ›KNX Smart Control System‹ statt. Das Smart Home Konzept gibt den Bewohnenden zudem die Möglichkeit, über eine App Licht und Sound zu steuern, Türen und Fenster zu schließen, die Videogegensprechanlage zu bedienen etc. Der bisher auf die Zeit von 16 - 23 Uhr beschränkte Pförtnerservice wird in einen 24h - Conciergeservice ausgeweitet. Auch die Funktion des Pförtners erweitert sich zu der eines Concierges: So kümmert dieser sich um Post- und Paketannahme, Reinigungsservices, Reservierungen von Restaurants oder Kulturangeboten sowie jegliche weitere Anliegen der Bewohnenden. Die Wohneinheiten in der ersten Etage werden zu einem Fitnessstudio mit angegliedertem Spa-Bereich, der für alle Bewohnenden zu jeder Zeit nutzbar ist, umgewandelt. In einer der höheren Etagen befindet sich zudem auf der Fläche dreier ehemaliger Wohneinheiten eine Lounge mit Barbetrieb.

Die Zielgruppe des luxussanierten Mundsburg-Wohnturmes sind junge, erfolgreiche und aufstrebende Berufstätige [Jungunternehmer_innen, Mediziner_innen, Manager_innen], wobei die Wohneinheiten deutlich auf junge Paare und Singles statt auf Familien ausgelegt sind. Es wird davon ausgegangen, dass viele der Bewohnenden das Apartment lediglich als Zweitwohnsitz nutzen und zudem viele ausländische Investor_innen Wohnungen aufkaufen. Der neue Luxuswohnturm wird mit seiner guten Verkehrsanbindung, der Nähe zur Außenalster sowie zahlreichen Einkaufs- und Ausgehmöglichkeiten [›Hamburger Meile‹, Papenhuder Straße, Schwanenwik] und Kulturangeboten [z. B. das Kulturzentrum ›Kampnagel‹ im benachbarten Winterhude] beworben. Das Mundsburg-Quartier wird als neuer, aufstrebender ›Hotspot‹ beworben, die Luxustransformation des Wohnturmes als Signalwirkung für die umliegende Bebauung und Quartiersentwicklung eingeordnet. Das Gebäude an sich wird durch seine Historizität und seine Verankerung im Hamburger Stadtbild angepriesen; das Gebäude-Ensemble als Statussymbol der Stadt etabliert. Als einer der höchsten Wohntürme in Deutschland wird die Symbolträchtigkeit des Mundsburg-Turmes hervorgehoben Die 70er Jahre Architektur wird für die tendenziell junge Zielgruppe als Retrostil beworben. Mit der Reinkarnation des Mundsburg-Turms soll in Deutschland das Comeback des Luxuswohnens in Hochhäusern gefeiert werden, welches als besonders kosmopolitisch, als ›Leben mitten im Geschehen‹ inszeniert wird. Der Ausblick wird in Verbindung gesetzt mit dem Weitblick der Seefahrer; die Ruhe über den Dächern der Stadt gleiche der entspannten, klassisch-hanseatischen Mentalität. Abb. 6.1 Visulaisierung Außenfläche – Szenario B

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Zukunftsszenarien für den Mundsburg-Wohnturm

Abb. 7 Ausschnitt Grafik Szenarien: Mundsburg-Apartmentturm

Szenario C

Verfall

WEG Abstimmung

umfassende Sanierung

nicht alle zahlen alle zahlen

keine Kostendeckung andere Parteien übernehmen

Kostendeckung vollständig

Sanierung: Alles Notwendige Wettbewerb

Sanierung nach Vorbild von: Lacaton & Vassal

WEG: kommerzielle Beteiligung WEG bleibt bestehen

Antrag bei Stadt zur Mischnutzung

Mundsburg-Interessengemeinschaft ›Pro Sanierung‹ auf der Suche nach Lösungen Eine Sanierung des Mundsburg-Apartmentturmes darf nicht länger aufgeschoben werden, findet die Interessengemeinschaft ›Pro Sanierung‹. Die Gruppierung arbeitet seit Monaten an einer fairen Lösungsstrategie, die die Sanierung des Mundsburg-Turmes ermöglichen könnte. ›Pro Sanierung‹ hat zudem festgestellt, dass einigen Bewohnenden und auch Eigentümer_innen das Bewusstsein dafür fehlt, in welcher misslichen Lage sich die WEG durch den Zustand des Turmes befindet. In persönlichen Gesprächen sowie im Rahmen von Informationsveranstaltungen und Stammtischen klärt ›Pro Sanierung‹ sie über die diffizile Situation des Gebäudes sowie über mögliche Szenarien, die auf sie als WEG zukommen könnten, auf. Die Interessengemeinschaft selbst besteht zu einem Teil aus Selbstnutzenden, also Eigentümer_innen, die ihren Erstoder Zweitwohnsitz in der Mundsburg haben; außerdem aus Mietenden, die darauf spekulieren, zukünftig eine Wohnung im Turm kaufen zu können. Vor allem aber werden auch ›normale‹ Eigentümer aktiv, die die Investition in die Sanierung des Turmes tätigen wollen um ihre Anlage vor einem stetigen Wertverlust zu bewahren langfristig sogar eine Wertsteigerung erwarten und zudem große Mundsburg-Enthusiasten sind. Dazu kommt eine Gruppe älterer, aber wohlhabender Eigentümer_innen, die 24

›ihre Mundsburg‹ nicht in Schutt und Asche aufgehen sehen will und über die notwendigen Rücklagen verfügt. Man schätzt die Kosten einer Fassadensanierung auf 8,5 Millionen Euro. [vgl. Interview S.P.] Ein neuer Lösungsvorschlag Nach Gesprächen mit Verwaltung und Finanzberatern, sehen sie eine Möglichkeit darin, als Wohnungseigentümergemeinschaft einen Kredit für die Sanierungsarbeiten aufzunehmen. Dies ist eine Option, die erst seit einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom September 2015 besteht und eine ›ordnungsgemäße Verwaltung‹ darstellt.

