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A GOLDEN GIRL Maria Grazia Chiuri
&KÜHNHEITWAGEMUT
DIE REBELLEN DER HAUTE HORLOGERIE
Autorin_Swenja Willms Bilder_Roger Dubuis
Es sind Zeitmesser, geformt für die moderne Welt – furchtlos, radikal und unverwechselbar. Wessen Handgelenk eine «Roger Dubuis» schmückt, kann sich zur Elite zählen. Die raren Meisterwerke der Schweizer Uhrenmanufaktur, die stets die Grenzen der technischen Fähigkeiten bis zum Äussersten auslotet, entfalten ein Mass an Kreativität, das in der Haute Horlogerie seinesgleichen sucht. Ein Wagnis, das sich auszahlt, wie Nicola Andreatta, CEO von Roger Dubuis, erzählt.
PRESTIGE: Herr Andreatta, Sie sind in Como geboren und in einer italienischen Uhrmacherfamilie aufgewachsen. War Ihnen schon immer klar, dass Sie in der Welt der Uhren zuhause sind?
NICOLA ANDREATTA: Ich besuchte schon die Uhrenfabrik meiner Familie, als ich gerade mal fünf oder sechs Jahre alt war. Mein Bruder allerdings konnte nie etwas mit Uhren anfangen. Jeden Samstag ging ich folglich gemeinsam mit meinem Vater in die Fabrik. Die meiste Zeit verbrachte ich dabei in der Abteilung, wo die Prototypen hergestellt wurden, denn ich war von der Arbeit mit Metall und den Maschinen fasziniert. Auf Wunsch meiner Eltern jedoch studierte ich Ökonomie – die Uhrenindustrie sei nicht das Richtige für mich. Das abstrakte Denken und das Rechnen mit Zahlen begeisterten mich allerdings überhaupt nicht. So kam ich zurück zu meinen Wurzeln und begann, mit Uhren zu arbeiten. Allerdings zog es mich dabei an das andere Ende der Welt – nach Asien. Ich startete bei einem grossen Generalunternehmen in Hongkong. Während fünf Jahren produzierte ich hier die verschiedensten Komponenten für Uhrenmarken aus dem mittleren Preissegment, meistens aus Italien oder Frankreich. Es war eine sehr lehrreiche Zeit, denn ich erhielt einen Einblick in die Industrie ausserhalb der Schweiz und eignete mir Wissen aus den verschiedensten Metiers an – von der Manufaktur über das Design bin hin zum Ingenieurswesen. Das bringt auch heute bei Roger Dubuis einen wahren Mehrwert für unser Team.
Bevor Sie 2018 zu Roger Dubuis wechselten, waren Sie viele Jahre bei Tiffany & Co. Was bedeutete Ihnen der Wechsel?
Meine Zeit bei Tiffany & Co. war eine unglaubliche Reise, und ich genoss jede einzelne Sekunde davon. Natürlich ist es ein ganz anderes Unternehmen als Roger Dubuis. Einerseits kannst du mit den blauen Boxen prinzipiell tun und lassen, was du willst – die Leute kaufen es (lacht). Andererseits pflegt Tiffany & Co.
LINKS Die Legende von König Arthur kehrt in Form der ikonischen Kollektion «Knights of the Round Table» zurück ans Handgelenk.
Handgefertigte Mikroskulpturen – die zwölf Ritter der Tafelrunde – in Roségold zieren das Zifferblatt.
ganz andere Werte. Der Wechsel zu Roger Dubuis signalisierte für mich den Peak meiner Karriere. Vielleicht ist er es nicht, aber es fühlt sich so an. Ich bin genau da, wo ich hinwollte. Und es schien vom Schicksal bestimmt zu sein, denn schon mein Vater produzierte damals die ersten Schatullen für Roger Dubuis in seiner Manufaktur. Ich lernte gar Roger Dubuis damals beim Verkauf der Schatullen in Genf persönlich kennen, als ich etwa 24Jahre alt war.
Die Zeitmesser von Tiffany&Co. sind eher für ihre schlichte Eleganz bekannt. Jetzt sind Sie für ein Unternehmen zuständig, das genau das Gegenteil macht, also laute, wilde und sehr kreative Uhren. In welchem Feld fühlen Sie sich mehr zuhause?
Dank meiner Karriere hatte ich die Gelegenheit, viele verschiedene Dinge in der Uhrenindustrie zu sehen und auszuprobieren. Roger Dubuis mit Tiffany & Co. zu vergleichen, ist schwierig, weil es zwei verschiedene Welten sind. In Bezug auf die Kunst der Uhrmacherei aber ist Roger Dubuis für mich der Gipfel der Industrie. Wir kreieren Dinge mit einem besonderen Charakter und Anspruch wie niemand anderer und stellen dadurch eine aussergewöhnliche Alternative zur klassischen Haute Horlogerie dar. Auf eine witzige, sehr kreative und unverkennbare Weise – ganz wie unser Leitmotto «expect the unexpected».
