BIKEABLE Eine Zukunft des Radverkehrs

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Bikeable Eine Zukunft des Radverkehrs Sattler Philipp


1. Bachelorarbeit

Bikeable Eine Zukunft des Radverkehrs

Eingereicht an der FH JOANNEUM GmbH Fachhochschulstudiengang Bauplanung und Bauwirtschaft

Betreuer: DI Marion Alexandra WĂźrz-Stalder

vorgelegt von: Philipp Sattler 1310233055


„Ich erkläre hiermit eidesstattlich, dass ich folgende Arbeit selbstständig angefertigt habe. Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken oder Formulierungen sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit wurde bisher an keiner anderen Bildungsinstitution vorgelegt und ist noch nicht veröffentlicht.“

Graz, am 5.10.2015 Sattler Philipp


Kurzfassung: Ziel dieser Arbeit ist es sich mit dieser Radverkehrsplanung im Detail zu beschäftigen. Die zentrale Fragestellung lautet: „Welche Kriterien muss eine Stadt erfüllen und welche Maßnahmen müssen gesetzt werden um seine Einwohner zur Benützung des Fahrrads einzuladen?“ Zuerst wird die Bedeutung des Radverkehrs für eine lebenswerte Stadt und für den Menschen dargelegt und die Beziehung zwischen dem Fahrrad und dem Verkehr diskutiert. Die Beweggründe der Verkehrsmittelwahl werden erörtert und im Spannungsfeld Individuum und Gesellschaft beleuchtet. Die Kriterien, Maßnahmen und Konsequenzen der Radverkehrsgestaltung werden zusammengefasst und mit gängigen Bewertungskriterien abgerundet. Diese werden dann anhand von Best-Practice Beispielen belegt und mit Grazer Zuständen verglichen um einen Eindruck über die Zukunft des Fahrrads zu gewinnen.

Short Summary: This thesis focuses on bicycle planning. The research question asks: „Which criteria has a city to fulfill and which actions are to be taken to invite citiziens to bike?“ First the importance of the bicycle for a liveable city and its inhabitants and the relationship of traffic and bicycling are discussed. The motivations of vehicle choices are explored and positioned in the conflicting dichotomy of society and the individual. The criteria, actions and consequences of bicycle planning are summarized and augmented with popular ranking criteria. Those are proven by best practice examples and are compared with the conditions of Graz in order to get an impression of a bicycle future.


„Wenn Planer Städte nach menschlichem Maß und die Schaffung urbaner Orte für soziale Interaktion zur Priorität machen, wenn sie die Einwohner einladen wollen, öfter mit dem Rad zu fahren oder zu Fuß zu gehen, dann müssen sie unbedingt gezielt darauf hinarbeiten und die nötigen Voraussetzungen dafür schaffen.“ - Jan Gehl, Städte für Menschen (2015), S. 109


Inhaltsverzeichnis 0. Vorwort

7

1. Die lebenswerte Stadt, der Verkehr und das Fahrrad

8

Verkehrssicherheit für jeden

10

Gesundheit für alle

10

Fahrradkultur für den Einzelnen

12

2. Beweggründe der Verkehrsmittelwahl

13

3. Grundlagen der Radverkehrsgestaltung - Was macht eine gute Fahrradstadt aus?

22

Sicherheit

22

Maßnahmen und Gestaltung

24

Copenhagenize Index Criteria

27

4. Das Fahrrad am Vormarsch: Best Practice

30

Kopenhagen

30

Amsterdam

34

5. Graz als Fahrradstadt

36

Die Verkehrsplanungsrichtlinie kritisch hinterfragt

38

Graz, wohin des Weges?

40

6. Schlussbetrachtungen

40

7. Bibliographie

42

Internetquellen

42

8. Bildnachweise

44

Im folgenden Dokument wird aus Gründen der Lesbarkeit auf eine gendergerechte Ausformulierung verzichtet.


0. Vorwort Stadt ist Lebensraum. Der Mensch definiert diesen Raum und folglich sein Leben darin. Wie Jan Gehl beschrieb: „Erst formen wir unsere Städte, dann formen sie uns.“1 Für viele Jahrzehnte spielte der Autoverkehr die entscheidende Rolle in der

Gestaltung der modernen Stadt. Dies führte zu leblosen Städten.2 Zusehends

erkennt man nun, dass eine lebenswerte Stadt den Menschen und nicht das Auto ins Zentrum stellen muss. Führende Stadtplaner und Architekten wie Jan Gehl postulieren und belegen, dass eine Stadt die auf das menschliche Maß und die menschliche Geschwindigkeit Rücksicht nimmt auch eine hohe Lebensqualität aufweist.3 Die Erneuerung von Städten wie Kopenhagen, New York und Hamburg

belegen dies anschaulich. Im Wesentlichen gründen die Transformationen von Autostädten zu „Städten für Menschen“ auf den folgenden drei Maßnahmen. Erstens wird Fußgängerzonen und Plätzen, die Menschen zum Verweilen einladen, Raum gegeben. Zweitens wird der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes, sodass es attraktiv und komfortabel für die Benutzer ist, vorangetrieben. Drittens wird auch ein gutes, sicheres und dichtes Radverkehrsnetz, das zum Radfahren animiert, bereitgestellt.4

Ziel dieser Arbeit ist es sich mit dieser Radverkehrsplanung im Detail zu beschäftigen. Die zentrale Fragestellung lautet: „Welche Kriterien muss eine Stadt erfüllen und welche Maßnahmen müssen gesetzt werden um seine Einwohner zur Benützung des Fahrrads einzuladen?“ Zuerst wird die Bedeutung des Radverkehrs für eine lebenswerte Stadt und für den Menschen dargelegt und die Beziehung zwischen dem Fahrrad und dem Verkehr diskutiert. Die Beweggründe der Verkehrsmittelwahl werden erörtert und im Spannungsfeld Individuum und Gesellschaft beleuchtet. Die Kriterien, Maßnahmen 1

siehe: Willenbrock (2014).

2

vgl. Gehl (2015)

3

ebd.

4

ebd.

7


und Konsequenzen der Radverkehrsgestaltung werden zusammengefasst und mit gängigen Bewertungskriterien abgerundet. Diese werden dann anhand von BestPractice Beispielen belegt und mit Grazer Zuständen verglichen um einen Eindruck über die Zukunft des Fahrrads zu gewinnen.

1. Die lebenswerte Stadt, der Verkehr und das Fahrrad Am 23. Mai 2007 lebten erstmals mehr Menschen in Städten als in ruralen Gebieten.5 Obwohl dieses Datum eher symbolisch zu verstehen ist, zeigt es dass

die primäre Form menschlichen Zusammenlebens heute in Städten und Metropolen stattfindet. Der urbane Raum muss deshalb dieser Entwicklung Rechnung tragen. Der Bau von Städten aus der Vogelperspektive ohne Rücksicht auf das menschliche Leben zwischen den Gebäuden galt lange als Planungsnormalität. Besonderer Wert wurde auf die Ausrichtung der Städte für den motorisierten Individualverkehr (MIV), besonders das Automobil, gelegt. Das dies die Qualität einer Stadt dezimiert formulierte Jane Jacobs 1963 so: „Wir haben Schnellverkehrsstraßen, die unserer Großstädte ausweiden. Das ist kein Städtebau, kein Wiederaufbau, das ist Raubbau, Städteabbau.“ Wie sich Menschen in Städten bewegen und versorgen wurde reduziert auf das „Wunder“ Automobil. Zunehmend wachsende Städte können das immer größer werdende Aufkommen an Autos jedoch nicht bewältigen. Gerade im innerstädtischen Bereich führt dies zu Problemen bei der Parkplatzsuche und immer häufiger zur Staubildung. Dadurch vermindert sich die Qualität des Stadtlebens. Dem Auto muss immer mehr Raum gegeben werden, die dem Menschen weggenommen wird. Die Straße ist jedoch soviel mehr. „The Street: Aside from being a simple thoroughfare, a street is a melting pot of social interaction: a mix of intermingling, work, exchange, celebration, protests, trade, transport and housing (though sadly not for all). The street is a shared space and a communal area that brings people together.“6

5

vgl. Science Daily. Online. [http://www.sciencedaily.com/releases/2007/05/070525000642.htm]

6

Musée historique environnement urbain. Online. [mheu.org/en/street]

8


Der Straßenraum ist somit auch Aufenthaltsraum. Vor dem „Siegeszug“ des Automobils herrschte reges Treiben auf Straßen, obgleich auch unterbrochen von Fuhrwerken. Heute haben diese Funktion hauptsächlich noch Fußgängerzonen und autofreie Plätze, da Straßen hauptsächlich für Automobile, manchmal noch für Radfahrer genutzt werden. Für Fußgänger sind Straßen zu gefährlich. Verändert hat sich dadurch auch die Wahrnehmung dieser Plätze. Vorbeieilende, laute Autos laden nicht zum Verweilen ein. Man hält sich nicht gern an Plätzen auf, die geprägt sind vom Autoverkehr und der Geschwindigkeit. Die Qualität eines Platzes, oder wie Jan Gehl es nennt „die Intensität des Stadterlebnisses“ ist das Produkt aus Aufenthaltsdauer und der Anzahl der Menschen an einem Ort. Je länger man sich an einem Ort aufhält, selbst wenn nur wenige Menschen dort sind, umso lebendiger wirkt ein Ort. Viele rasch vorbeilaufende Menschen erzeugen dieses Gefühl nicht.7

Ebenso verhält es sich mit der hohen Geschwindigkeit von Automobilen. Je höher die Geschwindigkeit umso lebloser werden Orte. Schnell fahrende Verkehrsmittel ziehen nur eine sehr kurze Belebung des Straßenbildes nach sich. Die Verringerung der Bewegungsgeschwindigkeit trägt also essentiell dazu bei, die Lebendigkeit eines Ortes zu schaffen.8 Die Interaktion zwischen Personen, die Möglichkeit in

Kontakt zu treten, sich Raum in einer Stadt für seine Aktivitäten zu nehmen und vielfältige Angebote zu erleben machen urbanen Raum lebenswert. In der Hávámál, einer über 1000 Jahre alten isländischen Vers- und Liedersammlung wird treffend gesagt: „Der Mensch ist des Menschen größte Freude.“9 Verkehrskonzepte die auf

das Auto ausgerichtet sind berücksichtigen dies kaum. Das rasche Weiterführen von Menschen, die getrennt in Metallkisten an- und nacheinander vorübergleiten ohne soziale Interaktion, ohne Kontakt zueinander ist bezeichnend für die triste Leblosigkeit solcher Konzepte und solcher Städte die dies fördern.10

