Party mit Tieren
Im ganzen Haus herrschte rege Aktivität. Vor der Hintertür drängten sich Gruppen von Bauern mit Körben voller Obst und Gemüse und ganzen Bündeln zeternder Hühner. Spiro kam zweimal, manchmal dreimal am Tag, und immer war sein Wagen bis unter die Decke beladen mit Weinkisten, Stühlen, Klapptischen oder Kartons voller Lebensmittel. Angesteckt von dieser Aufregung, flatterten die Eltern von einem Ende ihres Käfigs zum anderen, steckten die Köpfe durch die Maschen und kommentierten das geschäftige Treiben mit lauten und heiseren Schreien. Margo lag im Esszimmer auf dem Boden, umgeben von riesigen braunen Papierbögen, auf denen sie mit Kreide große und äußerst bunte Wandbilder malte. Leslie stand im Wohnzimmer zwischen aufgetürmten Möbeln und rechnete systematisch die Anzahl der Stühle und Tische aus, die ins Haus passten, ohne dass es unbewohnbar wurde. Mutter hatte in der Küche das brodelnde Innere eines Vulkans geschaffen und hantierte, unterstützt von zwei aufgedonnerten Bauernmädchen, zwischen Dampfschwaden, funkelnden Feuern und leise blubbernden und zischenden Töpfen herum. Die Hunde und ich gingen von Zimmer zu Zimmer und halfen, wo wir konnten, gaben Ratschläge und machten uns allgemein nützlich. Und Larry schlief friedlich oben in seinem Zimmer. Die Familie bereitete eine Party vor. Wie immer hatten wir uns ganz spontan zu der Party entschlossen, und zwar allein deshalb, weil wir plötzlich Lust darauf bekamen. In einem Überschwang an Herzensgüte hatten wir jeden eingeladen, der uns in den Sinn kam, einschließlich einiger Leute, die uns herzlich unsympathisch waren. Alle stürzten sich begeistert in die Vorbereitungen. Da es Anfang September war, erklärten wir sie zur Weihnachtsfeier, und um die ganze Sache nicht zu einfach zu machen, luden wir unsere Gäste sowohl zum Mittagessen als auch zum Tee und zum Abendessen ein. Das bedeutete natürlich, dass Unmengen an Essen vorbereitet werden mussten, deshalb verschwand Mutter (bewaffnet mit einem Stapel Kochbücher voller Eselsohren) auf der Stelle in der Küche, wo sie für mehrere Stunden blieb. Selbst wenn sie mit beschlagener Brille wieder auftauchte, war es beinahe unmöglich, mit ihr über etwas anderes als übers Kochen zu reden. In den seltenen Fällen, in denen die Familie einhellig Lust hatte, Gäste einzuladen, wurden die Vorbereitungen üblicherweise so lange im Voraus und mit einem solchen Elan begonnen, dass am Tag der Festlichkeiten jeder völlig erschöpft und überreizt war. Selbstverständlich verliefen diese Partys nie nach unseren Vorstellungen. Wie sehr wir uns auch bemühten, immer gab es in letzter Minute irgendein Problem, das alles über den Haufen warf und unsere sorgfältig ausgetüftelten Pläne in eine völlig andere Richtung lenkte als vorgesehen. Über die Jahre hatten wir uns zum Glück daran gewöhnt, denn sonst wäre unsere Weihnachtsfeier vermutlich von Anfang an dem Untergang geweiht gewesen. Sie wurde nämlich vollkommen von den Tieren dominiert. Alles begann ganz harmlos mit ein paar Goldfischen. Erst kurz zuvor hatte ich mithilfe von Kosti die Schildkröte gefangen, die ich die Alte Plumps nannte. Ein derart majestätischer und interessanter Zuwachs zu meiner Sammlung von Haustieren musste meiner Meinung nach gebührend gewürdigt werden. Mir kam der Gedanke, dass es am besten sei, meinen Schildkrötenteich neu zu gestalten, der bisher nur aus einer alten Badewanne bestand. Für mein Gefühl war das ein viel zu unwürdiges Loch für ein Tier wie die Alte Plumps, deshalb erwarb ich einen großen, quadratischen Steinbehälter (der einmal zur Aufbewahrung von Olivenöl genutzt worden war) und stattete ihn kunstvoll mit Steinen, Wasserpflanzen, Sand und Kies aus. Als alles fertig war, sah es fast schon natürlich
1
aus, und die Schildkröten und Wasserschlangen schienen sich darin richtig wohlzufühlen. Trotzdem war ich nicht ganz zufrieden. Obwohl der neue Teich zweifellos gelungen war, schien ihm etwas zu fehlen. Nach langem Überlegen kam ich zu dem Schluss, dass er als i-Tüpfelchen unbedingt Goldfische benötigte. Aber woher sollte ich die kriegen? Der nächste Ort, an dem man Goldfische hätte kaufen können, war Athen, doch dort kam ich nicht so einfach hin, außerdem hätte es viel Zeit gekostet. Mein Teich sollte auf jeden Fall rechtzeitig zur Party fertig sein. Da ich wusste, dass die Familie viel zu beschäftigt war, um mir bei der Beschaffung von Goldfischen zu helfen, ging ich mit meinem Problem zu Spiro. Nachdem ich ihm ausführlich beschrieben hatte, was Goldfische sind, sagte er, dass mein Wunsch unmöglich zu erfüllen sei, er habe auf Korfu nämlich noch nie solche Fische gesehen. Aber er wolle sich etwas überlegen. Nach einer langen Phase des Wartens, während der ich schon dachte, er hätte die Sache vergessen, winkte er mich am Tag vor der Party in eine stille Ecke und vergewisserte sich, dass uns niemand hören konnte. »Mister Gerry, ich glauben, ich kann kriegen diese golden Fische«, brummte er heiser. »Aber zu keinem sagen ein Wort. Kommen mit am Abend in Stadt, wenn Spiro fahren Mutter, um lassen machen Haare, und bringen Eimer für Fische mit.« Spiros verschwörerisches Gehabe verlieh der Beschaffung der Goldfische einen angenehm skandalösen Hauch von Gefahr, und so bereitete ich am Nachmittag aufgeregt einen Kanister vor, um die Fische nach Hause zu transportieren. An diesem Abend verspätete sich Spiro. Mutter und ich hatten schon einige Zeit auf der Veranda gewartet, ehe sein Wagen hupend und knatternd die Auffahrt hochraste und quietschend vor dem Haus zum Stehen kam. »Mensch, Mrs Durrell, tun mir leid, ich spät«, entschuldigte er sich, als er Mutter in den Wagen half. »Das macht nichts, Spiro. Wir waren nur in Sorge, dass Sie einen Unfall hatten.« »Unfall?«, sagte Spiro verächtlich. »Spiro nie haben Unfall. Nein, waren wieder diese Polypen.« »Polypen?«, wiederholte Mutter verwundert. »Ja, haben immer Polypen um diese Zeit«, sagte Spiro verstimmt. »Sollten Sie nicht besser zum Arzt gehen, wenn sie Ihnen Probleme machen?«, schlug Mutter vor. »Arzt?«, wiederholte Spiro verwirrt. »Wieso?« »Na ja, Polypen können gefährlich werden«, bemerkte Mutter. »Gefährlich?« »Ja, wenn man sie nicht behandelt.« Spiro grübelte einen Moment lang nach. »Ich meinen diese Flugzeugpolypen«, sagte er schließlich. »Flugzeugpolypen?« »Ja, französische, ich glauben.« »Sie meinen Flugzeugpiloten.«
