Jonas Bonnier: Der Helicopter Coup. Die Millionen Beute

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HELICOPTER

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DIE MILLIONEN BEUTE

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JONAS BONNIER, geboren 1963, ist schwedischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist. Zwischen 2008 und 2014 leitete er die schwedische Bonnier Verlagsgruppe. Jonas Bonnier lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Miami. 2


Die erste moderne Brücke hinüber zum Stockholmer Vorort Lidingö war nach dem Ersten Weltkrieg fertiggestellt worden, und als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, beschlossen die Politiker, den alten Villenort zu modernisieren. Man plante und baute neue Stadtteile mit Miets­ kasernen in Rudboda, Käppala und Larsberg und vollendete so einen Vorort, der die Großstadt widerspiegelte. Es gab noch Spuren von den Höfen der ländlichen Bauerngesellschaft, ebenso die schönen Großhändlervillen aus dem 19. Jahrhundert, und auch einige der Industriegebäude und herrlich gemauerten Fabriken hatten den Abrisswahn überlebt. Inzwischen war Lidingö weit davon entfernt, ein homogener Reicheleute-Vorort zu sein, aber die bürgerliche Mehrheit im Kommunalrat blieb dennoch unangetastet. Hersby auf Lidingö fand bereits in der Wikingerzeit Erwähnung, nur von dem Autoschrott neben dem Vasavägen war auf den Runensteinen noch nichts zu lesen gewesen. Für ein paar Zwanziger oder einen Hunderter löste Svenne Gustafsson die Probleme der gehetzten Großstädter, die nicht wussten, wohin mit dem Auto, wenn die Reparatur nicht mehr lohnte. 3


Gustafsson bugsierte die rostigen Fahrzeuge um die Ecke hinter dem kleinen Holzhaus, das als sein Büro diente. Den Schrottplatz selbst hatte er durch eine hohe, von Stacheldraht gekrönte Reihe Planken abgetrennt. Mithilfe eines fest installierten Hebekrans häufte er die Autoskelette aufeinander und spekulierte dann darauf, dass er ein paar selten gewordene Ersatzteile verkaufen könnte, von denen jedes einzelne mehr einbrachte, als er für das ganze Auto bezahlt hatte. Zwischen den Autostapeln entstanden schmale Gassen, und am Ende von einer dieser Gassen stand halb im Wald ein großer Container. Von außen besehen war das verrostete grüne Metall unansehnlich, doch als Zoran Petrovic die Seitentür öffnete, betrat er eine moderne Werkstatt. Unter Innenwänden aus Stahl war alles mit Aluminiumfolie ausgekleidet, und das Dach war schallisoliert. Petrovic war der Geschäftspartner und Geldgeber von Svenne Gustafsson, was allerdings niemand wusste. Ebenso im Verborgenen hielt er seine anderen Geschäftsunternehmungen – eine Reinigungsfirma, ein paar Restaurants, ein paar Schönheitssalons, eine Baufirma in Tallinn und eine in Montenegro. Unter anderem. Der hochgewachsene, schlanke Jugoslawe, der vor bald vierzig Jahren in Lund geboren worden war, schloss hinter sich die Containertür. Die sechs Personen, die in dem Raum arbeiteten, sahen von ihren Plätzen auf. Sie trugen 4


allesamt schusssichere Westen und Helme mit Visier – es war, als besuche man den Dreh eines Science-FictionFilms, dessen Kulisse im Baumarkt gekauft worden war. »Nein, nein, macht nur weiter, los«, befahl Petrovic. Auf jeder der sechs Arbeitsbänke lag eine blaue Sicherheitstasche, diese waren kürzlich aus einem Werttransport gestohlen worden. Ohne den richtigen Code und die Schlüssel explodierte die Farbampulle in der Tasche. Die sechs Amateuringenieure, die Petrovic angestellt hatte, sollten eine Methode finden, die Taschen zu öffnen, ohne die Explosion auszulösen. Die Jugendlichen – alle sechs waren junge Leute – hatten die Versuchsmethoden unter sich aufgeteilt. Einer von ihnen arbeitete mit Schweißgeräten, um die Tasche aufzubekommen, ein anderer mit einer kleinen Kreissäge. Jemand versuchte es mit Dietrichen, während wieder ein anderer sich über den Boden der Tasche hermachte. Ein jeder hatte hinter sich eine Digitalkamera auf einem Stativ, die alles filmte, was sie taten. Keiner der sechs hatte in den vergangenen Wochen irgendeinen Fortschritt erzielt. Zoran Petrovic hatte aufgehört zu zählen, wie viele Taschen bereits explodiert waren. Gemächlich ging er von einer Station zur nächsten und wechselte ein paar Worte mit den arbeitenden jungen Leuten. Es fiel Petrovic ebenso leicht, mit einem neunzehnjährigen Emo zu reden wie mit dem Minister für die Infrastruktur Montenegros. Das war schon immer so gewesen. 5