7

vgl. Gehl (2015), S. 88

8

vgl. Gehl (2015) S. 90

9

siehe und vgl. Gehl (2015), S. 36-39

10

vgl. Schwedes (2012), S. 8-14

9


Verkehrssicherheit für jeden Sieht man sich die Statistiken an erkennt man auch die gravierenden Folgen des starken Automobilverkehrs. Unfälle und dadurch verursachte Verletzungen im Straßenverkehr liegen weltweit an achter Stelle der Todesursachen. Bei jungen Personen zwischen 15 und 29 sind sie sogar die führende Todesursache. Jedes Jahr sterben über eine Million Menschen an den Folgen von Verkehrsunfällen - 2013 waren es 1,24 Millionen. Weitere 20 bis 50 Millionen erleiden schwere Verletzungen. Laut Prognose der WHO sollen bis 2030 Verkehrsunfälle sogar die fünft häufigste Todesursache weltweit werden, falls keine Maßnahmen gesetzt werden um gegenzulenken.11 Die Warnung ist klar. Es müssen Bedingungen geschaffen werden

um nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer zu schützen, denn weltweit sind 27 Prozent aller Verkehrstoten Fußgänger und Radfahrer. In Länder mit niedrigem bis mittlerem BIP steigen diese Zahlen von einem Drittel bis zu 75 Prozent aller Verkehrstoten.12 Laut Empfehlung der WHO muss das zu Fuß gehen und

Radfahren demnach sicherer gemacht werden und als gesunde und kostengünstige Alternative der Fortbewegung unterstützt werden. Allein die Verkehrstoten belasten den Staatshaushalt im Durchschnitt weltweit mit 1-2 Prozent des BIP an Kosten und Verlusten, was Milliarden an Ausgaben bedeutet und das jedes Jahr. Investitionen in Fuß- und Radinfrastruktur rechnen sich also schnell. Jedoch haben nur 68 Länder weltweit nationale und regionale Gesetze und Maßnahmenpakete die zu Fuß gehen und Radfahren unterstützen und nur 79 Länder Gesetze die Radfahrer und Fußgänger schützt in dem man sie vom motorisierten Verkehr trennt.13

Gesundheit für alle Die WHO empfiehlt 30 - 60 Minuten Bewegung am Tag zur Förderung der allgemeinen Gesundheit. Das Auto hat die Bewegungsfreudigkeit der Menschen 11

vgl. WHO Global Status Report 2013 S. vii - 38

12

vgl. ebd.

13

vgl.. WHO Global Status Report 2013 S. vii - 38

10


nachhaltig eingeschränkt. Es wird heutzutage für jede Art der Fortbewegung genutzt. Zusätzlich sind in der Dienstleistungsgesellschaft Bewegung auch nicht Teil des Arbeitsalltags. Schulen erkennen auch zusehends die Notwendigkeit der Förderung der Bewegung von Kindern. Wesentlich dazu beitragen kann die Integration von Bewegung in den Alltag. Anstatt mit dem Auto zur Arbeit, zum Einkaufen, zu Freunden zu fahren, bietet das Fahrrad eine gesunde Alternative an. Zusätzlich ist das Fahrrad in den meisten Ballungszentren und Städten heutzutage die schnellste Möglichkeit sich durch den, durch Stau zum Erliegen gekommenen, Berufs- und Schulverkehr zu bewegen. Die Nutzung des Fahrrads auf täglichen Wegen wird mit einer moderaten Intensität oder auf der MET-Skala (metabolic equivalent task) mit 5-8 eingestuft. Dies bedeutet, dass der Energieumsatz 5-8 mal höher ist als im ruhenden Zustand. Radfahren ist damit ungefähr doppelt so intensiv wie zu Fuß zu gehen und deshalb auch für alle Altersklassen und Fitnesslevel gut geeignet. Betrachtet man die Gesundheitsverbesserungen so führt der Umstieg von Automobil zum Fahrrad auf täglichen Wegen zur Reduktion der allgemeinen Sterblichkeitsrate um 28 Prozent. Kardiovaskuläre Krankheiten nehmen ab, erhöhter Blutdruck sinkt und das Risiko an chronischen Krankheiten zu erkranken wird reduziert. Studien zeigen auch das Symptome der klinischen Depression abnehmen, Stress abgebaut wird und die generelle kognitive Leistungsfähigkeit tagsüber steigt, wenn man den Tag mit dem Fahrrad beginnt.14

Gegenteilige Effekte wurden bei regelmäßigen Autofahrern gefunden. Wer mehr als 10 Stunden in der Woche im Auto verbringt hat eine 82 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit an kardiovaskulären Erkrankungen zu sterben und eine 13 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit übergewichtig oder fettleibig zu sein. Die Reduktion des Autoverkehrs bringt aber auch weitere indirekte Gesundheitsverbesserungen mit sich. Automobile gehören zu den Hauptverursachern der Luftverschmutzung. Feinstaub und andere über die Luft verbreitete Schadstoffe tragen zu kardiovaskulären und Atemwegserkrankungen massiv bei. In Australien erkranken und sterben jährlich 1800 und 6500 Personen in an den Folgen der Luftverschmutzung durch Fahrzeuge. Dadurch wird ein volkswirtschaftlicher Schaden von 1,5 - 4 Milliarden US-$ verursacht. Autoverkehr ist 14

vgl. Pucher (2012), S. 31-40

11


weiters der Hauptverursacher von Lärmverschmutzung in Städten. Diese führt zu Schlaflosigkeit, erhöhten Stresslevels, Gehörschäden und in weiterer Folge zu erhöhtem Blutdruck und der signifikanten Zunahme von Herzerkrankungen.15

Motorisierter Verkehr ist auch verantwortlich für weltweit 14 Prozent der Treibhausgasemissionen die den Klimawandel vorantreiben.16 Betrachtet man diese

Faktoren nun zusammen so ergibt sich, dass das Auto als Fortbewegungsmittel auf täglichen Wegen sowohl gesundheitlich, klimatechnisch als auch volkswirtschaftlich massiven Schaden anrichtet. Städte die auf Radverkehr setzten wirken dem entgegen. Fahrradkultur für den Einzelnen Immer mehr Menschen entdecken, dass das Automobil seine Versprechen nicht halten kann. Von Geschwindigkeit und Freiheit kann im Stadtverkehr keine Rede sein. Meist transportiert man sich allein von A nach B zusammen mit 2 Tonnen Metall und Kunststoff. Man schadet der Umwelt, sich selbst und bei Unfällen auch anderen Menschen. Das Auto als Statussymbol wird zum Sinnbild des einsamen Menschen des 21. Jahrhundert. Es grenzt den Einzelnen von der Gemeinschaft aus und ganze soziale Schichten haben aufgrund der ihrer finanziellen Lage keinen Zugang dazu. Will man eine lebendige Stadt, die allen die gleichen Möglichkeiten bietet, so führt kein Weg am Fahrrad vorbei. Es ist das kostengünstigste Transportmittel, das umweltfreundlichste und gleicht soziale Unterschiede aus, da es für jeden zugänglich ist. Das Fahrrad trägt maßgeblich zur Verbesserung der Lebensqualität in Städten bei. „In an increasingly fast-paced world, […] cycling along safe and interesting routes is becoming a key dimension of liveability. […] Bicycling along the same routes has the additional benefit of routine encounters with acquaintances and familiar faces, a precondition for familiarity, intersubjectivity, sociability and community.“17 Man erkennt das eine lebenswerte

15

vgl. Pucher (2012)S. 41- 48

16

Deutsches Bundesumweltamt, IPCC Report. Online. [https://www.umweltbundesamt.de/sites/ default/files/medien/377/dokumente/140413_botschaften20ipcc_wgiii.pdf] 17

Knox (2011), S. 243

12


Stadt dem Menschen Raum geben muss. Rankings der besten Fahrradstädte animieren Wettbewerb unter den Großstädten der Welt. Programme und Initiativen wie „Ciclovía“ in Bogota, Kolumbien bringen autofreie Tage, Radfahrkurse und Fahrradevents in die Städte und bewirken ein Umdenken.18 Zusammen mit einer

Politik, die die Stadtplanung aufruft für den Menschen zu arbeiten und mutig Maßnahmen setzt den Fahrradverkehr zu fördern und das Auto schrittweise aus den Städten zu verbannen, kann man nur hoffen, dass viele sich bewegen lassen umzudenken.

2. Beweggründe der Verkehrsmittelwahl Die zahlreichen positiven Effekte eines starken und attraktiven Fahrradverkehrs auf die Lebensqualität in einer Stadt und die Gesundheit ihrer Bewohner sind belegt. Menschen müssen jedoch eingeladen werden verstärkt das Fahrrad zu nutzen. Dazu sind Maßnahmen in der Stadtgestaltung und Infrastruktur notwendig. Studien zufolge wird deutlich, „dass die städtebauliche Umwelt einen Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl der Bewohner und Bewohnerinnen hat“.19 Um die richtigen

Maßnahmen zu setzten, muss man also verstehen wie und auf welche Dinge Menschen reagieren. Die Beweggründe die dazu führen, dass ein Verkehrsmittel ausgewählt und regelmäßig benützt wird, müssen klar sein. Dadurch können informierte, begründete Entscheidung über die Gestaltung einer lebenswerten Umwelt getroffen werden. Hierzu werden die Ergebnisse der Studie „Ökotopia: Ressourcenschonung in der Stadtteilentwicklung“ zum Thema „Einflussfaktoren auf die Verkehrsmittelwahl“ dargelegt und um die Studie „Effective Speed: Cycling because it’s faster“ für das Fahrrad spezifiziert und dadurch um neue, wichtige Betrachtungswinkel erweitert. Grundlegend sind relevante Einflussfaktoren die Populationsdichte, die Lage der Wohnsituation und dessen Relation zur Infrastruktur, sprich zu Orten der täglichen Versorgung, zum Arbeits- oder Ausbildungsort und zum Stadtzentrum. Die Walkability der Stadt, die Verfügbarkeit von öffentlichen Nahverkehr und der 18

vgl. Gehl (2015), S. 220-223

19

vgl. Plé et al. (2013), S. 99

13


Ausbau der Möglichkeiten sich ohne Auto im Stadtraum zu bewegen sind zudem zentral. Das Angebot an Parkmöglichkeiten sowohl am Wohnort, als auch an den Zielorten beeinflusst die Entscheidung ebenso. Zu berücksichtigen gilt außerdem besonders die bewusste Wahl des Wohnortes seitens der Bewohner, deren Bedürfnisse und Reisegewohnheiten dies beeinflussen. Durch die Betrachtung der Bewohner rücken deshalb auch weitere soziodemografische Faktoren wie Alter, Geschlecht, Einkommen und sozialer Status ins Bild. Das persönliche Umweltbewusstsein und der Stellenwert der dem Automobil, relativ zu anderen Verkehrsmitteln, eingeräumt wird, zeigen den stark subjektiven Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl. Schnelligkeit und Bequemlichkeit werden so auch zu bestimmenden Faktoren.20

Die Ökotopiastudie geht deshalb von der Prämisse des Thomas-Theorems aus. Dieses soziologische Konzept postuliert: „If men define situations as real, they are real in their consequences.“21 Somit werden Situationen und Entscheidungen die

Menschen treffen, von der subjektiven Empfindung beeinflusst. Dies bedeutet für die Entscheidung des bevorzugten Verkehrsmittels, dass das subjektiv als schneller wahrgenommene Verkehrsmittel, sofern Geschwindigkeit ein relevantes Entscheidungskriterium ist, auch benutzt wird. Die Diskrepanz zwischen subjektiver Wahrnehmung und real errechneter Reisezeit anhand von Routingdaten wird in der Ökotopiastudie belegt. Als Beispiel dient dort die Analyse der Verkehrsmittelwahl für den Weg zum Arbeitsplatz respektive Ausbildungsort in sieben Grazer Bezirken. Zuerst sollten wir uns jedoch mit den aktuellen Zahlen der Verkehrsstatistik für Graz beschäftigen um einen Eindruck zu bekommen wie sich die Gesamtbevölkerung, auch nach soziodemografischen Kriterien verhält.

