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In diesem Heft erwartet dich ... INTERVIEW Zu Besuch bei Kathinka Engel
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LESEPROBE Kathinka Engel · Liebe mich. Für immer BOOKBOYFRIEND-QUIZ Welcher Book-Boyfriend passt zu dir? LESEPROBE Kate Meader · Love Recipes
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REZEPTE AUS LOVE RECIPES
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LESEPROBE Kelly Siskind · Love Like Magic LESEPROBE Michele Campbell · Stranger
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UNSERE HEARTBEATS-TIPPS Für noch mehr Herzklopfen 58
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Liebe LeserInnen, wann hattet ihr zum letzten Mal so richtig Herzklopfen? Bei uns haben es all die tollen Geschichten aus unserem Heartbeats by Piper-Programm ausgelöst, die wir euch hier vorstellen möchten. Denn unsere Bücher sind mitreißend, romantisch und prickelnd – mit ganz viel Gefühl und einer ordentlichen Portion Herzklopfen! Entdeckt auf den folgenden Seiten eine exklusive Leseprobenauswahl zu unseren absoluten Herzensbüchern. Lest, wie die Romane der Finde-mich-Reihe unserer Bestsellerautorin Kathinka Engel entstanden sind. Probiert zwei verführerische Rezepte aus Kate Meaders unwiderstehlicher Kitchen-Love-Reihe und findet heraus, wer euer perfekter Book-Boyfriend ist. Mit der Wishlist in diesem Heft verpasst ihr kein Lieblingsbuch mehr, und mit etwas Glück könnt ihr auch noch tolles, neues Lesefutter gewinnen! Viel Spaß beim Lesen und Verlieben! Euer Heartbeats by Piper-Team
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INTERVIEW
Zu Besuch bei
Kathinka Engel
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Zu Besuch bei Kathinka Engel
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it einer großen Portion Gefühl beschreibt Kathinka Engel in der Finde-michReihe das Auf und Ab der Liebe, lässt uns erst tief bewegt zurück und das Herz dann wieder ganz leicht werden. Unter dem Motto »Believe in second chances« erzählt sie von Neuanfängen, zweiten Chancen und der ganz großen Liebe. Kathinka ist Büchermensch durch und durch. Sie liest, seit sie fünf Jahre alt ist, hat einen Master-Abschluss in allgemeiner und vergleichender Literaturwissenschaft und arbeitete nach Stationen bei einer Literaturagentur und einem Literaturmagazin viele Jahre als Lektorin. Jetzt ist sie selbst unter die Autoren gegangen. Wir haben sie zu Hause besucht und uns angesehen, wo ihre wunderbar gefühlvollen Geschichten entstehen. Kathinka Engel empfängt uns in ihrem großen, lichtdurchfluteten Wohnzimmer in der Münchner Au. Hier lebt sie mit ihrem Mann zwischen Jugendstil-Möbeln, Fundstücken vom Sperrmüll und deckenhohen Bücherregalen.
»Ein Raum ohne Bücher ist nichts für mich. Wenn ich be i Le uten eingeladen bin, schaue ich immer zuerst, ob es Bücher gibt.«
Auf dem Balkon der Autorin entdecken wir ein Insektenhotel mit Mauerbienen. Sie erzählt uns, dass die Bienen auf andere Löcher ausgewichen sind, als alle Röhren besetzt waren. Eine hatte sich das Bambusgestell des Zitronenbaums ausgesucht. »Das wusste ich natürlich nicht«, erklärt Kathinka. »Als ich ihn im Winter reingeholt habe, dachte die Mauerbiene, es sei Frühling. Sie ist geschlüpft, und ich musste sie mit Honig aufpäppeln.« Die Biene durfte in Kathinkas Kühlschrank überwintern, in einem Glas voll Erde. Kathinka verrät uns, dass sie allgemein ein Herz für Tiere hat. »Mein Kater, der mittlerweile leider verstorben ist, war ein traumatisiertes Findelkind aus dem Tierheim. Außerdem hatte ich bis vor Kurzem eine Patenschaft für einen alten Esel namens Gareth.« Wir laufen zurück zu den randvoll gefüllten Bücherregalen und fragen Kathinka, ob sie schon immer schreiben wollte. »Ich wünschte, ich könnte sagen: Ja, das war schon immer mein Traum. Das würde besser klingen als die Realität. Es ist eigentlich ein bisschen unglaublich, aber vor etwas weniger als einem Jahr war meine Antwort auf die Frage,
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ob ich selbst schreibe, ein vehementes Nein. Ich dachte, ich hätte keine Inspiration, wüsste nicht, wie ich eine Handlung vorantreiben soll und so weiter.« Und wie kam es dann zu ihrem ersten Buch? »Das ist eine ziemlich verrückte Geschichte. Ich war bei einer Freundin in Berlin. Wir saßen im Biergarten, sprachen über die Liebesromane, die wir gerade gelesen hatten, und fingen an herumzuspinnen. Am Ende des Abends hatten wir einen Plot. Als ich wieder nach Hause kam, setzte ich mich hin und fing an zu schreiben. Und jetzt …« Sie hält kurz inne. »Na ja, wie sich herausstellt, habe ich sogar jede Menge Inspiration und weiß sehr wohl, wie ich die Handlung vorantreiben kann. Sobald ich die ersten Seiten geschrieben hatte, überkam mich das Gefühl, dass ich das vielleicht schon mein ganzes Leben lang hätte tun sollen.« Wir wollen wissen, wo Kathinka ihre Inspiration hernimmt. »Es sind meine Figuren selbst. Ich muss nur tief genug in ihre Lebenswelten abtauchen, damit mir Ideen kommen. Es ist ein bisschen wie ein Film, der sich vor meinem inneren Auge abspielt. Ich überlege mir Details, feile herum, entwickle Dialoge.« Kathinka wird kurz nachdenklich. »Oft passiert es auch, dass ich eine Szene schreiben will, mir beim Tippen aber ganz neue, viel bessere Ideen kommen«, erklärt sie. »Wenn ich schreibe, haben alle Gedanken eine Richtung. Ich bin dann viel fokussierter. Wenn ich über meine Geschichten bloß nachdenke, drifte ich schnell ab.« 6
Kathinka zeigt uns ihren Arbeitsplatz, einen antiken Holztisch mit Schubladen und Türen. An der Wand hängen Kunstdrucke mit Szenen aus London sowie Band-Poster und Bilder von Kathinkas Lieblingsautoren. Überall stehen Bilderrahmen, Briefbeschwerer, hübsche kleine Döschen. Ein Stapel mit Papieren und Notizbüchern liegt auf der einen Seite, auf der anderen Eintrittskarten zu einem Fußballspiel. »In meiner Brust schlagen zwei Herzen«, erklärt Kathinka, als sie unseren fragenden Blick darauf bemerkt. »Ich bin introvertierter Büchermensch, der sich tagelang in fremde Welten zurückzieht. Aber gleichzeitig gehe ich auch gerne mal ins Fußballstadion und schreie mir die Seele aus dem Leib.« Wir lenken das Gespräch wieder auf Kathinkas Schreiben. Uns interessiert, wie es überhaupt möglich ist, in einem Jahr drei Bücher zu Papier zu bringen, während man Vollzeit arbeitet. »Das frage ich mich auch«, sagt sie. »Es hilft, dass ich eigentlich überall und in jeder erdenklichen Position schreiben kann. Ganz unspektakulär an meinem Schreibtisch, aber auch auf dem Sofa, im Bett, auf dem Boden hockend und liegend. So habe ich früher auch meine Hausaufgaben gemacht.« Die größte Schwierigkeit sei, dass ihre Schreibzeit um ihre regu-
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Und was passiert, wenn sie eine Schreibblockade hat? »Wenn ich mal nicht weiterkomme, bringt es meistens nichts, mich zum Schreiben zu zwingen. Ich verbeiße mich dann, werde schlecht gelaunt, finde alles miserabel, was ich aufs Papier bringe. Da hilft nur noch eine Pause und ein bisschen Abstand. Am besten ist es, wenn ich etwas mit den Händen mache. Zum Beispiel Ingwerbier brauen oder Stühle bemalen.« Kathinka deutet auf einen schwarzen Stuhl, auf dem ein Gedicht von Stephen Crane steht. Das Herz, heißt es. Sie hat es selbst vor zehn Jahren mit Ölfarbe darauf gepinselt. Manchmal geht Kathinka auch spazieren, um auf andere Gedanken zu kommen. »Fun Fact über mich: Im Herbst laufe ich kleine Umwege, um auf besonders schön knisternde Blätter zu treten, weil ich das Geräusch so liebe. Wenn ich mich danach das nächste Mal an den Text setze, bin ich wieder ziemlich zufrieden mit dem, was ich fabriziert habe.«
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lären Arbeitszeiten herum stattfinden müsse. »Ich wünschte, ich hätte eine geregeltere Routine, wenn es ums Schreiben geht, aber das ist leider im Moment nicht drin. Deswegen schreibe ich einfach in jeder freien Minute. Am schönsten ist es, wenn ich am Wochenende früh aufstehe und mich mit einer frischen Tasse Kaffee an meinen Schreibtisch setze, bevor die restliche Welt wach wird.« Wir folgen Kathinka zurück ins Wohnzimmer und setzen uns an den riesigen Esstisch. Sie fragt uns, ob wir etwas trinken wollen. Es gibt Kaffee, Saft oder Münchner Leitungswasser. »Das beste auf der Welt. Ihr könnt auch selbstgemachtes Ingwerbier haben. Die Gärung ist noch nicht ganz abgeschlossen, aber zum Probieren reicht’s!« Wir sind angenehm überrascht von der erfrischenden Schärfe des Getränks. Als wir Kathinka fragen, wie es zu ihrer Liebe zur Literatur kam, erzählt sie uns von ihrer Familie. »Meine Mutter ist Opernsängerin, mein Vater Schriftsteller und Übersetzer. Meinen Brüdern und mir wurde jeden Abend vorgelesen. Aber das hat mir nie gereicht. Also habe ich mit fünf Jahren Lesen gelernt. Und von da an waren die Bücher immer da. Mich faszinieren die Möglichkeiten, die man mit Sprache hat. Die Fähigkeit, Welten zu erschaffen, Atmosphäre zu erzeugen, Leser in einen Text hineinzuziehen, sodass sie ein Zuhause finden, während sie lesen.« Einige Favoriten aus ihrer Kindheit sind bis heute geblieben: »Ich höre zum Einschlafen am liebsten Die drei Fragezeichen«, verrät Kathinka.
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LESEPROBE
KATHINKA ENGEL
Liebe mich. Für immer
AMY er riesige Betonklotz, in dem sich vor allem Sozialwohnungen befinden, ragt wenig einladend in den zur Abwechslung ungewöhnlich grauen kalifornischen Himmel. Ton in Ton. Hoffnungslosigkeit und Trostlosigkeit. Für die meisten jedenfalls. Jedoch nicht für mich. Wo andere nichts als Armut und Elend sehen, erwachsen vor meinen Augen Bilder von zweiten Chancen, von Leuten, die kämpfen und es schaffen. Die Mischung aus Smog und Wolken taucht die gesamte Umgebung in ein mattes Licht. Und heute bin ich geneigt, mich ebenso matt zu fühlen. Bald sollte ich mir wieder einmal eine kleine Verschnaufpause gönnen, wenn ich nicht demnächst völlig ausgebrannt sein will. Über die Jahre habe ich einen relativ guten Radar dafür entwickelt, was ich zu leisten imstande bin und wann ich aufpassen muss, dass ich mir nicht zu viel aufhalse. Auf sich allein gestellt zu sein hat eben auch einen entscheidenden Nachteil: Man ist selbst dafür verantwortlich, den eigenen Akku rechtzeitig wieder aufzuladen. Den kommenden Freitagabend, den
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ich ausnahmsweise für mich habe, werde ich also nutzen. In diesem Moment gilt meine Aufmerksamkeit jedoch nicht mir, sondern Kylie und Steve, einem Paar, das nach Steves Gefängnisaufenthalt gerade lernt, zusammen mit dem neugeborenen Baby Milo zu einer Familie zu werden. Die veränderte Lebenssituation, die er und seine Freundin seither zu bewältigen haben, war der Hauptgrund, warum ich Steve in mein Resozialisierungsprogramm aufgenommen habe. Und nun begleite ich ihn auf seinem Weg zurück ins Leben, zurück in den Alltag. Da der Aufzug kaputt ist – seit meinem ersten Hausbesuch vor beinahe einem Monat hat sich daran nichts geändert –, nehme ich die wenig einladende nackte Betontreppe in den dritten Stock. Die Wände sind mit Graffiti und undefinierbarem Schmutz beschmiert. Bei einigen Schlieren möchte man gar nicht so genau wissen, woraus sie bestehen. Im dritten Stock klopfe ich an die Wohnungstür. In Häusern wie diesem lässt man die Tür nicht angelehnt, während man auf Besuch wartet.
Kathinka Engel · Liebe mich. Für immer
Ich höre, wie von drinnen die Kette gelöst wird, und im nächsten Moment öffnet Kylie die Wohnungstür, auf dem Arm den winzigen Milo. »Hi, komm rein«, sagt sie und lächelt mich müde an. Ich folge ihr ins Wohnzimmer, wo ich mich wie immer auf dem schäbigen Sofa niederlasse. »Wie geht’s euch?«, frage ich, zupfe den schwarzen Haargummi von meinem Handgelenk und binde mir einen Pferdeschwanz. »Ach ja«, erwidert Kylie, »es wäre leichter, wenn der Kleine nicht so viel schreien würde.« Wie auf Kommando fängt er an zu quäken, und Kylie seufzt. Sie wippt von einem Fuß auf den anderen, um ihn zu beruhigen. »Steve?«, ruft sie dann. »Hast du die Klingel nicht gehört?« Aus dem Nebenraum hört man ein Grunzen, und gleich darauf schlurft Steve in einer grauen Jogginghose, die er in seine weißen Tennissocken gesteckt hat, und einem ausgeleierten T-Shirt aus dem Schlafzimmer. »Sorry«, murmelt er. »Musste mir noch was anziehen.« Er grinst mich vorsichtig an, und ich hole einen Hefter mit Unterlagen aus meiner Tasche. »Sind das die Stellen?«, fragt er nun mit deutlich gesteigertem Interesse. Die Arbeitslosigkeit macht ihm zu schaffen. Für einen ausgebildeten Automechaniker gibt es zwar immer wieder Stellen, aber seine kriminelle Vergangenheit macht eine Vermittlung schwierig. Gerade leben die drei von Kylies dürftigen Ersparnissen und der Unterstützung von Steves Mutter. Aber nicht nur wird es ihnen unmöglich
sein, sich auf diese Weise länger über Wasser zu halten, Steve fällt außerdem die Decke auf den Kopf. Deswegen habe ich zusätzlich ein paar Zeitarbeitsfirmen angezapft, an die er Initiativbewerbungen schicken kann. »Hoffentlich ist was dabei«, sagt Kylie, während sie Milo mit dem Rücken zu uns stillt. »Ich muss ihn aus dem Haus haben. Der Kerl macht mich irre.« Der Umgangston hier ist rau, aber ich lasse mich davon nicht täuschen. Ich weiß, wie glücklich Kylie darüber ist, ihren Freund wieder an ihrer Seite zu haben. Steve schnaubt und beugt sich über die Liste mit den Zeitarbeitsfirmen. Milo scheint genug zu haben, denn er beginnt wieder verzweifelte Geräusche von sich zu geben.
Kylie stöhnt, Stev e grunzt – und mir ist es eige nt lich zu viel , aber das hier ist mein Job. Mein Le be n. Für die be iden da zu se in , ihne n H offnung und das Gefühl zu ge be n, dass sie je de Situation meiste rn können. Kylie beginnt dem Kleinen auf den Rücken zu klopfen, bis er sich mit einem Schwall auf ihre Schulter übergibt. »Fuck«, sagt sie und hält ihn 9
einen halben Meter von sich weg. Immerhin hat er aufgehört zu schreien. »Amy, würdest du kurz …?«, fragt Kylie und drückt mir den kleinen Wurm in den Arm, ohne eine Antwort abzuwarten und ist im nächsten Augenblick im Bad verschwunden. Mein Körper versteift sich für einen Moment. Ich bin niemand für Körperwärme. Für Nähe. Milo sieht mich aus seltsam wachen dunkelblauen Augen an. Ich blicke von ihm zu Steve in der Hoffnung, dass er mir seinen Sohn abnimmt, aber nichts dergleichen geschieht. Er ist in die Liste vertieft und scheint keine Notiz von meiner Hilflosigkeit zu nehmen. »Okay«, sage ich gleichermaßen zu Milo und zu mir selbst und lege mir den kleinen Wurm auf den Schoß. Steve blickt nun doch kurz auf und nickt mir zu. Anscheinend sieht man mir meine Unbeholfenheit nicht an.
