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Design Websites gegen alle Regeln
Dirk Behlau
Gegen alle Regeln Neben allseits beliebten Internetauftritten wie ebay, Spiegel und Konsorten finden sich im Web zunehmend Sites, die alles anders machen als konventionelle Webangebote. Wir stellen Ihnen einige Beispiele vor.
Vor allem im Agenturbereich finden sich Websites, die ungewöhnliche Herangehensweisen an den Informationstransfer und an Präsentationen bieten. Experimentelle Darstellungen sind dort schon schon seit Jahren gang und gäbe, neuerdings bieten allerdings auch eher konservativ-klassisch angehauchte Online-Magazine/Entertainmentsites mehr fürs Auge.
Art spielen genau den multimedialen Vorteil aus, den sie gegenüber normalen Zeitungen im Print haben. Selbst die kommerzielle Werbung (durch die das Magazin kostenlos angeboten werden kann) ist interaktiv und erfrischend
neu. Diese im Vollbildmodus realisierte Site, die in norwegischer und englischer Sprache zur Verfügung steht, bietet ein neues Leseerlebnis von Online-Magazinen (siehe dazu auch das Interview mit dem PlayMusicMagazine).
Interaktive Online-Magazine. Zu dieser Gattung zählt beispielsweise das komplett in Flash realisierte, interaktive und monatlich erscheinende Musikmagazin aus Norwegen „PlayMusicMagazine“ (www.playmusicmagazine.com), das auf der klassischen Zeitungsstruktur auf baut. Der Leser klickt auf die untere Ecke einer Seite, um „umzublättern“ und so zur nächsten Seite zu gelangen. Einige der Inhalte sind animiert, mit Videoclips angereichert oder mit Musik verknüpft. Online-Magazine dieser interessanten und zukunftsträchtigen WebCode DS0632
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Playmusicmagazine.com: Das Online-Magazin für Musik verknüpft journalistische Inhalte mit multimedialer Werbung.
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www.encore-mag.com
Auf derselben Struktur setzt das neue, englischsprachige Encore Magazin aus Deutschland auf, das sich unter anderem mit Design und Lifestyle beschäftigt. Das Onlineangebot verbindet erlerntes Leseverhalten mit neuer Interaktivität mittels Flash. www.spheremag.com
Das englischsprachige Sphere Magazine und das deutschsprachige Splash Magazin (www.splashmagazin.com) aus Hamburg setzen ebenfalls auf interaktive Inhalte im klassischen Zeitungslayout wobei das letztere eine konservative linksseitige Navigation verwendet.
Technische Übernahme: Das Encore Magazine setzt auf der gleichen Struktur wie das PMM auf.
Lifeswitch.org
Im Edutainment-Bereich ist in jüngster Vergangenheit die Site Lifeswitch.org besonders aufgefallen, die auf eine Stepby-Step-Navigation setzt. Aufgrund von abgefragten Entscheidungsmöglichkeiten bekommt der Besucher von einem menschlichen Moderator verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt. Dadurch ergibt sich eine individuell zugeschnittene, in Flash realisierte Site mit personalisierten Informationen, dessen eigentliche Aussage sich erst im Laufe der Besuchszeit erschließt. Hinter der unterhaltsamen Optik verbirgt sich ein ernstes Thema: Die Zustände und Probleme des jeweiligen Landes und deren Menschen werden visuell veranschaulicht. Es handelt sich dabei um ein Projekt von Christian Aid. www.d-artdesign.de
Bubble Base: Spielerisch die Inhalte erforschen bei der D´Art Designgruppe.
Visionär: Ein Blick in die Zukunft der mobilen Kommunikation mit Vodafone Future.
Die Website der D´Art Designgruppe baut auf eine Bubble-Naviagtion: Ein Gebilde aus Blasen lädt zum spielerischen Erkunden ein. Frisch und interessant, aber nicht gerade sonderlich intuitiv. w w w. hom e - enter tain m ent. philips.com/site
www.nike.com/nikelab
www.vodafone.com/flash/futures
Merchandising der besonderen Art: Die amerikanische Home-Entertain- Im Nikelab navigiert man mittels der ment-Site von Philips bietet moderne Tastatur-Pfeiltasten durch eine futurisLifestyle-Atmosphäre gepaart mit tische Raumstation. Vom Hauptraum den eigenen Unterhaltungsprodukten. gelangt man dann in einzelne Kabinen, Auf einem Flatscreen navigiert man in denen der Besucher sich die neudurch hochwertiges Filmmaterial, esten Schuhkollektionen ansehen das die eigenen Entertainment-Lö- kann. Die Produkte erhalten durch die sungen perfekt präsentiert. Unauf- futuristische Präsentation einen zudringlich und entspannt. Klassische sätzlichen Hip-Faktor, der die Marke Navigation unnötig. positiv aufwertet.
