Leseprobe McMullen »Agentin Abby«

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B est. -Nr. 4043725 000838

EXKLUSIVE LESEPROBE

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Die coolste Geheimagentin der Welt mit ihrem ersten Fall!

AB 10 JAHREN

Hardcover, 272 Seiten · € 12,99 (D) / € 13,40 (A) ISBN 978-3-492-70447-2 · Auch als E-Book erhältlich. 2


L E S E P RO B E

AGENTIN ABBY

New York. Vor acht Monaten, als die Dinge eine seltsame Wendung nahmen.

Sehr geehrte Abigail Hunter, es ist uns eine Ehre, Dich für das Schuljahr 2019 an der Smith School for Children willkommen zu heißen. Wir sind überzeugt, dass Du an unserer Schule Großartiges leisten wirst. Hier an der Smith nehmen wir unser Motto sehr ernst: Non tamen ad reddet. Nicht nehmen, sondern zurück­geben. Jeden Tag bemühen wir uns, die Welt zu einem besseren Ort für unsere Mitmenschen zu machen, denn darauf kommt es an. Beigefügt findest Du Einzelheiten zum Schuljahresbeginn. Unsere Reiseabteilung wird sich in Kürze bei Dir melden, um Deine Anreise und den Transport Deines Gepäcks nach Connecticut zu arrangieren. Wir freuen uns auf ein spannendes und lohnendes Jahr! Mit freundlichen Grüßen Lola Smith, Direktorin der Smith School for Children 3


BETH MCMULLEN

Die Smith School for Children? Was? Das muss ein Irrtum sein, denn ich gehe mit Rowan, Ainsley, Blake und Alec auf die Sweetbriar-Montessorischule und wir haben schon alles ausgemacht. Nächstes Jahr, also in der Achten, gibt es diese epische Fahrt nach Washington, DC. Und Blake und ich tauschen jeden Tag unsere Pausenverpflegung, weil er Grünkohlchips und solche gesunden Sachen mag, die meine Mutter mir einpackt. Apropos meine Mutter: »Mom! Komm schnell!«, brülle ich. Meine Mutter, die kluge, aber anscheinend doch recht vergessliche Jennifer Hunter, erscheint in der Tür zu meinem Zimmer. Sie hat sich ein Handtuch um die Haare geschlungen und ein zweites um ihren Rumpf. Außerdem hat sie den Mund voller Zahnpasta. »Was ist?«, nuschelt sie durch den Schaum. »Brennt’s bei dir?« Ich halte den Brief so hoch, dass sie das leuchtend rotblaue Wappen der Smith School gut sehen kann. (Warum braucht eine Schule eigentlich ein Wappen?) Mom kneift die Augen ein bisschen zusammen.Weil sie eitel ist, trägt sie ihre Lesebrille nur, wenn sie einen Splitter entfernen muss. Ich räuspere mich. »Smith School for Children. Klingelt’s da bei dir?«, schreie ich. Mom erstarrt und sieht total geschockt aus. Zahnpasta 4


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tropft ihr vom Kinn. Mir wird ganz flau. Dieser Brief ist anscheinend kein Versehen. »Warte kurz«, sagt meine Mutter. »Muss das ausspucken.« Damit dreht sie sich um und verschwindet. Sie hätte den Schaum auch runterschlucken können, aber sie will Zeit schinden. Die braucht sie, um sich zu überlegen, wie sie mir am besten mitteilt, dass sie mich auf ein Internat schickt und nur irgendwie vergessen hat, das zu erwähnen. Ich hocke im Schneidersitz auf meinem Bett. In der freien Hand halte ich eine Keramikschale, die ich in der Schule getöpfert habe. Sie ist violett und orangefarben glasiert und passt so genau in meine Handfläche wie eine Granate. Nicht dass ich vorhätte, sie oder irgendwas anderes zu schmeißen. Meine Mutter kehrt in einem weißen T-Shirt zurück. Aus ihrem nassen langen Haar tropft es auf den Fußboden und sie hat ein vollkommen unangebrachtes Lächeln aufgesetzt. Dann fällt ihr Blick auf meine Keramikschale. Das Lächeln verschwindet sofort. »Denk nicht mal dran, damit nach mir zu werfen«, sagt sie und setzt sich ans Fußende meines Betts. »Ich würde mich ducken, dann knallt sie gegen die Wand und was hast du davon?« Ich stelle die Schale weg. »Nichts«, murmle ich. »Genau«, sagt sie. »Keine Vorteile. Genau wie damals, als du mit Ainsley die Schule geschwänzt hast, um die Lemu5