20 21

vgl. Plé et al. (2013), S. 99 Plé et al. (2013), S. 100

14


Graz besitzt derzeit 271998 Einwohner.22 Wie sich die

Bevölkerung fortbewegt wird durch den Modal Split dargestellt. Er beschreibt den Anteil der Wege anhand der benutzen Verkehrsmittel. Laut der Studie der Stadt Graz Modal Split Stadt Graz, ZIS+P

„Mobilitätsverhalten der Grazer Wohnbevölkerung 2013“ greifen 46,8

Prozent der Bevölkerung bei allen Wegen auf den motorisierten Indivdualverkehr (MIV) als Fahrer oder Beifahrer zurück, was einen Anstieg 1,6 Prozent zu 2008 entspricht. Den öffentlichen Verkehr (ÖV), welcher sich auf konstantem Niveau bewegt, nutzen 19,8 Prozent. Der stetig zurückgehende Fußverkehr stagniert erstmals bei 18,9 Prozent, während der Radverkehr mit 14,5 Prozent im Vergleich zu 2008 erstmals seit 1982 deutlich um 1,6 Prozent abgenommen hat. Betrachtet man nun das Mobilitätsverhalten so können Wegstrecken in fünf Kategorien eingeteilt werden: Wohnung, Arbeit, Ausbildung, Freizeit und Einkauf. Rund 80 Prozent aller Wege haben ihren Ausgangspunkt oder ihr Ziel in der Wohnung. Ein Viertel der Strecken wird jeweils zwischen der Wohnung und der Arbeit, beziehungsweise zwischen Wohnung und Einkaufsort zurückgelegt. Daraus kann man

Mobilitätsverhalten der Grazer Wohnbevölkerung 2013, ZIS+P

schließen, dass die Wahl des Wohnortes entscheidend ist für die Weglängen die zurückgelegt werden müssen 22

Bevölkerungsstatistik der Landeshauptstadt Graz, Stand 1.1.2014

15


um zur Arbeit oder den Dingen des täglichen Bedarfs zu gelangen. Dem Verkehrszweck nach werden die meisten Strecken im Einkaufs- und Erledigungsverkehr (30 Prozent) zurückgelegt, gefolgt vom Freizeitverkehr mit 24 Prozent, dem Berufspendlerverkehr mit 23 Prozent, dem Mobilitätsverhalten der Grazer Wohnbevölkerung 2013 nach Zweck, ZIS+P

Ausbildungspendlerverkehr mit 14 Prozent und dem

Personenwirtschaftsverkehr mit 9 Prozent. Hierbei erkennt man, dass mit Ausnahme des Ausbildungspendlerverkehrs der MIV den größten Anteil in allen Kategorien besitzt. Der Fußverkehr hat den größten Anteil aller Kategorien im Ausbildungspendlerverkehr, wobei er selbst hier nicht mehr als 24 Prozent erreicht. Ähnlich verhält es sich mit dem Fahrrad, welches hier auf 21 Prozent und damit mit seinem Maximalwert auch deutlich unter 25 Prozent bleibt. Die Aufschlüsselung nach Altersgruppen zeigt deutlich den Einfluss des Automobils auf das Verkehrsverhalten. Besonders die Gruppe der 36 bis 65-jährigen legt hier insgesamt 58 Prozent der Weganteile mit dem MIV zurück und bei den 16 bis 25-jährigen sind es immerhin noch 32 Prozent. Der

Mobilitätsverhalten der Grazer Wohnbevölkerung 2013 nach Alter, ZIS+P

öffentliche Verkehr verzeichnet seinen größten Anteil bei den 11 bis 15-jährigen mit 64 Prozent. Deutlich wird in dieser Gruppe jedoch der verschwindend geringe Anteil am Fahrradverkehr mit 3

16


Prozent, im Gegensatz zum ohnehin schon mäßigen Maximalanteil von 19 Prozent bei den 26 bis 35-jährigen. 23

Bedenkt man nun den großen Anteil des Automobils für den innerstädtischen Verkehr, so ist dessen negativer Einfluss auf das Stadtklima klar. In Österreich hat die Zahl der PKW in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Zum Vergleich: Im Jahr 1965 gab es durchschnittlich lediglich 109 Autos auf 1000 Einwohner/innen. Im Jahr 2007 stieg die Zahl bereits auf 507 pro 1000 Einwohner/ innen. Bei der Eurobarometer-Befragung im Jahr 2010 mit einem Teilnehmerumfang von 1003 Personen aus Österreich, nutzten 61,3 Prozent vorwiegend das Auto. Im Vergleich dazu nutzten nur 20 Prozent öffentliche Verkehrsmittel. Damit liegt Österreich über beziehungsweise unter den EUMittelwerten von etwas mehr als 50 Prozent MIV-Nutzung und knapp 22 Prozent ÖV-Nutzung. Dieser erhöhte Anteil am MIV mitverursacht die erhöhte Feinstaubbelastung, welche in nahezu allen Bundesländern, mit Ausnahme Vorarlbergs, laut dem Verkehrsclub Österreich im Jahr 2011 zum überschreiten der Grenzwerte geführt hat. In einigen Stadtteilen wies Graz nach Leibnitz hier die größten Überschreitungen auf.24 Angesichts dieser Umstände, welche die

Lebensqualität in der Stadt Graz nachhaltig negativ beeinflussen, wird die Betrachtung der Beweggründe der Verkehrsmittelwahl umso notwendiger um gegensteuern zu können. Die Ökotopiastudie untersucht diese Beweggründe. Sozialwissenschaftliche Umfragedaten werden mit verkehrsplanerischen Routing-Daten verknüpft um festzustellen welche Bedingungen Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl haben, wenn die Bewohner der sieben getesteten Grazer Stadtteile ihren Arbeitsbeziehungsweise Ausbildungsort aufsuchen. Die Kernfrage ist, ob subjektiv wahrgenommene Reisezeiten oder tatsächlich notwendige Reisezeiten als Entscheidungskriterium dienen. Die Testpersonen beantworteten Fragen zu verwendeten Verkehrsmitteln für verschiedene Wegzwecke, sowie ihrer 23

vgl. Mobilitätsverhalten der Grazer Wohnbevölkerung 2013

24

vgl. Plé et al. (2013), S. 98

17


Wahrnehmung dieser bezüglich der Kosten, Bequemlichkeit und des Zeitaufwands. Mit einbezogen wurden Faktoren wie Geschlecht, Alter, Einkommen, Umweltbewusstsein, wie viele Personen einen Führerschein pro Haushalt besitzen sowie die Verfügbarkeit eines Parkplatzes.25

Die Auswertung zeigt zuerst die Verteilung der Verkehrsmittelnutzung. 32,5 Prozent der Befragten fahren mit dem Auto. 29,5 Prozent nehmen das Fahrrad. 23,5 Prozent nutzen den öffentlichen Verkehr und 14,5 Prozent gehen zu Fuß.26

Die Befragung zur wahrgenommenen Geschwindigkeit belegt, dass das Auto generell als schneller und der öffentliche Verkehr als langsamer wahrgenommen wird. Hierbei zeigt sich jedoch eine Abweichung von dichteren Siedlungsgebieten und Einfamilienhausgebieten. Knapp 70 Prozent der Befragten in der Wienerberger- und Triestersiedlung nehmen das Auto als schnell wahr, während der öffentliche Verkehr nur von knapp 50 Prozent als schnell und von etwas mehr als 50 Prozent als langsam angesehen wird. Bei den Einfamilienhausgebieten Ruckerlberg und Murfeld wird das Auto jedoch von 90 Prozent als schnell empfunden. Die einzige starke Abweichung von dieser Situation ist das Gebiet Gries, was jedoch durch die innerstädtische Lage und hohe Anbindungsdichte des öffentlichen Verkehrs bedingt scheint. Diese Tatsache könnte ausschlaggebend für die gute Bewertung hinsichtlich öffentlicher Verkehrsmittel und Schnelligkeit sein.27

Die Aussagen wurden statistisch analysiert und es konnte belegt werden, das der subjektiv wahrgenommene Zeitvorteil des Autos sich gegenüber den anderen Faktoren am stärksten auf die Verkehrsmittelwahl auswirkt. Personen welche das Auto als schnell wahrnehmen, nutzen dieses auch öfter. Es gibt „eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, den Weg zur Arbeit bzw. Ausbildungsort mit dem PKW zurückzulegen“.28 Weiters haben sowohl Geschlecht als auch Einkommen einen

Einfluss auf die Entscheidung zum Auto. „Personen mit höherem 25

vgl. Plé et al. (2013), S. 100-101

26

vgl. ebd. S. 102

27

vgl. ebd. S. 103

28

vgl. Plé et al. (2013), S. 104

18


Haushaltseinkommen und Männer fahren tendenziell eher mit dem Auto zur Arbeit“.29 Das Umweltbewusstsein hingegen hat keinen signifikanten Einfluss, da

eine umweltbewusste Einstellung nicht zwangsläufig auch ein umweltbewusstes Verkehrsverhalten mit sich bringt. Es bleibt also festzuhalten, das die tatsächliche Reisezeit kaum Einfluss gegenüber der subjektiven Wahrnehmung besitzt. Wer glaub mit dem Automobil eine Strecke schneller bewältigen zu können, tut dies auch.30

Für das Fahrrad bedeutet dies, dass Personen den Geschwindigkeitsvorteil erkennen und wahrnehmen müssen um sich für das Fahrrad als Verkehrsmittel zu entscheiden. Da es in Städten zu den schnellsten und effizientesten Verkehrsmitteln gehört ist vielfach belegt. 2008 wurde in New York ein Rennen zwischen Fahrrad, Bus und Auto veranstaltet. Der klare Sieger war der Fahrradfahrer. Bei der geplanten Strecke die es zurückzulegen galt, benötigte das Fahrrad 16 Minuten. Im Vergleich dazu benötigten das Auto 22 Minuten und der Bus sogar 29 Minuten. „Bicycling is the fastest and most affordable way to get to work.”31

Viele Radfahrer sind sich des Geschwindigkeitsvorteils bewusst. Er ist auch der ausschlaggebende Faktor und Antrieb das Fahrrad zu wählen. Für Radfahrer ist er wesentlicher für ihre Entscheidung das Rad zu nutzen als Gesundheits-, Fitness- oder Umweltgedanken.32 Dieser Vorteil muss den Bewohnern also

bewusst sein. Um den Zeitvorteil noch stärker hervorzuheben eignet sich besonders eine erweiterte Betrachtungsweise. Das Konzept „Effective Speed“ geht hier noch einen Schritt weiter. Die klassische Grundüberlegung Geschwindigkeit ist gleich zurückgelegter Weg durch Zeit, wird hierbei erweitert. Nicht nur die tatsächliche Wegzeit findet Berücksichtigung, sondern sämtliche Zeitkosten. Hierfür werden sogenannte monetäre Kosten des Reisens in Zeit 29

ebd.