2
»Das ich sagen, Polypen«, entgegnete Spiro gekränkt. Es war schon dunkel, als wir Mutter beim Friseur absetzten. Spiro fuhr mich auf die andere Seite der Stadt und hielt vor einem riesigen schmiedeeisernen Tor an. Er sprang aus dem Wagen, schaute sich verstohlen um, schlich zum Tor und pfiff. Augenblicklich tauchte ein uralter, bärtiger Mann aus dem Gebüsch auf. Nachdem sich die beiden eine Weile flüsternd besprochen hatten, kam Spiro zum Wagen zurück. »Geben mir Kanister, Mister Gerry, und bleiben hier«, brummte er. »Nicht lange dauern.« Der bärtige Mann öffnete das Tor, Spiro watschelte hinein, dann verschwanden die beiden auf Zehenspitzen zwischen den Büschen. Eine halbe Stunde später tauchte Spiro wieder auf und drückte sich den Kanister an seine breite Brust. Seine Schuhe waren platschnass, und von seinen Hosenbeinen tropfte Wasser. »Hier, Mister Gerry«, sagte er und hielt mir den Kanister hin, in dem fünf fette, schimmernde Goldfische schwammen. Voller Freude dankte ich Spiro überschwänglich. »Kein Problem«, sagte er und startete den Motor. »Nur nichts sagen niemand, ja?« Ich fragte, woher er die Fische habe und wem der Garten gehöre. »Nicht fragen«, sagte er finster. »Nur halten Mund und nichts sagen niemand.« Erst einige Wochen später kam ich in Theodores Gesellschaft zufällig wieder an diesem schmiedeeisernen Tor vorbei und fragte ihn, was sich dahinter verberge. Er erklärte, dass das der Palast sei, in dem der griechische König (oder andere Mitglieder des Königshauses) wohne, wenn er die Insel besuche. Meine Bewunderung für Spiro kannte keine Grenzen mehr. Tatsächlich in einen Palast einzubrechen, um Goldfische aus dem Teich des Königs zu stehlen, hielt ich für eine äußerst bemerkenswerte Tat. Darüber hinaus steigerte es in meinen Augen enorm das Ansehen der Fische, ich sah sie nun in einem völlig neuen Licht, wenn sie gemütlich zwischen den Schildkröten umherschwammen. Am Morgen vor der Party begannen die Dinge dann aus dem Ruder zu laufen. Zunächst entdeckte Mutter, dass Dodo sich ausgerechnet diesen Tag ausgesucht hatte, um läufig zu werden. Eines der Bauernmädchen musste mit einem Besen vor die Hintertür abkommandiert werden, um Dodos Verehrer zu verscheuchen, damit Mutter ungestört kochen konnte. Doch trotz dieser Vorsichtsmaßnahme brach in der Küche hin und wieder Panik aus, wenn es einem der dreisteren Romeos gelungen war, sich durch die Vordertür ins Haus zu schleichen. Als ich nach dem Frühstück zu meinen Goldfischen lief, musste ich mit Schrecken feststellen, dass zwei von ihnen getötet und teilweise sogar gefressen worden waren. In meiner Freude über die Fische hatte ich vergessen, dass sowohl Schildkröten als auch Wasserschlangen gelegentlich Appetit auf einen drallen Fisch bekamen. Ich war also fürs Erste gezwungen, alle Reptilien aus dem Teich zu nehmen, bis ich mir eine Lösung für das Problem überlegt hatte. Nachdem ich die Voliere sauber gemacht und die Eltern und Alecko gefüttert hatte, war mir noch immer keine Möglichkeit eingefallen, die Fische und die Reptilien zusammen zu halten, und da war es schon fast Mittag. Schlecht gelaunt ging ich zurück zu meinem sorgfältig gestalteten Teich und sah zu meinem Entsetzen, dass jemand den Eimer, in den ich die Wasserschlangen ausgelagert hatte, mitten in die pralle Sonne gestellt hatte. Sie trieben so träge und überhitzt im Wasser, dass ich im ersten Moment
3
dachte, sie wären tot. Da es offensichtlich war, dass sie sofortige Rettungsmaßnahmen benötigten, packte ich den Eimer und rannte ins Haus. Mutter war in der Küche und versuchte gestresst und zerstreut, sowohl mit ihren Kochtöpfen als auch mit Dodos Verehrern fertigzuwerden. Ich erklärte ihr die Notlage der Schlangen und sagte, dass nur ein langes kühles Bad sie retten würde. Ob ich sie ungefähr eine Stunde lang in die Badewanne legen dürfe? »Äh, ja, Schatz, ich denke, das wäre in Ordnung. Schau aber, ob schon alle im Bad fertig sind, und vergiss nicht, die Wanne hinterher zu desinfizieren, ja?