poet nr. 13 Gespraeche

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poet

nr.13

literaturmagazin

Herausgegeben von Andreas Heidtmann Redaktionsleitung Prosa: Katharina Bendixen Gedichtkommentare: Michael Braun und Michael Buselmeier Dossier Brasilien: Timo Berger Illustrationen: Miriam Zedelius


Impressum Das Literaturmagazin poet erscheint halbjährlich. Alle Rechte liegen bei den Autoren bzw. den Verlagen. Auf postalischem Weg erfolgt keine Annahme unverlangter Manuskripte. Beiträge können als Anhang einer E-Mail an die Adresse des poetenladens (manuskripte@poetenladen.de) geschickt werden. In der Regel werden Einsendungen nicht kommentiert. Anfragen sind via EMail möglich (info@poetenladen.de). Verlag: poetenladen, Blumenstraße 25, 04155 Leipzig, Germany Redaktion: Andreas Heidtmann, Fechnerstraße 6, 04155 Leipzig poet im Internet: www.poet-magazin.de poetenladen im Internet: www.poetenladen.de Der Verlag im Internet: www.poetenladen-der-verlag.de Bestellungen des aktuellen Magazins sowie früherer poet-Ausgaben über den Buchhandel, beim poetenladen per E-Mail (shop@poetenladen.de) oder per Fax (0341 – 6407314) oder portofrei über den Internetshop des poetenladens (www.poetenladen-der-verlag.de/shop). Illustration und Umschlaggestaltung: Miriam Zedelius Druck: Pöge Druck, Leipzig poet nr. 13 Literaturmagazin Andreas Heidtmann (Hg.) Leipzig: poetenladen, Herbst 2012 ISBN 978-3-940691-42-2

Calwer Hermann-Hesse-Preis für Literaturzeitschrien

Gefördert durch die Kulturstiung des Freistaates Sachsen


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Der Roman gilt gemeinhin als beliebteste und markttauglichste literarische Form. Erzählungen, vor allem aber Lyrik und Prosa-Miniaturen werden – auch bei namhaen Preisen – gern übergangen. Daher liegt es für ein Literaturmagazin nahe, sich der kleinen Prosa anzunehmen. In dieser Ausgabe gibt es neben Erzählungen vier solcher Beispiele, die ein Spektrum dieser kleinen, kunstvollen Form aufzeigen – von der Geschichte en miniature, o mit groteskem oder surrealem Anstrich, dem Spiel mit der Sprache bis hin zum Notat. In der Lyrik präsentiert der poet neue Beiträge zur Dichtung von Michael Braun und Michael Buselmeier, die damit den Prozess einer Kommentierung wichtiger Gegenwartsgedichte fortsetzen. Nachdem der Mexiko-Teil der letzten Ausgabe – auch in der Presse – großen Widerhall fand, darf man diesmal in die aktuelle brasilianische Dichter-Szene eintauchen. Dank an Timo Berger. Viel Freude beim Entdecken im Kleinen wie im Großen! Andreas Heidtmann, Herbst 2012


Politisches Lied

Seite 52

Kaiserpanorma Die junge deutsche Lyrik bietet diesmal viele Entdeckungen, etwa Martin Piekar und Anne Seidel, die zu den jüngsten Autoren des Hees gehören. Als Gegenpart gewissermaßen Jan Kuhlbrodts Kaiserpanorama, eine Art politisches Lied, das im Zusammenspiel mit dem umfänglichen Fußnotenapparat eine gleichermaßen persönlich wie historisch gefärbte Dimension entfaltet.

