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Rätsel & mehr

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Teil 3 der neuen Geschichte von Ralph D. Wienrich

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Ralph D. Wienrich R. D. Wienrich mit Hans-Dietrich Genscher Peter Boenisch

In alter Verbundenheit

Es war das erste und einzige Mal, dass mich mein Chefredakteur Peter Boenisch noch vor der ersten Tasse Tee in meinem Haus in Sinzig-Koisdorf anrief. „Der Dicke ist in die Ostsee gefallen und beinah abgesoff en. Der Grenzschutz konnte ihn in letzter Minute aus dem ´Teich` fi schen“, sagte er und lachte laut. „Aber wieso kann Genscher als strengstens bewachter Minister überhaupt in die Ostsee fallen und was ist daran so lustig, ich denke Sie sind mit dem Innenminister befreundet“, merkte ich an. „Er hat es ja überlebt und komisch ist das alles schon, das dokumentieren die Bilder jedenfalls, die ich exklusiv in den nächsten 30 Minuten auf meinem Schreibtisch haben werde. Kannst Du bis halb neun in Bonn sein, damit ich Dir die besten Bilder in die Redaktion funken lassen kann. Ganz wichtig, Du musst Genscher persönlich dazu einvernehmen und eine ExklusivStory abliefern. Es soll bundesweit der Aufmacher werden.“ Boenisch hatte den Telefonhörer eingehängt. Ich trank meinen Tee und machte mich auf den Weg nach Bonn. Im freien Fall Wenig später lagen vor mir vier Fotos. Zwei davon zeigten auf einer Jakobsleiter den Bundesinnenminister, wie er sich bemühte, die riesige Bordwand eines Autotransporters, der sich auf Tauff ahrt in die Ostsee befand, zu bezwingen. Mit Prinz-Heinrich-Mütze und Trenchcoat bekleidet, klammerte er sich auf halber Höhe an der Jakobsleiter fest. Das zweite Foto off enbarte Genschers fundamentalen Fehler: Statt sich mit den Beinen auf der Jakobsleiter abzustützen, überantwortete er sein respektables Körpergewicht allein seinen Armen, bis die Kraft auf einer Höhe von knapp vier Metern versagte und Genscher so im freien Fall in die Ostsee stürzte. Punkt 14.11 Uhr tauchte der Minister des Inneren unter. Für genau diese Zeit sagte Hans-Dietrich Genschers Horoskop „Widrigkeiten“ voraus. Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, es war ein Bild für die Götter: Die Rockschöße seines Regenmantels schwammen auf und etwa zwei Meter rechts voraus dümpelte seine Prinz-Heinrich-Mütze.

Die Rettung Das dritte Foto schließlich zeigte einen GrenzschutzTender bei dem Versuch der Minister-Rettung aus der Ostsee. Ein Bootsmann war bemüht, seinem obersten Dienstherrn einen beleinten Rettungsring zuzuwerfen. Und das vierte Foto zeigte Genscher mit Rettungsring an der Bordwand des Grenzschutz-Tenders. Mein Chefredakteur informierte mich noch über den Fotografen dieser Bilder, der Glaubwürdigkeit wegen. Als ich Genschers Pressesprecher Herbert Schmülling um einen Termin mit dem Minister wegen dessen unfreiwilligen Ostses-Bades bat, fragte dieser mich nur, was ich denn getrunken hätte. „Du scheinst im Augenblick weniger zu wissen als ich”, war meine Replik. „Ich melde mich“, sagte er nur und legte auf.

Genschers schnelle Reaktion Keine drei Minuten später klingelte mein Telefon und Genscher fragte herausfordernd: “Wer sagt denn, dass ich in die Ostsee gefallen sei?” Ich hatte nicht mit einem so schnellen Anruf des Ministers gerechnet und sagte nach einer Schrecksekunde nur: „Die vier Bilder hier auf meinem Schreibtisch“, und begann diese dem Minister zunehmend genüsslich zu beschreiben. Genscher darauf kurz und knapp: „Ich fahre jetzt nach Wachtberg zum Essen, kommen Sie in 45 Minuten hoch.“ Der Minister war gerade aus der Leitung, da drängelte mein Chefredakteur bereits: „Wie weit bist Du?” „Ich hab ihn“, sagte ich nur und machte mich mit unserem Fotografen nach Wachtberg auf. Genschers Sicherheit meldete mich an. „Warum zu zweit”, fragte der Minister, den wir beim Essen unterbrachen. „Wir wollen ein paar Fotos machen.“ „Es gibt keine Fotos, schicken Sie Ihren Fotografen weg. Sie fahren dann mit mir ins Ministerium“, entschied Genscher und zog sich an seinen Mittagstisch zurück.

Chauffi ert von der GSG 9 Kurz nachdem seine gepanzerten Mercedes-Boliden vorgefahren waren, kam der Minister aus seinem Haus und öff nete mir den hinteren rechten Schlag seiner Limousine: „Hinein mit Ihnen“, sagte er aufgeräumt und so durfte ich erstmals den äußerst beeindruckenden Sicherheits-Fahrstil der GSG 9 kennenlernen, die Genscher immer sicher von A nach B brachte. Allein der Mann neben mir war, so mein Eindruck, bis an die Zähne bewaffnet: Schnell-Feuergewehr, vermutlich aus israelischer Produktion, und eine großkalibrige Handfeuerwaff e, aber ich vermied danach zu fragen. Während ich die Fahrt nach Bonn genoss, hantierte Genscher virtuos mit seinen drei Telefonen, von denen eines speziell der Kommunikation mit dem Bundesgrenzschutz diente.

Wie es passierte Im Ministerium angekommen dozierte der Minister erstmal über die Geschichte des großen BismarckPortraits, welches hinter seinem Schreibtisch hing und fragte mich dann auf unser Thema bezogen: „Wie seid Ihr nur an diese Bilder gekommen?”

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