30

vgl. ebd. S. 106

31

Pucher (2012), S.57

32

vgl. ebd.

19


umgerechnet und addiert. Diese umfassen die Kosten für das Fahrzeug selbst, die Erhaltungskosten, Steuern, Abgaben, Treibstoffkosten, durchschnittliche Strafen, Parkkosten, Mautgebühren sowie alle notwendigen Kosten zum Erhalt und zur Benützung des Verkehrsmittels für den Einzelnen. Die Summe dieser Kosten wird mit der Zeit die benötigt wird um diesen Betrag zu erwirtschaften, sprich die dafür notwendige Arbeitsleistung in Stunden, gegengerechnet. Erweitert wird dies noch um die nichtmonetären Kosten. Diese beinhalten auch die tatsächliche Wegzeit, addieren aber noch Zeiten die aufgewendet werden müssen für Wartung, Betankung und Pflege des Fortbewegungsmittels. Eine noch umfangreichere Erweiterung nennt sich „social effective speed“ und berücksichtigt auch die Verantwortung des Einzelnen für die Umwelt und demnach auch den Schaden an der Umwelt den das eigene Verkehrsverhalten verursacht. Dieser Faktor hat vergleichsweise geringen Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl, zeigt allerdings wie groß der Einfluss des Einzelnen ist.33

Berücksichtigt man sämtliche Kosten die ein Auto, hier jeweils das am günstigsten zu erhaltende Fahrzeug des Landes, verursacht, ergibt sich eine Durchschnittsgeschwindigkeit der Fortbewegung im gesamtstädtischen Bereich. Nach Einbeziehung des sozialen Impacts sinkt diese nochmals deutlich. Vergleicht man diese Geschwindigkeit mit der Geschwindigkeit eines Fahrrads wird ersichtlich wie langsam man fahren könnte und noch immer schneller und vor allem effizienter ist als ein Auto.34 Konkrete Beispiele veranschaulichen dies

besonders gut. Kopenhagen weißt unter Berücksichtigung der Kosten für einen Hyundai i20 und eines durchschnittlichen Einkommens eine effektive Durchschnittsgeschwindigkeit des Automobils von 14,7 km/h auf. Die soziale effektive Geschwindigkeit sogar nur 12,2 km/h. New York zeigt bei einer Berücksichtigung eines Hyundai Accent 9,8 km/h respektive 8,6 km/h auf.

33

vgl. Pucher (2012), S. 58-59

34

vgl. ebd., S.62-65

20


Hamburg ist unter der Beachtung, dass die Kosten für ein Fahrzeug circa 2,26 mal höher sind als in den USA - effektiv angewendet 2 mal höher - bei einer Geschwindigkeit von 11,0 km/h beziehungsweise 8,9 km/h. In Dehli beträgt diese, wenn man das Tato Nano Car - das als günstigstes Auto der Welt propagierte Fahrzeug - zugrunde legt, 6,4 km/h oder 4,9 km/h.35 Diese Daten ergeben dann

eine Mindestgeschwindigkeit die man mit dem Fahrrad zurücklegen muss, um effizienter als ein Auto zu sein. Die Tabelle zeigt dies auf.36

Effective Speed Car [km/h]

Social Effective E.S. necessary S.E.S necessary Speed Car [km/h] Bicylce [km/h] Bicycle [km/h]

Kopenhagen

14,7

12,2

16,5

13,4

New York

9,8

8,6

10,6

9,2

Hamburg

11,0

8,9

12,1

9,6

Dheli

6,4

4,9

8,0

5,8

Notwendige Fahrradgeschwindigkeiten im Vergleich zum Auto

Somit lässt sich sehr einfach zeigen, dass das Fahrrad mit den Geschwindigkeit der Autos im Stadtverkehr leicht mithalten kann und in jedem Fall effizienter ist. Besonders wenn man berücksichtigt, dass hier die günstigsten Autos herangezogen wurden. Würde man Fahrzeuge der Mittelklasse oder Luxusklasse vergleichen, gehen diese Daten noch rapide nach unten, da sämtliche Kosten rasch steigen. Interessant ist unter Berücksichtigung der Wahrnehmung der Verkehrsteilnehmer, dass die Kosten eines Automobils stets unterschätzt und die Geschwindigkeit überschätzt wird. Autofahrer in Großbritannien schätzen laut Studien die Kosten auf rund 40 Prozent der tatsächlichen Kosten. In Deutschland sind es rund 42 Prozent. Gleichzeitig nehmen sie die Zeit die sie

35

vgl. Pucher (2012), Tabellen S.67-69

36

vgl. ebd. S. 70

21


tatsächlich von A nach B brauchen mit nur 82 Prozent war. Und dies lässt noch sämtliche obigen Berücksichtigungen außen vor.37

Man sieht also, dass unter Berücksichtigung aller Faktoren, nicht das Umweltbewusstsein, gesundheitliche Vorteile oder ideelle Überlegungen dazu führen, dass Personen mit dem Fahrrad fahren, sondern pragmatische, klare Vorteile. Wer mit dem Fahrrad unterwegs ist spart Zeit und Geld.

3. Grundlagen der Radverkehrsgestaltung - Was macht eine gute Fahrradstadt aus? Radverkehrsgestaltung muss Menschen dazu einladen das Rad zu nutzen. Betrachtet man Nutzungsstatistiken so sind 80% aller Wege die mit dem Fahrrad zurückgelegt werden kurze Distanzen von unter fünf Kilometern. Das Fahrrad ist damit definitiv am stärksten im Nahverkehr.38 Studien belegen „a clear link between

levels of cycling in a municipality and the quality of the cycling infrastructure“.39

Das bedeutet das aktive, qualitätsvolle Radverkehrspolitik und -gestaltung maßgeblich dazu beiträgt das der Radverkehr in einer Stadt zunimmt. Sicherheit Das Gefühl auf seinen täglichen Wegen sicher und nicht ständig Gefahren ausgesetzt zu sein ist grundlegend für die Nutzung des Fahrrads in der Stadt. Studien belegen, dass wahrgenommene und reale Gefahren, sowie dem Autoverkehr ausgesetzt zu sein, Radfahrraten reduzieren. Geringere Geschwindigkeiten und eine Reduktion des Verkehrsaufkommens seitens des motorisierten Verkehrs erhöhen die Radnutzungsraten. Ebenso erhöht ein größeres

37

vgl. Pucher (2012), S. 59

38

vgl. Dufour (2010), S. 4

39

Dufour (2010), S.7

22


Radverkehrsaufkommen die Anzahl der Radfahrer.40 Steigt die Anzahl der

Radfahrer so müssen Autofahrer verstärkt Rücksicht auf diese nehmen und sie als Verkehrsteilnehmer akzeptieren. Jan Gehl formuliert dazu: „Wenn das Fahrradverkehrsaufkommen eine „kritische Masse“ erreicht, wirkt sich das positiv auf die Sicherheit jedes einzelnen Radfahrers aus.“41 Die größte Gefährdung des

Radfahrers geht jedoch nachweislich vom Automobil aus. Grundlegend dafür ist die Geschwindigkeit von Automobilen. Bei Unfällen in Geschwindigkeitsbereichen von unter 32 km/h ist die Todesrate unter Fußgängern und Radfahrer äußerst gering. Betrachtet man die Progressionsrate der Schwere der Verletzungen so lässt sich ableiten, dass je schwerer die Verletzung eines Radfahrers oder Fußgängers ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Beteiligung des Automobils. 90 Prozent aller Todesfälle beim Radfahren werden zum Beispiel von Automobilen verursacht. Kleinere Verletzungen die nur ambulant behandelt werden müssen weisen dagegen eine geringere Automobilbeteiligung von nur 15 Prozent auf.42

Interessant ist hier, dass Autofahrer die in Unfälle mit Fahrrädern verwickelt sind bestimmte Charakteristiken teilen. Beobachtungen zeigen, dass in London und New York überwiegend männliche Autofahrer - zu 90 Prozent - Unfälle mit tödlichem Ausgang verursachen. Außerdem sind sie tendenziell eher nicht versichert und verursachen deshalb mit 40 Prozent größerer Wahrscheinlichkeit Unfälle mit schweren Verletzungen als Fahrer die versichert sind. Mit größter Wahrscheinlichkeit sind sie außerdem unter dem Einfluss von Rauschmitteln oder fahren mit überhöhter Geschwindigkeit. Das bedeutet, dass die Radverkehrsplanung besonders auf die Beziehung zwischen Fahrrad und motorisiertem Verkehr eingehen muss. Dazu gibt es eine Reihe von Möglichkeiten der Radverkehrsgestaltung die zum Schutz des Radfahrers beitragen.

40

vgl. Pucher (2012), S. 141

41

Gehl (2015), S. 215

42

vgl. Pucher (2012), S. 143

23


Maßnahmen und Gestaltung Prinzipiell soll ein Radwegenetz komfortabel ohne größerer Anstrengung und frei von Hindernissen befahrbar sein. Da genug Platz dies gewährleistet, wird zu einer Mindestbreite der Radstreifen von 2,5 Metern geraten. Dies ermöglicht auch noch das Überholen eines langsameren Radfahrers. Breitere Radstreifen sind natürlich durch steigendes Verkehrsaufkommen bedingt und ermöglichen dann die Nutzung durch Dreiräder für Kinder, durch Warenlieferanten, durch Behinderte durch Lastenfahrräder und Rikschas. In kleinen Seitenstraßen und Wohnstraßen mit geringen Verkehrsaufkommen oder zu wenig Platz für Radfahrstreifen wird empfohlen die erlaubte Höchstgeschwindigkeit auf 15 beziehungsweise 30 km/h einzuschränken. Wenn die Platzverhältnisse es erlauben und die Verkehrsgeschwindigkeiten es notwendig machen - ab circa 50 km/h - werden üblicherweise zwei Modelle angewandt. Erstens die Trennung der Radfahrstreifen an Straßenrändern durch Bordsteine, damit eine physische Barriere zwischen Auto und Fahrrad entsteht. Eine Möglichkeit ist auch Radfahrstreifen auf Bordsteinhöhe zu heben damit diese als erhöhte Radwege diesen Effekt erzielen. Zweitens dass als „Kopenhagener Modell“ bekannt gewordene System, welches zwischen fließendem Autoverkehr und Radfahrstreifen einen Parkstreifen für Autos setzt, welcher durch Bodenmarkierungen getrennt wird. Geparkte Automobile dienen so zur Abschirmung der Radfahrer.43 Dies erhöht das Sicherheitsgefühl und stärkt die

Radfahrkultur nachhaltig. „At a global level, the correlation is strong; in every country with high levels of bicycle use, bicycle infrastructure that separates bicyclists from fast and heavy motor traffic is widespread, and in countries lacking routine separation, bicycle use is low. Within the United States, cities with more dedicated bicycling infrastructure tend to have more bicycle use.“44