Mit dem jüngsten Neuzugang der ikonischen Kollektion «Knights of the Round Table» erzählen Sie eine mystische Geschichte: Die Legende von König Arthur. Mit Ihren Uhren tauchen Sie immer wieder in fantastische Welten ein, deren Fantasie oft keine Grenzen kennt. Erreichen Sie bei der Uhrmacherei trotzdem irgendwann ein Limit?
Bei der Uhrmacherei geht es mittlerweile nicht mehr bloss darum, die Zeit abzulesen. Es geht um Emotionen und darum, diese mit den von uns entworfenen Zeitmessern und den Gefühlen und Wahrnehmungen unserer Kunden in Einklang zu bringen. Storytelling wird dabei zu einer Möglichkeit, unser Produkt mit dem zu verbinden, was wir sind. Im Fall der «Knights of the Round Table» beziehen wir uns dabei auf die Legende von König Arthur. Ob sich die Geschichte damals genau so zugetragen hat, sei dahingestellt, aber sie steht nichtsdestotrotz für grosse Werte, für Ehre und Mut. Genau das transferierten wir mittels der zwölf gegen die Schwerkraft kämpfenden Ritter auf dem Zifferblatt auf den neuen, auf acht Exemplare limitierten Zeitmesser – von denen bereits alle verkauft sind.
Um einen solchen Zeitmesser sein Eigen nennen zu können, muss man folglich schnell sein.
Auf jeden Fall. Diese Kollektion ist eine wahre Ikone bei Roger Dubuis. Jedes Mal, wenn wir eine neue Edition ankündigen, ist diese innert kürzester Zeit ausverkauft.
Dies führt vermutlich auch zurück auf eine treue und gleichzeitig anspruchsvolle Käuferschaft. Wie sieht Ihre Klientel aus?
Zum einen sind unsere Käufer Sammler. Einige der Zeitmesser von Roger Dubuis, wie die neue «Knights of the Round Table», sind wahre Sammlerstücke. Manche unserer Kunden besitzen alle sieben Modelle aus der Kollektion. Grundsätzlich ist aber unsere Käuferschaft sehr divers. Viele unserer Kunden schätzen unser Savoir-faire, die mechanischen Komponenten und die Werke. Daneben gibt es eine jüngere Käuferschaft, die unsere Attitüde liebt, das Auftreten unserer Marke. Natürlich aber ist der Grossteil sehr wohlhabend, lebt ein aussergewöhnliches Leben und besitzt nur das Beste vom Besten. Dementsprechend hegen diese Käufer bestimmte Ansprüche – auch an Uhren. Daraus resultieren auch unsere massgeschneiderten Zeitmesser, die in Absprache mit unseren Kunden entstehen und designt werden.
Hier kommt vermutlich das «Q-Lab» ins Spiel. Dieses haben Sie als CEO ins Leben gerufen, ein Ort, an dem die Marke ihre Kreativität und Innovation fördert, wo entdeckt und experimentiert wird und das Team sein volles Potential ausschöpfen kann. Wie kann man sich dieses Labor vorstellen?
Wie der Name schon verrät, ist das Labor eine Anlehnung an «Mr.Q», den Waffenmeister von James Bond. Hier erschaffen wir die verrücktesten Dinge und bringen unsere kreativen Mitarbeiter aus allen Bereichen der Maison, dem Ingenieurswesen, Design und Grafik, zusammen. Kreativität ist fest in unserer DNA verankert, ohne Kreativität existiert Roger Dubuis nicht. Das «Q-Lab» ist genau dieser Kreativität gewidmet, um zu kreieren, zu erfinden und zu experimentieren. Um neue Wege in der Uhrmacherei zu finden. Das Labor selbst halten wir allerdings vor der Öffentlichkeit sehr geheim. Denn nur so erschaffen wir selbst eine Legende.
Aber hochrangige Kunden erhaschen einen Blick hinein?
Gerade letzten Abend besuchte uns ein exklusiver Kunde im Labor, um mit ihm gemeinsam an einem Zeitmesser zu arbeiten – unseren sogenannten «rarities». Hierbei erhalten Kunden das Privileg einer massgefertigten Uhr. Direkt vor dem Kunden zu entwerfen und ihn in den Prozess miteinzubeziehen, ist einzigartig. Das «Q-Lab» war die beste Gelegenheit, unsere Kreativität zu inszenieren und gleichzeitig unsere Grenzen und den Prozess auszutesten. Wo sonst hat man die Möglichkeit, während dem Entwicklungsprozess einzelne Komponenten auszutauschen, herumzutüfteln oder mit neuen Materialien zu arbeiten?