Die Wärme des Babys überträgt sich auf meine Beine. Als wäre es nicht ohnehin schon warm genug. Aber gleichzeitig fühlt es sich irgendwie beruhigend, geradezu friedlich an. Milo duftet ganz eigen. Das muss der Babygeruch sein, von dem die Leute sprechen. Er quäkt leise, und ich fahre einmal mit der flachen Hand über seinen weichen Strampler. Er gibt erneut ein wimmerndes Geräusch von sich, und ich wiederhole die Bewegung mit der Hand. Es scheint ihm zu gefallen, denn er atmet einmal tief ein. Beinahe klingt es wie ein erleichtertes Seufzen. Verrückt, denke ich. So ein kleines wehrloses bisschen Mensch, das da auf meinem Schoß liegt. Es ergibt sich einfach und hofft auf das Beste. »Schau, ich hab meine Bewerbung noch mal überarbeitet, wie du’s gesagt hast.« Steve reißt mich aus meinen Überlegungen und reicht mir einen Ausdruck. Während Baby Milo auf meinen Beinen vor sich hin dämmert, korrigiere ich die Rechtschreibfehler in Steves neuem Anschreiben. Kylie kommt zurück ins Wohnzimmer, macht aber keine Anstalten, mir das Baby wieder abzunehmen – und ich stelle fest, dass es mir nichts mehr ausmacht, den Kleinen auf dem Schoß zu haben. Im Gegenteil, ich finde es seltsamerweise sogar tröstlich, erdend. SAM »Bist du Sam?«, fragt eine hübsche, allerdings etwas überschminkte Schwarzhaarige, die gerade von ihrem Tisch aufgestanden ist.
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Dieses aufgeregte Gefühl vor einem Blind Date macht sich in mir breit. »Der bin ich«, sage ich und fahre mir bewusst lässig mit der Hand durch die Haare. Dann schenke ich ihr ein schiefes flirty Lächeln, das nie seine Wirkung verfehlt. Und tatsächlich, auch Sarah ist gegen meinen Charme nicht immun, wie mir ihr breiter werdendes Lächeln verrät. Sie streicht sich ebenfalls durch die Haare und wickelt am Ende eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger. »So gut sehen also Leute aus, die eine Doktorarbeit schreiben«, sagt Sarah und klimpert mit ihren Wimpern. »Was machst du noch mal genau?« Ich weiß, dass das hier nur Small Talk ist. In den letzten Monaten hatte ich jede Menge solcher Dates. Die meisten davon wie heute im Vertigo, meiner Stammkneipe im bunten Ausgehviertel von Pearley. Es ist fast immer das Gleiche. Man redet, man flirtet, man geht zu ihr oder zu mir. Oder man verabredet sich noch ein zweites Mal, um dann zu ihr oder zu mir zu gehen. »Literaturwissenschaft«, antworte ich kurz. In die Tiefe zu gehen lohnt sich meistens nicht. »Und was ist mit dir?«, frage ich stattdessen. »Ach, dies und das. Gerade jobbe ich. Eigentlich will ich Musikerin werden.« »Spielst du in einer Band?«, frage ich. »Wie cool. Welches Instrument denn?« Sie lacht wieder. »Ich spiele noch gar kein Instrument. Aber Schauspielerin würde sowieso besser zu mir passen. Oder Model.«
Ich gehe darüber hinweg, schließlich bin ich nicht hier, um meine Seelenverwandte zu finden, und versuche es noch einmal. »Bist du also auch ein Filmfan?« Denn daran könnte ich anknüpfen. Der Kellner bringt meinen Drink, und wir stoßen an. »Was? Nein.« Wieder wirft sie ihren Kopf in den Nacken und lacht. »Ich stehe einfach gern im Mittelpunkt.« Das glaube ich ihr sofort. »Außerdem: Wer würde das hier« – sie streicht mit den Händen an ihrem Körper entlang – »nicht gern auf Plakaten und so sehen?« Ich schlucke. Ich kann sie mir gut auf Plakaten vorstellen. Erneut fahre ich mir durch die Haare. Dann lehne ich mich zurück und lasse meinen Blick über sie wandern. Nicht zu anzüglich, aber doch so, dass sie meine Absichten nicht falsch verstehen kann. »Du solltest auch Model werden«, sagt sie. »Da ist sicher mehr Geld drin als in Büchern und so Kram.« Je weniger wir gemeinsam haben, desto einfacher ist es für mich. Also lache ich mein sexy Lachen. Nicht zu laut, nicht zu verklemmt, sondern tief und kehlig, und schenke ihr dann meinen intensiven James-Dean-Blick 11
– den Kopf leicht schräg und etwas nach unten gesenkt. Mir sind all diese Kleinigkeiten völlig in Fleisch und Blut übergegangen. Der coole Gang, das lässige Anlehnen, das Durch-dieHaare-Fahren, die Blicke.
Es ist ein Spie l, ein Tanz , von de m je de r we iß, wo er hinführt. »Und? Hast du schon mal gemodelt?«, frage ich hoffnungsvoll, denn die Unterhaltung darf, egal, wie banal sie ist, nicht einschlafen. Das killt die Stimmung, auch wenn es uns beiden sicher nicht um den Austausch von Höflichkeiten geht und wir vermutlich kaum weniger Interesse an inhaltlicher Auseinandersetzung miteinander haben könnten. »Nein, noch nicht. Ich muss ja erst einmal entdeckt werden«, sagt Sarah und zwirbelt sich wieder eine Haarsträhne um den Finger. Kurz weiß ich nichts darauf zu erwidern, so erstaunt bin ich über sie. »Und wie wird man entdeckt?«, frage ich dann, sehr darauf bedacht, die Ungläubigkeit in meiner Stimme zu verbergen. »Auf der Straße, im Internet …« Sie zuckt mit den Schultern. »Ich habe schon zehntausend Follower auf
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Instagram. Willst du mal sehen?« Ohne meine Antwort abzuwarten, schiebt sie mir ihr Handy hin. »Schau, da bin ich mit einem neuen Lippenstift«, sagt sie und tippt auf ein Bild, das vor allem ihren Kussmund zeigt. Mit einem neuen Lippenstift, steht darunter. »Und das hier bin ich in meinem neuen Bikini.« Ich sehe vor allem Brüste. Wohlgeformte, kaum bekleidete Brüste. Die Caption lautet allen Ernstes In meinem neuen Bikini. »Wow«, sage ich, meine aber entgegen ihrer Erwartung nicht ihre gestellten Bilder, sondern ihre einfallsreichen Texte. Und entgegen ihrer Erwartung ist mein Kommentar außerdem nicht ganz unironisch. »Ein bisschen habe ich nachgeholfen. Aber sie fühlen sich jetzt irrsinnig gut an. Viel fester als vorher. Viel perfekter.« Sie zwinkert mir zu. »Hier schau, das bin ich mit meiner BFF.« Sie hält mir wieder ihr Smartphone hin und präsentiert mir das Bild von sich und ihrem Klon. Zumindest sehen sie sich zum Verwechseln ähnlich. Vielleicht liegt es aber auch an den vollkommen identischen Kussmündern. »Viertausend Likes«, sagt sie stolz. Beinahe will ich fragen, welche von beiden sie ist, als mein Blick auf den Text unter den Likes fällt. Mit meiner BFF, steht da, und in einem kleinen Moment ohne Selbstbeherrschung
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entfährt mir ein leises Kichern. »Machst du dich etwa über mich lustig?« Ihre Augen sind jetzt weit aufgerissen. »Nein, wie käme ich dazu«, sage ich vollkommen unschuldig. Ich habe mich jetzt wieder im Griff. »Okay, weil«, sagt sie und wedelt wild mit ihrem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum, »ich merke, wenn mich jemand nicht ernst nimmt.« Ihr Tonfall ist auf einmal derart gehässig, dass ich beinahe eine Gänsehaut kriege. »Ich habe so etwas echt nicht nötig«, keift sie. »Ich bin Model.« Diesen Stimmungsumschwung habe ich nicht erwartet. Denn genau genommen habe ich ihr nichts getan. Im Gegenteil, ich habe mir ihre Bilder angesehen und versucht, mich für sie zu interessieren. Weil der Abend für mich gelaufen ist, beschließe ich nun, zu mir selbst zu werden. »Ich dachte, du musst erst noch entdeckt werden«, sage ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Sie japst entsetzt auf. »So was muss ich mir echt nicht anhören«, faucht sie. »Ich brauche Leute in meinem Leben, die an mich glauben. Nicht so einen toxischen Scheiß.« Mit diesen Worten schnappt sie sich ihr Handy, das immer noch zwischen uns auf dem Tisch liegt, erhebt sich und rauscht aus der Bar. Ich schüttle etwas ungläubig den Kopf. Was für ein Abgang. Was für ein verschenkter Abend. Das war in den letzten zwei Wochen das vierte Date, das gründlich in die Hose gegangen ist. Ich ziehe ihren halb
vollen Gin Tonic zu mir und bitte den Kellner um die Rechnung. Und während ich erst meinen und dann ihren Drink runterkippe, lösche ich die App von meinem Handy. Genug ist genug. AMY Im Internet stoße ich manchmal auf rosafarbene Magazine und Blogs, die ihren Leserinnen dazu raten, sich auch einmal Zeit für sich zu gönnen. Eine Auszeit zu nehmen, um in sich hineinzuhorchen. Sie schlagen entspannende Schaumbäder mit einem Glas Sekt und leiser Musik vor, Wellness mit Freundinnen oder einen Liebesfilm auf der Couch. Manchmal frage ich mich, was mit mir nicht stimmt. Denn wenn ich mir vorstelle, wie ich in einer Badewanne sitze, bis ich schrumpelig bin, kommt mir das vor wie die größte Zeitverschwendung. Ich habe nicht oft den Luxus von freien Abenden, die ich mit »Zeit für mich« füllen könnte. Und wenn ich, wie heute, auf der Suche nach dringend nötiger Entspannung bin, dann ist das Allerletzte, was ich möchte, tief in mich hineinzuhorchen. Meine Regeneration sieht ein bisschen anders aus und beinhaltet, mir selbst zu zeigen, dass ich ganz normal bin – ohne dabei Babys halten zu müssen.
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Deswegen sitze ich hier am Tresen des Vertigo, einer Bar, die ich noch aus meiner Studienzeit kenne. Beim Hereinkommen schlägt jedem eine warme Wolke aus alkoholischem Dunst entgegen. Die Musik, das Gelächter und die lauten Unterhaltungen verschmelzen zu einem Lärmgewirr. Durch das gedimmte Licht sehen die Bar und all die Menschen, die an diesem Freitagabend hierhergekommen sind, um sich von ihrem Alltag zu erholen, weichgezeichnet aus. Hier finde ich genau das, was ich will. Trubel in der Anonymität. Ich nippe an meinem Drink und merke, wie der Stress der Woche in den Hintergrund tritt. Hier in einer Bar zu sitzen und zu warten, was der Abend noch bringt, ist nichts, was ich regelmäßig mache. Noch genieße ich einfach die gelöste Atmosphäre. Ich stelle mir vor, Teil einer dieser Studentengruppen zu sein, die vollkommen sorglos scheinen. »Hi«, sagt eine Stimme neben mir, und ich löse den Blick von der Studentengruppe. An der Bar steht ein blonder Hüne, wahrscheinlich einer der College-Footballspieler, die mit einem Stipendium nach Pearley gekommen sind. Er sieht sehr jung aus, sicher nicht älter als achtzehn. 14
»Hi«, erwidere ich. »Heute ist dein Glückstag«, sagt er und grinst mich anzüglich an. »So?« Ich bemühe mich, freundlich zu klingen und ihn dennoch nicht zu ermutigen. Den Blickkontakt beschränke ich auf ein Minimum. Denn er ist mir auf jeden Fall zu jung. Viele der Jungs, die ich betreue, sind in seinem Alter. Für mich mit meinen fünfundzwanzig Jahren definitiv ein No-Go. »Ja«, sagt er eifrig. »Weil du mich getroffen hast.« Er legt mir hoffnungsvoll eine Hand auf den Oberschenkel, doch ich schiebe sie sofort höflich, aber bestimmt beiseite. Mich zu berühren ist ein weiteres No-Go. »Tut mir leid«, gebe ich zurück und schenke ihm mein bestes Mitleidslächeln. »Es ist natürlich sehr schön, dass wir uns getroffen haben, aber ich habe leider kein Interesse.« Das Bedauern in meiner Stimme ist echt. Das Letzte, was ich will, ist, ihn zu verletzen. »Bist du sicher?«, fragt er. »Du würdest es nicht bereuen.« Mir entfährt ein leises Lachen. »Das kann schon sein, aber ich muss trotzdem ablehnen.« »Hm, okay. Schade!«, sagt er und zieht wieder von dannen. Ich höre, wie am Tisch ein Johlen ausbricht, als der Junge zurückkehrt. Ich muss unwillkürlich lächeln. Der arme Kerl. Erst hat er all seinen Mut zusammengenommen, um mich mit einem wenig originellen Spruch anzubaggern, dann habe ich ihn abgewiesen, und nun muss er sich auch
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noch dem Gespött seiner Kumpels stellen. Diese Welt ist grausam. »Das war sehr nett.« Ich blicke auf. Zu meiner Rechten lehnt ein Typ an der Bar und wartet anscheinend auf seinen Drink. »Was meinst du?«, frage ich. »Dass du ihm höflich erklärt hast, du hättest kein Interesse. Das ist deutlich angenehmer, als irgendwelche offensichtlichen Ausflüchte zu hören.« Seine Zunge scheint ein bisschen schwer zu sein. Aber er hat eine angenehme Stimme. Voll und tief. »Ich bin Sam«, sagt er. Ich blicke ihn an. Auf einmal kommt er mir bekannt vor mit seinen welligen braunen Haaren, die ihm leicht in die Stirn fallen. Aber ich kann ihn nicht zuordnen. Vermutlich irre ich mich, und es ist einfach nur dieses typische Selbstbewusstsein, das Männer, die wissen, wie gut sie aussehen, oft an den Tag legen. Und diese typischen Gesten. Ein leicht verlegenes Sich-durch-die-Haare-Fahren, das lässige An-der-Bar-Anlehnen.
»Und du bist?«, fragt er grinsend und dreht sich zu mir. Als ich nicht antworte, schiebt er hinterher: »O nein, sag nicht, mir blüht das gleiche Schicksal wie dem riesigen Jungen!« Er fasst sich theatralisch mit der rechten Hand an seine Brust und tut so, als hätte er Schmerzen. »Entschuldige! Ich bin Amy«, sage ich und lächle ihn an. Er könnte definitiv eine Option sein. Deswegen schlage ich schnell die Augen nieder und nehme einen Schluck von meinem Gin Tonic. Nicht, dass ich seinem Blick nicht standhalten könnte, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass es den Männern oft lieber ist, wenn man ein bisschen schüchtern und mädchenhaft tut. »Und, wie geht’s dir, Amy?« Mir gefällt es, wie er meinen Namen sagt. Und dass er mir eine Frage stellt. Obwohl ihn das natürlich nicht wirklich interessiert. »Gut, danke der Nachfrage. Und selbst?« Ich zupfe an dem Haargummi herum, den ich um mein Handgelenk trage. »Deutlich besser, jetzt, wo ich eine interessante Gesprächspartnerin gefunden habe«, sagt er und zieht seinen linken Mundwinkel zu einem schiefen flirty Lächeln nach oben, das seine Wirkung bestimmt nie verfehlt. Er ist also tatsächlich so einer. Ich frage mich, ob er ein bisschen herausgefordert werden will. »Wie kommst du darauf, dass ich eine interessante Gesprächspartnerin bin?«, frage ich und rechne mit billigen Komplimenten. Ob ich sie annehme und es ihm leicht mache oder ihn 15
erst noch ein bisschen zappeln lasse, entscheide ich dann.