Eine weitere Art der Radverkehrswege sind eigenständige Radrouten. Diese sind völlig getrennt vom Autoverkehr und verlaufen üblicherweise entlang stillgelegter 43

vgl. Gehl (2015), S. 213-216; Pucher (2012), S. 108-112, 119-123; Dill (2013), S.1-6

44

Pucher (2012), S. 108

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Eisenbahntrassen, durch Parks, entlang von Kanälen oder Flüssen und tragen aus diesem Grund auch den Namen „grüne Routen“ und bieten einen Einblick in landschaftliche Merkmale und Erholungszonen. Ein kritischer Punkt sind jedoch Kreuzungen. Das Zusammentreffen von Automobilverkehr und Radverkehr bietet ein hohes Unfallpotential. Radübergänge werden deshalb auffällig gestaltet. Meist wird die gesamte Fläche des Radwegs im Kreuzungsbereich mit einer Farbfläche und Bodenmarkierungen hervorgehoben. Zusätzlich kann der Übergang noch erhöht werden, sodass er wie eine Bodenschwelle wirkt und somit automatisch den Automobilverkehr ausbremst. Zusätzlich wird durch das Anheben des Radstreifens über die Straße sein Vorrang betont. Verkehrsschilder können ergänzend die Autofahrer zur Vorsicht mahnen. An größeren Kreuzungen sind eigenständige Ampeln für Radfahrer vorgesehen. Um die Sicherheit zu erhöhen werden diese meist sechs Sekunden vor dem Autoverkehr auf Grün geschalten. Sie werden ebenso genutzt um den flüssigen Radverkehr zu bevorzugen. Unterbrechungen und zu häufige rote Ampeln demotivieren Radverkehr nachweislich. Deshalb wird nach dem Prinzip der „grünen Welle“ die Ampelschaltung so abgestimmt, dass bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit des Radfahrers von circa 20 km/h dieser auf einer Radstrecke, bei Einhaltung dieser Geschwindigkeit, ohne anzuhalten auf der „grünen Welle“ durch den Verkehr gelangen kann. Angeordnet werden Radfahrstreifen an den Straßenrändern und nicht mitten unter dem Automobilverkehr. Dadurch sind Radfahrer auf der ruhigen Seite des Autoverkehrs und besser geschützt. Konsequent ist auch die Führung der Radfahrstreifen in der selben Fahrtrichtung wie der motorisierte Verkehr, was Orientierung und Sicherheit erhöht. Erreicht wird dieser Ausbau meist durch Veränderung des Anteils der Verkehrsflächen für Automobile. Das Aufheben von Parkzonen und die Reduktion der Fahrspuren schafft Raum für das Fahrrad. Gestaltungsrelevant ist ebenfalls die Integration von vielfältigen und guten Radabstellmöglichkeiten, besonders an Knotenpunkten wie Bahnhöfen und Haltestellen, aber auch vor Schulen, Büros, Wohnhäusern und öffentliche Gebäuden. Büro- und Gewerbeplanungen sollten neben Autoabstellplätze auch Platz für Fahrräder selbstverständlich einplanen und eventuell sogar Duschmöglichkeiten für Radfahrer miteinbeziehen.45 Die Integration

45

vgl. Gehl (2015) S. 215-217, Pucher (2012) S. 105-109

25


des Radverkehrs in den öffentlichen Nahverkehr ist auch eine notwendige Maßnahme zur Erhöhung des Radverkehrvolumens. Wenn man die Mitnahme von Fahrrädern in Straßenbahnen, U-Bahnen, Zügen und Bussen ermöglicht, können weitere Strecken und andere Städte ebenfalls vollkommen autofrei und mit allen Vorteilen des Fahrrads bewältigt und erreicht werden. Ausschlaggebend für eine gute Fahrradstadt sind auch andere Maßnahmen der Radverkehrsförderung. Programme in Schulen, Firmen und Werbe- und Informationssendungen in den Medien erhöhen das Interesse und senken die Hemmschwelle. Events wie autofreie Tage oder Fahrradwochen bieten viel Anreiz zum Fahrrad zu greifen. Prominentes Vorbild vieler Aktionen ist das wöchentliche Ciclovía in Bogota, Kolumbien.46

Seit 1974 werden sonntags 120 Kilometer Straße in der Stadt inklusive des Stadtzentrums für den Autoverkehr gesperrt. Mehr als zwei Millionen Leute nutzen dies jede Woche. Gratis Yoga- und Aerobic-Kurse locken die Menschen in die Parks der Stadt und Marktstände bieten gesunde Waren an. Alle Bevölkerungsschichten vermischen sich an diesen außergewöhnlichen Tagen und benutzen gleichberechtigt den Stadtraum. Bogota gilt als Beispiel der Integration und das Fahrrad spielt dafür eine zentrale Rolle.47 Demokratisierung der Chancen aller findet

in vielen andern Ländern ebenfalls mit Hilfe des Fahrrads statt. Stadtradsysteme stehen in vielen Städten kostenlos oder sehr günstig für die Bevölkerung zur Verfügung. Diese ermöglichen das Ausleihen von Fahrrädern an vielen Stationen im Stadtraum, meist nach Anmeldung bei einem Onlinedienst, einer App oder durch das Einwerfen einer Münze ähnlich dem Einkaufswagenprinzip. Die Vorteile dieses Systems liegen in der Ersparnis persönlicher Anschaffungskosten und Wartungskosten des Fahrrads. Zudem muss man sich nicht um einen Abstellplatz bemühen. Ergänzt werden solche Systeme oft durch Mietradangebote, die den Bedarf von Touristen decken.48 Das Fahrrad ermöglicht so kostengünstige Mobilität

für alle.

46

vgl. Gehl (2015), S.213-220

47

Power (2010), Online. [http://www.theguardian.com/environment/green-living-blog/2010/jun/16/ cycling-ethical-living] 48

vgl. Gehl (2015) , S. 217-218

26


Copenhagenize Index Criteria Lebensqualität in Städten ist mittlerweile ein Kriterium geworden, um das weltweit Städte wetteifern. Dadurch hofft man die besten Köpfe, aber auch Unternehmen in seine Stadt zu bringen. Ein Ranking, das speziell die Qualität einer Stadt als Fahrradstadt misst und alle zwei Jahre veröffentlicht wird, ist der Copenhagenize Index. Dieser wird alle zwei Jahre durch das Urban Design Consultingunternehmens Copenhagenize, mit Sitzen in Kopenhagen, Amsterdam, Brüssel und Zürich, herausgegeben. Sie beraten Städte und Regierungen in Bezug auf fahrradfreundlichere Städte. Der Copenhagenize Index bewertet Städte mit einer Größe von über 600000 Einwohnern in ihrem Ballungsraum beziehungsweise jene die knapp darunter liegen und von großer regionaler Relevanz sind. Er vergibt Punkte von 0 bis 4 in 13 Kategorien, die sich mit der Wiederherstellung des Radverkehrs als Verkehrsmittel in Städten beschäftigen. Zusätzlich können bis zu 12 Bonuspunkte erreicht werden für besonders weitreichende, beeindruckende Maßnahmen. Die Parameter sollen also abbilden wie gut es um die Fahrradfreundlichkeit in Städten steht. Die Kategorien fassen außerdem gut zusammen welche Bereiche und Kriterien der Radverkehrsgestaltung zusammenspielen müssen um eine lebenswerte Fahrradstadt zu produzieren. Die 13 Kategorien: 1 Interessensvertretung: Wird die städtische Interessenvertretung für Radverkehr und die von NGOs berücksichtigt und welchen Einfluss hat sie? Bewertet wird hierbei von keiner Interessenvertretung bis zur starken Interessenvertretung mit politischem Einfluss. 2 Fahrradkultur: Hat sich das Fahrrad als Verkehrsmittel unter normalen Bürgern etabliert oder ist es

27


nur Teil einer Subkultur? Bewertet wird von keiner Fahrradnutzung oder nur Sportradfahrern in der Stadt zur Akzeptanz und Nutzung durch alle. 3 Fahrradeinrichtungen: Gibt es leicht nutzbare Fahrradabstellplätze, Rampen bei Treppen, Platz in öffentlichen Verkehrsmitteln und gut gestaltete Wege? Bewertet wird von keinen Fahrradeinrichtungen zu weit verbreiteten und innovativen Einrichtungen. 4 Fahrradinfrastruktur: Wie wird die Fahrradinfrastruktur bewertet? Die Bewertung geht von keiner Infrastruktur oder der Ausgrenzung von Radfahrern über die Nutzung von Fahrstreifen der Autos zu einem hohen Anteil an getrennten, sicheren Radstrecken. 5 Bike Share Programme: Hat die Stadt verständliche und gut genutzte Bike Share Programme? Bewertet wird von keinem Programm zu stark genutzten und einfachen Programmen. 6 Gender Split: Welcher Anteil an Radfahrern ist weiblich oder männlich? Bewertet wird von mehrheitlich Männer über die gleichwertige Verteilung zu mehrheitlich weiblichen Radfahrern. 7 Modal Split für Fahrräder: Welchen Anteil haben Fahrräder am Modal Split? Bewertet wird von unter 1 Prozent zu über 25 Prozent. 8 Anstieg des Modal Splits seit 2006: Wie hoch ist der Anstieg des Radverkehranteils seit 2006?

28


Bewertet wird von unter 1 Prozent zu über 5 Prozent. 9 Sicherheitswahrnehmung: Ist das Sicherheitsgefühl der Radfahrer, ausgedrückt durch Trageraten von Helmen, positiv oder sind Radfahrer verängstigt durch Radhelmkampagnen? Bewertet wird von verpflichtenden Radhelmgesetzen mit andauernder Promotion zu geringen Helmtrageraten. 10 Politik: Wie ist das politische Klima zum Thema Radfahren in der Stadt? Bewertet wird von nicht existent auf einem politischen Level zu starkem politischem Engagement. 11 Soziale Akzeptanz: Wie nehmen Autofahrer und die Gesellschaft im weiterem Sinne städtischen Radfahrer wahr? Bewertet wird von keiner sozialen Akzeptanz bis zur weitverbreiteten Akzeptanz. 12 Stadtplanung: Wieviel Wert legen die örtlichen Stadtplaner auf Radinfrastruktur und wie gut sind sie über internationale best practice Beispiele informiert? Bewertet wird von automobilfokusierten Planern zu Planern, die das Fahrrad und Fußgänger an die erste Stelle stellen. 13 Verkehrsberuhigung: Welche Maßnahmen wurden unternommen um geringere Verkehrsgeschwindigkeiten und generelle Verkehrsberuhigung zu fördern, um größere Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer zu gewährleisten? Bewertet wird von keinen Maßnahmen zu vollintegrierten weitreichenden Maßnahmen die Radfahrer und Fußgänger priorisieren.49

49

Criteria Copenhagenize Index. Online. [http://copenhagenize.eu/index/about.html]