»Gut, gut«, sagte er zu einem Mädchen um die zwanzig, das dabei war, die untere rechte Ecke einer Tasche aufzuschweißen. Er streckte seinen langen Arm aus und malte mit träger Eleganz ein Muster in die Luft oberhalb des Metalls der Tasche. »So muss man es machen, das ist vollkommen richtig. Als würde man ein Bild malen, die Flamme vor- und zurückführen, wie Monet. Oder Manet. Ich habe einen Bekannten, der leitet ein Museum in Lyon, der ist besessen von Pinselstrichen. Er hat seinen ganzen Garten mit Sand gefüllt und eine besondere Harke gekauft, bei der die Zinken enger stehen als gewöhnliche, damit er die über den Sand führen und …« »Zoran?« Der Assistent von Svenne Gustafsson steckte seinen Kopf herein und unterbrach Petrovic. Der Jugoslawe drehte sich verärgert um. »Ja?« »Du hast Besuch. Maloof ist hier « »Okay«, sagte Petrovic mit einem Nicken. »Okay. Ich muss das später zu Ende erzählen. Macht einfach weiter. Und denkt immer dran, wir haben es nicht eilig. Wir haben es niemals eilig, denn daraus wird nie was Gutes « Diese Feststellung wurde mit einer gewissen Dankbarkeit aufgenommen, doch als Zoran Petrovic den halben Weg durchs Schrottlabyrinth zu Gustafssons Büro gegan6


gen war, hörte er einen gedämpften Knall, ein Geräusch, das ihm so wohlbekannt war, dass er nicht einmal zusammenfuhr. Wieder war eine Tasche explodiert, und sie würden gezwungen sein, wieder einmal eine Menge gefärbter Geldscheine zu verbrennen. Petrovic duckte sich, um sich nicht den Kopf anzuschlagen, als er das Haus durch die Hintertür betrat. Michel Maloof saß in der Küche hinter Gustafssons Büro und wartete. Gustafsson war nicht da, er achtete darauf, sich nicht blicken zu lassen, wenn Maloof vorbeikam. »Bitte nur ein Glas lauwarmes Wasser«, sagte Petrovic. »Was?« »Was anderes will ich nicht« Maloof sah erstaunt auf seinen langen Freund, der sich jetzt am Küchentisch niederließ. »Wasser? Du willst, dass ich dir Wasser hole?«, fragte er. Petrovic machte eine Geste mit den Händen, die bedeutete, dass Maloof ihm Wasser kredenzen sollte. Maloof lachte und schüttelte den Kopf. »Natürlich, natürlich«, sagte er und erhob sich. »So, hier ist … dein lauwarmes Wasser.« Maloof ging zur Spüle und ließ ein Glas Wasser unter dem Hahn volllaufen. Übertrieben lässig kehrte er zurück und stellte es vor Zoran Petrovic hin, der wohlwollend nickte. Die beiden kannten einander lange, und ihre Beziehung würde für immer davon geprägt sein, dass Petrovic der 7


