Ostholsteiner Anzeiger
EUTIN
14. Juni 1976
Mit 12.000 Besuchern hatte allerdings niemand gerechnet – weder Bataillon noch die Presse. So verglichen die ‚Lübecker Nachrichten’ die Veranstaltung am nächsten Tag mit einer „wahren Völkerwanderung“. Als größtes Geschenk erhielt das Bataillon rechtzeitig zum Jubiläum die ersten Spähpanzer Luchs, die publikumswirksam am ‚Tag der offenen Tür’ präsentiert werden konnten. Hierfür wurde eigens der Hindernissparcour des Lehrfilmes „Die Augen des Heeres“ nahezu originalgetreu nachempfunden. Abschließend erfuhr das Bataillon aus allen Richtungen Lob für einen unvergesslichen Tag. Insbesondere der große Besucherandrang verdeutlichte die Stimmung der Bevölkerung Eutins und ihr ‚Ja’ zur Bundeswehr. Vielerorts kam es in der Bundesrepublik zu Demonstrationen gegen die Bundeswehr, insbesondere bei Gelöbnissen – nicht aber in Eutin und Ostholstein. Das ‚Hausbataillon Eutins’ war Mitte der siebziger Jahre in den Herzen der Menschen Ostholsteins fest verankert.
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3. „Konfrontation und Wandel!“ (1979–1989) Ende der siebziger Jahre geriet die Entspannungspolitik in eine Krise. Massive sowjetische Raketenrüstung, eine aggressive Interventionspolitik und die Reaktion der NATO läuteten eine Phase des Wettrüstens ein, die aber vor allem in der Bundesrepublik Deutschland durch eine neue Friedensbewegung kritisch begleitet wurde. Erst Mitte der achtziger Jahre geriet die Sowjetunion in eine fundamentale Krise, woraufhin durch den Generalsekretär der KPdSU Michael Gorbatschow, Reformen eingeleitet wurden. Nachdem der Kalte Krieg zunächst noch kälter geworden war, setzte eine Phase des ‚Tauwetters’ ein. Gleichwohl behielt die Bundeswehr einen hohen Grad der Einsatzbereitschaft bei und auch das Panzeraufklärungsbataillon 6 bezog im Rahmen von NATO-Übungen immer wieder den zugewiesenen ‚GdP-Raum’ zwischen Lübeck und Lauenburg. Mit der Ankündigung des Warschauer Paktes, Mittelstreckenraketen vom Typ ‚SS-20’ auch auf dem Gebiet der DDR aufzustellen, ging eine nukleare Bedrohung nun auch räumlich in unmittelbarer Nähe zur Bundesrepublik Deutschland aus. Der Einmarsch der Sowjetunion 1979 in Afghanistan verschärfte die Konfrontation zwischen der Sowjetunion und den USA weiter, so dass das westliche Bündnis mit dem sogenannten ‚NATO-Doppelbeschluss’ ultimativ als Antwort auf die sowjeti-
SS 20
Pershing II 55
schen Rüstungsanstrengungen eigene Raketen ankündigte. Insbesondere die USA, die auch aufgrund der angespannten internationalen Sicherheitslage Ronald Reagan zu ihrem Präsidenten gewählt hatten, kündigten einen „Nachwinter des Kalten Krieges“ an. Symbolischer Ausdruck der verhärteten Fronten wurde der gegenseitige Boykott von Ost und West während der Olympischen Spiele 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles. Im Februar desselben Jahres begann dann auch in der Bundesrepublik Deutschland die Stationierung von 108 amerikanischen Mittelstreckenraketen Pershing II und 96 Marschflugkörpern. Der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt, der sich massiv vor allem auch im Gegensatz zu Vertretern der eigenen Partei für den ‚NATO-Doppelbeschluss’ eingesetzt hatte, geriet immer stärker unter innenpolitischen Druck. In Folge der sogenannten ‚68er’ bildeten sich in den siebziger Jahren Bürgerinitiativen, pazifistische Gruppen, die ,Anti-Atomkraftbewegung’ und eine neue ‚Ökologiebewegung’, die sich 1979 wesentlich in der Partei ‚DIE GRÜNEN’ organisierte, um gesellschaftliche Veränderungen durch Engagement von Menschen jenseits des eigentlichen ‚Polit-Betriebes’ herbeizuführen. Die Opposition gegen den ‚NATO-Doppelbeschluss’ bot für diese unterschiedlichen Strömungen eine einigende Projektionsfläche und führte zu Großdemonstrationen mit mehreren 100.000 Demonstranten auch gegen Bundeskanzler Schmidt. Auch wenn es diesem gelang, 1980 noch einmal mit der FDP eine Regierungsmehrheit zu bilden, grenzten sich die Liberalen vor allem aufgrund ordnungspolitischer Differenzen nach der zweite Ölkrise 1979/80 von der SPD ab. So kam es am 1. Oktober 1980 erstmalig zu einem erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum gegenüber einem deutschen Bundeskanzler. In dessen Folge wurde Helmut Kohl mit den Stimmen der Abgeordneten von CDU/CSU und großen Teilen der FDP Helmut Schmidt gratuliert Helmut Kohl zur Wahl zum zum neuen Kanzler gewählt. Bundeskanzler Im Konflikt um die ‚Nachrüstung’ der beiden Blöcke nahmen beide deutsche Staaten in ihren jeweiligen Bündnissystemen eher moderate Positionen ein unter dem Motto: „Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen“. Als allerdings Mitte der achtziger Jahre die Sowjetunion aufgrund der massiven Rüstungsanstrengungen im Wettbewerb mit den USA immer mehr an ihre wirtschaftlichen Grenzen stieß, leitete der Generalsekretär der KPdSU, Michael Gorbatschow, mit den Grundlinien ‚Glasnost und Perestroika’ gesellschaftliche Reformen ein. Die DDR, die auf die Sowjetunion als Existenzsicherung angewiesen war, geriet so zunehmend in die 56
Isolation. Das gesamte System der Staaten des Warschauer Paktes brach immer weiter auf, die Sowjetunion verlor zunehmend ihre Integrationskraft. Im September 1989 zerschnitten ungarische Grenzsoldaten den Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Österreich. Damit hatte erstmals seit Jahrzehnten der ‚Eiserne Vorhang’ Risse bekommen. In der DDR kam es zunächst zu massenhaften Fluchtversuchen, später zu Ausreisewellen. Gleichzeitig bildeten sich oppositionelle Bürgerrechtsgruppen, die wiederum friedliche Massenproteste der DDR-Bevölkerung gegen die SED-Diktatur initiierten. Auch wenn US-Präsident Reagan Mitte der achtziger Jahre noch gefordert hatte: „Mr. Gorbatschow, tear down this wall!“, geschah am 9. November 1989 das Unglaubliche: die Berliner Mauer fiel, die Deutsche Einheit war zum Greifen nah.
Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989
Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989
Hatte die Sowjetunion zu Beginn der achtziger Jahre noch mit massiver Raketenaufrüstung die Blockkonfrontation gesucht und war 1979 in Afghanistan einmarschiert, musste sie sich nach schweren Niederlagen gegen die Mudschaheddin 1989 aus Afghanistan wieder zurückziehen. Im selben Jahr war der Ostblock strategisch und wirtschaftlich im Wettbewerb mit der westlichen Welt an seine Grenzen gekommen. Der ‚Eiserne Vorhang’ wurde durchlöchert, die ‚Deutsche Frage’ zum Fixpunkt einer weltpolitischen Wende nach über einem halben Jahrhundert der Ost-West-Konfrontation.
3.1 Winter 1978/1979 – Ostholstein versinkt im Schnee Die Weihnachtsfeiertage in Eutin waren grün – wie fast jedes Jahr. Ab dem 28. Dezember 1978 lösten jedoch Temperaturunterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland von mehr als 20° C einen überaus heftigen Schneesturm aus. Der orkanartige Sturm drohte eine Flutkatastrophe an der Ostseeküste auszulösen, Straßenund Schienennetz waren rasch zugeweht und unpassierbar, insbesondere Fehmarn war stark betroffen. Die Temperatur fiel dramatisch und Schneeverwehungen türmten den Schnee bis zu fünf Meter hoch. Am 29. Dezember 1978 verhängte die 6. Panzergrenadierdivision eine erste Urlaubssperre für einzelne Truppenteile, nachdem die Alarmstufe ‚Sturmvogel II’ ausgerufen worden war. Mit zunehmender Verschlechterung der Lage wurde bereits einen Tag später der Katastrophenalarm ausgerufen und ein allgemeines Fahrverbot angeordnet, um die laufenden Rettungseinsätze nicht zu behindern. Über die regio57
nalen Rundfunkstationen wurden alle Soldaten der 6. Panzergrenadierdivision dazu aufgefordert, sich unverzüglich in ihren Einheiten zu melden. Die Soldaten des Panzeraufklärungsbataillons 6, die sich in der Mehrheit noch im Weihnachtsurlaub befanden, machten sich auf unterschiedlichste Art und Weise – teilweise auf Skiern – auf den Weg nach Eutin. Am 30. Dezember waren bereits 15 Bergepanzer und dutzende weiterer Rad- und Kettenfahrzeuge der Bundeswehr mit über 600 Soldaten im Einsatz. Vorneweg Soldaten des Panzeraufklärungsbataillons 6. Aufgrund der Witterung fand nur langsam eine Ausweitung des Kräfteeinsatzes im Raum Ostholstein statt. Gleichwohl muss aber in diesen entscheidenden Stunden ein Bergepanzer der 1. Kompanie hervorgehoben werden, der noch in der Nacht zum 30. Dezember 1978 zum Einsatz nach Fehmarn befohlen wurde. Für die Strecke von 60 Kilometern benötigte er acht Stunden, nicht zuletzt da er unterwegs mehrere Kraftfahrzeuge samt halberfrorener Insassen befreite und Verletzte in umliegende Krankenhäuser brachte. Da sich die später entsandten Panzer allesamt festfuhren, Struve-Druck, Eutin (Hrsg., 1. Auflage war die Besatzung des Unteroffiziers Uwe 1979) Borchert auf sich allein gestellt. Das Fehmarnsche Tageblatt bestätigte die herausragenden Leistungen der ‚Gruppe Borchert’ am 5. Januar 1979 folgendermaßen: „[Die, d.V.] Besatzung mit dem Unteroffizier Borchert und dem Gefreiten Lamp vollbrachte in eisiger Kälte unvorstellbare Leistungen [und, d.V.] rettete dabei 14 Menschen unmittelbar vor dem [...] Erfrieren“. Diesen Kraftakt konnte die Besatzung des Bergepanzers nur durch ihre Entschlossenheit und die Zurückstellung persönlicher Belange meistern – an die verpasste Silvesterfeier dachte niemand. Überdies zeichnete sich die Besatzung durch Belastbarkeit und Improvisationstalent aus. So bargen die Soldaten eine am Rückgrat verletzte Frau mitsamt Reisebus, in dem sie sich befand (die Person sollte bis zur Versorgung nicht bewegt werden) und verbrachten die Verletzte direkt in das nächste Krankenhaus. In der 4. Kompanie waren die ersten beiden Soldaten, die die Kaserne erreichten, der Kompaniechef Hauptmann Utz Kobe und der Kompaniefeldwebel, der damalige Hauptfeldwebel, Günter Tilsner. Anfangs wurden alle SolUnteroffizier Uwe Borchert mit dem Hauptge- daten losgeschickt, die die Kaserfreiten Jürgen Lamp auf ihrem Bergepanzer mit ne erreichen konnten, so auch der einem dankbaren Bauern Ostholsteins (v.r.n.l.) Hauptfeldwebel Wolfgang Mey58
er, der mit seinem MTW 113 bei Bujendorf mehrere Pkw aus Schneeverwehungen befreite, bevor er von Pansdorf aus über etliche Tage und nur über Funk geführt, Medikamente an bedürftige Menschen verteilte. Die Gesamtsituation schien sich ab dem 2. Januar 1979 zunächst zu verbessern. Bis dahin zählte das Bataillon 99 Einsätze mit einer Leistung von 4.234 Rad- und 5.919 Kettenkilometern. Der Ostholsteiner Anzeiger schrieb zum Einsatz unseres Bataillons: „Großartige Leistungen vollbrachten die Besatzungen der von der Bundeswehr eingesetzten Panzer. In Sturm und Schnee stellten sie vor allem den Krankentransport sicher“. Hauptmann Roland Kather als KompaTatsächlich war die Schneekatastrophe je- niechef der 3./-, Kommandeur PzAufklBtl doch noch nicht zu Ende. Anfang Februar, 6 von April 1989 bis April 1991 – Origialso rund vier Wochen später, wurde auf- nal Bildunterschrift OHA vom 3. Januar grund starken Schneefalls und heftiger 1979: „ ,SCHIPP, SCHIPP, HURRA!’ – Stürme erneut Katastrophenalarm aus- Aber Hauptmann Kather aus Eutin, begelöst. Stürmische Winde verwehten den wundert von der Bleschendorfer Jugend, kontinuierlichen Schneefall und so wur- bekommt trotz aller Kraftanstrengungen den gerade geräumte Straßen immer wie- seinen ‚Luchs’-Spähpanzer nicht wieder der blockiert. In unzähligen Hilfseinsät- frei“ zen mussten in ihren Fahrzeugen eingeschneite Menschen geborgen werden. Die von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz eingesetzten Hubschrauber wurden zum wichtigsten Transportmittel. Da das Bataillon nach Abschluss des ersten Einsatzes direkt in die Gefechtsausbildung übergegangen war, befand es sich bei Ausbruch der folgenden Katastrophe auf dem Truppenübungsplatz ‚Sennelager’ bei Bielefeld. Schneemassen blockierten vielerorts die Schienenwege, sodass die Rückkehr des Bataillons erschwert wurde und die Entladung nur in Lübeck erfolgen konnte. Anschließend verlegte das Bataillon mit allen Panzern und Radfahrzeugen geschlossen über die A1 Richtung Eutin. Die Straßenverhältnisse waren durch die starken Schneeverwehungen so schlecht, dass Gerüchten zufolge das ganze Bataillon über nicht nur einen verlassenen PKW fuhr, der unsichtbar unter dem Schnee vergraben war. Keine wirkliche Herausforderung, da dies schließlich regelmäßig beim ‚Tag der offenen Tür’ geübt wurde. Endlich wieder in Eutin angekommen, stiegen Teile des Bataillons unverzüglich in den Hilfseinsatz ein. Schon wieder war die Bundeswehr gefordert. Zusammen mit den Eutiner Aufklärern waren Soldaten des Panzergrenadierbataillons 72 aus Hamburg auf Fehmarn und bei Heiligenhafen, sowie des Jägerbataillons 391 aus Putlos zur Schneeräumung auf der B 207 und B 501 eingesetzt. Plöner Pioniere sprengten ver59
eiste Wasserläufe und den Eisenbahnverlauf nach Fehmarn frei. Unvergessen bleibt der Einsatz der Heeresflieger der Division, die durch hunderte Flüge Menschen aus Notlagen retteten und für viele die Lebensmittelversorgung aufrechterhielten. Darüber hinaus waren sie es, die durch den Transport dutzender schwangerer Frauen die Geburt der später als ‚Helibabys’ benannten Kinder ermöglichten. Die Zusammenarbeit funktionierte auf allen Ebenen – vom Krisenstab bis hin zum Verbund mit Feuerwehr, Polizei, Rotem Kreuz, verschiedenen Hilfseinrichtungen und unzähligen freiwilligen Helfern. Nach der Katastrophe formulierte der Landrat Ostholsteins sein persönliches Fazit, indem er erkannt habe, dass „Menschen auch heute in einer hochtechnisierten Welt aufeinander angewiesen sind“. Das Bataillon bewährte sich besonders durch die Koordinierung des Einsatzes der weit in Ostholstein dislozierten Kräften, die unter permanentem Zeitdruck standen. Die Bataillonsführung zeichnete sich von der ersten Stunde an durch Entschlussfreude und einen zupackenden Geist aus.
Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg bei der Verleihung des Fahnenbandes „Schleswig-Holstein“ an die eingesetzten Verbände, darunter das PzAufklBtl 6 Diese Leistung des, zu jener Zeit durch Oberstleutnant Manfred Rath geführten, Bataillons wurde abschließend durch die Verleihung des Fahnenbandes „SchleswigHolstein“ durch den Ministerpräsidenten mit besonderem Nachdruck gewürdigt.
3.2 Panzeraufklärungsbataillon ‚von’ 6 Der deutsche Adel, insbesondere in Preußen, aber auch in der Zeit noch nach dem Kaiserreich, war eine wesentliche Säule der deutschen Armee. Im Jahr 1930 entstammten immer noch fast 50 Prozent des Offizierkorps der Kavallerie adligen Familien. Mit der Aufstellung der Bundeswehr nahm der Anteil des Adels im Militär drastisch ab, da die Söhne der adligen Familien den gesellschaftlichen Wettbewerb vornehmlich in der Wirtschaft suchten. Gleichwohl waren sie immer noch stark im Reserveoffizierkorps vertreten. Für eine bedeutende Zahl der betreffenden Familien und zunehmend auch für die bürgerliche Oberschicht war nach wie vor oder wurde 60
nun die traditionelle Ausbildung ihrer Söhne zu Reserveoffizieren zum Teil der Etikette, ebenso wie ein Studium an den Eliteinternaten- und Universitäten des In- und Auslandes. Zu den bevorzugten Truppenverbänden zählten dabei zweifelsohne die Panzeraufklärungsbataillone 3 in Lüneburg und 6 in Eutin sowie bis zu deren Auflösung das Panzeraufklärungsbataillon 4 in Roding und das Panzeraufklärungslehrbataillon 11 in Munster. Das Reserveoffizierkorps hatte im Panzeraufklärungsbataillon 6, seit der Aufstellung des Bataillons, stets einen ebenso festen Platz eingenommen, wie die Ausbildung des Nachwuchses adliger Familien. Hochkarätige Namen, wie der des Gefreiten Albrecht Prinz zu Hohenlohe, waren keine Seltenheit. Als dieser jedoch im März 1965 für den Besuch seiner Tante aus England einen Tag Sonderurlaub beantragte, belehrte ihn der Kompaniefeldwebel der 2. Kompanie, Hauptfeldwebel Friedo Ernst, dass Sonderurlaub nur für engste Verwandte zu genehmigen sei und zerriss den Urlaubsantrag. Als der Prinz ihm jedoch glaubhaft versicherte, dass seine Tante die Königin von England sei, stimmte der Kompaniefeldwebel schließlich schmunzelnd zu. Mit dem Eintritt des adligen oder bürgerlichen Sprösslings einer wohlsituierten Familie – nach behüteter Kindheit und Jugend – in die Bundeswehr, treffen schlagartig vollkommen unterschiedliche Lebenswelten aufeinander. Diese zumeist hervorragend gebildeten jungen Männer stoßen auf technisch versierte Unteroffiziere, die durch ihre langjährige praktische Erfahrung im Umgang mit dem Gerät der Truppengattung und ein über Jahre gereiftes Selbstbewusstsein verfügen. Gelegentlich erscheinen die militärisch völlig unerfahrenen ROA in den Augen des Unteroffizierkorps als arrogant und überheblich. Umgekehrt fühlen sich die Reserveoffizieranwärter ihren vorgesetzten Unteroffizieren und Feldwebeln teilweise intellektuell überlegen und geben sich durchaus überheblich. Das scheinbar zum Scheitern verurteilte Zusammentreffen verändert sich im Zuge der Ausbildung zu einem wachsenden gegenseitigen Respekt. Die ROA erkennen in aller Regel die hohe Professionalität der Unteroffiziere an, bewundern gar ehrfürchtig den einen oder anderen Hauptfeldwebel und zeigen in der Ausbildung gute bis ausgezeichnete Leistungen. Noch Jahre später spricht so mancher Leutnant der Reserve in Ehrfurcht von seinem damaligen Hauptfeldwebel. Die ROA sind häufig blitzgescheit und lernen schnell und erfolgreich. Die erfahrenen Unteroffiziere wiederum erkennen ebenso schnell das Potential der ROA. Dieses besondere Verhältnis zwischen älteren PortepeeUnteroffizieren und jungen Reserveoffizieranwärtern belebt das Führerkorps des Bataillons erheblich. Fielen die ROA auf der einen Seite immer wieder durch besondere Aktionen auf, beispielsweise durch das berühmt berüchtigte ‚gelbe Haus’ in Rachut unweit Eutin, einer verbindungsähnlichen Wohngemeinschaft, in der Eutiner Reserveoffizieranwärter über Jahre hinweg ‚residierten’ und die in den Augen vieler Außenstehender mit einem ‚Sodom und Gomorra’ gleichzusetzen war, so bestachen sie doch auf der anderen Seite immer dann, wenn es darauf ankam, durch ausgezeichnete Leistungen und höchste Professionalität. Hierfür steht exemplarisch der im Boeselager-Wettbewerb im Mai 1987 errungene 1. Platz durch Fähnrich (ROA) Ulrich Grauert, der kurz danach, am 30. Juni 1987, seine aktive Dienstzeit beendete. 61
Um die Professionalität zu erreichen, die sich die Reserveoffizieranwärter aus traditioneller Verpflichtung und, trotz aller ‚Lässigkeit’, aus Ehrgeiz zum Maßstab erhoben, war eine intensive Ausund Weiterbildung sowie eine gesellschaftlich-militärische Schulung und Erziehung erforderlich. Dazu war, nicht zuletzt durch die geschilderSpähtrupp Grauert bei der Vorbereitung des Boese- ten Spannungen, ein gestanlager-Wettbewerbes dener und leistungsfähiger Fähnrichoffizier unverzichtbar. Diese Funktion des ‚Fähnrich-Vaters’ nahmen in der ROA-Blütezeit der achtziger Jahre Hauptmann Fred-August Frenscheck bis 1983 und danach Hauptmann Johannes Raschpichler bis Mitte 1989 wahr. Für die Auswahl der geeigneten Reserveoffizierbewerber erfolgte ein- bis zweimal jährlich die so genannte ‚Hengstparade’ in der Chefrunde des Bataillons, wobei sich die ROB mit Kurzvorträgen und bei der Beantwortung schwieriger Fragen beweisen mussten. Die militärische Ausbildung gliederte sich in allgemeine und truppengattungsspezifische Inhalte. Es galt in einer komprimierten, zeitlich stark fordernden, Ausbildung zum Gruppenführer und Panzerkommandanten innerhalb nur eines Jahres und der sich anschließenden Ausbildung zum Spähtruppführer zu bestehen. Dabei war der Leistungsstand so hoch, dass die jungen ROA teilweise bereits vor ihrer Beförderung zum Fahnenjunker als Gruppenführer in der ‚Allgemeinen Grundausbildung’ der Ausbildungskompanie 3/6 eingesetzt wurden. Neben dem rein militärischen Anteil wurde ein besonderes Augenmerk auf ‚Stil und Formen’ gelegt. Pro Quartal fand dazu ein feierliches Abendessen aller OA, ROA und ROB im Kasino mit integriertem ‚Stil und Formen-Unterricht’ statt. Hierbei wurde beispielsweise unzählige Male der Handkuss geübt. Da Damenhände zu jener Zeit in der Armee rar gesät waren, dienten die ledernen Pistolentaschen als Übungsattrappe. Anschließend endeten die Veranstaltungen oft im Kasinokeller zur weiteren ‚Vertiefung’ der Ausbildung. Kulturelle Veranstaltungen wie Theaterbesuche in Hamburg oder der Besuch des ‚Freischütz’ bei den Eutiner Festspielen durften ebenso wenig fehlen, wie wöchentliche Weiterbildungen zu verschiedensten gesellschaftlichen Themen. Ende der achtziger Jahre kamen die ‚ROA Crews’ in den Genuss der allseits beliebten Tanzstunde. Hierfür konnten aus den Internatsschulen Ostholsteins 20 hübsche Fräuleins zur Teilnahme überzeugt werden. Auch hierbei zeigte sich, dass die jungen ROA und ROB aus den adligen und großbürgerlichen Familien sowie von den umliegenden landwirtschaftlichen Gütern das Bataillon und insbesondere das Offizierkorps durch ihr besonderes ‚savoir vivre’ und ‚savoir faire’ bereicherten. Auch der ‚Spaßfaktor’ kam bei legendären Feiern, Unternehmungen wie Tontaubenschießen, Reiten auf verschiedenen Gutshöfen der Umgebung oder einer Teilnahme beim Kuttersegeln der Kieler Woche, wobei sogar ein beachtlicher 3. Platz errungen wurde, nie zu kurz. Der bataillonseigene Wasserausbildungsplatz am Großen Eutiner See, in unmittelbarer Nähe zur Kaserne, war hierbei ein idealer 62
Trainingsort und wird noch heute immer wieder für Feierlichkeiten genutzt. Die Krönung eines jeden ROA-Durchganges war der selbst organisierte und mitfinanzierte Fähnrichball im Sommer. Dieser fand anfangs im Kasino, danach in den Schlossterrassen oder auf Schloss Weißenhaus statt. Von Jahr zu Jahr erfreuten sich die sagenhaften Fähnrichfeste eines enormen und steigenden Gästezulaufes. Die nachfolgenden ROA und ROB jüngeren Jahrganges waren als Ordonanzen und Hilfskräfte eingesetzt. Um ein derartiges Fest zu finanzieren, legten die ausscheidenden Fähnriche ein Monatsgehalt in die gemeinsame Kasse. Fähnrichball im Casino der RettbergInsbesondere die eigenständige Planung Kaserne und Durchführung des Balles stellte für die jungen ROA eine große organisatorische Herausforderung dar und war somit auch Teil ihrer Ausbildung und Erziehung. Getragen wurde bei den Bällen selbstverständlich keine ‚Uniform von der Stange’, sondern edler Zwirn in vielerlei einfallsreichen Variationen von den einschlägig bekannten Schneidern aus Lüneburg oder Hannover. Den ersten Höhepunkt hinsichtlich der ROB-Zahlen erfuhr das Bataillon unter seinem zweiten Kommandeur, Oberstleutnant Anton von Mohl, in den 60er Jahren. Unter seiner Führung entstand eine Verflechtung vieler adliger und großbürgerlicher Familien mit dem Bataillon, wodurch der Bekanntheitsgrad und die nationale Stellung des Bataillons deutlich aufwuchsen. Besonders die Beziehung zum Kommandeur, ähnlich der eines Vater-Sohn-Verhältnisses, bewirkte ein ‚sich wohl fühlen’ – eine Art familiäres Umfeld. In einer zweiten Phase der achtziger Jahre stieg der Andrang von Reserveoffizierbewerbern im Panzeraufklärungsbataillon 6 erneut signifikant. Der Zulauf wurde durch die positiven Erfahrungen deutlich gesteigert, indem regelrechte Werbung für die zweijährige ROA-Zeit innerhalb der eigenen Familie und bereits an Schulen beziehungsweise Internaten forciert wurde – dies erfolgte teilweise sogar durch Aushänge am ‚Schwarzen Brett’. So zählte das Bataillon 1992 neben 15 OA insgesamt 20 ROA und 21 ROB. Da zu jener Zeit pro Bataillon lediglich zehn und nach der Wiedervereinigung sogar nur vier ROA-Stellen gemäß STAN vorgesehen waren, bediente man sich einiger Listen und ‚organisierte’ freie Stellen bei anderen Bataillone. Dennoch hinterließ diese zweifache Kontingentierung ihre Spuren bei den ROA-Zahlen. Ein weiterer Faktor war die sukzessive Reduzierung der Wehrdienstzeit auf neun Monate. Die Verpflichtung als ROA bedeutete somit einen Unterschied zur Wehrdienstzeit von 15 Monaten, was de facto den Verlust von zwei Studiensemestern bedeutete. Dennoch fanden viele der Reserveoffiziere in unzähligen Wehrübungen zu ihrem ‚Stall’ zurück und dienten damals wie heute in Ostholstein, Deutschland und dem Ausland mit großem Fleiß und Begeisterung. Die Verbindung zum Bataillon wird heute auch durch die rege Mitgliedschaft im ‚Verein der Freunde und Förderer des Panzeraufklärungsbataillons 6’ gehalten, der 1988 auf Initiative des damaligen Kommandeurs Fritz von Korff gegründet wurde. Die Mitglieder des Vereins machten in den vergangenen Jahren ihrem Namen alle Ehre und unterstützten das Bataillon großzügig, zuletzt 63
bei der Verwirklichung der Feierlichkeiten zum fünfzigjährigen Bataillonsjubiläum. Gemeinsam mit der ‚Kameradschaft Panzeraufklärungsbataillon 6 und seiner Traditionsverbände’, die 1978 gegründet wurde und 2008 bereits über 300 Mitglieder verfügt, wird das Bataillon stets mit Rat und Tat von den erfahrenen Eutiner Aufklärern und Freunden des Bataillons eskortiert. Die ROA und späteren Reserveoffiziere fanden und finden im Panzeraufklärungsbataillon 6 eine Heimat. Der entstandene ‚Esprit de Corps’, die vitale Verbundenheit zum Bataillon und ihre Professionalität bereichern den Korpsgeist des Bataillons nicht zuletzt durch ihre Finesse, ihren Humor und die eingebrachte Abwechslung. Heute zieren dutzende Geschenke, die als Dank für die ROA-Zeit übergeben wurden, das Casino der Rettberg-Kaserne und erinnern an großartige Ereignisse und hervorragende Soldaten, die im Bataillon gedient haben.