Dirk Baumeister und Frank Ruf

Seite 28

Vorgestellt von Christian Schloyer »Ich staune, dass noch kein kollektiver Aufschrei durch die Bevölkerung geht: Volkswirtschaen werden zugrunde gerichtet, die Interessen von Arbeitnehmern, Rentnern und Bedürigen verraten, die Zukun unserer Kinder vertan, die europäische Idee (lange Garant für Wohlstand und Frieden) torpediert ...«

Akrobat – Neue Gedichtkommentare

Seite 64

Michael Braun und Michael Buselmeier Nach 100 Kommentaren, die in dem Band Der gelbe Akrobat versammelt sind, folgte bereits in poet nr. 11 eine Fortsetzung mit neuen Beiträgen. In dieser Ausgabe präsentieren die Autoren 14 weitere Gedichtkommentare, die sich der Gegenwartslyrik widmen, nicht ohne gelegentlich der klassischen Moderne Referenz zu erweisen.


GEDICHTE SYLVIA GEIST: Lupost 9 HARTWIG MAURITZ: echo 14 TOBIAS ROTH: Repoussoir 17 DOMINIK DOMBROWSKI: Pathétique 20 JOACHIM ZÜNDER: Schnee 24 DIRK BAUMEISTER, FRANK RUF – Einführung von CHRISTIAN SCHLOYER CAROLIN CALLIES: fleischgeworden 36 CHRISTOPHE FRICKER: Gedichte aus North Carolina 40 MARTIN PIEKAR: Hauptbahnhof Wiesbaden 44 ANNE SEIDEL: russlandgedichte 48 JAN KUHLBRODT: Kaiserpanorama oder Die Rettung des politischen Liedes

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GEDICHTE, KOMMENTIERT MICHAEL BRAUN, MICHAEL BUSELMEIER: Einführung 64 NORBERT HUMMELT: dunst – Überlebte Dinge 66 BRIGITTE STRUZYK: Rundgang – Im Weinberg 69 ULRICH ZIEGER: an den vater von sem – Das große Verschwinden 72 MICHAEL DONHAUSER: Lass rauschen Lied ... – Rauschen und Lauschen 75 KATHARINA SCHULTENS: die möglichkeit einer verwechslung ... – Denken in Matrixstrukturen 78 WOLFGANG HILBIG: Pro domo et mundo – Nachtgesang 81 GERHARD FALKNER: die roten schuhe – Wehmut und Ironie 84 RAINER MALKOWSKI: Bist du das noch? – Letzte Verse 87 MARION POSCHMANN: latenter Ort – Bestickt mit Bäumen 90 KATHRIN SCHMIDT: waage, vorm wasser verchromt ... – Feuchtgebiet 93 JOACHIM ZÜNDER: Die Finnische Bibliothek – Aus der Winterzone 96 WILHELM LEHMANN: Auf sommerlichem Friedhof – Grab eines Dichters 100 KONSTANTIN AMES: dreißig lenze – Vershohnepipelung 103 JÖRG BURKHARD: in gauguins alten basketballschuhen – Auf nach Marseille! 106

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Neue brasilianische Dichtung

Seite 110

Das Spielerische und das Prekäre Nach dem viel beachteten Mexiko-Teil bietet der neue poet Beispiele brasilianischer Dichtung, vorgestellt von Timo Berger. »Das Land ist längst ein Global Player der Weltwirtscha. Auch seine Dichtung schöp mit vollem Recht aus allen Quellen, ohne sich rechtfertigen zu müssen, weil sie nicht die ›Indianer‹ im Amazonas thematisiert ...«

Ein bißchen wie Gott

Seite 201

Prosa von Michael G. Fritz Vor ein paar Tagen wurde ich auf einen anderen Platz gesetzt, ich musste für eine Kollegin einspringen, die hochschwanger fürs erste pausierte. Der Wechsel war mir nicht unangenehm; wenn man längere Zeit die Aufzüge verfolgt, engt das den Blick ein, es ist, als würde man in den Kabinen mitfahren: rund um die Uhr immer nur hoch und wieder runter, nichts Horizontales, und kein Sehen nach draußen.