29


Zusammenfassend kann man erkennen das gute Fahrradstädte von sehr vielschichtigen Kriterien abhängen. Es braucht gesellschaftliches und politisches Interesse, welches ein Klima schafft das Radfahrer akzeptiert und aktiv fördert. Des Weiteren ist das Vorhandensein und der Ausbau notwendiger Einrichtungen und guter Infrastruktur, die die Radnutzung ermöglicht und erleichtert, wichtig. Nicht zuletzt muss ein Gefühl der Sicherheit herrschen, sodass man Radwege gefahrlos nutzen kann, was sich in geringer Radhelmnutzung und einem starken Anteil an weiblichen Radfahrern ausdrückt, da Frauen tendenziell eher das Fahrrad nutzen, wenn sie sich sicher fühlen.50

4. Das Fahrrad am Vormarsch: Best Practice Das Fahrrad rückt in vielen Teilen der Welt ins Bild der Stadtplanung. Man erkennt zusehends die Vorteile von Städten die für ihre Bewohner vielfältige Möglichkeiten des Gehens und Radfahrens anbieten. Zahlen und Fakten belegen die positiven Effekte auf Gesundheit, Umwelt, Finanzen und nicht zuletzt auf die Lebensqualität. Maßgeblich tragen Vorbilder dazu bei, die in internationalen Rankings miteinander wetteifern. Bilder von belebten, florierenden Städten gehen um die Welt und erregen Interesse bei Veranwortungsträgern. Man pilgert zu den bestplatzierten Städten der Welt um von ihren Maßnahmen zu lernen und die eigene Stadt zu verbessern. Dadurch verbreiten sich Ideen und das Konzept der Fahrradstadt geht um die Welt. Im folgenden Teil werden zwei solcher Städte vorgestellt. Kopenhagen Kopenhagen ist auf Platz 1 des Copenhagenize Index und hat damit Amsterdam vom Thron gestürzt. Einer der Hauptgründe ist der starke Anstieg des Modal Split des Fahrrads von 2012 auf 2014, von 36 Prozent auf 45 Prozent. Einer der höchsten Radfahranteile der Welt ist innerhalb von zwei Jahren um 9 Prozent gestiegen. Diese Betrachtung bezieht sich auf den gesamten Verkehr der täglich in und nach Kopenhagen fließt - Pendler miteinbezogen. Betrachtet man das Stadtgebiet und das Verhalten der Kopenhagener allein stieg der Radanteil auf täglichen Wegen 50

siehe Pucher (2012), S. 211-212

30


von 52 auf 63 Prozent. Dies bedeutet, dass jeden Tag insgesamt 1,34 Millionen Kilometer in Kopenhagen mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Zusätzlich hat sich die durchschnittliche Reisezeit um 7 Prozent verkürzt und der durchschnittlich zurückgelegte Weg auf 4,9 Kilometer erhöht.51 Was also macht Kopenhagen um

diese Zahlen zu erreichen? Historisch gesehen ging es Kopenhagen in der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht anders als vielen europäischen Städten. Anfang des 20. Jahrhunderts war Dänemark noch geprägt vom Trend des Fahrrads und es war auch modisch gern gesehen. Dies wurde jedoch Mitte des vorigen Jahrhunderts zusehends vom Auto verdrängt. Die Auswirkungen waren bald spürbar. Staus und Luftverschmutzung sorgten für Unruhe in der Bevölkerung und viele erinnerten sich der guten Zeiten als es noch Fahrräder als Transportmittel gab. Mittlerweile war es teilweise zu gefährlich das Rad zu nutzen aufgrund der großen Anzahl an Automobilen. Bereits 1962 gab es deshalb erste autofreie Plätze in Kopenhagen. Die Ölkrise der 1970er trug diesen Gedanken weiter. Das Fass zum Überlaufen brachten schließlich mehrere Konflikte der 1970er und 1980er Jahre, in denen es zu großen Protestbewegungen gegen die Idee der Stadtplanung über die Seen der Kopenhagener Innenstadt eine mehrspurige Straße zu bauen, kam. Der öffentliche Raum war bedroht und dies wurde nicht hingenommen. Autofreie Sonntage wurden eingeführt und es gab Demonstrationen der Radfahranhänger für eine autofreie Stadt. Der Trend war auch politisch nicht mehr aufzuhalten. Der stete Ausbau der Radinfrastruktur begann und zahlreiche Maßnahmen, die heute Standards der Radverkehrsplanung sind, wurden gesetzt. Kopenhagen gehört heute zu den lebenswertesten und reichsten Städten der Welt. 52

Heute investiert Kopenhagen seit 2005 bereits 1 Milliarde dänische Kronen (ca. 134 Millionen Euro) in den Ausbau der Radinfrastruktur. 2014 eröffneten drei neue Fahrradbrücken, die ganze Stadteile miteinander verbinden und so das Wegenetz, welches bereits 492 km lang ist, noch effizienter gestalten. Vorzeigeprojekte wie 51

vgl. City of Copenhagen - Copenhagen Bicycle Account 2014

52

vgl. Willenbrock (2014)

31


die Cykelslangen, die Fahrradschlange, entstehen, die einen großen Beitrag zur Erschließung der Hafengegend leistet. In den kommenden Jahren werden noch 4 weitere solcher Projekte realisiert und befinden sich teilweise bereits im Bau. Die Zunahme des Radverkehrs in Kopenhagen führt mittlerweile sogar zu Staus an Hauptverkehrsrouten. Deshalb werden Radrouten verbreitert und zusätzliche Ausweichrouten geschaffen um das Problem zu lösen.53 Besonderer Wert wird auf

den Ausbau sogenannter „Bicycle Superhighways“ gelegt. Diese verbinden die Innenstadt Kopenhagens mit den umliegenden Gegenden und Vororten. Sie schaffen eine direkte Radroute frei von Hindernissen und durch das Prinzip der „grünen Welle“ einen schnellen, fließenden Anschluss nach Kopenhagen, der viele Menschen einlädt auch weitere Strecken bequem mit dem Rad zurückzulegen.54

Der Ausbau der Infrastruktur passiert jedoch nicht willkürlich. Die Stadt Kopenhagen betreibt intensive Befragungen und Studien zu allen Themen die die Verkehrsentwicklung betreffen und nimmt dadurch auf die Bedürfnisse der Bevölkerung Rücksicht. Die generelle Zufriedenheit mit der Radinfrastruktur ist hoch. Sie liegt bei 80 Prozent. Im Detail gibt es jedoch Bedarf zur Nachbesserung. Daran arbeitet Kopenhagen aktiv. So sind nur 54 Prozent mit der Breite der Radwege und 63 Prozent mit dem Wartungszustand der Strecken für Radfahrer zufrieden. Ein Problemfeld ist jedoch das Parken. Mit der Parksituation zuhause und in Büros sind bereits 75 Prozent zufrieden. An öffentlichen Orten, Bahnhöfen und Läden sinkt diese Raten jedoch auf 30 Prozent. Gute und steigende Werte gibt es beim Sicherheitsgefühl. 74 Prozent der Menschen fühlen sich sicher. Der Gender Split Anteil von Frauen, also der Anteil an Rad fahrenden Frauen, liegt sogar bei 55 Prozent und zeugt von hoher Zufriedenheit. Die Sicherheit ist außerdem so hoch, dass man statistisch gesehen 2800 Jahre lang täglich zur Arbeit fahren könnte bevor man einen Unfall hat. Zusätzlich lassen sich einige Probleme meist gemeinsam lösen. Interessant ist auch, dass die Beweggründe der Fahrradnutzung sehr pragmatisch sind. Zwischen 42 und 49 Prozent sagen, dass sie das Rad nutzen weil es schnell und einfach ist und ihnen Bewegung verschafft. Zwischen 25 53

vgl. City of Copenhagen - Bicycle Account 2014, Bicycle Strategy 2011-2015, Copenhagenize Index, Copenhagen. Online. [http://copenhagenize.eu/index/01_copenhagen.html] 54vgl.

Cycle Super Highway Copenhagen. Online. [http://denmark.dk/en/green-living/bicycleculture/cycle-super-highway/]

32


und 27 Prozent nutzen es weil es billig und bequem ist, aber nur 7 Prozent weil es umweltfreundlich ist. Spannend ist auch, dass 70 Prozent der Kopenhagener der Meinung sind, dass das Fahrrad sich positiv auf das urbane Leben und die Atmosphäre der Stadt auswirkt, während nur 14 Prozent das Gegenteil behaupten. Betrachtet man zusätzlich nicht nur die Meinungen der Bewohner sondern auch die finanziellen Vorteile des Radfahrens in Kopenhagen wird klar warum die Politik stark auf Radverkehr setzt. 32 Prozent des Umsatzes in Läden in Kopenhagen wird durch Radfahrer erzeugt, was dem Wert der Autofahrer entspricht. Nimmt man noch die 23 Prozent der Fußgänger hinzu dann werden mehr als 50 Prozent des Umsatzes ohne Auto generiert. Zusätzlich zeigt sich, dass pro zurückgelegtem Kilometer mit dem Fahrrad die Stadt Kopenhagen 21 Cent gewinnt und pro Kilometer mit dem Auto 75 Cent verliert, wenn man alle Kosten für das Gesundheitssystem und Unfälle einrechnet. Dies bedeutet, dass die Kosten des Ausbaus der Radinfrastruktur durch automatische Einsparungen in anderen Bereichen sich selbst bezahlen. Die Cykelslangen wird ihre Kosten von rund 670000 Euro so in rund 7 Jahren durch die Einsparungen die sie bringt wieder erwirtschaftet haben. Auf einer gesellschaftlichen Ebene bringt das Fahrrad ebenfalls Bewegung. Viele Maßnahmen werden dort gesetzt. So haben 4 aus 5 Haushalte in Kopenhagen Zugang zu Fahrrädern und es ist somit ein sozial gerechtes, leistbares Fortbewegungsmittel. „Cycling Uden Alder“ (Radfahren ohne Alter) ist eine Initiative von Freiwilligen die älteren Mitbürgern, die nicht mehr selbst Radfahren können mit Rikschas ermöglicht wieder Wind in den Haaren zu spüren, das Haus zu verlassen und am Leben in der Stadt teilzunehmen. Büchereien verleihen kostenlos Lastenfahrräder mit einer Transportfläche um Kinder und Bücher sicher nachhause zu bringen. „Cykelven“ ist eine Firma die mobile Radreparatur zu Firmen bringt und „De Gronne Ellektrikere“ sind ein Elektrikerunternehmen die sich primär mit dem Fahrrad fortbewegt. Mittlerweile gibt es auch bei Tankstellen Servicebereiche für Fahrräder und nicht nur für Automobile. Sogar seinen letzten Weg kann man mit dem Fahrrad unternehmen. „Bededamere“ ist ein Bestattungsunternehmen das

