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Living
GROSSE PLÄNE
Eine umwerfende Menschwerdung
Bill Nighy erkennt als Mr. Williams in „Living”, dass er sein eigenes Leben verpasst hat.
Sein Leben funktioniert mit absoluter Präzision: Der Beamte Mr. Williams ist der perfekte Gentleman, der immer in Nadelstreif und mit Melone auftritt. Er verschwindet hinter seinen Aktenbergen, funktioniert wie ein Uhrwerk, hält sich den Rest der Welt auf Abstand. Bis zu einem Arztbesuch kurz vor der Pensionierung. Da nämlich erklärt ihm der Mediziner, dass sein Leben kürzer sein könnte als erwartet.
Erst diese Erkenntnis macht dem Mann, bis dato die wandelnde Leidenschaftslosigkeit, klar, wie ihm das Leben zwischen den Fingern zerronnen ist; wie sich einfach ein Tag an den anderen reihte, in ewiger Gleichförmigkeit, bis er nun alt und faltig ist.
Plötzlich beginnt der Mann zu leben und ist davon angetrieben, die verbleibende Zeit einer Mission zu widmen: Er will einen neuen Kinderspielplatz realisieren, den die Stadt bisher verweigert hat. Verblüfft nimmt eine junge Kollegin seinen Wandel wahr. Bislang lief er für sie unter dem Spitznamen „Mr. Zombie“, wie sie ihm gesteht: „Zombies are sort of dead, but they are not.“ Nun ist es Zeit zu leben, sich in Spaß und freudige Gesellschaft zu stürzen. Das Beste aus der Zeit zu machen, die ihm noch bleibt.
ENDLICH AUFWACHEN Oliver Hermanus (Moffie) setzt einen präzisen, eleganten, kurz gesagt: umwerfenden Film um – ja, eine reine Augenweide –, wenn er Akira Kurosawas Ikiru – Einmal wirklich leben aus dem Jahr 1952 neu inszeniert. Das Drehbuch stammt von Literaturnobelpreisträger Kazuo Ishiguro („Was vom Tage übrig blieb“, „Klara und die Sonne“), der die Geschichte von Japan ins Nachkriegsengland verlegt. Living avancierte zum Publikumsliebling beim Sundance Festival und beim Filmfestival Venedig, was neben vielem anderem an Hauptdarsteller Bill Nighty liegt, der den aufgewachten Mann leise und mit Stil und Würde spielt. Es ist die Rolle seines Lebens. #livingfilm
LIVING KINOSTART 20.01., GB/SE 2021, REGIE Oliver Hermanus, MIT Bill Nighy, FILMLÄNGE 103 Min., © Sony Pictures