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Grundlagen Der goldene Schnitt
Dirk Behlau Behlau Dirk
Der goldene Schnitt Kreative sehen sich häufiger mit dem Begriff „goldener Schnitt“ konfrontiert. Ein Zusammenhang zur eigenen täglichen Gestaltung lässt sich nicht sofort herstellen. Die Kenntnis dieser traditionellen Gestaltungsregel kann allerdings helfen, effektiver und ansprechender zu designen. Der goldene Schnitt (im englischen als Golden Cut bezeichnet), ist mathematisch gesehen zunächst einmal ein Teilungsverhältnis. Dabei wird die Gesamtstrecke AB so in zwei Teilstrecken unterteilt, dass die größere Teilstrecke BT (der Major) sich proportional zur Gesamtstrecke verhält wie die kleinere Teilstrecke AT (der Minor) zur größeren Teilstrecke BT. Er ist somit eine Gestaltungsregel, mit der man harmonische Maßverhältnisse berechnet, zum Beispiel an einer Tür. Eine Strecke wird so geteilt, dass sich die Länge der ganzen Strecke zu der größeren Strecke so verhält wie diese zur kleineren Strecke. Die Formel zur Berechnung ist eher kompliziert. Die Faustregel: Das längere Teilstück umfasst etwas über 60 Prozent des Ganzen, das kürzere Teilstück umfasst fast 40 Prozent. Es ergeben sich so zum Beispiel folgende Maßverhältnisse: 200 cm : 125 cm (8 : 5) entspricht 125 cm : 75 cm (5 : 3).
ten dieses ideale Teilungsverhältnis, das sich ihnen zufolge nicht nur in der Natur, sondern auch in den einzelnen Proportionen des menschlichen Körpers wiederfindet. Nach ihrer Auffassung ist dies der Grund dafür, weshalb wir gerade dieses Teilungsverhältnis als besonders angenehm empfinden. Diese Proportion wurde vom italienischen Mathematiker Leonardo Fibonacci (um 1180-1240) fundiert nachgewiesen. Bereits Euklid (325-270 v. Chr.) erkannte das Streckenverhältnis, das wir heute als „goldenen Schnitt“ bezeichnen, im Rahmen seiner Untersuchungen über Platonische Körper. Später beschäftigte sich der Mönch Luca Pacioli di Borgo San Sepolcro (1445-1514) mit Euklids Arbeiten.
Er nannte diese ästhetisch perfekte Streckenteilung die „göttliche Teilung“. Propagiert wurde der goldene Schnitt seit der Renaissance insbesondere von Architekten, Typografen, Malern, Bildhauern und Musikern als das ideale Zahlenverhältnis im Sinne des Klassizismus. Intuitives Handeln. Möglicherweise könnte ein allen gemeinsames Schönheitsempfinden der Grund sein, warum sich diese Proportion so häufig in der Architektur, der Bildhauerei, der Malerei und der Fotografie findet. Ein erfahrener Fotograf wird sein Hauptmotiv dabei nie in die Mitte setzen, sondern eben in die Proportion des goldenen Schnitts.
Harmonisches Teilungsverhältnis.
Der goldene Schnitt, also das Teilungsverhältnis 1 : 1,618, wird in allen westlichen Kulturen als harmonisch empfunden. Bereits die Griechen kannWebCode DS0538
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Proportionen: Der goldene Schnitt entsteht durch die Aufteilung in unterschiedliche Bereiche. Die korrekte Anordnung erzeugt eine harmonische Wahrnehmung.
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Web: Bei einer Strecke von 800 Pixeln ergeben sich nach dem goldenen Schnitt zwei kleine Strecken mit 306 bzw. 494 Pixeln. Die kleinere Strecke ist allerdings proportional für eine Platzierung des Navigationsmenüs zu dominant.
Folgt man klassizistischem Denken, wird philosophisch gesehen ein asymmetrisches Teilungsverhältnis, das den Prinzipien des goldenen Schnitts folgt, vom Betrachter als natürlich, das heißt in Übereinstimmung mit der Natur, bewertet. Solche Grundzüge haben die meisten schon im Kunstunterricht gelernt, so beispielsweise die verhältnismäßige Anordnung von Körperteilen, wie die Kopf höhe in Relation zur Kopf breite. Elemente unseres täglichen Lebens ordnen wir zumeist automatisch nach dem Prinzip des goldenen Schnitts an. Wollen wir beispielsweise eine Blumenvase auf einem leeren Sideboard platzieren, findet in den allermeisten Fällen unser Sinn für Schönheit und Harmonie intuitiv den Punkt für den goldenen Schnitt. So kommt es zumeist vor, dass wir die Vase vermutlich nicht mittig, sondern eher rechts oder links platzieren.