Jugendleiter der Freizeiteinrichtung gewesen war, in der Maloof während seiner Schulzeit die Nachmittage verbracht hatte. Zoran Petrovic wurde zum einzigen Vorbild von Maloof, der nicht Fußball spielte und auch sonst in keinem Verein war. Und da Petrovic schon zu jener Zeit wusste, wie man Geld ausgab – damals hatte er ausschließlich Kleidungsstücke von Armani im Schrank und war freitagabends nie ohne seine American-Express-Karte ausgegangen –, beeinflusste dies Maloof, als er seine eigenen Lebensziele formulierte. »Ich werde Millionär«, hatte der junge Maloof gesagt, und Petrovic hatte gelacht. »Eine Million? Das mache ich in einem Monat«, hatte er geantwortet. »Durch das Dach?« »Ganz genau«, erklärte Maloof und grinste. »Durch das Dach.« Es war halb drei Uhr nachmittags. In der Spüle standen seit Monaten Teller und Tassen herum. Svenne Gustafsson gehörte nicht gerade zur pedantischen Sorte, und sowohl Maloof als auch Petrovic taten ihr Bestes, den Gestank von dem gerissenen Abfluss in der Toilette zu ignorieren. Normalerweise führten sie diese Art von Gesprächen nur, wenn sie draußen unterwegs waren, doch es hatte plötzlich angefangen zu schütten, und keiner von beiden hatte Lust, nass zu werden. Sie hatten eine Weile über das viele 8


Geld geredet, das sie mit der schwarzen Werttransporttasche verdienen würden, als Maloof schließlich Alexandra Svensson erwähnt hatte. »Das ist ein alter Traum von dir«, sagte Petrovic. »All die Jahre hast du von Västberga geredet.« Maloof lachte und nickte. »Okay«, sagte Petrovic. »Aber wie willst du auf das Dach kommen?« »Da findet sich bestimmt eine Lösung.« »Hüpfschuhe?«, grinste Petrovic. »Oder, wie heißen die Dinger noch … Jetpacks? Mit einem Jetpack, so wie bei der Eröffnung der Olympischen Spiele damals? Hast du dir das so vorgestellt?« »Ganz genau«, grinste Maloof. »Ein Rucksack mit Düsenantrieb. Exakt. Nein.« »Vielleicht könnte man einen Lift benutzen. Ich habe einen Kumpel, der hat einen Laden in Monaco, und zwar putzen die Fenster, weißt du, dreißig Stockwerke hoch. Monaco ist ein einziges großes Fenster. Er seilt die Leute in einem Korb ab, und einer ist groß genug für fünf, sechs Personen. Bei der Formel 1 hab ich einmal in einem seiner Lifts gesessen. Weißt du, fünfzehn Stockwerke hoch, direkt oberhalb der Rennstrecke. Die Autos sind uns unter den Füßen durchgefahren. Wir haben Schampus getrunken, und das Mädchen hat eine Sandale fallen lassen. Ich dachte, ich werde verrückt. Verstehst du? Ein Schuh, direkt auf der Rennstrecke. Pfui Teufel.« 9


»Ein Lift?«, fragte Maloof. »Steht der auf einem Anhänger?« »Er hat Lifts, die auf Autos montiert sind«, sagte Petrovic. »Genau«, erwiderte Maloof und dachte laut nach. »Oder ein Kran? Von vorn. Ein Baukran. Den man in der Nacht ranfahren kann.« Petrovic griff nach dem Glas auf dem Tisch und nahm einen Schluck Wasser. »Das könnte gehen«, sagte er nachdenklich. »Ja. Einen Baukran zu besorgen würde ich jetzt nicht gerade als Problem bezeichnen.« » Oder … ein Ballon.« »Ist das dein Ernst?« »Ein Helikopter?« »Ist auf dem Dach Platz genug, um einen Helikopter zu landen? Bist du schon mal mit einem Helikopter geflogen, Michel? Das macht Krach ohne Ende.« »Nein … Aber mit einem Helikopter kommt man da leicht weg.« »Ich würde trotzdem einen Kran vorziehen«, meinte Petrovic. Maloof nickte und grinste breit. »Genau. Klingt vielleicht am klügsten. Oder? Wie kommt man dann weg?« Sie hörten, wie die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Gustafsson kehrte von seiner vorgetäuschten 10