33


dies leistet.55

Nimmt man sich also Kopenhagen als Vorbild, so hat man viel vor. Kopenhagen zeigt wie eine moderne, wachsende Stadt gezielt andere Formen des Verkehrs als das Auto integriert und dadurch die Lebensqualität nachhaltig erhöht. Kopenhagen beweist das man sich auf seinen Lorbeeren nicht ausruhen darf und sich stetig weiter verbessern kann. Es braucht dazu den politischen und gesellschaftlichen Willen und eine Bekenntnis zum Fahrrad, damit alle profitieren und eine lebenswerte Stadt entsteht Amsterdam Amsterdam ist auf Platz 2 des Copenhagenize Index. Es wurde von Kopenhagen hauptsächlich geschlagen, da Innovationen und Investitionen nicht auf dem Niveau Kopenhagens geschehen. Nichtsdestotrotz ist Amsterdam mit einem Modal Split für das Fahrrad von 53 Prozent an der Weltspitze. Wird die Innenstadt betrachtet sind es sogar 62 Prozent. Es gibt 810000 Fahrräder in Amsterdam, was einem Durchschnitt von 1,9 Fahrrädern pro Haushalt entspricht. Im Durchschnitt legen die Bewohner Amsterdams so rund zwei Millionen Kilometer auf 500 Kilometern Radwegen am Tag zurück. Allerdings musste für das Recht auf das Fahrrad gekämpft werden. In den 1920er Jahren war das Fahrrad durch seinen plötzlich günstigen Preis zum Hauptverkehrsmittel in Amsterdam mit einem Verkehrsanteil von 80 Prozent geworden. Seinen ersten Höhepunkt erreichte das Fahrrad in den 1950er Jahren. Bereits hier konnten 400 Parkplatzeinrichtungen 70000 Fahrrädern aufnehmen. Der Erfolg des Fahrrads wird auf die flache Landschaft zurückgeführt, welche das Radfahren begünstigt. Mit dem Aufkommen des Autos in den 1950er Jahren wurde dieser Höhepunkt jedoch rasch vergessen und das Auto nahm Fahrt auf. In den 1960er Jahren wurden Fahrräder teilweise aus Amsterdam verbannt und die Anzahl der Automobile vervierfachte sich. Unfallraten stiegen und die Sicherheit auf den Straßen nahm merklich ab. In den späten 1960ern kam es jedoch Protesten. Durch 55

vgl. City of Copenhagen - Bicycle Account 2014, Bicycle Strategy 2011-2015

34


den gesellschaftlichen Druck der Bevölkerung der immer stärker wurde sah sich die Stadtregierung 1978 schließlich gezwungen einen neuen Verkehrsplan aufzulegen der Platz für Radfahrer und Fußgänger schaffen sollte und dem Automobil entzogen wurde. Heute sind die Bewegründe des Bekenntnisses zum Rad eindeutig. Es braucht wenig Platz, ist kostengünstig, bequem, schnell und gut für die Umwelt und die Gesundheit. In Amsterdam mach kein anderes Transportmittel Sinn, da der Platz nicht ausreichen würde um so viele Menschen zu bewegen dafür sorgt die außergewöhnliche Stadtstruktur Amsterdams mit seinem System aus Grachten und kleinen Gassen. Im Jahr 2000 wurden die Sicherheitsmaßnahmen für Fahrräder weiter verschärft. Eine 30 km/h Begrenzung und Bodenschwellen wurden für Wohnstraßen und Bereiche, in denen Fahrräder und Autos aufeinander trafen, eingeführt. Eine Geschwindikeitsbegrenzung von 50 km/h in Hauptstraßen und Durchzugsverkehrstraßen wurden eingeführt und getrennte Radwege wurden dort verpflichtend. Prinzipiell setzen sich die Maßnahmen der Stadt Amsterdam aus vier Kategorien zusammen: Sicherheit, Infrastruktur, Parken und Ausbildung und Promotion. Amsterdam ist damit sehr erfolgreich doch deswegen nicht vor Problemen geschützt. Besonders die Parkplatzsituation ist schwierig. Deshalb sollen bis 2020 50000 neue Stellplätze dazukommen, teilweise sogar als Radtiefgaragen. Im Bereich der Infrastruktur wird besonders Wert auf die Erhöhung der Sicherheit und der Bequemlichkeit gelegt. Deshalb konzentriert sich die neue Strategie auf ein System das immer nur zwei Verkehrssysteme auf einer Straße zusammenführt - Fahrrad und Automobil, Fahrrad und öffentlicher Verkehr oder Automobil und öffentlicher Verkehr. Dadurch soll das Radsystem intuitiver und besser planbar werden und der Verkehrsfluss und die Sicherheit erhöht werden. Auch breitere Radwege und Wartezeitanzeigen an Ampeln, sowie das Entfernen von Pollern, die ursprünglich Autos von neuen Radwegen fern hielten, sind Teil der Strategie um Amsterdam noch radfreundlicher zu machen. Unklar ist jedoch wie sich das Design der neuen Verkehrswege gestalten wird. Großartige Brückenprojekte wie die Nescio-Brücke, die die Innenstadt mit neuen Stadtteilen auf IJburg verbinden zeigen das Design durchaus eine Stärke der Niederländer ist. Mit 780 Metern Länge und einer Höhe von 11 Metern um Schiffe durchzulassen gehört sie zu den spektakulärsten Projekten der

35


letzten Jahre in Amsterdam. Sie ermöglicht außerdem die Anbindung von momentan 10000 neuen Wohnungen. Außerdem ist sie mit einer Steigung von 2, 5 Prozent optimal auf Radfahrer abgestimmt. Durch das hohe Verkehrsaufkommen besonders zur Rush hour entschied sich Amsterdam ebenfalls das Ampelsystem anzupassen und verwendet nun an die Tageszeit angepasste Grünphasen, die besonders in der Rush hour auf eine „grüne Welle“ mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 18 km/h umschalten. Amsterdams größtes Problem ist sein Erfolg. Das Fahrrad ist so beliebt und das Verkehrsaufkommen an Fahrräder so hoch, dass sich neue Problem in der Radverkehrsgestaltung ergeben. Studien zu Schwarmverhalten und anderen Phänomenen helfen Amsterdam eine innovative Zukunft als eine der führenden Radhauptstädte der Welt zu gestalten und ungesehene erstaunliche Lösungen werden mit Sicherheit für Aufregung sorgen.56

5. Graz als Fahrradstadt Graz verfügt über 123 Kilometer Radwege. Diese bestehen aus Radwegen, die getrennt vom Autoverkehr sind, Radfahrstreifen auf Verkehrsstraßen, gemischten Geh- und Radwegen, Mehrzweckstreifen, welche von Automobilen befahren werden dürfen sofern die Verkehrssituation dies erfordert und beschilderten Radrouten. Zu beachten ist, dass von den 123 Kilometern 94 auf die 13 Hauptradrouten entfallen, welche die Umlandgemeinden mit Graz verbinden. Diese Routen wurden anhand von vorhandener Strukturen definiert und als gut für den Radverkehr tauglich befunden. Graz gibt jährlich circa zwei Millionen Euro für diese Radinfrastruktur aus. Das entspricht in etwa 7,5 Euro pro Einwohner. Im österreichischen Vergleich geben andere Landeshauptstädte jedoch nur 4,5 Euro aus. International betrachtet ist dies jedoch ganz anders. Kopenhagen investiert nahezu 25 Euro pro Person in den Radverkehr. Für den gesamtwirtschaftlichen Nutzen geht man davon aus, das wie in internationalen Zahlen belegt 3 bis 4,5 Euro pro investiertem Euro zurückfließen. Nachgewiesen ist dies für Graz jedoch nicht.57

56

vgl. City of Amsterdam - PLAN Amsterdam: Cycling policy and design

57

Gesamtübersicht Kurzparkzonen Graz. Online. [http://www.graz.at/cms/beitrag/ 10027488/440324]

36


Weiters liegt der Modal Split des Fahrrads bei 14,5 Prozent. Er sank von 2008 auf 2013 um 1,6 Prozent von 16,1 Prozent. Der Aufwärtstrend des Fahrrads scheint damit in Graz zum Erliegen gekommen zu sein, da nahezu das Niveau von 1998 mit 14,1 Prozent erreicht ist.58 Definiertes Ziel ist ein Anteil von 20 Prozent bis 2021 und die

Reduktion von täglich 360800 Verkehrswegen mit dem Auto auf 330900. Zum erreichen dieser Ziele gibt es in Graz auch unterstützende Initiativen und Services. Von Fahrradkursen speziell für Frauen, über Selbsthilfewerkstätten wie die Fahrradküche in der Schießstattgasse in Graz, zu Selbstreparaturstationen bis zu Kursen in Schulen setzt man auf Do-It-Yourself. Rad- und Mountainbikekurse ergänzen das Angebot. Radanhänger kann man bei einigen Läden gegen Kaution ausleihen, um zu testen ob ein Kauf sich lohnen würde. Radfeste und autofreie Tage gehören auch zu jährlich stattfindenden Events zur Radförderung. Vereine wie der Styrian Sprint Shop bieten Platz zum Austausch und zur Förderung von Maßnahmen für den Radverkehr. Die Radlobby ARGUS bietet in Zusammenarbeit mit der Polizei ebenfalls regelmäßig Licht- und Technikchecks für Fahrräder an. Nicht zuletzt arbeitet man auch am Ausbau von sicheren Radstellplätzen. Am GKBBahnhof Straßgang gibt es 15 versperrbare Radboxen für Pendler und am Hauptbahnhof Graz entstanden 275 sichere, überdachte Radstellplätze die gegen einen geringen Tarif von 1 Euro am Tag, 7 Euro im Monat oder 70 Euro im Jahr benutzt werden können.59 Im Vergleich zu 26200 kostenpflichtigen öffentlichen

Parkplätzen für Autos in blauen Kurzpark- oder grünen Parkzonen und der nicht erhobenen Anzahl an Parkplätze in den 37 Parkhäusern und Tiefgaragen, an öffentlichen Institutionen und außerhalb der Zonen wird jedoch schnell ein Ungleichgewicht sichtbar.60 Setzt Graz im Vergleich zu Best-Practice Städten eine

Radverkehrspolitik um, die aus Graz eine Fahrradstadt nach anerkannten Standards macht? Die Mobilitätsstrategie Graz 2020 behandelt unter anderem diese geplante Radverkehrspolitik. Das Ziel der Erhöhung des Modal Split auf 20 Prozent bis 2021 wird dort festgelegt. Das Maßnahmenprogramm zur Erreichung dieses Ziels

58

Stadt Graz - Mobilitätserhebung Graz 2013

59

vgl. Stadt Graz - Auf die Räder, fertig,los!, S. 12

60

Gesamtübersicht Kurzparkzonen Graz. Online. [http://www.graz.at/cms/beitrag/ 10027488/440324]