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ren aus dem Zoo im Central Park zu befreien. Da ist sogar die Polizei gekommen. Kein Vorteil.« »Die Lemuren waren da nicht glücklich«, sage ich finster. »Und du tropfst mein ganzes Bett voll.« »Tut mir leid, dass du den Brief in die Finger bekommen hast«, sagt sie stirnrunzelnd. »Aber seit wann bringst du eigentlich die Post rein?« »Ich wollte hilfsbereit sein«, erkläre ich. »Hast du nicht gesagt, es wäre schön, wenn ich hilfsbereiter wäre? Außerdem war er an mich adressiert.« »Die Smith School ist das angesehenste Internat des Landes«, sagt sie. »Mir egal«, erwidere ich aufgebracht. »Ich geh da nicht hin.« »Du kannst an der Smith Röcke mit kleinen Walen drauf anziehen. Und Poloshirts«, sagt sie. »Du wirst da gut hinpassen. Jede Menge cleverer Kids. Die was erreicht haben, weißt du.« Das ist eine geradezu lächerliche Antwort, selbst für Moms Verhältnisse. Ich meine, wie viel kann man mit zwölf denn bitte schön erreicht haben? Die richtige Antwort lautet: nicht viel. »Spinnst du?«, frage ich. »Ich war da noch nie! Bis eben hatte ich noch nicht mal davon gehört! Ich gehe auf die Sweetbriar. Ich habe Freunde! Und Pläne!« »Die Smith School ist wirklich hübsch«, versucht meine 6


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Mutter es noch einmal. Ich greife wieder nach der Keramikschale, aber als Mom kaum merklich mit dem Kopf schüttelt, stelle ich sie zurück. »Mir ist egal, ob es da hübsch ist«, jammere ich, »ich geh da nicht hin.« »Doch, das wirst du.« Mom fasst mich bei den Schultern und schaut mir tief in die Augen. Ich hasse es, wenn sie das macht. Es ist hypnotisierend, als wäre sie so eine Art Schlangenbeschwörerin. Und obwohl ich schon mein ganzes Leben lang ihre Tochter bin, kann ich mich immer noch nicht dagegen wehren. »Du bist klug, Abigail«, sagt sie. »Aber du musst lernen, dich zu konzentrieren und zu disziplinieren. Und ich bin dafür verantwortlich, einen Ort zu finden, an dem genau das gegeben ist – Konzentration und Disziplin. Ich muss wissen, dass du gut aufgehoben bist.« Es stimmt schon, dass ich mich manchmal in Schwierigkeiten bringe. Vor zwei Monaten habe ich zum Beispiel die Wahl zum Schulsprecher manipuliert und wurde erwischt, als ich mich an dem Karton mit den Stimmzetteln zu schaffen machte. Aber das habe ich nur aus Freundschaft zu Josh getan, der so gern gewinnen wollte und wahrscheinlich keine Chance gehabt hätte. Ist Freundschaft etwas Schlechtes? Ich glaube nicht. Der Direktor der Sweetbriar findet, ich hätte ein chronisches Defizit an gesundem Menschenverstand. Er wird 7