Beschäftigung zurück, und Maloof erhob sich. Es war Zeit zu gehen. »Okay. Also, denk mal drüber nach«, sagte er. »Ein Kran«, meinte Petrovic. »Ich werde darüber nachdenken.«

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Michel Maloof war erstaunt, wie unbeschwert Alexandra Svensson sich nackt bewegte. Ohne ein Stück Stoff am Leib stieg sie aus dem Bett, ging auf die Toilette und ließ die Tür offen. Als sie fertig war, spülte sie und begab sich nackt in die Küche, wo sie erst die Kaffeemaschine anwarf und dann im Stehen einige Apfelsinen aufschnitt. Es war früh an einem Sonntagmorgen Anfang Mai. Alexandra hatte wieder bei Maloof übernachtet, was langsam zur Gewohnheit wurde, es war nun schon das dritte Mal innerhalb von zwei Wochen. Sie sagte, verglichen mit ihrer Behausung, ein einzelnes möbliertes Zimmer, sei seine Wohnung ein Schloss. Die Sonnenstrahlen fielen warm herein, weil die Jalousie nicht ganz heruntergezogen war. Er blieb in dem weichen Bett liegen, während er allmählich zu den Küchengeräuschen von Alexandra erwachte. In seiner Magengrube wuchs ein Gefühl der Furcht, und er wusste genau, woran das lag. Das hier gefiel ihm alles viel zu gut. Langsam drehte er sich auf den Rücken und schlug die Augen auf. Die Sonne glitzerte im Spiegel an der Wand. Warum war dieses Schlafzimmer plötzlich so viel angenehmer? Er sah sich um und erkannte, dass es an der ganzen Weiblichkeit lag: die Kissen, die sie von zu Hause mitgebracht hatte, die neue gestreifte Bettwäsche, die sie 12


gekauft hatte, die Cremetiegel und Parfümfläschchen auf der Kommode und all die Kleider, die sie um sich herum verstreute und die nach Frau rochen. Maloofs Handy lag auf dem Nachttisch, aber er griff nicht danach. Das war eines der Privilegien, die der Sonntagmorgen mit sich brachte. Er musste aufpassen, stellte er fest, und doch sehnte er sich bereits danach, im Anschluss an das Frühstück ins Bett zurückzukriechen, am liebsten mit Alexandra. Bei dem Gedanken musste er lächeln. Wenn er sich nicht aktiv dagegen wehrte, würde er ganz einfach Alexandra Svenssons feste Begleitung werden. Er musste sie unbedingt auf Abstand halten und durfte niemals vergessen, dass er sie lediglich aus beruflichen Gründen bei sich übernachten ließ. Er stieg aus dem Bett. Nach dem obligatorischen Besuch im Badezimmer zog er sich T-Shirt und Unterhose an. Er konnte längst nicht so ungezwungen nackt sein wie sie. Sie stand an der Arbeitsfläche in der Küche und drückte mit beiden Händen die halben Apfelsinen auf die Saftpresse. Ihr runder Hintern zitterte von den Vibrationen, die durch den Körper liefen. Er musste leise lachen. »Soll ich dir helfen?«, fragte er. »Das ist sehr ritterlich von dir, Michel«, antwortete sie, ohne sich umzudrehen. »Aber ich glaube, dass ich es schaffen werde, ohne deine Hilfe Orangensaft zu pressen. 13


Du könntest allerdings die Kaffeetassen aus dem Schrank holen. Möchtest du sonst noch was? Soll ich Toast machen?« »Alles wunderbar«, erwiderte er. Kaffee und Saft, das war das perfekte Frühstück für ihn. Sie fand sich in seinem Küchenschrank zurecht, als wäre sie hier zu Hause, ja, sie hatte ihn sogar umsortiert. Er holte Tassen und Gläser heraus und stellte sie auf die Arbeitsplatte und konnte nicht anders, als dabei auf ihre kleinen Brüste zu starren. »Jetzt hör aber auf«, sagte sie mit einem Lachen, als sie seinen Blick bemerkte. Er versuchte wegzusehen, aber das gelang ihm nicht. »Arbeitest du heute Abend?«, fragte er. Sie saßen am Küchentisch. Um ihren Liebhaber nicht weiter abzulenken, hatte sich Alexandra einen seidenen Morgenrock übergeworfen, der inzwischen dauerhaft in Maloofs Schrank hing. »Jipp«, antwortete sie kurz und nickte. »Ich habe versucht, den Plan für Mai so zu machen, dass ich Claude loswerde, aber egal, was ich mache, er taucht trotzdem auf. Eigentlich auch egal. Er würde niemals wagen, mir was zu tun. Aber irgendwie ist er unangenehm.« Maloof nickte. In der Küche duftete es nach Zimt, und das tat es nur, wenn Alexandra da war. Wie war das möglich? Ihr Parfüm? 14