»Du hast ge rade eine n Jungen auf eine se hr sympathische Weise abblitzen lasse n. Das ze igt, dass du etwas von Mensche n ve rste hst. Ob das je tzt intuitiv war oder vorsät zlich, kann ich nicht sage n. Be ides finde ich inte re ssant.« Wie bitte? Ich bin ziemlich baff über diese Antwort. Er scheint zu merken, dass er mich überrumpelt hat, denn er grinst zufrieden. Mir fällt auf, dass er schöne Zähne hat. »Aaaah«, sagt er. »Du dachtest, ich würde dich hier ohne Sinn und Verstand anmachen. Sorry, dass ich dich enttäuschen muss. Wenn ich jemanden anmache, dann immer mit Sinn und Verstand.« Er ist gut. Wirklich gut. Leicht überheblich, aber dabei so charmant, dass man sich ihm nicht entziehen will. »Und was bringt dich hierher?«, fragt er und lenkt unser Gespräch damit wieder auf unverfänglicheres Terrain. »Ich hatte eine anstrengende Woche«, sage ich und meine damit eigentlich alle Wochen. »Erzählst du mir davon?«, fragt er 16
und blickt mich aus seinen karamellbraunen Augen an. Ich verschlucke mich beinahe an meinem Drink. Er fragt allen Ernstes, ob ich ihm von meiner Woche erzählen will? Normalerweise bin ich diejenige, die anderen Interesse entgegenbringt. Sams Augenbrauen sind nach oben gezogen, was seinem Gesicht eine sexy Offenheit verleiht. Ob er all das vor dem Spiegel übt? Es sieht nonchalant aus. Aber ich bin mir sicher, er weiß ganz genau, wie er auf seine Mitmenschen wirkt. »Das willst du doch nicht wirklich hören«, sage ich und mache eine wegwerfende Geste. »Woher weißt du, was ich hören will?«, fragt er. Weil er auf einen Flirt aus ist, der ihm seine Unwiderstehlichkeit bestätigt. »Weil Freitagabend ist und du sicher genug eigenen Stress hast.« »Ich will es aber wirklich wissen«, sagt er und nimmt einen Schluck von seinem Bier. »Was hat dir diese Woche nicht gefallen?« Mein Mund verzieht sich unwillkürlich zu einem Lächeln. »Also schön. Du hast gefragt«, beginne ich. »Auf meinem Schreibtisch türmt sich Papierkram, den ich erledigen muss. Dabei hätte ich gern mehr Zeit für wirklich wichtige Dinge. Ich bin Sozialarbeiterin und würde viel lieber Hausbesuche machen. Diese Woche habe ich es nur zu einem meiner Schützlinge nach Hause geschafft. Ebenfalls ein Problemfall, weil ich einfach keinen Job für ihn finde. Und statt auch die anderen zu besuchen, bin ich an den Schreibtisch gefesselt, muss Protokolle
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schreiben, Anträge verfassen und so weiter. Das nervt mich, auch wenn ich weiß, dass es nötig ist.« Ich halte kurz inne, um zu sehen, ob Sam schon bereut, gefragt zu haben. Aber er sieht mich ehrlich interessiert an. Also spreche ich weiter. »Einer unserer Sponsoren zieht vermutlich seine Unterstützung zurück, obwohl ich ihn seit Wochen beknie, es nicht zu tun. Das bedeutet, dass ich irgendwo kürzen muss.« Ich atme einmal tief durch. Es tut verblüffend gut, die Dinge laut auszusprechen. Dadurch kommt ein bisschen Struktur in die Sache. »Außerdem musste ich ein Mädchen, für das ich die Verantwortung trage, schimpfen, weil es den Sportunterricht geschwänzt hat.« »Wow! Das klingt wirklich nach einer anstrengenden Woche«, sagt Sam. »Und was ist an positiven Dingen passiert?« Ich blicke auf und ihm direkt in die Augen. Er fragt einfach weiter. Das ist verrückt. Weil ich nicht sofort antworte, sagt er: »Bevor wir jetzt wieder diskutieren: Ja, ich will das wissen, sonst hätte ich nicht gefragt.« »Okay?«, sage ich etwas unsicher. »Meine Bananenstaude hat zwei Ableger produziert, die ich diese Woche in eigene Töpfe gepflanzt habe. Ich habe alle meine Rechnungen bezahlt und den ersten Band von Harry Potter fertig gelesen.« Die Information, dass ich das Buch Jeannie, meinem Pflegekind, vorgelesen habe, unterschlage ich. Jeannie, die den heutigen Abend bei ihrem Bruder Rhys verbringt.
»Und? Wie hat er dir gefallen?« Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so viel über mich selbst gesprochen habe. Es gefällt mir. Ich fühle mich seltsam ernst genommen. »Ich fand ihn toll.« »Der dritte Band ist der beste, wenn du mich fragst.« Er grinst. »Auf den kannst du dich schon mal freuen.« Ich räuspere mich. Es ist eindeutig ungesund, wie sehr ich es genieße, dass dieser Kerl Interesse an mir zeigt. »Aber jetzt sag mal, Amy …« Die Art, wie er meinen Namen ausspricht, verursacht eine Gänsehaut auf meinem Arm, und ich spiele erneut mit meinem Haargummi. Es ist, als würde die Bar vibrieren. »Warum sitzt eine so attraktive junge Frau wie du allein in einer Bar herum?« Jetzt ist er wieder im Flirtmodus. »Und warum bist du an einem Freitagabend allein hier?«, frage ich frech. »Oh, ich war nicht allein«, sagt er, und sein hübsches Gesicht verzieht sich zu einem breiten Grinsen. »Ich hatte ein wirklich erstaunliches Date.« »Und das ist schon vorbei?«, frage ich.
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»Woher we ißt du, dass wir auf eine r Welle nlänge sind?«, frage ich, de nn zu le icht will ich es ihm nicht mache n. »Wir sprechen schon fünf Minuten mite inande r, und du hast mir noch ke in Bild de iner ge machten Brüste ge ze igt« , sagt er, als se i es das Normalste de r Welt.
HotnessFaktor
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»Du hast also hohe Ansprüche an eine Konversation, verstehe.« Ich erwidere sein Lächeln und stelle fest, dass ich es wirklich so meine. In diesem Moment habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich werde Sam mit nach Hause nehmen. Und wenn ich seine Blicke richtig deute, hat er jedenfalls nichts dagegen. Ich muss ihm nur schonend beibringen, dass es Regeln gibt. »Hast du Lust auf einen Ortswechsel?«, frage ich. Er ist überrascht von meiner Direktheit, das sehe ich. »Was schlägst du vor?«, fragt er mit
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ISBN 978-3-492-06171-1
»Wir … ähm … waren nicht gerade auf einer Wellenlänge. Anders als du und ich.« Er lehnt sich ein bisschen weiter zu mir.
Kathinka Engel · Liebe mich. Für immer
Band 3
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ISBN 978-3-492-06172-8
Band 2
dann und lacht leise. Aber kann er es auch auf meine Art? »Hast du Lust, es nach meinen Regeln zu machen?«, frage ich. Er macht große Augen, sieht aber nicht abgeschreckt aus. »Ich schätze, es kommt darauf an, was deine Regeln sind«, sagt er und rückt ein Stück näher an mich heran. »Ich muss die Kontrolle haben.« »Kein Problem.« »Und ich werde dabei nicht gerne angefasst.«
ISBN 978-3-492-06173-5
einem schelmischen, aber wissenden Gesichtsausdruck. »Ich würde mich gerne entspannen«, sage ich zögerlich. »Und dabei kann ich dir helfen?«, fragt Sam. »Wie entspannst du dich denn?« Es fällt mir schwer, mit der Tür ins Haus zu fallen, aber ich habe gelernt, dass es so am einfachsten ist. »Mit Sex.« Einen Moment lang schweigen wir. Sam blickt mich direkt an, als versuchte er herauszufinden, ob das hier eine Falle ist. »Das kann ich«, sagt er
BOOKBOYFRIEND-QUIZ
elcher
en Begegnung am meisten? 1) Worauf achtest du bei der erst a) Auf seine Augen (10) b) Auf sein Lächeln (5) c) Auf sein Charisma (15)
2) Du stehst auf Typen, die a) … eine harte Schale, aber einen weichen Kern haben (10) b) … keine Probleme haben, über ihre Gefühle zu sprechen (5) c) … gerne Spielchen spielen, bis sie sich richtig verlieben. (15)
3) Was findest du ganz und gar nicht attraktiv? a) eine ruppige Art (10) b) eine zu enge Bindung zu Fam ilie (5) c) Herumgeflirte (15)
4) Was ist dir in einer Beziehung am Wichtigsten? a) Vertrauen (10) b) Sicherheit (5) c) Humor (15)
5) Was kannst du ihm in einer Bez iehung geben? a) Weltverständnis (10) b) eine Liebe ohne Vorurteile (5) c) den Glauben an die Liebe (15 )
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Welcher Finde-mich-Bookboyfriend passt zu dir?
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41-60 Punkte: Malik
61-80 Punkte: Samuel
Rhys, 21, hat die letzten sechs Jahre unschuldig im Jugendknast verbracht für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Da er erst fünfzehn war, als er verhaftet wurde, hat er wichtige Erfahrungen im Leben verpasst und ist jetzt – in einer Welt, die ihm fremd ist – völlig auf sich allein gestellt. Im Gefängnis hat er Traumatisches erlebt und braucht nun jemanden, der ihm beibringt, was es heißt, zu vertrauen. Er ist zwar auf den ersten Blick unnahbar und schroff, aber hinter seiner harten Schale verbirgt sich ein weicher Kern. Wenn er sich erst einmal geöffnet hat, kannst du dich zu hundert Prozent auf ihn verlassen.
Malik, 22, ist vor einigen Monaten aus dem Gefängnis entlassen worden. Mit der Hilfe seiner Sozialarbeiterin Amy beginnt er eine Ausbildung zum Koch in einem Hotel. Er stammt aus einer überaus herzlichen Großfamilie und ist eigentlich ein durch und durch fröhlicher Mensch, auch wenn die Schwierigkeiten, die das Leben teilweise für ihn bereithält, ihm manchmal zu schaffen machen. In Malik findest du einen lebensfrohen, engagierten Partner, eine Schulter zum Anlehnen und einen Fels in der Brandung. Aber mach dich darauf gefasst, dass er jede Menge verrückter Kochrezepte an dir ausprobieren wird.
Sam, 24, ist ein attraktiver Literatur- und Filmnerd. Er promoviert in Literaturgeschichte, gibt Kurse an der Uni und ist der Schwarm jeder Studentin. Allerdings ist er sich der Wirkung, die er auf Frauen hat, auch bewusst. Deswegen flirtet er vielleicht etwas zu gern und vielleicht auch etwas zu viel. Doch lässt er sich einmal richtig auf eine Frau ein, hat er nur noch Augen für sie. Sam ist klug, witzig und nicht nur Partner, sondern gleichzeitig auch bester Freund. Aber Vorsicht: Mit seiner Wortgewandtheit hat er dich schnell um den kleinen Finger gewickelt. Mach dich darauf gefasst, ihm Paroli zu bieten, sonst wird er übermütig.
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25-40 Punkte: Rhys
LESEPROBE
KATE MEADER
Love Recipes
VERFÜHRUNG À LA CARTE KAPITEL 1
E
igentlich sollte sie längst wohlbehütet in ihrer Wohnung über dem Restaurant ihrer Familie sitzen, die Pastareste vertilgen und die letzten Folgen ihrer Lieblingsserie ansehen. Stattdessen dachte Lili DeLuca um drei Uhr morgens in einer dunklen Gasse darüber nach, in schimmernden blauen Lycra-Hotpants und einem sternenbedeckten Bustier die Heldin zu spielen. Ob das eine gute Idee war? Sie nahm ihren Vespahelm ab und spähte hinauf zu ihrem Schlafzimmerfenster, ehe sie ein weiteres Mal in die Gasse blickte, die zu dem Kücheneingang des Ristorante DeLuca führte. Die Tür stand offen, und Licht fiel hinaus in die Nacht. Niemals war ihr Helligkeit so falsch vorgekommen. Normalerweise war auf der Damen Avenue so viel los, dass man sich auch als Frau allein sicher aufgehoben fühlen konnte. Wicker Park, früher eine günstige Gegend, die von unterernährten Künstlern und Hybriden aus Schauspielern und Baristas besiedelt war, hatte sich mittlerweile zu einem wahren Dschungel aus teuren Lofts, schicken Restaurants und raffinierten Weinbars
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gemausert. Außerdem gab es da noch das O’Casey’s Tap an der Ecke und den regelmäßigen Strom von Nachtschwärmern, sodass die Straßen immer belebt und sicher waren. Aber nicht heute Nacht. Die Bars hatten die letzten Schluckspechte schon vor einer Stunde wieder ausgespuckt, und die Leute schnarchten bereits tief und fest in ihren Vorstadtbetten. Trotz der drückenden Junihitze von zweiunddreißig Grad war ihr die Gegend hier noch nie so karg und kalt vorgekommen. Es mochte seine Vorteile haben, so nah am eigenen Arbeitsplatz zu leben – zum Beispiel, dass der Arbeitsweg nur eine halbe Minute dauerte oder dass man stets das beste italienische Essen Chicagos zur Verfügung hatte. Gerade aber erschien ihr die offene Küchentür viel eher bedrohlich. Vielleicht war ja Marco im Restaurant? Ihr Ex-Freund hing gerne gelegentlich dort herum, weil er offenbar davon ausging, dass seine Investition ihm gewisse Privilegien garantierte. Eine Flasche des teuren Brunello hier, einen Veranstaltungsort für spätabendliche Pokerrunden da.
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Sie schob die Erinnerungen beiseite und konzentrierte sich auf ihr aktuelles Problem. Vor sechs Stunden war ihr die jährliche Superheldenparty noch wie eine harmlose Möglichkeit erschienen, ihr Sozialleben wieder in Schwung zu bringen. Mit honigsüßen Worten hatte ihre Cousine Gina sie dazu überredet mitzukommen. Es ist Zeit, sich wieder ins Spiel zu bringen, Lili! Nein, deine Oberschenkel sehen in diesen Shorts nicht wie Dönerspieße aus. Der Batman dahinten ist nicht fett – nur kräftig! Ein kräftiger Batman wäre jetzt eigentlich ganz praktisch … Sie ließ das beruhigende Verkehrsrauschen hinter sich und schlich zur Tür, den stechenden Geruch der Müllcontainer in der Nase. Irgendetwas Pelziges verschwand in der Dunkelheit. Plötzlich ertönte lärmend ein Gitarrenriff aus Brown Sugar von den Rolling Stones. Tja, der Wahnsinn hatte eben seinen ganz eigenen Soundtrack. Kann sein, dass du wie Wonder Woman gekleidet bist, aber das heißt noch lange nicht, dass du jetzt die Heldin spielen musst. Schau einfach kurz nach, und dann ruf jemanden an. Sie linste zur Tür hinein. Teure Küchengeräte – ihre Geräte – lagen verstreut zwischen Tellern, Töpfen und Pfannen auf den Arbeitsflächen. Wieder wurde sie unruhig. Das sah so gar nicht nach Marcos Werk aus! Vermutlich gab es nur eine Erklärung: Irgendein Vollidiot war zu den Klängen von Jagger und Richards in ihr Restaurant eingebrochen. Eigentlich war klar, was als Nächs-
tes anstand. Nun ruf schon jemanden an. Irgendjemanden!
Sie könnte ihre n Vate r alarmie re n. Ihre n Cousin. Diesen süße n Cop mit de n schokolade nfarbe ne n Auge n, de r sich immer am Freitag etwas zu esse n aus de m Re staurant mitnahm und darauf be stand, dass sie sich be i Proble men sofort be i ihm melde te . Sie schluckte hart und bemühte sich vergeblich darum, ihr wild klopfendes Herz in den Griff zu bekommen. Aber umsonst. Es schoss weiterhin in ihrer Brust hin und her wie eine Flipperkugel. Zitternd legte sie ihre achthundert Dollar teure Leica-Kamera in ihren Helm und zerrte dann ihr Telefon aus der Hosentasche ihrer engen Shorts. Sie begann zu wählen. Neun. Eins … Plötzlich ertönte aus dem Inneren des begehbaren Kühlschranks Gesang, der an den Edelstahlwänden abprallte. Ziemlich schrill. Geschlecht unklar. Wahnsinnig laut und vollkommen schief. Sie steckte ihr Telefon wieder ein, öffnete die Tür mit dem Fliegengitter und trat leise ein. Fieberhaft sah sie sich nach einer möglichen Waffe um und entdeckte 23
schließlich dankbar die gusseiserne Pfanne auf dem Hackblock. Sie ersetzte den Helm in ihrer Hand durch die Pfanne und stellte zufrieden fest, dass ihr Gewicht das Zittern ihrer Hand beinahe zum Aufhören brachte. Ihre verschwommene und ziemlich lächerliche Spiegelung in der Stahltür machte ihr seltsamerweise Mut. Sie war perfekt für ein bisschen Action gekleidet. Keine Frage, sie würde es hinbekommen! Lili ging an der Tür der Kühlkammer vorbei und machte eine sekundenschnelle Bestandsaufnahme ihres Gegners. Er war ein Schrank von einem Mann und hatte ihr den Rücken zugewandt, während er nach einem mit dem Ragù ihres Vaters gefüllten Behälter auf dem obersten Regalfach tastete. Einen Moment lang ließ sie sich von dieser Unstimmigkeit ein wenig aus dem Konzept bringen. Dieser vollkommen unmusikalische Ganove wollte Ragù stehlen? Irgendwie passte das nicht recht zusammen, aber immerhin war er in ihr Restaurant eingedrungen. Und das mitten in der Nacht. Als er einen Schritt zurücktaumelte und Lili damit einen ordentlichen Adrenalinschub verpasste, war jeder Zweifel wie weggewischt. Sie riss die Bratpfanne nach oben und verpasste ihm einen kräftigen Hieb gegen den Kopf. Er heulte auf wie ein Wolf – das hatte gesessen! Einen Moment später hatte sie auch schon die Tür hinter dem Gauner zugeworfen. Der einen wirklich netten Hintern hatte, das musste man ihm lassen. Gute Güte, woher war dieser Gedanke denn jetzt gekommen?! Be24
stimmt lag das nur an der plötzlichen Erleichterung, denn eigentlich war es ziemlich unpassend, einen Kriminellen heiß zu finden. Lili kicherte nervös und schlug sich dann die Hand vor den Mund, um diese unanständigen Gedanken im Keim zu ersticken. Und jetzt, Shiny Shorts? Nun war es wohl höchste Zeit, die Polizei zu rufen. Aber sobald sie ihr Telefon hervorgezogen hatte, störte ein neuer Gedanke ihren Triumph. Eigentlich müsste der Kühlschrankdieb doch jetzt ein riesiges Theater veranstalten oder zumindest darum betteln, befreit zu werden. Aber nichts da. Schon seit einer vollen Minute hatte er keinen Piep mehr von sich gegeben. Da der Mechanismus an der Tür kaputt war, mit dem man sie im Notfall von innen öffnen konnte, würde der Einbrecher sich erst einmal nicht selbst befreien können. Lili presste ihr Gesicht und ihre Hände auf die kalte Tür. Das Wummern der Musik vermischte sich mit dem leisen Surren der Kühlkammer. Noch immer kam kein Mucks aus dem eisigen Gefängnis. Lili hatte eine neue, schreckliche Befürchtung: Was, wenn sie den Mann umgebracht hatte?