«, sagte sie. Ich füllte die Badewanne mit angenehm kühlem Wasser und legte die Schlangen behutsam hinein. Schon nach ein paar Minuten konnte man deutlich erkennen, dass sie sich erholten. Höchst zufrieden ließ ich sie einweichen und ging nach oben, um mich umzuziehen. Als ich wieder runterkam, schlenderte ich auf die Veranda, um mir den zum Mittag gedeckten Tisch anzusehen, der im Schatten des Weins stand. Auf dem einmal sehr attraktiven Blumendekor in der Mitte des Tisches hockten die Eltern und schwankten hin und her. Erstarrt vor Entsetzen, begutachtete ich den Tisch. Das Besteck war willkürlich durcheinandergewirbelt, die Teller waren mit einer Schicht Butter verschmiert, kreuz und quer über das Tischtuch verlief eine fettige Krallenspur, und die kümmerlichen Reste einer Schüssel Chutney waren großzügig mit Pfeffer und Salz garniert. Zu guter Letzt war über diesem Durcheinander die Wasserkaraffe geleert worden, um dem Ganzen die typische, unnachahmliche Note der Eltern zu verleihen. Doch irgendetwas war ausgesprochen komisch an den beiden Missetätern. Anstatt so schnell wie möglich davonzufliegen, blieben sie zwischen den zerrupften Blumen sitzen, wankten mit glasigen Augen umher und schäckerten zufrieden. Nachdem sie mich einen Augenblick entrückt angestarrt hatten, trippelte eine von ihnen mit einer Blume im Schnabel sehr unsicher über den Tisch, verlor am Ende des Tischtuchs ihr Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Die andere stieß ein heiseres, amüsiertes Glucksen aus und steckte ihren Kopf unter die Flügel, als wollte sie schlafen. Ihr ungewöhnliches Verhalten verwirrte mich. Dann bemerkte ich die Scherben einer Bierflasche auf den Steinplatten. Keine Frage, die Eltern hatten sich eine kleine Privatparty gegönnt und waren stockbetrunken. Ich kriegte die beiden recht leicht zu fassen, obwohl die eine auf dem Tisch versuchte, sich unter einer mit Butter verschmierten Serviette zu verstecken und so tat, als wäre sie nicht da. Ich fragte mich gerade, ob ich sie zurück in ihren Käfig stecken und so tun könnte, als wüsste ich von nichts, da tauchte Mutter mit einem Soßenkännchen auf. Gewissermaßen auf frischer Tat ertappt, hätte mir keiner mehr geglaubt, wenn ich das Chaos einem plötzlichen Sturm oder Ratten in die Schuhe geschoben oder irgendeine andere Ausrede erfunden hätte. Die Eltern und ich mussten die bittere Pille schlucken. »Wirklich, Schatz, du musst darauf achten, ihre Käfigtür zuzumachen. Du kennst sie doch«, sagte Mutter traurig. »Aber egal, es war ein Missgeschick. Und ich schätze, wenn sie einen Schwips haben, können sie eigentlich auch nichts dafür.« Als ich die betrunkenen Eltern zurück zum Käfig brachte, entdeckte ich, dass, wie befürchtet, auch Alecko die Gelegenheit zur Flucht ergriffen hatte. Ich sperrte die Eltern wieder ein und wusch ihnen gehörig den Kopf. Mittlerweile waren sie streitlustig geworden und attackierten wütend meine Schuhe. Erst zankten sie sich darum, wer die Ehre hatte, meine Schnürsenkel zu fressen, dann fielen sie übereinander her. Während sie wild und ungestüm umherflatterten und mit den Schnäbeln aufeinander einhackten, ging ich los, um Alecko zu suchen. Ich pirschte durch den Garten und durchs ganze Haus, aber er war nirgendwo zu sehen.
4
Wahrscheinlich war er nur runter zum Meer geflogen, um ein bisschen zu schwimmen, dachte ich, im Grunde erleichtert, ein Problem weniger zu haben. Die ersten Gäste waren bereits eingetroffen und nahmen einen Drink auf der Veranda. Ich gesellte mich zu ihnen und war bald in ein Gespräch mit Theodore vertieft. Während wir redeten, sah ich zu meiner Überraschung, dass Leslie mit seiner Flinte unterm Arm aus den Olivenhainen kam und ein Netz voller Schnepfen und einen großen Hasen mitbrachte. Ich hatte ganz vergessen, dass er in der Früh zur Jagd aufgebrochen war, um ein paar Waldschnepfen zu schießen. »Aha!«, sagte Theodore schelmisch, als Leslie über das Verandageländer sprang und uns seine Beute zeigte. »Ist das ein Hase, oder ist das … äh … deine Perücke?« »Theodore! Den Spruch hast du von Charles Lamb geklaut!«, sagte Larry vorwurfsvoll. »Ja … äh … mmh … das stimmt leider. Aber er hat gerade so gut gepasst«, erklärte Theodore reumütig. Während Leslie im Haus verschwand, um sich umzuziehen, nahmen Theodore und ich unser Gespräch wieder auf. Mutter kam und setzte sich auf die Mauer, Dodo legte sich ihr zu Füßen. Ihre Rolle als kultivierte Gastgeberin litt etwas darunter, dass sie ständig ihr Gespräch unterbrach, um fürchterliche Grimassen zu ziehen und einen dicken Knüppel nach dem Rudel keuchender Hunde zu schwingen, das sich im Vorgarten versammelt hatte. Hin und wieder, wenn unter Dodos Verehrern ein wütender Kampf ausbrach, drehte sich die gesamte Familie um und brüllte drohend: »Klappe halten!« Was zur Folge hatte, dass die etwas Nervöseren unter unseren Gästen vor Schreck ihre Getränke verschütteten. Nach jeder dieser Unterbrechungen lächelte Mutter fröhlich in die Runde und bemühte sich, das Gespräch wieder in normale Bahnen zu lenken. Gerade als sie das zum dritten Mal erfolgreich getan hatte, legte ein lautes Gezeter aus dem Inneren des Hauses die Unterhaltung erneut lahm. Es klang wie ein Schrei, den man einem unter Zahnschmerzen leidenden Minotaurus zugetraut hätte. »Was ist denn mit Leslie los?«, fragte Mutter. Sie wurde nicht lange im Unklaren gelassen, denn er stürmte mit nichts als einem kleinen Handtuch um die Taille auf die Veranda. »Gerry!«, brüllte er. Sein Gesicht war dunkelrot vor Zorn. »Wo ist der Kerl?« »Na, na, Schatz«, sagte Mutter beschwichtigend. »Was ist denn los?« »Schlangen«, knurrte Leslie und gestikulierte wild mit beiden Händen, um ihr extremes Ausmaß anzudeuten. Dann griff er schnell nach seinem rutschenden Handtuch. »Schlangen, das ist los.« Die Wirkung, den sein Auftritt auf die Gäste hatte, war spannend. Diejenigen, die uns kannten, verfolgten die Szene mit lebhaftem Interesse, während sich die Uneingeweihten fragten, ob Leslie vielleicht nicht ganz bei Trost sei. Sie waren sich nicht sicher, ob sie den ganzen Vorfall ignorieren und weiterreden oder ob sie sich besser auf ihn stürzen sollten, bevor er auf jemanden losging. »Wovon redest du, Schatz?« »Dieser verdammte Kerl hat im beschissenen Bad verfluchte Schlangen ausgesetzt«, stellte Leslie mit unmissverständlicher Deutlichkeit fest.