»Ich sag dir«, fuhr sie fort, »der hält sich für den besten Chef der Welt, weil er auf ein paar Kursen war. Und dann verspricht er mir eine Karriere. Ich meine, was glaubt der eigentlich? Nachts sind wir vierzehn Leute, die da arbeiten, wenn wir voll besetzt sind, was nur dienstags und donnerstags der Fall ist. Ich meine, wie soll diese Karriere denn aussehen?« »Ganz genau. Ist denn … dienstags und … donnerstags mehr zu tun?«, fragte Maloof. »Hm. Da kriegen wir das meiste Geld rein. Aber, ich meine, freitags sind wir nicht mehr als vielleicht sieben oder acht Leute, wie denkt der sich das denn? Soll ich Chef von drei Leuten sein und er von den anderen vier?« Sie lachte. Maloof stimmte ein. »Ich meine«, sagte sie, »das ist doch bescheuert.« »Ganz genau.« »Ich will nicht direkt nach Hause fahren«, seufzte Alexandra und wechselte das Thema. »Es wird ein super Tag werden. Wenn du willst, könnten wir ein Picknick machen.« Und so häufte Maloof nach und nach sein Wissen über das Wertdepot in Västberga an. Jedes Mal, wenn er Alexandra traf, erfuhr er ein wenig mehr. An diesem Morgen beschloss er, dass sie an einem Dienstag oder einem Donnerstag zuschlagen würden. Das war eine umständliche Weise, ein Ding zu planen, aber so arbeitete er nun mal. Gründlich. 15


Alexandras Morgenrock glitt auf, als sie sich zum Fenster umdrehte, um es zu schließen. Er konnte den Impuls nicht unterdrücken, sich vorzubeugen und die Fingerspitzen über die kleine Brustwarze gleiten zu lassen, die unter seiner Berührung sofort hart wurde. »Oder«, sagte sie und erschauerte, »wir scheißen auf das Picknick und machen was anderes?« Alexandra Svenssons Beschreibung der Zählstation war es, die Maloof schließlich überzeugte, dass Ezra Ray die richtigen Dokumente aus dem Baubüro gestohlen hatte. Alexandra hatte mehrmals den großen Raum im siebten Stock als »bananenförmig« beschrieben und erklärt, dass sich das Großraumbüro, in dem sie arbeitete, in einer Art Bogen über die gesamte Etage zog. An dem Nachmittag, als Maloof die Pläne von Sami bekommen hatte, saßen sie im Café einer Bowlingbahn. Der Lärm der Kugeln und des einen oder anderen Strike übertönte die Hintergrundmusik. Sie hatten sich jeder eine Tasse schwarzen Kaffee geholt, und Maloof blätterte durch den Stapel Papiere, den Sami in einer H&M-Tüte mitgebracht hatte. »Aber dass er sie geklaut hat«, meinte Maloof, »das ist doch, als würden wir erzählen, dass wir da was planen, oder?« »Weißt du, wann das letzte Mal jemand nach den Dingern gefragt hat?« Maloof schüttelte den Kopf, während Samis Bein unter dem Tisch nervös auf und ab wippte. 16