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›Pro Sanierung‹ ist sich bewusst, dass im Falle einer Sanierung ohne Kredit ansonsten kurzfristig eine sehr hohe, zusätzliche Sonderumlage auf die einzelnen Parteien zukommen würde, die nicht jedes Mitglied der WEG aufbringen könnte. Der langfristige Kredit hingegen würde die Zahlungslast handhabbar machen. Auf diese Weise soll es auch finanziell schlechter gestellten Eigentümer-Parteien ermöglicht werden, die Sanierung mitzufinanzieren. Finanziell gut situierte Eigentümer_innen könnten dagegen ihren Anteil an der geliehenen Geldsumme auch direkt begleichen, sodass die gesamte Darlehenshöhe sinkt. Die Kredit-Finanzierungsmöglichkeit wird in einer außerordentlichen Versammlung der WEG präsentiert und erörtert. Hierzu ist ein neutraler Finanzexperte geladen. Wie im Urteil des BGHs [2015] als Voraussetzung gefordert, wird der Fokus hier auf das bestehende Risiko einer Nachschusspflicht gerichtet. Die Nachschusspflicht ist im Kontext des besonderen Haftungsrisikos zu sehen. Falls es zu Zahlungsausfällen von Eigentümer_innen komme, müssten diese von der gesamten WEG über erhöhte Wohngeldbeiträge zu tragen sein. [vgl. BGH 2015: 10; Weintz 2015] Die Bonitätsprüfungs der WEG-Mitglieder und mögliche zukünftige Wechsel in der Eigentümerschaft sind daher besonders kritisch bei der Aufnahme des Kredits. [vgl. ebd.] Finanzierung und Architektenwettbewerb Die Finanzierung einer Sanierung durch einen Kredit wird in einer weiteren, außerordentlichen Eigentümer_innen-Vollversammlung mit einigen Enthaltungen, aber dennoch mit einer deutlichen Mehrheit beschlossen. Der buchstäbliche Wahlkampf im Vorhinein scheint Früchte getragen zu haben. Nicht zuletzt wurden einige Eigentümer_innen auch von dem Vorhaben überzeugt, da ›Pro Sanierung‹ einen ganz26

Mit dem Urteil des BHGs vom 25. September 2015 ist es Wohnungseigentümersgemeinschaften gestattet, Kredite im Sinne einer ›ordnungsgemäßen Verwaltung‹ aufzunehmen. Voraussetzung ist, dass in der beschlussgebenden Eigentümerversammlung über die Risiken einer solchen Maßnahme [Haftungsrisiko / Nachschusspflicht], nachweislich im Protokoll, informiert wird. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es Einzelfallentscheidungen bedarf. Das Urteil beruht auf der Anfechtungsklage einer Eigentümerin, deren WEG eine Fassadensanierung mit geschätzten Kosten von zwei Millionen Euro durch einen Kredit von 1,3 Millionen Euro entschied. Das betreffende Gebäude stammt aus den 80er Jahren, die WEG bestand aus 201 Einheiten.

heitlichen Plan vorgelegt hatte. Neben der Finanzierungsmöglichkeit wurde auch die Idee präsentiert, einen Architektenwettbewerb auszuloben. Diesen von privater Seite auszuschreiben ist nicht oft der Fall, ›Pro Sanierung‹ will jedoch neue Wege gehen, um ein zukunftsfähiges, innovatives Konzept für den Mundsburg-Apartmentturm zu erzielen. Bei der Versammlung wird über unterschiedliche Formen des Wettbewerbs abgestimmt und sich für ein ›Nichtoffenes Wettbewerbsverfahrens‹ entschieden. [vgl. RPW 2015 §3, Art.2] So können favorisierte Teilnehmende am Verfahren direkt angesprochen werden. Mit diesen wesentlichen Entscheidungen wird der Weg für einen neuen Abschnitt des Mundsburg-Turms geebnet. Über ein Programm der ›Hamburger Investitions-und Förderbank‹ [vgl. IFB-WEGfinanz] kann bei der ›KfW Bank‹ ein Förderkredit aufgenommen werden, welcher die Sanierungsmaßnamen pro Eigentümer mit einem Darlehen von bis zu 25.000 Euro unterstützt. Der Verwalter Dr. Wentzel übernimmt die Organisation des Darlehen-Verfahrens sowie die Organisation der Wettbewerbsausschreibung in enger Kommunikation mit dem Verwaltungsrat, welcher von ›Pro Sanierung‹ teilweise gestellt und unterstützt wird. Unter der begrenzten Zahl an ausgewählten Teilnehmenden, fällt die Wahl auf ein junges Architektenteam. Ihre Ideen sind inspiriert von der Studie ›plus‹ des Architektenteams Frédéric Druot, Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal. Mit ihrem Entwurf verfolgen sie das Hauptanliegen, die Bausubstanz zu nutzen, dabei Wohnraum zu erweitern und die Mieterstruktur zu erhalten, d. h. keine Mieterhöhungen zu erzeugen. Das Vorhaben überzeugt auch preislich und das junge Team bekommt den Zuschlag für die Sanierung des Mundsburg Apartmenthochhauses.