5
»Bitte nicht in diesem Ton, Schatz!«, sagte Mutter automatisch und fügte abwesend hinzu: »Und zieh dir etwas an, du holst dir noch eine Erkältung.« »Viecher so lang wie Schläuche … Ein Wunder, dass ich nicht gebissen wurde.« »Schon gut, Schatz, im Grund ist es meine Schuld. Ich habe ihm gesagt, er könne sie in die Wanne legen«, entschuldigte sich Mutter. Dann fügte sie hinzu, wohl im Gefühl, dass die Gäste eine Erklärung benötigten: »Sie hatten einen Sonnenstich, die armen Tiere.« »Also, Mutter!«, rief Larry. »Das geht jetzt aber wirklich zu weit.« »Jetzt fang du nicht auch noch an, Schatz«, sagte Mutter streng. »Leslie hat mit den Schlangen gebadet, nicht du.« »Ich weiß echt nicht, warum sich Larry immer einmischen muss«, bemerkte Margo verärgert. »Einmischen? Ich mische mich nicht ein. Wenn Mutter Gerry dazu anstiftet, Schlangen im Badezimmer auszusetzen, halte ich es für meine Pflicht, mich zu beschweren.« »Ach, halt die Klappe«, sagte Leslie. »Ich will vor allem wissen, wann er die verfluchten Viecher wieder rausschafft.« »Ich finde, du machst viel Lärm um nichts«, sagte Margo. »Wenn wir unsere Waschungen jetzt in einem Nest von Giftschlagen vornehmen müssen, sehe ich mich gezwungen auszuziehen«, drohte Larry. »Kann ich jetzt ein Bad nehmen oder nicht?«, knurrte Leslie heiser. »Warum nimmst du sie nicht selbst raus?« »Nur der heilige Franziskus könnte sich hier noch richtig zu Hause fühlen …« »Ach, Quatsch, sei still!« »Ich habe genauso gut das Recht, meine Ansichten zu …« »Ich will ein Bad nehmen, mehr nicht. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt …« »Na, na, ihr beiden, nicht streiten«, sagte Mutter. »Gerry, geh lieber schnell los, und nimm die Schlangen aus der Wanne. Du kannst sie ja erst mal ins Waschbecken legen oder so.« »Nein! Sie müssen ganz raus!« »Ist ja gut, Schatz, schrei nicht so.« Schließlich borgte ich mir aus der Küche einen großen Topf für meine Wasserschlangen. Sie hatten sich zum Glück vollkommen erholt und zischten lebhaft, als ich sie aus der Wanne nahm. Ich kam gerade rechtzeitig auf die Veranda zurück, um zu hören, wie sich Larry lang und breit vor den versammelten Gästen ausließ. »Ich versichere euch, das Haus ist eine Todesfalle. In jeder erdenklichen Ecke und Nische lauert ein heimtückisches Tier. Dass ich bisher einer Verstümmelung entgangen bin, grenzt an ein Wunder. Schon eine
6
einfache, harmlose Tätigkeit wie das Anzünden einer Zigarette birgt Gefahren. Und nicht einmal in meinem Schlafzimmer bin ich sicher. Zuerst wurde ich von einem Skorpion angegriffen, ein abscheuliches Biest, das überall Gift und Babys verteilt hat. Dann wurde mein Zimmer von Elstern auseinandergenommen. Und jetzt haben wir Schlangen im Bad, und im ganzen Haus flattern Scharen von riesigen Albatrossen herum und machen einen Lärm wie eine kaputte Klospülung.« »Larry, Schatz, jetzt übertreibst du aber«, sagte Mutter und lächelte die Gäste unsicher an. »Meine liebe Mutter, wenn überhaupt, dann untertreibe ich. Was war in der Nacht, als Quasimodo in meinem Zimmer schlafen wollte?« »Das war doch nicht schlimm, Schatz.« »Tja«, sagte Larry hochtrabend, »du findest vielleicht Gefallen daran, um halb vier am Morgen von einer Taube geweckt zu werden, die offenbar versessen darauf ist, dir ihren Hintern ins Auge zu drücken …« »Ja, äh, wir haben jetzt genug über Tiere gesprochen«, sagte Mutter schnell. »Ich glaube, das Essen ist fertig. Wollen wir uns nicht alle setzen?« »Wie auch immer«, sagte Larry, als wir von der Veranda zum Tisch gingen, »der Junge ist eine Nervensäge … er hat nicht nur einen Vogel.« Als den Gästen ihre Plätze gezeigt wurden, scharrten eine Weile die Stühle über den Boden, bis endlich alle saßen und sich anlächelten. Doch schon im nächsten Augenblick stießen zwei Gäste laute Schmerzensschreie aus und sprangen wie Raketen von ihren Stühlen auf. »Oh, Schatz, was ist denn jetzt passiert?«, fragte Mutter beunruhigt. »Das sind wahrscheinlich wieder Skorpione«, sagte Larry und stand schnell auf. »Irgendetwas hat mich gebissen … ins Bein gebissen!« »Das habt ihr es«, rief Larry und schaute sich triumphierend um. »Genau, wie ich gesagt habe. Wahrscheinlich hockt ein Paar Bären unterm Tisch.« Der Einzige, der bei dem Gedanken an eine zwischen seinen Füßen lauernde Gefahr nicht vor Angst erstarrte, war Theodore. Er bückte sich, lüftete das Tischtuch und steckte seinen Kopf unter den Tisch. »A-ha!«, konnte man ihn leicht gedämpft, aber interessiert sagen hören. »Was ist es?«, wollte Mutter wissen. Theodore kam wieder unter dem Tischtuch hervor. »Es scheint ein … äh … ein Vogel zu sein. Ein großer, schwarz-weißer Vogel.« »Das ist dieser Albatros«, sagte Larry aufgeregt. »Nein, nein«, korrigierte Theodore, »es ist irgendeine Möwenart, glaube ich.« »Nicht bewegen … bleibt ganz still, sonst trennt er euch die Beine unterhalb des Knies ab!«, informierte Larry die Gäste.