Die schöne neue Welt von Vodafone Future zeigt die mobile Kommunikation der Zukunft in den Bereichen Freizeit, Arbeitswelt und Familie mittels interaktiven Tapeten und in Magazinen mit Videomail-Funktion und On-Screen-Brillen. Ein Storymodus, der sich aufgrund der Eingabe des Besuchers steuern lässt, beamt den User in verschiedene Szenarien, bei denen sich neue Gadgets ausprobieren lassen. MX Magazin
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www.dmb.at
Die Wiener Agentur Demner, Merlicek & Bergmann präsentiert sich mit einer „unlustigen Website – grindig und kompakt“ und einer „lustigen Website mit Flash und allen Schikanen“. Während die unlustige Variante clean und spartanisch daherkommt, wird die lustige Variante für einige potenzielle Auftraggeber schon fast zu abgedreht lässig sein. Die Navigation zeigt sich sehr spielerisch, bestimmte Objekte und Personen können auf der Site angeklickt werden. Für den Befehl „Mach das Logo größer“ und die dazugehörige Filmsequenz erntete dmb.at schon Kultstatus. Ein Agenturauftritt mit genügend Selbstvertrauen und der Kunst, sich im Geschäft der Selbstdarstellung nicht so ernst zu nehmen.
Demner, Merlicek & Bergmann: Mach das Logo größer!
www.questfortherest.com
More Info
Fullscreen-Sites Surfer kennen das Phänomen: Die besuchte Website öffnet sich plötzlich im berüchtigten Fullscreen (Vollbild)Modus. Das eigentliche Browserfenster mit seiner Navigation verschwindet mitsamt der URL-Adressleiste und die Internetpräsenz bietet ein individuelles Interface. Die erlernte Browsernavigation ist obsolet, die Site drängt sich in den kompletten Vordergrund und erzwingt die volle Aufmerksamkeit des Besuchers, der eigentlich parallel zumeist noch andere Programmfenster bedient. Und genau hier ist das Problem von Fullscreen-Sites: Sie lassen sich oftmals nur mittels Tastenkombination über Alt-F4 schließen. Negativen Eindruck verhindern
Will der Designer mit Fullscreen-Sites eine eigene Welt erschaffen, um den Besucher zu fesseln, sollte er dem Besucher nichts gegen seinen Willen aufzwingen. Dieser reagiert dann nämlich zumeist gestresst, genervt und überfordert, so dass von vorneherein eine negative Grundstimmung gegenüber der Website und somit der Marke aufgebaut wird. Wenn die eigentlichen Inhalte dann aufgrund dieser Abwehrhaltung in den Hintergrund treten, nützt die schönste und innovativste Website nichts. Hier sollte man es dem Anwender so leicht wie möglich machen.
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Auswahlmöglichkeit
Gute Sites bieten dem Besucher deshalb zunächst einmal eine Alternative an. Bevor die Site aufgerufen wird, kann der User auswählen, ob er die Site in normaler Anzeige ansehen will (sprich: im gewohnten Browserfenster) oder im Vollbildmodus. Exit-Button
Im Vollbild-Modus sollte man dem Besucher einen nicht zu kleinen „Ausgang“, also einen Button mit einer Exit-Funktion bieten, der auch vom Gelegenheitssurfer als solcher erkannt wird. Navigationshilfe
Nutzt man eine unübliche Navigation auf der Website, sollte bei Bedarf eine Hilfe nicht fehlen – eine praktische Anleitung, wie die Navigation funktioniert, ist hier die beste Lösung. Standardelemente nutzen
Die bekannten Betriebssystemfunktionen sollten als rudimentärste Grundlage dienen, damit sich der Besucher zurecht findet. Jeder weiß, wie man einen Ordner öffnet, mit Aufklappfenstern umgeht oder Schiebebalken nutzt. Will man schon in einer Fullscreen-Umgebung agieren, sollten solche Auswahlmöglichkeiten zumindest entfernt an solche Standardfunktionalitäten erinnern, damit der User damit umgehen kann.