Gespräche – Literatur und Alltag

Seite 240

Ohne Handwerk ist alles nichts Nicht immer gelingt es, Realität und Fiktion auseinanderzuhalten. Der Autor lebt gleichsam in zwei Sphären, der mehr oder weniger unaufgeregten Alltagswelt und der produzierten Fiktion. Wie vielfältig beide verknüp sind, ist Gegenstand unserer Gespräche. Da geht es um die kleinen Rituale, die den Schreiballtag begleiten – Zigarette anzünden, zum Brieasten gehen – bis hin zu existenziellen Lebenserfahrungen ... 8


GEDICHTE AUS BRASILIEN TIMO BERGER: Das Spielerische und das Prekäre 110 ANGÉLICA FREITAS: ach du kennst amerika noch nicht 117 FABRÍCIO CORSALETTI: Heute war meine letzte Sitzung 130 NICOLAS BEHR: Die Brasiliade 146 CARLITO AZEVEDO: Mädchen mit Xylophon und Blumen 166 LAURA ERBER: Das Ende des Imperiums 182

GESCHICHTEN MICHAEL G. FRITZ: Ein bißchen wie Gott 201 MARIE T. MARTIN: Setz auf das weiße Pferd 210 HANS THILL: Textikel 214 THOMAS BÖHME: Kalendergeschichten 216 ULRIKE ANNA BLEIER: Andy Warhols Schuhe 220 SOPHIE REYER: Mutterherz 226 REGINA DÜRIG: Notizen zum Gestein 234

GESPRÄCHE Einführung: Literatur und Alltag

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SABINE PETERS im Gespräch mit Carola Gruber Warum schreiben Sie überhaupt, Frau Peters?

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CHRISTOPH NUSSBAUMEDER im Gespräch mit Jörg Schieke Alles kann klappen, alles kann schief gehen LIANE DIRKS im Gespräch mit Marie T. Martin Schreiben ist immer ein Amalgam JAYNE-ANN IGEL im Gespräch mit Jan Kuhlbrodt Das Leben schreibend verbringen

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264 274

CLEMENS MEYER im Gespräch mit Mario Osterland 282 Ich habe kein Interesse daran, mich irgendwelchen Aufregungen hinzugeben

AUTOREN 292



G ESPRÄCHE


LITERATUR UND ALLTAG Fünf Gespräche

Biographie null

Nicht immer gelingt es, Realität und Fiktion auseinanderzuhalten. Der Autor lebt gleichsam in zwei Sphären, der mehr oder weniger unaufgeregten Alltagswelt und der produzierten Fiktion. Wie vielfältig beide verknüp sind, ist Gegenstand unserer Gespräche. Da geht es um die kleinen Rituale, die den Schreiballtag begleiten – Zigarette anzünden, zum Brieasten gehen – bis hin zu existenziellen Lebenserfahrungen, die bewusst oder intuitiv und modifiziert Eingang in den Text finden. Gerade beim Romanautor, der größere Textmengen zu bewältigen hat, geht es auch um die Regelmäßigkeit – oder sagen wir: den alltäglichen Fortschritt – des Schreibens. Walter Benjamin spielte darauf an: »Nulla dies sine linea – wohl aber Wochen.« Es ist üblich, dass Figuren andere Namen tragen als ihre Autoren oder jene Personen, die sie möglicherweise zum Vorbild habe. Liane Dirks verzichtet in ihrem Roman Vier Arten meinen Vater zu beerdigen darauf, die Hauptfigur, ihren Vater, mit einem erfundenen Namen zu maskieren. Dabei beru sie sich auf Michel Houellebecq, der immer wieder Personen der Medienwelt unter Realnamen in seinen Romanen auftreten lässt. Natürlich kann es auch umgekehrt geschehen, dass die Autorin eine Figur frei erfindet, in der eine existierende Person sich dann gespiegelt sieht. Für Christoph Nußbaumeder ist Alltag zunächst nur das, was täglich passiert. Er sucht hier nicht wissend nach verwertbaren Eindrücken oder menschlichen Originalen, die seine Stücke bereichern. Doch Erlebnisse in der Kneipe oder im Taxi können anregen. Wesentlich dabei ist letztlich die Zuspitzung, die sprachliche Formung, die ein ema zu Literatur werden lässt.