7
Wenn er damit eine ausbrechende Panik verhindern wollte, scheiterte er auf ganzer Linie. Die Gäste erhoben sich mit einem Satz und wichen vom Tisch zurück. Unter dem Tischtuch gab Alecko einen lang gezogenen, bedrohlichen Schrei von sich – ob nun vor Schreck, seine Opfer verloren zu haben, oder aus Protest über den Lärm, war schwer zu sagen. »Gerry, fang sofort diesen Vogel ein!«, befahl Larry aus sicherer Entfernung. »Ja, Schatz«, stimmte Mutter zu. »Bring ihn lieber zurück in seinen Käfig. Da unten kann er nicht bleiben.« Als ich vorsichtig eine Ecke der Tischdecke anhob, sah ich Alecko majestätisch unter dem Tisch hocken. Er betrachtete mich mit zornigen gelben Augen. Kaum hatte ich meine Hand nach ihm ausgestreckt, spannte er seine Flügel auf und klapperte drohend mit dem Schnabel. Mit ihm war offensichtlich nicht zu spaßen. Ich nahm eine Serviette und versuchte, sie ihm um den Schnabel zu legen. »Benötigst du Hilfe, mein lieber Junge?«, fragte Kralefsky, der anscheinend das Gefühl hatte, sein Ruf als Ornithologe verlange sein Einschreiten. Allerdings wirkte er ziemlich erleichtert, als ich seine Hilfe ablehnte. Ich erklärte, dass Alecko schlechte Laune habe und es eine Weile dauern würde, bis ich ihn eingefangen hätte. »Um Himmels willen, dann beeil dich, die Suppe wird kalt«, blaffte Larry gereizt. »Kannst du das Vieh nicht mit irgendwas hervorlocken? Was fressen die denn?« »Alle schönen Möwen mögen Matrosen«, bemerkte Theodore mit großer Befriedigung. »Oh, Theodore, bitte!«, protestierte Larry gequält. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für deine Wortspiele.« »Donnerwetter! Die sieht wirklich wild aus«, sagte Kralefsky, während ich mich mit Alecko abmühte. »Sie hat wahrscheinlich Hunger«, sagte Theodore fröhlich, »und als wir uns zum Schnabulieren hingesetzt haben, ist sie aus den Federn gefahren …« »Theodore!« Ich kriegte Alecko schließlich am Schnabel zu fassen und zerrte den schreienden und flügelschlagenden Vogel unter dem Tisch hervor. Als ich seine Flügel unter Kontrolle gebracht hatte und ihn zu seinenm Käfig trug, war ich einigermaßen ins Schwitzen gekommen. Ich ließ ihn Flüche und Drohungen kreischen und ging zurück, um mich wieder meinem Mittagessen zu widmen. »Ich erinnere mich, dass ein sehr guter Freund von mir einmal von einer riesigen Möwe belästigt worden ist«, erzählte Kralefsky gerade, während er seine Suppe löffelte. »Tatsächlich?«, sagte Larry ironisch. »Mir war gar nicht klar, dass das solche fiesen Vögel sind.« »Er ging mit einer Lady an einer Klippe spazieren«, fuhr Kralefsky fort, ohne auf Larry zu hören, »da stürzte sich der Vogel vom Himmel herab und griff die beiden an. Mein Freund erzählte mir, dass er größte Mühe gehabt habe, ihn mit seinem Schirm abzuwehren. Donnerwetter, keine beneidenswerte Erfahrung, nicht wahr?«
8
»Unglaublich!«, sagte Larry. »Wissen Sie, was er hätte tun müssen?«, meinte Theodore ernst. »Er hätte seinen Schirm auf den Vogel richten und rufen sollen: ›Stehen bleiben, oder ich schieße‹.« »Wozu?«, fragte Kralefsky verwirrt. »Die Möwe hätte ihm geglaubt und wäre erschreckt davongeflogen«, erklärte Theodore lakonisch. »Aber ich verstehe nicht ganz …«, begann Kralefsky stirnrunzelnd. »Möwen haben nicht so furchtbar viel auf dem Schirm«, sagte Theodore und freute sich wie ein Schneekönig. »Also wirklich, Theodore, du schießt hier einen Vogel nach dem anderen ab«, stöhnte Larry. Gläser klirrten, Messer und Gabeln klapperten, und Weinflaschen glucksten, während das Essen seinen Lauf nahm. Eine Köstlichkeit folgte auf die andere, und wenn die Gäste jedes neue Gericht einmütig lobten, lächelte Mutter bescheiden. Das Gespräch am Tisch drehte sich natürlich um Tiere. »Ich erinnere mich, wie ich als Kind in den Ferien zu einer unserer zahllosen älteren und exzentrischen Tanten geschickt wurde«, setzte Larry an zu erzählen. »Sie hatte einen Tick und hielt Unmengen an Bienen. Der ganze Garten stand voller Bienenstöcke, die summten wie Strommasten. Eines Nachmittags zog sie sich einen riesigen Schleier und Handschuhe über, schloss uns alle zur Sicherheit im Haus ein und ging raus, um aus einem der Stöcke Honig zu ernten. Offenbar hatte sie die Bienen nicht richtig betäubt oder was auch immer man mit ihnen macht, denn als sie den Deckel hochhob, schoss eine Fontäne von Bienen nach oben, die sich alle auf unserer Tante niederließen. Wir schauten durchs Fenster zu. Wir hatten keine Ahnung von Bienen und dachten, dass das immer so sei, wenn man Honig erntete. Doch dann sahen wir, wie sie durch den Garten rannte und verzweifelt versuchte, den Bienen zu