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Glücklicherweise – oder auch unglücklicherweise – konnte sie sich den Gedanken aus dem Kopf schlagen, da die Tür plötzlich ruckartig aufgerissen wurde und Lili höchst unelegant zu Boden plumpste. Mit dem Hintern voran natürlich! Es hatte also doch jemand das Sicherheitsschloss repariert. Zunächst sah sie ein Handgelenk, dann einen haarigen Arm und schließlich das Gesamtpaket. Sie bekam einen vagen Eindruck von etwas Großem, Bösem und Gefährlichem. Der Mann hielt die Pfanne nach oben, um eine mögliche Attacke abzuwehren, aber eigentlich hätte er sich gar keine Sorgen machen müssen. So auf dem Hosenboden sitzend waren Lilis Superkräfte doch deutlich eingeschränkt. Plötzlich bemerkte sie, wie ihre Angst einer heftigen Scham wich. »Du hättest mich umbringen können, verdammt noch –«, donnerte der Kühlschrankdieb. Dann klappte ihm der Kiefer herunter. Tja, diesen Effekt hatten knapp bekleidete Superheldinnen nun mal. Der Eindringling hatte dichtes schwarzes Haar, goldgefleckte grüne Augen und ein Gesicht, das direkt aus einem Renaissancegemälde entsprungen zu sein schien. Das waren seine augenscheinlichsten Merkmale. Einen Ganzkörpercheck verschob Lili erst einmal, da sie in Schwierigkeiten steckte. In großen sogar. Es war er. Er fasste an seinen Hinterkopf und stellte dann die Pfanne so vorsichtig ab, als handele es sich dabei um eine geladene Waffe.
Nachdem er lässig in Richtung Tresen gewinkt hatte, verstummte die Musik abrupt. Das hatte er wahrscheinlich während seiner Ausbildung bei der dunklen Seite der Macht gelernt. »Alles klar bei dir, Süße?«, fragte er sie lässig und steckte eine iPod-Fernbedienung in seine Hosentasche, ehe er sich halbherzig in ihre Richtung bewegte. Sie hob die Hand, um ihm zu zeigen, dass alles okay war. Zu spät. Vorsichtig linste sie hinab auf ihre Brüste und atmete erleichtert auf. Zum Glück war kein Nippel zu sehen. Sie sprang auf und rieb sich ihren schmerzenden Hintern. Yep.
Du träg st ein Wonde rWoman-Kostüm und hast ge rade eine n de r be rühmte ste n Männe r de r we stliche n H emisphäre ausgeknockt. Schließlich sah sie ihm ins Gesicht, das mittlerweile einen recht finsteren Ausdruck angenommen hatte. »Ich bin Jack.« »Ist mir inzwischen klar.« Lili wusste, dass sie in ihrem Outfit die Blicke zwangsläufig auf sich zog. Der Sturz auf ihren Hintern hätte ihrem Ego natürlich einen gewaltigen Knacks verpassen können, aber sie wusste zumindest, dass sie verdammt 25
gut aussehend in den Abend gestartet war. Dieser Meinung waren immerhin vier der fünf tonusschwachen Supermänner auf der Party gewesen! Ihre Jahre als übergewichtige Teenagerin lagen längst hinter ihr, und seitdem stand sie voll hinter ihrer Kleidergröße 44. Und an den Tagen, an denen sie sich weniger attraktiv fühlte – und kannte nicht jede Frau solche Momente? –, gab es immer noch genug Freunde, die ihr versicherten, wie unwiderstehlich ihre Kurven waren. Jack Kilroys ungewöhnlich hübsche Visage war ihr schon lange vertraut gewesen. Nicht, weil sie ein Fan war – um Gottes willen! Sondern weil ihre Schwester ihr permanent damit in den Ohren lag, wie vollkommen er war und außerdem ihr gesamtes Umfeld dazu bewegen wollte, seine Kochshow anzusehen: Kilroy’s Kitchen (Kommt immer Montagabend um sieben auf dem Kochkanal – nicht vergessen, Lili!). Als megaheißer Brite war er im vergangenen Jahr erst durch seine TV-Show und dann durch seinen Bestseller Französisch Kochen für Anfänger bekannt geworden. Sein bezauberndes Lächeln zierte die Cover diverser Lifestyleund Kochmagazine, und außerdem konnte man ihn immer wieder dabei beobachten, wie er seinen ganz eigenen Foodie-Charme in verschiedenen Talkshows verbreitete. Erst vor Kurzem hatten seine Trennung von einem Soapstar und eine Prügelei mit einem Paparazzo den Klatschspalten und Nachrichtensendern delikates Futter geliefert. 26
Im Fernsehen mochte es so aussehen, als habe er ein paar Pfund mehr auf den Rippen, aber im echten Leben war Jack Kilroy einfach nur schlank und wahnsinnig heiß. Seine breiten Schultern überraschten sie nicht, wohl aber das Tribal-Tattoo auf seinem rechten Oberarm. Es war so ganz und gar unbritisch und verlieh ihm einen gefährlichen, sexy Touch. Ihr Blick wanderte hinab auf sein Black-Sabbath-Shirt, das sich über seine wohlgeformten, durchtrainierten Brustmuskeln spannte. Bestimmt hatte er das dem jahrelangen Stemmen von schweren Suppentöpfen zu verdanken. Die langen Beine in den lässigen Jeans vervollständigten diesen verlockenden Anblick. Ja, Jack Kilroy war der leibhaftige Beweis dafür, dass es einen Gott gab. »Ist das deine übliche Vorgehensweise? Dass du Leuten erst einmal mit einer Pfanne eins überbrätst, ehe du ihnen Fragen stellst?«, erkundigte er sich, nachdem auch er sie einmal von Kopf bis Fuß gemustert hatte. »Und soll ich erst einmal stillhalten, damit du mit deinem Lasso die ganze Wahrheit aus mir herausquetschen kannst?« Er deutete auf das goldene Seil, das in einer Schlaufe an ihrer Hüfte hing.
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Falls er annahm, dass er sie mit seinem Fachwissen über Wonder Woman irgendwie beeindrucken konnte, dann hatte er sich geschnitten! Na gut, ein bisschen beeindruckt war sie schon. »Ich dachte, du wärst ein Dieb. Ich wollte schon die Polizei rufen.« »Willst du etwa behaupten, hier gäbe es irgendetwas, das sich zu klauen lohnt?« Von seinem herablassenden Tonfall wurde ihr ganz heiß vor Wut. Vielleicht lag das aber auch an seinen smaragdfarbenen Augen und seinem unbeirrten Blick. »Machst du Witze? Diese Küchenausstattung befindet sich schon seit Generationen im Besitz meiner Familie.« Gerade war alles vollkommen chaotisch auf sämtlichen verfügbaren Ablageflächen verteilt. »Wie zum Beispiel die Pastamaschine meiner nonna.« Sie deutete auf ein verstaubtes Gerät, das neben dem Gewürzbord auf der Arbeitsfläche stand. »Du meinst dieses verrostete Teil dahinten in der Ecke?« »Es ist nicht verrostet, sondern vintage. Ich dachte, ihr Briten mögt so etwas?« »Klar, aber wenn man sich durch diese Teile eine Lebensmittelvergiftung holt, dann endet unsere Liebe auch ganz schnell wieder.« Protest kam Lili plötzlich sinnlos vor. Immerhin hatte ihr Vater das Ding seit über zehn Jahren nicht mehr benutzt. »Wenn ich nicht ganz falschliege, musst du Caras Schwester sein. Lilah, nicht wahr?«
»Ja, ich bin Caras Schwester, aber ich heiße Lil–« »Ich dachte schon, du wärst die Empfangsdame«, unterbrach er sie. »Begrüßt man sich in italienischen Lokalen neuerdings mit Bratpfannen?« Es ist drei Uhr morgens!, hätte sie am liebsten gerufen. Wahrscheinlich hatte der Schlag auf seinen Kopf doch Auswirkungen auf sein Denkvermögen gehabt. Wie aufs Stichwort rieb er sich den Schädel und hielt sich dann so sehr an der Arbeitsfläche fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er würde doch nicht ohnmächtig werden? »Ich bin die Geschäftsführerin dieses Restaurants und habe dich nicht erwartet. Wenn ich gewusst hätte, dass Le Kilroy uns höchstpersönlich die Ehre erweisen würde, hätte ich natürlich den roten Teppich ausgerollt.« Sie schlenderte hinüber zur Gefriertruhe und sah sich dann schnell genug um, um Zeugin seines tranceartigen Blickes auf ihren Hintern zu werden. Meine Güte, nicht einmal ein Schlag auf den Kopf konnte diesen Kerl aus seinem ewigen Flirtmodus reißen! Mit wenigen Handgriffen hatte sie eine Kühlkompresse in eine Serviette gewickelt und reichte sie ihm. »Wie geht es deinem Kopf? Und ist dir das mit dem Duzen eigentlich recht?« »Klar. Und mit meinem Kopf ist alles in Ordnung. Wie steht es mit deinem …« Er deutete mit einer Hand auf ihren Hintern, während er mit der anderen die Kühlkompresse an seinen Schädel drückte. 27
»Dem geht es bestens«, fauchte sie. »Sieht ganz so aus«, grinste er. Bekam der Typ denn nie genug?! »Das ist also deine übliche Herangehensweise, ja? Nicht zu fassen, dass du in der Damenwelt solch einen Erfolg hast.« Die Klatschmagazine widmeten seinen ständig wechselnden Liebhaberinnen ganze Seiten. Infrage kamen ohnehin nur Fembots aus Hollywood und ausgehungerte Models. Um seine Kochkunst ging es ihnen ganz sicher nicht. »Es kamen noch keine Klagen«, meinte er. Sie verschränkte die Arme, um ein wenig würdevoller zu wirken. Gar nicht so leicht in diesem Outfit. »Also, wie wäre es mit einer Erklärung?«, fragte sie dann etwas schnippisch. »Meinst du, warum noch keine Beschwerden kamen?««
»Nein. Ich will wisse n, was du zu dieser unchristlichen Ze it im Re staurant meine r Familie zu suchen hast.« »In erste r Linie habe ich es darauf ange le gt, von eine r Supe rheldin überwältigt zu we rden.«
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Okay, das war ziemlich süß. Lili konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ich bereite mich auf die Show vor und mache eine Bestandsaufnahme. Hat Cara dir denn nichts davon gesagt?«, erkundigte er sich. Natürlich nicht. Sonst hätte sie ihn schließlich nicht gefragt! »Ich habe meine Nachrichten noch nicht gecheckt«, schwindelte sie, weil sie nicht zugeben wollte, dass ihre Schwester sie nicht informiert hatte. »Ich war den Abend über sehr beschäftigt.« »Damit, Katzen von Bäumen zu retten und in einem einzigen Satz von Hochhaus zu Hochhaus zu springen?« »Das ist der falsche Superheld«, erwiderte sie, immer noch verärgert, weil Cara sie nicht auf den neuesten Stand gebracht hatte. »Und du hast noch nicht erklärt, warum du dich ausgerechnet hier auf deine Show vorbereitest.« Ihn daran zu erinnern, wie spät es war, war wohl ohnehin sinnlos. »Weil wir die Sendung hier aufzeichnen, Sweetie. Jack Kilroy macht euer kleines Restaurant richtig berühmt.« Gut, dass Laurent nicht da war. Wenn er mitbekommen hätte, wie Jack Kilroy von sich in der dritten Person sprach, hätte er sich einfach nur schlappgelacht. »Hier? Warum sollte deine dämliche Show denn hier gedreht werden?« Jack überhörte den schnippischen Spruch, obwohl auch ihr Satz zum
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Thema Damenwelt schon hart an der Grenze gewesen war. Ein wenig heuchlerisch obendrein – sendete diese mit den Hüften wackelnde Frau denn nicht selbst eindeutige Signale? »Ich habe mir das nicht ausgesucht, glaub mir. Eigentlich ist es hier viel zu eng, und auch die Ausstattung ist für meine Ansprüche viel zu … vintage.« Nichtsdestotrotz gefiel der Ort Jack, ja, er machte ihn beinahe nostalgisch. Die Edelstahltheke war zerkratzt und abgenutzt und zeugte von den vielen erfolgreichen Jahren des Restaurants. Er liebte solche alten Orte. Irgendwie fühlte es sich behaglich an, auf Arbeitsflächen zu arbeiten, die schon so viel erlebt hatten. Jack ließ seinen Blick wieder zu Caras Schwester wandern und fragte sich, wie es wäre, sie einfach auf den Tresen zu heben und direkt zur Sache zu kommen. Das ultraeng sitzende Kostüm schnürte ihre Taille ein und presste ihre Brüste auf eine Art und Weise nach oben, als wäre sie einem Comicheft entsprungen. In diesem Outfit erinnerte die Figur der Frau an eine Sanduhr – was man jenseits irgendwelcher Burlesque-Shows im Stil der Sechzigerjahre nicht häufig zu sehen bekam. Tja, das war eine wirklich gut gebaute Frau mit einem derart verlockenden Po, dass er jetzt schon wusste, an welcher Fantasie er sich später ergötzen würde. Sein Kopf pochte zwar noch immer schmerzhaft, aber dieser Anblick versprach definitiv Linderung. Seine Kommentare zur mangelnden Größe des Restaurants und dem Vintagecharakter der Geräte hatten
genau die Wirkung, die er sich erhofft hatte. Wilde Gesten, Sticheleien, glühende Augen. Diese Augen waren im Übrigen auch sehr schön. Hatten fast die Farbe von Curaçao-Likör. Sie funkelten so neckisch, dass er Mühe hatte, nicht zu grinsen. »Die Küche ist nicht zu eng. Sie ist perfekt.« Lili deutete auf die Herde und Öfen, die an der hinteren Wand nebeneinander aufgereiht standen. »In dieser winzigen Küche bereiten wir jeden Samstagabend um die hundertfünfzig Gerichte zu, und was wir nun wirklich nicht nötig haben, ist irgendein kilroysches Gütesiegel. Besten Dank. Wir sind auch ohne diesen Quatsch schon bekannt genug.« »Ich habe diese Küche nie als winzig bezeichnet, aber ich bewundere es sehr, wie gut ihr mit dem begrenzten Platz zurechtkommt.« Beschwichtigend legte er eine Hand auf ihren Arm. »Hey, keine Sorge. Ich sorge dafür, dass alles wieder so aussieht wie vorher.« Sie starrte kurz auf seine Hand, die auf ihrer goldenen Haut ruhte, dann funkelte sie ihn wütend an. Pfoten weg!