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Literatur und Alltag


Warum schreiben Sie überhaupt, Frau Peters? Sabine Peters »Was die kleinen Pausen anlangt – zum Brieasten gehen, Tee aurühen – die sind sehr befördernd.« S. 244

Schreiben ist immer ein Amalgam Liane Dirks »Ich glaube immer noch, dass man für gewisse emen erst wachsen muss.« S. 264

Alles kann klappen, alles kann schief gehen Christoph Nußbaumeder »Dinge, die ich mit meiner Tochter erlebe, fließen in Texte mit ein.« S. 258

Literatur und Alltag

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Alltag ist auch Alltag jenseits des Schreibens oder vor dem Schreiben, Kindheit und Jugend beispielsweise. Jayne-Ann Igel schildert ihre Leseerlebnisse in der DDR, wo es ihr als Mitarbeiterin der Deutschen Bücherei möglich war, Neuerscheinungen aus Ost und West zu lesen. Prägend war für sie über das Literarische hinaus die landschaliche und industrielle Topographie, der Rauch über den Tagebaulandschaen. Das Schreiben braucht Erfahrungswerte und muss sich für Jayne-Ann Igel mit Sinnlichem verknüpfen, so dass sie nur über Dinge schreiben kann, die sie auch wahrgenommen hat. Dass man sich mit einem Autor auf einer Pferderennbahn zum Interview tri, darf als Zeichen für gewisse – alltägliche? – Leidenschaen gedeutet werden. Oder sind Pferderennen wichtig fürs Schreiben? Literatur ist Stil und Fiktion, Struktur und Plot. So Clemens Meyer. Und Biographie null. Es ist verständlich, dass ein Autor, dem man sich gern biographisch nähert und der stets mit dem Leipziger Osten in Verbindung gebracht wird, darauf hinweist, dass alles Biographische fürs Schreiben nichtig ist, wenn man nicht das Handwerkliche beherrscht. Sehr wahr. Eine Einschätzung, der sich sicher kaum ein Autor verweigern kann.

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Literatur und Alltag


Das Leben schreibend verbringen Jayne-Ann Igel »Mein Schreiben braucht Erfahrungswerte, muss sich mit Sinnlichem verknüpfen.« S. 274

Kein Interesse, mich Aufregungen hinzugeben Clemens Meyer »Wenn man das Handwerkliche nicht kann, bringt einem das Biographische überhaupt nichts.« S. 282

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lemens Meyer wurde 1977 in Halle (Saale) geboren und wuchs in Leipzig auf, wo er auch heute lebt. Von 1998 bis 2003 absolvierte er ein Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sein erster literarischer Erfolg war der Gewinn des MDR-Literaturpreises. 2006 erschien sein Deb체t, der Roman Als wir tr채umten (S. Fischer). Es folgten die B체cher Die Nacht, die Lichter. Stories (S. Fischer 2008) sowie Gewalten. Ein Tagebuch (S. Fischer 2010). Unter anderem wurde Clemens Meyer mit dem Clemens-Brentano-Preis und dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

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Clemens Meyer


CLEMENS MEYER IM GESPRÄCH

Ich habe kein Interesse daran, mich irgendwelchen Aufregungen hinzugeben

MARIO OSTERLAND: Lieber Clemens Meyer, wie sieht dein Alltag aus? CLEMENS MEYER: Ich hab überhaupt keinen Alltag. Heute habe ich bis

