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Viennale 2022
DIE VIENNALE 2022
Ein Jubiläum: Die Viennale begeht ihre 60. Ausgabe mit illustren Gästen und Sonderpublikationen.
Wenn die Viennale ihre 60. Ausgabe begeht, dann weiß sie ihr Jubiläum zu gestalten: Gleich sechs Filmscha ende steuern ViennaleTrailer bei (darunter Albert Serra und Claire Denis), Sonderpublikationen und Sonderveranstaltungen mit Gästen wie Werner Herzog, der 1991 gemeinsam mit Reinhard Pyrker Direktor der Viennale war, stehen an (u.a. wird der 80. Geburtstag von Herzog im Volkstheater nachgefeiert). – Und selbstredend gibt es ein pralles Filmprogramm. Im Hauptprogramm sind etwa Coma zu nden – Bertrand Bonellos Kommentar zur Pandemie –, das Flüchtlingsdrama Tori et Lokita von Luc und Jean-Pierre Dardenne und David Cronenbergs Body-Horror-Spektakel Crimes of the Future (siehe S. 56). Der exzentrische Quentin Dupieux stürzt Alain Chabat und Léa Drucker in eine Satire über Obsessionen (Incroyable mais vrai), Mikhaël Hers verp anzt Charlotte Gainsbourg in die 1980er-Jahre: Les passagers de la nuit. Aus dem heimischen Filmscha en sind etwa David Wagners Eismayer (S. 46), Ruth Beckermanns Mutzenbacher (S. 42) und Claudia Müllers Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen (S. 58) zu sehen – wie auch Ulrich Seidls Sparta, dessen Produktionsbedingungen in einem „Spiegel“-Artikel angegri en wurden (worauf die Ausladung aus dem Festivalprogramm in Toronto folgte), was noch immer große Diskussionen nach sich zieht. (Eine Stellungnahme des Regisseurs ndet sich auf www. ulrichseidl.com.) Mit einem Beitrag aus Österreich wird die Viennale auch erö net: mit dem semidokumentarischen Film Vera von Tizza Covi und Rainer Frimmel, der in Venedig zweifach in der Sektion „Orizzonti“ ausgezeichnet wurde. Die Titelheldin ist eine erfolglose Schauspielerin, die im Schatten ihres berühmten verstorbenen Vaters – dem Italowestern-Darsteller Giuliano Gemma – lebt.
Incroyable mais vrai
Vera Tori et Lokita
Crimes of the Future
Bones and All (Regie: Luca Guadagnino, USA 2022) Eine von Luca Guadagnino inszenierte Romanze nimmt ihren Lauf, aber anders, als man es nach Call Me By Your Name erwarten würde: Zwar ist wieder Timothée Chalamet mit von der Partie, doch ihn (bzw. seine Figur Lee) und sein Love Interest (gespielt von Taylor Russell) verbindet vor allem, dass sie nach Menschen eisch gieren. Für die Kannibalen-Romanze, die sich als Road Movie in Bewegung setzt, wurde Guadagnino in Venedig als bester Regisseur ausgezeichnet und Taylor Russell als beste Nachwuchsschauspielerin.
All the Beauty and the Bloodshed (Regie: Laura Poitras, USA 2022) Laura Poitras dokumentiert das Leben der New Yorker Undergroundfotogra n Nan Goldin – und vor allem auch ihren Kampf gegen die Familie Sackler (von der auch in der Disney+-Serie Dopesick ausführlich die Rede ist): Als Begründerin der Gruppe P.A.I.N. (Prescription Addiction Intervention Now) geht sie gegen Sacklers Pharmaunternehmen Purdue vor, das in den Neunzigern das Schmerzmittel Oxycontin auf den Markt schmiss und in puncto Suchtpotenzial als unbedenklich behauptete – in Wahrheit aber die Opioidkrise in den USA auslöste. In Venedig jüngst als bester Film ausgezeichnet.
e Whale (Regie: Darren Aronofsky, USA 2022) Brendan Fraser begeht ein ebenso mitreißendes wie gewichtiges Comeback: Er spielt – basierend auf dem eaterstück von Samuel D. Hunter – einen Englischprofessor, der seine Familie aufgrund seiner Gefühle für einen Mann verließ, aus Trauer nach dessen Tod eine Essstörung entwickelte und nun 272 kg auf die Waage bringt. Er ho auf eine Wiederannäherung mit der nun 17-jährigen Tochter (Sadie Sink), ehe es zu spät ist.
Stars at Noon (Regie: Claire Denis, F 2022) Claire Denis ver lmt Denis Johnson – und lässt Margaret Qualley auf Joe Alwyn tre en. Sie spielt eine amerikanische Journalistin, die ohne Pass in Nicaragua festsitzt, er einen britischen Reisenden, der ihr nun helfen könnte. Nur weiß sie nicht, in welche Welt sie nun abtaucht. Großer Preis der Jury in Cannes (ex aequo mit Close von Lukas Dhont).
20 OKT - 1 NOV ‘22 e Fire Within: A Requiem for Katia and Maurice Kra (Regie: Werner Herzog, UK/F/ CH/USA 2022) Nicht nur Miranda July (in Fire of Love, siehe S. 48) weiß dieser Tage von den einnehmenden Vulkanologen Katia und Maurice Kra zu berichten: Auch Werner Herzog (und seine legendäre Erzählweise) beschä igt sich mit dem Geologen und der Geochemikerin und Physikerin, die von ihren Expeditionen die spektakulärsten Bilder mitbrachten. In Anwesenheit von Werner Herzog, der mit zwei weiteren Filmen ( eater of ought und Radical Dreamer) im Festivalprogramm vertreten ist.