In der Folge entdecken viele in alten Kunstwerken und Malereien den goldenen Schnitt, den der Künstler absichtlich oder einfach intuitiv verwendet habe. Beispielsweise wird man fündig an der Cheops-Pyramide, an der Vorderfront des Parthenon-Tempels, an Statuen von griechischen Bildhauern usw. Der Architekt und Maler Le Corbusier (1887-1965) verwendete in seinen Entwürfen bewusst möglichst oft den goldenen Schnitt. Seit der Renaissance werden auch Buch- und Satzspiegelformate sowie Schriften und Zeichen in der Proportion des goldenen Schnitts entworfen.
kompositionsbestimmenden Bildteile nicht in die Bildmitte gesetzt werden sollten, sondern mehr nach links oder rechts außen oder mehr ins obere beziehungsweise untere Bilddrittel. Das Bild erhält dadurch mehr Spannung, als wenn sich das Motiv genau in der Mitte befindet. Vereinfachung. Will man den golde-
nen Schnitt nicht ganz genau berechnen, sondern ist mit einem angenäherten Wert zufrieden, kann man sich wie folgt helfen: Wird ein Bildformat in Länge und Breite in neun gleiche Teile geteilt, ergeben sich in der Mitte des Bildes vier Schnittpunkte. Verbindet Anwendung im Bereich Design. man jeweils zwei dieser Schnittpunkte Angewandt wird der goldene Schnitt durch eine Horizontale oder Vertikale, unter anderem in den zweidimensio- so entstehen insgesamt vier Linien, die nalen Bildkünsten, aber auch in Plastik jeweils annähernd im goldenen Schnitt und Architektur. In Malerei, Zeich- liegen und einen Anhaltspunkt zur Orinung und Grafikdesign bezieht sich der entierung geben. goldene Schnitt sowohl auf die Relationen von Bild- oder Seitenformaten als Proportionen. Das Entscheidende an Historische Dokumentation. Der auch auf die Positionierung dominanter Seitenformaten (auch Papierformate Begriff goldener Schnitt wurde erst- Linien (beispielsweise die Horizontli- genannt) sind die Blatt-Proportionen. mals 1835 von Martin Ohm (1792- nie) und die Anordnung des Motivs Diese betreffen das Verhältnis von 1872) in einem Band seines Werkes innerhalb des Bildformates. Der golde- Breite zur Höhe des Bogens. Dieses „Die reine Elementar-Mathematik, ne Schnitt besagt, dass die motiv- oder Verhältnis hat großen Einfluss auf den weniger abstrakt, sondern mehr anschaulich“ verwendet. Im 19. Jahrhundert glaubten viele Wissenschaftler, der goldene Schnitt sei ein göttliches Stern.de: Erfolgreiche Newsportale wie Naturgesetz. Sie untersuchten daraufStern.de setzen auf eihin den Körperbau des Menschen – nen ausgewogenen Mix der „Krone der Schöpfung“. Zahlreiche aus Informationen und visuellen Infografiken, Zeichnungen sollten in diesem Zusamdie farblich und durch menhang zeigen, dass der menschliche Trennlinien gegliedert Körper durchaus nach dem goldenen werden. Schnitt gebaut ist. Adolf Zeising schreibt dazu im Jahre 1854 in seinem Buch „Neue Lehre von den Proportionen des menschlichen Körpers“: „Der Goldene Schnitt ist als ästhetisches Gesetz in betreff des Baues des menschlichen Körpers nachgewiesen, insofern bei dessen Länge vom Scheitel bis zur Sohle der Einteilungspunkt nach dem Goldenen Schnitt in die Gegend der Rippengrenze falle.“ MX Magazin
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Grundlagen Der goldene Schnitt Gestaltungsraster: Das englische Designportal Pixelsurgeon.com ist nach einem klar definierten Gestaltungsraster aufgebaut, das sofort ins Auge springt. Durch die klare Strukturierung lassen sich die einzelnen Site-Elemente blitzschnell „scannen“.