Mittag geschlafen, weil ich erst um sechs im Bett war. Davor hab ich gearbeitet, geschrieben, Musik gehört. Ich war einkaufen. (kurze Pause) Ich habe wirklich keinen Alltag. Ich lese viel, gammle rum, mache Lesungen. Dann kommen wiederum die Phasen, in denen ich viel schreiben will und muss. Bevor ich das aber kann, muss ich mich viel ausruhen. Ich bin schon ein ziemlich fauler Mensch M. OSTERLAND: Fühlst du dich mit diesem »Nicht-Alltag« wohl? C. MEYER: Ja. Wunderbar. Ich möchte es nicht anders haben. M. OSTERLAND: Wie sehr hat sich dein Leben seit der Veröffentlichung deines ersten Buches, also seit 2006, geändert? C. MEYER: Natürlich sehr. Ich hatte davor ja studiert, dann kurz von Hartz IV gelebt und ständig am Roman gearbeitet. Außerdem lebte mein Hund noch, um den hab ich mich gekümmert. Gereist bin ich fast nie. Seit 2006 reise ich rum, habe Öffentlichkeitskram zu tun. Ich wohne aber nach wie vor alleine und fühle mich damit sehr wohl. Meine Wohnung ist und bleibt mein Domizil zum Arbeiten. Hier habe ich meine Ruhe und das ist unbezahlbar. M. OSTERLAND: Was geht dir durch den Kopf, wenn du eine Interviewanfrage zum ema »Literatur und Alltag« bzw. »Literatur und Autobiographie« bekommst? ...

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iane Dirks wurde 1955 in Hamburg geboren und war nach dem Studium zunächst als Berufsberaterin tätig. Seit 1985 ist sie freie Schristellerin. Ihr Debüt Die liebe Angst erschien 1986 bei Hoffmann und Campe, es war der erste Roman in Deutschland, der das ema des Kindesmissbrauchs aufnahm, in einer Weise, die den Opfern eine Stimme gab. Es folgten fünf weitere Romane, zuletzt Der Koch der Königin (Arche 2009). Liane Dirks erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium, den Märkischen Literaturpreis und den Preis der LiteraTour Nord.

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Liane Dirks


LIANE DIRKS IM GESPRÄCH

Schreiben ist immer ein Amalgam MARIE T. MARTIN: Liebe Liane, du hast 1986 debütiert mit dem Buch Die

liebe Angst, in dem aus Kindersicht zum ersten Mal beschrieben wurde, was Missbrauch bedeutet. Das Buch hat eine Diskussion über dieses ema in Gang gebracht. Im Klappentext, zu Die liebe Angst, heißt es denn auch: »Diese Kindheit ist authentisch, aber keine Autobiographie«. Wie würdest du das Authentische vom Autobiografischen abgrenzen? LIANE DIRKS: Versteht man unter einer Autobiographie das Aufschreiben des Selbsterlebten, dann ist mein erstes Buch Die liebe Angst eine Autobiobiographie. Fängt man an, darüber nachzudenken, was das Selbsterlebte ist, dann wird es schon schwieriger, denn wir schreiben selten mit, wenn wir etwas erleben, wir erwecken es vielmehr mittels unserer Erinnerung. Und wie trügerisch oder sagen wir mal besser, wie perspektivisch diese ist, das wissen wir doch alle. M. T. MARTIN: Welche Perspektive hast du für das Buch benutzt? L. DIRKS: In der lieben Angst wähle ich die Perspektive des 11jährigen Mädchens Anne, das seine Kindheit erzählt, ein Drahtseilakt, die »Imitation« der kindlichen Stimme. Mir war es aber sehr wichtig, es genau so zu erzählen, denn es ging mir nicht darum, das Schreckliche des Missbrauchs darzustellen, es ging mir darum zu zeigen, was Kinder da wirklich erleben, wie schwierig es ist, für ein Kind, das seine Eltern liebt, damit umzugehen, wie viel Kra diese Kinder haben. Ich wollte Zugang vermitteln zu dem, was da passiert, Zugang, ohne zu bewerten. ...