Siehe hier BUCH II: Exkurs: Die ›plus‹-Strategie [Druot, Lacaton & Vassal]

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Siehe hier Buch III: Mundsburg heute – Akteursnetzwerk

Deutlich wurde dies bereits im Zuge einer Fassadensanierung des Büroturms. Ein Entwurf für den Anbau von Außenflächen [Balkonen, Loggien] stieß auf Protest, da der Büroturm dann optisch nicht mehr in das Ensemble passen würde.

Planungsprozess

Transformation

Der Planungsprozess verläuft partizipativ. Dabei werden in einer ersten Phase zunächst ausführliche Gespräche mit möglichst vielen Wohnparteien geführt sowie deren Wege und Praktiken um und innerhalb des Wohnturms eruiert. Ausgehend von der Bewohnerstruktur und deren Bedürfnissen soll auf neue Apartment-Typologien und nötige Eingriffe in die Gebäudestruktur geschlossen werden. In der Auswertung dieser dem Entwurf und der Planung noch vorangestellten Phase werden die Parameter für die Sanierung und die Aufwertung des Mundsburg-Wohnturms festgelegt.

Neben einer energetischen Sanierung und weiteren grundlegenden Sanierungsarbeiten [Erneuerung / Ersatz von Ableitungen, veralteten Heizungsrohren, Abwasserleitungen, Steigleitungen und Fallrohren, der Dezentralisierung der Wasseraufbereitung etc.] findet der Großteil der baulichen Aufwertungsmaßnahmen innerhalb der Wohneinheiten statt. Im Rahmen der vom Architekturbüro durchgeführten Befragung der Bewohnenden wurde deutlich, dass Bereiche wie die Treppenhäuser, der Eingangsbereich mit Pförtner sowie das erst vor zehn Jahren modernisierte Aufzugssystem ihrer vollsten Zufriedenheit entsprechen und keiner Maßnahmen bedürfen. Neben der Einrichtung einiger neuer Services und Räumlichkeiten konzentriert sich die Aufwertung dementsprechend auf die Apartments selbst.

Dabei erhält ein sensibler Umgang mit der vorhandenen Architektur und Bausubstanz eine besondere Wichtigkeit. Die Typologie des Turms soll aufgrund seines Wahrzeichen-Charakters so weit es geht erhalten werden. Bekannt als Zweier-, bzw. Dreier-Ensemble funktionieren die Mundsburg-Türme nur gemeinsam. Ändert sich die Optik eines der Türme drastisch, geht ihr Symbolcharakter für die Stadt verloren und Stimmen der Hamburger_innen und Anwohner_innen könnten laut werden. Parameter _ Wohnungen _ Mehr Lichteinfall _ Großzügigere und offenere Flächen _ Außenflächen [Balkone] _ Bessere Belüftung

Gebäude / Services / Umfeld _ Reinigungsservice _ Leichterer Zugang zu Auto und Fahrrad _ Leichterer Weg zur UBahnstation Mundsburg _ Eigenen Eingang zum Wohnturm, um nicht durch das Shoppingcenter gehen zu müssen

_ Mehr Austauschmöglichkeiten innerhalb des Hauses _ Aufenthaltsraum

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Erweiterung und Öffnung des Wohnraums Den Wünschen der Bewohnenden nach mehr Licht, Außenbereichen sowie einer Raumöffnung entsprechend und den architektonischen Prinzipien der ›plus‹-Studie von Druot, Lacaton und Vassal folgend, soll eine grundlegende Fassadenerneuerung und die Erweiterung des Wohnraums durch umlaufende Balkone den Hauptaspekt der Aufwertung darstellen. Erstere ist nicht nur baulich unabdingbar, da die bestehende Fassade bereits bröckelt, sondern würde zudem die Optik des Wohnturms aufwerten und die Wohnqualität der Bewohnenden steigern. Die alte Vorhangfassade [und mit ihr die alten, undichten Fenster] wird durch eine Glasfassade ersetzt. Diese vergrößert optisch die Apartments und erfüllt den Wunsch der Bewohnenden nach maximalem Lichteinfall. In modularer Bauweise werden, aufliegend auf einem Metallgerüst, zudem rund um den Turm überdachte und beheizbare Loggien angebaut und somit die Wohnfläche nicht nur optisch, sondern auch praktisch vergrößert sowie der Wunsch nach Außenbereichen erfüllt. Die Loggien und die neue Fassade sorgen für bessere Wärmespeicherung und einen dementsprechend niedrigeren Energieverbrauch. Die Überdachung und Möglichkeit der Beheizung der Außenbereiche gibt den Bewohnenden die Möglichkeit, diese auch bei klassischen Hamburger Wetterverhältnissen zu nutzen und die grandiose Aussicht über die Stadt zu jeder Tages- und Nachtzeit zu genießen. 29


Zusammenlegung von Wohneinheiten

Gebäudestruktur und Services

Dem Wunsch, über mehr Wohnraum zu verfügen und die Apartments räumlich zu öffnen wird in Form von Grundrissveränderungen nachgekommen. So werden in den Zwei-Zimmer-Wohnungen nach Möglichkeit die Küchen zum Wohnbereich hin geöffnet, indem die Trennwand entfernt wird. Einige der Ein-Zimmer-Wohnungen werden zudem zusammengelegt und zu größeren Ein-Zimmer-Wohnungen bzw. zu Zwei-Zimmer-Wohnungen zusammengelegt. Dies hat zwar zur Folge, dass weniger Wohneinheiten als zuvor zur Verfügung stehen, jedoch gleicht sich dieses Ungleichgewicht aus, da einige Firmen-Eigentümer, die die Apartments lediglich für Geschäftsreisende zur Verfügung stellen, sich im Gespräch überzeugen ließen, ihre Wohnungen zu veräußern. Gleiches gilt für die Wohnung des Scheichs im obersten Geschoss. Die Zusammenlegung der Wohneinheiten hat dementsprechend nicht zur Folge, dass Bewohnende, die bleiben möchten, ausziehen müssen.