Trotz der kreativen Freiheit produziert Roger Dubuis ausschliesslich nach den strengen Anforderungen des Genfer Siegels. Findet man da einen Mittelweg?
Für uns ist beides unerlässlich. Das, was Roger Dubuis auszeichnet, ist das Ausleben unserer Kreativität. Auf der anderen Seite sind wir aber Haute Horlogerie, gegründet in Genf mit eigener Manufaktur im Herzen der Stadt. Der beste Weg, um unsere Werte und Zeitmesser bezeugen zu lassen, ist, diese dem Genfer Siegel zur Prüfung vorzulegen. Aber es ist in der Tat eine Gratwanderung. Denn das Genfer Siegel besteht seit 1886. Und während all dieser 136 Jahre haben sich viele Uhrenmarken an diesem strengen Gütesiegel orientiert. Zwölf Regeln müssen dabei stets beachtet werden. Diese Regeln haben sich seit der Gründung des Genfer Siegels nicht verändert. Wie sich aber jeder vorstellen kann, haben sich während dieser Jahre die Uhrenindustrie, die Technologien und Produktionen jedoch stark entwickelt. Wie stellt man also sicher, dass eine Uhr aus dem Jahr 2022 diesen Qualitätsanforderungen von vor über 136 Jahren gerecht wird? Wir haben das Glück, dass der strategische Produktdirektor bei Roger Dubuis Teil des Komitees des Genfer Siegels ist. Wir haben also eine konstante Verbindung zum Qualitätssiegel, um sicherzustellen, dass jeder Schritt in der Produktion den Richtlinien entspricht. Und das ist der einzige Weg für uns, denn es ist ausgeschlossen, dass wir uns eines Tages dazu entscheiden, unsere Uhren nicht mehr durch das Genfer Siegel zertifizieren zu lassen. Jeder unserer Produktionsschritte ist darauf ausgelegt.
Nicola Andreatta
«Excalibur» ist das Aushängeschild der Manufaktur. Das Modell, mit dem dieser kreative Wahnsinn begann?
«Excalibur» ist eine Kollektion, die den Geist von Roger Dubuis perfekt widerspiegelt. Während der 27-jährigen Geschichte
von Roger Dubuis machten wir stets das Gegenteil unserer Mitbewerber. In den ersten Jahren von Roger Dubuis kreierten wir noch sehr klassische Zeitmesser, doch wir wagten schnell den Schritt in eine neue Richtung, in Richtung Kreativität. Wir mussten folglich unser Sortiment irgendwann eingrenzen und uns auf etwas konzentrieren, das die Marke repräsentiert. «Excalibur» ist somit unsere älteste Kollektion, die zurückführt auf unsere Entstehungsgeschichte und unseren Spirit.
Die «Spider»-Modelle, wie beispielsweise die «Excalibur Spider Huracán Monobalancier», sind bei Roger Dubuis stark mit dem Motorsport verbunden. Welche Werte verbindet die Hyperuhrmacherei und Supersportwagen?
Einen Supersportwagen zu fahren und eine Hyperuhr zu tragen, ist eine Frage von Emotionen, starken Emotionen. Es ist der Grundgedanke, schneller zu sein als die Konkurrenz, ein Gefühl von Sieg. Unsere Kunden sind erfolgreiche Unternehmer*innen, die dieses Gefühl lieben. Die Zusammenarbeit von Roger Dubuis mit Lamborghini und Pirelli zeigt, dass sich diese Emotionen zwischen Uhrmacherei und Motorsport verbinden lassen – Exzess, Wahnsinn, Vergnügen und Freiheit.
Werte, die definitiv auch bei Roger Dubuis gelebt werden.
Auf jeden Fall. Deswegen entschlossen wir uns 2017 auch für eine Langzeitpartnerschaft – es ist nicht nur eine Marketingstrategie, sondern zwei Unternehmen, die perfekt zusammenpassen, und auch der Grund, weshalb die Kollaborations-Modelle so erfolgreich sind. Sowohl Autos als auch Uhren haben ein Chassis und einen Motor – eine Hülle, die den Kern des Produkts umgibt. Aber wie eben dieses Produkt aussieht, machen sowohl wir als auch Lamborghini auf eine Weise wie niemand anderer.
«EXPECT THE UNEXPECTED»
Kreativität entfesselt: Die «Excalibur Spider Huracán Monobalancier» kombiniert die Welt der Supersportwagen von Lamborghini mit Hyper Horlogerie.