Charakter der Gestaltung. Assoziationen wie schlank, edel, breit, gedrungen oder großzügig kommen einem in den Sinn. Schlanke Proportionen sind günstig, wenn man viel Text transportieren muss, breite Proportionen eignen sich hingegen gut für die Wiedergabe von Bildern. Der goldene Schnitt im Webdesign.
Der goldene Schnitt lässt sich bedingt
auf das Screendesign/Webdesign übertragen. Beispiel: Eine 800 Pixel breite Strecke wird dem goldenen Schnitt entsprechend in zwei Teilstrecken aufgeteilt. Man kann ein Raster aus vier Feldern erzeugen, indem man den goldenen Schnitt einmal in der Vertikalen und einmal in der Horizontalen anwendet. Diese vier Felder füllt man anschließend mit Inhalten oder Grafiken. Benötig das Layout weitere ent-
Tapeten gut zugeschnitten: Tapeten der Siebziger (www.tapetender70er.de) ist ein gutes Beispiel für eine Website, die im Teilungsverhältnis 1:3 erstellt wurde und somit auf einem vereinfachten goldenen Schnitt basiert.
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sprechende Bereiche, kann man auch diese vier Rechtecke nochmals mit dem goldenen Schnitt unterteilen. In Bezug auf das Webdesign ist die strenge Anwendbarkeit des goldenen Schnitts allerdings eher problematisch, da auch die kleinere Strecke noch ziemlich groß wird. Einem Navigationsmenü sollte man zum Beispiel aus Gründen der effizienten Platzaufteilung zumeist nicht eine solche Breite zugestehen. Selbst die Vereinfachung auf ein Teilungsverhältnis 1:3 ist in der Praxis bei Webseiten oftmals nicht praktikabel, da das Navigationsmenü zwar ein essentieller Bestandteil einer Website ist, aber das Menü nicht zu aufdringlich und dominant auf den Benutzer wirken soll. Schließlich soll es den Benutzer intuitiv durch die Site navigieren lassen, ihn aber nicht von den Inhalten ablenken. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu umschiffen, bietet das Gestaltungsraster. Gestaltungsraster. Gestaltungsraster
gehören seit dem frühen Mittelalter in der Buchgestaltung zum Standard. Gestaltungsraster werden heute in allen Bereichen der visuellen Kommunikation verwendet, so unter anderem für Briefpapiere, Bücher, Zeitungen, Werbekampagnen, Corporate Designs, Formulare, Fahrpläne, Plakate und natürlich auch für Webseiten. Da beim Webdesign die zugrunde liegenden Regeln des goldenen Schnitts oftmals nicht 1:1 umgesetzt werden können, sollte man als kleinsten gemeinsamen Nenner auf jeden Fall die Regel eines Gestaltungsrasters berücksichtigen. Gestaltungsraster teilen die zur Verfügung stehende Fläche so auf, dass der Satzspiegel aus einem Raster von gleich großen Feldern besteht, in die sich die betreffenden Text- und Bildelemente einordnen. Ein Gestaltungsraster teilt also den Satzspiegel in kleinere rechteckige Module als Untereinheiten auf. Die Breite eines Moduls entspricht bei einspaltigem Layout der Breite des Satzspiegels. Möchte man einen Text stärker gliedern, etwa weil häufig Bildelemente einzufügen sind, kann man ein einspaltiges Layout auch zusätzlich durch Vertikalen gliedern. Bei mehrspaltigem Satz entsteht durch die senkrechten Spaltentrennlinien automatisch eine weitere vertikale
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Unterteilung. Für die Höhe eines Moduls eignen sich etwa fünf oder sechs Zeilen. Ein optimales Gestaltungsraster gibt es nicht. Hier macht die Übung den Meister. Nicht nur gestalterische und technische Aspekte sind für eine gelungene Website ausschlaggebend, sondern zudem ein fundiertes Wissen über das Leseverhalten, die Betrachtungsgewohnheiten, über Bildauf bau und Typografie. Beim Webdesign sollte der Designer deshalb immer die anvisierte Zielgruppe im Auge haben, um die spezifischen Wünsche und Erwartungen bedienen zu können. Denn bei einer Sache kann er sich sicher sein: Ohne ein Minimum an Gestaltungsregeln wird der Besucher die Site so schnell wieder verlassen wie er gekommen ist, da ohne eindeutige Struktur die Aufnahme von Informationen nahezu unmöglich ist – wenn sie denn überhaupt gefunden werden. Der goldene Schnitt in der Fotografie. Für die Fotografie wurden
