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Interview

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Editorial

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New Work Special

Gemeinsam stark

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Mit den Zaventem Ateliers vereinte Lionel Jadot verschiedene Gewerke unter einem Dach – und schuf so einen der experimentellsten Orte für Kunst und Design in Europa. Interview: Florian Siebeck

Keine 20 Minuten außerhalb Brüssels liegt eine ehemalige Papiermühle aus dem 19. Jahrhundert. Hier hat der Designer und Filmemacher Lionel Jadot vor zwei Jahren die Zaventem Ateliers gegründet – einen Ort, an dem sich Handwerker, Künstler, Designer und

Bühnenbildner treffen, diskutieren, gestalten und produzieren. Auf 6000 Quadratmetern gibt es 32 Ateliers, in denen Möbel, Lederwaren und selbst Damastmesser entstehen.

„Schaukasten der Menschheit“, so nennt der Designer Lionel Jadot (links) die Grand Hall der Ateliergemeinschaft, wo er und seine Mitstreiter Entwürfe und Fragmente ihrer Arbeit zeigen. Sie bieten aber auch anderen Designern eine Ausstellungsfläche, hier etwa Stéphane Barbier Bouvet.

Fotos: Lydie Nesvadba

New Work Special

Vor zwei Jahren haben Sie die Zaventem Ateliers ins Leben gerufen. Was gab den Anstoß? Eines Tages stand ich im Stau, schaute aus dem Fenster und sah dieses eigenartige Dach. Und weil ich ohnehin nach einer neuen Werkstatt suchte, fuhr ich durch die Straßen, bis ich das Gebäude dazu fand: eine verlassene Papiermühle aus dem 19. Jahrhundert, ohne Fenster, Böden, Türen. Ich wusste gleich, hier kann etwas Großes entstehen – eine Gemeinschaft aus Designern und Künstlern. Ich machte den Eigentümer ausfindig und habe ihn bearbeitet, bis er mir das Grundstück verkaufte. Vier Monate lang! Nebenbei habe ich mit Freunden schon die künftigen Mieter ausgewählt. Nach welchen Kriterien? Wir wollten nicht fünf Keramiker und fünf Drechsler haben, sondern eine gute Mischung. Da geht es ums Bauchgefühl. Wenn du jemandem in die Augen schaust und siehst, dass er wirklich für das brennt, was er tut, geht es nicht ums Geld oder darum, ob mir das gefällt, was er produziert. Wenn da was Klares, Ehrliches ist, dann reicht das. Hier hat niemand ein großes Ego. Alle eint die Leidenschaft, mit der sie morgens ans Werk gehen, um stetig besser zu werden. Und Spaß zu haben, natürlich! Wir sind ja keine Galerie. Wir haben keinen Druck. Jeder kann machen, was er will. Sie wuchsen in einer Familie von Möbelmachern auf und sind heute Designer. Kindheitstraum oder familiäre Bestimmung? Unsere Wohnung lag im gleichen Haus wie die Werkstatt meines Vaters. Dort wurden in sechster Generation Stühle und Sessel produziert, seit 1842. Mit sieben habe ich meine ersten Möbel zusammengeklebt: Tisch, Stuhl, Bett. Weil ich schlecht in der Schule war, kam ich mit 15 auf die Royal Academy of Fine Arts in Brüssel. Für mich war das eine neue Welt, wir waren frei und konnten uns austoben. Mit 18 wollte ich nach Mailand, Design studieren. Doch dann starb meine Mutter, und mein Vater wollte die Firma verkaufen.

Die Zaventem Ateliers liegen in einer alten Papiermühle aus dem 19. Jahrhundert. „Ich habe schon viel alte Bausubstanz gesehen, aber hier fühlte ich eine magnetische Anziehung“, sagt Lionel Jadot. Nur die Fenster vergrößerte er.