3.3 Hoch zu Ross So wie die Reserveoffiziere in ganz erheblichem Maße zum exklusiven Charakter des Bataillons beitrugen, taten dies auch viele aktive Offiziere und Unteroffiziere mit ihrer Affinität zur Reiterei. Gepaart mit einer tiefen Verbundenheit zur Kavallerie fand sie immer wieder Ausdruck in den Aktivitäten des Führerkorps. So galt es bis Ende der sechziger Jahre für Offiziere als verpönt, aktiv Fußball zu spielen Bundeswehr-Equipe 1962; Hauptmann und der Kommandeur legte den BetroffeHubertus Macketanz KpChef 2./- (4.v.r.) nen nahe, sich eine ‚offiziergerechtere’
Schleppjagd mit der Beagle-Meute der Familie Martens in Ostholstein 64
Freizeitbeschäftigung zu suchen. Wo immer möglich wurde über die Jahre der Reitsport vorangetrieben und nicht nur vom Offizierkorps verfolgt. Große Erfolge konnten die Reiter des Bataillons ab 1959 erzielen, die beispielsweise bei Reitturnieren der 6. Panzergrenadierdivision zum Einsatz kamen. Mit dieser Equipe wurde bis 1963 drei Mal das Reitturnier der NATO in Mönchengladbach gewonnen. Der Chef 2./-, Hauptmann Hubertus Macketanz, führte mit den reitbegeisterten Soldaten des Bataillons die Vorbereitung durch. Dazu zählten hauptsächlich Bauernsöhne Ostholsteins aber auch immer wieder ROA. Zur später in Warendorf trainierenden Bundeswehr-Equipe gehörte neben Hauptmann Hubertus Macketanz auch Hauptmann Uwe Christiansen, Kompaniechef der 11/6 und später der 1./-. Große Begeisterung im Führerkorps wie auch unter zivilen Gästen erfuhren alljährliche Schleppjagden, die ihren Höhepunkt in den siebziger und achtziger Jahren fanden. Diese wurden durch das Bataillon organisiert und durch die Beagle-Meute der mit unserem Bataillon fest verbundenen Reserveoffizierfamilie Martens angeführt. Zwischen 1971 und 1973 bestand im Bataillon die ‚Reiterkameradschaft Panzeraufklärungsbataillon 6’, die besonders durch den damaligen Kompaniechef der 4./-, Major Peter Scheunemann, initiiert und regelmäßig betrieben wurde. Häufig unterstrichen darüber hinaus Soldaten des Bataillons in Husarenuniformen und hoch zu Ross bei festlichen Aktivitäten, wie Bällen oder Empfängen, die Traditionslinie des Bataillons. Wo nur möglich wurden und werden Reiterpatrouillen eingebunden, wie zuletzt beim Freundeskreistreffen 2007 in Eutin oder während einer Weiterbildung der Brigade in Bergen im Juni 2008 als die Reiterpatrouille des Fähnrichs Richard Martens für staunende Anerkennung unter den Zuschauern sorgte.
Reiterpatrouille des damaligen Oberleutnants Jan-Wilhelm Hammerschmidt, Kommandeur PzAufklBtl 6 von April 1991 bis September 1993, in den Uniformen der Traditionsverbände
3.4 Patenschaften mit Schönwalde a.B., Kasseedorf und Süsel Im leblosen VM-Blatt von 1981, Seite 329, heißt es zu ‚Patenschaften von Einheiten und Verbänden mit Städten und Gemeinden’: „Patenschaften von Einheiten und Verbänden der Bundeswehr mit Städten und Gemeinden in der Umgebung des Standortes sollen das Verständnis der Bürger für die Bundeswehr als Instrument einer wehrhaften Demokratie zur Friedenssicherung fördern. Sie [...] ergänzen die Öffentlichkeitsarbeit in Verteidigungsfragen durch das lebendige Beispiel der Truppe.“ Diese bürokratischen Anweisungen wurden in Ostholstein nicht nur mit Leben ge65
füllt, sondern wurden und werden in den vitalen Patenschaften, die das Panzeraufklärungsbataillon 6 und seine Kompanien mit den Patengemeinden pflegen, übertroffen. Die Einheiten sind für ihre Paten zu einem integralen Bestandteil geworden. Neben einer erfolgreichen Nachwuchsgewinnung im unmittelbaren Umfeld des Bataillons liegt auch der Ursprung so mancher Hochzeit in ‚Patenschafts-Unternehmungen’. Auch in den siebziger Jahren setzte das Bataillon die ‚Vermählung’ seiner Kompanien mit Patengemeinden fort. Die 2. Kompanie fand ihre ‚Braut’ mit Schönwalde. Derzeit leben etwa 2.500 Menschen in Schönwalde, das sich etwa 10 Kilometer ostwärts Eutins befindet. Das ‚Wahrzeichen’ ist der in unmittelbarer Nähe gelegene Bungsberg, mit 168 m der höchste Berg Schleswig-Holsteins, der seit 1954 in den Ortsnamen aufgenommen wurde und so für die Einzigartigkeit in der Bezeichnung Schönwaldes sorgt. Das Patenschaftsverhältnis mit der 2. Kompanie wurde am 21. Juni 1971 vollzogen, als im Zuge eines Übungsbiwaks die Urkunden ausgetauscht wurden. Anschließend erlebte Schönwalde a. B. seine erste eigene Feldparade. Der Ostholsteiner Anzeiger berichtete: „Zahlreiche Veranstaltungen am Wochenende, die viele Einwohner und Gäste in ihren Bann schlugen, gaben dem besonderen Ereignis den würdigen Rahmen und das Gepräge [...]. In einer Feierstunde auf dem Schulhof wurde angesichts der aufgefahrenen Panzer mit ‚aufgesessener’ Schuljugend das Patenschaftsverhältnis besiegelt.“ Die ersten Jahre der Patenschaft waren durch ein intensives Miteinander, mit Knobelabenden, Maimärschen, dem jährlichen Tannenbaumschlagen oder aber der Feuerlöschausbildung mit der Freiwilligen Feuerwehr gekennzeichnet. Ein typisches gemeinsames Feldbiwak fand 1981 statt. Nachdem die Kompanie mit ihren Gefechtsfahrzeugen in Schönwalde eingetroffen war, wurden zunächst die UnterH Bernhardt Buhr-Bartelt mit dem BM künfte bei den Pateneltern bezogen. Nach Seehusen der Gemeinde Schönwalde a.B. ersten Unterhaltungen war man miteinander warm geworden und der Gelände-Orientierungslauf konnte beginnen. Verschiedenste Aufgaben wie ‚PapierflugzeugWeitwurf’ und Seilspringen erschwerten dabei den Parcours quer durch Schönwalde. Der folgende Tag stand ganz militärisch im Zeichen der Spähaufklärung, klang jedoch mit einer Feier anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Patenschaft aus. Der folgende Samstag begann mit einem KK-Vergleichsschießen und endete mit einem Manöverball. Den Tag darauf Biwak in der Patengemeinde Schönwalde leitete ein besinnlicher Feldgottesdienst ein und bei der anschließenden Waffena.B. (2008) 66
und Geräteschau wurde das allseits beliebte ‚Leopard-fährt-über-PKW’ vor den gespannten Zuschauern praktiziert. Ein mit Verkleidungen ausgetragenes Fußballturnier beendete das Biwak nach fünf intensiven, lustigen wie lehrreichen Tagen in Schönwalde. Die Tradition des Biwaks ist bis heute bestehen geblieben und wird jährlich begeistert und unter großer Beteiligung der Bevölkerung wiederholt. So beging die 2. Kompanie jüngst ihr fünfzigjähriges Bestehen am 5. Juni 2008 im Rahmen eines Feierlichen Gelöbnisses des Bataillons in Schönwalde. Kurze Zeit nach der Hochzeit von 2./- und Schönwalde fand auch die damalige 5./mit Kasseedorf ihre Braut. Das heute 1.550 Einwohner zählende Kasseedorf übernahm in seiner Geschichte zweimal eine Patenschaft für eine Einheit des Bataillons. Im Juni 1983 erfolgte die Patenschaftsübernahme mit dem Austausch der Urkunden im Rahmen eines einwöchigen Ausbildungsbiwaks der Kompanie in Kasseedorf. Aufgrund der Auflösung der 5. Kompanie ruhte nach knapp elf Jahren vorerst das Patenschaftsverhältnis. Mit der Verlegung der Panzeraufklärungskompanie 400 von Lüneburg nach Eutin bot sich die erneute Möglichkeit einer Patenschaft und die Gemeindevertretung von Kasseedorf ergriff die Gelegenheit gleich beim Schopfe. So wurde, nachdem bereits am 27. Februar 2003 die Patenschaftsurkunden in Kasseedorf übergeben worden waren, die Übernahme der Patenschaft durch einen Bataillonsappell am 4. März feierlich unterstrichen. Gleichwohl fiel auch die Panzeraufklärungskompanie 400 den Umstrukturierungen zum Opfer und so wurde am 13. Juni 2008 mit dem Auflösungsappell das Frau Bettina Hagedorn (MdB) mit Major Patenschaftsverhältnis mit Kasseedorf Hans Apitzsch, KpChef PzAufklKp 400, beendet. bei der Patenschaftsübernahme Als vorläufig letzte Kompanie fand Mitte der achtziger Jahre die 1. Kompanie mit Süsel ihre Patengemeinde. Die Gemeinde Süsel besteht aus 15 Ortschaften mit insgesamt etwa 5.400 Einwohnern und schließt sich unmittelbar im Süden an den Stadtrand Eutins an. Die im Zuge der Christianisierung des 12. Jahrhunderts erbaute St. Laurentius-Kirche und der Gömnitzer Turm, der 1827/28 als Ersatz für die zerstörte, im Volksmund als ‚Major’ bezeichnete Eiche erbaut wurde, bilden die Wahrzeichen der Gemeinde. Das Wappen Süsels wurde zugleich in das Wappen der 1./- aufgenommen. Am 5. Oktober 1984 wurde die Patenschaft zwischen der Gemeinde Süsel und der 1. Kompanie geschlossen. Für die relativ späte Übernahme einer Patenschaft bei der 1./- fand der damalige Kompaniechef, Major Georg Paul, folgende Erklärung: „Man sei eben mit der Wahl der Patengemeinde sehr wählerisch gewesen“. Schon lange Zeit zuvor waren allerdings nachhaltige Verbindungen mit den Bürgern der Gemeinde entstanden, insbesondere mit denen Bujendorfs, wo sich in den Phasen der NATO-Alarmierungen der Auflockerungsraum der 1. Kompanie befand. Die folgenden Jahre waren geprägt durch eine Fülle von Veranstaltungen. Jährliche Höhepunkte waren die 67
Oktoberfeste, Schützenfeste, Fußballturniere oder Schießwettkämpfe. Wo immer möglich präsentierte die Kompanie dabei ihr vielseitiges militärisches Können und ihre umfangreichen AufHauptmann Johannes Raschpichler und Major Uwe Kramer mit Ver- gaben. Betretern der Gemeinde bei der Übergabe des Patenschaftssteines sonders eindrucksvoll (1994) gestalteten sich die Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestehen der Patenschaft, als der 1. Kompanie zum Zeichen der Verbundenheit einen Stein mit dem Wappen der Kompanie und dem Gründungsdatum der Patenschaft überreicht wurde. Der Stein erinnert, wie auch das Ortsschild am Eingang der Kompanie, täglich an die Verwurzelung in Ostholstein und die engen Verbindungen mit der Bevölkerung. Insbesondere mit dem Beginn der Auslandseinsätze hat sich gezeigt, dass sich die Patenschaft auch unter schwierigen Rahmenbedingungen bewährt. So bleiben nicht nur die Abschiedsfeier der Gemeinde für die Soldaten des KFOR-Kontingentes 1999, sondern auch die individuellen ‚Durchhaltepäckchen’ in den Einsätzen der Kompanie seit 1997 unvergessen.