Die Musikband The Polyphonic Spree geht bei der Vermarktung ihrer Musik einen interessanten Weg. Mittels eines in Flash realisierten intelligenten Adventuregames „Quest for the rest“, muss der User den verschollenen Bandmitgliedern helfen, die restliche Band wieder zu finden. Dies geschieht durch das Ausprobieren diverser interaktiver Objekte, die eine bestimmte Aktionskette in Gang bringen. Zur Belohnung gibt es Soundfetzen der neuen Platte. www.99rooms.com
In einer verfallenen Berliner Industrieanlage geht Sonderbares vor sich: 99 Räume warten mit einem gruseligen Ambiente auf. 99rooms.com ist ein Projekt der Agentur Schumann Combo (www.schumanncombo.com), bei dem der User versteckte Objekte aktivieren muss, um zum nächsten Raum zu gelangen. Atmosphärische Musik und Geräuschkulisse inklusive. www.theircircularlife.it
Aus Italien kommt das etwas intelligentere Panorama. Etwa 100 Einzelbilder wurden hier zu diversen Flashfilmen zusammengefügt, steuerbar über ein simples Navigationsrad. Anzuschauen sind hierbei verschiedene Lokationen in Modena oder Venedig, wobei die Fotos eines kompletten Tages – 24 Stunden nonstop – zu einer Art Filmsequenz montiert wurden. Vorüberziehende
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Menschen, Geräuschkulissen aus der jeweiligen Umgebung und nicht zuletzt der ständig wechselnde Horizont erzeugen eine ganz besondere Stimmung. www.pioneercar.com
Bei Pioneercar sitzt man in der FirstPerson-Perspektive in einem Auto, chillt zu cooler Mucke und schaut sich ganz nebenbei, wie sollte es anders sein, die Car-Produkte wie Subwoofer, Lautsprecher und DVD-Navigation von Pioneer an. Die Navigation erfolgt über eine In-Car-Fernbedienung. Die Musikwahl erledigt das virtuelle Autoradio, das sich auf Wunsch heranzoomen lässt. Fazit. Neben den klassischen, etablierten Site-Navigationskonzepten zeigen immer mehr Unternehmen Mut zum eigenen Stil bei der Präsentation. Während in der Vergangenheit oft nur bewährte Standardkonzepte Verwendung fanden, um die Benutzer nicht zu überfordern, setzen die Agenturen in jüngster Vergangenheit auf Alternativen, um aus der breiten Masse herauszuragen und um zu überraschen. Unabhängig davon, ob es sich um eine Agenturpräsentation, ein Produktfeature oder aber ein interaktives OnlineMagazin handelt: Der Trend zur individuellen Darstellung hat im Web deutlich zugenommen. Hier wird inzwischen sehr viel ausprobiert, es werden stetig neue Wege beschritten. Experimentelle Sites mit eigenständiger Navigation sind längst nicht mehr nur auf private Designerspielwiesen beschränkt. Autor Dirk Behlau Dirk Behlau arbeitet als Grafikdesigner in Köln. Seit 1996 gestaltete er mehr als 100 Business-Websites für Kunden in Deutschland, England, Kanada und USA. Zu seinem Portfolio gehören unter anderem Kundenmagazine, CD-ROMs, Banner Ads, Logo Design und Fotografie. Freie Projekte sind das Visual Design & Lifestyle PDF Magazin Sceyelines (www.sceyelines.net), das digitale Buch & Game Review Magazin Designbooks (www.designbooks.net) und die Videospielsite Space Invaders Shrine (www.spaceinvaders.de).
Web: www.pixeleye.net
Interview Joakim Nilsen, Creative Director, playmusicmagazine.com Joakim Nilsen
Werbung auf 250.000 Besucher mit stark steigender Tendenz.
„Wer über Regeln im Internet lamentiert, sollte den Job wechseln.“
MX Magazin: Durch die kommerziellen Anzeigen können Sie das Magazin umsonst anbieten. Wie reagierten entsprechende Firmen auf Ihre Anfragen?