Der tägliche Pförtnerservice von 16-23 Uhr bleibt bestehen und wird erweitert durch einen angegliederten Reinigungsservice, der den vielen Geschäftsleuten die Wäsche- und Bügelarbeit abnimmt. Während ein ehemals stattfindender Bewohnenden-Stammtisch im ›Friesenhof‹ sich auflöste, sollen die Bewohner durch räumliche Veränderungen und vom Concierge vermittelte Angebote dazu animiert werden, mehr in Kontakt zu treten. Dafür wird in der ersten Etage anstelle zweier Wohnungen ein Aufenthaltsraum eingerichtet, der über Tischgruppen, Sofas, eine Auswahl an Zeitungen, einen Fernseher, Gesellschaftsspiele etc. verfügt und vor allem für die älteren Bewohnenden eine Möglichkeit darstellen soll, gemeinsam Zeit zu verbringen und ohne großen Aufwand die Wohnung zu verlassen. Trotz der wenigen Familien im Mundsburg-Wohnturm gibt es beim Pförtner die Möglichkeit für ältere Bewohnende, mit Familien in Kontakt zu treten und Betreuungsangebote zu initiieren. Auf dem Dach des Mundsburg-Wohnturms entsteht ein Dachgarten, der sowohl als Aufenthaltsbereich als auch für ›urban farming‹ genutzt wird. Um die sichere Nutzung des Daches zu ermöglichen, wird zunächst rundum eine Barriere aus Plexiglas gezogen. Die auf dem Dach befindlichen, technischen Installationen werden in die Einrichtungen integriert. Während ein Teilbereich des Daches für Beete und Gewächshäuser genutzt wird, die von Hausbewohnenden gepflegt und betrieben werden, laden nebenliegende Freiflächen zum Entspannen ein. Neben Bänken und Liegen werden kleine Fitnessgeräte aufgestellt, vor allem verbreitet in süd- und osteuropäischen Regionen, um den Bewohnenden die Möglichkeit zu geben, mit Blick über die Stadt ihrem Fitnessprogramm nachzugehen. Auch über die Einrichtung eines hausinternen Fitnesstudios wurde nachgedacht, jedoch erübrigte sich dies, als sich herausstellte, dass viele der Bewohnenden das Studio im Mundsburg-Center nutzen.

Abb. 8 ›Visulaisierung Innenraum – Szenario C‹

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Außenflächen

Ablauf der Baumaßnahmen

Der kleine Privatweg, der vom Wohnturm zu einem Spielplatz führt, wird neu gestaltet. Um ein höheres Sicherheitsgefühl auch bei Dunkelheit zu gewährleisten, werden die den Weg säumenden Hecken auf eine Höhe von einem Meter gehalten sowie zahlreiche Lichtquellen in Form von hellen Straßenlaternen installiert.

Um zu verhindern, dass die Bewohnenden für einen längeren Zeitraum ausziehen müssen, werden so viele Baumaßnahmen wie möglich im laufenden Betrieb vorgenommen. So werden z. B. die Balkonmodule bereits vorgefertigt und können somit, ebenso wie die Glasfassade, angebaut werden, während die Bewohnenden in ihren Apartments bleiben. Lediglich für die Sanierung der Leitungen und Rohre im Turm müssen die Bewohnenden nach und nach für einige Zeit in sogenannten ›Umsetzwohnungen‹ untergebracht werden.

Bereits zum jetzigen Zeitpunkt kann man einen festen Parkplatz im Parkhaus des Mundsburg-Centers anmieten. Der Zugang zu diesen wird vereinfacht, indem ein Bereich des Parkhauses [Ebene 1, da diese für Bewohnende am schnellsten zu erreichen ist] komplett für die Bewohnenden reserviert ist. Zudem wird im Erdgeschoss des Parkhauses eine abgeschlossene Parkgarage für Fahrräder und Kinderwagen installiert. Dem Wunsch der Bewohnenden nach einem leichteren Zugang zum U-Bahnhof Mundsburg kann nicht direkt nachgekommen werden. Zwar bestehen Überlegungen, eine Brücke vom Mundsburg-Wohnturm zur Station zu bauen [dies liegt auch im Interesse der ›alstria‹, die das Mundsburg-Center betreibt], jedoch bedarf ein solcher Bau städtischer Genehmigungen und einer gemeinsamen Planung und wird dementsprechend erst später, wenn überhaupt, realisierbar sein.

Abb. 9 ›Visulaisierung Außenfläche – Szenario C‹ 32

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Zukunftsszenarien für den Mundsburg-Wohnturm Fazit IV Zukunft Ausgangslage Zukunftsszenarien für den Mundsburg-Wohnturm Überblick Szenario A Szenario B Szenario C Fazit Konklusion