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immer ganz rot im Gesicht, wenn er das sagt, und meine Mutter seufzt als Antwort. »Ein Internat?«, frage ich entsetzt. Für jemanden mit meiner Schlagfertigkeit ist das ein erbärmlicher Einwand. Aber zu meiner Verteidigung kann ich vorbringen, dass ich quasi noch unter Schock stehe. Ich habe ja erst vor fünf Minuten erfahren, dass ich bald in der grünen Landschaft Connecticuts verschwinden werde. Ich wedle mit dem Brief vor der Nase meiner Mutter. »In diesem Gefängnis werde ich sterben«, sage ich. »Verschrumpeln und verschwinden, genau wie die Böse Hexe des Westens in Der Zauberer von Oz. Mein kreatives Ich wird für immer verstummen. Deshalb kann ich da einfach nicht hin.« Mom lehnt sich wieder zurück und sieht mich an, wobei sie eine ihrer professionell getrimmten Augenbrauen eine Spur hochzieht. »Außerdem hasse ich Poloshirts«, füge ich hinzu. »Wann hast du mich jemals in einem Poloshirt gesehen? Und was für eine Sorte Mensch trägt Meerestiere auf dem Rock? Denk an die Böse Hexe des Westens, Mom. Puff! In Rauch aufgelöst. Das Ende der Abigail Hunter, wie du sie kennst.« »Dampf«, sagt Mom nur. »Was?« 8


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»Die Böse Hexe des Westens ist nicht verbrannt. Sie ist verdampft.« Egal. Ich ziehe die Knie an meine Brust und nehme die Abwehrhaltung eines Igels ein, der angegriffen wird. Mom mustert mich von Kopf bis Fuß. »Hör zu«, meint sie seufzend. »Das wird ein kompliziertes Jahr. Ich muss an einige Orte und Dinge … erledigen. Da kann ich nicht jede Sekunde auf dich aufpassen, dich von Abgründen zurückziehen oder jedes Mal eingreifen, wenn du einen falschen Schritt tust. Das wird einfach nicht funktionieren. Die Smith wird eine Herausforderung für dich sein und deine Konzentration fördern. Probier es doch wenigstens aus. Bitte. Mir zuliebe?« Mom hat die faszinierendsten Augen der Welt – blau mit einem violetten Schimmer – und die sagen mir gerade, dass ich nachgeben sollte. Sie wird nicht noch mehr betteln. Ich habe meine Mutter sehr lieb. Sie versteht Spaß, ist lustig und behandelt mich sogar dann noch mit Respekt, wenn ich Mist baue, was häufig vorkommt. Aber sie hat mir auch verschwiegen, dass sie mich im September auf ein Internat schicken will. Also warte ich mal ab, was sie mir noch anzubieten hat. Mom steht auf und läuft grübelnd in meinem schmalen Zimmer hin und her. »Okay, wie wäre es mit Winterferien in der Schweiz?«, 9


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fragt sie nach einer Weile. »Wir könnten Skifahren oder Schneemänner bauen oder, keine Ahnung, heiße Schokolade trinken.« Ich schüttle den Kopf. Ich hasse Schnee. Außerdem fährt Mom auf vereisten Straßen genauso wie auf eisfreien: beängstigend schnell. »Tahiti?«, schlägt sie vor. »St. Barts? Galapagosinseln? Der Regenwald von Costa Rica?« Das klingt schon besser. »Ich nehme Galapagos und das Feriencamp für Kunstgeschichte in Rom, von dem du behauptet hast, ich wäre zu jung dafür.« Sie mustert mich scharf. Mein Herz rast. Der schwer zu erringende Sieg ist nah, das kann ich spüren. Jetzt stützt Mom die Hände in die Hüften. Eine Schweißperle rinnt mir über den Rücken. »Abgemacht«, sagt sie schließlich. Wir schütteln einander die Hand. Und während ich einerseits außer mir vor Glück bin (ich hab gewonnen!), weiß ich andererseits, dass sie mich übers Ohr gehauen hat. Denn im Nullkommanichts bin ich auch schon unterwegs zur Smith School for Children.

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