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Sie schob sich eine H aarlocke hinters Ohr und be gann mit ihre r Mission, die darin be stand, aufzuräumen und ihn wie eine n Vollidioten ersche inen zu lasse n. Eine Wolke widerspenstigen kakaobraunen Haars verdeckte ihr Gesicht. Aber es brauchte mehr als einen tödlichen Blick und ein paar wilde Locken, um ihn in die Flucht zu schlagen. Es machte einfach viel zu viel Spaß, sie zu necken! »Ich bin ziemlich fix, Sweetie. Und wenn wir das mit deinen Superkräften kombinieren, sind wir ruckzuck fertig.« Sie warf ihr Haar zurück und sah ihn mitleidig an. »An deiner Stelle würde ich lieber nicht so laut herumtönen, wie schnell du fertig bist. Das hört keine Frau gern.« Autsch. Noch ehe er eine schlagfertige Antwort parat hatte, flog auch schon die Küchentür auf und Cara DeLuca, seine Produzentin, stürzte herein. Weder die ungewöhnliche Uhrzeit noch die wüstenähnliche Hitze hielten sie davon ab, einen todschicken cremefarbenen Zweiteiler und Absatzschuhe zu tragen. Laurent, sein Souschef und enger Vertrauter, stolperte träge und mit einem Tablett mit Kaffeebechern in den Händen hinter ihr her. 30
»Okay, jetzt bringst du mich sicher um«, meinte er Cara murmeln zu hören. Ganz offenbar drohte ein waschechtes Geschwisterdrama. Da er selbst eine jüngere Schwester hatte, kannte er die Anzeichen dafür nur zu gut. »Lili, was um alles in der Welt trägst du da bloß?!« Dann winkte Cara ab. »Ach, was soll’s.« Lili. Er hatte sie Lilah genannt. Lili passte viel besser. »Warum hältst du den Kopf so schief?« Jack linste zu Lili hinüber. Er wollte sie nicht verpfeifen, aber das war auch nicht nötig, weil sie sofort alles zugab. Mehr oder weniger. »Ich dachte, er gehört zu dieser Bande Klassikrock liebender Ganoven, die so furchtbar schief singen und in ganz Chicago italienische Küchen ausrauben. Und ich war ja sowieso schon perfekt gekleidet, um Verbrechen zu bekämpfen … Da habe ich einfach instinktiv reagiert und deinen Star in die Kühlkammer gesperrt.«
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Um ein Haar hätte er losgeprustet, auch wenn sie gerade ziemlich eindeutig seinen Gesang beleidigt hatte. Auch ihre Mundwinkel zuckten verdächtig. »Lili, so kannst du doch nicht mit einer Ikone umgehen!«, fauchte Cara. »Ich finde auch, dass der Hieb mit der Bratpfanne etwas zu weit ging«, ergänzte Jack. Caras Kopf wirbelte herum, als wäre sie direkt dem Film Der Exorzist entsprungen. »Du hast …?!« Jack rieb sich den Hinterkopf, um die Sache noch ein wenig dramatischer zu gestalten. »Ich glaube nicht, dass ich eine Platzwunde habe. Aber eine dicke Beule bekomme ich bestimmt.« Cara streichelte über seinen Kopf und jaulte auf wie ein Hundewelpe. »Gott, Lili. Ist dir klar, was passiert wäre, wenn Jack eine Gehirnerschütterung gehabt und in die Notaufnahme gemusst hätte?« »Vielleicht wäre das ja gut für seine persönliche Entwicklung gewesen? Eine kleine Lektion in Sachen Demut würde ihm jedenfalls nicht schaden«, erwiderte Lili. Wieder zuckte ihr Mundwinkel – und er empfand plötzlich große Lust, einmal mit der Zunge darüber zu fahren. Jacks Kopf schmerzte immer noch, und er war furchtbar erschöpft. Er war sich ziemlich sicher, dass er in der Kühlkammer ein paar Sekunden lang das Bewusstsein verloren hatte, und musste gegen
den immer stärker werdenden Schwindel ankämpfen. Kaffee. Den brauchte er jetzt. Kaffee und irgendetwas, worauf er sich konzentrieren konnte. »Besteht die Chance, dass wir jetzt mit dem ursprünglichen Plan weitermachen?«, fuhr er Cara ein wenig heftiger als beabsichtigt an. »Na klar, Babe. Du kannst direkt loslegen.« Cara packte Lili am Arm und zerrte sie aus der Küche. »Liliana Sophia DeLuca, wir unterhalten uns jetzt mal im Büro, wenn dir das recht ist.« Laurent stand mit verschränkten Armen da und ließ die Szene auf sich wirken. »Ich glaube, ich bin verliebt«, stöhnte er. »Ist sie nicht die süßeste chérie, die du je gesehen hast?« Jack prustete. »Du hast dich in diesem Jahr jetzt schon zum vierten Mal verliebt, und es ist gerade mal Juni!« »Hast du denn nicht gesehen, wie sie ihre Nase krausgezogen hat, als ich ihre Hand genommen habe? Und dieser liebliche derrière … Was gäbe ich drum, ihn näher betrachten zu dürfen.«
»Kann se in , dass sie eine n süße n H inte rn hat, aber glaub mir, ihr Bowlingarm ist ve rdammt gefährlich.« Wieder fanden seine Finger die Stelle, an der die Pfanne seinen Schädel getroffen hatte. Da war definitiv eine Beule. 31
Jack folgte Laurents Blick zur Schwingtür, durch die Cara und Lili eben entschwunden waren. Plötzlich hatte er eine Vision davon, wie seine Lippen Lilis berührten und ihre wunderschönen Augen ihn dabei voller Leidenschaft ansahen. Es dauerte nicht lang, bis er sich vorstellte, wie er an der Innenseite ihrer Oberschenkel hinaufstrich und dann kurz am Saum ihrer engen, blau schimmernden Shorts verweilte. Es wurde gerade richtig interessant,
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HotnessFaktor
als ihn das Aufprallen einer Pfanne auf den Boden zurück ins Hier und Jetzt beförderte. Laurent murmelte eine Entschuldigung, und Jack blinzelte, um seine überbordende Fantasie in Schach zu halten. Vielleicht sollte er die Kühlkompresse jetzt mal in seinen Schritt drücken? Evie, seine drachenähnliche Agentin, hatte sich klar ausgedrückt. Denk an den Vertrag, Jack. Verhalt dich schön unauffällig! Und ganz egal, was passiert: Lass dich auf keinen
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handelte. Er sollte die Angelegenheit einfach vergessen – besonders nach seiner desaströsen letzten Beziehung. Auch wenn Lili wirklich den schönsten derrière des gesamten mittleren Westens hatte.
ISBN 978-3-492-06206-0
Fall aufs Personal ein! Der Deal mit dem Medienkonzern war wie eine Rakete, die seine Marke in die Stratosphäre katapultieren würde. Schluss mit dem mickrigen Fernsehkram. Stattdessen würde er seine Botschaft von einer bezahlbaren Haute Cuisine so weit wie möglich verbreiten und sich dadurch mit Ruhm bekleckern. Er durfte sich also keinesfalls von Frauen ablenken lassen, selbst wenn es sich dabei um so verlockende Kandidatinnen wie Caras Schwester
REZEPTE AUS LOVE RECIPES
Jacks köstliches
TRÜFFELÖL-FOCACCIA
Zubereitung: Zutaten für zwei Personen: 600 g 400 ml 6 EL 2 Päckchen 2 TL 1 TL Rosmarin Salz
Weizenmehl Warmes Wasser Trüffelöl Trockenhefe Salz Zucker
Nimm dir eine Schüssel und mische darin das warme Wasser mit vier Esslöffeln des Trüffelöls sowie der Trockenhefe, dem Salz und dem Zucker. Gib dann das Weizenmehl hinzu und knete alles mit dem Knethaken deines Handmixers, bis ein schöner, glatter Teig entsteht. Decke den Teig danach mit einem Tuch zu, stelle ihn an einen warmen Ort und lasse ihn ca. eine Stunde gehen. Heize den Backofen auf 200 °C vor und gib den Teig auf ein Blech mit Backpapier. Er sollte etwa einen Zentimeter hoch sein, und in die Oberfläche kannst du mit den Fingern ganz einfach kleine Vertiefungen eindrücken. Jetzt musst du nur noch zwei Esslöffel des Trüffelöls darauf verstreichen und es mit etwas Salz und Rosmarin bestreuen. Auf mittlerer Schiene dauert es ca. zwanzig Minuten, bis das köstliche Focaccia fertig ist.
SCHLEMMEN WIE JACK UND LILI:
Einfach zu Pasta und Chianti genießen!
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Jacks verführerisches
ZIEGENKÄSE-KARAMELL-GELATO
Zubereitung: Ziegenkäse-Eis: 375 ml Vollmilch 150 g Zucker 225 g frischer Ziegenkäse (zerbröckelt) 6 große Eigelbe Gesalzene Karamellsauce: 225 g Zucker 12 EL ungesalzene Butter (Raumtemperatur, in Stücke geschnitten) 250 ml Sahne (Raumtemperatur) 1 TL Meersalz Eine Eismaschine
Bereite zunächst ein Eisbad vor und gib den Ziegenkäse in eine Schüssel. Anschließend erhitzt du Zucker und Milch gemeinsam auf niedriger Stufe, bis sich der Zucker auflöst. Lass alles abkühlen, verquirle dann das Eigelb und füge langsam die abgekühlte Zuckermilch hinzu. Dabei immer rühren, damit das Ei nicht stockt. Erhitze das Ganze nun langsam – wenn die Flüssigkeit dampft und leicht am Löffel kleben bleibt, ist sie fertig. Gib die Mischung durch ein Sieb zum Ziegenkäse und verrühre alles zu einer homogenen Masse. Platziere die Schüssel im Eisbad und lass den Inhalt unter Rühren abkühlen. Nach ein paar Stunden im Kühlschrank kann die Masse in die Eismaschine. Während der Kühlzeit kannst du die leckere Karamellsauce zubereiten. Dafür erhitzt du einfach den Zucker in einem Topf – nach ein paar Minuten schmilzt er und verklumpt. Warte unter Rühren, bis alles vollständig geschmolzen ist, gib dann die Butter hinzu und verrühre alles zu einer glatten Masse. Nimm den Topf vom Herd und füge die Sahne und das Salz hinzu. Lass nun alles etwa fünfzehn Minuten abkühlen, und schon kannst du die Sauce zusammen mit dem Eis servieren.
DIESES GELATO LÄSST
Herzen schmelzen! 35
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Zutaten für zwei Personen:
LESEPROBE
KELLY SISKIND
Love Like Magic D
ie Welt durch die rosarote Brille zu sehen war eine Spezialität von ihr. Eine sonnige Perspektive konnte manch bedeckten Himmel aufreißen lassen und die Welt mit Helligkeit fluten. Meistens fiel es ihr leicht, Widrigkeiten mit einem Lächeln zu begegnen. Doch heute Abend hatte Bea jeglicher Optimismus verlassen. »Machen Sie mir noch einen, Sir.« Sie ratterte die Aufforderung ungewollt schnell herunter, sodass ein Wort an das andere stieß. Der Barkeeper zog eine Augenbraue hoch. »Sind Sie sicher, dass das eine gute Idee ist? Sieht aus, als hätten Sie schon ein paar Drinks intus gehabt, bevor Sie hierhergekommen sind.« Bea stützte die Ellenbogen auf den Tresen und verzog nur kurz die Miene, als sie merkte, wie klebrig die Oberfläche war. »Ich weiß Ihre Fürsorge zu schätzen, aber das war mein erster Drink. Und würden wir wie in einem dieser Filme für einen Tag im Körper des anderen stecken, und Sie hätten die letzten dreizehn Stunden so erlebt, wie ich sie erlebt habe, würden Sie wissen, dass ich mich damit für das Guinness-Buch der Rekorde für den schlimmsten Pechtag ever qualifiziert
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hätte. Mir jetzt einen weiteren Drink zu verweigern wäre geradezu barbarisch.« Das Problem war, dass der Alkohol ihre übliche rosarote Brille beschlagen ließ. Oder vielleicht war es auch die Erkältungsmedizin, die sie genommen hatte, als sie in ihrer Handtasche keine Kopfschmerztabletten hatte finden können. Das rang dem Barkeeper ein Lächeln ab. »Barbarisch?« »Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.« Er schüttelte den Kopf und griff nach der Wodkaflasche im Regal hinter sich. »Vielleicht inhalieren Sie den hier einfach nicht so wie den letzten.« Mit dem zweiten Lemon Drop Martini in der Hand drehte sie sich auf ihrem Barhocker herum und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Die schummerige Beleuchtung machte ihre Augenlider schwer, die roten Teppiche und die dunklen holzvertäfelten Wände trugen zusätzlich zur schläfrigen Wärme der Bar bei. Jazzmusik untermalte das Stimmengewirr der Gäste. Die Sorte von Gästen, die ihr genauso fremd war wie der Rest von New Orleans. Komm mit mir in die Stadt des Mar-
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di Gras, hatte Nick sie angefleht. Nachts ziehen wir durch die Bars. Du kannst den ganzen Tag malen. Wir leben jede Minute, als wäre es unsere letzte! Ihr Freund, der inzwischen zum Ex geworden war, hatte allerdings vergessen zu erwähnen, dass er nach vier Tagen ihres Abenteuers die Regeln ändern und Bea wohnungsund arbeitslos in der Geburtsstätte des Jazz’ zurücklassen würde.
Sie sank auf ihre m H ocke r zusammen und klammerte sich mit be iden H ände n an ihre m Drink fe st. Sie trank nicht sofort davon, sondern koste te ihre leichte Be schwipstheit noch ein we nig aus, als ein Mann in Zylinde r und Umhang auftauchte.
schen war selten eine gute Idee. Sie blinzelte den Mann an. Der Zylinder war immer noch da, wodurch seine ohnehin schon hochgewachsene Gestalt noch größer wirkte. Der Umhang war ebenfalls noch da, und es war nicht einfach irgendein Umhang. Ein mitternachtsblauer Samtumhang mit aufgestickten Sternen. Es war eine Galaxie – weit, weit entfernt. Und doch hier. In einer Bar in New Orleans. Der Umhang sah weich und flauschig aus. Bea hätte am liebsten ihr Gesicht an dem plüschigen Stoff gerieben und sich darin eingerollt, dann hätte sie eine Woche lang schlafen und in einem anderen Leben wieder aufwachen können. Einem Leben, das nicht aussah wie eine Massenkarambolage aus fünfzig Autos. Der Mann im Zylinder schaute sie an, als würde er ihren sehnsüchtigen Blick spüren. Oder vielleicht hatte er auch gehört, wie sie gesagt hatte: »Mann, sieht der kuschlig aus.« Ein Gedanke, den sie aus Versehen laut ausgesprochen hatte.
Jep. Das war gerade wirklich passiert. Sie schaute auf ihr volles Glas und dann wieder die seltsame Erscheinung an, wobei sie sich fragte, ob sie nicht doch beschwipster war, als sie gedacht hatte. Sie hatte ihren ersten Drink tatsächlich wesentlich schneller getrunken als sonst, und Erkältungsmedizin und Alkohol zu mi37
Er ging auf sie zu, als wäre sie die einzige Person in dem lebhaften Getümmel der Bar, und blieb vor ihrem Barhocker stehen. »Sie können ihn gern anfassen, wenn Sie möchten.« Der Stoff sah aus der Nähe sogar noch weicher aus, doch es war der sinnliche Klang seiner dunklen Stimme, der sie dazu brachte, sich aufrechter hinzusetzen. »Sollten Sie nicht von Ihrem Umhang sprechen, wird das hier hässlich enden.« Sie war sich nicht zu schade, ihm ihren Drink ins Gesicht zu kippen. Seine Mundwinkel zuckten. »Ich spreche von meinem Umhang. Außer natürlich, Sie würden gern meinen Hut anprobieren.« Er tippte sich an die Filzkrempe. Sie war erleichtert, dass sie ihren guten Martini nicht verschwenden musste. Doch so, wie ihr Tag bisher gelaufen war, würde sie von dem Hut vermutlich Läuse bekommen. »Ich nehme keine Hüte von Fremden an. Oder Umhänge.« »Ich glaube, diese Regel gilt für Süßigkeiten, nicht für Umhänge.«
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»Was, we nn er mit eine m uralte n Zauberspruch be le gt ist und mich in irgende in finste re s Schloss ve rset zt, wo ich eingespe rrt und gefolte rt we rde, bis sie he rausfinde n, dass ich die Magie de s Umhang s nicht kont rollieren kann?« Beim Lächeln bildeten sich Fältchen in seinen Augenwinkeln. »Berechtigter Einwand.« Sein träger Blick wanderte an ihrem Körper hinab und wieder hinauf. Er musterte sie so ausgiebig, dass sie einen Schluck aus ihrem Glas nehmen musste. Schließlich streckte er ihr die Hand entgegen. »Ich bin Huxley.« In dem Moment, als sich ihre Finger – kalt und feucht von dem gekühlten Glas – in Huxleys großer Hand verloren, schoss ihr Hitze den Arm empor. Der Umhang hatte definitiv verborgene Kräfte. »Bea«, erwiderte sie. »Nett, Sie kennenzulernen.« Der netteste Moment ihres grauen Tages. Abgesehen von dem unauffälligen blonden Dreitagebart, der seine dramatischen Wangenknochen und die Adlernase unterstrich, war Huxley nicht im traditionellen Sinne gut aussehend. Zusammengezogene Haut
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beendete eine seiner Augenbrauen abrupt, ein Teil des rechten Ohrs fehlte, und eine dicke Narbe lief ihm über die linke Wange. Sein aschblondes Haar war auf unordentliche Weise gelockt, die Spitzen kringelten sich in seinem Nacken. Einzeln waren seine Gesichtszüge nicht besonders attraktiv, doch insgesamt gesehen hatte dieser Mann eine wilde Eleganz an sich. Als würde man von einem Monet einen Schritt zurücktreten, und alle Pinselstriche fügten sich zu einem Meisterwerk zusammen. Bis er sagte: »Bee, wie die Biene?« Jetzt war er mehr ein verstörendes Picasso-Gemälde als ein Meisterwerk von Monet. »Nein, wie Beatrice Baker, aber sollten Sie es wagen, auch nur einen Bienen-Witz zu reißen, leihe ich mir vielleicht doch noch ihren Umhang aus. Mal sehen, ob ich seine schlummernde Magie dazu nutzen kann, Sie in einen Colon rectum zu verwandeln.« Er lachte laut auf. »Wie bitte?« Sie bedachte ihn mit ihrem finstersten Blick. »Ein Kolonistenkäfer. Ziemlich hässliches Viech.« Da sie als Kind viel zu oft mit »Bienen«-Witzen aufgezogen worden war, hatte Bea sich besonders intensiv mit seltenen Insekten und Tieren beschäftigt. Je seltsamer der Name, desto besser. Wenn sie dann die Kinder, die sie ärgerten, damit beleidigte, verwirrte sie das nicht selten so sehr, dass sie fortan die Klappe hielten. Bei Huxley war der Effekt ein anderer, denn er grinste, als wäre er über ein vierblättriges Kleeblatt gestolpert.
