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Babylon – Im Rausch der Ekstase

Das pralle Leben

Damien Chazelle stürzt Brad Pitt und Margot Robbie von Filmset zu Party: „Babylon“ – der Rausch von einem Film.

Die Partys sind wild, alles und jeder ist zum Exzess bereit, jederzeit. Die Musik ist jazzig. Das Leben, es will gefressen werden. Laut ist es auch abseits der Partys: In Hollywood hat man angefangen, nach Ton zu angeln, die Stummfilmära ist vorbei, die ersten „Talkies“ entstehen, die neuen Möglichkeiten sind schier endlos, alles funktioniert nach neuen Regeln. Oder eigentlich nach gar keinen: Von den Hay-Codes, die Themen regulierten, bei denen Moralapostel wie Seismografen ausschlagen, ist noch keine Rede. Es sind die 1920er-Jahre, und Los Angeles ist ein Ort der ausschweifenden Vergnügungen: die Goldene Ära Hollywoods.

Von dieser wilden, freien Zeit handelt Babylon, und an den Reglern sitzt Damien Chazelle. Er dreht auf laut. Damien Chazelle hat sich einen Namen gemacht als präziser Filmemacher mit Hang zum Jazzigen. Als er etwa Miles Teller an ein Konservatorium in New York schickte, ließ er ihn von J.K. Simmons unterrichten – jeder Takt ein Peitschenschlag: Whiplash. Ein Musikfilm, der eher im Genre Kriegsfilm einzuordnen ist.

Als Emma Stone auf Ryan Gosling traf, wurde die Welt in Pastellfarben getaucht. Und perfekt choreografiert: La La Land ließ an legendäre Musicalklassiker mit Fred Astaire und Ginger Rogers denken. Selbst die Sounds des zähflüssigen Autoverkehrs von L.A. und die vollgestopften Tangenten eigneten sich perfekt für bunte, flirrende Sing- und Tanznummern. Mit Babylon wird es nun noch wuseliger.

GROSSE PLÄNE

BEFORE THE CODE Den Sex, die Drogen, den Exzess in L.A. konsumiert Filmstar Jack Conrad (Brad Pitt) längst routiniert. Auf Partys begegnet er Damen mit Abendkleid, die sein Antlitz auf ihren Rücken tätowiert haben. Auch Starlett Nellie LaRoy (Margot Robbie) will Geld und Spaß, das pralle Leben, es schaffen. So wie viele: Auch Manny Torres (Diego Calva), der amerikanische Sohn mexikanischer Einwanderer, will in Hollywood Fuß fassen – an einem Ort, wo es jeden Moment auch wieder vorbei sein kann. Weil man nicht der Einzige ist, der alles will.

Margot Robbie und Brad Pitt waren beide in The Big Short (2015) und Once Upon a Time in Hollywood (2019) zu sehen, hatten aber keine gemeinsamen Szenen. Dies soll sich nun ändern.

Historische und fiktive Persönlichkeiten geben sich den Eskapaden zwischen Drogenrausch und Hollywood-Traumfabrik hin. Nellie LaRoy basiert etwa auf der Schauspielerin Clara Bow, die als „das erste It-Girl“ gilt, in 46 Stummfilmen spielte inkl. Flügel aus Stahl (1927), der als erster Film einen Oscar als „besten

Film“ holte und sowohl in einer Stummfilm-Variante als auch als Film mit Musik- und Geräuschspur ins Kino kam.

Diese opulente Ära Hollywoods sollte nicht lange andauern. Nacktheit, (Homo-)Sexualität, Ehebruch, Abtreibung, Vergewaltigung, Drogen: Im Pre-Code-Hollywood wurde alles auf die Leinwand gebracht. 1930 erstellten Gegner der Pre-Code-Filme bereits eine Liste, die die offene Darstellung von „schwierigen“ Themen wie Sexualität und Kriminalität verbot. Die Umsetzung war freiwillig. Als sich kaum ein Studio damit aufhielt und The Story of Temple Drake, eine freizügige Verfilmung von William Faulkners „Die Freistatt“, u.a. Kirche und Politik empörte, wurde eine „effektivere“ Zensur eingeführt: Ab 1934 wurden alle neuen Filme von der „Production Code Administration“ begutachtet und für eine Veröffentlichung freigegeben – oder eben auch nicht. Sexualität musste fortan für Jahre chiffriert oder abgeblendet werden. 1967 wurde der Code abgeschafft. ZWEI BABYLONS Chazelle erklärte, die deutsche Serie Babylon Berlin habe ihn zu seinem wilden Ritt inspiriert. Das Drehbuch von Babylon war heiß begehrt: 2019 entbrannte ein wahrer Bieterkrieg um die Rechte, Paramount machte den Deal.