entkommen, und sich dabei mit ihrem Schleier in den Rosenbüschen verhedderte. Irgendwann schaffte sie es zum Haus und warf sich gegen die Tür, doch wir konnten sie nicht öffnen, weil sie den Schlüssel hatte. Wir versuchten, ihr das klarzumachen, aber ihre Schmerzensschreie und das Summen der Bienen waren lauter. Es war, glaube ich, Leslie, der die geniale Idee hatte, vom Schlafzimmerfenster aus einen Eimer Wasser über sie zu kippen. Leider warf er in seinem Eifer auch gleich den Eimer hinterher. Von kaltem Wasser durchnässt zu werden und dann einen großen, verzinkten Eimer auf den Kopf zu bekommen ist schon ärgerlich genug, aber gleichzeitig auch noch eine Horde Bienen abzuwehren, macht die ganze Sache äußerst unangenehm. Als sie schließlich wieder drinnen war, war sie fast bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen.« Larry hielt inne und seufzte bekümmert. »Donnerwetter, schrecklich«, rief Kralefsky mit großen Augen. »Sie hätte getötet werden können.« »Ja, vielleicht«, meinte Larry. »Vor allem hat es mir vollkommen die Ferien verdorben.« »Hat sie sich davon erholt?«, fragte Kralefsky. Anscheinend dachte er sich schon ein spannendes Bienenabenteuer aus, das er mit seiner Lady erleben könnte. »Ja, nach ein paar Wochen im Krankenhaus«, erwiderte Larry gleichgültig. »Es schien sie aber nicht von den Bienen abzubringen. Kurz danach schwirrte ein ganzer Schwarm in den Schornstein, und beim Versuch, sie auszuräuchern, setzte sie ihr Haus in Brand. Als die Feuerwehr kam, war das Haus nur noch eine verkohlte, von Bienen umschwirrte Ruine.«
9
»Schrecklich, schrecklich«, murmelte Kralefsky. Theodore, der gerade akribisch Butter auf eine Scheibe Brot strich, brummte amüsiert. Er steckte sich das Brot in den Mund, kaute einen Moment lang hartnäckig, schluckte und wischte sich den Bart sorgfältig mit seiner Serviette ab. »Apropos Feuer«, begann er dann schelmisch und mit funkelnden Augen, »habe ich euch schon erzählt, wie die Feuerwehr von Korfu modernisiert wurde? Offenbar war der Chef der Feuerwehr in Athen gewesen und äußerst … äh … beeindruckt von den neuen Löschgeräten dort. Seiner Meinung nach war es höchste Zeit, dass Korfu das von Pferden gezogene Löschfahrzeug loswurde und sich ein neues zulegte … mmh … am besten ein hübsches in leuchtendem Rot. Er hatte auch einige andere Neuerungen im Sinn. Jedenfalls kehrte er voller … äh … Enthusiasmus zurück. Als Erstes ließ er ein rundes Loch in die Decke der Feuerwache stemmen, damit die Feuerwehrleute, wie es sich gehört, an einer Stange nach unten rutschen konnten. Offenbar hatte er jedoch in seinem Eifer zur Modernisierung die Stange vergessen, sodass sich zwei Feuerwehrmänner bei der ersten Übung die Beine brachen.« »Nein, Theodore, ich weigere mich, das zu glauben. Das kann nicht wahr sein.« »Doch, doch, ich versichere euch, es ist die absolute Wahrheit. Die Männer wurden zum Röntgen zu mir ins Labor gebracht. Anscheinend hatte der Chef den Männern nichts von der Stange gesagt, und sie dachten, sie müssten durch das Loch nach unten springen. Aber das war erst der Anfang. Für einen recht beträchtlichen Preis wurde ein äußerst … äh … großes Löschfahrzeug angeschafft. Der Chef bestand auf dem größten und besten. Leider war es so groß, dass sie damit nur auf einem Weg durch die Stadt fahren konnten – ihr wisst ja, wie eng die meisten Straßen sind. Recht häufig konnte man sehen, wie es mit laut bimmelnder Glocke vom Feuer wegraste. Sobald sie aus der Stadt raus waren, wo die Straßen etwas … äh … breiter sind, mussten sie einmal um die halbe Stadt herum zur Brandstelle fahren. Am kuriosesten aber war meiner Meinung nach die Sache mit dem sehr modernen Feuermelder, den sich der Chef hatte kommen lassen. So ein Gerät, bei dem man eine kleine Scheibe einschlagen musste, hinter der eine Art … mmh … Telefon war. Jedenfalls gab es eine große Diskussion darüber, wo man den Feuermelder anbringen sollte. Der Chef der Feuerwehr erzählte mir, dass diese Angelegenheit sehr schwer zu entscheiden sei, da man sich nie sicher sein könne, wo ein Feuer ausbrechen würde. Um also jede Verwirrung zu vermeiden, installierten sie den Feuermelder an der Tür der Wache.