Sie lehnte sich unwillkürlich nach vorn. »Sind Sie aus New Orleans?« »Das bin ich. Aber Sie nicht.« Sie erstarrte. Er konnte nicht wissen, dass sie gerade erst aus Chicago in die Stadt gekommen war, außer er war ihr hierher gefolgt. Nicht unmöglich, doch die einzige Person, die Grund hatte, sie zu verfolgen, war sogar noch größer und hatte einen kleinen Bierbauch. Big Eddie könnte natürlich auch jemand anderen auf sie angesetzt haben – einen Komplizen, der sie einschüchtern und bedrohen sollte. Nur dass ein Auftragskiller kaum so schamlos in Umhang und Zylinder herumspazieren würde. Außerdem hatte Big Eddie keinen blassen Schimmer, wo sie steckte. Sie entspannte sich wieder. »Woher wissen Sie, dass ich nicht von hier bin?« »Logische Schlussfolgerung.« »Weil Sie Hellseher mit fotografischem Gedächtnis sind und mir jetzt sagen können, was ich letzte Woche jeden Tag zu Mittag gegessen habe?« Seine Augen blitzten amüsiert auf. »Meine Methode ist viel einfacher.« »Dann nur raus damit.« Er zeigte auf ihren Schoß. »Der Schlüsselanhänger an Ihrer Handtasche hat Sie verraten.« Natürlich. Der Chicago-Bulls-Anhänger. Ein Geschenk ihres ExFreunds zu ihrem dritten Date. Sie stand nicht einmal auf Basketball, aber sie hatte ihn als süßes Andenken behalten. Jetzt war die Erinnerung nur noch bittersüß. Sie entfernte 39
den Anhänger vom Reißverschluss ihrer Handtasche und warf ihn auf den Tresen. »So, jetzt falle ich nicht mehr auf.« Huxley verlagerte das Gewicht, sodass die Distanz zwischen ihnen schrumpfte. »Eine Frau, die so schön ist wie Sie, fällt immer auf.« Wow. Ihr Puls hämmerte ihr bis zum Hals, und sie hatte Mühe, weiter ruhig zu atmen. Sie versuchte, seine ungewöhnliche Augenfarbe zu erkennen, doch das war in dem Dämmerlicht schwer, und als ein Mann vom anderen Ende des Raumes Huxleys Namen rief, war der Moment vorbei. Huxley drehte sich um, und sie starrte den Mann an, der ihn gerufen hatte … Denn solche Schnurrbärte waren doch eigentlich ausgestorben. Das war ein Schnurrbart mit Gesicht, die Art haariger Balken, der als Spielplatz für Miniatur-Kinder geeignet wäre. Ein Kletterbalken-Schnauzer! Sie schmunzelte über ihren eigenen Witz und warf einen prüfenden Blick auf ihr Glas. Es war immer noch halb voll, doch ihr Tag fühlte sich auf einmal nicht mehr so halb leer an, dank des Umhang tragenden Mannes neben ihr.
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»Bin gleich wieder da.« Sein MonetGesicht verfinsterte sich. Als er bei dem Besitzer des Kletterbalken-Schnauzers angekommen war, schielte Huxley zu ihr zurück, doch die aggressive Gestik des Schnauzer-Mannes lenkte seine Aufmerksamkeit schnell wieder auf ihn. Während sie an ihrem Drink nippte, beobachtete Bea den seltsamen Austausch und wünschte, sie wäre des Lippenlesens mächtig. Als sie ihren Lemon Drop Martini ausgetrunken hatte, winkte sie den Barkeeper wieder zu sich. »Noch einen, bitte.« Er nahm ihr leeres Glas entgegen. »Was halten Sie davon, wenn wir das zu Ihrem letzten machen? Sie sollten besser nach Hause gehen und sich ins Bett legen, damit dieser Guinness-Buch-der-Rekorde-Tag ein Ende hat.« Eine super Idee, falls sie ein Zuhause hätte – oder ein Bett. Es hatte sie an diesem Morgen nicht viel Mühe gekostet, ihre Kleider und ihre Pinsel zurück in ihren Rucksack zu stopfen. Dann hatte sie ihren gelben Käfer beladen – das treue Automobil war die einzige Konstante in ihrem Leben – und hatte viel zu lange in dem geparkten Wagen gesessen, um das Desaster zu verdauen. Hier war sie also, einmal mehr das Opfer eines sie sabotierenden Mannes. Sie zog ihr frisch gefülltes MartiniGlas zu sich und versuchte, die Anziehungskraft des Mannes im Umhang zu ignorieren. Sie war wirklich
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nicht in der Verfassung, irgendeinen Mann attraktiv zu finden. Nicht an einem Guinness-Buch-der-Rekorde-Sitzen-gelassen-werden-Tag. Ihren Lemon Drop Martini zu schlürfen war auch keine Option mehr, als sie sich aus Versehen den Strohhalm in die Wange rammte. Schnaufend schob sie ihn beiseite und leerte das Glas in einem Zug. Als sie sich mit dem Handrücken über den Mund wischte, drehte sich der Raum um sie. Sie blieb noch eine Weile sitzen und klammerte sich an dem Glas fest, während sie darauf wartete, dass sich ihr Gleichgewichtssinn wieder normalisierte. Ihre Probleme waren erdrückend. Sie hatte keinen Job. Keine Wohnung. Der Alkohol hatte ihr keine neuen Erkenntnisse geliefert, genauso wenig wie die Monotonie des sich in ihren Händen drehenden Martiniglases. Sie konnte die Zeit nicht zurückdrehen, um Nick zu sagen, dass er sich sein »Es ist für uns das Beste«-Gesicht sonst wohin stecken konnte. Es war Zeit zu gehen. Nachdem sie dem Barkeeper bezahlt und ein Trinkgeld auf den Tresen gelegt hatte, hüpfte sie vom Barhocker. Die Wände vollführten eine Drehung – ein unschönes Gefühl. Sie hatte doch nur drei Drinks intus. Genug, um sich ein wenig beschwipst zu fühlen, aber sicher kein Grund, dass sich die Bar in ein Karussell verwandelte. Die Erkältungsmedizin, die sie genommen hatte, um ihre Kopfschmerzen zu kurieren, musste schuld sein, es gab keine andere Erklärung. Die waren zwar tatsächlich verschwunden, aber
dieses Schwindelgefühl konnte ihr jetzt zum Verhängnis werden. Toilette. Sie musste es nur zu den Toiletten schaffen, sich ein wenig Wasser ins Gesicht spritzen, und sie wäre wieder so neu wie gut. Oder so gut wie neu. Sie würde diesen Nebel abschütteln und sich einen Plan überlegen. Im Klartext: Sie würde in ihrem Auto übernachten und hoffen, in einem dieser Körpertausch-Filme aufzuwachen. Vielleicht konnte sie Emma Stone sein. Das war doch eine Frau mit Rückgrat, die keine Skrupel hatte, Männern die Meinung zu geigen. Außerdem waren sie beide der rothaarige Sommersprossen-Typ. Emmas Brüste waren kleiner, also würde sich Bea endlich mal nicht mehr wie eine Trinkgeld-geile Hooters-Kellnerin fühlen, wenn sie ein enges Top trug. Doch Bea hatte eine Sanduhr-Figur mit einer Extrastunde, die ihr Hinterteil ausfüllte, was sie mochte. Wenn sie recht darüber nachdachte, gefiel Bea ihr Körper so, wie er war. Es waren eher ihr Leben und ihr Rückgrat, die ausgetauscht werden mussten. Sie war derart in Gedanken, dass sie gar nicht gemerkt hatte, wie sie auf die Toilette gegangen war, die Spülung betätigt und die Kabine wieder verlassen hatte. Sie konnte nur hoffen, sich nicht auf die Klobrille gesetzt zu haben. Neben ihr trug eine dunkelhäutige Frau mit wasserstoffblonden Locken roten Lippenstift auf. Sie warf Bea einen Blick zu und pfiff durch die Zähne. »Da hatte jemand ’nen harten Abend, was?« 41
Bea seufzte ihr verschwommenes Spiegelbild an. »Ich habe eine falsche Entscheidung getroffen.« Eine, die nicht ihr Leben aus der Bahn werfen sollte. Nick war zwar ein Vollidiot, aber sie war immerhin in New Orleans. Einer bunten Stadt mit Männern in Umhängen und mit Kletterbalken-Schnauzern. Der perfekte Ort, ihre kreativen Kräfte wieder aufzutanken. Sie brauchte den Vollidioten Nick nicht dafür, neu anzufangen. Wie um sich das selbst zu beweisen, wühlte sie in ihrer Handtasche nach dem Wassermelonen-Lipgloss und schaffte es tatsächlich, eine Schicht aufzutragen. Alles auf der Welt ging besser mit Wassermelonen-Lipgloss. Sie versuchte, mit laszivem Hüftschwung vor die Tür zu treten, doch vermutlich gelang ihr nicht mehr als ein schwindeliges Taumeln. Sie schaffte es nach draußen, wo sie nach Luft schnappte wie ein ertrinkender Schwimmer, der wieder die Wasseroberfläche durchbrach. Der erste Atemzug half gegen den Nebel in ihrem Kopf. Der zweite klärte ihren Blick. Kurz darauf wünschte sie sich, es wäre nicht so. Dort, auf der anderen Straßenseite, lief niemand anderes als Nick – Hand in Hand mit seinem Date. Die Bar war nicht weit von seiner Wohnung entfernt, etwas, das sie hätte bedenken sollen, ehe sie sich dorthin geflüchtet hatte. Sofort kehrte die für sie uncharakteristische Wut zurück. Sie liebte Nick nicht. Nach New Orleans zu ziehen und ihre Vergangenheit zurückzulassen hatte sie 42
genauso für sich selbst getan wie für Nick. Aber sie hatte darauf vertraut, dass der Mann sie nicht aus heiterem Himmel verlassen würde … für eine andere Frau. Nach vier Tagen. Weil er ehrlich war. Sie dachte darüber nach, über die Straße zu laufen und ihm zu sagen, dass er sich verpissen solle.
Sie hasste Konfrontatione n ge nauso se hr wie grüne Lutsche r, aber ihn als buckligen Anglerfisch oder mickrige Schwanzmeise zu be schimpfen würde ihr je tzt nur ge ringfügige Befrie digung ve rschaffe n. Da bemerkte sie seinen schwarzen Mustang. Einen halben Block entfernt parkte sein geliebtes Auto am Straßenrand. Nick ging in die andere Richtung davon, und Beas Aufmerksamkeit richtete sich auf seinen Wagen. Sie war kein boshafter Mensch. Ihr Rücken war quasi aus Teflon, sodass Ärger und Stress einfach daran abperlen konnten. Und doch beäugte sie Nicks Angeberkarre jetzt mit teuflischen Absichten. Sie erkannte sich selbst nicht wieder. Schon in jungen Jahren war sie die Vernünftige gewesen, die dafür ge-
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sorgt hatte, dass nie der Strom abgedreht oder die Heizung kalt wurde. Sie brüstete sich damit, dass sie das einzige Mitglied der Baker-Familie war, von dem noch kein Verbrecherfoto gemacht worden war. Also? Total vernünftig. Was bedeutete, dass ihre nächste Tat einzig und allein Nicks »Ehrlichkeit« zuzurechnen war. Außerdem hatte sie ihre Theorie, was das Betrügen anging, revidiert: Mit einer Frau am selben Tag auszugehen, an dem man mit seiner Freundin Schluss gemacht hatte, war definitiv nicht die feine Art. Sie ging auf den Mustang zu. Er will Ehrlichkeit? Also bekommt er Ehrlichkeit. Sie zog ihre Autoschlüssel aus der Handtasche. Ehrlich gesagt halte ich dich für einen stinkenden Mistkäfer. Sie umklammerte die Schlüssel mit der Faust. Unwillkürlich musste sie an ihren Vater denken. An das schwache Achselzucken, mit dem Franklyn Baker zugegeben hatte, ihre sämtlichen Ersparnisse verspielt zu haben, und daran, wie sie ihn anstatt einer Reaktion nur hatte anstarren können. Ihr verwegenes Grinsen verschwand. Die Schlüssel gruben sich in ihre Handfläche.
Ich bin nicht der Fußabtreter irgendeines Mannes. Huxley Marlow war daran gewöhnt, im Mittelpunkt zu stehen. Er hatte den Großteil seiner Jugend und Erwachsenenzeit auf der Bühne verbracht. Er hatte keine Skrupel, in Zylinder und Umhang herumzulaufen, doch es kam nicht oft vor, dass eine sexy Rothaarige sich gern in seinen Umhang kuscheln wollte. Die meisten Frauen kicherten und starrten ihn an – verständlicherweise. Manche zuckten sogar zusammen, wenn sie seine Narbe bemerkten.
Diese Frau trug knallpinke H osen , und ihre türkis-ge punkte te Bluse brachte ihn unwillkürlich zum Schmunze ln. Dann noch diese fantasievolle Geschichte zu se inem Umhang , und er hätte um ein H aar losgelacht. Er. Gelacht. Ein Mann, de r se ine finste re Mie ne eige nt lich se lte n able gte. Dann war da noch die Sache mit dem Colon rectum. Aber ehe er sie nach ihrer seltsamen Tierbeleidigung hatte fragen 43
können, oder warum sie alleine hier war und einen traurigen Schatten hinter den verspielten Sticheleien zu verbergen schien, hatte sein wachsamer Erzfeind ihn fortgelockt. Der Große Otis Oliphant fixierte Huxley mit einem undurchdringlichen Blick. Die gezwirbelten Enden seines Schnauzers zuckten. »Du hast geschummelt.« »Natürlich habe ich geschummelt.« »Deine Fähigkeiten sind unkultiviert. Nichts als ein Haufen billiger Tricks.« Huxley bedachte ihn mit einem herablassenden Grinsen. »Und wer geht hier heute mit einem Stapel Zwanziger und einer neuen goldenen Rolex raus?« Oliphant klemmte die Daumen unter seine Hosenträger und starrte Huxleys Handgelenk finster an. Die schwere Rolex hing lose daran. Oliphants Miene verfinsterte sich weiter. »Deine Ausführung ist schlampig.« Huxley tippte sich an den Hut. »Wenn du mein Handwerk noch einmal schlampig nennst, werde ich dir nicht die Gelegenheit geben, dein Geld zurückzugewinnen und deinen Stolz zu wahren.«
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»Das ist gegen die Regeln.« Das war es. Huxley wusste es nur zu gut. Er wusste auch, dass sein Kommentar Oliphant unter den zuckenden Schnauzer gehen würde. Beim wöchentlichen Pokerspiel im Crimson Club gab es drei wichtige Regeln. Regel Nummer eins: Nur professionelle Zauberer durften teilnehmen. Regel Nummer zwei: Der Gewinner gewährte seinen Mitstreitern immer eine Revanche. Regel Nummer drei: Taschenspielertricks waren nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht. Wenn man Karten zählen, Falschmischen oder andere Tricks anwenden konnte, um zu gewinnen, hatte man es verdient, den Pokertisch zu beherrschen. Außerdem konnte man sich dann rühmen, der König oder die Königin der Magierszene von New Orleans zu sein. Huxleys Glückssträhne war inzwischen legendär. Huxley warf einen Blick über die Schulter. Beatrice Baker war verschwunden, und Enttäuschung machte sich in ihm breit. Statt mit einer interessanten Frau zu reden, war er bei Otis Oliphant hängen geblieben. Genervt schaute er übertrieben auffällig auf seine neue Armbanduhr. »So aufregend dieses Gespräch mal wieder ist, ich brauche meinen Schönheitsschlaf. Dann bis nächste Woche?« Oliphant brummte etwas in seinen überdimensionierten Bart und drückte sich an Huxley vorbei. Der nahm das mal als Ja. Das geplatzte Rohr, das seinen Theater-Heizungskeller am
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Morgen geflutet hatte, war nur ein weiterer Punkt auf seiner stetig länger werdenden Reparaturliste, direkt unter dem verzogenen Dach, dem bröckelnden Putz und den Funken schlagenden Scheinwerferlichtern, von denen jederzeit die Gefahr eines Stromschlags ausging. Wenn das nicht aufhörte, würde er noch die nächsten fünf Jahre im Poker gewinnen müssen, um das baufällige Gebäude zu reparieren. Huxley rieb sich die Augen und stellte sich vor, wie sein Vater voller Reue auf ihn niederblickte und sich fragte, warum er ausgerechnet seinem ältesten Sohn das Vermächtnis des Fabelhaften Max Marlow anvertraut hatte. Sein Vater hätte in seinem Testament nicht eindeutiger sein können, was Huxleys Erbschaft anging. Das Theater, in dem er und seine vier Brüder aufgewachsen waren, in dem sie von ihrem Vater Magie erlernt und ihm dabei zugeschaut hatten, wie er die Menge ein ums andere Mal in seinen Bann schlug, sollte unter Huxleys Leitung florieren. Der 1977er mitternachtsblaue Mustang Cobra mit den weißen Nadelstreifen auf der Kühlerhaube sollte ihm gehören, um seinen makellosen Zustand zu bewahren. Max Marlow hatte seinen wertvollen Samtumhang an seinen ältesten Sohn vererbt, mit der Nachricht: Sei magisch. Sein Handy vibrierte, und er runzelte die Stirn, weil er sich fragte, wer ihn um die Uhrzeit noch anrief. Er schob den Umhang zurück und zog das Telefon aus der Hosen-
tasche. Beim Anblick von Ashlynns Name auf dem Display verfinsterte sich seine Miene. Es gab nur einen Grund, warum ihn seine Assistentin anrufen konnte, und es bedeutete nichts Gutes. Er könnte ihren Anruf ignorieren, behaupten, sein Akku sei leer gewesen, doch das Gespräch aufzuschieben würde an den Tatsachen nichts ändern. Er schob sich auf einen Barhocker und versuchte, möglichst fröhlich zu klingen, als er das Gespräch entgegennahm. »Genau die Frau, von der ich hören wollte. Ich hatte ein paar Ideen für neue Nummern, die deine Fähigkeiten besonders hervorheben.« Was zum Beispiel bedeutete, dass er vorhatte, ihren zierlichen Körper in einer Unzahl von Boxen verschwinden zu lassen. Ihr Seufzen war schon Antwort genug. »Hey, Hux. Ich habe den Job bekommen. Den, mit dem ich tatsächlich Geld verdienen kann.« Pause. Noch ein Seufzen. Dann: »Ich hätte dir gern eine richtige Kündigung geschrieben, aber ich soll morgen schon anfangen.« Huxley fluchte in sich hinein. »Du kannst mich doch nicht einfach so im Stich lassen, Ash. Du weißt, dass wir großartig zusammen sind. Und ich habe gerade eine große Pokerrunde gewonnen. Ich habe eine Rolex mit deinem Namen darauf.« »Du weißt, dass ich euch Jungs echt gern mag, aber ich kann nicht von Pokerspiel zu Pokerspiel leben. Du wirst deine Nummern ohne mich umbauen müssen. Tut mir leid, aber heute Abend war meine letzte Show.« 45
Huxleys Vater hatte seinen Kindern die Grundregeln der Magie eingetrichtert, eine der wichtigsten lautete: das Publikum durch Schönheit ablenken. Mann oder Frau, das tat nichts zur Sache, solange ihre Attraktivität die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zog und damit weg von den Tricks des Zauberers.