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Indem wir in die Historie blickten, gegenwärtige Diskurse und Bestandslagen eruierten sowie im Zuge der Szenarien einen Blick in die Zukunft warfen, bewegten wir uns im Rahmen dieser Arbeit zwischen verschiedenen Zeiten. Dies zeigte sich auch im Kontrastreichtum des angelegten Materialkataloga: Alte Fotografien neben unseren individuellen Eindrücken von heute, Archivmaterial gegenüber aktuellen Mediaclippings, Broschüren der 70er Jahre im Schatten der hochaufgelösten Renderings komtemporärer Luxuswohnprojekte. Je mehr Informationen wir zum Wohnturm erhielten — wobei besonders die verhärtete Sachlage der WEG einen Antrieb darstellte — desto stärker drängte sich die in unserem Forschungsmotiv angelegte Frage auf, welche Entwicklung der Turm in den nächsten Jahren durchlaufen würde. Diese in die Zukunft gerichtete Frage ist dabei auch unserem Verständnis von Stadt als einem Prozess geschuldet: Wir sehen Städte und ihre [materiellen] Bestandteile wie den Mundsburg-Wohnturm als Teil eines stetigen Entwicklungsprozesses, in dessen Rahmen diverse Akteure und Aktanten in unterschiedlichen Momenten zusammenwirken und so ›das Urbane‹ produzieren. Im Laufe der Projektarbeit verdichteten sich unsere Informationsbausteine zu einem engmaschigen Geflecht, das wir kategorisierten, neu versammelten und auf dessen Basis wir Erkenntnisse für die vorangehenden Szenarien ziehen konnten. Diese spannten — wie in einem dreidimensionalen Modell — einen Möglichkeits[spiel]raum auf, innerhalb dessen sich der Apartmentturm in Zukunft entwickeln könnte. Der ›Möglichkeitsraum‹ hat dabei einen exkludierenden Charakter und schließt somit einige Szenarien aus, während, ausgehend von unterschiedlichen Bewertungen der Wahrscheinlichkeiten, die drei erarbeiteten Stränge eine unterschiedliche Gewichtung erfahren. Wir haben absichtlich keine extremen Szenarien gebildet, die auf sehr geringen Wahrscheinlichkeiten aufbauen würden. Dieser Entschluss entspringt unserer Überzeugung, die Szenarien anschlussfähig zu gestalten, was drei Unterpunkte mit sich bringt. So lässt sich zunächst unser Anliegen erkennen, realistische Szenarien zu bilden, die durch unsere Erkenntnisse für uns am wahrscheinlichsten wirken. Daher kommen wir auch an dieser Stelle zu der Einschätzung, dass 35


»The task of the critical urbanist is to be an advocate for different and more just urban worlds, to set up processes that can create alternatives, make them seem feasible, doable and respectable, and make what we have now seem absurd or downright unjust. Each building […] is an opportunity to intervene, educate, build alliances, propose alternatives and signpost new directions.« [Chatterton 2010: 236]

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Szenario A ›Uneinigkeit‹ gegenüber den Szenarien B und C eine höhere Chance hat, reale Entwicklungen widerzuspiegeln. In Szenario B muss zunächst die hohe Hürde der WEG-Struktur überwunden werden, um das Gebäude für das potentielle Redevelopment-Interesse eines spitzfindigen Projektentwicklers herzugeben. Persönlich würden wir das eher idealistische Szenario C, welches unter dem Arbeitstitel ›ganzheitlich & sozialverträglich‹ lief, bevorzugen. Diesem liegen die Ansätze der Architekt_innen Druot, Lacaton & Vassal zugrunde, welche den Akteuren in ihren Projekten viel Gehör schenken und zudem präferiert mit baulichem Bestand arbeiten. Darüber hinaus zeigen wir in Szenario C Tendenzen einer aktiven Wohngemeinschaft, die sich Stück für Stück selbst ermächtigt eine Handlungsstrategie entwickelt. Weiterhin wünschen wir uns auch, Anschlussfähigkeit dadurch zu erzeugen, dass unsere Szenarien als Impuls genutzt werden können – sei er aufrüttelnd oder motivierend. Paul Chatterton [2010: 236] formuliert hierzu passend: »Each building […] is an opportunity to intervene, educate, build alliances, propose alternatives and signpost new directions.«. Nicht zuletzt lassen wir die Szenarien im ›Jetzt‹ beginnen, sodass diese keinen großen Zukunftssprung implizieren, welcher in eine utopische oder dystopische Welt blicken ließe. Letztlich soll an dieser Stelle auch eine Bewertung abgegeben werden, die sich auf die Organisationsform der Wohnungseigentümergemeinschaft bezieht. Das Modell ›WEG‹ erweist sich durch die Beschlussform der Mehrheitsbeschlüsse als Schwachstelle, wenn es um hochpreisige oder groß angelegte Veränderungsprozesse am Gebäude geht. Zudem zeigt sich eine Informationsasymmetrie zwischen den sehr gut informierten Personen aus dem Kreis des Verwaltungsbeirats und dem weniger gut informierten Gros restlicher Eigentümer_innen. Hier könnte z. B. die Einberufung eines_r Ombudsmannes_frau hilfreich sein, welche_r kritische Verfahren unparteiisch begleitet und somit den Weg für gerechtere und besser kommunizierte Lösungen ebnet. 37


Konklusion Ein Rückblick IV Zukunft Ausgangslage Zukunftsszenarien für den Mundsburg-Wohnturm Überblick Szenario A Szenario B Szenario C Fazit Konklusion