3.5 Das Bataillon im Boeselager-Wettkampf Von 1970 bis 1996 war der Boeselager-Wettkampf der größte multinationale Wettbewerb der Truppengattung und wohl einer der bekanntesten deutschen Militärwettkämpfe überhaupt. Bis 1988 wurde er jährlich, danach alle zwei Jahre, an wechselnden Austragungsorten veranstaltet. Ziel des Wettkampfes war es, durch Leistungsvergleich und Wettkampf die Ausbildungsstände in der Panzeraufklärungstruppe des Heeres transparent zu machen und diese zu steigern – ab 1976 auch unter zunehmender internationaler Beteiligung. Im Mittelpunkt des Wettkampfes stand das Herzstück des Spähens, der ‚SpähtruppParcours’. Des Weiteren musste sich der beste Spähtrupp des Bataillons in den Kernaufgaben der Truppengattung beweisen, vom Nachtorientierungsmarsch, dem Militärischen Erkennungsdienst über Geländeläufe, Schießen mit Handwaffen und bis 1992 dem ‚gefechtsmäßigen Überwinden eines Gewässers ohne Fahrzeuge’. Kam es bei der Station ‚Allgemeine Aufgaben im Einsatz’ auf die Leistung des stellvertre68
tenden Spähtruppführers mit seiner Besatzung bei wechselnden Gefechtsituationen an, so war der Spähtruppführer bei der ‚Zusammenarbeit mit Heeresfliegern’ auf sich allein gestellt. Der Wettkampf dauerte eine Woche – die intensive und fordernde Vorbereitung als Teilnehmer oder gastgebendes Bataillon jedoch Monate. Der Weg war dabei das Ziel. Die Teilnahme stellte somit eine besondere Ehre dar und nur die Besten wurden ausgewählt und ausgebildet – dies unabhängig von Dienstgrad und -zeit, was sich im ersten Eutiner Sieg von 1987 in Hessisch-Lichtenau bestätigen sollte. Der Sieg im letzten ausgetragenen Wettkampf 1996 in Lüneburg bildete den Abschluss der erfolgreichen Boeselager-Geschichte des Bataillons, in der es in den Jahren 1977 und 1988 den Wettkampf auch in Ostholstein ausrichtete.
Die Boeselager-Mannschaft nach ihrem Sieg in Hessisch-Lichtenau 1987 Bevor es jedoch zum ersten großen Erfolg des Panzeraufklärungsbataillons 6 im Jahr 1987 kommen sollte, wurden vornehmlich Platzierungen im Mittelfeld errungen; die Mannschaften der Jahre 1983 und 1984 stürzten regelrecht ab. Zwei aufeinanderfolgende letzte Plätze bildeten so den Tiefpunkt der bataillonseigenen BoeselagerGeschichte. Diese klare Deklassierung rief im Bataillon eine ‚Trotzreaktion’ hervor. Deutliche Steigerungen bei den folgenden Wettkämpfen sowie die Intensivierung von Ausbildung und Training, sollten, trotz einiger Rückschläge, zum großen Erfolg führen. Nachdem die Mannschaft des Bataillons 1986 in der nationalen Wertung einen guten 4. Platz verbuchen konnte, sollte im Mai 1987 in Hessisch-Lichtenau der Aufwärtstrend anhalten und der Sieg errungen werden. Der Erfolg wurde mit großem Kraftaufwand in der Vorbereitung und besonderer Härte während des Wettbewerbs erkämpft. Bereits Anfang November 1986 wurden etwa 30 Wehrpflichtige und Zeitsoldaten ausgesucht, die geeignet waren, um aus ihnen die spätere BoeselagerMannschaft zu bilden. Ein Großteil von ihnen waren Unteroffizier- und Reserveoffizieranwärter. Als Ausbilder wurde der zu jener Zeit beste Spähtruppführer des Bataillons, Hauptfeldwebel Hubertus Hilgendorff, ausgewählt. Früh wurde ein stundenintensiver Routinedienstplan ausgearbeitet, durch den die Masse der geforderten 69
Wettkampfdisziplinen abgedeckt wurden. So begann die Woche mit ausgedehnten Nacht-Orientierungsmärschen, bei denen den Beteiligten unter anderem durch das Laufen nach Gedächtnis, verschiedensten Formen der Gewässerüberwindung und dem Auswerten von Feindkarten viel abverlangt wurde. Der Dienstag folgte mit Feinderkennung und dem Überwinden der Hindernisbahn. Der Mittwoch und Donnertag standen ganz im Zeichen der Spähtruppausbildung. Beendet wurde die Woche mit den verhältnismäßig ‚entspannenden’ Disziplinen Schwimmen und Schießen. Mit diesem großen Aufwand in den Bereichen Erziehung und Ausbildung wurden die Soldaten geformt. Ergriffen vom Geist des Wettkampfes, stellten die ausgesuchten Soldaten persönliche Belange zurück und wuchsen zunehmend zur ‚Kleinen Kampfgemeinschaft’ zusammen. Deutlich bereichert wurde die Ausbildung durch die Teilnahme an einem Vergleichswettkampf in Hohenfels und gemeinsame Trainingswochen mit Mannschaften aus den Niederlanden, den USA und Dänemark. Die Leistung der trainierenden Spähtruppführer war ausgezeichnet und es deutete alles auf ein Kopf-anKopf-Rennen der konkurrierenden Soldaten des Bataillons hin. Erst kurz vor Wettkampfbeginn sollte die endgültige Mannschaft bestimmt werden. Umso erstaunlicher war es, als der Fähnrich (ROA) Ulrich Grauert, der recht spät zum Training dazugestoßen war, den Ausbilderstab mit seinen vortrefflichen Leistungen überzeugte, die beiden anderen erfahrenen Spähtruppführer übertraf und so zum Spähtruppführer der Eutiner Boeselager-Mannschaft wurde. Die Tatsache, dass ein Fähnrich im Boeselager-Wettkampf das Bataillon vertreten sollte, erregte großes Aufsehen. Gleichwohl waren die im Trainerstab beteiligten Führer, allen voran Hauptfeldwebel Hilgendorff, fest davon überzeugt, dass Fähnrich Grauert das Rennen machen würde. Die Mannschaft stand fest und so begann am 10. Mai 1987 der Wettkampf beim Panzeraufklärungsbataillon 2. Bereits die ersten beiden Disziplinen, der Hubschrauberparcours und das Geschicklichkeitsfahren, wurden sehr gut gemeistert und die Eutiner reihten sich im oberen Drittel ein. Im Geländelauf zahlte sich die intensive Vorbereitung aus und die Mannschaft erreichte die Bestzeit. Bei dem sich anschließenden Spähtrupp-Parcours und dem Nacht-Orientierungsmarsch wurden ebenfalls gute Leistungen erbracht, sodass von nun an die Mannschaft zu den Favoriten für eine Platzierung unter den ersten drei Spähtrupps gehandelt wurde. Eine nur durchschnittliche Leistung im Schießen konnte durch gute Ergebnisse bei der Feinderkennung ausgeglichen werden. Das Schwimmen sollte also als letzte Disziplin die Entscheidung bringen. Neben der Anspannung, dass der Sieg zum Greifen nah war, kam das Ausscheiden des verletzten Spähtruppführers erschwerend hinzu. Jedoch schwamm die Mannschaft so schnell wie nie zuvor im Training. Der erste Platz war perfekt – die Freude grenzenlos. Zurück in Eutin wurde die Mannschaft gebührend gefeiert und Oberstleutnant von Korff würdigte den Erfolg der Mannschaft als Gesamtleistung des Bataillons. Am 27. August 1987 zeichnete der Kommandeur den Fähnrich d. R. Grauert für seine herausragende Leistung mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr in Bronze aus. Der Erfolg bestätigte die über Monate hinweg erbrachten Leistungen des gesamten Bataillons. Darüber hinaus wurde der Führernachwuchs durch eine intensive Gefechtsausbildung für die folgenden Aufgaben hervorragend ausgebildet. 70
Eine außergewöhnliche Auszeichnung für einen außergewöhnlichen Soldaten: Oberstleutnant Fritz von Korff verlieh dem Fähnrich d.R. Ulrich Grauert (links) das Bundeswehrehrenkreuz in Bronze.
OHA vom 31. August 1987
Die Freude und der Elan, die der Erfolg von 1987 auslöste, wurden unmittelbar in die Vorbereitungen des 18. Boeselager-Wettbewerbs investiert, der in Eutin stattfinden sollte. Zwar konnte Eutin damit zum zweiten Mal Gastgeber sein, gleichwohl war diesmal die externe Aufmerksamkeit, die dem Bataillon zuteil wurde, größer geworden und ließ somit die Anforderungen an die Organisatoren und Durchführenden deutlich steigen. Insgesamt kamen etwa 2.100 Soldaten aus 13 Nationen mit insgesamt 24 Mannschaften zum Wettbewerb nach Eutin, dass nach Aussagen des Ostholsteiner Anzeigers (11. Mai 1988) „für eine Woche im Mittelpunkt der NATO“ stand. Das Gelingen des ‚ganz besonderen Ereignisses’ konnte nur durch das Zusammenwirken von anderen Truppenteilen der Division, dem ‚Verein der Freunde und Förderer des Panzeraufklärungsbataillons 6’ und vielen Bereichen des öffentlichen Lebens sichergestellt werden. Auch die Soldaten des Bataillons trugen einmal mehr zum großartigen Erfolg bei. Siegreich waren nach Abschluss der acht mit Herzblut und Liebe zum Detail vorbereiteten, Stationen das Panzeraufklärungsbataillon 4 in der nationalen und die US-amerikanische Mannschaft der 1st Sqdn 1st Cavalry 1st AD in der internationalen Klasse. Nach der Siegerehrung im Eutiner Schlosspark wurden im Boeselager-Treff die erbrachten Leistungen aller Beteiligten und der Abschluss des Wettbewerbes gebührend gefeiert. Der Bericht über den Boeselager-Wettkampf ist viel mehr als nur eine Geschichte unter vielen über die Leistungen des Bataillons. Der Abschnitt steht sinnbildlich für das Einzigartige der Panzeraufklärungstruppe. Aus einer Niederlage heraus, umgeben von Ablehnung und Gegen71
wehr, besannen sich einige wenige auf die soldatischen Tugenden. Durch ihren Enthusiasmus und ihren Optimismus schafften sie es, weitere Mitstreiter zu motivieren und zu gewinnen. Rückschläge wurden in Kauf genommen, analysiert und aus ihnen gelernt, doch der Blick für das Wesentliche wurde beibehalten – bis zum Erfolg; dem Erfolg des gesamten Bataillons. Der Sieg des Boeselager-Wettbewerbes sollte sich neun Jahre später wiederholen. So gewann der Oberleutnant Jürgen Schrader 1996 mit seiner Mannschaft in Lüneburg den bis heute letzten Boeselager-Wettbewerb, nachdem die Mannschaft zuvor hervorragend durch den damaligen Hauptfeldwebel Hans-Otto Hebbeln trainiert worden war. Die Eutiner Aufklärer gewannen dabei die nationale Wertung mit 300 Punkten vor dem Zweitplatzierten. Ebenso konnten sie die inoffizielle ‚internationale Wertung’ vor ihrem OL Schrader kämpft sich mit seiner damaligen italienischen Sparringpartner Gruppe über den einfachen Seilsteg für sich entscheiden.