»Oktober 1979. Das war das letzte Mal. Und davor 1970. Das steht auf so einer Art Ausleihkarte, die dabeilag.« »Ganz genau«, antwortete Maloof, der noch niemals irgendwo ein Buch ausgeliehen hatte. »Wenn einmal alle dreißig Jahre jemand diese Pläne sehen will, dann kann es nicht groß riskant sein, sie mal ein paar Monate auszuleihen, oder?« »Nein, nein, genau«, antwortete Maloof, blätterte den Stapel durch und begriff, warum die Unterlagen niemanden interessierten. Die Pläne sagten nichts aus. Wenn das Gebäude Vreten 17 wirklich das Wertdepot von G4S war, dann war das unmöglich zu erkennen. Wieder zu Hause, breitete Maloof die Pläne auf dem Fußboden aus und ging sie systematisch durch. Das große Atrium, das sich einmal durch das ganze Haus zog und oben von einer gläsernen Pyramide abgeschlossen wurde, machte die Pläne so schwer zu lesen. Die Stockwerke waren um die viereckige Öffnung in der Mitte herumgebaut. Nach etwas mehr als einer Stunde fand er den Raum, von dem Alexandra gesprochen hatte. Die gebogene Form war im ganzen Gebäude einzigartig und wurde zum Schlüssel der Zeichnung. Mit diesem Raum als Ausgangspunkt konnte Maloof in den nun folgenden Tagen viele andere Dinge herausfinden. 17


Es war ihm egal, dass er immer noch nicht genau wusste, wie es in den unteren Etagen des Gebäudes aussah. Er konnte das Kellergewölbe erahnen, doch machte es sowieso keinen Sinn, da reinkommen zu wollen. Ale­ xandra hatte ihm von den legendären Sicherheitsvorkehrungen erzählt, und Maloof hatte selbst schon oft gehört, dass sogar die Leute von der Reichsbank sich im Wertdepot Tipps für ihre eigenen Sicherheitssysteme geholt hatten. Dieses Kellergewölbe gehörte zu den teuersten der Welt. Wenn man eine kleine Armee zur Verfügung hatte, dann würde es einem wahrscheinlich gelingen, da reinzukommen, ansonsten sollte man es besser bleiben lassen. Jeden Abend rief er Sami an und berichtete von seinen Fortschritten. Der erschöpfte Papa zeigte sich begeistert, war aber selbst keine große Hilfe. »Okay«, sagte er zu Maloof, »aber wird das funktionieren? Wie schätzt du die Sache ein?« »Nun«, sagte er zu Sami. »Es ist genau, wie sie gesagt hat. Man kann ein Loch in das Dach sprengen, und dann landet man in dem Raum mit dem Bargeld. Das sollte so fünf, zehn Minuten dauern, länger nicht.« Es war allgemein bekannt, dass man nicht länger als fünfzehn Minuten brauchen durfte, um in eine Bank oder eine Post einzubrechen und wieder herauszukommen, da sonst die Polizei vor Ort war. Aber fünf, zehn Minuten – das fühlte sich gut an. 18


»Okay«, sagte Sami. »Aber wie zum Teufel kommt man überhaupt erst mal aufs Dach? Und wie kommt man dann wieder runter? Von welchen Größenordnungen reden wir denn hier, was das Geld angeht? Weißt du das?« »Definitiv. Mehr als in irgendeiner einzelnen Bank in Schweden. Willst du es genau wissen?« »Na, mal ungefähr.« »Eine halbe Milliarde«, schlug Maloof vor. »Und wie gehen wir vor? «, fragte er. »Zunächst einmal …«, sagte Maloof, »müssen wir einen Hubschrauber finden.« Denn wenn sie das Ding in Västberga drehen wollten, dann brauchten sie einen Helikopter. Es gab verschiedene Methoden, sich auf das Dach zu begeben, aber nur eine Möglichkeit, auch wieder runterzukommen. Maloof hatte seit dem Gespräch mit Petrovic eruiert, wie schnell ein Kranwagen fahren konnte, und die Idee daraufhin abgeschrieben. Er hatte sogar herausgefunden, wie eine Kletterausrüstung mit Felshaken und Friends auf Mauerputz funktionierte. Das war zu umständlich. Elegante Lösungen wie Heißluftballons oder Gleitflugzeuge sahen im Film spannend aus, waren aber nicht sehr wirklichkeitstauglich. Jetpacks hingegen, die kleinen Düsenmotoren, die man sich auf den Rücken schnallen konnte, schienen eine Möglichkeit. Aber wenn man es sich leisten konnte, ein Paar Jetpacks anzuschaffen, dann brauchte man keine Wertdepots mehr zu knacken. 19