37


befindet sich jedoch erst in Ausarbeitung. Somit lassen sich Rückschlüsse auf die Gestaltung der zukünftigen Radverkehrswege in Graz nur mit Hilfe der verbindlichen Verkehrsplanungsrichtlinie der Stadt Graz, welche ebenfalls Teil der Mobilitätsstrategie ist, ziehen. Diese dient hier dem kritischem Abgleich mit den anerkannten, internationalen Standards der Best-Practice Städte. Die Verkehrsplanungsrichtlinie kritisch hinterfragt Die Richtlinie dient primär dazu Graubereiche in der planerischen und ablauftechnischen Umsetzung der Verkehrsmaßnahmen zu reduzieren und verbindlich zu definieren. Abweichungen von der Richtlinie sind erlaubt, wenn die historisch gewachsene Struktur die Einhaltung der Standards nicht oder nur mit großen Nutzungskonflikten ermöglicht. Prinzipiell sind Geh- und Radwege in Zukunft getrennt zu gestalten und es wird keine neuen Mischwege zwischen Radund Fußgängerverkehr mehr geben. Dies entspricht dem best practice. Der Ausbau des Radverkehrs erfolgt über geschwindigkeitsabhängig verschiedene Formen des Radweges. In Anlieger- und Sammelstraßen mit Tempo 30 wird Rad- und Automobilverkehr im Mischprinzip geführt. Sollte dies auch deutlich markiert sein, und der Platzbedarf es nicht anders zu lassen so ist die Vorgehensweise best practice konform. Ab 30 km/h weicht die Richtlinie jedoch vom internationalen Standards ab. So ist zwischen 30 und 50 km/h eine gemischte Nutzung oder Mehrzweckstreifen für Fahrräder neben Fahrradstreifen und Radwegen vorgesehen. Erst ab 50 km/h wird eine Trennung von Rad- und Automobilverkehr verpflichtend.61 Man erkennt das die Stadt Graz nicht bereit ist großflächig sichere

Radinfrastruktur neu zu errichten. Studien belegen, dass nur eine vollständige Trennung des Fahrrads vom Automobil bei Geschwindigkeiten über 30 km/h Sicherheit gewährleisten kann. Es hätte die Einschränkung des Automobilverkehrs, der in weiten Teilen in Graz zwischen 30 und 50 km/h schnell geführt wird, und womöglich den notwendigen Abbau von Parkplatzflächen zwangsläufig zur Folge, da der Platzbedarf für Radwege steigt. Prinzipiell unterschreitet die Richtlinie auch die empfohlene Mindestbreite aller Radwege von 2,5 Metern. Die best 61

vgl. Stadt Graz - Mobilitätsstrategie 2020, Verkehrsplanungsrichtlinie, S.8, 13-15

38


practice Städte errichten keine neuen Radwege unter dieser Mindestbreite, da so gewährleistet ist, dass Überholmanöver möglich sind und auch der Platzbedarf von Lastenfahrrädern und Behinderten sichergestellt wird. In Graz sind Breiten zwischen 1,25 Metern und 2 Metern als Mindestbreiten vorgesehen - abhängig von der Geschwindigkeit und Lage des Radweges. Selbst Zweirichtungsradwege, die Radverkehr in beide Richtungen zulassen, haben nur eine Mindestbreite von zwei Metern. Erst ab besonders hohem Verkehrsaufkommen soll die Leistungsfähigkeit der Radwege überprüft werden und gegebenenfalls zum Beispiel bei 2500 Radfahrern pro Stunde auf 3 Meter Verkehrsraumbreite bei einem Zweirichtungsradweg erhöht werden. Ebenfalls anders als bei den best practice Städten ist die Wegführung gegen Einbahnen geplant. Die Öffnung von Einbahnen in beide Richtungen für Radfahrer soll den Verkehrsfluss verbessern. Ohne physische Trennung mit Fahrrädern gegen die Richtung des Automobilverkehrs zu fahren ist für Radfahrer jedoch gefährlich und steigert das Unfallrisiko. Prinzipiell ähnlich ist die Führung von Mehrzweckstreifen zu sehen. Diese setzen den Radfahrer ebenfalls dem Gefahrenpotential Auto aus. Zuletzt geht die Richtlinie noch auf das Thema des Radparkplatzes ein. Das steiermärkische Baugesetz gilt hier als Grundlage. Demnach sind folgende Anzahlen vorgesehen:

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Nur 1 Dienstnehmer aus 20 oder 1 Besucher aus 50 in Theatern bekommt einen Parkplatz für sein Fahrrad. Bedenkt man allein den angestrebten Modal Split von 20 Prozent für Fahrräder, welchen Graz sich selbst zum Ziel setzt, scheint der Wert den man auf Fahrradinfrastruktur legt gering. Es sind nicht einmal genug Plätze vorgesehen um den momentanen Fahrradanteil zu decken.62 Bedenkt man das in

Kopenhagen zum Beispiel Firmen sogar Duschmöglichkeiten für Rad fahrende Arbeitnehmer anbieten müssen, scheint dieser Abschnitt stark verbesserungswürdig. Graz, wohin des Weges? Wenn es keine sichere Möglichkeit gibt sich durch den Verkehr zu bewegen oder sein Fahrrad abzustellen und dem Auto noch immer mehr Raum gegeben wird, ist der Weg zu einer vorbildlichen Fahrradstadt schwer. Ein Umdenken ist erforderlich und das menschliche Maß muss Vorrang vor dem Automobil haben. Die Stadt Graz zeigt nachweislich wie negativ der Einfluss des Automobils auf die Lebensqualität in Graz ist und setzt sich Ziele dies zu ändern. Dennoch scheint die Verkehrsplanung nicht mutig genug dem Beispiel großer Fahrradstädte zu folgen und effektive Maßnahmen für das Fahrrad und gegen das Auto zu setzen.

6. Schlussbetrachtungen Der Automobilverkehr untergräbt die Lebensqualität der Städte. Der enorme Platzbedarf des Autos versiegelt wertvollen Grünraum. Lärm, Schmutz, Abgase und Staus schaden dem Körper und verstopfen die Straßen. Das Auto isoliert den Menschen und nimmt ihm mit seiner verführerischen Bequemlichkeit jede Bewegung. Es kostet Lebenszeit und echtes Geld - sowohl den Einzelnen als auch der Gesellschaft. Die Seifenblase des „Wunders“ Automobil scheint jedoch in der westlichen Welt geplatzt zu sein. Ein Umdenken findet statt. Eine Fahrradkultur entsteht in Städten, welche das Miteinander fördert und den Rahmen für eine demokratisierte Gesellschaft der Chancengleichheit bietet. Pragmatische Gründe führen dazu es zu nutzen. Man erkennt, dass das Fahrrad bequem, kostengünstig 62vgl.

Stadt Graz-Mobilitätsstrategie 2020, Verkehrsplanungsrichtlinie

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und schnell ist. In Städten ist es ein ideales Fortbewegungsmittel um auf kleiner Fläche eine große Anzahl von Personen zu bewegen. Es trägt zur Gesundheit der Menschen bei und senkt somit die Kosten des Gesundheitswesens für die Allgemeinheit, da die Menschen durch regelmäßige Bewegung gesünder bleiben. Jeder mit dem Fahrrad zurückgelegte Kilometer spart deshalb Geld, welches in andere Bereiche fließen kann. Um dies zu ermöglichen ist es an den Planern und Verantwortungsträgern der Städte eine Stadt zu schaffen die dem Fahrrad Raum gibt und für seine Nutzer sicher ist. Die Bewohner haben die Aufgabe dies von ihren Vertretern mit Nachdruck zu fordern. Nur wenn der politische Wille und das Verlangen der Menschen zusammenfinden, können Maßnahmen für eine Fahrradstadt der Zukunft gesetzt werden. Fahrradwege sind dort vom Auto getrennt und haben eine Mindestbreite von 2,5 Metern. So ist man sicher und man nimmt Rücksicht auf vielfältige Radarten. Mit dem Erreichen einer größeren Anzahl an Radfahrern beginnen Autofahrer auf sie zu achten. Kreuzungen und Ampeln fördern ein Vorankommen am Rad und das Radwegenetz verbindet die ganze Stadt miteinander. Zahlreiche Initiativen stellen das Rad in den Mittelpunkt und klären über die Vorteile auf. Die Einsparungen durch das Rad an Zeit und Geld führten zu Investitionen in eine grüne Stadt, die voll ist von zufriedenen Menschen. In Städten wie Kopenhagen und Amsterdam ist es heute bereits für viele selbstverständlich auf ein Auto zu verzichten und das Rad zu nutzen. Spannende Projekte bringen Spaß in den urbanen Raum und machen das Radfahren zum Genuss. Der Mensch erobert den Stadtraum wieder zurück und das ist gut so, denn nicht das Auto gestaltet die Umwelt, sondern der Mensch. Jan Gehl formulierte es so: „Erst formen wir unsere Städte, dann formen sie uns.“63 Mit der

Förderung des Fahrradverkehrs entsteht das Potential eine Stadt zu formen, die sauber, grün und gesund ist - eine lebenswerte Stadt. Aus diesen Gründen ist die Zukunft des Fahrrads mit Sicherheit eine urbane Zukunft.

63

siehe: Willenbrock (2014).

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7. Bibliographie Arndt, Wulf-Holger (Hrsg.): Mobility and Transportation. Concepts for Sustainable Transportation in Future Megacities. Volume 2, Future Megacities, Berlin: jovis 2014. Batty, Michael: The New Science of Cities. Cambridge, Massachusetts/London: MIT Press 2013. Gehl, Jan: Städte für Menschen. Berlin: jovis 2015. Jacobs, Jane: Tod und Leben großer amerikanischer Städte. Frankfurt am Main/ Wien: Ullstein 1963. Knox, Paul: Cities and Design. Routledge critical introductions to urbanism and the city. London/New York: Routledge 2011. Plé Bernhard u.a. (Hrsg.): Ökotopia. Ressourcenschonung in der Stadteilentwicklung. Frankfurt am Main: Peter Lang 2013. Pucher, John / Buehler, Ralph (Hrsg.): City Cycling. Cambridge, Massachusetts/ London: MIT Press 2012. Schwedes, Oliver/ Rammler, Stephan: Mobile Cities. Dynamiken weltweiter Stadtund Verkehrsentwicklung. Band 2. Mobilität und Gesellschaft, 2.Auflage, Berlin: LIT Verlag 2012. Internetquellen City of Amsterdam (Hrsg.): Plan Amsterdam. Aluvihare, Ruwan/ te Brömmelstroet, Marco/ van der Horst, Iris. Volume 20, no.4, July 2014, Online. [http:// urbantransform.eu/wp-content/uploads/sites/2/2014/09/PlanAmsterdam-Cyclingpolicy-and-design-PDF-2MB.pdf] City of Amsterdam (Hrsg.): Summary Long-term Bicycle Plan 2012-2016. Online 2012. [http://www.amsterdam.nl/publish/pages/423840/ samenvatting_eng_lowres3.pdf] City of Copenhagen (Hrsg.): Copenhagen City of Cyclists: The Bicycle Account 2014. Online. [http://www.cycling-embassy.dk/wp-content/uploads/2015/05/ Copenhagens-Biycle-Account-2014.pdf] City of Copenhagen (Hrsg.): Good, Better, Best. The City of Copenhagen Bicycle Strategy 2011-2015. Online 2011. [http://kk.sites.itera.dk/apps/kk_pub2/pdf/ 823_Bg65v7UH2t.pdf]

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8. Bildnachweise Umschlag: eigene Aufnahme. S.14-15: Stadt Graz: Mobilitätserhebung der Grazer WohnbevÜlkerung 2013. Online. [http://www.graz.at/cms/beitrag/10192604/4438856]

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