MX Magazin: Joakim, erläutern Sie uns doch bitte die Idee hinter dem Play Music Magazine! Joakim Nilsen: Zuerst sollte ich wohl anmerken, dass ich ursprünglich aus dem Printbereich komme, mit dem Webdesign früher nichts am Hut hatte und hauptsächlich Printmagazine wie Fjords Magazine und Hot Rod gestaltet habe. Ich dachte einfach immer nur, dass das Internet extrem langweilig und unsexy war, was ich ändern wollte. Also suchte ich mir ein paar talentierte Leute, um mit Ihnen gemeinsam das Konzept für das PlayMusicMagazine.com zu entwickeln. Es war ein harter, langer Weg, bis das Magazin endlich so ausgesehen hat, wie ich es mir vorgestellt habe. Zahlreiche Leute wollten mir immer weismachen, das dieses und jenes nicht geht bzw. nicht den Regeln im Web entspräche. Welche Regeln? Wer über Regeln im Internet lamentiert, was man machen kann und was nicht, sollte meiner Meinung nach seinen Job wechseln. Letztlich fand ich dann doch die richtigen Leute, die meine Visionen verstanden und einfach umsetzten. Die erste Ausgabe wurde übrigens am 30. Januar 2004 veröffentlicht. MX Magazin: Handelt es sich bei dem Magazin um einen Vollzeitjob oder um ein freies Projekt? Joakim Nilsen: Für fünf Leute ist es ein Vollzeitjob, fünf weitere machen das Ganze in ihrer Freizeit. Wir können jederzeit auf einen Pool von zehn bis dreißig freien Journalisten, Illustratoren, Fotografen etc. zurückgreifen. Wir sind natürlich immer offen für Investoren und strategische Partner. MX Magazin: Wie viel Entwicklungszeit haben Sie für eine Ausgabe und wie viel Besucher verzeichnen Sie? Joakim Nilsen: Wir haben ziemlich genau drei Wochen Entwicklungszeit. Inzwischen kommen wir ohne jegliche
Joakim Nilsen: Sehr positiv. Die Media-Agenturen waren von unserem Konzept sofort angetan – viele sagten, dass Sie eigentlich die ganze Zeit auf diese Art von Medium gewartet hätten. MX Magazin: Das Sitekonzept basiert auf der Funktionsweise von Printmagazinen, der Leser blättert weiter, indem er auf die jeweilige Seitenecke klickt. Wie kommen die Benutzer mit dieser eher experimentellen Navigationsstruktur klar? Joakim Nilsen: Ich denke, dass die „Geeks“ es nicht mögen, d.h. diejenigen, die nur alles so mögen wie anno dazumal, als das Internet laufen lernte. Das ist mir jedoch echt egal. Ich denke nicht, dass unser Konzept für die Ewigkeit besteht – wenn man allerdings das Feedback betrachtet, mögen die meisten User bzw. unsere Zielgruppe diese Art der Navigation. Das Echo ist de facto so überwältigend, dass wir eine Art Framework für Magazine bereitstellen, die auf dem technischen Konzept von PMM basieren. Das Ganze läuft unter dem Magazin Portal www.magwerk.com und beinhaltet neben dem PMM das neue Design/ Art Magazin „Encore“ (www.encoremag.com), das von den Leuten des Designportales Nervousroom.com initiiert wurde. Die Idee dahinter ist, dass verschiedene hochwertige Magazine unter diesem Portal zu erreichen sind, die das gleiche Navigationskonzept mit verschiedenen Inhalten/Designs verwenden. MX Magazin: Wie sieht es mit neuen Features aus? Gibt es da Pläne? Joakim Nilsen: Neben dem Launch des Magazin-Portals planen wir weitere Magazine. Das erste ist ein VideogameMagazin. Wir suchen jederzeit zu uns passende Partner, die ihr eigenes Magazin in unserem Framework präsentieren wollen. In Kürze starten wir ein MP3-Portal für Bands, die noch nicht unter Vertrag stehen, und für musikinteressierte Leute. Jedoch nicht so, wie die meisten sich das jetzt vorstellen. Und wir denken über PMM-TV nur für das Web nach.
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