H uxle y war nun aber ein Magie r ohne Assiste ntin. Er musste wohl oder übel ohne schöne Able nkung auf de r Bühne ste he n. Ein Mann, de r mit je de m we ite re n Ung lück se inen Traum ein we nig mehr aus de n Auge n ve rlor. »Ich verstehe schon, Ash. Danke für alles.« Er musste nachdenken, umdenken. Eine neue Assistentin finden und eine zuverlässigere Einnahmequelle. Es gab nur einen Ort, an dem Huxley wirklich nachdenken konnte, und das war hinter dem Steuer seines Mustangs. Das Schnurren des Motors klärte seinen Kopf und beruhigte seine Nerven. Er hatte mit seinem Vater an jedem Zentimeter des Wagens gearbeitet: Nächte voller Tüfteln, Männergesprächen und Scotch. Mit wehendem Umhang marschierte Huxley aus dem Club, bereit, 46
seinen Fuß aufs Gas und seinen Kopf in Gang zu setzen. Er trat auf den Bürgersteig hinaus. Er wandte sich seinem Auto zu. Er sah rot. Eine Rothaarige, um genau zu sein, und zwar die mit dem Umhang-Fetisch. Beatrice Baker hockte neben seinem Auto und war mit irgendetwas intensiv beschäftigt. Die Enttäuschung über ihr Verschwinden legte sich, dafür wuchs seine Neugier. Er legte den Kopf schief und fragte sich, warum sie neben seinem Mustang hockte. Normalerweise liebte Huxley es, unlösbare Puzzle zu lösen. Sein Appetit darauf, das Bizarre entschlüsseln zu wollen, machte ihn zu einem außergewöhnlichen Magier. In diesem Fall gab ihm das höchst unangenehme Quietschen von Metall auf Metall den entscheidenden Hinweis auf das schändliche Treiben der Frau. Jetzt sah er tatsächlich rot.
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© FinePic®
ISBN 978-3-492-06186-5
HotnessFaktor
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LESEPROBE
MICHELE CAMPBELL
Stranger
DU WIRST IHM VERFALLEN
A
m Strand war ein Fremder. Er stand vor meinem Haus und starrte es an, als wollte er es für einen Einbruch auskundschaften. Manchmal schleicht sich das Schicksal an dich heran. Aber Aidan Callahan näherte sich mir nicht unbemerkt. Er war dreist. Er stand dort mitten auf dem Sand, starrte hoch zu meinem funkelnagelneuen Strandhaus und sah aus, als führe er nichts Gutes im Schilde. Ich konnte ihn deutlich sehen, als ich durch die Panoramafenster über den Infinity-Pool hinweg zum Ozean schaute. Ja, er war äußerst attraktiv. Doch ich war seit zwanzig Jahren glücklich verheiratet und liebte meinen Mann, und ich nahm es kaum wahr. Was ich registrierte, war, dass dieser Kerl stark aussah. Auf gefährliche Weise. Und er war angezogen wie ein Einheimischer. Weite Sportshorts, Tanktop, und an seinem Hals funkelte eine Goldkette. Leute wie er hassen Leute wie mich, und manchmal rauben sie sie aus. Es hatte in letzter Zeit eine Reihe von Einbrüchen gegeben, in einige der großen Häuser. Die Sommerleute fanden, dass die ortsansässigen Cops sich mit der Aufklärung reichlich Zeit ließen, vielleicht, weil die Täter Jungs von hier
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waren. Als ich Aidan dort stehen sah, waren diese Einbrüche das Erste, das mir in den Sinn kam, und mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Ich werde Ihnen alles erzählen, was passiert ist, von Anfang an. Mein erster Eindruck von Aidan war, dass er ein potenzieller Einbrecher war. Wenn ich mich doch nur auf meinen Instinkt verlassen hätte, dann hätte ich mich umgedreht und wäre in die andere Richtung gelaufen. Aber das habe ich nicht getan. Ich ging auf ihn zu. Und ich werde mir ewig die Schuld geben für das, was danach kam. Es war ein heißer, schwüler Tag, zwei Wochen nach dem Labor Day, und die Steilküste hatte sich geleert. Die Sommerleute waren alle wieder in der Stadt, zurückgeblieben waren bloß ich und meine Nachbarin von nebenan, die alte Mrs Eberhardt. Sie hat einen kläffenden kleinen Köter, der mich jeden Morgen um halb sechs aufweckt. Wie Sie sich vorstellen können, haben wir einander nicht viel zu sagen, also war ich praktisch allein am Strand. Ich wartete schon den ganzen Tag darauf, dass der Techniker
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auftauchte, um bei mir eine Alarmanlage zu installieren. Das Haus hatte nach wie vor diesen Geruch nach frischer Farbe an sich. Ein paar Kleinigkeiten mussten noch erledigt werden, und die Alarmanlage war einer der letzten Punkte auf der Liste. Die Firma hatte mir für die Installation ein Zeitfenster von zehn bis zwei Uhr genannt, was mir nur recht war, weil ich noch einiges für die große Einweihungsparty vorbereiten musste, die ich in wenigen Tagen geben würde. Endgültig festlegen, wer alles eingeladen war, Menüs fürs Catering aufstellen, die Lieferung des Zelts organisieren, mit dem Parkservice verhandeln, versuchen, einen Fotografen vom Avenue-Magazin dazu zu bringen, vorbeizukommen und Fotos für den Gesellschaftsteil zu machen. Und so weiter. Stunden verstrichen, und der Alarmanlagen-Typ war immer noch nicht aufgetaucht. Um vier rief ich an, um mich zu beschweren, und man sagte mir, dass der Techniker ausgebucht war und sie den Termin auf nächste Woche verschieben mussten. Typisch. Ich dachte daran, mir die Flasche Gin aus dem Schrank zu schnappen und mir einen schönen starken Cocktail zu mixen, um meinen Frust zu lindern. Aber es dauerte noch ein paar Stunden, bis es dunkel wurde, und ich entschied, mich zurückzuhalten. Stattdessen würde ich am Strand joggen gehen. Während ich mir die Laufschuhe schnürte, überkam mich der Drang, meiner Tochter eine Nachricht zu schreiben. Hannah war gerade erst aufs College gegangen, und ich
hatte Schwierigkeiten, loszulassen. Ich ließ den Haargummi an meinem Handgelenk kräftig schnalzen, um das ernüchternde Brennen zu spüren. Diesen Trick hat mir meine Schwester beigebracht. Aversionstherapie. Sie hat sich damit das Rauchen abgewöhnt, und jetzt wollte ich so davon wegkommen, eine Helikopter-Mom zu sein. Es funktionierte. Der Drang verschwand. Ich ging durch die Glastüren hinaus auf die Terrasse und atmete einen tiefen Zug der salzigen Luft ein. Jenseits der Steilküste war das Meer zu sehen, und man konnte das Brechen der Wellen von hier hören. Die Brandung war rau heute, und doch versäumte sie es nie, mich zu beruhigen. Und ich musste wirklich dringend etwas runterkommen. Dass Hannah ausgezogen war, hatte mich aus der Bahn geworfen und mir nur allzu bewusst gemacht, wie allein ich mich fühlte. Mein Mann Jason war geschäftlich ständig unterwegs. Genau genommen hatte er noch keine einzige Nacht im Strandhaus verbracht, trotz der Tatsache, dass wir all unser Geld hineinsteckten. Die Villa löste ganz viel Stress zwischen uns aus. Es war mein Traum, nicht seiner. Wir hatten eisern gespart, um das Grundstück zu kaufen, das zwar nicht besonders groß war, jedoch eine erstklassige Lage hatte. Wir hatten noch mehr Geld auf die hohe Kante gelegt, um ein wunderschönes Haus darauf zu bauen. Zwischen Jason und mir lief es nicht gut, aber um ganz ehrlich zu sein, war mir das damals noch nicht so richtig bewusst. Es war 49
bloß ein nagendes Gefühl in mir, das mich kribbelig und unzufrieden machte. Allerdings unterdrückte ich es. Ich sagte mir: Er arbeitet viel. Er ist der Ernährer der Familie. Ein guter Vater. Ich sollte mich nicht beklagen. Ich zog das Tempo an. Meine Beine kämpften sich durch den zuckerfeinen Sand, der die Sohlen meiner Sneaker anzusaugen schien, Sauerstoff pumpte durch meine Adern. Ein Lichtstrahl brach durch die Wolken und erhellte das Wasser zu einem funkelnden Grün. Ich lief über eine Meile am Strand entlang und erlaubte mir erst, stehen zu bleiben, als ich draußen an der Spitze war. Dann beugte ich mich keuchend vornüber und hielt mir die Seiten, bis ich wieder zu Atem kam. Ich würde im November dreiundvierzig werden, und ich war der Meinung, dass ich immer noch gut aussah. Aber in letzter Zeit deuteten sich doch Spuren an, dass ich mittleren Alters war. Fältchen um die Augen, die ich mit Make-up überdeckte, vereinzelte graue Haare, die ich mit Strähnchen tarnte. Fitness kann man allerdings nicht faken. Ich musste wieder zurück in meinen Pilateskurs oder einen Trainer engagieren. Das Haus fertigzustellen hatte einfach zu viel Zeit und Energie gekostet. Nun, da Hannah aus dem Haus war, sollte ich mich wieder auf mich konzentrieren. Die Wolken zogen sich zusammen und färbten den Himmel schwarz. Ich konnte den Regen bereits riechen. Ich hatte mir nicht die Wettervorhersage angesehen, bevor ich losgelaufen war, aber es hieß allgemein, dass mit einem stürmischen Herbst und einer 50
schlimmen Hurrikansaison zu rechnen war. Als jetzt das erste Donnergrollen erklang, drehte ich mich um und lief zurück. Zehn Minuten später war ich wieder auf meinem Stück der Steilküste, mit freier Sicht auf mein Haus. Ein gewaltiger Donnerschlag krachte, und ein lebhafter Blitz zerriss den Himmel. Und da war er wieder, wie ein Dämon, der sich wie aus dem Nichts materialisiert hatte. Der Fremde, den ich vor einer Stunde durch mein Küchenfenster gesehen hatte. Wieder starrte er. Sein Anblick ließ mich wie angewurzelt stehen bleiben. Ich konnte sehen, dass er ein Townie, ein Ortsansässiger, war, dass er nicht in meine Nachbarschaft gehörte. Das klingt vielleicht versnobt. Doch ich kam aus keiner reichen Familie und meinte es nicht so. Um genau zu sein, erinnerte Aidan mich an jenem Tag an meine eigenen Leute. Meine Brüder und ihre Freunde, die damals an heißen Nachmittagen vor unserem Haus Streethockey gespielt hatten. Ich habe diese Jungs geliebt, aber sie waren bei Weitem keine Engel gewesen. Ich weiß, wovon ich rede. Ich erkenne Auskundschaften, wenn ich es sehe, und als ich Aidan beobachtete, wusste ich genau, was er tat. Ich bin alles andere als schüchtern und ich kann gut auf mich selbst aufpassen, also ging ich auf ihn zu, fest entschlossen, etwas zu sagen. »Hey! Hey, kann ich Ihnen helfen?«, schrie ich. Der Wind riss meine Worte fort. Doch irgendwie hörte er es, drehte sich um und lächelte mich an. Das Lä-
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cheln nahm ich definitiv wahr. Es war wie die Sonne, die durch die Wolken bricht, und all mein Argwohn schmolz dahin. Er hat mich zum Narren gehalten. Jedem kann das passieren. »Ist das Ihr Haus?« Er sagte das, als kenne er die Antwort bereits. Das hätte mir auffallen sollen, und ich hätte realisieren sollen, dass das eigenartig war. Aber ich sah es nicht. Ich sah nur ihn. »Ja«, sagte ich. »Es ist wunderschön.« »Danke.« »Ich bin Aidan«, sagte er und streckte mir die Hand hin. Ich nahm sie. »Caroline.« »Caroline. Hübscher Name.« »Danke.« Seine Hand war warm. Seine Augen waren von einem intensiven Blau. Musternd sah er mich an. Ich fühlte mich, als hätte ich einen Knoten in der Zunge. Er musste zehn bis fünfzehn Jahre jünger sein als ich. Er schien kurz davor zu sein, noch etwas sagen zu wollen, doch dann öffnete der Himmel seine Schleusen und es fing an zu schütten. »Sie sollten reingehen, bevor Sie noch ganz durchnässt werden«, sagte er. Das war sie, unsere ganze Unterhaltung. Mit einem angedeuteten Winken drehte er sich um und lief davon. Dabei war er so lässig, so ungezwungen, dass ich den Gedanken völlig vergaß, er könnte ein Einbrecher sein. Der Strand, auf dem er gestanden hatte, war öffentlich zugänglich. Er hatte das Recht, dort zu sein, und ich dachte mir, dass er
einfach nur ein Kerl war, der stehen geblieben war, um sich ein schönes Haus anzusehen. Zweimal. Okay. Aber das ist kein Verbrechen. Ich ging rein und versuchte, ihn mir aus dem Kopf zu schlagen, doch das gelang mir nicht ganz. Mein Interesse war geweckt. Meine Wachsamkeit hatte nachgelassen. Mein Leben war nicht in Ordnung. Die Kombination dieser Dinge sollte sich als mein Untergang erweisen. An dem Abend, nachdem ich Aidan zum ersten Mal gesehen hatte, brach meine zwanzigjährige Ehe auseinander. Ich schwöre, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hatte. Es war ein absolut außergewöhnlicher Zufall, der schlimmste meines Lebens. Ich saß gerade barfuß auf der großen L-förmigen Couch im Wohnzimmer, ging meine Gästeliste für die Einweihungsparty durch und ahnte nichts Böses, als Jason anrief, um mir zu sagen, dass er nicht zur Party kommen würde. Und das war noch nicht mal der schlimme Teil. »Liebling, es tut mir leid. Ich schaffe es nicht zu deinem Einweihungspartydings«, hatte er es ausgedrückt. »Meinem Einweihungspartydings? Soweit ich mich erinnere, gehört dieses Haus uns beiden.« »Du weißt, was ich meine.« »Ist das dein Ernst, Jason? Das ist nicht okay. Du musst kommen. Das ist nicht nur eine Einweihungsparty. Die Feier ist auch anlässlich deines Geburtstags.« »Mein Geburtstag ist erst nächsten Monat.« 51
»Aber ich habe es auf die Einladung geschrieben. Ich habe eine teure Torte bestellt. Ich habe Leute aus deiner Firma und deinem Golfclub eingeladen.« »Darum habe ich dich nicht gebeten.« »Nun, sie kommen aber. Und weißt du, wer noch kommt? Leute, die ich von meiner Arbeit als Innenarchitektin beeindrucken muss.« »Tut mir leid, Schatz. Ich würde ja, wenn ich könnte, aber ich stecke hier in Cleveland bei diesem Deal fest.« Cleveland? Was zum Teufel sollte das? Er hatte mir gesagt, dass er nach Denver fliegt. Und da war mir schlagartig alles klar. Er log. Ich klemmte mir das Telefon zwischen Ohr und Schulter und nahm mein iPad vom Beistelltisch. Durch unseren Familientarif kann ich all unsere Geräte tracken. Das hatte ich ein paarmal bei Hannah gemacht, als sie spätabends noch unterwegs war. Allerdings hatte ich noch nie Jason hinterherspioniert — so ahnungslos war ich. Nun öffnete ich Find my iPhone und wartete darauf, dass die Karte lud und mir seinen Aufenthaltsort zeigte. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich konnte spüren, dass gleich etwas Schlimmes kommen würde. Und verdammt, wie recht ich hatte. Jason war weder in Cleveland noch in Denver. Er war in New York City, drei Stunden Fahrt von mir entfernt. Aber nicht in unserer Wohnung. Sondern in der Nähe des Times Square. Um halb elf Uhr abends. Ich zog die Karte größer. Diese Adresse — es war 52