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Unsere anfängliche Faszination und folglich unser Motiv bestand in der Annahme, dass der im Norden Hamburgs Barmbek emporragende Mundsburg-Apartmentturm eine Art ›Grenzgänger‹ des Luxus ist. Denn vor Aufnahme unserer Forschungsarbeit ließ uns der erste Blick auf den Wohnturm als außenstehende Beobachterinnen zunächst schließen, dass dieser hinter seiner kantigen 70er Jahre-Stahl- und Beton-Fassade zwar typische Luxusaspekte verkörpert, aber dennoch mit dem heutigen Verständnis von Luxuswohnen nicht mehr mithalten kann. Im Laufe dieser Forschungsarbeit sind wir daher zunächst der Frage nachgegangen, inwiefern sich der Mundsburg-Wohnturm im heutigen Verständnis des Luxuswohnens in Hamburg einordnen lässt. Was uns die Arbeit an der Thematik des Luxuswohnens in Hamburg sowie die ganz dezidierte Beschäftigung mit Luxuswohnen in Hochhäusern in diesem Zusammenhang vor allem gezeigt hat, ist wie schnelllebig und flüchtig das Verständnis von Luxus, was das Wohnen in der Stadt betrifft, sein kann – auch auf der Ebene eindeutig monetär bedingter Luxusphänomene. Gleichzeitig ging aus der Analyse des kontemporären Luxuswohnens in deutschen Städten hervor, dass sich das Verständnis von Luxuswohnen in der heutigen Zeit nicht auf ›die eine‹ Linie oder Regelhaftigkeit herunterbrechen lassen kann. Es besteht vielmehr in einer seriellen Verschaltung von Eigenschaften und Modi, die – einmal angeordnet – den Ansprüchen eines bestimmten Klientels entsprechen. Diese Ansprüche wandeln sich stetig gemeinsam mit der Gesamtheit der gesellschaftlichen Welt mit, weshalb Luxuswohnen sich in einem unaufhörlichen Fluss aus Referenzen [und Referenzen von Referenzen] aus 39


Siehe dazu: Buch II

vorausgegangenen Funktionen, Materialitäten, Athmosphären, Nutzungsmodi und Bildsprachen befindet. [vgl. Dell 2016: 168-170] So haben auch städtebauliche Leitbilder über die Jahre hinweg einen immer rasanteren Wechsel vollzogen, was nicht zuletzt an dem beschleunigten Austausch und der Kommunikation der heutigen Zeit liegt. Im Zuge dieser Historie ist auch die Rolle von Hochhäusern einem stetigen Wandel unterlegen, der jüngst auch die Neuentdeckung des Hochhauses als moderne und zunehmend verbreitete Ausprägung des luxuriösen Wohnens mit einschließt. Luxus: ja oder nein?

Siehe Buch I: Der Markt

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Aber verkörpert der Mundsburg-Apartmentturm nun Luxus? Hat der Mundsburg-Apartmentturm damals in den 70er Jahren luxuriöse Standards erfüllt? Und wie ist er in die kontemporäre Typologie hochpreisigen, als ›luxuriös‹ betitelten Wohnens einzuordnen? Als der Wohnturm Anfang der 70er Jahre fertiggestellt wurde, gehörten Ausstattungsmerkmale wie Zentralheizung, Schnellaufzüge, Müllschlucker und Elemente der Inneneinrichtung wie z. B. Marmorwände und Böden, dunkles Mahagoniholz und knallige Keramikfliesen zum modernsten Stand, den zeitgemäße Wohnhäuser bieten konnten. Die Lobby, das an den Gebäudekomplex angeschlossene Schwimmbad sowie die Fitnesshalle zeugten von überdurchschnittlichen Maßstäben des Wohnens, die bei Bau und Planung an den Mundsburg-Apartmentturm gelegt wurden. Die zentrale Anbindung und exklusive Lage in Alsternähe wie auch die für Hamburgs Stadtbild außergewöhnliche Höhe, die ein erstklassiges Panorama verspricht, sind bis heute als ›Luxusaspekte‹ des Mundsburg-Wohnturms einzuordnen. Doch aus unseren Betrachtungen von kontemporären Beispielen des Luxuswohnens in

Deutschland wie den ›Sophienterrassen‹, dem ›Endlich Eppendorf‹ oder dem ›The Seven‹ konnten wir vor allem schließen, dass Luxuswohnen ein komplexes Zusammenspiel verschiedenster Faktoren wie baulicher Elemente, der Lage, der Ausstattung [u. A. Außenflächen, Fußböden, Lüftungsanlagen, eingebaute Smart Home Systeme] der angebotenen Services und insbesondere der Vermarktung ist. Bei den in Buch I herausgestellten, exemplarischen Projekten besteht kein Zweifel, dass es sich um Luxus in seiner materiellsten Ausprägung handelt. Setzt man diese kontemporären Projekte jedoch analog in Beziehung mit dem Mundsburg-Wohnturm in seinerm aktuellen Zustand genügt ein einziger Blick, um zu konstatieren, dass dieser im Luxusvergleich hoffnungslos zurückbleibt. Der aktuelle bauliche Zustand gibt ganz im Gegenteil Grund zur Annahme, dass dem Wohnturm eine äußerst komplikationsreiche Zukunft bevorsteht. Seine verfahrene Lage hinsichtlich dringend notwendiger Sanierungsarbeiten begründet sich dabei gleichwohl in baulichen Mängeln wie Rissen in der Fassade, maroden Hausanlagen und Leitungen, die immer wieder zu starken Beeinträchtigungen des Wohnens und des alltäglichen Lebens der Hausgemeinschaft führen sowie in der äußerst heterogenen, als WEG organisierten Eigentümer_innenstruktur. Es ergibt sich die Momentaufnahme eines Wohnhochhauses, das derzeit an einem kritischen Scheidepunkt sowie vor einer ungewissen Zukunft steht. So eindeutig die harten Fakten im Vergleich mit unserer erarbeiteten Luxustypologie gegen die Einstufung als Luxuswohnturm sprechen, so differenziert sich das Bild angesichts des ›ideellen‹ Luxus, den die Bewohnenden ihrem Wohnturm beimessen. Trotz der alles andere als luxuriös anmutenden Entwicklung des Mundsburg-Apartmentturms seit den letzten vier Dekaden hat sich bei einigen ein fast bedingungsloses Verbundenheitsgefühl zu ihrem Wohnhaus eingestellt.