Sein Film ist ein schnell geschnittener, wilder Ritt – von opulenten Partys geht es zu riesigen Filmsets. Die Leinwand als einziger Ort der Eskalation. (Offenbar gibt es eine zweite Version des Filmes, die auch recht interessant zu sehen wäre: Er habe den ganzen Film auch mit seinem Handy in seinem Hinterhof gedreht, ließ Chazelle wissen – darin würden er, seine Frau Olivia Hamilton und Diego Calva jede Rolle spielen. Dies hätte Newcomer Calva geholfen, während eines Pandemie-Lockdowns in den Probenprozess zu kommen. Chazelle witzelte, dass die Version ziemlich gut sei. Vielleicht erscheint sie in 20 Jahren auf einer Jubiläums-Blu-ray. Falls es dann noch Blu-ray-Player gibt.) VOLLER ENERGIE In all den prall gefüllten Bildern sticht vor allem ein strahlendes Gesicht heraus: Das von Margot Robbie (The Wolf of Wall Street, Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn). Sie stürzt sich in die Rolle der Nellie LaRoy, die ursprünglich Emma Stone (La La Land) spielen hätte sollen, aber aus Termingründen absagen musste.

Robbie, einer der aktuell interessantesten weiblichen Hollywoodstars (vor allem durch ihre Produzentinnentätigkeit, siehe Promising Young Woman, I, Tonya, bald Barbie), ist optimal für die Rolle. Ihre Präsenz ist einzigartig. Chazelle sagt über sie: „Ich brauchte jemanden, der vollkommen angstfrei war. Ich hatte das Gefühl, sie würde es richtig angehen. Sie trägt einen gewaltigen körperlichen Wagemut in sich. Und gleichzeitig ist sie eine der technisch versiertesten Schauspielerinnen, auf die man als Regisseur nur hoffen kann. Normalerweise, wenn man Schauspieler mit einer solchen Energie erlebt, ist das eine ungeschulte Energie.“

Robbies geschulte Vorbereitung geht sogar so weit, dass sie mit BewegungsCoachs arbeitet, um Tiere zu nden, die die Körperlichkeit ihrer Figuren inspirieren könnten. Bei Nellie war es u.a. ein Oktopus. In den Tanzszenen mit ihren ießenden Bewegungen wird man sich de nitiv an dieses Bild erinnern. Margot Robbie selber sagt, dass sie in einem sehr lauten, vollen Haus aufwuchs, „darum fühle ich mich sicher und wohl, wenn um mich herum das Chaos herrscht. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich Filmsets liebe.“ Bei Babylon erlebt sie, die ungern allein ist, sogleich Filmset in Filmset. Und glamouröse Partys, durch die auch mal Elefanten walzen. Jedes Bild ist voll. Übervoll. Chazelle hat seinen Untertitel „Im Rausch der Ekstase“ ernst genommen. Wie seine Figur Jack Conrad aber auch über Hollywood und seine Filmindustrie feststellt: „Es ist der magischste Ort der Welt.“ Alles ist hier möglich. Alles wird gezeigt. #BabylonFilm

MIT LAURÌ UND FLORIAN DAVID FITZ

BABYLON – IM RAUSCH DER EKSTASE KINOSTART 19.01., USA 2022, REGIE Damien Chazelle, MIT Brad Pitt, Margot Robbie, Diego Calva, Tobey Maguire, Max Minghella, Olivia Wilde, © Constantin Film

REGIE HÜSEYIN TABAK

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