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hristoph Nußbaumeder wurde 1979 in Eggenfelden (Niederbayern) geboren. Nach Zivildienst und Fabrikarbeit in Pretoria (Südafrika) studierte er Rechtswissenschaen, Neuere Deutsche Literatur und Geschichte. Bühnen wie die Schauspielhäuser Köln, Bochum und Essen sowie die Schaubühne am Lehniner Platz führten Werke des Dramatikers auf. 2004 erhielt er das omas-Bernhard-Stipendium und gewann den Stückewettbewerb der Berliner Schaubühne. 2007/08 war er Hausautor am Nationaltheater Mannheim und erhielt 2010 den Autorenpreis des Kölner KunstSalons. Im Suhrkamp Verlag erscheint demnächst ein Band mit einer Auswahl seiner Stücke.

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Christoph Nußbaumeder


CHRISTOPH NUSSBAUMEDER IM GESPRÄCH

Alles kann klappen, alles kann schief gehen JÖRG SCHIEKE: Wir haben vor kurzem in Leipzig diese Situation erlebt: Waren gemeinsam Fußball gucken in einer Kneipe und wurden von einem, der Gesicht und Arme voller Nahkampf-Tattoos hatte, in ein Gespräch verwickelt. Gespräch ist gut: Er hat Deinen bayerischen Dialekt wahrgenommen und gesagt: Bayern, unter anderem wegen dem FC Bayern, kriegen hier eigentlich erst mal Schläge. War das Alltag – also für einen Dramatiker relevanter Alltag? CHRISTOPH NUSSBAUMEDER: Ich würde solche Situationen nun nicht von A nach B nacherzählen, aber ich behalte das im Kopf, klar. Interessant war ja, wie sich das aufgelöst hat. Der hat dann was von englischen Mannschaen erzählt und hat einiges durcheinander gebracht, und wir haben ihn sogar korrigiert. Das hat der aber respektiert, wahrscheinlich weil wir uns nicht belehrend über ihn gestellt haben. Auf alle Fälle haben wir ihn überrascht, und das ist schon so ein Prinzip, das ich vom Alltag gern mit rüber in den Text nehme. J. SCHIEKE: Und dann hat er uns noch erzählt, dass er am nächsten Morgen früh um vier raus muss, weil er nämlich in einem Heim als Pfleger arbeitet. Damit hat er nun uns überrascht. Wir dachten ja eher, der ist auf Knast-Urlaub. Damit ist er schon fast eine Figur für eine bestimmte Richtung im zeitgenössischen deutschen eater. Eine, die Du, auch in poetologischen Äußerungen, vertrittst. ...

Christoph Nußbaumeder

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abine Peters wurde 1961 in Neuwied geboren. Sie studierte Literaturwissenscha, Politikwissenscha und Philosophie. Ab 1988 lebte sie als freie Autorin im Rheiderland / Ostfriesland, seit 2004 in Hamburg. Neben Erzählungen und Romanen veröffentlichte sie Hörspiele, Kritiken und Essays. Zuletzt erschien der Roman Feuerfreund (Wallstein Verlag, 2010). Sabine Peters erhielt unter anderem den Ernst-Willner-Preis (1989), den Förderpreis des Landes Niedersachsen (1999), den Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg (2001) und den Evangelischen Buchpreis (2005).