Siehe Buch I: Der Markt

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Siehe Buch III: Luxusaspekte der Bewohnenden

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Die Schadensfälle und die damit einhergehenden Auswirkungen auf das Wohngefühl sowie andere Beeinträchtigungen, die im Hausverband zwischenzeitlich auftreten, werden zwar beklagt, aber im Allgemeinen hingenommen: So z. B. das von uns befragte Ehepaar B., welches seinen ganz persönlichen Luxus vor allem in der zentralen Lage und dem diversen Einkaufs- sowie kulturellen Angebot in der unmittelbaren Umgebung sieht. Was ihr Wohngefühl betrifft, hat sich ihre Zufriedenheit mit ihren Wohnverhältnissen – trotz der ständigen Wasserschäden und der zunehmenden Ferienvermietung einiger Wohnungen im Haus – über die Jahre hinweg nicht geschmälert. Im Gegenteil: Das Ehepaar hat den Wohnungskauf bis heute nicht bereut und hat sich, obwohl nach ihrem Eintritt ins Rentenalter Domizile am Bodensee oder in Berlin im Gespräch waren, für einen Lebensabend im Mundsburg-Wohnturm entschieden. Auch SP sieht in seinen Apartments im Mundsburg-Turm einen Lebenstraum und wichtige Prioritäten, was seine Idealvorstellungen von Wohnen betrifft, erfüllt. Doch auch sie sehen die baulichen Probleme, insbesondere Fassade, mit Sorge. Dass ihr Mundsburg-Apartmentturm keine Luxusimmobilie ist, ist ihnen bewusst. So stellt SP nüchtern fest: »Also zur exklusiven Luxusimmobilie, dazu wird es denk ich mal nicht mehr reichen.« Darum stellt die WEG-Versammlung, die im September zwecks einer Beschlussfassung der Fassadensanierung anberaumt wurde, einen entscheidenden Wendepunkt für die Zukunft des Wohnturmes und die Hausgemeinschaft dar, so wie sie im Moment verfasst ist.

Szenarien als mögliche Handlungsspielräume Mit den zuvor durchgeführten Analysen zum kontemporären Verständnis des Luxuswohnens [in Deutschland] und der von uns vorgenommenen Einordnung des Mundsburg-Apartmentturmes damals und heute haben wir für die Konzeption von möglichen Zukunftsszenarien des Mundsburg-Wohnturmes exakt an diesem Punkt der bald stattfindenden WEG-Versammlung angesetzt. Dabei sind wir von dem Verständnis von Stadt als sich stetig fortschreibender Prozess sowie dem performativen Zusammenspiel von Akteur_innen und Aktanten ausgegangen, in dem Stadt produziert wird. Diese Performanz ist zu jeder Zeit situationsgebunden und kontingent; d. h. Handlungsstränge und -spuren können sich in alle Richtungen bewegen. In diesem Sinne haben wir mit unseren drei verschiedenen Szenarien einen Handlungsspielraum aufgespannt, innerhalb dessen diese sich an verschiedenen Stellen kreuzen, verschränken oder ihre alternativen Verläufe nehmen können. Die drei Szenarienstränge wurden anhand der von uns im Forschungsprozess erhobenen und recherchierten Informationen mit Parametern versehen. Szenarien A

Das Szenario einer Uneinigkeit in der WEG, das zu einer Reihe von oberflächlichen Sanierungen bis zum schleichenden Verfall bzw. Aufkauf des Wohnturms führt.

B

Das Szenario der Ablehnung einer Sanierung durch die WEG mit anschließendem möglichen Aufkauf des Gebäudes durch einen privaten Investor, der dieses in eine Luxusimmobilie im Modus der in Buch I herausgestellten Luxuswohn-Typologie umwandelt.

C

Das Szenario einer ›sozialverträglichen‹ und kostensparenden Sanierung nach dem Vorbild der Architekten Druot, Lacaton & Vassal.

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Die jeweiligen Szenarien wurden in Konsultation von Expertinnen eruiert und in Hinblick auf ihre Relevanz und realistische Bestandskraft validiert. Aus diesen drei Zukunftsprojektionen konnten wir wiederum zentrale Erkenntnisse extrahieren: Einerseits erweist sich die Organisationsform als WEG und deren heterogene Interessenlage als Hindernis für die Umsetzung schneller und effektiver Sanierungs- und Veränderungsvorhaben. Sensibel, prozesshaft und ganzheitlich denken Die Erarbeitung der Zukunftsszenarien und deren stetiger Abgleich mit den von uns erhobenen Daten sowie mit theoretischen Konzepten bringt uns zu einer weiteren Schlussfolgerung: Analog zu unserer Sichtweise auf die Stadt als Prozess sehen wir auch Gebäude als Aktanten im prozesshaften Gefüge des urbanen Raums – als flexible Strukturen – an. Diese Sichtweise divergiert jedoch bislang von dem überwiegenden Teil der planenden und bauenden Realität. Es ist zu beobachten, dass Abriss und Neubau-Maßnahmen sind, die im Falle maroder Bauten, die nicht mehr modernen architektonischen Standards entsprechen, als gängige Strategie zum Tragen kommen [wie z. B. ›Pruitt-Igoe‹ in St. Louis]. Wohngebäude jedoch verändern sich mit ihren Bewohnenden sowie mit der sie umgebenden, urbanen Umwelt – mit gesellschaftlichen, architektonischen und politischen Diskursen – und sollten hierfür auch die Möglichkeit hierzu zugestanden bekommen. Um langfristig bestehen zu können, müssen sie jedoch an die sie umschließenden Faktoren angepasst und modifiziert werden. Dass dies in der Praxis funktionieren kann, beweist das Projekt ›Tour Bois Prêtre‹ von Druot, Lacaton & Vassal, in dessen Anlehnung wir auch das ›Szenario C‹ für den Mundsburg-Wohnturm entworfen haben. »Transformation rather than demolition« [Druot, Lacaton & Vassal 2007]: Dass auch in der Stadtplanung, der Stadtentwicklung, in der Architektur sowie im wissenschaftlichen Diskurs diese Sichtweise angenommen wird, halten wir vor allem hinsichtlich der Schnelllebigkeit der heutigen Gesellschaft für hochrelevant. Nicht nur soziale Strukturen verändern sich, auch Materialstrukturen verfallen und Trends vergehen – all dies in einer Geschwindigkeit, die es unabdingbar macht, ganzheitlich und prozesshaft zu denken, zu entwerfen und zu bauen. Nachhaltiges Bauen erhält an dieser Stelle somit eine zusätzliche Konnotation: Nicht nur im ökologischen, sondern auch im sozialen Sinne 44