Er wollte nicht, dass Sie das Unternehmen fortführen? Nein. Er sagte: Du sollst deinen eigenen Weg gehen. Ich konnte ihn letztlich überzeugen, dass ich das ja immer noch tun könne, wenn ich erst mal den Familienbetrieb übernommen hatte. Mit 18 Jahren war ich also Chef von 32 Leuten. Ich lernte viel über Design, Produktion, Lieferketten, Kundenwünsche. Irgendwann fragte mich ein Kunde, ob ich nicht sein Haus einrichten könnte, und so begann meine Karriere – das war vor 20 Jahren. Als Co-Mieter haben Sie namhafte Designer wie Arno De clercq und Ben Storms gewinnen können. Können Sie sich auch eine

Hauskollektion vorstellen, ähnlich wie Moooi vielleicht? Durchaus, aber gemeinsam kuratiert. Wir haben auf der Collectible in Brüssel ausgestellt, bald wollen wir unsere Fühler auch nach Mailand und Miami ausstrecken. Gerade weil wir alle so unterschiedlich sind, gibt es viel zu erzählen, so viel zu sehen. Und das zieht die Leute an. Wir sind kein Inkubator, eher ein Accelerator. Gemeinsam sind wir stark und gewinnen so Relevanz.

Das Konzept erinnert ein wenig an die Gilden im Mittelalter, in denen sich Maler und Kunsthandwerker organisierten. Mit dem Unterschied, dass die damals unter ihresgleichen blieben. Hier macht jeder etwas eigenes, jeder nutzt ein anderes Medium. Aber wir sind alle auf der gleichen Wellenlänge, was unsere Hingabe und Leidenschaft angeht. Tauschen Sie sich viel untereinander aus, oder arbeitet jeder weitgehend autark? Jeden Freitag treffen sich alle, die Lust haben, vor dem großen Kamin, um über die Arbeit und das Leben zu reden. Wir teilen viel, nicht nur Werkzeuge – in unserer Whatsapp-Gruppe ist ständig Bewegung –, sondern vor allem Techniken und Erfahrungen. Wir haben mittlerweile 32 teils hoch spezialisierte Ateliers. Es ist schon verrückt, von etwas leben zu können, das so sehr in der Nische liegt. Dass man nicht alleine im fahlen Licht eines Verlieses unter der Kellertreppe sein Dasein fristen muss. Wir haben 24 Stunden geöffnet, und wenn es mal etwas länger dauert, kann man im Noguchi Room schlafen, einem japanisch angehauchten Schlafzimmer. Dann gibt es die Tropical Coffee Lounge mit 500 Jahre alten Bäumen und einem japanischen Buffet aus den Dreißigerjahren – und die Grand Hall … … in der Sie gemeinsam Ausstellungen zeigen. Es ist wichtig, die Grenzen zwischen Kunst und Design und Handwerk nicht nur aufzuzeigen, sondern sie auch zu überschreiten. Den Leuten da draußen zu zeigen, dass das hier eine Produktionsstätte ist. Wir laden regelmäßig interessante Designer und Künstler aus dem Ausland ein, demnächst zum Beispiel Fabien Cappello. Unter dem Titel „Showcase“ zeigen wir aber auch eigene Werke. Nicht nur fertige Objekte, sondern viel Work in Progress. Um der Flüchtigkeit des Digitalen etwas entgegenzusetzen? Von Kindesbeinen an habe ich erlebt, wie das Handwerk um seine Zukunft kämpft. Wie das Wissen versiegt, wenn alte Mitarbeiter in Rente gehen. Wie sich Produktionsprozesse vereinfachen, und mit ihnen die Produkte. So ist der Lauf der Welt. Doch das Wissen über Glas, Metall, Leder, Textil ist Teil unserer Geschichte. Erst wo echte Menschen echte Dinge tun, wo Technik, Wissen und Hingabe zusammenfließen, entstehen wirklich substanzielle Gegenstände. Es geht hier nicht um das Konservieren von Handwerk, wir sind ja kein Museum. Wir tragen das Handwerk in die Zukunft. Alle sprechen von Big Data. Ich spreche lieber von Big Craft. ‹

„Als ich es sah, wusste ich: Hier kann Großes entstehen.“

Lionel Jadot Im Uhrzeigersinn von oben links: Alle Ateliers öffnen sich zum Korridor, was den Dialog fördert und Arbeitsprozesse sichtbar macht. Für die Mieter gibt es einen Aufenthaltsraum mit tropischen Pflanzen, freitags treffen sich alle vor dem großen Kamin. Unten links: das eklektisch eingerichtete Büro von Lionel Jadot.

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