« Theodore hielt inne, fuhr sich mit dem Daumen über den Bart und trank einen Schluck Wein. »Kaum war alles erledigt, brach das erste Feuer aus. Ich war zum Glück zufälligerweise in der Nähe und konnte die ganze Sache beobachten. Es brannte in einer Autowerkstatt, und die Flammen hatten sich schon ziemlich weit ausgebreitet, ehe es dem Besitzer gelang, zur Feuerwache zu laufen und die Scheibe des Feuermelders einzuschlagen. Daraufhin gab es ein hitziges Wortgefecht, scheinbar war der Feuerwehrchef verärgert darüber, dass sein Feuermelder so schnell zerstört worden war. Er sagt dem Mann, dass er auch an der Tür hätte klopfen können, der Feuermelder sei brandneu, und es würde Wochen brauchen, um die Scheibe zu ersetzen. Schließlich wurde das Löschfahrzeug auf die Straße gerollt, und die Feuerwehrleute versammelten sich. Der Chef hielt eine kurze Ansprache und forderte jeden Mann auf, seine … äh … Pflicht zu tun. Dann nahmen alle ihre Plätze ein. Sie stritten noch darüber, wer die Ehre haben sollte, die Glocke zu läuten, aber schließlich machte es der Chef selbst. Ich muss zugeben, als das Löschfahrzeug schließlich an der Brandstelle eintraf, sah es wirklich eindrucksvoll aus. Die Feuerwehrleute sprangen runter und liefen geschäftig herum und schienen alles im Griff zu haben. Doch nachdem sie den langen Schlauch ausgerollt
10
hatten, kam ein neues Problem auf. Niemand konnte den Schlüssel für die Rückseite des Löschfahrzeugs finden, wo der Schlauch eingeklinkt wurde. Der Chef sagte, er habe ihn Yani gegeben, aber der hatte an dem Abend offenbar frei. Nach langer Diskussion schickten sie jemand zu Yanis Haus, es war … äh … glücklicherweise nicht weit weg. Während die anderen warteten, bestaunten sie das Feuer, das mittlerweile recht groß geworden war. Der Mann kehrte zurück und sagte, dass Yani nicht zu Hause sei, aber seine Frau gesagt habe, er sei zum Feuer gegangen. Die Feuerwehrleute suchten die Menge ab und entdeckten Yani zur Verärgerung des Chefs unter den Schaulustigen, mit dem Schlüssel in der Tasche. Der Chef war außer sich und wies darauf hin, dass es genau solche Dinge seien, die einen schlechten Eindruck erweckten. Sie öffneten die Rückseite des Löschfahrzeuges, klinkten den Schlauch ein und drehten das Wasser auf. Mittlerweile war von der Werkstatt allerdings nicht mehr viel übrig, das man noch … äh … hätte löschen können.« Nach dem Mittagessen waren die Gäste zu voll, um etwas anderes zu tun, als auf der Veranda auszuruhen. Keiner hatte auch nur die geringste Lust auf die Partie Cricket, für die Kralefsky sie begeistern wollte. Die wenigen von uns, die noch etwas Energie hatten, ließen sich von Spiro runter zum Strand fahren, wo wir uns im warmen Wasser aalten, bis es Zeit war, zum Tee zurückzukehren, zu dem Mutter erneut groß auftischte: wankende Berge warmer Waffeln, knusprige, hauchdünne Kekse, riesige, mit Marmelade gefüllte Cremetorten, dunkle, schwere und innen noch feuchte Früchtekuchen, Plätzchen, die so zart waren wie Korallen und vor Honig überquollen. Die Gespräche gerieten ins Stocken, man hörte nur das leise Klirren der Tassen oder den innigen Seufzer eines Gastes, der, obwohl bereits gesättigt, sich noch ein Stück Kuchen geben ließ. Danach lagen wir in kleinen Gruppen auf der Veranda verteilt und plauderten über Gott und die Welt, während sich zwischen den Olivenhainen die grüne Dämmerung ausbreitete und der Schatten unter dem Wein immer dunkler wurde, bis man die Gesichter der anderen kaum noch erkennen konnte. Kurz darauf kam Spiro, der in mysteriöser Mission allein mit dem Wagen aufgebrochen war, durch die Bäume gerast und hupte wie ein Irrer, um alles und jeden vor seiner Ankunft zu warnen. »Weshalb muss Spiro die Abendruhe mit diesem entsetzlichen Lärm zerstören?«, wollte Larry mit gequälter Stimme wissen. »Meine Rede, meine Rede«, brummte Kralefsky schläfrig. »Zu dieser Tageszeit möchte man die Nachtigallen hören und keine Autohupen.« »Ich erinnere mich, wie verwirrt ich war«, bemerkte Theodore aus dem Schatten mit einem amüsierten Unterton, »als ich das erste Mal bei Spiro mitgefahren bin. Ich weiß nicht mehr genau, worüber wir geredet haben, aber er meinte plötzlich zu mir: ›Ja, Doktor, wenn ich kommen durch Dorf, keine Menschenseele mehr da.‹ Im Geiste sah ich ein … äh … komisches Bild von völlig leeren Dörfern vor mir, mit riesigen Leichenbergen am Straßenrand. Dann sagte Spiro: ›Ja, wenn ich durch Dorf fahren, ich hupen wie Hölle und jagen alle Todesangst ein.‹« Als der Wagen ums Haus fuhr, strichen die Schweinwerfer kurz über die Veranda und erleuchteten das Dach aus dunstigen grünen Weinblättern, die verstreuten Gruppen der plaudernden und lachenden Gäste und die zwei Bauernmädchen mit ihren scharlachroten Kopftüchern, die leise mit nackten Füßen über die Steinplatten tappten und den Tisch deckten. Der Wagen hielt an, das Motorengeräusch erstarb, und dann kam Spiro den Pfad entlanggewatschelt und drückte sich ein großes, offenbar schweres Paket an die Brust, das in braunes Packpapier gewickelt war.