Die erfolgreiche Boeselager-Mannschaft 1996 72
Der Geist des Boeselager-Wettkampfes spiegelte sich im Korpsgeist des Bataillons wider und nahm und nimmt deutlichen Einfluss auf seine Professionalität. Mit der bataillonseigenen Boeselager-Geschichte sind neben dem bereits genannten Stabsfeldwebel Hubertus Hilgendoff stellvertretend für alle Beteiligten die heutigen Oberstabsfeldwebel Hans-Otto Hebbeln, Günter Frentz, Ralf Appel und Stephan Starck, der Stabsfeldwebel Rüdiger Gosch mit seinem früh verstorbenen Sohn Oberfeldwebel Andreas Gosch sowie die Hauptfeldwebel Hartmut König und Thorsten Sengeisen zu nennen, die über viele Jahre intensiv in Vorbereitung und Durchführung involviert waren und großen Anteil am Gesamterfolg hatten. Darüber hinaus haben viele selbstbewusste und leistungsstarke Portepee-Unteroffiziere in enger Zusammenarbeit mit Reserveoffizieranwärtern leidenschaftlich und ehrgeizig den Ruf des Bataillons erarbeitet. Der gesamte Anspruch der Panzeraufklärungstruppe an den Wettkampf wird in der Namenswahl deutlich. In der Person Georg Freiherr von Boeselager kulminiert das Traditionsverständnis der Bundeswehr mit Bezug zum militärischen Widerstand gegen das ‚Dritte Reich’ und zugleich die Tradition der Aufklärungstruppe zur Kavallerie. Georg Freiherr von Boeselager wurde am 25. August 1915 in Kassel geboren. Nach dem Abitur trat er als Fahnenjunker in das 15. (Preußische) Reiterregiment nahe Paderborn ein und wurde nach den erforderlichen Lehrgängen 1936 zum Leutnant befördert. Erste militärische Erfolge erzielte er als Schwadronschef einer Reiterschwadron der Aufklärungsabteilung 6 im Frankreichfeldzug. Am 20. November 1941 wurde dem inzwischen zum Rittmeister beförderten Boeselager die Führung der AA 6 anvertraut, mit der er im Winter 1941/42 starke Verluste erlitt. Für seine Leistungen wurde ihm im Januar 1942 das Eichenlaub zum Ritterkreuz verliehen. Die Zeit an der ‚Schule für Schnelle Truppen’ in Krampnitz nutzte er, um seine Kriegserfahrungen in eine Denkschrift über die Aufstellung eines neuen Typs berittener Aufklärungsverbände umzusetzen. Blieb sie zunächst ohne Resonanz, gelang es seinem Bruder Philipp von Boeselager, den Oberbefehlshaber der Heeres- Georg Freiherr von Boeselager gruppe Mitte, Generalfeldmarschall von Kluge, bei dem er Adjutant war, für sie zu interessieren. Kluge ließ kurze Zeit später den ‚Reiterverband Boeselager’ aufstellen, aus dem 1943 das Kavallerie-Regiment Mitte, bestehend aus drei Reiterabteilungen, hervorging. Die erste Bewährungsprobe für den am 1. April 1943 zum Major beförderten Georg von Boeselager war die ‚Operation Zitadelle’ im Juli 1943. Am 1. Dezember wurde er zum Oberstleutnant befördert und ein gutes halbes Jahr später, mit 28 Jahren, zum Kommandeur der 3. Kavallerie-Brigade. Georg von Boeselager fiel am 27. August 1944 an der Spitze seiner angreifenden Brigade westlich von Lady-Mans. Im November wurde er nachträglich zum Oberst befördert. 73
Neben seinen militärischen Leistungen gehörte Boeselager zum militärischen Widerstand gegen das ‚Dritte Reich’. Durch seine christlich-humanistische Bildung und Erziehung geprägt, zählte er seit 1941 zu den kontinuierlichen Kritikern Hitlers und des Nationalsozialismus. Mit der Aufstellung des ‚Reiterverbandes Boeselager’ kam er in Verbindung mit Oberst i.G. Henning von Tresckow. Bereits im März 1943 waren Boeselager und einige seiner Offiziere bereit, ein Pistolenattentat auf Hitler auszuführen, welches jedoch verworfen wurde. Im Falle eines geglückten Attentats auf Hitler, ausgeführt durch den Oberst i.G. Claus Schenk Graf von Stauffenberg, sollten unter Boeselagers Führung etwa 1.200 Mann seiner Brigade von einem polnischen Flugplatz aus nach Berlin verlegen, um dort die Verschwörer zu verstärken. Trotz ihres zeitgerechten Eintreffens am Flugfeld, sichergestellt durch einen Gewaltritt, kamen sie nicht zum Einsatz. Die Meldung „Alles in die alten Löcher“ war das Deckwort für das Scheitern des Attentates. So trat Boeselager mit seinen Soldaten wieder den Rückmarsch zur Front an. Nach dem gescheiterten Attentatsversuch wurden viele Mitverschwörer verhaftet, gefoltert und ermordet. Trotz Einschüchterungen gelang es der Gestapo nicht, eindeutige Hinweise auf die Brüder Boeselager zu gewinnen. Die verhafteten Verschwörer behielten ihr brisantes Wissen unter größtem Druck für sich. So überlebte der 2008 verstorbene Phillip von Boeselager unentdeckt den Krieg. Georg von Boeselager ist das Vorbild für die Panzeraufklärungstruppe. Zum einen hat er sich im Krieg als mutiger, tapferer und professioneller Soldat bewiesen. Er hat dabei sowohl im Sinne von Seydlitz die Truppe von vorn in den Angriff geführt als auch konzeptionell am Einsatzwert der Kavallerie gearbeitet. Zum anderen zeichnete sich Boeselager durch Ritterlichkeit und moralische Integrität aus. Georg von Boeselager war bereit, das höchste Gut zu geben, das ein Soldat seinem Land geben
Georg Freiherr von Boeselager auf dem Totenbett 74
kann: das eigene Leben. So orientiert sich die Aufklärungstruppe an den zeitlosen Werten des Kavalleristen Boeselager – Mut, Tapferkeit und Ritterlichkeit. „Wenn einst Gott Abraham verheißen hat, er werde Sodom nicht verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe ich, daß Gott auch Deutschland um unsertwillen nicht vernichten wird. Niemand von uns kann über seinen Tod Klage führen. Wer in unseren Kreis getreten ist, hat damit das Nessushemd angezogen. Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben.“ Henning von Tresckow, vor seinem Freitod am 21. Juli 1944 Henning von Tresckow, ein Mitverschwörer, den Georg von Boeselager über die Heeresgruppe Mitte kennengelernt hatte, tötete sich selbst am 21. Juli 1944 nach dem Scheitern des Attentates auf Adolf Hitler mit einer Gewehrgranate. Fabian von Schlabrendorff, ein weiteres Mitglied des militärischen Widerstandes, übermittelte diesen letzten Gruß Tresckows, der für die Geisteshaltung des gesamten Widerstandes, besonders aber auch für Georg von Boeselager, steht.
3.6 ‚Esprit de Corps’ im Panzeraufklärungsbataillon 6 In den Zeiten eines erneuten Rüstungswettlaufes und einer sich verschärfenden Konfrontation während der achtziger Jahre wuchsen die Bekanntheit und die Attraktivität des Panzeraufklärungsbataillons 6 weiter. Konkreter Ausdruck war in diesem Zusammenhang eine außergewöhnlich erfolgreiche Rekrutierung von – häufig adligen – Reserveoffizieranwärtern. Aus einer fruchtbaren Mischung von Reserveoffizieranwärtern und professionellen, diensterfahrenen und selbstbewussten ProtepeeUnteroffizieren entwickelte sich eine dynamische, für den Leistungsstand des Bataillons produktive Konkurrenz. Das Unteroffizierkorps des Bataillons hatte stets den Anspruch zu den Besten zu gehören. Durch die angespannte politische Lage galt es jederzeit einsatzbereit zu sein. Ergänzt wurde dies durch das bataillonseigene Verständnis der Selbständigkeit, nicht zuletzt durch die eigene Pionier- und Steilfeuerkomponente. Jeder strebte in seinem eigenen Bereich nach Perfektion. Um dies sicherzustellen, wurde eine intensive, mit Herzblut gestaltete, Ausbildung durchgeführt, die erst dann beendet wurde, wenn jeder die Inhalte beherrschte. Stets waren die ‚100 Prozent’ das Ziel – ob auf der Schießbahn oder bei der einsatztechnischen Vorbereitung der Gefechtsfahrzeuge für eine Großübung. Diese Einstellung zog sich durch das gesamte Unteroffizierkorps bis hin zum Mannschaftssoldaten. Stellvertretend für die vielen hervorragenden Leistungen stehen Namen wie Manfred Wolfram, Ernst Metzner, Günter Tilsner, Walter Grammerstorf, Karl Thebelt, Wolfgang Meyer und Bruno Witt. So wie der Stabsfeldwebel a. D. Tilsner die 4. Kompanie in 18 Jahren als Kompaniefeldwebel prägte, taten dieses die oben Genannten in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen. Die große Leistungsfähigkeit des Unteroffizierkorps spiegelt sich aber auch in den Mannschaftssoldaten wider. Exemplarisch hierfür steht ein Schießbahnaufenthalt in Shilo, bei dem der spätere Stabsfeldwebel Walter Grammerstorf einen Kanonenzug der 4. Kompanie erfolgreich führte. Mit Ausnahme seines eigenen Panzers wurden alle weiteren durch Mannschaftssoldaten geführt – sein Stellvertreter war ein ‚erfahrener’ Obergefreiter. 75
Vor allem auch durch die Überzeugung und Motivation der Mannschaftssoldaten stellte das Bataillon seine hohe Leistungsfähigkeit häufig über die Divisionsgrenzen hinaus unter Beweis. Nur zu oft führten dabei auch junge Mannschaftssoldaten als Gruppenführer oder Panzerkommandanten. Das besonders hohe Aufkommen an Reserveoffizieranwärtern sorgte zum einen für das Vorhandensein exklusiver gesellschaftlicher Veranstaltungen, die sicher auch das Bild vom Eutiner Bataillon in der Bundeswehr prägten. Zum anderen war es aber vor allem der Boeselager-Wettkampf, der in den achtziger und bis in die neunziger Jahre Maßstäbe in der Ausbildung der Panzeraufklärungstruppe der Bundeswehr setzte. Damit einher ging wesentlich die Erziehung im Sinne des Lebens von Georg Freiherr von Boeselager. Die Soldaten wurden handwerklich professionell ausgebildet, die Unterführer und Führer sollten durch Vorbild überzeugen. Der ganze Geist der Truppe aber sollte bestimmt sein von moralischer Integrität, von Ritterlichkeit und der Bereitschaft, sein Leben für die höchsten Güter hinzugeben. Mit diesem besonderen Reitergeist und der einzigartigen Attraktivität des Panzeraufklärungsbataillons 6 wuchs auch die Verflechtung mit dem öffentlichen Leben Ostholsteins weiter. Viele Reserveoffiziere stammten aus Ostholstein oder verblieben zumindest nach ihrer Dienstzeit in der Region. Nachdem nun alle Kompanien mittlerweile auch institutionell mit konkreten Gemeinden und Städten der Umgebung verbunden waren, füllte sich der Terminkalender mit Begegnungen, an denen Soldaten und Menschen aus Ostholstein zumeist festliche Stunden miteinander verbrachten. So hieß es daher in der, im Rahmen der Feierlichkeiten des fünfundzwanzigjährigen Standortjubiläums, erschienenen Festschrift des Bataillons im Grußwort der Bürgervorsteherin und des Bürgermeisters: „Die Stadt Eutin fühlt sich dem Panzeraufklärungsbataillon 6 [...] sehr verbunden. Das Verhältnis zwischen der Bundeswehr und der Stadt Eutin ist geprägt durch jahrelange gute Zusammenarbeit. Die Bundeswehr hat einen festen Platz im Leben unserer Stadt eingenommen. Sehr viel haben dazu ihre Soldaten selbst beigetragen, indem sie bereit waren, Kontakte zu suchen und sich in das Eutiner Leben zu integrieren [...]. Kein Anzeichen spricht für eine Ablehnung gegenüber den Bürgern in Uniform in unserer Mitte.“ Die Bundeswehr hatte bis zum Ende der achtziger Jahre und dem überraschenden Fall der Berliner Mauer ihren festen Platz in der Gesellschaft. Die Menschen in Ostholstein hatten die Veranstaltungen des Panzeraufklärungsbataillons 6 als Teil ihrer Lebenswirklichkeit verinnerlicht, die ‚Bürger in Uniform’ in die Herzen geschlossen. Bereits kurze Zeit nach der Deutschen Einheit sollte die Bundeswehr allerdings mit der Frage nach ihrer eigenen Existenz konfrontiert werden.
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4. „Eine neue Weltordnung?!“ (1990–2000) Nach dem von vielen nicht mehr für möglich gehaltenen Mauerfall 1989 wurde bereits ein Jahr später euphorisch die ‚Deutsche Einheit’ gefeiert. Damit endete nach knapp einem halben Jahrhundert die Ost-West-Konfrontation, die die Menschheit immer wieder mit der Möglichkeit eines ‚Dritten Weltkrieges’ konfrontiert hatte. Obwohl sich jahrzehntelang über 1,5 Millionen Soldaten mit hunderten atomaren Waffen auf deutschem Boden feindlich gegenüber gestanden hatten, war es nie zu Gefechten gekommen. Der Kalte Krieg war beendet. Die Radikalität dieses weltpolitischen Umbruches veranlasste den damaligen US-amerikanischen Präsidenten George H. W. Bush Anfang der neunziger Jahre von dem Beginn einer „neuen Weltordnung“ zu Tag der Deutschen Einheit vor sprechen. dem Reichstag in Berlin 1990
Golfkrieg 1991
Das internationale Ringen um diese „neue Weltordnung“ ging 1990/1991 einher mit dem Ausbruch des Golfkrieges. Das von Francis Fukujama prognostizierte „Ende der Geschichte“ war nicht eingetreten, vielmehr galt es neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen auch militärisch gerecht zu werden. Dies traf auch für das wiedervereinte Deutschland zu.