Nein, entweder ein Helikopter oder man konnte die ganze Sache knicken. »Okay«, sagte Sami. »Ein Helikopter.« »Ich weiß ja nicht«, fuhr Sami fort, »wen kennen wir denn, der einen Helikopter in der Garage hätte?« »Es gibt solche Leute«, antwortete Maloof. »Im Grunde ist das auch nicht schwieriger, als ein Boot zu steuern.« »Natürlich ist das schwieriger«, wandte Sami ein. »Jeder Mensch kann ein Boot fahren, wenn es darauf ankommt. Ich genauso wie du. Verstehste? Aber wir können keinen Helikopter fliegen. Wir können vielleicht einen klauen, aber dann bringen wir ihn immer noch nicht zum Fliegen.« »Ganz genau«, sagte Maloof. »Man muss … jemanden besorgen. Einen Piloten.« »Ich weiß ja nicht«, meinte Sami. »Kennst du einen?« »Nein, ich kenne keinen«, erwiderte Maloof erwartungsgemäß und lachte kurz. »Oder. Aber ich weiß, wer einen besorgen kann.« »Dein Kumpel? Der Lange? Petrovic?« »Ganz genau«, sagte Maloof mit einem Lachen. »Das kommt mir schwer vor. Und das Mädchen …« »Alexandra.« »Du bist dir mit der jetzt also ganz sicher?« »Absolut.« »Aber warum sollte sie dir all diese Sachen erzählen? Verstehste? Das muss ihr doch komisch vorkommen.« 20


»Nein«, versicherte Maloof. »Wir reden halt, na, du weißt schon. Ich frage nicht. Sie erzählt.« »Okay. Möglich«, sagte Sami zögerlich. »Und was machen wir, wenn wir mit dem Helikopter auf dem Dach gelandet sind?« Maloof nickte. »Dann haben wir fünf Minuten. Die Polizei Söderort hat zwei Blocks entfernt ein Revier. Vielleicht zehn Minuten? Aber maximal. Wir sprengen ein Loch ins Dach … Also wir suchen wen, der ein Loch ins Dach sprengen kann. Da drunter liegt der Raum, in dem Alexandra arbeitet. Die Cash-Abteilung. Die Zählstation. Sie nennt es jedes Mal anders. Dienstags und donnerstags kommen ein paar Hundert Millionen in bar rein.« »Das Geld kommt in Säcke«, fuhr Maloof fort, »dann rauf aufs Dach, über eine Leiter. Und dann fliegen wir davon.« »Und die Helikopter der Polizei?«, fragte Sami. »Sind die bis dahin nicht längst vor Ort? Verstehste? Wir stehen auf dem Dach, und über uns kreist ein Schwarm von Polizeihubschraubern?« »Ganz genau«, sagte Maloof. »Nein. Man muss dafür sorgen, dass die Polizeihubschrauber nicht in die Luft kommen.« »Und wie machen wir das?« »Das lösen wir schon«, versicherte Maloof zuversichtlich. 21


Sami nickte. Dann schüttelte er den Kopf. »Du sagst also«, versuchte Sami alles noch einmal zusammenzufassen, »wir brauchen einen Helikopter. Und einen Piloten. Dann sprengen wir uns durch das Dach und klettern eine Leiter runter und holen das Geld. Und das darf maximal zehn Minuten dauern. Und gleichzeitig sorgen wir dafür, dass die Polizeihubschrauber nicht starten können.« »Ganz genau«, stimmte Maloof zu. Ungefähr so stellte er sich das vor. »Das klingt … also, du hörst schon, wie das klingt, oder?«, fragte Sami. »Verstehste?« Maloof lachte stolz. Er fand, der Plan war voller Möglichkeiten, Herausforderungen, Großartigkeiten. Die Leute waren doch alle verrückt, dachte Sami bei sich. Total durchgeknallt, dachte er und grinste dabei ein bisschen schief. Aber: Hunderte von Millionen?

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