das Marriott Marquis. Er war in einem verdammten Hotel in Manhattan. Was für eine Idiotin ich doch war! Jason war nie zu Hause, und dennoch hatte ich nie Verdacht geschöpft. Er war verschlossen und schwer zu erreichen, und das nun schon seit einer ganzen Weile. Er bekam spätabends Anrufe und ging aus dem Zimmer, um sie anzunehmen. Wenn er geschäftlich unterwegs war, war es unmöglich, ihn dazu zu bringen, mich zurückzurufen. Aber irgendwie hatte ich es nie kommen sehen. Ich war viel zu vertrauensselig. Nein, halt, damit lasse ich mich zu leicht davonkommen. Die ungeschminkte Wahrheit ist, dass ich nicht nur ziemlich blauäugig bin. Sondern auch verdammt eingebildet. Mir war nie in den Sinn gekommen, dass ein Mann mich betrügen würde — zumindest nicht, dass Jason das tun würde. Ich war in der Highschool Cheerleaderin und auf dem College Fachschaftspräsidentin gewesen. Ich hatte jeden Kerl und jeden Job bekommen, den ich je haben wollte. Jason hatte immer gesagt, dass ich seine Traumfrau war. Ich hatte nie an ihm gezweifelt, weil ich nie an mir selbst gezweifelt hatte. Doch ich lag falsch. Seine Gefühle für mich hatten sich geändert. Wann war das passiert? Wie lange lief das Ganze schon? Das alles haute mich völlig um. »Caroline? Bist du noch da?« Ich holte tief Luft. Ich würde nicht weinen. Ich würde ruhig sein und nicht die Fassung verlieren, aber ihn direkt darauf ansprechen, da ich schließlich kein Fußabstreifer war. Ich
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würde ihn zwingen, mir die Wahrheit zu sagen. »Was verschweigst du mir, Jason?« »Was? Gar nichts.« »Das glaube ich dir nicht. Du verbirgst doch etwas.« »Wovon redest du überhaupt?« »Betrügst du mich?« »Natürlich nicht. Mach dich nicht lächerlich«, erwiderte er. »Ich muss los«, sagte ich und legte auf. Dann saß ich auf dem Sofa, zu fassungslos, um zu weinen. Es war, als wäre ich während dieses einen Telefonats um zwanzig Jahre gealtert. Mir war bis dahin nicht bewusst gewesen, dass ich nicht mehr die kleine Caroline Logan war, mit meinem hohen Pferdeschwanz, meiner guten Figur, meinem Cheerleader-Outfit. Ich war Caroline Stark, eine Frau mittleren Alters, mehr oder weniger erwerbslose Hausfrau und Mutter, deren Kind das Nest verlassen hatte. Und mein Mann betrog mich. *** Um Punkt sieben begann die Band zu spielen. Sie war in einem Zelt auf dem Rasen postiert, auf einer Seite des Swimmingpools. Die Musik schwebte auf der Meeresbrise dahin, während die Kellner in weißen Jacken raus- und reinflitzten, um Chili-LimettenShrimps und Gläser mit Rosé auf Tabletts herumzureichen. Ich nahm mir einen Wein und dachte, ich sollte mich eigentlich amüsieren. Das ist mein großer Abend. Ich darf nicht zulassen, dass Jason ihn mir kaputt macht. Was allerdings leichter gesagt als getan war. Er war noch nicht
aufgetaucht, und ich konnte nicht aufhören, die Tür im Auge zu behalten. Im Wohnzimmer bezog ich Stellung vor der beeindruckenden Fensterwand, die aufs Meer hinausblickte. Ich trug ein weißes Kleid passend zum Dekor. Ich war ein wenig besorgt gewesen, dass niemand kommen würde, dass sie Ende September nicht mehr aus der Stadt hier rausfahren würden. Aber die Gäste kamen in Scharen. Alle bis auf den Menschen, auf den ich wartete. Jedes Mal, wenn sich die Eingangstür öffnete, schaute ich hoch und setzte ein so breites Lächeln auf, dass es sich anfühlte, als würden mir die Wangen bersten. Und jedes Mal, wenn es nicht mein Mann war, musste ich tief durchatmen, um die Panik zurückzudrängen. Ich machte den Gästen gegenüber Ausflüchte, was Jasons Abwesenheit betraf, während wir uns mit Umarmungen und Luftküsschen begrüßten. Ich brachte es nicht über mich, der Welt zu sagen, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wo mein eigener Ehemann steckte. Alles, was ich wusste, war, dass ich mit jeder Sekunde, die verstrich, wütender wurde, und unsicherer und verletzter. Die Gäste waren zu höflich, um Jasons Abwesenheit zu kommentieren, bis meine Schwester Lynn mit ihrem Mann Joe hereinspazierte. Lynn, die Gute, nimmt in der Regel kein Blatt vor den Mund, wie alle Logans, aber sie ist nicht gemein. Nur völlig unsensibel. Sie ist von meinen Geschwistern die Einzige, die mir jetzt noch 53
nahesteht. Sie ist der einzige Mensch auf dieser Welt, dem ich abgesehen von meiner Tochter wirklich vertraue. Sie passt nicht in meine vornehme Clique, mit ihrem Selbstbräuner und ihren engen Klamotten, aber wie ich immer zu ihr sage: Sei einfach du selbst, meine Süße! Ich liebe Lynn wie verrückt, und ich würde mir nie träumen lassen, eine Party ohne sie zu schmeißen. »Wo steckt denn dein Göttergatte?«, fragte Lynn mit dröhnender Stimme, die die anderen Gäste dazu veranlasste, sich umzudrehen. Außerdem sprach sie immer noch mit diesem schrecklichen Long-Island-Akzent, den auch ich früher hatte und den loszuwerden ich mir große Mühe gegeben habe. »Sein Flug hat Verspätung.« »Ja klar. Der Gute ist sich wohl eher zu fein dafür, bei seiner eigenen Party vorbeizuschauen.« »Irgendjemand muss schließlich arbeiten, um das Haus zu bezahlen.« »Okay, ich halt ja schon die Klappe. Aber wenn ich ihn sehe, werde ich ihm mal gründlich die Meinung sagen. Also, wo gibt’s denn hier was zu trinken?« Lynn trat mit ihrer Frage nach Jason einen Trend los. Der Nächste, der durch die Tür kam, war Peter Mertz, Jasons Hedgefonds-Boss, und anstatt höflich zu nicken, als ich sagte, dass Jason sich verspätete, fing er an, nachzubohren. Warum war Jason nicht in New York? Wieso steckte er in Cleveland fest? Als ich sagte, dass er wegen eines Deals dort war, zog Peter die Augenbrauen hoch und 54
sagte: »Wirklich? Wirklich?« — als würde er mir nicht glauben. Er unterstellte praktisch, dass Jason log, oder ich. Und ja, okay, zufällig sagten wir beide nicht die Wahrheit. Doch das machte es nicht weniger unhöflich von Peter, mich vor meinen Gästen darauf anzusprechen. Danach konnte ich nicht länger dastehen und die Tür beobachten. Ich ging unter einem Vorwand hinaus zum Zelt. Frische Luft, frischer Alkohol. Aber ich bekam diesen Zwischenfall einfach nicht aus dem Kopf. Wollte Peter mir vielleicht etwas sagen, indem er mich so zur Rede stellte? Wusste er, dass mein Mann eine Affäre hatte? Wussten es alle außer mir? Inzwischen brannten meine Wangen. Ich fühlte mich gedemütigt. Doch ich ahnte nicht, dass die Party gerade erst anfing. Ich bin eine erfahrene Gastgeberin, und normalerweise würde ich auf meiner eigenen Feier nicht trinken. Aber als die Zeit verging und Jason immer noch nicht auftauchte, hatte ich wohl ein paar mehr Drinks intus als beabsichtigt, schätze ich. Übrigens trank ich den Signature-Cocktail des Abends, einen Moscow Mule, den die Caterer auf Tabletts umherreichten. Was ich damit sagen will, ist, dass ich mich nicht daran erinnere, an jenem Abend an die Bar gegangen zu sein. Kein einziges Mal. Aidan hat auf meiner Party als Barkeeper gearbeitet. Das fand ich später heraus, damals wusste ich es allerdings noch nicht. Ich habe ihn dort nie gesehen, und ich habe ihn ganz gewiss nicht selbst eingestellt.
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Caterer bringen ihre eigenen Leute mit. Das weiß jeder. Jedenfalls, Jason. Ich redete gerade, wahrscheinlich zu laut, mit dieser Frau, die eine Autorin vom Dwell-Magazin war, als Lynn zu mir kam und mir den Drink einfach aus der Hand nahm. »Hey!« »Würden Sie uns bitte kurz entschuldigen?«, sagte Lynn zu der Frau und zerrte mich fort. »Was zum Teufel soll das?« »Du tust dir keinen Gefallen, wenn du dir auf deiner eigenen Party die Kante gibst. Aber wenigstens weiß ich jetzt, warum.« »Wovon redest du überhaupt?« »Jason ist hier, und er hat eine Frau dabei. Und ein echtes Prachtstück noch dazu.« Mir wurde schwarz vor Augen. Ich musste mich an Lynns Arm festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Bis vor zwei Tagen war alles noch so normal gewesen. Und nun war mein Leben ein einziger Trümmerhaufen. Benommen machte ich mich auf den Weg zum Wohnzimmer. Ich musste Jason finden, aber ich hatte keine Ahnung, was ich dann tun würde. Schreien, kreischen, ihn rauswerfen? Weinen, betteln? Das hier fühlte sich nicht real an. Es fühlte sich nicht wie wir an. Währenddessen beobachteten mich alle Gäste. Ich hatte davon geträumt, eine Party zu schmeißen, von der sie noch jahrelang reden würden. Und jetzt würden sie es, jedoch aus den falschen Gründen. ***
Aidan erkannte sie sofort wieder. Wie auch nicht? Sie war die, die letzten Abend die Party geschmissen hatte. Ihr Haus war ein verdammter Palast. Er konnte sich nicht entscheiden, ob es ein Traum oder ein Albtraum war, aber er sehnte sich danach, hineinzukommen. Als sich darum der Barkeeperjob angeboten hatte, mit der Chance, das Haus von innen zu sehen, hatte er sofort zugegriffen. Dann hatte sich herausgestellt, dass die Bar in einem Zelt auf dem Rasen aufgestellt war. Aber hier war nun der Star der Show und kam ins Red Anchor spaziert. Das Strahlen, das von ihr ausging, erhellte den Laden und ließ ihn wie etwas Besseres wirken als die durchschnittliche lokale Bar und Burgerbude, die er war. Sie hatte die Haltung einer Königin. Die gestrafften Schultern, die leichte Neigung ihres schönen Kopfes, die dichte, glänzende Fülle ihres honigfarbenen Haars. Die Welt sollte sich vor ihr verbeugen. Der Laden war menschenleer, und sie warf einen Blick in seine Richtung. Sie streifte ihre Jacke ab. Nahm in einer Nische an der Wand Platz. Schüttelte ihr Haar auf. Als warte sie darauf, dass er zu ihr rüberkam und ihre Bestellung aufnahm. Sah er aus wie eine Kellnerin? Er tat so, als würde er sie nicht sehen, drehte ihr den Rücken zu und polierte ein paar Gläser, die noch feucht vom Geschirrspüler waren. Aber dann änderte er seine Meinung. Vielleicht weil sie schön war. Vielleicht weil er sie einschätzen wollte. Vielleicht beides. Außerdem 55
war da noch die Tatsache, dass die Party eine komplette Katastrophe für sie gewesen war. Die Geliebte des Mannes war aufgetaucht und hatte eine Szene gemacht. Das war das einzige Thema, worüber alle in dem großen Zelt an jenem Abend gesprochen hatten, während Aidan ihre Drinks einschenkte. Er wusste, wie es war, wenn über einen getratscht wurde. Auch über ihn redeten die Leute hinter seinem Rücken; das taten sie bereits, seit er im Alter von siebzehn Jahren ziemliches Pech gehabt hatte. Er mixte einen Moscow Mule, ging zu ihrem Tisch rüber und stellte ihn vor sie hin. »Geht aufs Haus«, sagte er und lächelte. Bei seinem Lächeln wurden die Frauen reihenweise schwach. Aber sie nicht. Sie schaute hinunter auf den Drink, dann wieder zu ihm hoch, als habe er etwas Merkwürdiges gemacht. »Tut mir leid. Kennen wir uns?«, fragte sie. Also, das war doch Bullshit. Sie spielte Spielchen. Selbst wenn sie sich nicht daran erinnerte, dass er auf ihrer Party ausgeschenkt hatte, waren sie sich am Strand bereits begegnet. Daran erinnerte sie sich. Das wusste er. Psychospielchen. Den Mist brauchte er nicht. »Ja, wir sind uns am Strand begegnet. Außerdem hab ich bei Ihrer Party an der Bar ausgeschenkt. Bei der Party, schon vergessen? Deshalb dachte ich mir, Sie mögen einen Moscow Mule, weil das der Cocktail des Abends war.« 56
»Oh, richtig. Nun, danke. Ich nehme den Drink, aber ich würde ihn lieber bezahlen.« Er nickte, fühlte sich allerdings schon ziemlich gekränkt. »Wie Sie wollen. Sagen Sie Bescheid, wenn Sie was brauchen, Ma’am«, erwiderte er. Das »Ma’am« gefiel ihr nicht, das konnte er sehen. Wahrscheinlich sorgte sie sich, dass er fand, sie sähe alt aus. Was für ihn bedeutete, dass sie nicht so unnahbar war, wie sie vorgab. Aidan schlenderte zurück hinter die Bar. Er spürte, dass sie ihn von der Sicherheit ihres Tisches aus beobachtete, während sie an ihrem Drink nippte. Die Zeit verging. Er ignorierte sie. Sie schaute jedoch zu ihm herüber, alle paar Minuten, um ihn zu mustern. Ein gewisses Interesse hatte sie schon an ihm. Kurze Zeit später stand Caroline auf und zog ihre Jacke an. Das war schnell. Er hatte vorher nicht wirklich bemerkt, was sie anhatte. Enge Jeans, ein sexy Top, schwarze Stiefel. War sie hier reingekommen, um nach Gesellschaft zu suchen? Hatte er seine Chance verpasst? Sie hatte eine tolle Figur für eine Frau ihres Alters. Jeden Alters, eigentlich. Er fing ihren Blick auf und zog die Augenbrauen hoch, als wollte er sagen: Gehen Sie etwa schon? Sie schenkte ihm ein schiefes Lächeln, nickte kurz und ging hinaus. Nancy war im Speisesaal beschäftigt, deshalb räumte Aidan den Tisch ab. Cocktails kosteten zwölf Dollar, und die Frau hatte einen Zwanziger dagelassen. Das großzügige Trinkgeld ärgerte ihn irgendwie, als habe
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sie ihn auf seinen Rang verwiesen. Er hatte angeboten, ihr einen Drink auszugeben, und dann zog sie so was ab? Fast hatte er Lust, ihr nach draußen folgen, aber das könnte sie falsch auffassen. Das war es nicht
wert, dass sein Boss sauer auf ihn wurde oder die Leute sagten, er wäre wieder auf seine alte Tour unterwegs. Er steckte das Geld ein und dachte, was soll’s. Wenn er sie sehen wollte, wusste er, wo sie wohnte.
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