Nachdem sich die Bundeswehr jahrzehntelang auf die ‚Vorneverteidigung’ im Zuge der innerdeutschen Grenze vorbereitet hatte, erschien 1990/1991 vielen Deutschen eine militärische Beteiligung am Krieg in der arabischen Wüste als ein zu großer Schritt. Während die Internationale Gemeinschaft den Einsatz der Bundeswehr forderte, beteiligte sich die Bundesrepublik primär finanziell, womit sie sich den Vorwurf der ‚Scheckbuchdiplomatie’ aussetzte. Die Bundesrepublik Deutschland musste zügig ihre Rolle innerhalb der „neuen Weltordnung“ einnehmen und insbesondere die Rolle ihrer Streitkräfte neu überdenken. Für die Bundeswehr galt es in den neunziger Jahren fast zeitgleich drei Herausforderungen zu meistern. Zunächst musste die Grundfrage beantwortet werden, welchen Auftrag sie in Zukunft wahrnehmen sollte. Ferner musste ihre Gesamtstärke und Struktur definiert werden. Und schließlich stellte die parallele Zusammenführung von Bundeswehr und Nationaler Volksarmee die dritte Herausforderung dar. So musste die Bundeswehr in den neunziger Jahren im ‚Galopp’ die generelle Hinterfragung der eigenen Existenz, Truppenreduzierungen um Truppenreduzierun77
gen, Struktur auf Struktur, eine kontinuierliche Unterfinanzierung und nicht zuletzt die Bewältigung vollkommen neuer Aufgaben als ‚junge Einsatzarmee’ meistern. Vor allem Verteidigungsminister Volker Rühe war seit den frühen neunziger Jahren bemüht, die Bundeswehr als ‚Einsatzarmee’ zu einem national und international anerkannten Instrument deutscher und gleichzeitig kollektiver Sicherheitsinteressen zu entwickeln. Nach der Entsendung von Sanitätseinheiten 1992 nach Kambodscha und Sicherheits- und Logistikkräften im Jahr darauf nach Somalia, sicherte am 12. Juli 1994 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Rechtmäßigkeit von humanitären und militärischen Einsätzen der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes (‚out of area’) ab. Nachdem sich die Bürgerkriegslage auf dem Balkan weiter verschärft hatte, beschloss der Bundestag auf der Grundlage des Verfassungsgerichtsurteils am 6. Dezember 1995 die Teilnahme der Bundeswehr am Balkan-Einsatz der NATO. Die Bundeswehr, die in einer kurzen Zeit nach der Wiedervereinigung erfolgreich zur ‚Armee der Einheit’ geworden war, stand nur wenige Jahre später mit Truppen im ehemaligen Jugoslawien. Wurde die viel diskutierte Frage nach der Existenzberechtigung der Bundeswehr 1990/1991 im Zuge des 1. Irak-Krieges von den ‚GRÜNEN’ noch mit der Forderung der Abschaffung der Bundeswehr begleitet, so beantwortete sie die erste ‚RotGrüne Bundesregierung’ acht Jahre später mit dem Einsatz deutscher Streitkräfte im Kosovo. NATO-Einmarsch ins Kosovo Die Eutiner Aufklärer erlebten diese Zeit des weltpolitischen Umbruches unmittelbar. Hatten sie sich über Jahrzehnte entlang der innerdeutschen Grenze zwischen Lübeck und Lauenburg auf das Gefecht vorbereitet, führten sie 1990 bereits gemeinsam mit den ehemals ‚feindlichen’ Soldaten aus dem mecklenburgischen Hagenow Ausbildung durch und bestritten Seite an Seite mit ihnen die ersten Auslandseinsätze auf dem Balkan.
4.1 Mit Kalaschnikow und Broiler Mehr als drei Jahrzehnte standen sich die Einheiten der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee als Feinde gegenüber. In dieser Zeit erkundeten die Eutiner Spähtruppführer die Stellungen für ihre Gefechtsfahrzeuge im ‚GDP-Raum’ in ziviler Kleidung, um möglichst unerkannt zu bleiben. Im Falle eines Krieges hätte dem Panzeraufklärungsbataillon 6 mit großer Wahrscheinlichkeit schnell die Spitze seines ostdeutschen Pendants, das Aufklärungsbataillon 8 aus Hagenow, gegenübergestanden. Gingen weite Teile der NVA davon aus, dass mit einem Angriff aus dem Westen jederzeit zu rechnen sei – höchstwahrscheinlich am Wochenende – fand in der Bundeswehr Freitag bestenfalls die ‚NATO-Rallye’ statt. Doch nicht nur in den unterschiedlichen Vorstellungen von NVA und Bundeswehrsoldaten klafften Annahme und Realität weit 78
auseinander. Die Bürger beider deutscher Staaten waren sich großenteils fremd geworden. Für die westdeutsche Bevölkerung waren Mallorca und Paris bekannter als Wismar und Rostock, obgleich letztere nur wenige Kilometer entfernt lagen. Bundeswehrsoldaten durften nicht jenseits der Grenze Urlaub machen – NVA-Soldaten schon gar nicht. Anfang November 1989 prallten deshalb zwei Welten aufeinander. In Lübeck, das im Kriegsfall durch Atomwaffen des Warschauer Paktes zerstört werden sollte, wurden, wie überall in der Bundesrepublik, die DDR-Bürger freudig begrüßt. Dort, wo die 5./ Panzeraufklärungsbataillon 6 gemäß ‚GDP’ den Orts- und Häuserkampf plante, knallten im Spätherbst 1989 die Sektkorken. Die deutschen Brüder und Schwestern wurden jubelnd begrüßt. Nur wenige Monate später sollte das erste Ausbilderteam des Panzeraufklärungsbataillons 6 seinen Beitrag im ‚Bundeswehrkommando Ost’ zur Eingliederung, Übernahme und Auflösung der NVA leisten. Dem ‚Bundeswehrkommando Ost’, das unter Führung des Generalleutnants Jörg Schönbohm, dem späteren Innenminister von Brandenburg, stand, wurden zur Durchführung dieses Prozesses alle Verbände in Ostdeutschland unterstellt. Im Gegensatz zu der Vielzahl an Enttäuschungen im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung des geeinten Deutschlands sollte die Eingliederung der ‚Nationalen Volksarmee’ in die Bundeswehr, die ‚Armee der Einheit’, zu einem vollen Erfolg werden. Der Auftrag klang anfangs noch recht simpel: Ausbildungsunterstützung in der Im Biwak mit Kalaschnikow und Broiler Allgemeinen Grundausbildung. Nach der Ankündigung, dass diese Unterstützungsleistung beim Aufklärungsbataillon 8 in Hagenow vor Ort zu leisten sei, blickte der damalige Kommandeur Oberstleutnant Roland Kather in viele fragende Gesichter. Nach wenigen Augenblicken meldeten sich jedoch der geforderte Kompaniechef, Kompaniefeldwebel und Zugführer freiwillig. Hauptmann Stephan Klos (Kompaniechef 3/6) und die Hauptfeldwebel Rüdiger Gosch (Kompaniefeldwebel 5. Kompanie) sowie Günter Frentz (Zugführer 3/6) bildeten das durch die Division geforderte Ausbilderteam. Einen ehemaligen Feind auszubilden, um ihn danach in die eigenen Reihen zu integrieren, stellte eine große Herausforderung für alle dar. Eine gute Vorbereitung erfuhr das Ausbilderteam im Rahmen eines einwöchigen Seminars, an welchem alle geplanten Ausbilder teilnahmen. Hier erfolgte die Schulung im Umgang mit den NVA-Soldaten. Unter der zeitweisen Einbindung einiger NVA-Offiziere wurden die Beteiligten in den Bereichen Auftrag, Ausbildung, Militärrecht und weiterer Besonderheiten der NVA unterrichtet. Das durch die Ausbildungsunterstützung Bundeswehr (West) zu vermittelnde 79
Ziel war unter anderem die Übernahme der inneren Führung in die Ausbildung der Wehrpflichtigen sämtlicher Ausbildungskompanien. Die Dauer des Einsatzes wurde auf einen Monat beschränkt, aus dem später allerdings ein Quartal werden sollte. Skepsis und ein mulmiges Gefühl begleiteten das Eutiner Ausbilderteam, als es am 3. Oktober 1990, dem ersten Tag der Deutschen Einheit, die innerdeutsche Grenze überschritt. Doch nach ihrer Aufnahme in Hagenow begannen sie unverzüglich mit der Ausbildungsunterstützung in der 3. Kompanie im Aufklärungsbataillon 8. Dazu wurden in der ersten Woche die frisch eingezogenen Mannschaftssoldaten wieder nach Hause geschickt und im Zuge einer Fülle von Unteroffizier- und Offizierweiterbildungen das Führerkorps der Kompanie in den Bundeswehrstandard eingewiesen. Der neue Kommandeur im Aufklärungsbataillon 8 war zu diesem Zeitpunkt bereits Oberstleutnant Cord Schwier, der zuvor Kommandeur des Panzeraufklärungsbataillons 2 in Hessisch-Lichtenau war. Der eine oder andere Fund am Rande war überraschend und erschreckend zugleich. So fand Oberstleutnant Roland Kather, als er einen Panzerschrank in Hagenow öffnen ließ, eine Karte mit sämtlichen wichtigen Telefonnummern in Ostholstein. Darüber hinaus entdeckte das Ausbilderteam auf einer 3x4 Meter großen Karte alle Sommer- und Winterstellungen sowie die Gefechtsstände des Panzeraufklärungsbataillons 6 auf den Punkt genau und inklusive der Namen der Kommandanten. So waren die ersten Tage nach der Wiedervereinigung eine wirklich spannende Angelegenheit – eine interessante Aufgabe begann. Die geplante Ausbildung und Umschulung richtete sich hauptsächlich an die Unteroffiziere und jungen Offiziere der ehemaligen NVA. Die Inhalte waren vergleichbar mit den geläufigen Themen in der Grundausbildung der Bundeswehr. Die Zentrale Dienstvorschrift 3/11 war übrigens nahezu deckungsgleich mit ihrem Pendant in 80
der NVA. Weiterhin wurde die Wachausbildung vorangetrieben, da nach bundesdeutschem Recht die Nutzung von Starkstrom zur Absicherung von Kasernenanlagen verboten war, somit ab dem 3. Oktober 1990 eine kräftesparende Sicherungsoption wegfiel und ausgebildetes Wachpersonal knapp war. Die NVA unterschied sich von der Bundeswehr weitaus mehr als nur durch ihre divergierende Führungskultur. In einer durchaus sowjetisch geprägten NVA war die in der Bundeswehr verinnerlichte Auftragstaktik eher fremd. Insbesondere das Dienstgradgefüge und die damit einhergehende Auftragsverteilung wichen deutlich voneinander ab. Im Zuge des Integrationsprozesses sollte durch rasches Ansteigen der Aufgaben und Befugnisse der übernommenen Unteroffiziere ihre Stellung innerhalb der Truppe verbessert und dadurch ein neues Selbstverständnis geschaffen werden. Auch bei der Verteilung von Arbeitsaufträgen mussten viele ehemalige NVA-Soldaten umdenken. So fiel vor der ‚Wende’ die Dienststellung des Kompaniefeldwebels mit deutlich umfangreicheren Aufgabenfeldern dem jüngsten Unteroffizier zu. Umgekehrt gab es Offiziere, deren einzige Aufgabe in Kontrolle und Bereitstellung der Munition oder in der Verwaltung der Sporthalle bestand, was wiederum in der Bundeswehr ein junger Unteroffiziersdienstgrad ausführte. Das Ausbilder-Team mit neuen Kameraden Sehr ungewohnt empfanden die Eutiner Aufklärer die infrastrukturelle Situation in der Kaserne. Sanitäranlagen waren, wenn überhaupt vorhanden, nur in einem desolaten Zustand und in viel zu geringer Anzahl vorgesehen. Daher improvisierten die Soldaten und nutzten privat beschaffte Wasserschläuche, um sich wenigstens kalt waschen zu können. Alle Gebäude waren renovierungsbedürftig und teilweise sogar unbewohnbar. Wie alle Bataillone war auch das Aufklärungsbataillon 8 geschlossen in einem fünfstöckigen ‚Plattenbau’ untergebracht – pro Kompanie eine Das Aufklärungsbataillon 8 – Ein Block, ein Bataillon Etage. 81
Lediglich die für das Gefecht bestimmten Fahrzeuge waren neu und in bestem Zustand. Hinzu kamen Tonnen von Munition, die überall verteilt waren. Die einzige Sporthalle des Bataillons war den Offizieren und Mitgliedern des Armee-SportVereins vorbehalten, der Rest machte seinen Sport im Freien oder auf dem Flur – die Eutiner Ausbilder betraten eine andere Welt. Auch auf der zwischenmenschlichen Ebene waren die Kompetenzen der Bundeswehrsoldaten gefragt. So hatten viele Zeit- und Berufssoldaten der NVA Zukunftsängste, andere standen den fundamentalen Veränderungen skeptisch bis ablehnend gegenüber und eine große Gruppe sah sich als Verlierer des ‚Kalten Krieges’. Die Soldaten der ehemaligen NVA mussten also mit viel Fingerspitzengefühl motiviert oder überzeugt werden. Ein damaliger Kompaniechef wurde recht schnell aufgrund seiner politischen Vergangenheit in der DDR abgelöst und durch den Oberleutnant Ralph Malzahn ersetzt. Malzahn, selbst aus Mecklenburg-Vorpommern stammend und im Aufklärungsbataillon 8 ‚aufgewachsen’, sollte gut zehn Jahre später auch im Panzeraufklärungsbataillon 6 als S3-Stabsoffizier und stellvertretender Bataillonskommandeur Teil der unmittelbaren Geschichte des Verbandes werden, bevor er über unterschiedliche Stationen im Jahr 2007 Kommandeur Gebirgsaufklärungsbataillon 230 in Füssen wurde. Eine von vielen deutsch-deutschen Viten in der ‚Armee der Einheit’. Die für ‚ungeeignet’ befundene Führungsriege des Regimentes und der Bataillone, sowie die Polit-Offiziere, waren schon vorher entlassen worden beziehungsweise erschienen von sich aus nicht mehr zum Dienst. So auch der ehemalige Regimentskommandeur, dem es dennoch möglich war, als Zivilist eine Videothek in der Kaserne zu eröffnen und seine Ehefrau als Vorzimmerdame bei Oberstleutnant Schwier unterzubringen. Die Ausbilderteams schafften es, durch die richtige Mischung aus Taktgefühl, Optimismus, Humor und Ideenreichtum, die Soldaten zu motivieren und so für die Bundeswehr zu gewinnen. Gemeinsam führten sie am 9. November 1990 – ein Jahr nach dem Mauerfall (!) – das erste Feierliche Gelöbnis nach der Wiedervereinigung durch. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, die noch zu DDR-Zeiten zunehmend distanziert neben der NVA lebte und im Beisein einer großen Abordnung der Eutiner Aufklärer sowie der Kameradschaft des Panzeraufklärungsbataillons 6, gelobten etwa 700 Rekruten: „Der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Das erste Ausbilderteam aus Eutin wurde durch ein zweites abgelöst. Das Aufklärungsbataillon 8 wurde schließlich zum 28. März 1991 aufgelöst. Die Masse der in die Bundeswehr übernommenen Unteroffiziere und Mannschaften wurde in das neu aufgestellte Panzergrenadierbataillon 401 am Standort Hagenow versetzt. Der Großteil der Offiziere war für das Panzeraufklärungsbataillon 80 in Beelitz vorgesehen (vormals Aufklärungsbataillon 1 der NVA). Das ‚Bundeswehrkommando Ost’ wurde am 1. Juli 1991 außer Dienst gestellt. Die ihm unterstellten Verbände traten von da an unter das Kommando der Teilstreitkräfte. Bereits ein Jahr nach der Wiedervereinigung durchliefen die ersten Rekruten aus Mecklenburg-Vorpommern die Allgemeine Grundausbildung im Panzeraufklärungsbataillon 6. 1993 übernahm 82
Hauptmann Uwe Kramer, als erster ehemaliger NVA-Offizier, die 1. Kompanie in Eutin. Dem ersten gemeinsamen Auslandseinsatz mit Panzergrenadieren aus Hagenow 1997 in Bosnien sollten weitere gemeinsame Einsätze folgen. Nach knapp sieben Jahren war eine Symbiose entstanden, die ihre Professionalität im Einsatz mehrfach unter Beweis stellen konnte und sollte – als ‚Armee der Einheit’. Heute stammt knapp die Hälfte der im Panzeraufklärungsbataillon 6 dienenden Soldaten aus den ‚Neuen Bundesländern’.