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Sabine Peters


SABINE PETERS IM GESPRÄCH

Warum schreiben Sie überhaupt, Frau Peters? CAROLA GRUBER: Liebe Frau Peters, zu Beginn ein paar ganz konkrete, lebenspraktische Fragen zu Ihrem (Schreib-)Alltag. Es gibt die verschiedensten Modelle, wie sich Schreiben in den Alltag integrieren lässt. Zum Beispiel durch feste Zeiten, etwa drei Stunden Schreiben am Vormittag wie omas Mann oder durch das Aufsuchen bestimmter Orte, etwa das Kaffeehaus für viele Schristeller in Wien um 1900. Andere Schristeller können auf Reisen oder unterwegs am besten schreiben. Wie würden Sie ihren Schreiballtag beschreiben (falls man von »Alltag« sprechen kann): Haben Sie feste Schreibzeiten, einen bestimmten Ort, an dem Sie am liebsten schreiben, oder auch Rituale wie Teetrinken und Rauchen, die das Schreiben begleiten? SABINE PETERS: Wenn es gut läu, fange ich vormittags um 9 Uhr an, schreibe bis 12, manchmal bis 14 Uhr mit kleinen Unterbrechungen. Rituale: Rauchen, Kaffee oder Tee trinken. Der beste Ort ist mein jeweiliges Zimmer mit seinen Bildern, Pflanzen, Büchern und dem vertrauten Kleinkram. C. GRUBER: Noch eine ganz praktische Frage: Füllfederhalter, Kugelschreiber, Computertastatur, Notizhe, lose Blätter, Textverarbeitungsdatei … Mit und in was schreiben Sie am liebsten? S. PETERS: Seit 1990 mache ich mir Notizen zu ziemlich allen emen, zu politischen Tagesereignissen, Reisen, Büchern, Radiosendungen, Erlebnissen mit Leuten, Landschaseindrücken, Museumsbesuchen ... Dazu benutze ich schwarzrote Chinakladden und bin jetzt bei He 24. Auch im aktuellen He gibt es umkringelte Stichwörter, und natürlich sind die Einträge datiert. ... Sabine Peters

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ayne-Ann Igel wurde 1954 in Leipzig geboren und lebt seit 1995 in Dresden. Sie war in der Deutschen Bücherei Leipzig und im Buchhandel tätig. Nach einem eologiestudium arbeitete sie im Gesundheitswesen. Sie erhielt verschiedene Stipendien sowie die Dr. Manfred Jahrmarkt-Ehrengabe der Deutschen Schillerstiung. 1989 erschien das Poesiealbum 259, es folgten Gedichtbände und Texte bei Reclam Leipzig, bei S. Fischer und zuletzt bei Urs Engeler (Berliner Tatsachen 2009). Jayne-Ann Igel ist Mitherausgeberin der Reihe Neue Lyrik, die in Kooperation mit der Kulturstiung des Freistaates Sachsen erscheint.

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Jayne-Ann Igel


JAYNE-ANN IGEL IM GESPRÄCH

Das Leben schreibend verbringen JAN KUHLBRODT: Lebt deine Mutter noch? JAYNE-ANN IGEL: Ja, sie lebt in Berlin. J. KUHLBRODT: Habt ihr einen guten Kontakt? J.-A. IGEL: Naja, telefonisch mittlerweile. J. KUHLBRODT: Jayne, ich zeichne das schon auf, also pass auf, was du

sagst. J.-A. IGEL: Das sind wir ja gewohnt. J. KUHLBRODT: Aber aufgewachsen bist du nicht in Berlin? J.-A. IGEL: Nein, Leipzig ist meine Heimatstadt. Meine Mutter lebt in

Berlin, weil dort auch mein Bruder wohnt, und sie braucht immer ein wenig Hilfe, da haben sich mein Bruder und seine jetzige Frau entschieden, sie nach Berlin zu nehmen. J. KUHLBRODT: Ist beruhigend, oder? J.-A. IGEL: Sehr beruhigend. Ich bin auch dankbar, dass es letztendlich so funktioniert. Und dass die beiden es mir abgenommen haben, weil sie doch auf sichereren Füßen stehen. J. KUHLBRODT: Also nicht so wie eine Schristellerin? J.-A. IGEL: Die Lebensgefährtin meines Bruders arbeitet beim Senat und bringt die sicheren Brötchen heim. J. KUHLBRODT: Das ist bei dir doch auch so? J.-A. IGEL: Wenn wir keine Lebensgefährtinnen hätten, könnten wir das so nicht machen. Früher stand bei mir immer: Lebt von Gelegenheitsarbeiten. Das Beste war damals, vom Einkommen her, in einer Küche zu arbeiten, in einer Restaurantküche. ...

Jayne-Ann Igel

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