11
»Großer Gott! Seht nur!«, rief Larry theatralisch und zeigte mit einem zitternden Finger auf Spiro. »Die Verleger haben mein Manuskript schon wieder zurückgeschickt.« Spiro blieb auf seinem Weg ins Haus stehen und schaute mürrisch über die Schulter. »Mensch, nein, Mister Larry«, sagte er ernst. »Sind drei Truthähne, die meine Frau kochen für Ihre Mutter.« »Ach, dann besteht noch Hoffnung«, seufzte Larry erleichtert. »Aber der Schock hat mich völlig geschwächt. Lasst uns reingehen und was trinken.« Drinnen schimmerte das Licht der Lampen auf Margos bunten Wandgemälden, die sich sanft in der Abendbrise bewegten. Gläser begannen zu klirren, Korken ploppten wie in Brunnen fallende Steine, und Siphonflaschen zischten wie müde Eisenbahnen. Die Gäste kamen wieder in Schwung, ihre Augen funkelten, und die Gespräche wurden immer lebhafter. Dodo, die von der Party gelangweilt war und von Mutter keine Aufmerksamkeit bekam, machte sich allein auf den Weg in den Garten. Sie trottete durchs Mondlicht und suchte sich eine geeignete Stelle unter dem Magnolienbaum, um sich zu erleichtern. Plötzlich sah sie sich entsetzt mit einem Rudel wütender, aufsässiger, struppiger Hunde konfrontiert, die offensichtlich die übelsten Absichten mit ihr hatten. Mit einem Angstschrei lief sie davon und flüchtete so schnell ins Haus, wie es ihre kurzen, dicken Beine erlaubten. Doch die feurigen Verehrer wollten nicht kampflos aufgeben. Sie hatten den ganzen lästig heißen Nachmittag versucht, Bekanntschaft mit Dodo zu machen, und waren nicht gewillt, diese scheinbar vom Himmel gesandte Gelegenheit, ihr näher zu kommen, einfach so verstreichen zu lassen. Dodo galoppierte ins überfüllte Wohnzimmer und schrie um Hilfe, dicht gefolgt von der keuchenden und knurrenden Hundemeute. Roger, Kotzi und Pipi, die sich für einen Imbiss in die Küche geschlichen hatten, kamen auf der Stelle zurückgerast. Was sie sahen, empörte sie. Wenn jemand Dodo verführen dürfte, dachten sie, dann einer von ihnen und nicht irgendein räudiger Dorfköter. Mit großer Hingabe stürzten sie sich auf Dodos Verfolger, und augenblicklich entstand im Zimmer ein großes Durcheinander aus kämpfenden, knurrenden Hunden und hysterischen Gästen, die davonsprangen, um ja nicht gebissen zu werden. »Wölfe! … Es ist ein Zeichen, dass uns ein harter Winter bevorsteht«, schrie Larry, als er schnell auf einen Stuhl hüpfte. »Ruhig bleiben! Ruhig bleiben!«, brüllte Leslie. Er nahm ein Kissen und schleuderte es auf die ineinander verknäulten Hunde. Das Kissen wurde sofort von fünf wütenden Mäulern gepackt und in der Luft zerrissen. Eine große Wolke aus Federn wirbelte auf und wehte durchs Zimmer. »Wo ist Dodo?«, rief Mutter mit bebender Stimme. »Findet Dodo, sonst tun sie ihr was.« »Haltet sie auf! Haltet sie auf! Sie bringen sich gegenseitig um«, kreischte Margo. Sie nahm einen Sodasiphon und besprühte völlig wahllos sowohl die Gäste als auch die Hunde. »Ich glaube, Pfeffer ist ein gutes Mittel gegen Hundekämpfe«, meinte Theodore, auf dessen Bart sich die Federn wie Schneeflocken niederließen. »Obwohl ich es natürlich noch nicht selbst ausprobiert habe.« »Donnerwetter!«, rief Kralefsky. »Vorsicht … rettet die Ladys!« Er folgte seinem Rat, indem er dem am nächsten stehenden weiblichen Wesen aufs Sofa half und hinterherkletterte.
12
»Wasser soll auch ein gutes Mittel sein«, fuhr Theodore nachdenklich fort, und als wollte er es ausprobieren, schüttete er mit peinlicher Genauigkeit sein Glas Wein über einen vorbeilaufenden Hund. Spiro stürmte auf Theodores Vorschlag hin in die Küche und kehrte mit einer großen Wanne voll Wasser zurück. Er blieb an der Türschwelle stehen und stemmte sie über den Kopf. »Aufpassen«, dröhnte er, »Spiro machen Köter fertig.« Die Gäste flohen in alle Richtungen, aber sie waren nicht schnell genug. Ein klarer, gleißender Wasserschwall wölbte sich in der Luft und klatschte auf den Boden, wo er sich brach und noch einmal aufbrandete, um dann wie eine Flutwelle durchs Zimmer zu schwappen. Das hatte unangenehme Folgen für die Gäste in der unmittelbaren Nähe, schreckte aber vor allem die Hunde blitzartig auf. Verängstigt vom Brausen und Rauschen des Wassers, stoben sie auseinander, jagten hinaus in die Nacht und ließen eine Verwüstung zurück, bei der einem der Atem stockte. Das Zimmer sah aus wie ein Hühnerstall, durch den ein Wirbelsturm gefegt war. Unsere Freunde irrten durchnässt und gefedert umher, und da auch die Lampen mit Federn bedeckt waren, lag ein beißender Brandgeruch in der Luft. Mutter, die Dodo fest in ihren Armen hielt, sah sich im Zimmer um. »Leslie, Schatz, hol bitte ein paar Handtücher, damit wir uns abtrocknen können. Das ist ja wirklich ein Chaos hier. Na, egal, gehen wir raus auf die Veranda, oder?«, sagte sie und fügte süßlich hinzu: »Tut mir leid, dass das passiert ist. Es ist wegen Dodo, sie ist im Moment sehr interessant für die Hunde.« Schließlich waren die Gäste wieder trocken und von den Federn befreit, die Gläser wurden neu gefüllt, und alle ließen sich auf der Veranda nieder, wo der Mond zwischen den pechschwarzen Schatten der Weinblätter auf die Steinplatten schien. Larry zupfte leise auf seiner Gitarre und summte mit vollem Mund ein unverständliches Lied. Durch die Verandatüren konnten wir Leslie und Spiro sehen, die mit konzentrierter Miene fachmännisch die großen braunen Truthähne zerlegten. Mutter huschte durch den Schatten und erkundigte sich besorgt, ob auch jeder genug zu essen bekommen habe. Kralefsky saß auf der Verandamauer – der Mond lugte über seinen Buckel und ließ seine Silhouette wie eine Krabbe aussehen – und erzählte Margo eine lange und wirre Geschichte. Theodore hielt Doktor Androuchelli einen Vortrag über die Gestirne und deutete mit einem halb abgeknabberten Truthahnbein auf die verschiedenen Sternbilder. Jenseits unserer Veranda schien der Mond die nächtliche Insel mit silbernen Streifen und Flecken zu versehen. Weiter unten in den dunklen Zypressen riefen die Eulen einander aufmunternd zu. Der Himmel sah so schwarz und weich aus wie ein Maulwurfsfell, das mit dem zarten Tau der Sterne bedeckt war. Der Magnolienbaum ragte mächtig über das Haus, seine Äste voller weißer Blüten wie unzählige kleine Spiegelungen des Mondes, deren üppiger, süßer Duft wohlig über der Veranda hing, ein Duft wie ein Zauber, der einen hinauslockte in die geheimnisvolle, mondhelle Landschaft.
13