4.2 Panzeraufklärungsbataillon 6 bleibt – der ‚Hammer’ geht Der eingangs geschilderte fundamentale sicherheitspolitische Umbruch Anfang der neunziger Jahre hatte erhebliche Auswirkungen auf die deutschen Streitkräfte, die Truppengattung der Panzeraufklärer und nicht zuletzt auf die Eutiner Aufklärer. In den ‚Neuen Bundesländern’ wurden mit den Panzeraufklärungsbataillonen 70 (später 13) in Gotha und 80 (später 14) in Beelitz die ersten Panzeraufklärungsbataillone der Bundeswehr aufgestellt. Die Panzeraufklärungstruppe hatte damit für kurze Zeit mit 13 Bataillonen ihren Höchststand an Verbänden erreicht. Allerdings wurden zwischen 1993 und 1997 sechs Bataillone wieder außer Dienst gestellt. Gleichzeitig gewann die Brigadespähaufklärung an Bedeutung und so wurden die Brigadespähkompanien erneut in die Panzeraufklärungstruppe eingeführt. Die drastischen Einschnitte der Heeresstruktur 5 hätten auch fast zur Auflösung des Panzeraufklärungsbataillons 6 geführt. Planungen sahen vor, das Panzeraufklärungsbataillon 14 von Beelitz nach Wittstock/Dosse zu verlegen und das Panzeraufklärungsbataillon 6 aufzulösen. Diese Planungen wurden jedoch glücklicherweise nicht umgesetzt. Viele Gründe waren hierfür entscheidend. Zum einen hatte sich die Wittstocker Bevölkerung vehement gegen die Stationierung von Bundeswehrsoldaten in ihrer Stadt gewehrt. Zum anderen hatten sich die Eutiner Bevölkerung und viele Ehemalige des Bataillons energisch für den Verbleib des Panzeraufklärungsbataillons 6 in Eutin eingesetzt. ‚Von 6’ durfte bleiben – ‚14’ musste weichen. Das Panzeraufklärungsbataillon 6 zählte nun zu den schweren Panzeraufklärungsbataillonen der Division. Wesentliche Neuerung war die Umgliederung zu drei gemischten Kompanien mit je drei schweren Spähtrupps Leopard 2 und fünf leichten Spähtrupps Luchs.
Oberstleutnant Jan-Wilhelm Hammerschmidt stellt dem Bataillon den ersten Leopard 2 beim Bataillonsappell am 25. Mai 1992 vor 83
Der ‚Hammer des Bataillons’ zählte zu seiner stärksten Zeit 2 Kanonen- und 2 leichte Schützenpanzer-Züge, sowie 1 Pionier- und 1 Mörser-Zug Drei treue Weggefährten mussten sich jedoch vorerst aus dem ‚Funkkreis abmelden’. Neben der Auflösung der 5./-, der infanteristischen Komponente, nach elf und der Panzeraufklärungsausbildungskompanie 3/6 nach 13 Jahren, wurde die 4./-, der ‚Hammer des Bataillons’, nach 32 Jahren gekadert und damit praktisch ebenfalls aufgelöst. Die 4./- hatte zeitweise über 250 Soldaten und verfügte über sechs Züge. Insbesondere der Pionier- und der Mörserzug hatten im divisionsweiten Vergleich immer überzeugt. Die bataillonseigene Ikone des Pionierzuges war der spätere Stabsfeldwebel Ernst Metzner, der den Pionierzug durchgehend bis zu seiner Abgabe 1980 führte. Insbesondere zwischen 1964 und 1978 wurde, unter Beteiligung aller Pionierkräfte der 6. Division, auf dem Wasserübungsplatz in Ingolstadt, intensiv geübt. Bei internen Wettkämpfen wurden dabei stets die anderen Einheiten in den Schatten gestellt. Seine große Bewährungsprobe hatte der Zug bei der Übung ‚WESER 68’, als über die grundsätzliche Notwendigkeit des Pionierzuges entschieden werden sollte. Auch hier setzte sich der Zug gegen die Spezialisten des Pionierbataillons der Division durch und unterstrich damit seinen Stellenwert. Ebenso überzeugte der 1980 aufgelöste Mörserzug durch sein hohes Leistungsniveau und nicht zuletzt durch den eigenen Anspruch, die Artillerie des Bataillons zu sein. Dabei hatten Stabsfeldwebel Wilfried Neumann und Hauptfeldwebel Wolfgang Meyer als langjährige Zugführer wesentlichen Anteil an den Erfolgen der ‚AufklärerArtillerie’. Zusätzlich zum ‚Hammer’ traf es den Radarzug des Bataillons, da Radartrupps nur für die Panzeraufklärungskompanien der Brigaden und in den leichten Panzeraufklärungsbataillonen vorgesehen waren. Die altgedienten Kampfpanzer Leopard 1 wurden mit dem ‚letzten Schuss’ in Putlos nach einer über zehnjährigen Dienstzeit gebührend verabschiedet. Trotz aller Verluste kam es durch die Umstrukturierung, nicht zuletzt durch die Aufstellung der Panzeraufklärungskompanie 70 als Panzeraufklärungskompanie der Brigade, de facto zu einer Stärkung des Bataillons.
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4.3 Eutin wird Pate des Bataillons Gerade in unruhigen, ungewissen und wechselhaften Zeiten ist ein stützender Partner Gold wert. Dieser Partner war und ist für das Bataillon die Stadt Eutin. Seit Jahrzehnten war das Panzeraufklärungsbataillon 6 das ‚Hausbataillon’ der Stadt, doch unter der Führung des 9. Bataillonskommandeurs, Oberstleutnant Fritz von Korff, wurde diese jahrelang gelebte Verbindung durch die Übernahme der Patenschaft nun auch institutionell verankert. Dieses längst überfällige Ereignis erfolgte am 23. September 1988 im Rahmen eines Bataillonsappells mit ‚Feierlichem Gelöbnis’ im Schlosspark Eutin. Dem 18.000 Einwohner zählenden Eutin kommt aufgrund seines kulturellen und gesellschaftlichen Engagements eine ausgesprochen hohe Bedeutung weit über Ostholstein hinaus zu. Der 2007 eindrucksvoll zelebrierte 750. Geburtstag der Stadt reflektiert eine Geschichte, in der Eutin stets im Mittelpunkt der Region stand. Bereits im Jahr 1156 war es Marktort sowie Residenz der Bischöfe von Lübeck und erhielt 1257 die Stadtrechte. Die Herzöge von Oldenburg regierten ab 1773 aus dem Eutiner Schloss und nutzten es danach als Sommer- Übergabe Patenschaftsurkunde – OTL residenz. Hier wurde sogar europäische Ge- von Korff und Bürgermeister Grimm
Das Bataillon als fester Bestandteil der Stadt – Ölbild des Kesdorfer Künstlers Dieter Wien vom Feierlichen Gelöbnis auf dem Eutiner Marktplatz am 11. Mai 2005; Dauerleihgabe der Sparkassen-Kulturstiftung Ostholstein an das Bataillon 85
schichte geschrieben, als die spätere russische Zarin Katharina die Große ihren späteren Gemahl, den Prinzen Karl Peter Ulrich von Holstein-Gottorf, auf einer ihrer Reisen erstmals im Schlossgarten traf. Die Rosenstadt Eutin ist die ‚Perle der Holsteinischen Schweiz’. Sie liegt nicht nur geographisch im Herzen Ostholsteins, das sie seit der Kreisgebietsreform von 1970 auch politisch als Kreisstadt verwaltet, sondern ist auch sein kulturelles Zentrum. Neben dem Homer-Übersetzer Johann-Heinrich Voß und dem Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, die beide die Stadt Eutin zum Leben und Arbeiten auswählten, wurde der Komponist Carl Maria von Weber hier im Jahr 1786 geboren. Dem berühmtesten Sohn der Stadt zu Ehren wurde 1951 ein Vorläufer der heutigen ‚Eutiner Festspiele’ ins Leben gerufen, die seitdem jährlich der kulturelle Höhepunkt auf der Freilichtbühne des Schlossgartens sind. Dieses und weitere Wahrzeichen, wie das Eutiner Schloss und die Michaeliskirche – das älteste Bauwerk der Stadt – locken als Tourismusmagneten jährlich tausende Besucher in die Stadt und ihr Das Eutiner Schloss Umfeld. Eutin ist kulturelles Zentrum Ostholsteins. Unterstrichen wird dies durch kontinuierliche Ausstellungen verschiedenster Themenbereiche. Der historische Marktplatz im Kern der Altstadt, umgeben von vielen kleinen, noch vom Inhaber geführten Geschäften, die historische Bedeutung Eutins, Schloss, Festspiele und nicht zuletzt das charmante Ambiente, versprühen ein besonderes Flair. Auf eine sich permanent wandelnde Zeit reagiert die Stadt, in der man füreinander einsteht, mit Verlässlichkeit, Ruhe und Gelassenheit und macht so das Leben in und mit ihr zu etwas Besonderem. Ein bürgerschaftliches Miteinander für das gemeinsame Wohl steht im Vordergrund. Eine wichtige Säule – neben den vielen Vereinen der Stadt – bildet die Wirtschaftsvereinigung Eutins, die sich sehr wirksam im Dienste der Stadt engagiert, wie auch schon 1953, als es galt, zum dritten Mal Garnisonsstadt zu werden. Die mannigfaltige Natur des ostwärtigen Hügellandes Schleswig-Holsteins, die bezaubernde Seenlandschaft sowie die in unmittelbarer Nähe gelegenen Ostseestrände und Hansestädte Lübeck und Hamburg, machen Eutin zu einer Tourismushochburg und runden das Bild der äußerst reizvollen Garnisonsstadt ab. Nicht ohne Grund wird den Eutiner Aufklärern daher und sicherlich etwas neidvoll nachgesagt, sie würden dort dienen, wo andere Urlaub machen. 86
VIELERLEY FEIEREY – 750 JAHRE EUTIN Montag, 10. September 2007
OHA Seite 3 – 206. Jahrgang
Ein Höhepunkt des Festaktes in St. Michaelis war die Übergabe von zwei Wimpellanzen der Panzeraufklärer durch Oberstleutnant Axel Jancke an die Stadtvertreter.