viele Bildgestaltungsregeln aus der Malerei übernommen. Der goldenen Schnitt oder die so genannte „Drittelung“ erfüllen hier den Zweck, das aufgenommene Motiv harmonisch zu gestalten. In der Fotografie lässt sich dabei die Anwendung des goldenen Schnitts über die Einteilung eines Bildes in Drittel vereinfachen. Dazu gehen Sie am besten folgendermaßen vor: An den Schnittpunkten der im unteren Beispiel angezeichneten Linien sollte sich das Hauptmotiv befinden. Aufgrund der Natur des menschlichen Auges platziert man es besser links als rechts – das kann jedoch je nach Situation auch anders sinnvoll sein. Gut nachzuvollInfo
Literatur zum Artikel Der Goldene Schnitt
Hans Walser (ISBN: 3815425115) Praxishandbuch Gestaltungsraster
Ordnung ist das halbe Lesen Andreas Maxbauer, Regina Maxbauer (ISBN: 3874395715)
Bildkomposition: Ein nahezu perfektes Beispiel für eine harmonische Bildkomposition: Der Baum wurde nicht einfach mittig aufgenommen, sondern nach den Regeln des goldenen Schnitts. Dadurch wirkt das Foto spannend und lebendig.
ziehen ist dies am Beispielmotiv eines Sonnenuntergangs am Meer. Bei einem professionell aufgenommenen Foto wird der Horizont nicht genau durch die Bildmitte laufen, da so eine Bildeinteilung in den meisten Fällen nicht sehr harmonisch und atmosphärisch wirkt. Man bemerkt meist die Einteilung 1/3 Wasser, 2/3 Himmel oder umgekehrt. Damit wird der Schwerpunkt entweder auf das Wasser (Wellen, Reflexionen) oder auf den Himmel (Wolken) gesetzt. Es ist vorteilhafter, wichtige Elemente des Motivs auf einen der Schnittpunkte der Linien zu legen oder im Motiv vorkommende Linien mit den gedachten Hilfslinien in Deckung zu bringen. Anf änger bilden das Hauptmotiv häufig genau mittig ab. So wird der Horizont in die Bildmitte gelegt oder eine Person, ein Fahrzeug oder Ähnliches hat links und rechts gleich viel Abstand zum Bildrand. Verständlich, da viele Kameras ein Motiv hauptsächlich in der Bildmitte scharf stellen. Nach abgeschlossener Scharfstellung kann man jedoch mit halb gedrücktem Auslöser den Bildausschnitt beliebig verändern. Häufig ergeben sich spannendere Fotos, wenn nicht alles zentriert angeordnet ist. Achten Sie dabei darauf, die Blickrichtung einer Person oder die Fahrtrichtung eines Fahrzeugs „in das Bild hinein“ laufen zu lassen.
Fazit. Der goldene Schnitt kommt im täglichen, professionellen Gestaltungsprozess so oft zum Einsatz, das er als Gestaltungsmittel gar nicht mehr aktiv wahrgenommen wird. Ein Profi gestaltet intuitiv nach den Regeln des goldenen Schnitts. Allerdings kann es nicht schaden, sich von Zeit zu Zeit Gedanken über die historisch gewachsenen Grundlagen zu machen, um die Hintergründe der Gestaltung besser zu verstehen. Eine fundierte Wissensbasis schadet nie. Wer täglich im Design arbeitet weiß, dass harmonische und strukturierte Ergebnisse in der Regel ohne jedes Gestaltungsraster nahezu unmöglich sind. Autor Dirk Behlau Dirk Behlau arbeitet als Grafikdesigner in Köln. Seit 1996 gestaltete er mehr als 100 Business Websites für Kunden in Deutschland, England, Kanada und USA. Zu seinem Portfolio gehören unter anderem Kundenmagazine, CD-ROMs, Banner Ads, Logo Design und Fotografie. Freie Projekte sind das Visual Design & Lifestyle PDF Magazin Sceyelines (www.sceyelines.net), das digitale Buch & Game Review Magazin Designbooks (www.designbooks.net) und die Videospielsite Space Invaders Shrine (www.spaceinvaders.de).
Web: www.pixeleye.net
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