ist es wesentlich, mit Blick in die Zukunft zu planen und sowohl baulich als auch konzeptionell möglichst flexible Strukturen – das bedeutet offene Vorschläge statt finalisierte Lösungen – zu schaffen. Gleiches gilt dabei für den Umgang mit Baubestand, der zunächst auf seine Wandelbarkeit überprüft werden sollte, bevor möglicherweise rückbauende Maßnahmen in den Vordergrund treten. Schlussendlich lässt sich auch die verfahrene Situation der WEG im Mundsburg-Turm in dieses Raster einordnen: Eine derart starre Organisationsform, insbesondere in Wohntürmen mit ihrer Vielzahl an Wohneinheiten, sehen wir als ein Modell an, das hinsichtlich seiner Aktualität und langfristige Bestandsfähigkeit überdacht werden sollte. Eigene Positionierung und übergeordneter Mehrwert In diesem Lichte betrachten wir die vorliegende Arbeit nicht nur als die Dokumentation eines ausgewählten Gegenstandes der sozialen, städtischen Wirklichkeit. Vielmehr sehen wir hierin auch ein Angebot an unser Forschungsfeld und seinen Akteur_innen, mehr interdisziplinäre Sichtweisen und Impulse aus der Wissenschaft in ihre realen Informations- und Abwägungsprozesse einfließen zu lassen. Der Mehrwert liegt vor allem in den Möglichkeiten, Handlungsspielräume zu weiten und auf fruchtbare Weise zu diversifizieren. Diesem Umstand Rechnung tragend sind auch die Hintergründe unserer Forschungsgruppe vielfältig und haben die vorliegende Arbeit in ihrer besonderen, multiperspektivischen Form entstehen lassen. Herbert Marcuses Postulat »Expose, propose, politicize« [Marcuse 2009: 189], hat uns dazu angeregt, sonst verborgen gebliebenes Wissen zugänglich zu machen und, basierend auf unserer Forschung, einen konkreten Vorschlag hinsichtlich sozialverträglicherer und für die Zukunft tragfähigerer Optionen in Gestalt von Szenarien zu machen. Als angehende Forschende möchten wir uns daher zur Rolle einer Art ›wissenschaftlicher Advokaten‹ bekennen, die bereits bei dem Entwurf des Forschungsdesigns den Impetus verfolgen, Wissensbestände im Forschungsfeld zu heben, die für zukünftige Entwicklungen und Vorhaben Relevanz haben und nutzbar gemacht werden können. Somit verstehen wir die hier vorliegende Arbeit als eine Ressource, die zwischen der Sphäre der Wissenschaft, der fachlichen Praxis sowie der sozialen Lebenswelt der Bewohnenden des Mundsburg-Apartmenturmes anzusiedeln ist. 45


Verzeichnis Buch IV Literatur- & Abbildungsverzeichnis BGH 2015. Urteil des Bundesgerichtshof vom 25.09.2015. Aktenzeichen: V ZR V ZR 244/14. http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document. py?Gericht=bgh&Art=en&sid=10935c2712261d9946cdbb3952aa7b07&nr=72575&pos=0&anz=1&Blank=1.pdf [26.08.2017].

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Abbildungsverzeichnis Abb. 0 Ball des Beaux Arts, New York, 1931 http://www.historybyzim.com/2013/10/beaux-arts-architects-ball-1931/ [31.08.2017]. Abb. 1 Blickachse Mundsburg, © Julia Marie Englert Abb. 2 Grafik Szenarien: Mundsburg-Apartmentturm Eigene Darstellung Abb. 3 Ausschnitt Grafik Szenarien: Mundsburg-Apartmentturm Eigene Darstellung Abb. 4 Ausschnitt Grafik Szenarien: Mundsburg-Apartmentturm Eigene Darstellung Abb. 5 Visualisierung Innenraum – Szenario B © Petra Palusova Abb. 6 Visualisierung Außenfläche – Szenario B © Petra Palusova Abb. 6.1 Visualisierung Außenfläche – Szenario B © Petra Palusova Abb. 7 Ausschnitt Grafik Szenarien: Mundsburg-Apartmentturm Eigene Darstellung Abb. 8 Visualisierung Innenraum – Szenario C © Petra Palusova Abb. 9 Visualisierung Außenfläche – Szenario C © Petra Palusova

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