750-Jahr-Feier der Stadt Eutin mit dem Ministerpräsidenten des Landes SchleswigHolstein, Peter Harry Carstensen Im Verlauf der eingegangenen Verbindung kam es zu vielen gegenseitigen Hilfeleistungen verschiedenster Art. Immer wieder standen dabei Kinder und Familien im Vordergrund, beispielsweise durch Spendensammlungen für den Kinderschutzbund Eutin. Aber auch wenn einmal die Kräfte der Stadt nicht ausreichend waren, halfen dutzende Soldaten bei umfangreichen Säuberungsaktionen im Eutiner Schlosspark und seiner näheren Umgebung. Außerdem standen die Bergemittel des Instandsetzungszuges bereit, um unter anderem einen zehn Tonnen schweren Eichenstamm aus dem ‚Kleinen Piependiek’, einem Teich im Schlosspark, zu entfernen. Die Patenschaftsübernahme der Stadt für die ‚Eutiner Aufklärer’ unterstreicht noch einmal den Stellenwert des Verbandes, nämlich ‚Hausbataillon’ Eutins geworden zu sein. Dieser Umstand sollte in den neunziger Jahren gleich zu einem erfolgreichen gemeinsamen Wirken im Sinne des Bataillons führen. Nachdem die Eutiner Bürgerschaft maßgeblich zum Fortbestand des Panzeraufklärungsbataillons 6 beigetragen hatte, sollte die Patenschaft auch in den Auslandseinsätzen zu einer großen Stütze für die Soldaten werden. 87
4.4 Der erste Auslandseinsatz Der kontinuierliche Zerfall der Volksrepublik Jugoslawien gipfelte 1992 in einem inter-ethnischen Bürgerkrieg zwischen der serbischen, kroatischen und bosniakischen Bevölkerung. Nur 700 Kilometer von München entfernt, fanden nach heutigen Schätzungen mehr als 100.000 Menschen durch Kämpfe und genozidale Verbrechen, wie in Gorazde oder Srebrenica, den Tod. Der Krieg war nach Europa zurückgekehrt. Nach langem Zögern entschloss sich die Internationale Gemeinschaft, den Auseinandersetzungen nicht länger tatenlos zuzusehen. Mit dem Friedensvertrag von Dayton vom Dezember 1995 sowie der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Jahr später verabschiedeten Resolution 1088, entstand die Grundlage für den Einsatz der multinationalen Friedenstruppe SFOR (Stabilisation Force), welche die zuvor eingesetzte IFOR (Implementation Force) ersetzte. Am 13. Dezember 1995 stimmte der Deutsche Bundestag der Entsendung von bis zu 3.000 deutschen Soldaten zu. Das Panzeraufklärungsbataillon 6 sollte 1997 seinen Marschbefehl zum ersten Auslandseinsatz erhalten. In seinem ersten Auslandseinsatz hatte das Panzeraufklärungsbataillon 6 im 4. Deutschen Kontingent SFOR (4. GECONSFOR) von Dezember 1997 bis April 1998 den ‚Gepanzerten Einsatzverband’ zu stellen, der direkt der deutsch-französischen Brigade unterstellt war. Dieser Verband sollte gemeinsam mit den Panzergrenadieren von 401 aus Hagenow, also unter Beteiligung vieler alter Bekannter aus Zeiten der Eutiner Ausbildertätigkeit kurz nach der Wiedervereinigung, aufgestellt werden. Die
Bosnien-Einsätze des Panzeraufklärungsbataillons 6 (1997–2008) 88
Führung übernahm der damalige Bataillonskommandeur des Panzeraufklärungsbataillons 6 Oberstleutnant Jörg Lohmann. Er sollte bereits 15 Monate nach Rückkehr aus diesem ersten Bosnien-Einsatz auch den ersten Kosovo-Einsatz des Bataillons führen. Die Eutiner Kompaniechefs waren Major Stefan Klos, sowie die Hauptleute Stefan Fritzsche und Konstantin Bellini, die Kompaniefeldwebel Oberstabsfeldwebel Gerhard Kuchel und die Hauptfeldwebel Erich Nippa und Reinhard Marsen. Während der umfassenden Vorausbildung für den SFOR-Einsatz, unter anderem auf den Truppenübungsplätzen in Klietz und Lehnin sowie im VN-Ausbildungszentrum Hammelburg, stachen immer wieder die Klasse und das Engagement des Unteroffizierkorps des Bataillons hervor. Dabei galt es unter der Führung des S3-Stabsoffiziers Major Klaus Kühl neue Wege bei der Ausbildung zu beschreiten. Um den hohen Ausbildungsanforderungen gerecht zu werden, bewies man Einfallsreichtum und rekrutierte den einen oder anderen Soldaten der Marine-Sicherungstruppe als Luchs-Fahrer. Den befürchteten Spannungen zwischen ‚Goldgelben’ und ‚Grünen’ wurde früh durch mehrere gemeinsame Veranstaltungen beider Führerkorps entgegengewirkt. Gleichzeitig bewirkte die damalige Brisanz des Bosnien-Einsatzes ein vermehrtes Medieninteresse und ließ das Bataillon häufig bereits im Vorfeld in den Mittelpunkt regionaler Berichterstattung rücken. Dass der erste Auslandseinsatz des Bataillons in Bosnien keine Übung war, wurde auch dem Letzten bewusst, als er auf dem Schlossplatz von der Stadt Eutin und zahlreichen Vertretern der Patengemeinden verabschiedet wurde. Mit Respekt und einem flauen Gefühl im Magen erreichten Anfang Dezember 1997 die ersten Soldaten über Tuzla das Feldlager, das so genannte ‚Camp CNE CARREAU’ in Rajlovac, einem Vorort Sarajewos. Unverzüglich nach der Übernahme vom Vorgängerkontingent begann ihr Auftrag, dessen wesentlicher Inhalt, neben allgemeinen Sicherungs- und Schutzaufgaben, die Präsenz im Raum und Unterstützung des Wiederaufbaus, die Patrouillentätigkeit war. Zusätzlich wurden sie zur Überwachung der Ausbildungstätigkeiten der bosnischen Armee eingesetzt. Für die Eutiner Aufklärer hieß es nun, sich zwischen einsatzerfahrenen französischen Soldaten zu beweisen. Permanent ‚Klar zum Gefecht’ ging es jeden Tag auf Patrouille, um anschließend einige Stunden Schlaf in den damals noch unbe- Gemischte Patrouille am Fuße des Berges Igman 89
kannten Wohncontainern zu finden. Die Patrouillen waren meist gemischt und bestanden aus Luchsen der Aufklärer und Füchsen der Panzergrenadiere. Dabei waren die truppengattungsspezifischen Besonderheiten hinsichtlich des Führungsstils häufig für die Operationsführung von großem Nutzen. Die Führung der Patrouillen übernahmen neben Panzergrenadieren aus Hagenow die erfahrenen SpähtruppfühGemischte Patrouille unter Führung des Oberfeldwebels rer aus Eutin. Hierzu Hubertus Uhl zählten unter anderen die damaligen Hauptfeldwebel Dirk Frings und Wolfgang Delz, sowie die Oberfeldwebel Peter Krohn und Hubertus Uhl. Neben der Überwachung eines zugewiesenen Raumes, der Forderung ‚Show of Force’ und der Durchsetzung der Bewegungsfreiheit auch mit Waffengewalt, gehörten abgesessene Patrouillen zum Tagesgeschäft. Bei nahezu
Die Patrouille 3.1 – Hauptfeldwebel Wolfgang Delz Seite an Seite mit Panzergrenadieren aus Hagenow 90
allen Aufträgen mussten durch die damals noch neue Gesprächsaufklärung Informationen gewonnen werden. Hierbei trug die Absitzstärke der Grenadiere erheblich zum Erfolg bei. Nur durch geschicktes und vor allem freundliches Auftreten im Umgang mit der Bevölkerung und bei ihrer Befragung („firm and friendly“) konnte es den Soldaten gelingen, zum Aufwachsen des Lagebildes beizutragen und die Stimmung innerhalb der Bevölkerung adäquat zu erfassen. Das Lagebild, welches sich hierbei den Soldaten bot, eingerahmt von Trümmerlandschaften des Krieges, war für die Truppe, die aus einer ‚Gesellschaft im tiefsten Frieden’ kam, grausig. Das Wissen über die sogenannte ‚Vergewaltigungsbrigade’ und die ethnischen Säuberungen erschüt- Sarajewo – Eine Stadt in Schutt und Asche terte viele Soldaten. Trotz dieser Eindrücke und zusätzlich unterschiedlichster eigener Erfahrungen mit den Volksgruppen sollten und mussten die Soldaten der Bundeswehr neutral bleiben. Durch die überall sichtbare Armut und das Leiden der Bevölkerung zeigten sich die eigenen Soldaten stark berührt und es begannen früh Überlegungen, wie man wenigstens punktuell helfen könne. Bereits von den Vorgängern wurde eine Familie in einer entlegenen Bergregion betreut, der es an allem fehlte. Diese Betreuung übernahm bei Kontingentwechsel der Kompanietruppführer der 2. Kompanie, Hauptfeldwebel Axel Mier. Er organisierte die Hilfe und brachte viele Soldaten dazu, sich zu beteiligen. Neben Geldspenden wurde auch durch Soldaten des Verbandes das in einem schlechten Zustand befindliche Wohnhaus der Familie ausgebessert. Zusätzlich motivierten die Soldaten ihre Angehörigen in der Heimat und erhielten so Pakete mit Babynahrung und -bekleidung, Decken und viele nützliche Dinge, welche die junge bosnische Familie zu Tränen rührten. Unvergesslich bleibt für alle Beteiligten das Lachen des damals einjährigen Stammhalters ‚Armin’. Darüber hinaus organisierte der Einsatzverband ein Preisskat-Turnier, dessen Erlös der Organisation ‚Lachen helfen’ überreicht wurde. Aufgrund der schlechten Straßenbeschaffenheit und unzureichender Beleuchtung der Straßen und Autos kam es zu überdurchschnittlich vielen Verkehrsunfällen, denen besonders Kinder zum Opfer vielen. Aus einer Eigeninitiative der damaligen Hauptfeldwebel Günter Frentz und Klaus Sindt konnten durch den ADAC 1.000 ‚Katzenaugen’ zum Umhängen gewonnen werden. Diese verteilten sie zusammen mit Süßigkeiten, die sie durch die Firma Niederegger zugesandt bekamen, daraufhin in den Kindergärten der Umgebung unter den brav in Reihe angetretenen Kindern. 91
Truppenbesuch in Bosnien – von links: BG Müller (Kdr DFGFA), Bundeskanzler Helmut Kohl, Bundesverteidigungsminister Volker Rühe und OTL Lohmann
Weiterhin war in der Zeit des SFOR-Einsatzes die Absicherung verschiedener hochrangiger Besuche erforderlich. So kam der ‚Gepanzerte Einsatzverband’ beispielsweise bei der großräumigen Absicherung der Besuche von US-Präsident Bill Clinton, Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundesverteidigungsminister Volker Rühe zum Einsatz.
Das bevorstehende erste Weihnachtsfest im Auslandseinsatz 1997 stellte insbesondere für die Kompaniefeldwebel des Verbandes eine neue Herausforderung dar. Große Unterstützung erfuhren die Soldaten durch die für Außenstehende nur schwer beschreibbare, tiefe Verbundenheit mit der Patenstadt und den Patengemeinden. Die Bürger der Patengemeinden beschafften sich die Adressen der Soldaten über die Familienbetreuungsstelle und so erreichte eine Flut von Weihnachtspäckchen das Feldlager in Rajlovac – ein durch die Truppe freudig angenommener Gruß aus der Heimat. Insbesondere die Unterstützung durch die Patengemeinde der 1. Kompanie, Süsel, ist an dieser Stelle hervorzuheben. Ihren Bewohnern ist es zu verdanken, dass jeder Soldat zum Weihnachtsfest ein individuell ausgesuchtes Geschenk und Grüße aus der Heimat erhielt. Unvergessen bleibt ebenso der durch den Militärpfarrer organisierte und mit Leben gefüllte Weihnachtsgottesdienst, der durch einen Trompetenchor, aufgestellt aus den eigenen Reihen, mehr oder weniger musikalisch begleitet wurde. Dabei blieben in der Betreuungseinrichtung ‚Arche’ nur wenige Augen trocken. Um den Neujahrswechsel etwas abwechslungsreicher zu gestalten, stattete der scheidende Divisionskommandeur und spätere Generalinspekteur der Bundeswehr, Generalmajor Peter von Kirchbach, seinen Soldaten einen Besuch ab. Zusammen mit Oberleutnant Mario Sandner und Oberfeldwebel Fred Kroll ‚rutschte’ er im Rahmen einer Patrouillenfahrt in das Jahr 1998. Etwa in der Mitte der Einsatzzeit hatte jeder Soldat die Gelegenheit, an einer Betreuungsfahrt teilzunehmen. Diese knappe Woche wurde dann beispielsweise in der kroatischen Hafenstadt Dubrovnik verbracht – Generalmajor von Kirchbach bei seinen ganz ohne Uniform und Handwaffe. Soldaten Einige trafen dort sogar mit ihren 92
Ehefrauen zusammen. Da es keine Betreuungstelefone gab und das Telefonieren mit dem Mobiltelefon immense Kosten verursachte, schrieb so mancher Soldat seine erste Feldpostkarte. Besonders bei der älteren Generation der Angehörigen weckte diese Form der Verständigung alte Erinnerungen. Das im ersten Auslandseinsatz abverlangte Fähigkeitsprofil unterschied sich deutlich von den Ausbildungsinhalten der vorhergehenden Jahrzehnte. Es kam eben nicht zu Spähaufklärung im ursprünglichen Sinne, sondern der Auftrag setzte sich hauptsächlich aus auf- und abgesessener Patrouillentätigkeit zusammen. Althergebrachte und im Frieden verinnerlichte Grundsätze verloren im Einsatz zumindest vordergründig ihre Bedeutung. „Fahren wie das Wasser fließt“ oder „viel sehen, ohne gesehen zu werden“ konnten im stark verminten Bosnien tödlich sein. Die geforderten Fähigkeiten verlangten den eingesetzten Soldaten viel ab. Oft erzielten sie in Situationen, für die sie nie zuvor ausgebildet worden waren, ihre Erfolge durch überlegtes Handeln und Improvisationstalent. Bosnien sollte auch in den kommenden Jahren immer wieder zum Einsatzort für das Panzeraufklärungsbataillon 6 Abgesessener Beobachtungshalt im 3. DEU EinsKtgt SFOR 2001 werden.
Bosnien-Einsätze des Panzeraufklärungsbataillons 6 (1997–2008) 93
Oberstleutnant Harland (3.v.l.), Kdr PzAufklBtl 6 von Juli 2002 bis Januar 2005, bei einer HARVEST-Operation im 8. DEU EinsKtgt SFOR 2003/2004 Die Eutiner Aufklärer überzeugten in ihrem ersten Auslandseinsatz durch Professionalität, Verlässlichkeit und Einfallsreichtum. Alle Soldaten kehrten unversehrt in die Heimat zurück. Ein neuer Aspekt war die Verarbeitung der erlebten Kriegseindrücke. Die Spuren von Tod und Zerstörung, Vertreibung und Gräueltaten waren Mitte der neunziger Jahre noch allgegenwärtig. In vielen dienstgradübergreifenden Gesprächen wurde die Verarbeitung organisiert und der Zusammenhalt untereinander deutlich gestärkt. Bereits nach der Rückkehr aus dem ersten Einsatz wurde, nach kurzem Familienurlaub, der ‚Friedensbetrieb’ wieder aufgenommen und die erste Bataillonsübung vorbereitet. Die fundamentalen Veränderungen der Zeit beeinflussten das Bataillon und das Leben der Soldaten und ihrer Familien. War der BosnienEinsatz 1997 für das Bataillon noch ein ‚Novum’ gewesen, sollte der Auslandseinsatz an sich in den nächsten Jahren zur bestimmenden Realität werden.
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