Decision to Leave – Heojil Kyolshim (Regie: Park Chan-wook, Südkorea 2022) Am Fuße eines Felsens liegt eine Leiche. Der Detektiv, der den Mordfall untersuchen soll, verliebt sich in die schwer durchschaubare Hauptverdächtige. Park Chan-wook (Oldboy) wurde für den melancholisch-schönen Krimi in Cannes als bester Regisseur ausgezeichnet.
Showing Up (Regie: Kelly Reichardt, USA 2022) Kelly Reichardt arbeitet bereits zum vierten Mal mit Michelle Williams (Wendy and Lucy, Certain Women, Meek’s Cuto ), die nun als in Portland ansässige Bildhauerin zu sehen ist, die knapp vor einer Ausstellungserö nung steht. Schrullig und sympathisch.
Close (Regie: Lukas Dhont, BE/F/NL 2022) Lukas Dhonts Debütfilm Girl gewann 2018 in Cannes in der Sektion „Un Certain Regard“. Für Close gab es nun den Großen Preis der Jury (ex aequo mit Stars at Noon von Claire Denis). Erzählt wird von der unschuldigen, engen Freundschaft zweier Dreizehnjähriger, die durch den Blick von außen verändert wird.
Saint Omer (Regie: Alice Diop, F 2022) Den großen Preis der Jury gab es in Venedig für den ersten Spielfilm der Dokumentarfilmerin Alice Diop. Darin reist eine (schwangere) Professorin und Schriftstellerin, die den Medea-Mythos zeitgemäß bearbeiten will, nach Saint-Omer, um einen Prozess zu verfolgen: Vor Gericht steht eine junge Frau, die ihr Baby ertränkt haben soll. Un Beau Matin (Regie: Mia Hansen-Løve, F/D 2022) Den Abschlussfilm zum Festival steuert Mia Hansen-Løve (Der Vater meiner Kinder, Bergman Island) bei: Léa Seydoux spielt Sandra, eine 35-jährige Witwe, Alleinerzieherin und Dolmetscherin, die gerade mit einem Abschied und einem Anfang zu tun hat: Ihr Vater gleitet immer mehr in die Demenz ab, gleichzeitig wartet das Leben für sie mit einer stürmischen neuen Liebe auf.
EO (Regie: Jerzy Skolimowski, Polen/I 2022) Jerzy Skolimowski (Essential Killing) legt eine Neuinterpretation des einzigen Filmes, der ihn „wirklich bewegt“ hätte, vor: Robert Bressons Zum Beispiel Balthasar. Sein Esel, der stoisch jede Qual übersteht, heißt EO und wird u.a. Isabelle Huppert begegnen. Preis der Jury in Cannes.
The Banshees of Inisherin (Regie: Martin McDonagh, Irland/UK/USA 2022) Colin Farrell erlebt als Pádraic Súilleabháin Ghosting in einer Zeit, als noch keiner mit einem Modem und Tinder-Account ausgestattet war (im Jahr 1923). Als er wie jeden Tag seinen Freund, den Geigenspieler Colm Doherty (Brendan Gleeson), zum Pub-Besuch abholen will, offenbart ihm dieser, dass er nichts mehr mit ihm zu tun haben will – und dass er sich, wenn Pádraic es wagt, ihn wieder anzusprechen, jedes Mal einen Finger abschneiden wird. Neues (Makabres) von Martin McDonagh (Three Billboards Outside Ebbing, Missouri).
Retrospektive und Specials
Eine Monografie ist dem 1936 in Mauretanien geborenen Med Hondo gewidmet, einem Wegbereiter des afrikanischen Kinos; eine der „Queen of Comedy“, Autorin, Performerin, Schauspielerin und Regisseurin Elaine May (*1932). Die heurige Historiografie blickt nach Argentinien – und auf den Film noir. Die Sparte Kinematografie nennt sich heuer „Österreich real“ und beschäftigt sich mit dem Dokumentarfilm in Krisenzeiten. Zu sehen sind 12 Kurz- und Langfilme, die zwischen 1972 und 2017 entstanden sind.
Die Retrospektive beschäftigt sich mit dem im Westen nur selten gezeigten Werk des japanischen Meisters Yoshida Kijū.
Med Hondo: Soleil O
Retrospektive – Yoshida Kiju: Blood is Dry Argentinischer Film noir: El vampiro negro
Österreich real: Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte
Bring your kids Ein feines Angebot für Eltern: Die Viennale bietet am 22., 23. und 26. Oktober von 12:30 bis 18:30 Uhr in der Urania ein Kinderbetreuungsangebot an. Kinder ab zwei Jahren können für die Dauer der Vorstellung professionell und kostenlos betreut werden: Malen, basteln, spielen im Terrassensaal der Urania. First come, first serve, Anmeldung per Mail: kinderbetreuung@viennale.at
Mit DOT. zur Viennale
DOT. verlost neben vier 5erTicket-Blöcken fürs Festival zehn Festivalpackages: In der heiß begehrten Viennale-Tasche finden sich Kataloge, Festival-Plakate und andere feine Goodies. Mitspielen per Mail an gewinn@pph-media.at
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Keine Barablöse.
ECKDATEN ZUR VIENNALE 20.10.–01.11. 2022
Der Kartenvorverkauf beginnt am 15.10. Alle Infos und das gesamte Programm auf www.viennale.at. Retrospektive: Yoshida Kiju, 21.10.–23.11.2022, www.filmmuseum.at Die Viennale Bar ist wieder in der Falkenstraße 5, 1010 Wien zu finden. „Student’s Day Time Ticket“: Für alle Vorführungen vor 17:30 Uhr erhalten Studierende, Schüler, Lehrlinge sowie Präsenz- und Zivildiener unter 27 Jahren an der Kinokassa ab 1 Stunde vor Vorstellungsbeginn ermäßigte Tickets um € 6,50.