4 minute read

Naoya Hatakeyama

Naoya Hatakeyama (Jahrgang 1958) hat sich mit der fotografischen Sammlung des Museums für Ostasiatische Kunst auseinandergesetzt und verwendet Fotografien von japanischen Sehenswürdigkeiten aus der Meiji-Ära Japans (1868–1912) als Inspiration für seine eigene fotografische Untersuchung dieser Orte. Dabei interessiert ihn der zeitliche Aspekt, der zwischen den damaligen touristischen Ansichten und der heutigen Landschaft liegt. Die spielerische Gegenüberstellung von Archivmaterial und seinen eigenen Aufnahmen ö net darüber hinaus das Spektrum zwischen der Fotografie als Dokument und der Fotografie als Kunstwerk.

Naoya Hatakeyama (born 1958) took on the examination of the photographic collection in the Museum für Ostasiatische Kunst and uses photographs of Japanese sights from Japan’s Meiji period (1868-1912) as inspiration for his own photographic investigation of those places. Along the way, he is interested in the temporal aspect that is located between the tourist vistas at that time and today’s landscape. Furthermore, the playful juxtaposition of archive material and his own shots opens the spectrum between the photograph as document and the photograph as artwork.

Advertisement

Du arbeitest zusammen mit dem Museum für Ostasiatische Kunst (MOK), welches über eine umfangreiche Sammlung an Fotografien verfügt. Wie war dein erster Eindruck beim Sichten des Bestandes, und hat sich dein Eindruck im Lauf der Zeit verändert?

Dank deren Sammlung habe ich enorm viel herausgefunden und die Museumsarbeiter begreifen sehr gut, wie dieser Lernprozess verläuft. Sie lächeln und haben stets ein Auge auf mich, während ich ihrer Sammlung neue Bedeutungen abgewinne. Es ist wichtig, zwischen „Sammlung“ und „Archiv“ zu unterscheiden. Einerseits liegen im Archiv Fotos, die für Kataloge oder als Kopien für den Druck abgezogen worden sind – es sind mit anderen Worten Reproduktionen der Originalwerke, die deshalb keine unmittelbare Wirkung auf unser Empfinden und Denken haben. Andererseits besitzt das MOK eine riesige, von seinem Gründer, Adolf Fischer, zusammengetragene Sammlung an Fotografien, die Ende des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Teilen Asiens entstanden sind. Versteht sich, dass sich diese nicht im Archivkabinett befinden. Zweck der zahllosen Reisen Fischers nach Ostasien war es, in jedem Land nach Gemälden, Skulpturen und anderen Kunstwerken zu suchen. Gemälde und Skulpturen können erworben und zurück nach Europa gebracht werden. Doch gibt es Dinge in der Welt, die ebenso schön wie Gemälde und Skulpturen sind, aber nicht eingepackt werden können, dazu gehören Architektur und Landschaft. Was hat er stattdessen mitgebracht? Kopien dieser Dinge, genannt Fotografien.

Du begegnest den auf den Fotografien abgebildeten Orten wieder und unterziehst sie deinem fotografischen Blick von heute. Welche Orte interessieren dich im Rahmen dieses Projekts? Recherchierst du über die abgebildeten Orte schon im Vorfeld oder lässt du dich überraschen?

Nachdem mir aufgegangen ist, dass ich „Japaner“ bin, habe ich tiefe Einsichten in die reiche Geschichte des kulturellen Austauschs zwischen Japan und Europa gewonnen. Diese Erkenntnis war ein wahrer Glücksfall. Zwar kann man den Begri „Fotograf“ oder „Fotografin“ darauf herunterbrechen, dass das welche sind, die Fotos machen, doch steckt noch eine tiefere Absicht hinter ihrer Tätigkeit. Es beginnt mit dem Akt des „Betrachtens“. „Betrachten“ ist der Vorgang des Übersetzens von visuellen Informationen in bedeutungsvolle Einsichten. Diese Fähigkeit des Betrachtens verfeinern die Fotografen und Fotografinnen mittels der körperlichen Erfahrung, ihre eigenen Fotografien aufzunehmen und zu untersuchen, aber auch, indem sie die Werke anderer studieren. Dank dieses dialektischen Prozesses entwickelt sich eine einzigartige Kompetenz in der Kunst des Betrachtens.

In deinem Werk ist der Aspekt der Zeit von besonderer Bedeutung. Welche Rolle spielt Zeitlichkeit in deiner Auseinandersetzung mit dem Archiv des MOK?

Wenn ich Fotos anschaue, kann ich etwas über Zeitlichkeit herausfinden, auf eine Weise, die mir sonst im Alltag verschlossen bliebe. Dank der Fotografien vollendet sich meine Lebenszeit. Deren Bedeutung wächst dadurch für mich an und transzendiert sich zu einem reinen Begri , der noch immer ein tiefes Geheimnis in sich birgt.

You’ve been working together with the Museum of East Asian Art (MOK), which has an extensive collection of photographs. What was your first impression when viewing the collection and has your impression changed over time?

I have learned so many new things from their collection, and the people who work in the museum understand this learning process very well. They smile and watch me carefully as I am pulling out new meaning from their collection. To think about the difference of “collection” and “archive” is another important thing. The photographs in the MOK archive were taken for catalogue purposes or as copies for printing – in other words, they are reproductions of the original art works and do not directly affect our sensibility and thought.

On the other hand, the MOK has a large collection of photographs collected by its founder, Adolf Fischer, in various parts of Asia at the end of the 19th century. Needless to say, these are not in the archive cabinet. The purpose of Fischer’s numerous trips to East Asia was, of course, to research and collect paintings, sculptures and other works of art in each country. Paintings and sculptures can be acquired and brought back to Europe. However, there are some things in the world that are as beautiful as paintings and sculptures, but cannot be taken back home, such as architecture and landscapes. What did he bring back instead? It was copies of those, called photographs.

As we have already come to know, you re-encounter the places from the photographs and subject them to your photographic gaze from the now. What are the places that interest you in this project? Do you research the places depicted in the photographs beforehand or does a certain moment of surprise play a role when you go to them?

I came to recognize myself as “Japanese” and gained a concrete understanding of the rich history of cultural exchange between Japan and Europe. It was a stroke of good fortune that brought me this realization. While the term “photographer” may be simplified as one who takes photographs, there is a deeper purpose behind their work. It all begins with the act of “looking.” “Looking” is the process of translating visual information into meaningful insights. For photographers, this ability to “look” is honed through the physical experience of taking and examining their own photographs, as well as through studying the work of others. This dialectical process forms a unique expertise in the art of “looking.”

In your own work, the aspect of time is of particular importance. What role does temporality play in your engagement with the MOK archive?

By looking at photographs, I can learn about temporality in a way that I would not experience through my daily life. Thanks to photographs, the time of my own life is completed. Its meaning becomes greater for me and it has become a pure concept that still holds a deep mystery.

This article is from: