Aghshhs

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ARCHITECTURAL DIGEST. Stil, Design, Kunst & Architektur

Deutschland Februar 2020 / 8 Euro

Bhutans verborgene Täler Reise durch das letzte Königreich im Himalaya

Gute Nacht

Der Weg zum Schlafzimmer Ihrer Träume

Out of Hollywood Anne Hathaway und ihr Hideaway in Kalifornien

Freistil

Willkommen 2020! Farbfrohe Aussichten fürs neue Stiljahr








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Inhalt Februar 74

27 Editorial 28 Impressum 33 Private View 34 Agenda 38 AD stellt vor

Für Midgard schlägt Stefan Diez einen leuchtenden Bogen ins Heute.

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Projekt

Architektur

Stil 41

Neuheiten Die Zwanziger fangen gut an – mit einem Daybed von Jean-Marie Massaud für Poltrona Frau und Faye Toogoods abstrakten Teppichen für CC-Tapis. 50 Thema Antike

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Interview In Paris lassen Cassina und die Fondation Louis Vuitton Charlotte Perriands Werk in nie gekannter Pracht auferstehen. 56 Neuheiten Home Entertainment 58 Interview B&B Italia

Auf dem Dach der Welt 100

62

Studio Gut schlafen ist eine Frage des Rückens, der Ruhe und kleiner Rituale. Tipps für ein achtsam gestaltetes Schlafzimmer. 68 Porträt Vispring 70 Betten 72 Praxis Küche

80

Projekt Blick ins Zentrum des Denkens: die faszinierende Sammlung architektonischer Zeichnungen von Niall Hobhouse. 85 Radar

86

Garten Letizia Le Fur fotografiert die geheimen Geschichten von Pflanzen und Orten.

91

50

Fesche Natter!

Panorama 92 Reise Villa Kellermann

94

Kunst Die Motive interessierten ihn nur für den Moment, nicht für die Ewigkeit – Adolph Menzel und seine Handzeichnungen. 98 Ausstellungen 99 Bücher

100

Reise

Cover: Stephen Kent Johnson; Fotos: Florian Siebeck; Letizia Le Fur; Blue Carreon

Bhutan öffnet sich dem Tourismus mit fünf spektakulären Himalaya-Lodges. 104 Reise Neuheiten

86

Angeblitzt!

Auf dem Cover: Im kalifornischen Ojai hat Anne Hathaway ihr Happy End in einem rusticoolen, von Pamela Shamshiri gestalteten Chalet gefunden.


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Inhalt Februar 107

Leben 108

Süden ist da, wo es schön ist! Nämlich im farbglühenden Apartment, das Dimore Studio für eine junge Familie in Berlin entwarf. Mailand-Flair inklusive.

108

Berlin alla milanese

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Harmonie und Material Von außen wirkt die historische Villa am Öresund ungeordnet. Innen gelang Jonas Bjerre-Poulsen ein großer Wurf: Hier ist alles wie aus einem Guss.

126

Anne of Green Gables Es war einmal … So beginnen Märchen. Aber wie geht es nach dem Happy End weiter? Vielleicht so: Mit ihrem rustikalen Chalet in Südkalifornien erzählen Anne Hathaway, Adam Shulman und Pamela Shamshiri eine stilvolle Romanze.

132

140

Neo Geo

Magnolien und Schildkröten

Backstein zu Beton: Rachel Nolan schenkt einem viktorianischen Terraced House in Melbourne einen minimalistischen Anbau.

Hannah Cecil Gurney wuchs zwischen handbemalten Tapeten auf. Deren Zauber teilt sie nun mit ihren Kindern in London.

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Fotos: Beppe Brancato; Midgard; Porträt: Stephen Kent Johnson

Ton, Steine …

Midgards Makeover 74

Erst entdeckte Evelyn Greite einen Tisch im Laden von Philipp Vogt. Dann ließ sie den Münchner Interiordesigner ihr ganzes Haus umgestalten.

156

High Society

126

Anne Hathaway

Mit Respekt und Chuzpe schreibt Decorator Francis Sultana die Geschichte des sagenhaften Londoner Albany fort. 162 Summaries 164 AD bei AD Design Summit 168 Apropos 170 Genie & Spleen



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K „Die Antike war ein Fest der Farbe. Schauen Sie in Frankfurt nach!“ lands – die Ausstellung „Bunte Götter – Golden Edition. Die Farben der Antike“. Ein Homerun. Denn die Wanderausstellung mit bisher mehr als drei Millionen Besuchern, die vor allem auf den Forschungen des Archäologen Vinzenz Brinkmann basiert (der die Antikensammlung seit 2007 leitet und eine fantastische Schau nach der anderen auf die Beine stellt), tourt seit 15 Jahren um die Welt und kommt nun an ihren Ursprungsort zurück. Vor allem sensationeller Rekonstruktionen wie etwa des Perserkampfes auf dem Alexandersarkophag wegen (u.), die jeden Marvel-Comic alt aussehen lassen, müssen Sie da hin. Lebendiger kann die Antike kaum zurückgeholt werden. Na ja, außer vielleicht, Sie fangen an, die Geschichten auf einer alten Tapetenrolle nachzuzeichnen.

O liver Jahn

Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung; Porträt: René Fietzek

aum etwas hat meine Fantasie als kleiner Junge so beschäftigt wie die Götterwelt der Antike. Ich kann mich gut erinnern, wie ich mit zehn oder elf Jahren – wie Millionen andere Jugendliche vor mir – „Die schönsten Sagen des klassischen Altertums“ verschlang, die der Pfarrer und Altphilologe Gustav Schwab zwischen 1838 und 1840 am Fuß der Schwäbischen Alb so kongenial wie kindgerecht nacherzählt hatte. Kaum etwas faszinierte mich so nachhaltig wie die verworrenen Verwandtschafts-, Liebes- und Lebensverhältnisse der antiken Götter und Helden. Endlose Tage zeichnete ich auf der Rückseite einer alten Tapetenrolle die Stammbäume und Bezüge, um mir zu merken, wer nun mit oder gegen wen und warum. Zu den einprägsamsten Entdeckungen wurde dann ein paar Jahre später – die Antike hielt mich fest im Griff (und tut es bis heute) – ein alter Schinken, den ich für ein paar Mark aus der Grabbelkiste eines Antiquariats gezogen hatte (leider habe ich ihn nicht mehr und entsinne mich nicht des Titels), der von etwas handelte, bei dem mir völlig die Augen übergingen: der Polychromie der Antike. Wunderschön kolorierte Zeichnungen fanden sich da von Tempelanlagen Griechenlands, deren Fassaden, Giebel, Architrave, Friese in den eindrücklichsten Farben leuchteten. Plötzlich hatte ich die Geschichten von Zeus und Achill und Paris und Helena und all der anderen, die man mit der Lupe auf diesen Friesen sehen konnte, als Farbfernsehen im Kopf. Jeder, der heute durch die Antikensammlungen westlicher Museen streift, kennt das Bild: Phalangen hoch aufragender Gestalten, meisterhaft gemeißelte Gewänder, große Gesten, die Gesichter stolz und fern. Weißer Marmor. Im Grunde weiß man aber seit den Ausgrabungen des frühen 19. Jahrhunderts, dass die architektonische und bildhauerische Realität des griechischen und römischen Altertums eine andere war. Eine in Polycolor. Und da habe ich meinen Neujahrstipp für Sie! Ab dem 30. Januar zeigt das Frankfurter Liebieghaus – eh eines der tollsten Museen Deutsch-

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ARCHITECTURAL DIGEST. STIL, DESIGN, KUNST & ARCHITEKTUR erscheint in der Condé Nast Germany GmbH Oskar-von-Miller-Ring 20, 80333 München Telefon 089 38104-0 mail@condenast.de, www.condenast.de ad@admagazin.de, www.admagazin.de

Chefredakteur Oliver Jahn

Stv. Chefredakteur & Style Director Art Director Textchef & Kunst Managing Editor Interior/Küche/Bad Textredaktion Stil Bildredaktion Art Department Assistenz der Chefredaktion Mitarbeiter dieser Ausgabe Autoren dieser Ausgabe Fotografen dieser Ausgabe

Illustrator dieser Ausgabe

Redaktion Dr. Simone Herrmann Inka Baron Barbara Gärtner Eike Schrimm Karin Jaeger Andreas Kühnlein, Florian Siebeck Sally Fuls (Ltg.), Mona Bergers, Nina Luisa Vesic, Friederike Weißbach Thomas Skroch (Ltg.), Isa Lim, Samantha Taruvinga Viviana Tapia (Stv. Art Director), Selina Lang, Anastasia Novikova (Trainee) Johanna Hänsch Reinhard Krause, Sophia Lierl, Iain Reynolds, Christof Rostert Dr. Anna Ahrens, Larissa Beham, Ulrich Clewing, Jane Keltner de Valle, Mayer Rus Beppe Brancato, Sima Dehgani, Douglas Friedman, Elias Hassos, Gregor Hohenberg, Stephen Kent Johnson, Letizia Le Fur, Christoffer Regild, Hannes Rohrer, Derek Swalwell, Simon Upton Emiliano Ponzi

Büro Mailand Anna Riva, Paola Dörpinghaus Tel. +39 02 29000718, p.dorpinghaus@condenast.it Büro New York Christina Schuhbeck Tel. +1 212 2866856, christina_schuhbeck@condenast.com Schlussredaktion/Dokumentation Lektornet Syndication syndication@condenast.de Redaktion admagazin.de Andreas Kühnlein (Ltg.), Valerie Präkelt (Feature & Social Media Ltg.), Clara Westhoff (Trainee)

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Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt Oliver Jahn

Vertrieb Abonnement-Betreuung Deutschland und Österreich: AD ARCHITECTURAL DIGEST Leserservice Postfach 290, 77649 Offenburg Tel. 0781 6394509 E-Mail: abo@ad-magazin.de, www.ad-magazin.de/abo Jahresabonnement: 68 €; Studenten (gegen Nachweis): 34 € Schweiz: AD ARCHITECTURAL DIGEST Leserservice Postfach, 6002 Luzern, Tel. +41 41 3292244 E-Mail: ad@leserservice.ch, Jahresabonnement: 115 sfr Andere Länder: Adresse siehe Deutschland, Preise auf Anfrage AD ARCHITECTURAL DIGEST (German) (USPS no 24066) is published monthly by Condé Nast Germany. Known Office of Publication: Data Media (A division of Cover-All Computer Services Corp.), 660 Howard Street, Buffalo, NY 14206. Periodicals postage is paid at Buffalo, NY 14205. Postmaster: Send address changes to AD ARCHITECTURAL DIGEST, Data Media, P.O. Box 155, Buffalo, NY 14205-0155. E-Mail: service@roltek.com, toll free: 1-877-776-5835 Bestellung von Einzelheften Preise, Verfügbarkeit und Bestellung unter abo.ad-magazin.de/einzelhefte Für weitere Fragen: Tel. 01806 012906

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Publisher André Pollmann

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Anzeigen / Vermarktung Sales Christina Linder, Head of Sales christina.linder@condenast.de, Tel. -430 Brand Advertising Andrea Latten, Brand Director Vogue & AD andrea.latten@condenast.de, Tel. -276 (verantwortlich für Anzeigen) Marketing Angela Reipschläger, Head of Marketing angela.reipschlaeger@condenast.de, Tel. -793 Ingrid Hedley, Marketing Director ingrid.hedley@condenast.de, Tel. -142 Kathrin Ölscher, Marketing Director kathrin.oelscher@condenast.de, Tel. -746 Creative Studio Carsten Schilkowski, Head of Creative Studio carsten.schilkowski@condenast.de, Tel. -365 Advertising Operations Katharina Schumm, Head of Revenue Management, Ad & Marketing Service katharina.schumm@condenast.de, Tel. -135

Vertrieb Alima Longatti, Head of Direct Marketing & CRM alima.longatti@condenast.de, Tel. -301 Einzelverkauf MZV GmbH & Co. KG, Karsten Reißner (Bereichsleitung)

Herstellung Leitung Lars Reinecke, Director Production Digitale Vorstufe / Druck Mohn Media, Mohndruck GmbH Carl-Bertelsmann-Straße 161 m, 33311 Gütersloh

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Unternehmenskommunikation / PR Henrike Zock, Leitung Corporate Communications presse@condenast.de, Tel. -413

Finanzen Roland Riedesser, Finanzdirektor

Geschäftsführerin und Herausgeberin Jessica Peppel-Schulz

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ad-magazin.de/miniabo Bestellhotline:0781/6394509 3 Ausgaben AD für nur 16 € (A: 16 €, CH: 27 SFR), danach nur 6,80 € (A: 6,80 €, CH: 11.50 SFR) je Exemplar statt 8 € bei Einzelkauf. Erscheint 10-mal jährlich. Die Belieferung können Sie nach den ersten drei Ausgaben jederzeit kündigen. Zahlung jeweils im Voraus. Alle Preise inklusive MwSt. und Versand.

Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 24 vom 1. 1. 2020. Al le Rechte vorbehalten. Die Zeitschri und al le darin ent haltenen Beiträge und Abbildungen sind urheber recht lich geschützt. Mit Ausnah me der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Ver wer tung oh ne Einwilligung des Verlags stra ar. Für unverlangt eingesandtes Text- und Bildmaterial wird keine Ha ung über nom men. ISSN-Nr. 1433-1764


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Fotos: Trevor Tondro

Sister Act: Die Models Cara und Poppy Delevingne (rechts) sind viel unterwegs. Sie teilen sich ihr Haus in Beverly Hills. Denn: „L. A. kann sonst ganz schön einsam machen.“

Cara und Poppy Delevingne Teppich an der Wand, Spiegel an der Decke, nackte Frauen auf Samt? Das Haus der Models Cara und Poppy Delevingne in Beverly Hills wirkt wie ein Herrenclub, zumindest in Caras Schlafzimmer: „Das ist mein ganz eigenes Bachelor Pad.“ Im schalldichten Partybunker nebendran steht sogar eine Poledance-Stange. Cara hält’s mit Rapper Nelly: „Der hat mal gesagt: Jeder braucht ’nen Freund mit ’ner Poledance-Stange zu Hause.“ FS

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AD Agenda

Wer, wie, was? Redak tion Johanna Hänsch und Karin Jaeger

Neu eröffnet Bottega Veneta, Miami Premiere für Florida, zugleich der erste Store im Design von Kreativdirektor Daniel Lee. bot tegaveneta.com

Bucherer, Hamburg Die Schweizer Juweliere sind zurück am Jungfernstieg. Neu dabei: luxuriöse pre-owned Uhren. bucherer.com

Fosbury & Sons, Brüssel Das dritte (No-)Office-Building in Europas Hauptstadt heißt Albert. Mit Lobby-Bar und Restaurant. fosbur yandsons.com

3000 handversilberte Papierblättchen formen die Lichtinstallation im Residenztheater München. Die Einweihung seiner „Silver Cloud“ hat Ingo Maurer nicht mehr erlebt. Die Neue Sammlung zeigt sein Lebenswerk bis 18.10. re sidenz theater.de, dns tdm.de

Drei Fragen an Werner Murrer Sie sind Rahmenmacher und kuratieren die Ausstellung „Unzertrennlich. Rahmen und Bilder der Brücke-Künstler“ im Berliner Brücke-Museum (bis 15.3.). Was gibt es dort zu sehen? Ein Highlight neben dem anderen – und jedes in dem vom Künstler selbst entworfenen Rahmen. Der Höhepunkt der Ausstellung? Ganz klar die Ikone des Expressionismus – „Marzella“ von Ernst Ludwig Kirchner (u.) aus dem Moderna Museet in Stockholm. Und dann noch im originalen Rahmen.

Werner Murrer ist Rahmenexperte in München. Neben dem Angebot an Originalen restauriert und fertigt seine Werkstatt alle Arten von Rahmen. murrer-rahmen.de

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Was ist das Besondere an den Rahmen der Expressionisten? Alle gezeigten Rahmen wurden von den Künstlern im Sinne des Gesamtkunstwerks entworfen, bemalt oder geschnitzt.

Louis Vuitton, Berlin Neuer LV-Store für Damen im KaDeWe; das Angebot für Herren wird im Atrium präsentiert. louisvuit ton.de

Bonito! Goldene Palmensäulen und Paravents aus Coromandel-Lack: Fashiondesigner Djaba Diassamidze bringt in seinem vom Art déco inspirierten Concept-Store Mode, Möbel, Bücher, Galerie und Restaurant unter ein Dach. Vamos a Barcelona! darial.com

Fotos: Simon Koy; Jose Hevia; Werner Murrer Rahmen (2)

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… im Februar

Mon truc en plumes … sang Zizi Jeanmaire, ganz in Federn gehüllt. Das Gewerbemuseum Winterthur eifert ihr nach mit „Federn – wärmen, verführen, fliegen“ und volatilen Artefakten von Couture bis Kunst (o.: Paola Pivi). Bis 1.6.

Estrid & Josef

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… waren das Dreamteam des Chic. Josef Frank kam 1934 zu Svenskt Tenn, da bestand Estrid Ericsons Firma bereits zehn Jahre. Zum 95. Geburtstag ist Ericsons Kürbisvase aus Zinn (re.) wieder im Programm.

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IMM, Köln Ehrengast der Möbelmesse: MUT Design aus Spanien, 13.–19.1.

„Design Gruppe Pentagon“, Köln Deutsches Anti-Design-Kollektiv (1985–91) im MAKK. 13.1.–26.4. makk.de

Maison & Objet, Paris Wie zu Hause … kann sich jeder in Stephanie Thatenhorsts neuem Münchner Showroom fühlen. Nur viel luxuriöser. Raffiniert kuratiert die Interiordesignerin die schönsten Möbel internationaler Marken wie Flos, BassamFellows oder Gubi zu einem Mix, der so wild wie cozy ist und ein ganzes Apartment bespielt. s tephanie -thatenhor s t .com

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Pflicht und Kür: die Messe als Gettogether der Designwelt, 17.–21.1. maison - objet .com

„Bugholz, vielschichtig“, Wien Das MAK feiert 200 Jahre Möbeldesign von Thonet. Bis 13.4. mak.at

„Gio Ponti“, Rom Ponti im Maxxi, dabei: „Triennale“, Marazzis Puzzle-Fliese. Bis 13.4. ma x xi.ar t

Fotos: © Galleria Massimo De Carlo & the artist; Kerstin Weidemeyer; Svenskt Tenn; Porträt: Lennart Nilsson

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Selina Lang pendelt zwischen Minimalismus und Opulenz. Ihren Blick für die stilistische Balance trainierte unsere Editorial Designerin bei der Ausbildung zur Fotografin oder den Designs fürs Züricher Opernhaus. „Ich umgebe mich gerne mit schönen Dingen. Auch im einfachen. Gerade suche ich nach einem einigermaßen aparten Spülschwämmchen.“ Dem Schönen schenkt sie einen eleganten Rahmen. Wie Jonas Bjerre-Poulsens Villa in Kopenhagen, ihrer Lieblingsgeschichte in diesem Heft. S. 118

ist quasi Detektivin. Als Abteilungsleiterin bei der Villa Grisebach betreibt sie „Spurensuche im Sinne der Kunst“. Für uns enträtselte sie Adolph Menzels Pastell­ blätter – was man ihr „am besten im Berliner Kupfer­ stichkabinett“ gleichtut. S. 94

Gregor Hohenberg

Florian Siebeck ließ uns regelmäßig rätseln: Wo steckt er eigentlich schon wieder? Bhutan (s. Foto)? L. A.? Frankfurter Bahnhofsviertel? Als Interimsreiseredakteur verbrachte Florian mehr Zeit in Bahn oder Flugzeug als am Schreibtisch in München. Doch als Mit­ bringsel hatte er stets Süßkram für uns im Gepäck – und eine Menge großartiger Geschichten. Nach 20 Monaten ist seine Zeit bei uns nun (vorerst) vorbei. Süßes, lieber Florian, tauschen wir hoffentlich dennoch weiter aus. S. 100

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Fotos: Studio Monbijou; Studio Gregor Hohenberg; Florian Siebeck; Thomas Skroch

hatte es in Potsdam bislang „‚nur‘ zu Joop geschafft“. Die Villa Kellermann betrat der Fotograf für uns zum ersten Mal – und war sofort begeistert: „Diese britische Mischung aus Art déco und Arts and Crafts, dazu die untergehende Sonne vom Heiligen See: malerisch!“ Am liebsten hätte Hohenberg „den ganzen Tag die Lichtspiele verfolgt“. Seine stimmungsvollen Bilder gelangen aber in weniger als drei Stunden. S. 92


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Den Bogen raus … haben die „Rialto“-Gläser von Sir/ Madam für Coming Soon. Schampusschalen „Coupe“ und Cocktailtumbler „Old Fashioned“ schlagen eine feuchtfröhliche Brücke zwischen venezianischem Erbe und futuristischem Pomp, ab 24 Dollar. MB

Redak tion Simone Herrmann und Sally Fuls

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Foto: Balarama Heller

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Fidschi forever

Im Salon ein Südsee­ paradies? Naomi S. Clark malte dem dreiteiligen Vintage­Sofa „Le Blu La­ goon“ ein tiefseeblaues Canvaskleid. Stranden auf einsamer Insel ist damit ausgeschlossen! Unikat, 18 000 Dollar. for tmaker s.com

Put your hands up in the air Dieser Stuhl hat den Rhythmus im Korb! Kein Wunder, stammt sein Geflecht doch aus der kolumbianischen Amazonasregion. Salsa, Joropo, Merengue? Der „Nalgona Dining Chair 01“ mischt jedes gesetzte Dinner auf! NLV chriswols ton.com

Fotos: Gieves Anderson, Courtesy Fort Makers; Courtesy The Future Perfect; Omar Sartor (2)

Grenzenlos filigran! Too good to be true! Die britische Künstlerin Faye Toogood ist für ihre neue Kollektion „Doodles“ einfach ihrer Intuition gefolgt. Dabei entstanden Teppiche so schön wie abstrakte Gemälde. Grafische Steppdetails aus Baumwollgewebe bilden kuriose Muster – und verbinden die spielerischen Formen wie schwungvolle Pinselstriche. Eine Kombination dicker und feiner Wollgarne führt zu verschiedenen Florhöhen und Texturen, 8211 Euro. cc -tapis.com


Stil Neuheiten

Beine hoch!

Glanzlicht Poliertes Messing verleiht Kerzenständer „Duca“ seine Strahlkraft, das von Hand aufgeflochtene Rattan steuert nordische Natürlichkeit bei. Ausziehbar, auch aus bronziertem Messing, 69 Euro.

In diesem warmen Nest werden einzig die Gedanken flügge – verstellbarer Loungesessel „Daydreamer“ aus Stoff, Leder und Stahl, ab 3200 Euro.

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Wer bin ich? Viele! Denn hinter seiner Aluminiumstruktur und den stoffbezogenen Paneelen werden alle Komponenten des Schranksystems „Cover“ individuell nach Maß gefertigt. NLV

Plüschpolar Sofa „Mell Lounge“ hat auf feinem Gestell ein dickes Fell (aus Naturfaserbouclé). Damit ist es nicht nur kuschlig, sondern auch elegant. Und lädt obendrein, sein arktischer Verwandter macht's vor, zum ein oder anderen Winterschläfchen ein, ab 3900 Euro. cor.de

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Fotos: Frederik Alexander Werner (2); Studio Verne; Cor Sitzmöbel; Courtesy of Rimadesio

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Stil Neuheiten

Mehr Grünflächen! Eine ruhige Kugel schieben? Kann das individuell konfigurierbare Modulbau­ system „Haller“ von USM – Ulrich Schärer Münsingen – seit seiner Erfindung 1963. Den Klassiker mit Metallstruktur zeich­ nen Langlebigkeit, niedrige Emissionen und eine „Greenguard“­Zertifizierung aus. Still steht das Möbel trotzdem nicht: Es kommt heute in 14 Farben. Wir emp­ fehlen: Go green! Ab 1421 Euro. MB usm.com

… nennt es Cristina Benedettini (re.), Architektin und Interiordesignerin, wenn sie ihre Kunden besucht. Für ihr Label Opera entwirft sie mit ihrem Team maßgeschneiderte Raumvisionen, bei denen Erbstücke wie u. zwischen Textilien von Asiaoccidentale neu erstrahlen. op erainterior s.it

Dresscode: Feinripp! Mit der Kollaboration des Mailänder Kreativ­ studios R+D.Lab und Modedesignerin Lee Mathews zieht ein Basic aus dem Schrank auf den Tisch. Die riffelige Glaskaraffe „Luisa“ wird in italienischer Tradi­ tion mundgeblasen, Preis auf Anfrage. Über matche s fashion.com Fotos: USM; Matches Fashion; Alberto Jona Falco; Porträt: Sergio Caminata

Intervention


Bell(e) of the Ball Darf ich bitten? Sich im Tanz drehende Damen – Marcel Wanders hat dieses Bild mit seinen Leuchten für Ramun lebendig werden lassen. Sanftes Tippen auf „Bellas“ goldenen oder silbernen Kopf bringt das glockenförmige Objekt aus Plastik zum Leuchten, ein zweites lässt dazu Bach, Chopin, Puccini und Pachelbel erklingen: ahh! Ab 218 Euro. ramun.com

Rasante Récamière Schnittig: Daybed „Clayton“ von Jean-Marie Massaud für Poltrona Frau kommt auf rutheniumbeschichteten Stahlkufen daher. Aber mit schimmerndem Samt und softem Leder hätte sich selbst Madame bestens arrangieren können, 7250 Euro. p oltronafrau.it

Fotos: Ramun (2); Poltrona Frau; Vondom

Auf einen Apéro Kühle Erfrischung an einem heißen Tag? Ein bittersüßer Sundowner? Ein Gläschen Spritz passt eigentlich immer! Und weil man beim Apéro gemütlich sitzen sollte, schuf Archirivolto Design für Vondom eine Outdoor-Kollektion aus fiberglasverstärktem Polypropylen. Als Esstischstuhl mit und ohne Lehne, Bartisch und -stuhl oder Armchair ist „Spritz“ eine ebenso gute Kombi wie der alkoholische Namensgeber, ab 90 Euro. FW vondom.com

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Indoor & Outdoor, seamless style Eine Kollektion fĂźr Liebhaber des zeitlosen Stils von Flexform. Eleganz, Design, Komfort


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Egal ob Terrasse oder Balkon, ob groß oder klein, der Außenbereich wird immer mehr zu einem Wohnraum im wahrsten Sinne des Wortes, der das ganze Jahr über genutzt wird und sozusagen eine Erweiterung des Innenraums darstellt. Er verdient deshalb auch die gleiche Sorgfalt bei der Planung. Die Outdoor Möbel sind heute nicht nur extrem lang haltbar, sondern zeichnen sich auch durch die perfekte Verbindung von Eleganz und Komfort aus.

Die Kollektion ist das Ergebnis eines Projektkonzepts, das von Anfang an alle Tätigkeiten des Unternehmens ausgezeichnet hat und zu denen angesagte Designer, die mit dem Unternehmen enge Beziehungen unterhalten, einen wichtigen Beitrag geleistet haben. Dazu zählen neben der Zusammenarbeit mit großen Namen wie Antonio Citterio auch die Neuauflagen ikonischer Produkte von Mario Asnago und Claudio Vender in der Outdoor-Version.

Flexform kann auf eine langjährige Erfahrung im Bereich der Produktion von Designermöbeln zurückblicken und lanciert heute, nach zahlreichen Sondeprojekten für Yachten und Resorts, eine Outdoor-Kollektion mit Wohnlandschaften, Sofas, Sesseln, Tischen, Stühlen und zahlreichen Accessoires.

Dieser stilistische Ansatz bestätigt die Werte, die im Mittelpunkt der Unternehmenskultur stehen: Die Fähigkeit, Produkte Made-inItaly herzustellen, die sich durch zeitlose Eleganz und hochwertigen Materialen auszeichnen und eine lange Lebensdauer garantieren. www.flexform.it


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Wie neugeboren Alle Wege führen nach Rom? Nicht nur. Jetzt entdecken Designer die Antike in Afrika und Asien.

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Redak tion Nina Luisa Vesic

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Fotos: A Space Studio; Gan Rugs; Pierre Frey; Blue Carreon; Derek Castiglioni Collezioni; T. C. Moore; Officine Universelle Buly; Adorno

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Stil Interview Inter view Reinhard Krause

Charlotte forever In Paris lassen Cassina und die Fondation Louis Vuitton das Werk von Charlotte Perriand in nie gesehener Pracht auferstehen.

ine Ausstellung wie diese wird es wohl nie wieder geben: In ihrem 2014 eröffne­ ten Frank Gehry­Bau zeigt die Fondation Louis Vuitton nicht einfach das Werk von Charlotte Perriand, sie erweckt es regel­ recht zum Leben. Mit exakt nachgebauten Räumen und Möbeln, die teils seit Jahr­ zehnten nicht produziert wurden. Zur Er­ öffnung sprechen wir mit Pernette Per­ riand­Barsac und Jacques Barsac, Tochter und Schwiegersohn der Design­Ikone.

Perriands Leben wird in elf Stationen gezeigt. Sogar ihr Stand auf dem Pariser Herbstsalon 1929 wurde eigens rekonstruiert, mitsamt den Möbeln in Originalfarben. Wie kam es zu dieser Idee? Jacques Barsac: Im Archiv von Charlotte Perriand befinden sich unzählige Pläne und Schwarz­Weiß­Aufnahmen von Projekten, die längst nicht mehr existieren oder nie realisiert wurden. Dieses kulturelle Erbe wird in der Ausstellung wieder lebendig, mit originalgetreu reproduzierten Möbeln, die man zum Teil anfassen und benutzen darf, und Räumen, die der Besucher in ih­ rer ursprünglichen Wirkung erlebt. Cassi­ na hat einen unglaublichen Rechercheauf­ wand für die Reproduktionen geleistet. Der Herbstsalon ist ja nur einer dieser Räume, daneben gibt es Perriands Appartement aus dem Jahr 1927, das „Haus eines jungen Mannes“ mit zwei Légers an den Wänden,

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Fotos: Marc Domage/© Fondation Louis Vuitton; Cassina (2); Porträt: © Archives Charlotte Perriand

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Madame, Monsieur, Sie gehören zu den Kuratoren von „Le monde nouveau de Charlotte Perriand“. Was erwartet die Besucher in dieser Mammutschau? Pernette Perriand-Barsac: Auf 4000 Qua­ dratmetern können sie das Œuvre von Charlotte Perriand erleben – im Wechsel­ spiel mit 200 Gemälden, Wandteppichen, Skulpturen und Zeichnungen von Weg­ gefährten wie Fernand Léger, Picasso, Le Corbusier, Miró, Calder, Braque etc. Es ist eine Reise durch den kreativen Kosmos des 20. Jahrhunderts, verstanden als fortgesetz­ ter Dialog von Architektur und Kunst.


In Tokio zeigte Charlotte Perriand 1955 die Ausstellung „Proposition d’une synthèse des arts“. Die Rekonstruktion in der Fondation Louis Vuitton (li.) umfasst Möbel wie die „Berger“-Hocker, „Ombra“-Stühle und das Sofa „Refolo“, aber auch Tapisserien ihrer Wegbegleiter Le Corbusier und Fernand Léger.

Charlotte Perriand (li. Seite, 1987 in Rio) brach in 70 Berufsjahren immer wieder zu neuen Ufern auf. Der Sessel „LC 3“ (1929, u. links) zählt zu ihren Entwürfen mit Le Corbusier und Pierre Jeanneret; ihr Regalsystem „Nuage“ (1952/56, u.) kommt ebenso aus Cassinas Reihe „I Maestri“.

die berühmte Skihütte von 1938 oder den Teepavillon für die Unesco aus dem Jahr 1993. Die Fondation Louis Vuitton wiede­ rum stellt einen Nachbau der „Maison au bord de l'eau“ zur Verfügung. Wie ist es für Sie, sich in Räumen zu bewegen, die Ihre Mutter zum Teil vor 90 Jahren entworfen hat? PPB: Es ist eine unglaubliche Freude, die Besucher zu beobachten, wie sie staunend und lächelnd durch die Räume gehen, die

man allenfalls von Fotos kannte. Wenn man das Werk eines verstorbenen Künst­ lers zeigt, hat man immer Angst, ihm nicht voll gerecht zu werden. Aber da ich lange als Assistentin meiner Mutter gearbeitet habe und mein Mann mehr als 15 Jahre ihr Archiv betreut hat, fühlten wir uns sicher. Wird Cassina diese mit so viel Hingabe reanimierten Entwürfe auch auflegen? PPB: Wir sind selbst gespannt! Wir wür­ den uns sehr freuen, wenn vor allem die

Möbel vom Herbstsalon 1929 aufgelegt würden, etwa der „Fauteuil grand confort“ mit Federung in den Hinterbeinen oder die diversen Varianten des Stuhls „LC 1“. Arte zeigte neulich ein Perriand-Porträt. Die deutsche Fassung hieß „Das andere Bauhaus: Charlotte Perriand“. Hier eine einzelne Frau, dort eine Schule – ist der Vergleich nicht sehr schief? JB: Ja und nein. Natürlich war die Bewe­ gung um die Union des Artistes Modernes,

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Stil Interview

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Jacque s B ar sac

„Die Zwanziger waren Perriands Pionierzeit: Es ging darum, die Moderne zu erfinden.“

ßen sich niemals verwirklichen ohne die Vor Frank Gehrys Museumsbau (ganz Tantiemen aus den Möbelauflagen. o.) wirkt Perriands Monsieur Barsac, für Sie geht mit der Strandhaus von 1934 Ausstellung eine Ära zu Ende: Jüngst ausgesprochen intim. brachten Sie den vierten und letzten Darunter eine histo­ Band des Werkverzeichnisses von Charrische Fotocollage lotte Perriand heraus. Was kommt nun? für den Stand von Le Corbusier, Charlotte JB: Erst einmal machen wir Urlaub. Dann Perriand und Pierre kommen andere Ausstellungen und … ein Jeanneret auf dem neues Buch über Perriands Möbel! Pariser Herbstsalon 1929. Links Cassinas „Le monde nouveau de Charlotte Perriand“ ist noch kleiner „Indochine“­ bis zum 24.2. in der Fondation Louis Vuitton zu sehen. Sessel, Entwurf: 1943. fondationlouisvuitton.fr, cassina.com

Fotos: Marc Domage/© Fondation Louis Vuitton; © Archives Charlotte Perriand; Cassina

deren Gründungsmitglied Charlotte Perriand neben Robert Mallet-Stevens und Jean Prouvé war, keine Schule im engeren Sinn, aber in ihrem Bestreben, die verschiedenen Metiers im Sinne der Moderne zusammenzubringen, wirkt sie doch wie ein improvisiertes französisches Pendant. Im Umfeld der UAM nahm man das Bauhaus Ende der 20er als sehr formalistisch wahr. Die Franzosen dachten viel individualistischer. Leider unterbrach die Weltwirtschaftskrise die Entwicklung. Es wäre spannend, einmal den Stand von Le Corbusier, Charlotte Perriand und Pierre Jeanneret auf dem Herbstsalon 1929 mit der Bauhaus-Präsentation auf dem Salon des artistes décorateurs 1930 zu vergleichen. Selbst Frank Gehry, der Architekt der Fondation Louis Vuitton, bekennt, lange nur Perriands Entwürfe aus den 20er-Jahren gekannt zu haben. Woran liegt diese verengte Wahrnehmung? JB: Dieses Jahrzehnt war nun einmal Charlotte Perriands Pionierzeit, in der es darum ging, die Moderne zu erfinden. Später befasste sie sich mit Stadtplanung, dem Wiederaufbau oder der Konsumgesellschaft. Diese permanente Neuausrichtung über einen Zeitraum von 70 Jahren in der Ausstellung zu erleben ist sehr berührend. Zu den Verdiensten Perriands zählt auch die Befreiung der Hausfrau aus der Küche. Heute ist die „offene Küche“ Standard, zugleich aber oft nur bloßes Schaustück. Hat Ihre Mutter diese Entwicklung noch kommentiert? PPB: Dieser Trend setzte so richtig ja erst nach ihrem Tod 1999 ein. In späteren Jahren hat sie aber eher Küchen wie Schiffskombüsen entworfen, etwa für ihr alpines Großprojekt „Les Arcs“. Sie beide sind zugleich Wächter über die Copyrights von Charlotte Perriand. Ist der Kampf gegen die Designpiraterie inzwischen leichter geworden? PPB: Leider ganz im Gegenteil, er wird eine immer größere Herausforderung. Wer den Schöpfer einer Sache nicht honoriert, zerstört dessen Schöpfung. Plagiieren heißt stehlen. Publikationen oder Ausstellungen wie diese lie-


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ARCHITECTURAL DIGEST. Stil, Design, Kunst & Architektur


Stil Neuheiten

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Scharfes Bild, voller Sound und – klar! – die richtige Sitzgelegenheit. Dazu: neue Musik und Serien mit Suchtpotenzial.

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Tex t Friederike Weißbach

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Ratched

Tame Impala

Das Prequel von „Einer flog über das Kuckucksnest“ über den Aufstieg der diabolischen Krankenschwester Mildred Ratched wird Sie stundenlang an den Sessel fesseln. Gut, dass „Howard“ dick gepolstert ist, eggcollec tive.com . Die Holzlamellen von Bang & Olufsens „ Beovision Harmony“ verstecken das Soundsystem, 18 500 Euro, bang - oluf sen.com .

Psychedelisches aus Down Under: Auf „The Slow Rush“ (ab 14. Februar) kontempliert Kevin Parker, Sänger und Produzent von Tame Impala, das Vergehen der Zeit. Richtig runter dazu kommen Sie auf Ames' Loungestuhl „Cielo“, 795 Euro, ames-shop.de . Für den ultimativen Klang von Vinyl sorgt der Plattenspieler „175“ (31 800 Euro, ohne Lautsprecher) von Burmester, burme s ter.de .

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Fotos: Bang & Olufsen; Burmester; Andrés Valbuena; Moment RF / Getty Images; Matt Jelonek/WireImage; © Backgrid USA/Bestimage; Egg Collective

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Was will man mehr?


Fotos: Huawei (2); Andrew James Lee; LG Electronics; Matteo Bartoli; Liz Von Hoene/Showtime/Sony Pictures Television; Moment RF/Getty Images; © Childish Gambino; © 2018 Showtime; Artur de Menezes; Stéphane Briolant

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Black Monday

Childish Gambino

On Becoming a God

Wie kam es zum schwärzesten Tag in der Geschichte der amerikanischen Börse? Die Serie – erzählt aus Sicht einer Gruppe Wallstreet-Newcomer – lässt sich auf Artur de Menezes’ „Oil Chair“ (ar turdemenezes.com.br ) oder von unterwegs auf dem Smartphone „Nova 5T“ (429 Euro) mit kabellosen „Freebuds 3“ (179 Euro) von Huawei besonders lässig verfolgen, huawei.com .

Vor mehr als drei Jahren angekündigt, erscheint 2020 endlich Donald Glovers neues Childish Gambino-Album. Nehmen Sie sich Zeit für das Werk! Am besten in einem bequemen Samtsessel wie Laura Gonzalez’ knuffigem „Colosseo“ (5000 Euro, lauragonzalez.fr ) und mit dem Kopfhörer „Roller MK01“ von Luzli für ungestörten Hörgenuss, 3240 Euro, luzli.com .

… in Central Florida“. In der satirischen Serie mogelt sich Krystal Stubbs, Angestellte eines Aqua-Parks, durch die Ränge einer scheinseriösen Network Marketing-Mafia. Das Gefühl, dabei zu sein, gibt's auf Derek Castiglionis „Supernova Chair“ (12 200 Euro, via nilufar.com ) und vor LGs gigantischem 88 Zoll OLED-Fernseher mit 8K-Auflösung, 30 000 Euro, lg.com .

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Cool, es regnet! Für B&B Italia entwarf Philippe Starck breitschultrige Gartenmöbel, die jedem Schauer trotzen. Ein Gespräch über Produktlügen, überflüssig werdende Berührungen und ein Parfum ganz ohne Sex. Inter view Oliver Jahn

D ie Outdoor-Saison startet Mitte Oktober, jedenfalls bei B&B Italia. Die Neuheiten 2020 werden in einer Villa am Comer See vorgestellt: Poufs mit wunderbar haptischem Geflecht wie aus Tauen; Naoto Fukasawas Polstermöbel mit Gestellen aus gerundetem Teak; einladend ausladende Sitze von Antonio Citterio. Das Atrium der Villa indes ist Philippe Starck vorbehalten und seinem neuen großen Wurf. Der Star

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ist anwesend und setzt zu einer Rede an. Er hebt den Kopf, blickt in den wolkenlos blauen Himmel und ruft zur allgemeinen Erheiterung: „Oh, it rains!“ So nämlich heißen die Outdoormöbel, mit denen Starck ein Dilemma des Genres ad acta legen will. Schon lange, sagt er, missfielen ihm die panikartigen Rettungsaktionen in Luxushotels, sobald Regen die Kissen der Gartenmöbel bedroht. Da haken wir nach! Gerade sprachen Sie von Ihrem Eindruck, Outdoormöbel zeigten immer

nur die Gutwetter-Seite, sie würden also quasi lügen. Wie meinen Sie das? Sehen Sie, ich wurde religiös erzogen, trotzdem bin ich kein gläubiger Mensch. Aber an eins glaube ich wirklich: die Idee der Gerechtigkeit. Wenn ich etwas sehe, das mir unwahr vorkommt, macht mich das rasend. Immer wenn ich – egal wo auf der Welt – Outdoormöbel im Regen sehe, denke ich: Wieder ganz falsch! Deshalb haben Sie nun für B&B Italia die Serie „Oh, it rains!“ entwickelt, die auch im Regen alles richtig macht.


Fotos: Guido Taroni (2); B&B Italia; Porträt: Jean-Baptiste Mondino

Stil Interview In den vergangenen Jahren habe ich an einer ganzen Reihe von Lösungen gearbeitet, bei denen man mit wenigen Handgriffen intervenieren kann, wenn es zu regnen anfängt. Dies hier ist der eleganteste Entwurf. Klappt man die Rückenlehne nach vorne, legt sie sich wie eine Schutzklappe über die Polster. Die Sonne kommt zurück? Lehne hoch, fertig. Die Botschaft ist: Ich muss euch nicht anlügen, denn ich bin für einen Wetterumschwung gerüstet. Und diese Ehrlichkeit sieht auch noch gut aus. Ihnen fällt auf, dass etwas nicht funktioniert, und Sie entwickeln eine Lösung dafür – ist das Ihr Design-Ansatz? Ich bin gar kein Designer. Mich interessiert Design nicht. Mein Job ist es, von Dingen zu träumen. Eine Sache, die mich wirklich antreibt wie ein Motor, ist mein Gespür für Dinge, die gut gemacht und ehrlich sind. Oder wenn andererseits etwas Entscheidendes fehlt. Das ist doch der einzige Weg, wie man auf neue Ideen kommt. Dinge zu entwerfen, um eben Dinge zu entwerfen, wozu bitte soll das gut sein? Schlechtes, rätselhaftes Design kennt jeder: Man liegt im Hotelbett und möchte schlafen, aber man muss erst tausend Schalter ausprobieren, bis das Licht aus ist. Sie entwerfen ja auch Hotels – warum ist es so schwer, eine Lösung für einen so einfachen Wunsch zu finden? Weil wir Menschen von Technik fasziniert sind. Weil jeder supersmart sein möchte, auch wenn wir am Ende gar nichts mehr verstehen. Friendly access war die geniale Formel von Steve Jobs: Die Dinge müssen sich selbst erklären. Woher weiß man, ob ein Produkt gut ist oder schlecht? Die Antwort: Wenn man eine Gebrauchsanweisung braucht, ist es schlecht – oder jedenfalls nicht zu Ende gedacht. Alles muss evident sein. Aber die Entwicklung geht ja weiter: Jede Materialität um uns herum muss und wird verschwinden. Einen Knopf zu betätigen oder eine Fläche zu berühren ist strukturell vulgär. Bewegungen, elegante Gesten, das wird die Steuerung der Zukunft sein. Heute wischen wir unentwegt auf Glasflächen herum. Rührt daher der Wunsch nach neuen taktilen Erlebnissen? Das Berühren generell wird verschwinden, der Prozess der Entmaterialisierung hat längst eingesetzt und funktioniert ja auch schon einigermaßen. Vor fünf Jahren kam eine kleine Drohne heraus, die sich mental steuern ließ. Die war nur noch ein bisschen zu kompliziert. Wenn alles das Hirn steuert, wo bleiben dann unsere taktilen Bedürfnisse?

Das Sofa wird zur Truhe: Blockstreifen wie bei einer Markise prägen den Look von „Oh, it rains!“ (li. S. und u.) – droht Regen, lässt sich die Lehne nach unten klappen (re.) und so das Polster schützen. Philippe Starck (oben) schuf die wetterwendige Kollektion. Sessel ab 5306 Euro.

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Stil Interview

„Ayana“ Naoto Fukasawa entwickelte ein Rahmensystem aus Rundhölzern in Teak. Sessel 2563, Coffeetable 3002 Euro.

„Tramae“ Die Poufs des Designduos Un Pizzo tragen eine schicke Hülle aus handgeflochtenen Kordeln. 887, 1211 und 1628 Euro.

Aber Sie können doch berühren, was immer Sie wollen; ich kann Sie anfassen, wenn ich das möchte, aber ein Ding berühren, weil ich es muss? Durch die Entmaterialisierung in den nächsten 15 Jahren verschwinden die unschönen Nebeneffekte, und zwar komplett. Per Gedanken steuern wir den Chip in unserem Gehirn und schalten das Licht an und aus. Das heißt, in letzter Konsequenz stehen wir nackt in einem leeren Raum. Nun können Sie sagen, das ist ja öde. Nein, ist es nicht. Denn dann haben wir Raum zum Träumen, zum Singen oder dazu, in 3D auf virtuelle Wände zu schreiben. Eine neue Welt der Freiheit und der Eleganz. Aber braucht es dann überhaupt noch Dinge und Designer? Nein, damit ist es vorbei. Die Menschen denken ja immer, was einmal ist, das existiert ewig – aber das stimmt nicht. Fernreisen wird es in weniger als zehn Jahren nicht mehr geben; Arbeit, wie wir sie heute kennen, wird sich komplett ändern. Und so weiter.

Philipp e Starck

„Hybrid“ Willkommen in der Komfortzone von Antonio Citterio – einerlei ob draußen oder drinnen. Dreisitzer ab 9054 Euro. b ebitalia.com

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Tüfteln Sie schon an Ideen für diese entmaterialisierte Zukunft? Als man mich einlud, die Parfum-Kollektion „Starck Paris“ zu kreieren, war ich wirklich happy. Ein Duft ist etwas, das der Entmaterialisierung schon sehr nahekommt. Neben „Peau de Soie“ für die Frau und „Peau de Pierre“ für den Mann habe ich den Duft „Peau d'Ailleurs“ entworfen. Der ist nicht für Gays, sondern für die Asexuellen. Die Schwulenbewegung war eine Evolution, die Bewegung der Asexuellen wird eine Revolution werden. Beim Launch in Moskau stand plötzlich dieser Mensch vor mir, an den ich beim Kreieren des Duftes immer gedacht hatte, ein Wesen wie aus einer anderen Galaxie. Er klopfte mir auf die Schulter und sagte: „Danke.“ Das war großartig, deshalb mache ich weiter.

Fotos: B&B Italia

„Überall sehe ich Gartenmöbel im Regen und denke: Alles falsch!“


S I B T R E G N Ä L R VE

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Stil Studio

Tex t Karin Jaeger und Nina Luisa Vesic

„Hier sollte eine minimalistische, fast klösterliche Atmosphäre herrschen. Dafür habe ich japanische und skandinavische Elemente zusammenfließen lassen.“ Die nötige Geborgenheit schafft Pierre Yovanovitch mit natürlichen Materialien: Leinen, Wolle, Hanf. Und Eiche! „Holz bringt eine wunderbare Wärme. Daher ist es ideal, um große Schlafzimmer in gemütliche zu verwandeln.“

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Sandmännchens Geheimwaffe Gut schlafen ist eine Frage des Rückens, der Ruhe – und der kleinen Rituale. Ein achtsam gestaltetes Schlafzimmer schafft den richtigen Rahmen dafür.


W er nachts oft wach liegt, weiß es nur zu gut: Guter Schlaf ist keine Frage des Willens. Er lässt sich nicht erzwingen, und je verkrampfter man sich aufs Einschlafen konzentriert, desto munterer wird man. Erfolgversprechender ist es, offensichtliche Störquellen auszuschalten: die durchgelegene Matratze, stickige Luft, undichte Fenster, Vorhänge, die den Raum nicht ausreichend abdunkeln. Solche Basics sind wichtig, doch eine Garantie für guten Schlaf liefern auch sie nicht. Denn oft hat es nicht nur körperliche Gründe, wenn man hellwach im Bett liegt, statt entspannt ins Unbewusste abzutauchen: Der Stress Ein Raum, der Raum lässt: Interiordesigner Neal Beckstedt schichtet Texturen, aber spart bei der Farbe – umso mehr Tiefe schafft das satte Petrol der Rückwand oben, weiter des Tages lässt sich nicht abschütteln, man verstärkt durch George Chaplins kleines Aquarell. Für eine ähnlich ruhige Atmosphäre: fragt sich, ob man eigentlich das Fahrrad 1 Geometrisch-schlichte Metallleuchte „Tangent“ im Farbton „Desert Sand“ woud.dk abgeschlossen hat, oder grübelt über die 2 Marmoruhr „Stilla“ mit Messingzeigern ay tm.dk 3 Baumwollbettwäsche „Sublime“ im Zukunft des Journalismus. Kurz: Die Ge- Ton „Opale“ de sc amp s.com 4 Blattförmiges Rattantischchen „Stromboli“ india- mahdavi. danken kreisen zu schnell, das innere Tem- com 5 „Recovery + Sleep“ entspannt mit ätherischen Ölen anatome.co 6 Besser als stumm schalten: silberner Smartphone-Tresor „The Bed“ von Elmgreen & Dragset po ist zu hoch, um die Kurve ins Reich der georgjensen.com 7 Baumwoll-Steppdecke „Roma“ schramm -werks taet ten.com Träume zu kriegen. Man schafft es nicht, von der Autobahn des Tages abzubiegen und ein paar Gänge herunterzuschalten. Sehr hilfreich können dafür Einschlaf2 rituale sein. Denn beim Schlaf sind Körper 3 und Geist Gewohnheitstiere. Die immer gleichen Wege zu trotten gibt Geborgenheit, Sicherheit und dem Körper das Signal, 1 in den Entspannungsmodus zu schalten. Man liest ein paar Seiten (am besten auf Papier, denn das blaue Licht von Tablets verzögert laut Harvard Medical School die Müdigkeit), schreibt Tagebuch, hört Musik oder trinkt heiße Milch mit Honig. Unterstützt werden kann der Prozess des Um4 und Abschaltens durch ein Schlafzimmer, das „nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele einen Ort zum Ausruhen bietet“, wie es das für seine frischen Farbgeometrien bekannte italienische Interiorduo Marcante Testa ausdrückt. Wie gestaltet man so ein Schlafzimmer am besten? Für den privatesten und persönlichsten Raum der Wohnung gibt es 7 kaum noch feste Dos and Don'ts – googeln Sie also lieber gar nicht erst überkommene Regeln wie „Kühle Farben wirken beruhigend“, sondern hören Sie auf Ihre Intuition (und den Rat eines sensiblen Innenarchitekten). Erlaubt ist, was entspannt und was den jeweiligen Vorlieben und persönlichen Abend- und Morgenritualen entgegenkommt; das sieht Interiorstar Pierre Yova-

Fotos: Jean-Francois Jaussaud / Luxproductions; Stephen Kent Johnson; Woud; AYTM; Descamps; © India Mahdavi; Anatome; Georg Jensen; Schramm Werkstätten; Porträt: Vincent Desailly

Durchatmen

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Stil Studio 2

novitch genauso wie die junge britische Designerin Rachel Chudley oder die er­ wähnten Marcante Testa. Sie alle und drei weitere Designer haben sehr persönliche Schlafzimmer zu diesen Seiten beigesteu­ ert und uns ihre Ideen dahinter verraten. Daraus ergeben sich immerhin ein paar „Leitplanken“, die Orientierung bieten kön­ nen bei der Schlafzimmerplanung. Damit das Gehirn mit dem Raum Ruhe und Erholung assoziiert, sollte er nur dem Schlaf gewidmet sein, da sind sich Designer und Forschung einig. Fernseher, Smart­ phones, Laptops und sonstige Elektronik, die man mit Ablenkung oder Arbeit ver­ bindet, sollten dort also wenig genutzt und erst recht nicht fest installiert werden. Im Idealfall steht im Schlafzimmer auch kein Schreibtisch. „Dinge, die uns etwas bedeu­ ten“, so Marcante Testa, dürfen dagegen gern einziehen, man sollte ihnen aber ei­ nen festen Platz geben. Das schafft Ver­ trautheit und optische Ruhe. „Wo Unord­ nung herrscht, kann der Geist nicht frei umherwandern“, betont Yovanovitch. „Kein Wunder, wenn man dort schlecht schläft.“ Insofern spricht nichts dagegen, im kleinsten Raum der Wohnung zu schlafen, solange man dies nicht, wie leider oft der Fall, als Notlösung betrachtet, sondern ihn aufmerksam gestaltet. Wer etwa gern vor dem Einschlafen – oder wie Andrea Mar­

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Traumwandeln Interiortalent Rachel Chudley würzt weiche Stoffe und Farben gern mit Überraschungen und etwas Augenzwinkern. „Wenn ich hier aufwache“, sagt sie über ihr eigenes Schlafzimmer (li.), „habe ich gleich gute Laune und stecke voller Ideen.“ 1 „Dream Dust“ aus schlaffördernden Kräutern, über ne t-a -p or ter.com 2 Zeigt die Zeit und hebt die Stimmung: George Nelsons „Ceramic Clock“ vitra.com 3 Schräg, aber flauschig: Wärmfla­ sche im Kaschmirrolli von Allude, über matche s fashion.com 4 „Dodow“ lenkt mit Lichtimpulsen den Atem mydo dow.com 5 „Escort of the Night“ von Khaled El Mays aus lackiertem Holz und Rattan, über niluf ar.c om 6 Handgemachte Wasserkaraffe mit Becher aus Borosilikatglas sophielou jacob sen.com 7 Hommage an Luis Barragán: „n Lamp“ 5 0 0 b c.de sign

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Fotos: Moon Juice; © Vitra; Matches Fashion; Dodow; Daniele Iodice; SLJ; Shiraz Noorani; Carola Ripamonti; Paul Massey; Porträt: Karel Balas

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De Chiricos traumähnliche Stadtansichten inspirierten das Designerduo Marcante Testa zu einem System geometrisch angeordneter Metallleisten. Sie ziehen sich durch die Räume und geben nicht nur Struktur, sondern dienen auch als Ablage für Souvenirs und Krimskrams. Schließlich kann ein Schlafzimmer „gleichzeitig ernst und humorvoll sein. Genau wie der Mensch!“


Stil Studio

Einen stimmungsvollen Rückzugsort hatte Fiona Lynch im Sinn – dafür tauchte sie die Wände in tiefes Bleigrau. „Dunkle Nuancen geben dem Raum Charakter und heben Möbel und Kunst hervor.“ Sie verlangen allerdings auch nach Spannung und Wärme! So fiel die Wahl auf den ringelblumengelben Samtvorhang und indirekte Lichtquellen. „Die schmeicheln allen Texturen.“


Abtauchen

Fotos: Amelia Stanwix; Julian Wass; Ferm Living; Aiayu; Casenove Creation; Kookbooks; Kvadrat / Raf Simons; Frette; Draenert; Claire Fulton; Porträt: Lillie Thompson

„Je weniger Quadratmeter, desto mehr Drama!“ Nach dieser Devise wählte Designer David Netto Josef Franks Stoff „Hawai“ für den Raum re. Das uralte Motiv des Lebensbaums, das den Schlafenden beschirmt, „hat so viel Kraft – man fühlt sich wie in einem Zaubergarten“. Mehr Gute-Nacht-Magie: 1 Wandleuchte „Arum“ mit Schwenkschirm fermliving.c om 2 Morgenmantel „Calla“ aus ungefärbter Lamawolle aiay u.c om 3 Für den Mitternachtssnack: Keramikteller „Reflets d’or“ jar sc er amis te s.c om 4 Die hellen Seiten der Dunkelheit: Gedichtband von Yevgeniy Breyger kookb ooks.de 5 Plaid aus Baby-Alpakawolle k vadratraf simons.com 6 Samtpantoffeln „Icon“ fr e t te.c om 7 Dunkle Materie: Nachttisch „Night“ mit Steinplatte dr aen er t .de 8 Kissenspray „Sleep Dharma“ maulirituals.com

cante gleich nach dem Aufstehen – den Sonnengruß praktiziert, braucht Platz für die Yogamatte. Wer vor dem Zubettgehen lüftet, entscheidet sich vielleicht besser für Rollos, die im Fensterrahmen montiert werden statt darüber. Und wer abends liest, sollte für blendfreies Leselicht sorgen. Überhaupt ist Beleuchtung ein zentrales Thema. Unsere Experten raten zu mindestens zwei Lichtquellen: Indirekte Beleuchtung, möglichst dimmbar, taucht den Raum in sanftes, warmes Licht. „Gedämpftes Licht gibt uns das Signal zum Entspannen“, sagt der New Yorker Interiordesigner Neal Beckstedt. Die letzten Vorbereitungen fürs Zubettgehen verrichtet man am besten im Schummerlicht – das sollte auch dem quecksilbrigsten Geist klarmachen, wohin die Reise geht. Dazu kommen task lights neben oder über dem Bett, vor allem zum Lesen. Eine zentrale Deckenlampe, die alles hell ausleuchtet, ist im Grunde unnötig. Eine weitere Stellschraube sind die Textilien. Bei Vorhängen, Teppichen und vor allem bei der Bettwäsche sollte man nicht knausern. Wer einmal auf Leinenlaken oder in mattem Mako-Satin geschlafen hat, weiß, warum. Besonders einladend wird das Bett, wenn man grobe und feine Materialien mischt, rät Yovanovitch. Auch die Australierin Fiona Lynch setzt auf „zartes Layering von Texturen“. Während beide dabei gern in einem Farbspektrum bleiben, variiert Neal Beckstedt zusätzlich noch die Muster, um Schicht für Schicht einen schützenden Kokon zu spinnen. Gestalterische Ansatzpunkte im Kampf gegen schlaflose Nächte kennen Sie nun – mit welcher Atmosphäre Sie die Blaupausen aufladen, entscheiden Sie selbst! Mit Ruhe, Heiterkeit oder Geborgenheit vielleicht? Unsere drei Szenarien zeigen exemplarisch, wie der Wartesaal zwischen Tag und Nacht zum Foyer der Träume wird.

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Stil Betten

Im Bausch der Tiefe Geschichtsträchtig und zukunftsweisend? Passt bei der britischen Bettenmanufaktur Vispring traumhaft zusammen. Eine Zeitreise von der revolutionären Taschenfeder zu nachhaltigen Matratzen. Tex t Mona B erger s

Bambus

Wolle

Mohair

Seide

Vikunja

D ie Prinzessin auf der Erbse ist bei Vispring ein Scheich auf der Goldfeder. Klingt noch etwas schräg? Nicht so bei Harrods. Dort nämlich eröffnete ein Ölprinz seine ungewöhnliche Schlafvision: Er wolle eine Matratze der englischen Bettenmanufaktur, bei der die ikonischen Taschenfedern nicht aus bloßem Stahl, sondern aus purem Gold bestünden! Als Spezialist, wenn es um Maßanferti­ gungen geht (in der Werkstatt in Plymouth wurden schon runde, übergroße und herzförmige Liegestätten produziert), war Vispring der Wunsch sofort Befehl. Doch das Material wies weder genug Elastizität noch Stabilität auf, um in Federform den Körper ange­ messen beim Träumen zu stützen, weswegen die Taschenfedern letztlich „nur“ vergoldet in den – nach der Produktion nicht mehr einsehbaren – Matratzenkern wanderten. Dennoch war dies ein Ritterschlag für die Pioniere der Federkernmatratze, deren Ur­ sprünge bis ins Jahr 1899 zurückreichen: Inspiriert von den Sitz­ polstern der Zeit, entwickelte der britische Ingenieur James Mar­ shall für seine am Rücken erkrankte Frau das erste Schlafsystem mit Spiralfedern. Aus deren Windungen leitet sich auch der heu­ tige Unternehmensname ab: „VI“ steht für die römische Sechs, und „Spring“ beschreibt Feder auf Englisch. Nicht viel verändert hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der aufwändigen Herstellung: Taschenfedern, Matratzen und Diwane werden noch immer in der ursprünglichen Werkstatt im Südwesten Englands, zwischen den Grafschaften Devon und Corn­ Gute Lage: Der Taschenfederkern aus Vanadium-Spiralen in KattunHüllen (li. bei der Matratze „Regent“) schwimmt – trotz stabilisierender Anordnung im Honigwabensystem – lose im Material. Naturfasern (o.) sorgen für die notwendige Luftzirkulation im Bett.

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Fotos: Vispring (2); Ralph White/Corbis/Getty Images

Der Unterschied beim Sprung auf die Matratzen „Herald Superb“ (o. re. mit rahmendem Bedhead „Helios“ und Diwan „Prestige“) und „Baronet Superb“ (oben links mit „ARC“ und „De Luxe“)? Genau 150 Taschenfedern. Aus dem Flanell der gezeigten Stoffkollektion „Timeless“ ließ sich bereits Churchill seine Anzüge schneidern. Für seinen Mittagsschlaf hatte er sogar ein Bett im House of Parliament.

wall an den grünen Ufern des Flusses Tamar, nur von Hand und Traditionelle Handwerkskunst (die von Generation zu Generation auf Bestellung gefertigt. Der Hauptbestandteil der Schlafunterla- weitergegeben wird), gepaart mit höchstem Anspruch und indusgen, nahezu unbehandelte Schurwolle mit Platin-Zertifizierung, triellem Know-how, bescherte der Marke auch ihre ersten Großkommt von den Shetlandinseln oder angrenzenden Ortschaften – aufträge – von denen einer, wie sich wenig später herausstellte, aber immer aus Großbritannien. Dazu gesellen sich weitere nach- nicht nur in die Unternehmensgeschichte eingehen sollte. Nachwachsende und biologisch abbaubare Rohstoffe wie Vikunja aus dem sie ein Jahr zuvor die „Olympic“, bis zu diesem Zeitpunkt das Peru, Mohair aus Südafrika, Kaschmir, Flaggschiff der White Star Line, mit ihSeide und Bambus aus China, Baumren visionären Matratzen ausgestattet wolle aus der Türkei und Rosshaar aus hatte, wandte sich die britische Reederei Österreich. Naturmaterialien von höchs1912 erneut an Vispring. Die damals ter Qualität, bei denen der Ressourcennoch junge, gut ein Jahrzehnt alte Betschutz und die Rückverfolgbarkeit für tenmanufaktur sollte auch die 39 SuiVispring eine wichtige Rolle spielen. In ten und 350 First Class-Kabinen des ihnen liegt auch das Erfolgsgeheimnis alles übertreffenden Schwesterschiffs der Luxusmatratzen, ihre „Bauschkraft“. bestücken. Als „blinder Passagier“ stach Da weder Synthetik noch Kunst-, KlebeVispring so mit der „Titanic“ in See. oder Schaumstoffe verarbeitet werden, Inzwischen bedient Vispring nicht kommt es bei den komprimierten Namehr ausschließlich das Luxussegment turfasern auf ihre besondere Fähigkeit und bietet mit J.Marshall nun eine neue, an, die ursprüngliche Form zurückzugeerschwinglichere Unterlinie an, bei der winnen – und so in passgenauem Zusich weiterhin alles um NaturmaterialiTitanisch! In den 1910er-Jahren wurde sammenspiel für die notwendige Höhe en und Taschenfedern, nun ja, dreht. Und Vispring zur führenden Marke der oder Tiefe, Weiche oder Härte, kurz: für im Traum können die Vanadium-Spirabritischen Oberschicht. Die Matratzen den Komfort beim Schlaf zu sorgen. len ja auch aus purem Gold sein. hielten Einzug auf Luxusdampfern.

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Stil Betten

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Ab auf die Federn! Unter Daunen und auf punktelastischen Matratzen: In diesen Boxspringbe en kommt der Schlaf von ganz allein.

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Traumbild: „Kiku by Fromental“ (34 000 Euro) mit tapetenbezogenem Headboard von savoirb e ds.com 2 Lars Nilssons Bettwäschekollektion „Iris“ aus Baumwollsatin (im Set ab 880 Euro) für Hästens auf dem Klassiker „2000T“ has tens.com 3 „Koi“ mit Metallrahmen (ohne Matratze ab 4867 Euro) von Carlo Colombo für flou.it 4 Jungbrunnen? „Purebeds Ell“, designt von Kaschkasch für Schramm, ab 4430 Euro schramm -werks taet ten.com 5 „Victoire“ mit Messingfüßen, ohne Matratze ab 3125 Euro tre c a.com 1

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Fotos: Savoir; Hästens; Flou; Schramm Werkstätten; Treca

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Küche des Monats Redak tion Karin Jaeger

Architek t: Federico Masotto O r t: Hausboot auf der Seine Aus s tat tung:

· Edelstahlarmatur von Cea · Spülbecken von Franke Materialien:

· Fronten in lackiertem MDF · Arbeitsplatte aus geflammtem Granit · Oberschränke aus Riffelglas und schwarzem Metall · Fliesen an Boden und Wand: „Tierras“ von Mutina · Dielen, Zwischenplatten und Fensterbank aus Douglasie von Dinesen M öb el:

· Vintage-Tisch aus Eiche entworfen von Charlotte Perriand · Einbaubank bezogen mit Kvadrats Tweed „Sonar“

Das macht sie b e sonder s:

Die Küche zeigt sich elegant technoid als Teil des Schiffsrumpfs, das Living öffnet sich licht und komfortabel zum Fluss vor den Fenstern. Und helle Holzplatten, die schräge Grenzlinie und spannungsreich verlegte Fliesen verwischen charmant den Übergang.

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Stil Praxis

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#picobello

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Fotos: Philippe Garcia; Manufactum; VIA (2); H+O; Graniti Fiandre; Marrakech Design; © Mutina; Ceramica Bardelli (2); Marazzi; Golem – Kunst und Baukeramik (2); Holz-Leute

W eniger ist mehr – was auf die Vielfalt aktueller Fliesen (zum Glück) nicht zutrifft, gilt für ihre Reinigung umso mehr. Ob Keramik, Feinsteinzeug oder Zement; gestreift, gekörnt oder bunt glasiert: In der Regel reichen Fegen, Saugen und gelegentliches Wischen mit lauwarmem Wasser, eventuell mit etwas Neutralseife. Widersetzt sich der Schmutz, hilft schlichtes Schrubben (unten Scheu­ erbürsten von Holz­Leute). Und Flie­ senreiniger? Sind zwar hilfreich im Kampf gegen Kalk – an Badwänden dürfen sie also hin und wieder zum Einsatz kommen –, zu saure Mittel können jedoch insbesondere ungla­ sierte Keramik aufrauen und angrei­ fen. Auch Pflegelotionen verwöh­ nen keramische Fliesen nicht etwa, sondern überziehen sie mit einem klebrigen oder rutschigen Film. Nur Zementplatten wissen – nach einer anfänglichen Imprägnierung (oben re. von VIA) – Reinigung und Pflege zu schätzen, beides verbindet simple Schmierseife (o. li. von Manufactum). Und falls Sie jemals mit special treat­ ments wie Polieren oder Abschleifen liebäugeln: Ziehen Sie unbedingt die Anleitung des Herstellers zurate! Denn nichts kann Fliesen so gründ­ lich ruinieren wie blinde Putzwut. KJ

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6 Bodenfliesen

Roben für den Boden

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Zimmergrün: „Rombo“ aus matt glasierter Keramik, 17 cm hoch, um 137 Euro pro m2 f ile un de rp op.c om 2 „White Beauty“ aus der Serie „Marmi Maximum“, durchgefärbtes Feinsteinzeug, bis zu 150 x 300 cm. Preis auf Anfrage granitif iandre. de 3 Verwinkelt: Zementfliesen „Kimono B“, je 20 x 23 cm, 16 Stück 165 Euro marr ake ch de sign. se 4 „Primavera“ aus Porzellankeramik, ab 40 x 120 cm, um 230 Euro pro m2 mutina.it 5 Sonnengeflecht: Terrazzoplatten „721812“, zehn Stück 68 Euro viaplat ten.de 6 Futuristisch floral: handbemalte Fliesen „Fleurs“, 26 cm, vier Farbstellungen, Preis auf Anfrage c e r amic ab ar de lli.c om 7 Terrazzo? Nein, Feinsteinzeug! „Ghiara Minuta“, 120 cm, Preis auf Anfrage marazzi.de 8 Acht Ecken, zwei Farben: „SF 201“, für drinnen und draußen, je 8,60 Euro golem -baukeramik.de 1

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Stil Projekt

Die Lenker des Lichts Für die wiederentdeckte Marke Midgard schlägt Stefan Diez mit seiner Leuchte den Bogen zwischen Historie und Heute. Tex t Friederike Weißbach Fotos Sima Dehgani

W ie kommt ein Hamburger Unternehmer an einen fast vergessenen Leuchtenhersteller aus der Thüringer Provinz? Da muss David Einsiedler, seit 2015 zusammen mit seiner Frau Inhaber und Geschäftsführer von Midgard, ein wenig ausholen: „Ende der 90er habe ich für meine Werkstatt auf dem Flohmarkt nach Lampen gesucht. Da ist mir Midgard das erste Mal aufgefallen, weil die Leuchten mehr Gelenke haben als andere, bekanntere aus der gleichen Zeit.“ Seine Neugierde auf den Produzenten führte ihn nach Auma, wo 1919 ein gewisZurück in die Zukunft: Stefan Diez (links) und Midgard-Retter David Einsiedler mit der ersten Neuentwicklung seit 70 Jahren! Unten: modulare Tischleuchte „Typ 552“ (708 Euro) mit wartungsfreien Gelenken. Stef a n Diez

„Aus meiner Sicht ist Midgard ein Glücksfall, die Marke wurde 70 Jahre konserviert. Das gab meiner Arbeit einen klaren Hintergrund.“ ser Curt Fischer das Industriewerk Ronneberger & Fischer gegründet hatte. Der geniale Tüftler gilt heute als Erfinder des lenkbaren Lichts. Unter dem Namen Midgard hatte Fischer seine Innovationen zu einem modularen Leuchtensystem entwickelt, das sich schnell etablierte, ja sogar am Bauhaus in Dessau für die Ausstat-

tung der Metallwerkstätte eingesetzt wurde. Selbst Gropius und Breuer schätzten das funktionale Design und arbeiteten für private Interieurs oft mit einem von Fischers ersten Entwürfen, der „Typ 113“. Doch Erfolg und europaweite Bekanntheit schützten das Unternehmen (seit 1956 geleitet von Fischers Sohn Wolf-


Hat den Bogen raus: Stefan Diez’ Entwurf „Ayno“ (li. S. o.) zitiert die Form der gerade wieder aufgelegten, limitierten Peitschenleuchte „Typ 113“ (re., 2790 Euro) – und ist „bei einem Preis von unter 200 Euro eher ein ideelles Gegenstück“, so David Einsiedler.

gang) nicht vor der Enteignung 1972 durch die SED. Wolfgang Fischer gelang es, die Firma nach der Wende zu reprivatisieren, allerdings produzierte sie trotz noch gül­ tiger Patente und all der dokumentierten Ideen nur noch ein einziges Modell. Bis zur Insolvenz 2011. „2014 lief es dann mit unserem anderen Unternehmen so gut, dass wir dachten, wir hätten Lust, dieses modulare System von Midgard wieder aufzulegen“, erzählt Ein­ siedler. Und übernahm die Manufaktur von der dritten Generation Fischer – zusam­ men mit den Rechten, dem umfangreichen Archiv, originalem Werkzeug und den Ma­ schinen – und siedelte sie nach Hamburg um. Hier werden Fischers Leuchten nun nach und nach wieder originalgetreu pro­ duziert. „Midgard ist ein Phänomen. Die Marke ist immer unter dem Radar gelaufen und letztlich vergessen worden. Deswegen hatten wir uns erst mal vorgenommen, die Geschichte dieser Firma zu erzählen, bevor wir mit neuen Entwürfen daherkommen.“ Doch zur IMM in Köln ist es jetzt so weit, und Midgard stellt zusammen mit Ste­ fan Diez eine völlig neue Leuchte vor. Die Vorgaben: ressourcenschonend, bezahlbar und, natürlich, lenkbares Licht. „Wir woll­

Fotos: Midgard (2)

ten die radikal neue Definition der Lenkme­ chanik, wie damals Fischer. So kam die Idee einer Midgard­Leuchte, die kein Gelenk braucht“, erklärt der Designer. Und erinnert sich an den Moment der Inspiration: „Schilf, das ich beim Baden mit den Kindern im Urlaub sah. Es biegt sich im Wind, und mit ein wenig Zug bleibt es so.“ Sein Schilfrohr ist nun Fiberglas. Die Ausrichtung der Leuchte, die ganz in Deutschland gefertigt werden soll, erfolgt mit auf dem Stab beweg­ lichen Klemmringen, die Spannung hält ein pinkfarbenes Textilkabel. Ein genial sim­ ples, skalierbares System, das in jedem Sin­ ne des Wortes den Bogen schlägt. Im Seminarraum von Professor Selman Selmanagić an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee (links) erhellten in den 60er-Jahren Midgards Lenkleuchten die Arbeitstische der Architekturstudenten.

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DIE NEUE GQ

ELYAS M’BAREK + SHARON STONE + JOAQUIN PHOENIX

Foto: Roderick Aichinger

JETZT IM HANDEL

GENTLEMEN’S QUARTERLY


Architektur Projekt, Radar und Garten

Fotos: Cristóbal Palma

In fünfter Generation Die Geschichte der Estancia Morro Chico im argentinischen Patagonien geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Damals besiedelten schottische Auswanderer die Ebenen an der Grenze zu Chile. Mehr als ein Jahrhundert später ist das Erbe des großen Siedlertrecks, des „Gran Arreo“, noch immer lebendig: RDR bauten die Ranch inmitten majestätisch-einsamer Landschaft zu einem kleinen Dorf aus bescheidenen Bauten in lockerem Verbund aus – Holz und Wellblech trotzen harschem Wetter, drinnen herrscht warme Klarheit. richterdahlro cha.com

Redak tion Andreas Kühnlein

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Zeichenhaft Blick ins Zentrum des Denkens: Im ländlichen Somerset hat Niall Hobhouse eine einzigartige Sammlung architektonischer Skizzen zusammengetragen. Tex t Andreas Kßhnlein


Architektur Projekt

Skizzen: © The Architect / Drawing Matter (2); Foto: Guus Kaandorp

A m Anfang stehen Kühe. Schwarz-weiße, wohlgenährte Tiere, an denen die meisten Besucher bass erstaunt vorbeidefilieren; aber wer kann schon so genau sagen, auf welcher Seite die Überraschung größer ist. „Sind wahrscheinlich hoch bezahlte Theaterstatisten aus London“, sagt Niall Hobhouse, Sohn der großen Garten-Lady Penelope Hobhouse, und freut sich über den irritierten Blick. Auch wenn es aussieht, als sei man auf dem Land, in Wahrheit ist das hier West London, eine Art erweiterte Vorstadt. Wir befinden uns in Somerset, genauer Yarlington, einem kleinen Nest zwischen grünen Hügeln. Noch präziser: Shatwell Farm. Den Hof von Niall Hobhouse erreicht man über winzige Sträßchen, dann eine noch schmalere Einfahrt. Die eben mitten durch den Kuhstall führt, von Stephen Taylor um einen Säulengang erweitert, dessen Pfeiler zum Großteil aus dem Erdreich des Anwesens bestehen. „Meine modernistischen Freunde sagten, sie hätten ihm nie ganz über den Weg getraut“, erzählt Hobhouse. „Und die Revisionisten regten sich über die Säulen auf, die nicht mal ein ordentliches Kapitell haben. Mir gefällt, dass ich so beide ärgern konnte.“ Die erste Regel auf Shatwell Farm lautet: Dieser Ort soll nie ganz fertig sein. Auch heute wird gebaut, in einer Scheune entstehen Gästezimmer, Lagerräume und eine Theaterbühne, halb im Freien. Das eigentliche Herz der Farm aber schlägt nebenan, in einem einfachen, zweiteiligen Bau aus massivem, kreuzverleimtem Holz. Hugh Strange hat ihn entworfen, ohne zusätzliche Isolierung oder Membran; ein Haus aus Zellulose für Zellulose. Denn daraus besteht auch der Schatz im Inneren: Drawing Matter, die weltweit größte private Kollektion von Architekturzeichnungen, 10 000 Blätter von unschätzbarem Wert. Original-Briefe von Le Corbusier neben Bleistiftskizzen von Frank Lloyd Wright, Entwürfe von Schinkel bis Superstudio. Unter Kennern genießt diese Sammlung Weltruhm; Forscher, Kuratoren und praktizierende Architekten kommen von überall hierher. Heute ist es ein junger Mitarbeiter des Met, neulich war „Liz“ Diller mit zwei Kollegen aus Princeton da – zwölf Stunden, nach denen die Wände über und über mit großformatigen Papieren bedeckt waren.

Schubladendenken: o. Skizze und Modell für die Quinta da Malagueira von Álvaro Siza. Am liebsten, sagt Hobhouse, sammle er komplette Projekte. Li. S.: eine neue Welt in ein paar Tuschestrichen – Superstudios Kästchenutopien, hier aus den Original-Sketchbooks von Adolfo Natalini, entstanden 1969 / 70.

Sie alle kommen nicht nur, um in der schieren Menge einzigartiger Blätter zu schwelgen. Sondern um eine Kollektion zu erfahren, die in Summe mehr erzählt als ihre einzelnen Bestandteile. Ihre Zusammensetzung geht nicht zuletzt auf Hobhouse’ endlose Beschäftigung mit den großen Institutionen, dem CCA, dem Getty Research Institute oder dem Met, zurück. Der frühere Kunsthändler ist nicht nur leidenschaftlicher Sammler, sondern ein ebenso munterer Kritiker. „Das Problem dort ist“, erklärt der 65-Jährige, „dass man vorab wissen muss, was man sehen, woran man forschen will. Damit aber steht das Ergebnis schon mehr oder weniger fest.“ Auf Shatwell Farm darf man jede Schublade aufziehen, darin stets ein Moment der Überraschung; jene besondere Mischung aus Zufall und subversiver Lenkung durch den Hausherrn und seine Archivare, die zu unerwarteten Assoziationen führt. Dazu sicherheitshalber Regel Nummer zwei: Mehr als zwölf Leute um eine Zeichnung

sind zu viele. Kein Zweifel, Hobhouse hat sichtlich Spaß daran, das Sandkorn im Getriebe des Diskurses zu sein, den Leuten, die hier forschen, Ideen in den Kopf zu setzen, die ihre konservativen Entsender vielleicht ein bisschen ärgern. Alles, was sie finden, ist Teil einer gemeinsamen Erzählung, hier gelandet durch bewusste Entscheidung des Besitzers. Nichts kaufen, was die Sammlung nicht irgendwie substanziell verändert, so lautet dessen dritte Regel. Seinen Fokus legte Hobhouse im Lauf der Zeit auf den sozialen Wohnungsbau der 60er und 70er, weil damit eine wirklich neue Typologie entstanden sei; dazu jene Momente, „in denen künstlerische und architektonische Praxis einander besonders nah kamen“. Und: Skizzenbücher wie jene Álvaro Sizas, deren Erwerb für Drawing Matter einen Schlüsselmoment darstellte. Eine Architekturzeichnung ist eben kein Kunstwerk, sondern Ausdruck eines Denkprozesses, an dessen Ende – meistens – ein Gebäude steht. Wenn man sich hier ernst-

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Niall Hobhouse

Auch wenn sich die Sammlung weitgehend auf zwei Dimensionen beschränkt, gehören doch auch einige Modelle dazu. In einer verlockend beschrifteten Kiste verbirgt sich etwa John Lautners nie gebautes Haus für Carl und Agnes Pearlman (um 1960), darunter der erste Entwurf für die Greenford Church von Albert Richardson (1937).

Foto: Max Creasy; Skizzen: © The Architect/Drawing Matter (2); © Drawing Matter

„Ich sammle keine Endresultate – sondern all die Abweichungen und Versuche auf dem Weg dorthin.“


Architektur Projekt

Bewusstseinsstrom in Heftform: 2003 erwarb Hobhouse 50 Skizzenbücher von Álvaro Siza. Der Adressat ist hier ein anderer als bei Frank Lloyd Wrights kunstvollem Entwurf für Eaglefeather Estate u. von 1940: nämlich der Zeichner selbst.

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Architektur Projekt

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herren, weil BIM-Renderings anstelle von Visionen Gewissheiten suggerieren.“ Eine Schwäche für die Stiefkinder des Architekturbetriebs hat Hobhouse auch jenseits des Zweidimensionalen. Die Farm ist eine Arche für schrullige Ideen, von Álvaro Sizas Säulenskulptur für die Royal Academy, die heute vor dem Archiv steht, bis zum 15 Meter hohen Obelisken von Peter Smithson, eigentlich für ein Projekt in Siena entworfen und gebaut aus Shatwell-Eichen. Noch so eine Regel: Für derlei Objekte fließt kein Geld, Hobhouse’ Angebot lautet schlicht: Asyl. Und dieselbe Wertschätzung, mit der er auch seine papierne Sammlung pflegt. „Meine wichtigste Regel lautet: Wenn ich jemals eine Schublade aufziehe und ein Blatt darin nicht einordnen kann, ist Schluss.“ Noch kennt er jedes Stück, aber ein bisschen sitze ihm nun doch die Angst im Nacken, sagt Hobhouse und lacht. Notfalls aber würde es ihm wohl gelingen, sich irgendwie rauszureden. Fertig nämlich sind die Farm und die Sammlung und ihr eigensinniger Verwalter noch lange nicht.

Der Archivbau von Hugh Strange oben ahmt die Kubatur einer alten Scheune nach, zwischen deren Mauern er erbaut ist. Er besteht ganz aus massivem, kreuzverleimtem Holz, dessen Masse Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen ausgleicht. „Ich bin Modernist genug für eine feste Überzeugung“, sagt Hobhouse. „Was richtig ist, sieht auch richtig aus.“ In den alten Archivschränken im Inneren links oben verbergen sich um die 10 000 kostbare Blätter.

Fotos: David Grandorge

haft umsieht, kommt man tatsächlich dem ein wenig näher, was Architektur wirklich ist: die Abfolge von aufeinander aufbauenden Ideen. Was Hobhouse interessiert, sind die Abweichungen, die Schritte, mit denen sich ein Architekt seiner Aufgabe genähert hat. Genau das macht auch die Skizzenbücher – gekritzelte Abfolgen und Variationen des oft Immergleichen – so spannend: Hier kommt er dem Denken des Zeichners wirklich nahe, und es ist dieser spekulative Moment, um den es Hobhouse geht. Zugleich hat die Auseinandersetzung damit auch praktischen Wert; einen, den man leicht übersieht, umso mehr, als viele ihr Heil nur noch im Digitalen suchen. „Ich will nicht dieser komische Vogel sein“, sagt Hobhouse, „der Zeichnungen sammelte, als es mit dem Zeichnen vorbei war.“ Wie einst für den Architekten selbst hat jede Skizze für ihn einen Wert, der jenseits ihrer selbst liegt: als Methode, die einem Entwerfer die Freiheit gibt, Fehler zu machen – und wieder zu verwerfen. „Eine schöne Zeichnung ist kein Garant für ein gutes Gebäude und umgekehrt. Das vergessen heute viele Bau-


Architektur Radar

Zukunftsvision Ein Drittelhaus mit Option für mehr: Das 1/3 Hus von Rever & Drage u. im norwegischen Sunndal hat nicht bloß den wohl größten Carport der Welt, sondern passt sich Budget und Lebensumständen der jungen Hausherren an. Fürs Erste: Den Raum zur Erweiterung bringt der vorausschauende Entwurf nämlich auch gleich unter Dach und Fach. reverdrage.no

Architektentraum Wo Manuel und Francisco Aires Mateus ihre Inspira­ tion finden? Klar: im Atelier Cecílio de Sousa (o.), das die portugiesischen Architekten für sich und ihr Team opulent restaurierten und ultraschlicht möblierten. aire smateus.com

Déjà-vu ums Eck Der treffend Corner House genannte Neubau unten von 31/44 aus London wirkt seltsam vertraut, umspielt seinen von denselben Archi­ tekten umgebauten Backsteinnachbarn sanft, scheut sich aber nicht, eine eigene Variation der viktorianischen Umgebung zu formulieren – etwa durch seine terrassierte, großzügig geöffnete Rückseite links.

Fotos: Rui Cardoso; Tom Auger/Rever & Drage; Rory Gardiner (2)

314 4 archite c ts.c om

Redak tion Andreas Kühnlein

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Architektur Garten

Roadmovie Die Fotografin Letizia Le Fur enthüllt die geheimen Geschichten von Pflanzen und Orten. Begegnungen am Straßenrand – und im Himmel. Tex t Simone Herrmann

Fotos Letizia Le Fur

Nah am Wasser: Bei einer Japanreise sah Letizia Le Fur den Busch mit den rot gelackten Blättern (oben). Die Zweigfinger scheinen vor dem dunklen Spiegel des Sees zu warnen. Ein Bild der Wabi Sabi-Kultur Japans. Untergehakt vor dem großen Blau: Die Kandelaber der Agaven standen Arm in Arm am Straßenrand auf der griechischen Insel Tinos (li. Seite). „Mich erinnerten sie an die Tapetendessins der 70er-Jahre“, sagt Le Fur.

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Architektur Garten

D er Scheinwerfer brennt eine gleißende Gasse in die Dunkelheit, anisgrün, bläulich, weiß, hellgrau oder blutrot tauchen die Pflanzen aus der Nacht. Standbilder aus Träumen. Sukkulenten, blühende Sträucher, hauchzarte Gespinste, Unkraut, wilde Möhren, Gräser, Samenkapseln. „Die Agaven“, erzählt Letizia Le Fur, „habe ich auf Tinos am Straßenrand gesehen, mauvefarbene Blütenkandelaber, die sich unterhaken.“ Arm in Arm stehen sie da. „Hinter ihnen begann etwas Neues, ein Feld oder Tal.“ Es geschehe oft, dass sie Pflanzen auf einer Grenzsituation, am Straßenrand vor einem Feld, am Waldrand oder am Ufer eines Sees aufnehme, erzählt die Pariser Fotografin und zeigt auf ein anderes Bild. Auch der Busch mit den roten Blättern und den Ästchen, die wie Finger zur Seite zeigen, wuchs an einem Teichufer. Er balancierte über dem dunklen Wasser. Der Clash zweier Welten, Zufallsbekanntschaften, Wahlverwandtschaften. „Meine Arbeit ist eine Art Roadmovie“, sagt die Fotografin, die Ende 2018 den Leica/ Alpine Award gewonnen hat und für Magazine wie „Air France Madame“, für LVMH, Mode- und Kosmetikfeatures, aber auch für die

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Den Beziehungen von Ort und Pflanze, Farben und Linien spürt Letizia Le Fur in ihren Fotos nach. Von li. o.: Der Wilde Wein mit Beeren ist eines ihrer preisgekrönten Fotos des Leica/Alpine Award 2018. Wilde Möhren bilden ein Wolkengespinst auf einem Feldrain. Den goldenen Engelsflügel am Baum sah sie bei einer Spazierfahrt. Kräuselmyrten-Zweige züngeln in den Gewitterhimmel an der Côte d’Azur. Im Clinch: Ein Faulbaum flicht sich in eine Kletterpflanze ein.

Letizia Le Fur Fotografin, Paris

Über den Wolken – in ihren Aufnahmen sucht Letizia Le Fur nach malerischer Freiheit. 2018 gewann sie den Leica/Alpine Award, präsentierte ihre Arbeiten in der Havas-Galerie und im Automobile Club de France. l e t i z i a l e f u r. c o m , m a r i e v a l a t . c o m

Bahn oder die Post fotografiert. Eine riesige Brille sitzt mitten in ih­ rem Gesicht und lässt es noch zarter und durchscheinender aussehen. Gerade ist sie aus Japan zurückgekommen, wo sie für die Kultur des Zen, der Gartenkunst und Teezeremonie betörend schöne Bilder fand. Schönheit, Ästhetik, das habe sie schon als Kind fasziniert. „Ma­ gritte hat mich lange beschäftigt: diese Doppelbödigkeit des Sichtba­ ren!“, erzählt die Pariserin, die an der École des Beaux­Arts von Tours Malerei studiert, bevor sie, „zermürbt vom Generalverdacht gegen die Postkarte“, in die Fotografie­Klasse von Valérie Belin wechselt. Nach dem Diplom arbeitet sie im Atelier des Schweizer Künstlers und Fo­ tografen Beat Streuli. „Myriaden von Gedanken führen zu einem Bild, aber auch der Moment, wenn flashartig klar wird, was sich längst im Unterbewusstsein vorbereitet hat.“ Le Fur überarbeitet die Chromie ihrer Bilder, entsättigt, verstärkt hier einen leisen Mauveton, verdun­ kelt den Himmel, intensiviert dort ein Rot, setzt es in Kontrast zu allerlei Grün. In ihrer künstlerischen Arbeit spürt sie den optischen Entsprechungen von Dingen, Formen, Farben, Volumina und Textu­ ren nach, setzt etwa Blattwirbel von Farnen, Zweige von Hängeze­ dern, Sukkulentenstelen und tropfnasse Haarsträhnen auf einer Kin­ derschulter in Beziehung. „Manchmal sehe ich diese Dinge erst bei der Nachbearbeitung der Fotos, erst dann erkenne ich ihre gemeinsa­ me Geschichte und kann die Erzählung weiterspinnen.“ Auf einem ihrer Bilder halten sich Ackerwinde und Faulbaum um­ schlungen, gerade so eng, dass jeder atmen kann, dass es aber auch kein Entrinnen mehr gibt. Auf einer Fahrt zum Mont Ventoux ist sie auf eine verlassene, mit wildem Wein überwucherte Tankstelle ge­ stoßen. „Darin hingen diese Beeren, elektrisch wie das Blau einer Streichholzflamme.“ Auf einem anderen Bild züngeln Kräuselmyrten in den Himmel: „Ein Gewitter hing noch in der Luft, es war, als ob die aufflammenden Blüten die Blitze ablösten.“ Manchmal fliegt ihr auch etwas zu. Wie der Baum am Zugfenster, der auf ihrem Foto wirkt, als habe er hundertjährige Wurzeln geschlagen. Oder der Engelsflügel, der in den gelben Blättern eines Baumes aufleuchtete. „Bevor das Licht erlosch und der Engel wieder im Himmel verschwand.“


M AT I S SE , P I C A S S O , MIRÓ . . . U ND D IE FRANZÖS I S C H EN G OBE L I NS

6 .12 . 2019–8. 3. 2020

Ausstellungspartner

Medienpartner

T H E AT I N E R S T R A S S E 8 | TÄ G L I C H 10–20 U H R A F T E R W O R K K H 15.1., 19.2.: 10–22 U H R Joan Miró, Komposition Nr. 2 (Detail), 1966, 3,73 × 1,69 m, Wolle, Manufacture des Gobelins, © Successió Miró / VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Foto: Mobilier national; Gestaltung: Schmid / Widmaier

Partner und Versicherer

Die Kunsthalle München ist ein Engagement der


Panorama

Foto: Gene Young/Smithsonian American Art Museum, © Heirs of Josephine Hopper/2019, ProLitteris, Zürich

Reise, Kunst und Bücher

Kitzel der Enttäuschung Gäbe es das Kino nicht, wir würden uns beim Betrachten von Edward Hoppers lonesome heroes wie Voyeure fühlen: Wir sehen ihnen zu, wie sie isoliert in starkfarbiger Kulisse auf etwas zu warten scheinen und nicht ahnen, dass sie beobachtet werden. Ob sich die Erwartung der Frau in „Cape Cod Morning“ (1950) erfüllen wird? Eher nicht, warnt uns wohlig unsere Filmerfahrung. Die Fondation Beyeler präsentiert den großen Lakoniker mit Aquarellen und Ölgemälden aus den 10er- bis 60er-Jahren. 26.1.–17.5. RK fondationb eyeler.ch

Redak tion Barbara G är tner und Florian Siebeck

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Panorama Reise

S tellen Sie sich vor: die Großtante, so um 1920. Zu der Sie ein-, zweimal am Wochenende in den Sommerferien durften.“ Tim Raue entlässt die Worte leise ins schummerige Dunkel des blauen Salons – hinter ihm der Heilige See, vor ihm ein rosa Röschenteller – und skizziert ein Bild wie aus einem Erich Kästner-Buch. „Eine hochherrschaftliche Villa, die so warm und herzlich ist, dass man sich sofort geborgen fühlt.“ So lautete das Briefing, das er vor anderthalb Jahren der Architektin und Interiordesigne-

Bruzkus und Raue (o.) haben dieses Jahr Zehnjähriges. Die Interiordesignerin gestaltete schon das erste Restaurant des Sternegastronoms in Kreuzberg. Nun kleideten sie und ihr Team die „Villa Kellermann“ (links der blaue Elefanten-Salon) neu ein.

Von wegen alte Dame! Günther Jauch wünschte sich eine gute Stube für die Potsdamer. Also bat er Tim Raue an den Herd und Ester Bruzkus zum Entwurf. Die schuf ein Interior wie eine Umarmung von Großmama. Tex t Sally Fuls

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Fotos Gregor Hohenberg


Sehen, wie es schmeckt, und schmecken, was man sieht! Klassisch, aber nicht historisierend sollte das Interior werden, genauso wie die Speisen. Also mischten Ester Bruzkus Architekten opulenten Samt von Dedar mit weicher Wolle von Kvadrat, Papageien von Gastón y Daniela mit delikaten Blüten von Backhausen. Das Leuchtenkonzept entwickelte PS Lab, die Tischoberflächen mit Salzverlauf das Berliner Designstudio Llot Llov. Die Elefantentapete (li. Seite) entwarf Estrid Ericson in den 30ern, die Stühle Hans Olsen in den 50ern.

rin Ester Bruzkus gab, als es um das Make­ Echt jetzt? Aber am Ende funktioniert es, over der „Villa Kellermann“ in Potsdam und zwar, indem man opulent wird.“ ging. Kurz zuvor hatte Günther Jauch das Opulent, aber nicht verschwenderisch. seit Jahren leer stehende Gebäude gekauft – Herzlich, ohne trutschig zu sein. Samtig, und wusste erst einmal nichts damit anzu­ nicht puffig. „Tim ist da ein gutes Vorbild. fangen. Nur eins war klar: Es sollte etwas Wie er Gerichte von der Oma mit seinem für die Potsdamer und Brandenburger wer­ eigenen Charakter neu interpretiert, ohne den, demokratisch und für jeden zugäng­ dabei zu historisieren. Unser Interior sollte lich. Irgendwann rief er Raue an, fragte genau wie seine Küche sein“, sagt Bruzkus. nach Rat und bekam ihn. „Ich dachte, das Auf der Karte stehen etwa Makrele Haus­ könnte die perfekte Fortsetzung von unse­ frauenart, die Raue leicht und würzig wie rem ‚La Soupe Populaire‘­Konzept werden“, Sashimi serviert, oder ein Gulasch aus Wa­ ein Restaurant, in dem der Sternekoch Ge­ gyu­Rinderbacken mit Süßkartoffeln und richte seiner Großmutter modern interpre­ Kumquats, das Chefkoch Christopher We­ tiert. Schaut man sich heute in der Villa cker einmal für ein Personalessen kochte: um, wird klar: Diese Dame lässt es krachen. „Das hat einfach alle umgehauen“, begeistert Die Wände teils roh und unverputzt, sich Raue. „Da dachte ich, das ist so, wie ich dann auf einmal bevölkert von weißen Ele­ mir die ‚Villa Kellermann‘ vorstelle – wenig fanten auf royalblauer Steppe. Pfauen und Trallala, überbordender Geschmack.“ Das Füchse, die auf geblümte Polster springen, butterweicher Samt in Zimtgelb und Papri­ kapulverrot, Panton­Stühle aus den 60ern E s ter Br u zk us vor gebatikten Holztexturen von heute. „Wie sieht es denn bei der Tante aus?“, frag­ te sich Bruzkus, bevor sie loslegte. „Da ist doch alles mix and match, es werden Dinge zusammengebracht, bei denen jeder denkt:

Interior ist also die Bühne für den Teller, so wie der Teller die Bühne für die Speise. Und der Mut zur moderaten Gemütlich­ keit wurde bereits belohnt. Denn im Unter­ schied zur Großtante kann man die Villa nur nach zweimonatiger Voranmeldung besuchen, so begeistert haben die Potsda­ mer und Berliner sie aufgenommen. Dabei hätte der Entwurf durchaus polarisieren können. „Für die Potsdamer war das ein Ort mit hoher emotionaler Verbundenheit“, meint Raue. „Aber die Leute liegen uns in den Armen, mit Tränen in den Augen. Weil wir etwas Warmes geschaffen haben, das auch in 100 Jahren noch funktioniert. Oh­ ne Hemmschwelle, aber mit viel Liebe.“ Mi.–Fr. 18–21.30 Uhr, Sa. und So. zusätzlich 12–14 Uhr. Reservierungen nur über villakellermann.de Das ganze Interview lesen Sie auf ad-magazin.de

„Das Dekorative kommt bei mir ganz zum Schluss, genau wie beim Essen auf dem Teller: erst die präzise Planung, dann das Anrichten.“ 93


Panorama Kunst

Rings um mich, der L채rm der Stadt

Die Motive interessierten ihn nur f체r den Moment, nicht f체r die Ewigkeit. Und doch sind die Pastell-Schnappsch체sse ein wichtiger Teil im Werk des Jahrhundertmalers Adolph Menzel.


Er sei „sehr viel, um nicht zu sagen, alles; zumindest ist er die ganze Arche Noah“, schrieb Theodor Fontane über Adolph Menzel (u. im Jahr 1904). Der zeichnete links- wie rechtshändig gleichermaßen virtuos. Links die „Hand des Künstlers mit Farbnapf“, eine Gouache von 1864. Li. S.: „Zwei Badegäste an der See“, 1851.

Tex t Anna Ahrens

Fotos: Dietmar Katz/© Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett; Jörg P. Anders/ © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett; Jacob Hilsdorf/© Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv

C harles Baudelaire schrieb 1855 sein Gedicht „À une Passante“, an eine Passantin, die ihm in der Pariser Menschenmenge aufgefallen war. Der Anblick der Schönen traf ihn wie das Glücksversprechen einer neuen Liebe. Einen Wimpernschlag später war sie im lärmenden Gedränge wieder entschwunden. Der coup de foudre blieb einseitig. Für den umherschweifenden Dandy aber war es ein erfüllter Augenblick im anonymen Großstadtleben. In den „Fleurs du Mal“ veröffentlichte er seine Hymne an die Unbekannte – der Gedichtband wurde zur Ikone moderner Großstadtlyrik. Adolph Menzel mag Baudelaire, den Freund Édouard Manets und Autor des „Peintre de la vie moderne“, bestenfalls aus Kunstjournalen gekannt haben. Die rund 100 Werke, die das Kuratorenteam Anna Pfäfflin, Claude Keisch, Werner Busch und Georg Dietz nun in einer inspirierenden Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinett versammelt hat, führt Menzels Qualitäten als moderner Großstadtlyriker vor Augen: „Menzel. Maler auf Papier“ lautet der Titel der Schau, deren Blätter aufregender, überraschender, sinnlicher, zuweilen auch verstörender und exzentrischer, dann wieder intim vertrauter kaum sein könnten. Zu sehen sind weder die berühmten Gemälde des Jahrhundertmalers noch die „prä-impressionistischen“ Ölstudien, die nach wie vor begeistern (um auch die zu sehen, reicht ein kurzer Spaziergang zur Alten Nationalgalerie auf der nahe gelegenen Museumsinsel). Was es im Kupferstichkabinett zu entdecken gibt, das sind Menzels Malereien auf Papier – Aquarelle, Pastelle, Gouachen,


Panorama Kunst die einen eigenen Kosmos innerhalb seines Werks eröffnen. Frei von marktgerichteter Stringenz zeigen sie Motive und Ausdrucksweisen, die im Ölgemälde nicht darstellbar wären. Die farbigen Improvisationen, alltäglichen Blitzbeobachtungen, absichtslosen Studien, Fragmente, Experimente und Kompositionen schärfen unsere Sinne. Sie nehmen uns mit in die Wahrnehmungs- und Schaffenswelt eines grandiosen Künstlers. 1855 reiste der 40-jährige Menzel erstmals nach Paris. Die Seine-Metropole, die zur Weltausstellung und Kunst-Schau der Superlative geladen hatte, konfrontierte ihn mit modernsten Errungenschaften, aber auch städtischem Chaos. Für Menzel war Paris ein „modernes Babylon“, wie er in einem Brief an Friedrich Wilhelm Puhlmann schrieb, eine sämtliche Sinne erschütternde Erfahrung, die nicht ohne Wirkung auf sein Schaffen blieb. Ein großformatiges Pastell, das Menzel noch im selben Jahr malte, steht im Zentrum der Ausstellung: ein unentdecktes Meisterwerk, das jüngst für die Sammlung erworben werden konnte (ein Glücksfall, denn nur selten gelingen Museen heute noch so bedeutende Ankäufe). Das Blatt thematisiert das Freizeitverhalten moderner Großstädter, wie es auch in Berlin Einzug gehalten hatte. Die Mode des Schlittschuhlaufens machte den winterlichen Tiergarten mit seinen vielen Wasserläufen zu einem wahren Eislaufparadies. Nichts jedoch lag dem Realisten ferner als eine romantisch verklärte Darstellung. Menzel zeigt eine schier unüberschaubare

Menschenmenge, die invasionsartig wie aus einer geheimen Quelle im Dickicht des schneeumstöberten Stadtparks auf uns zuströmt. Die pudrig-flüchtige Konsistenz der Pastellkreide unterstreicht die witterungsbedingten Orientierungsschwierigkeiten ebenso wie das transitorische Moment jener dahingleitenden, rutschenden und stolpernden Menschenmasse. Nach und nach schält das Betrachterauge amüsante wie brisante Details heraus. Das Bruchstückhafte, Situative, Flüchtige erhebt Menzel selbstbewusst zum bildwürdigen Gegenstand moderner Malerei. Es sind die Aquarelle, Pastelle und Gouachen, in denen Menzel die Grenzen der Malerei bis in die äußersten Extreme auslotet. Die spannende Frage, wann und wofür er welche Technik einsetzte, lenkt den Besucher durch Menzels Bildwelten. Farbige Kreiden etwa nutzte er immer für autonome Arbeiten, nie für Vorstudien zu etwas anderem. Sie sind stets figürlich, aber fragmentarisch, oft in aphoristischer Zuspitzung einer spontanen Beobachtung. Im Zugwaggon begegnen wir einem Paar, das sich eine Sitzbank teilt, von Menzel aber auf zwei getrennten Blättern porträtiert wird. Sie schaut demonstrativ aus dem Fenster. Er lehnt sich zurück und gähnt uns ungeniert an. Entfremdung gehört nicht nur zu den Gefahren des Ehelebens, sondern auch der modernen Zivilisation. Nichts anderes verraten die beiden städtisch gekleideten Badegäste auf Rügen. Während der linke Herr offenbar mit einem Fernglas aufs Meer hinausschaut, fragt sich sein Nachbar, was es denn da

Sie teilen sich eine Sitzbank – und sind doch getrennt. Über 70 Jahre galt die „Dame im Coupé“ von 1859 zudem als vermisst, nun ist sie wieder mit dem beherzt gähnenden „Herrn im Bahnabteil“ im Zug und in der Sammlung vereint. Adolph Menzel greift hier genau wie bei den Schlittschuhläufern (rechte Seite u.), die als Großstädter ihre Freizeit genießen, Motive der Moderne auf, wie Beschleunigung und Entfremdung. Re. Seite oben: „Drei Rüstungen und zwei Helme“ von 1866.


Adolph Men z el

„Wäre ich ein Großmaul, so würde ich sagen, ich habe das Aquarell verworfen, weil die Farbe verbleicht.“ de Farben die „Lichter“, das strahlende Weiß des Papiertons, umspielen. Um 1860 legt Menzel die Pastellkreiden, um 1865 die reinen Aquarellfarben zur Seite. In den ver­ bleibenden 40 Schaffensjahren dominieren Gouache und Mischtechniken seine Arbei­ ten auf Papier. Die Suggestionskraft dieser Malverfahren übersetzt Menzel in ein bild­ starkes, sogar serielles Bekenntnis zu Frag­ ment, Inspiration und Mehrdeutigkeit. 1864 malt er seine berühmte „Hand des Künstlers mit Farbnapf“ – ein starkes Zeug­ nis und Selbstbild des beidhändig Begab­ ten, der in fast schon fotorealistischer Manier seinen virtuosen Umgang mit Deckfarbe demonstriert. Es ist das Hier und Jetzt, dem Menzel in seinen privaten Arbeiten sein ungeteiltes Augenmerk schenkt. Das Motiv interessiert – für den Moment, nicht für die Ewigkeit. Durch die Tonart aber und die Wahl der maltechni­ schen Mittel, so zeigt diese Ausstellung eindrucksvoll, verwandelt er eine spontane Beobachtung nicht selten in eine Abbrevi­ atur der ihn umgebenden Welt.

Fotos: Dietmar Katz/© Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett (2); Jörg P. Anders/© Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett (2)

„Menzel. Maler auf Papier“ bis zum 19.1. im Berliner Kupferstichkabinett, Katalog: Michael Imhof Verlag. Auch nach der Ausstellung kann man sich die Ar­ beiten im Studiensaal vorlegen lassen. smb.museu m

so Interessantes zu gucken gebe. Sein Hut strahlt gelb wie die Sonne selbst, Wind bauscht sein himmelblaues Jackett und gibt den Blick auf sein Gesäß frei. Immer geht es auch um den Vor­ gang des Sehens und dessen malerische Umsetzung. Menzels leuchtintensive Farbakzente in den Lieblingstönen der Epoche sind dabei schon für sich eine Freude: Türkis, Giftgrün, Hell­ blau, Lachs, Zitronengelb. „Flüssige Farbe“ nutzt Menzel hingegen „für alles, was mit Luft zusammenhängt“, das schrieb er seinem Freund Carl Ar­ nold. Virtuos weiß er ephemere Phänomene wie Luft und Licht, aber auch Rauch, Qualm und Hitze in abstrakt flirrende, trans­ parente Aquarellmalerei umzusetzen, deren ineinanderfließen­ Die Menge wogt, braust und stolpert auf dem Neuen See im Tiergarten herum. Ganz in der Nähe, in der Sigismundstraße, war Adolph Menzels letzte Wohnung. Das große Pastell „Die Schlittschuhläufer“ (1856, re.) ist ein spät entdecktes Meisterwerk und wichtige Neuerwerbung des Kupferstichkabinetts.

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Panorama Kunst Zeit, dass sich was dreht Das Bauhaus, fand Naum Gabo schon 1928, verwandle Gegenstände in Götzen. Und der endlose Bauhaus-Geburtstag 2019 führte vor, welch Prophet der weit gereiste Bildhauer war, der nur ein Jahr am Bauhaus lehrte. Aber wie das so ist mit den Ahnungsvollen – Anerkennung bekommen sie kaum. Nun feiert ihn die Tate St Ives und zeigt auch „Linear Construction No. 2“ (1970–71, u.). 2 5 .1 .–3 . 5 ., tate.org.uk

Von Frankfurt aus reist sie seit 15 Jahren um die Welt, die Idee (und die Inszenierung), dass die Antike nicht nur marmorweiße Anmut war, sondern, ja, farbenfroh, wie der missonizackige „Paris“ (o. eine Rekonstruktion von 2005). Nun kehrt die Schau, größer und bunter, ins Liebieghaus zurück. 3 0.1 .–3 0. 8 ., liebie ghaus.de

Wer wird denn weinen, wenn man auseinander geht … Wohltemperiert soll der Mensch heute sein, Gefühle gehören reguliert, die Atmung zurechtmeditiert. Für Wut, Pein, Trauer ist vielleicht noch die Kirche zuständig – oder die Kunst. Die Hamburger Kunsthalle widmet mit „Trauern. Von Verlust und Veränderung“ (links Anne Colliers „Woman Crying“, 2019) den unzeitgemäßen Gefühlen nun schon die dri e Ausstellung. Seufz! 7. 2 .–14 .6 ., hamburger-kuns thalle.de

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Redak tion Barbara G är tner

Fotos: Liebieghaus Skulpturensammlung; The Work of Naum Gabo © Nina & Graham Williams / Tate, 2019; © Anne Collier, Courtesy of the artist and Anton Kern Gallery / New York, Galerie Neu / Berlin, Gladstone Gallery / Brussels, and the Modern Institute / Toby Webster Ltd. / Glasgow

True Colors


Panorama Bücher

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Cover- und Innenabbildungen: Vendome Press; Anna Maconi; Scheidegger & Spiess; Herling / Herling / Werner, Sprengel Museum Hannover; © Angela Abbo, Brighton; Wienand; © Kelly Wearstler: Evocative Style, Rizzoli New York (2)

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3 Leseprobe Redak tion Oliver Jahn und Florian Siebeck

1 Artsy Francis Sultana hat ein Händchen dafür, Kunst so zu präsentieren, dass sie mit einem Raum harmoniert – und ihn nicht dominiert. Sein zehnjähriges Jubiläum feiert er mit einer Retrospektive in Buchform und mit einer Kollektion zu Ehren seiner Mu er: „Schließlich war sie, wenn man so will, meine erste Au ra eberin.“

2 Alpin Dass Designer aus dem Alpenraum den progressivsten Strömungen der Moderne gegenüber keinesfalls abgeneigt waren, bewies der Trentiner E ore So sass. Auf der Suche nach eigener Identität entstanden in der Region (Süd-)Tirol / Trentino aber auch weniger bekannte Produkte wie das Motorrad „Capriolo 75 Corsa“ g. o.

3 Avantgarde Erst vor wenigen Jahren wurde das Werk des jüdischen Bildhauers Jussuf Abbo (1888– 1953) wiederentdeckt – ein Mann, der die Goldenen Zwanziger mit sensibel modellierten Frauenköpfen und expressiven Papierarbeiten prägte. Im Exil wird er später vergessen; nun rehabilitiert Dorothea Schöne den einst gefeierten Künstler.

4 Apart Kelly Wearstler, Grande Dame des Eklektizismus, mischt Geschichten und Farben, Muster und Texturen zu Räumen voller Tiefgang weit über ihr eigenes Haus hinaus (oben links der Powder Room mit „Utrecht“Sesseln von Gerrit Rietveld). Ein neues Kompendium ehrt den eigenwilligen Stil der Kalifornierin in all seiner Pracht.

Francis Sultana: Designs & Interiors. Vendome Press, 256 S., 50 Pfund.

Design from the Alps: 1920–2020. Scheidegger & Spiess, 460 S., 48 Euro.

Jussuf Abbo. Wienand, 208 S., 38 Euro.

Kelly Wearstler: Evocative Style. Rizzoli, 256 S., 55 Dollar.

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Tex t Florian Siebeck

Über den Dingen Bhutan, das letzte Königreich im Himalaya, blieb der Welt lange verschlossen. Nun eröffnet „Six Senses“ fünf Lodges über das Land verteilt: an Orten, die den Lauf der Zeit vergessen lassen.

Vom Nebel umarmt: Drei Stunden dauert der Fußmarsch zum Tigernest, dem wohl berühmtesten Kloster Bhutans. Taktshang, wie es in der Landessprache heißt, liegt auf schwindelerregenden 3120 Höhenmetern über dem Tal von Paro und wurde 1692 von Mönchen gebaut. Heute dürfen es auch Touristen besuchen.

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Panorama Reise

Weltvergessen: Im „Six Senses“ in Paro finden Gäste nach der langen Wanderung zum Tigernest in einer das Tal überblickenden Badewanne Ruhe. Doch auch die Begegnungen mit Mönchen (unten während einer Zeremonie im Kloster Samtenling) sorgen für Momente der Einkehr.

Fotos: Forian Siebeck; Kiattipong Panchee (2)

W er hat das Tigernest nur auf diesen Fels gesetzt? Mit jedem Schritt des stundenlangen Fußmarsches wachsen die Zweifel, ob es dieses sagenumwobene Luftschloss wirklich gibt. Durch die Baumwipfel kriecht der Nebel, die Luft ist dünn; 800 Meter geht es steil bergauf, Hunderte Stufen hinab und Hunderte wieder hinauf. Plötzlich, ganz plötzlich lichten sich die Wolken, und auf einem schmalen Felsvorsprung über dem Tal von Paro thront das schneeweiße Kloster wie ein Adlerhorst. Fromme Mönche haben es im Jahr 1692 auf eine Nase der steil aufragenden Felswand gebaut, um Guru Rinpoche zu ehren, der den Buddhismus nach Bhutan gebracht hat. Drei Jahre, drei Monate, drei Wochen, drei Tage und drei Stunden soll er hier oben in einer Höhle meditiert haben, immerhin ohne die Mühen des Aufstiegs – der Guru sei von Tibet aus auf dem Rücken eines Tigers hergeflogen, heißt es. In den weiß gekalkten Höhlen des Tempels errichteten die Mönche mannshohe Statuen seiner Würden, die Rinpoche Dämonen und

Geister bezwingen lassen. Die Stille wird nur hie und da vom Murmeln einiger Mönche durchbrochen, die stoisch mit wippendem Oberkörper ihre Mantras in die weihrauchgeschwängerte Luft hinaustragen. Bis vor Kurzem war Nichtbuddhisten der Besuch des Klosters verwehrt. Überhaupt hatte das Königreich Bhutan sich bis ins 20. Jahrhundert hinein von der Außenwelt weitgehend abgeschottet. Nur durch Trampelpfade war das von hohen Felswän-

den beschützte Land mit der Außenwelt verbunden. 1961 kam die erste Straße, 1974 die ersten Touristen. Seit 1983 gibt es einen kleinen Flughafen, der in ein derart zerklüftetes Tal gebaut wurde, dass nur eine Handvoll Piloten ihn anfliegen können. Bhutan hatte bislang kaum Ambitionen, sich weiter zu öffnen. Wie es schiefgehen kann, sehe man ja in Nepal. (Selbst das Bergsteigen ist in Bhutan verboten, es gibt hier noch unbestiegene Siebentausender.


Panorama Reise

Himmel und Erde: Von Bergbächen durchlaufene Reisfelder (o.) ziehen sich durch das Land. Die Natur ist ein maßgeblicher Teil des Designs, wie o. re. und unten im „Six Senses“ in Thimphu. Für die Böden und (Wolken-)Decken wurde Holz der Hemlocktanne aus dem Himalaya verwendet.

Doch über 6000 Meter wohnen die Göt­ Hochdeutsch, weil er in Stuttgart gelebt ter.) Mindestens 250 Dollar am Tag müs­ hat. Wirklich gute Hotels gab es trotz stei­ sen Besucher im Königreich lassen, bekom­ gender Besucherzahlen bis zuletzt wenige. men im Gegenzug aber ein Inklusivpaket Deshalb nahm sich Dasho Sangay Wang­ samt Unterkunft, Verpflegung und Guide. chuk, der Schwager des Königs, vor, das Unserer heißt Galey und spricht fließend „schönste Hotel im ganzen Land“ zu bauen. Es sind dann gleich fünf geworden. Als Hotelbetreiber holte er mit „Six Senses“ ei­ ne Marke dazu, die nicht nur für ausge­ zeichnete Spas bekannt ist, sondern sich auch fernab jedes ostentativen Luxus be­ wegt – sie lässt der Natur selbst gestalte­ rischen Raum. „Als ich die Bauplätze das erste Mal betrat, war ich überwältigt“, sagt Apiwat Anukularmphai, der als Designdi­ rektor von Six Senses die Gestaltung der Lodges verantwortete. „So ruhig, so fried­ lich – die Luft so frisch.“ Schon die erste Lodge hoch über der Hauptstadt Thimphu ist grandios: weiße Steinmauern, Schindeldach. Der Blick fällt durch die raumhohen Fenster des Haupt­ hauses auf einen Pool, der wie ein Spiegel daliegt und das Blaugrau des Himmels zeigt. In der Mitte schwebt ein Gebetspa­ villon wie auf Wolken – „Palast des Him­ mels“ wird das Hotel genannt. Zu Recht. Ein Projekt dieser Größenordnung in Bhutan umzusetzen war nicht einfach. Im­ mer wieder verzögerte sich der Bau. Doch trotz aller Schwierigkeiten, sagt Anuku­ larmphai, sei es vergleichsweise leicht ge­ wesen: „Die Seychellen sind schön, aber außer warmem Wasser und Sonne gibt es dort nichts“, sagt er. „In Bhutan schöp­ fen wir aus dem Vollen; aus der Kultur, der Geschichte, der Architektur.“ Als Blaupau­ se dienten nicht nur die majestätischen Festungen und Tempel, sondern auch ein­


Fotos: Kiattipong Panchee (3); Florian Siebeck (2)

Bei einem Ausflug ins Talaka-Kloster (re.) in der Nähe von Thimphu können Hotelgäste mit jungen Mönchen ins Gespräch kommen. Bis heute geben viele Bauern ihre Kinder in die Obhut von Klöstern, um ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen. U.: Badezimmer im „Six Senses“ in Paro.

fache Bauernhäuser, die wie alle Gebäude in Bhutan per königlichem Dekret in traditionellem Fachwerk errichtet werden müssen. „Es ist beeindruckend, wie selbst einfache Landwirte ihre Häuser bauen: perfekt proportioniert, kunstfertig verziert, fantastisch eingerichtet.“ Die zweite Lodge in Punakha erinnert an ein Bauerndorf. 16 Suiten verteilen sich auf vier buttermilchgelbe Gebäude, die auf sattgrüne Reisterrassen und bewaldete Berge ausgerichtet sind. Am erstaunlichsten aber zeigt sich die Kunstfertigkeit der Baumeister in der Lodge in Paro, wo die Steinmauern des Hauptgebäudes, genau wie die Ruine der benachbarten Klosterfestung, vollständig von Hand gebaut wurden. „Wir haben wie im 12. Jahrhundert gearbeitet“, sagt Anukularmphai, „und jeden Stein einzeln in die richtige Form gemeißelt und anschließend gestapelt.“ Entrückt kommt einem das Land vor, wenn man die insgesamt fünf Lodges (eine weitere wurde gerade in Gangtey, der Heimat der Schwarzhalskraniche, eröffnet; die letzte wird im Herbst in den Wäldern von Bumthang fertiggestellt) besucht. Selbst die Hotels strahlen eine klösterliche Ruhe aus. An den Straßen mahnen Schilder: „No hurry – no worry“, überall erinnern weiße Fahnenstangen an Verstorbene. Es sind Mahnmale der eigenen Vergänglichkeit im ewigen Kreislauf des Lebens. Die „Six Senses“ bieten sogar Gespräche mit Astrologen, die in Bhutan bei allen wichtigen Entscheidungen zurate gezogen werden. Es gibt energetisch aufgeladenes Kristallwasser, Meditationen zum Sonnenaufgang und ein Frühstück mit jungen Klosterschülern. Vor der Abreise empfangen wir noch den Segen eines Lamas, Weihwasser für eine sichere Heimkehr. Künftig können sich die Besucher von Bhutans Sanftmut beseelen lassen. Und Guru Rinpoche folgen. Der hat schließlich einmal gesagt: „Es gibt keinen Weg zum Glück – Glücklichsein ist der Weg.“

Apiw at A nu k u l a r mph a i

„Das Land Bhutan ist so reich an Kultur, Geschichte und Architektur, dass es ein Segen war, an diesem Hotel zu arbeiten.“

Buchbar u. a. über Windrose als Rundreise „Himalaya – hoch und heilig“ (zehn Nächte inkl. Verpflegung und Flug ab 9990 Euro), Tel. 030 20172133. w ind rose.de

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Panorama Reise

Buongiorno, Francoforte! Kaum denkbar, dass im „Ameron Frankfurt Neckarvillen Boutique“-Hotel zwischen Bahnhofs- und Bankenviertel (DZ ab 155 Euro) vor Kurzem noch fade Büros untergebracht waren: Designer Luigi Fragola lässt die Räume mit Stoffen von Rubelli italienische Grandezza atmen. Im Souterrain logiert das „Le Petit Royal“, die kleine Schwester des Berliner „Grill“. ameronhotels.com

Tokio in bester Gesellschaft Ein Ryokan, in dem sich früher Geishas in der hohen Kunst der Konversation übten, ist heute das wohl nobelste Gasthaus Japans: Im „Trunk House“ (ab ca. 4150 Euro) stehen den bis zu vier Gästen nicht nur Butler und Koch zur Seite, es gibt auch eine eigene Karaokebar. trunk-house.com

Seit der Übernahme des vormals eher auf Beständigkeit setzenden Kölner Kofferherstellers Rimowa durch den französischen Luxuskonzern LVMH hat der neue CEO Alexandre Arnault (oben) vieles auf den Kopf gestellt: Er kooperierte mit Fendi, Supreme und Ola r Eliasson – und bietet nun auch personalisierte Koffer an. Denn wenn sich Autos und Kleidung konfigurieren lassen, findet Arnault, gehe das doch auch mit Reisegepäck: Über „Rimowa Unique“ lassen sich die klassischen Aluminiumkoffer des Herstellers mit verschiedenen Griffen und Rollen zusammenstellen. rimowa.com

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Redak tion Florian Siebeck

Fotos: Robert Rieger; Rimowa (2); Tomooki Kengaku (2)

Bunt rollt sich’s besser


ROOMERS-MUNICH.COM


shop.vogue.de


Leben

in Berlin, Kopenhagen, Ojai, Melbourne, London und München

Sonnenflecken

Foto: Simon Upton

„Ich war das nicht!“, jammert Chlodwig beim Rorschachtest in „Der kleine Nick“. Auf das Klecksbild in Londons klassizistischer Wohnanlage Albany könnte er stolz sein: Mit ihm gab Francis Sultana seinem Blauen Salon jene rohe Energie, die neue Geniestreiche provoziert. Doch wer war's denn nun wirklich? Der Maler Christopher Wool. RK

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Süden ist da, Tex t Simone Herrmann Produk tion Giuseppe Porcelli Fotos B eppe Brancato

„Samt, Messing, Lack“ sind Dimore Studios SignatureMaterialien. Dazu gesellen sich im Schlafzimmer des Hausherrn Marmor (Mangiarottis Alpe Verde-Tischchen „Eros“, die Appliken „CP1“ von Charlotte Perriand, Bett von Mannsdörfer) und im Salon (rechte S., mit VintageRattandaybed und Ingo Maurers „Uchiwa Fan Lamp“) die Wandbespannung „Jungle Weave One“ von Federica Perazzoli für Dimore Studio.


wo es schön ist!

Berlin

Nämlich im farbglühenden Apartment, das Dimore Studio für eine junge Familie in Berlin entwarf. Italienische Momente inklusive. 109


Im lackroten Schimmer feiern Dominionis AzucenaStehleuchte „Doppio Pallone“, die Rattanstühle von Janine Abraham und Dirk Jan Rol (über Frank Landau, Berlin), Holly Hunts Sofa und Gio Pontis blaue Samtsesselchen eine Midcentury-Party. Das Eichenparkett legte die Freiburger Firma Replicata aus alten Leisten neu auf, Teppiche von Dimore Studio.

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D er Hausherr

„Unsere Wohnung heißt alle willkommen. Nur mein Vater sagte: Wozu so viele Stühle, du kannst doch gar nicht auf allen sitzen!“


Interkulturelle Reihung: Über dem mit altrosa Seide bezogenen Bett­ haupt von Dimore Studio (geht re. weiter und nimmt die ganze Wand ein) im Schlaf­ zimmer der Hausherrin schwebt eine zarte Fotoarbeit von Bohn­ chang Koo, die mit der Venini­Applik über der belgischen Art déco­ Lackkommode flirtet.

Ankleide unter Palmen: Der Gang zum Schlaf­ zimmer der Hausherrin (siehe o.) ist als Dressing gestaltet. Durch die Tür mit goldschimmern­ der Messingfüllung ge­ langt man rechts ins Bad. Auch draußen ist es grün: Die Baumkronen des Innenhofs grüßen zum Fenster herein. Tep­ pich: Dimore Studio, Grafik von Gerhard Wind.


Wer da nicht Appetit bekommt! Um den Küchenblock aus Messing und die millimetergenauen Einbauten kümmerte sich die Architektin der Zeitgeist Group Apameh Ruckert. Unter der raumhohen Standleuchte von Dimore Studio sonnen sich die ockersamtigen „Angolo“-Sesselchen von Corrado Corradi Dell’Acqua für Azucena.


Die Haush errin

„Fernsehturm, Spree, Bode-Museum. Wahrscheinlich haben wir Berlins schönste Aussicht!“

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Nomen est omen: Azucenas Esstisch „Riunione“ verrät, worum es in der Bibliothek und auf Azucenas Sofa „Sant’ Ambrogio“ geht: Beisammensein! Das Licht perlt in den Kugeln der Leuchte „Grappolo“, und die VeniniWandleuchte untermalt jeden Roman, der im maßgefertigten Dimore-Regal aus Messing und Holz steht. Auch wenn der Hausherr Hörbücher bevorzugt.

D raußen flattert ein rot-weißes Absperrband im Wind, in den Pfützen spiegeln sich Baukräne. Die Kuppel des Bode-Museums und die ehemalige Frauenklinik der Charité, ein Bau im International Style, versinken in Berliner Grau. Historismus und Bauhaus. Das Flair eines Fontane-Romans, altberlinisch und nobel, mischt sich hier mit dem Dogma der klaren Linie, mit den visionären 20er-Jahren – und mit dem Baustellenchaos der ewig unfertigen, nach ihrer Bestimmung suchenden Stadt. Seit Jahren wird auf dem Terrain des Investors Ernst Freiberger gebaut, instand gesetzt, renoviert. Ein charismatischer Ort im Herzen Berlins, ein bekannt-unbekannter Ort, sehr diskret. Wer wohnt hier, und wie? Gleich neben der einstigen Frauenklinik von Walter Wolff, ein paar Treppen höher, öffnet sich eine Tür. Farbe flutet heraus. Ein blasses Rosa zuerst, Puderblau, Marmor- und Messingschimmer, nebliges Blau, dann ein Campari-Rot, tief und warm und südlich. Grüne Ranken rekeln sich auf den Wänden, Tapetenpalmen rauschen, ein Dschungel öffnet sich, grüne, luftige Kammern in den weiten leuchtenden Farbräumen. Bernsteinfarbener Samt liebäugelt mit Pistazien- und Dunkelgrün, Paneele aus geriffeltem Nussbaum und grüner Alpe Verde-Marmor lassen an Mailand denken, an die holzgetäfelten Kaffeebars und Geschäfte in der Via Montenapoleone, elegant, voller Nostalgie und doch so fashionable, so international! Durchdrungen von Kultur, von der Ästhetik eines Gio Ponti, Carlo Scarpa, Luigi Caccia Dominioni. Neu er-


Mailand, Midcentury! Im Entree (oben) geben Gino Sarfattis Leuchter, das Garderoben- und Vitrinenmöbel aus geriffeltem Nussbaum (li.) und Mangiarottis Marmortisch „M1“ den Ton an. Auch im Bad des Hausherrn (re., mit Sven Mejlstrøms SixtiesApplik und Messingarmaturen von Lefroy Brooks) entflammen Paneele aus Mailänder Nussbaum den Alpe Verde-Marmor.

zählt von Dimore Studio, von Emiliano Salci und Britt Moran, die in diesen weiten Räumen Art déco-Flair, Bauhaus-Farben, den glossy Look der Achtzigerjahre mixten und alles mit ihrem Form- und Farbensinn aufluden. Alla milanese. „Mailand war unsere Inspiration“, erklärt die Hausherrin, und ihr blondes Gesicht leuchtet auf. „Wir lieben diese Stadt, ihre Noblesse.“ Genau diese Atmosphäre habe sie sich gewünscht, als sie und ihr Mann dort mit Salci und Moran beim Lunch saßen. „Wir wünschten uns ein südlicheres Lebensgefühl für Berlin, mehr Wärme.“ Das Dimore-Gefühl eben. Seit über zehn Jahren gilt der betörend facettenund gedankenreiche Eklektizismus der beiden Designer als State of the Art im Interiordesign. „Wir oszillieren zwischen Design, Architektur, Mode, Kunst, sind in ständigem Dialog zwischen einst und jetzt“, erklärt Emiliano Salci. „Wo kommen wir her, wo wollen wir hin? Diese Fragen versuchen wir in allen Interiors für unsere Auftraggeber zu spiegeln.“ Detailverliebt

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wie ein Visconti-Filmset. Imposant. Und doch keine Fassade, immer spinnen Salci und Moran geheime Fäden, die Bewohner und Orte verbinden. Manchmal, erzählt Salci, würden die Orte „übergriffig“, so hätten einige ihrer Stoff- und Teppichentwürfe in Berlin plötzlich Bauhaus-Geometrien, die Lackfarben David BowieAppeal bekommen, selbst das neblige Blau habe in Berlin weniger nach Ponti als nach Schlemmer ausgesehen, sagt Salci, der tagelang an Farb- und Materialkombinationen tüftelte, immer die brennende Zigarette in der wild gestikulierenden Hand. Grün, Blau, Ocker, Rot. Dass dabei auch Reibung entstand, gehöre dazu, meint der Designer. Nur wenn man innerlich Torten werfen will, fühlt es sich richtig an. „Das“, erklärt der Hausherr, könne er auch von „unserem Umzug nach Berlin sagen: Es fühlte sich richtig an.“ Aus kleinen Anfängen hat er seine Unternehmen Liganova und die Zeitgeist Group von Stuttgart aus zu Weltgeltung geführt. Ein Visionär, der Räume im digitalen Zeitalter

neu definiert. 2017 beschloss er gemeinsam mit seiner Frau, nicht nur den Firmensitz der Zeitgeist Group in Wolffs atemberaubend klarliniger Frauenklinik einzurichten, sondern auch den Lebensmittelpunkt der Familie, die zwischen Deutschland, dem Engadin und Ibiza pendelt, nach Berlin zu verlegen. „Wir wollten, dass Arbeit und Privates hier ineinanderfließen, wünschten uns Räume zum gemeinsamen Arbeiten mit Freunden und Mitarbeitern.“ So entstanden die Bibliothek, das Studio, die beiden großen Salons, einer mit Bar, auch die Küche – alles offen und einladend, während die beiden Master-Suiten ganz den Hausherren gewidmet sind, charakterstark und subtil. Aber natürlich habe auch der Geist der Stadt Einfluss auf die Gestaltung des Apartments gehabt. „Berlin ist auf Sand gebaut“, sagt er, „alles bewegt sich, interagiert, das macht sie so modern. Neue Menschen kommen – so wie wir. Alle bringen ihre eigenen Geschichten und Träume mit, verankern sich neu im Kosmos dieser Stadt, nichts ist festgefügt, alles


eklektisch, das ist eine Chance, aber auch Momente, in denen mir die Tränen in den eine Verpflichtung. Wir leben und arbeiten Augen standen. Aber auch vor Freude.“ an einem geschichtsträchtigen Ort, dessen Etwa als der Küchenblock endlich stand. Niveau wir entsprechen, an dem wir aber Ein Jahr lang war Ruckert immer wieder auch unsere Spuren hinterlassen wollen.“ nach Wien zum Hersteller, dann in die slo„15 Monate hat es gedauert, bis die Woh- wakische Manufaktur gefahren, um dort nung bezugsfertig war“, erzählt Apameh nach dem Rechten zu sehen. Heute steht er Ruckert, Architektin der Zeitgeist Group. da, kostbar und funktional zugleich. „Das war genau unsere Timeline.“ Die StuttDie Hausherrin zieht eine der ledervergarter Neuberlinerin mit iranischen Wur- kleideten Schubladen auf und lässt sie mit zeln hat es meisterhaft verstanden, den äs- dem prickelnd leisen Klick einer Rollsthetischen Anspruch von Dimore Studio, Royce-Tür wieder einrasten. „Schönheit“, aber vor allem den der Hausherren in die sagt sie, sei hier aus der Sorgfalt, die im Praxis umzusetzen. „Aber finden Sie mal kleinsten Detail, in jedem Möbel steckt, geeignete Handwerker, ganz neu in Berlin.“ entstanden. Die Freude darüber ist ihr am Was also tun, wenn im Salon zwar die Gesicht abzulesen. Über die Pflanzkübel Wandbespannung hängt und das Eichen- aus gelacktem Ziegenleder von Aldo Tura parkett fischgratig verlegt ist, aber das etwa, die sie in Mailand entdeckt hat, oder Messing-Headboard des Betts nicht ins die belgische Art déco-Kommode in ihrem Schlafzimmer der Hausherrin transportiert Schlafzimmer, „einiges habe ich ersteigert, werden kann? „Durchs Fenster, ja klar“, aber vieles auch bei Frank Landau in FrankRuckert rudert mit den Händen. Aber wenn furt gesehen. Es fehlen noch einige Dinge, es nun mal partout nicht durch den bereits aber unser Wunsch nach einem einladencharmant tapezierten Palmen-Gang des den Ort ist in Erfüllung gegangen. Dieser Dressingrooms und noch weniger durch Platz hier“, sagt sie und zeigt auf die die schmale Tür passt? Tür vergrößern, „Angolo“-Sesselchen von Azucena, die sich Messingfüllung raus … „Ach, es gab schon ockergelbsamtig im Schein der raumhohen

Dimore-Standleuchte wie unter einer Höhensonne aalen, „ist dauernd besetzt. Vielleicht weil sie so nah am Küchenblock stehen.“ Vielleicht auch, weil die Küche selbst aussieht, wie Italien schmeckt: fruchtrot, sonnendurchglüht. „Mein Mann führt seine Firmengespräche sehr oft an der Bar im Salon, neulich saß er mit einem Geschäftspartner sogar im Powder Room, weil dem die Nussbaumpaneele so gefielen! Selbst unsere kleine Tochter versucht immer, auf Stühle zu klettern, wenn sie uns mal entwischt.“ Nur sein Vater habe den Kopf geschüttelt, erzählt der Hausherr. „Was brauchst du denn so viele Stühle?“, sagte er zu mir. „Du kannst doch nur auf einem sitzen.“ Wofür? Um das alles zu genießen, den Samt eines Azucena-Sessels unter den Fingerspitzen, das hauchzart gefältelte Licht aus einer Venini-Leuchte, die Allure eines Mangiarotti-Tischchens, fein wie eine Marmorskulptur, das Zusammenspiel von Messing, Marmor, Lack – und die Sonne darin! Unten auf der Straße wirkt die Kuppel des Bode-Museums plötzlich leuchtender und das Absperrband nicht mehr so abweisend, irgendwie – mailändisch.

Perspektivwechsel: Das Gemälde des Berliner Künstlers Pius Fox flan­ kiert die Treppe zum Mez­ zanin des „blauen Salons“, von dem man „bis zum Fernsehturm sehen kann“. Eine Ebene darunter or­ chestriert es Ikonen des ita­ lienischen Designs: Angelo Lellis Stehleuchte (1958), Azucenas Sideboard „Mb7“ und Sofa „Sant’ Ambrogio“. Blumig dazu: die „Easy Chairs“ von Otto Schulz.


Jonas Bjerre-Poulsen (rechts) gründete Norm Architects 2008 gemeinsam mit Kasper Rønn Von Lotzbeck; viele Entwürfe des Büros entstehen für das dänische Label Menu – etwa das Sofa und der Marmorbeistelltisch „Plinth“ im Wohnzimmer (re. S.). Den „Utility“-Hocker produziert Fogia. „CH25“Sessel von Hans J. Wegner, „Serif“-TV von Samsung.

Harmonie und Material Tex t Reinhard Krause Fotos Chris tof fer Regild

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Von außen bietet Jonas Bjerre-Poulsens historische Villa am Öresund ein Bild der Ungeordnetheit. Innen gelang dem Gründer von Norm Architects ein großer Wurf: Hier wirkt alles klar und wie aus einem Guss.


Kopenhagen


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Jon a s Bjer re-Pou l sen

„Anfangs haben mich Freunde immer wieder gefragt, ob ich hier nicht mal farbmäßig aufdrehen will. Aber die Welt ist ohnehin schon laut genug.“

Das Elternschlafzimmer (linke Seite) wurde im angebauten Gartensaal untergebracht. Um dem lang gestreckten Raum mehr Intimität zu geben, schuf Jonas Bjerre-Poulsen ein Einbaumöbel mit abgerundeten Kanten (oben), in dem auch das Masterbad (re.) Platz fand. Der Waschtisch samt passender Wanne für Candana ist ein Entwurf von Norm Architects.

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Beim Spiel von Vertikale und Diagonale misst sich im Arbeits­ zimmer u. eine Replik der Venus von Milo mit einer Wandinstal­ lation der tschechischen Designer Jan Plechac & Henry Wielgus. Li.: Materialproben und Fotos des Hausherrn auf einem Wandregal. Den Vintage­Stuhl von Mathieu Matégot im Vorraum zum Schlaf­ zimmer (u. links) entdeckte Jonas Bjerre­Poulsen in Paris. Im Ess­ zimmer (rechte Seite ) stehen vier „Harbour“­Chairs um einen „Snare­ gade“­Tisch (alle: Norm Architects für Menu). Rechts &Traditions Stuhl „In Between“ von Sami Kallio.

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W

ahrscheinlich handelt es sich um ein Feuerschiff, was da vor Seelands Küste dümpelt. Es sieht aus wie ein schwimmender Dannebrog: wenig Weiß auf leuchtend rotem Grund. Die Marina von Vedbæk hat dem strahlenden Akzent wenig entgegenzusetzen – im mühsam sich lichtenden Nebel dort draußen ist niemand sonst unterwegs, nur ein paar Yachten liegen winterfest an den Stegen. Nicht die schlechteste Einstimmung auf das Interieur, das uns im Haus von Jonas Bjerre-Poulsen erwartet. Die Wände in seinem historischen Anwesen mit Meeresblick hat der Gründer von Norm Architects mit einem wohltuend neutralen Greigeton versehen, die Böden bestehen aus einem Magnesitbelag, der zwischen Schiefergrau und Anthrazit oszilliert. In solch einem Setting stechen einzelne Farbtupfer hervor wie Leuchtbojen aus der Ostsee. „Anfangs“, sagt der Hausherr lächelnd, „haben mich Freunde immer wieder gefragt, ob ich hier nicht mal farbmäßig aufdrehen will. Aber die Welt ist so schon laut genug. Es ist immer wieder schön, hierherzukommen wie in einen Hafen der Ruhe.“ Das Fischerdorf Vedbæk wurde Ende des 19. Jahrhunderts von reichen Kopenhagenern als Sommerfrische entdeckt. Auch Fritz Johannsen, Direktor der dänischen Telefongesellschaft KTAS, ließ sich 1910 in Strandnähe eine Sommerresidenz errichten – und zwar eine, die so gar nicht an adrette Kapitäns- oder Fischerhäuser erinnert. Ihm stand der Sinn vielmehr nach einem Schweizerhaus! Die Kopenhagener Architekten Hans Wright und E. V. Marston ließen seinen Traum wahr werden und trieben die Eklektik auf die Spitze, indem sie das überkragende Holzdach nicht behäbig breit wie bei den alpinen Originalen planten, sondern eigensinnig steil. In den folgenden Jahren wurde das Haus durch Anbauten nur noch verschrobener, und Jonas BjerrePoulsen ist der Erste, der zugibt, dass das Ensemble von außen „schon recht hässlich“ aussieht. Gleichwohl ließ er die Hülle unverändert, nicht einmal die stilistisch unpassenden Annexe ersetzte er. Bei einem der führenden Architekten Dänemarks mit einem Faible für größtmögliche Aufgeräumtheit würde man eher eine beherzte Tabula rasa erwarten. „Klar kann ich mir gut vorstellen, in einem selbst entworfenen modernistischen Haus zu leben“, räumt Bjerre-Poulsen ein. „Aber hier drinnen spürte ich ein großes Potenzial, eine gewisse historische Aura.“ Und seine Recherchen gaben ihm recht: In einem Buch über Johannsen entdeckte er mondäne Fotografien aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als vier Bedienstete zum reisenden Hausstand gehörten. Mit ihren Holzpaneelen und dem Stuck in gut proportionierten Räumen war die merkwürdige Schweizervilla vor 100 Jahren noch kein Kladderadatsch zahl- und zielloser Renovierungen. Auch das quadratische Bassin im Garten gab es bereits. „Später wurde es zugeschüttet, war mal Sandkasten, und am Ende wucherte Gestrüpp darin.“ Es passt zur leicht verwunschenen Atmosphäre, dass der Architekt das Becken nicht gegen einen kleinen Pool er-

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setzte, womöglich noch in Türkisblau. Der Öresund liegt ohnehin gleich hinter der Hecke, mit Fernblick auf Schweden. Die größte Herausforderung bestand darin, mit den nicht weniger als sieben verschiedenen Bodenniveaus aufzuräumen. Jonas Bjerre-Poulsen plante sie komplett neu, mit einem Minimum an Stufen und besagtem durchgehenden Boden aus Magnesit. „Die Wahl der richtigen Materialien“, lautet sein Credo, „entscheidet über die innere Harmonie eines Gebäudes.“ Erhaltene Wandpaneele wurden ergänzt, die Stuckaturen, die sich bei Neorokoko und Jugendstil bedienen, aufgefrischt, Wände, Böden und Decken bestmöglich schallisoliert. Als der Architekt und seine Frau Christine Juel Bjerre-Poulsen das Haus vor sieben Jahren kauften, waren ihr Sohn und die Tochter noch sehr klein. In Vedbæk allerdings lebte das Paar schon zuvor, in einem Fischerhäuschen ein paar Hundert Meter die Küste hinauf. „Freunde von uns wohnten auf demselben Grundstück im Nachbarhaus. Wir waren wie eine kleine Kommune, ständig traf man sich und unternahm etwas zusammen. Mit den Kindern wurde es aber dann auf Dauer zu eng.“ Auch jetzt wohnen die Freunde nur drei Häuser weiter, aber man läuft sich nie einfach so über den Weg. „Es ist seltsam, man könnte ebenso gut in einem anderen Land leben.“ Zur Harmonie der Villa trägt selbstredend auch bei, dass die meisten Möbel Entwürfe von Norm Architects sind, ob es sich um elegante Sessel handelt oder die blockhaften „Plinth“-Tische aus Marmor. „Jeder Prototyp ist wie ein neugeborenes Kind, auf das man lange gewartet hat“, sagt Jonas Bjerre-Poulsen. Insofern fungiert sein Haus auch als Versuchsanordnung für künftige Aufträge. Zumal der Architekt festgestellt hat, dass sich der öffentliche und der private Bereich seit Jahren immer mehr annähern. „Wohnhäuser sollen so gut geplant sein wie große Hotels. Und Hotelzimmer sollen heutzutage die Anmutung von Privaträumen haben.“ Manchmal allerdings werden bei diesem Angleichungsprozess auch in Dänemark Irrwege beschritten: Das Statens Museum for Kunst zeigte gerade die Meister des dänischen Goldenen Zeitalters in Sälen, die mit Wuschelteppich ausgelegt waren und in denen ganze Schulklassen auf butterweichen Lounge-Blöcken vor sich hin chillten. Wohlgemerkt: Es ist ein angestammtes Recht der Jugend, von verordneter Kunst gelangweilt zu sein. Aber der Gleichgültigkeit per Ausstellungsdesign noch Vorschub zu leisten ist auch keine Lösung. Jonas Bjerre-Poulsen ging den diametral entgegengesetzten Weg: Um für sein durch zu viele Eingriffe verkorkstes Privathaus die bestmögliche Kur zu finden, besuchte er Museen und Galerien, bei denen ein Konglomerat verschiedenster Gebäude in eine neue Einheit überführt wurde. Das Resultat ist eine Villa wie aus einem Guss, die ganz und gar ohne Plüsch auskommt und jedes Fleckchen Farbe zur Sensation macht.


Dass der Hausherr Sinn für japanische Formstrenge be­ sitzt, verrät die für Reform entworfene Küche. Auf der Arbeitsplatte aus Räucher­ eiche warten roughe Requi­ siten auf ihren Einsatz. Über dem Carrara­Block auf der li. Seite zieht Danilo Scarpa­ tis „Helen with Yellow Tur­ ban“ alle Blicke auf sich. Ku­ gelleuchte von Gio Ponti.

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Anne of

Es war einmal … So beginnen Märchen. Aber wie geht es nach dem Happy End weiter? Vielleicht so: Mit ihrem rustikalen Chalet in Südkalifornien erzählen Anne Hathaway, Adam Shulman und Pamela Shamshiri eine stilvolle Romanze.

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Tex t Mayer Rus St yling Michael Reynolds Fotos Stephen Kent Johnson

Der Geist von Yves Saint Lau­ rent, Wes Anderson und David Bowie weht durch die Gemäu­ er. Anne Hathaway und Adam Shulman ließen das Schlaf­ zimmer frisch verliebt erröten (Farrow & Ball, selbst gemixt). „Sie mögen einfach Pink“, sagt Pamela Shamshiri. Auch das Bett ist maßgefertigt.

Ojai

Green Gables


Anne Hathaway ist gerade in der Amazon-Serie „Modern Love“ zu sehen. Kein komplizierter Beziehungsstatus – die erste Besichtigung ihres zweistöckigen Hauses beschreibt die Schauspielerin wie ein Verlieben auf den ersten Blick: „Ich konnte wirklich sehen, wie ich hier meine Kinder aufziehen werde.“ Inzwischen ist sie zum zweiten Mal Mutter geworden.

Anne Hathaway

„In diesem Haus kann man gut alleine sein. Aber auch gut mit anderen zusammen.“


Die Küche oben mit einem imposanten Herd von La Cornue ist groß genug, so können die zahlreichen Gäste von Hathaway und Shulman mitkochen und plaudern. Die spektakuläre Kombination aus Pfirsich- und Burgundertönen („Picture Gallery Red“ und „Setting Plaster“ von Farrow&Ball) elektrisiert den Eingangsbereich u. und hat ein modisches Vorbild: ein Lieblingsshirt von Gucci.

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Im Frühstücksraum o. flirrt Grün vorm Fenster – und auf Susan Harters Tapete. Als europäische Botschafter stehen Fifties-Stühle von Carlo De Carli bereit, Michael Anastassiades-Leuchten setzen sie ins rechte Licht. Cozy Sitzecken (u. li. und u. re.) warten im ganzen Haus. An eine moderne Märchenstube erinnert das Esszimmer (re. S.). Leuchte: Woka, Tisch: Børge Mogensen, darauf ein Kimono-Fragment.


D

ie Geschichte ist schon mal gut. Alles andere wäre auch eine Enttäuschung, immerhin handelt es sich um das kalifornische Landhaus von Schauspielerin Anne Hathaway und ihrem Mann, dem Schmuckdesigner Adam Shulman, in Ojai. Die Geschichte also, die die beiden über ihr entzückendes Häuschen im Stil eines Schweizer Chalets erzählen, geht so: 1906 erbaut, 1917 niederge­ brannt und wieder aufgebaut. Das Anwesen gehörte Yves Saint Laurent, ehe Regisseur Wes Anderson einzog und dem Bau die ihm eigenen charmant überkandidelten Hipsteresken verpasste. Glaubt man dieser wohl sehr fantasievollen Fabel, veranstalteten Anderson und David Bowie hier jedes Jahr eine famose Silvester­ party. Das alles kann man sich wunderbar vorstellen; aber kann man sich auch davon loslösen? Eine eigene, neue Erzählung be­ ginnen? Hathaway, Shulman und die Interiordesignerin Pamela Shamshiri von Studio Shamshiri nahmen diese Herausforderung jedenfalls mit großer Begeisterung an. „Pam hat sich total reinge­ hängt“, lobt Anne Hathaway. Entworfen hatten den Bau die Architekten Myron Hunt und Elmer Grey, von denen auch die Residenz von Henry und Arabella Huntington in San Marino (heute die zentrale Kunstgalerie der Huntington Library) und allerlei andere architektonische Sehens­ würdigkeiten Südkaliforniens stammen. „Dieses Haus sorgte für wilde Diskussionen, aber Pam ließ sich von nichts aus der Ruhe bringen“, bestätigt Shulman. „Sie brachte Raffinesse, Magie und Spaß in die ganze Unternehmung.“ Wenn Hathaway und Shulman über den Zauber ihres pittoresken Heims sprechen, klingt es wie eine Liebesgeschichte. „Gleich im ersten Moment, als wir die Ein­ fahrt heraufkamen und sich dieser unglaubliche Panoramablick vor uns auftat, war es um uns geschehen“, erinnert sich Shulman. Und Hathaway schwärmt: „Hier kommen Märchenromantik und großartiges Design zusammen. Unser Instinkt sagte uns sofort: Dieser Ort wird in unserem Leben eine große Rolle spielen. Ich konnte wirklich sehen, wie ich hier Kinder aufziehen würde.“ Sie hat übrigens gerade Kind Nummer zwei bekommen. Die märchenhafte Architektur bot Shamshiri einen idealen Aus­ gangspunkt für ihre fantasievollen, Jahrzehnte umspannenden In­ terieurs. „Wir hatten es mit der kalifornischen Vor­ stellung eines Schweizer Chalets zu tun, errichtet als Jagdhütte und rustikales Getaway. Also schau­ ten wir uns alte Fotos aus der Schweiz an“, sagt sie. „Wir haben versucht, den Liebreiz, diese sweetness, zu bewahren, der das Haus so besonders machte. Dazu haben wir es um Farben, Texturen und Möbel aus verschiedenen Epochen ergänzt. Wir wollten die Metamorphosen des Hauses widerspiegeln. Und die Wärme und den Esprit von Annie und Adam.“ Das Konzept kommt im Musikzimmer beson­ ders zum Klingen: Einst war es der Tanzsaal für die Nachbarschaftsjugend. Jetzt krönt den Raum eine Discokugel aus dem frühen 20. Jahrhundert, die einmal in einem türkischen Bad hing, darunter steht (natürlich) ein Klavier, daneben ein glitzern­ der Monogold­Tisch von Yves Klein und ganz ver­ schiedene, sehr gemütliche Sitzgelegenheiten. „Ei­ nen Raum wie diesen haben wir uns seit Langem gewünscht – einen Ort, an dem die Menschen, die wir lieben, zusammenkommen und in dem unsere

Musikerfreunde spielen können. Er ist das Herz des Hauses“, sagt Anne Hathaway. Dieser Gemeinschaftsgeist belebt auch die Küche, wo eine lange Insel allen Gästen den Raum gibt, sich plaudernd am Kochen zu beteiligen. Die Küche ist in beruhigenden Farben wie Rotkehlcheneierblau und Blassgrün gehalten und geht unmittelbar über in ein verträumtes Frühstückszimmer. Zwischen dem Holz an Boden und Decke gibt hier eine Landschaftstapete den Ton an. Für europäischen Elan sorgen Holzstühle des italienischen Mid­ century­Designers Carlo De Carli. Wenn Adam Shulman den Vibe des Hauses in einem Wort zusammenfasst, dann fällt ihm das deutsche Wort „gemütlich“ ein. „Annie und Adam sind sehr aben­ teuerlustig, wenn es um Farben geht. Ich unterstütze das aus vol­ lem Herzen“, erklärt Shamshiri. Dabei verweist sie auf die starken Auftritte von Pfirsich­ und Burgundertönen im Vestibül und im Musikzimmer, inspiriert von einem Gucci­Shirt. Auch Rihanna ist präsent: Das kaiserliche Goldgelb ihres unvergesslichen Schlep­ penkleids, das sie bei der Met Gala 2015 trug, kleidet nun eini­ ge Kissen. Und was hat es mit dem zarten Pink auf sich, das den Masterbedroom sanft bettet? Die Designerin kommentiert trocken: „Nun, sie stehen sehr auf Pink. Sie lieben es!“ Bei all den quirligen Details und dem exzentrischen Nebenei­ nander von zeitgenössischen und Vintage­Möbeln ist es Hathaway und Shulman aber wichtig zu betonen, die eigentliche Alchemie ihres Hauses liege in seinen weniger greifbaren Werten – in der Größe der Zimmer, dem eigenwilligen kreisförmigen Grundriss und den subtilen Verbindungen mit der Umgebung. „Es ist ein Haus, das sich je nach Anzahl der Anwesenden ausdehnt und wie­ der zusammenzieht“, erklärt Shulman. „Wenn wir allein mit dem Kleinen hier sind, fühlt es sich sehr ruhig und beschaulich an – man hat das Gefühl, das Haus hält einen geborgen. Wenn aber vie­ le Leute da sind, verströmt es Energie und Spaß.“ Und Hathaway ergänzt: „Hier kann man gut alleine sein. Und gut mit anderen zusammen. Wenn ich mich intensiv auf ein Projekt vorbereiten muss, habe ich hier die Konzentration, die ich brauche; die grandio­ sen Berge, selbst die Vogelstimmen im Gebüsch inspirieren mich. Draußen und drinnen – hier ist überall Musik.“

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Im Esszimmer dominiert der Dreiklang von Rostrot, Grau und Schwarz das minimalistische Bild von Architektur. Um den Tisch von Mark Tuckey stehen Thonets „A811“-Stühle. Deckenleuchte von Artemide, das Sideboard ist von Kennedy Nolan, die „Shogun“-Leuchte darauf von Mario Botta.

Neo Geo Backstein zu Beton: Die Architektin Rachel Nolan schenkt einem viktorianischen Terraced House einen Anbau in warmem Gegenwarts-Minimalismus.

Tex t Ulrich Clewing

Fotos D erek Swalwell


Melbourne

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Oben: Eines der beiden Wohnzimmer zwischen den Innenhöfen. Das Sofa designte Mario Marenco 1970 für Arflex. Tierfotos von Joseph McGlennon, Coffeetable: Mark Tuckey. Der „Eternal“-Leinenvorhang von Mokum (unten links) dient als Raumteiler. Rechts: Den Garten für Hof und Dach legte Amanda Oliver an.

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Terrazzo für die Wand? Warum nicht, macht sich im Bad ganz hervorragend. Rachel Nolan versteht es meisterhaft, Stilelemente von Brutalismus und Minimalismus durch einen Mix von Texturen und Mustern subtil zu beleben. Waschbecken „Scola“ von Duravit, Armaturen: Astra Walker.


Dark glamour für die Küche, in der Nolan die Kacheln und die Decke ganz in Schwarz hielt, um sie mit dem warmen Ton der Eiche und dem hellen Grau des polierten Zements zu kontrastieren. Tisch mit Platte aus zwei Arten Granit: Kennedy Nolan. Hocker von Alvar Aalto für Artek.


Rachel Nolan

„Es interessiert mich nicht, wie ein Raum aussieht. Sondern welche Gefühle er weckt.“

M an sieht es ihnen nicht an, aber die winzigen viktoria­ nischen Häuser, die hier die Straßen säumen, machen Fitzroy North zum begehrten Wohnviertel in Melbourne. Ihr Geheimnis: Die Grundstücke sind so breit wie ein Handtuch, aber sehr lang – Oasen im Zentrum der Milli­ onenmetropole. Ein Haus ist etwas höher als die anderen, fällt sonst aber nicht weiter auf, dahinter jedoch liegt ein spektakulärer Anbau von Rachel Nolan. Für eine Familie mit zwei Kindern sollte mehr Platz geschaffen werden, ohne dafür die Intimität des alten Backsteinbaus zu op­ fern. „Uns war schnell klar, dass wir hier mit einem In­

Wie ein Logo für das neue Bauhaus von Melbourne: Kreis und Dreieck als Detail an einer der Türen zum Hof (o.). Auch im Masterbedroom links im alten Teil des Hauses herrscht die Ordnung der Geometrie, und sei es nur als Gerüst für das Bett von Mark Tuckey. Vorhang aus Mokums „Eternal“-Leinen.

nenhof­Arrangement arbeiten mussten“, sagt die Prinzi­ palin von Kennedy Nolan. Das Büro aus Fitzroy hat sich in den letzten Jahren mit kompromisslos zeitgenössi­ schen Entwürfen einen Namen gemacht und zählt in­ zwischen zu den gefragtesten im Land. Nolan komponierte einen schmalen Riegel im Rhyth­ mus von offenen und geschlossenen Räumen. Um Schutz vor direkter Sonneneinstrahlung und den Blicken der Nachbarn zu bieten, installierte die Architektin ein Gitter aus etwa 40 Zentimeter tiefen, in einem kräftigen Rot oxi­ dierten Stahlpaneelen, das über die gesamte Außenwand verläuft. Herzstücke sind die zwei Wohnzimmer, die sich mit großen Fensterfronten zu den beiden Innenhöfen hin öffnen. „So kann man sich auch mal zurückzuziehen, und für den Rest der Familie trotzdem noch ein bisschen an­ wesend sein“, erklärt Nolan, selbst Mutter von drei Kin­

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Im zweiten Innenhof (links) reckt sich ein Kamin in den Himmel – und am Boden setzt sich das Muster aus Linien fort, das man an dem Gitter der Außenwand und im Inneren des Anbaus findet. Der Lichtschacht o. macht selbst einen kleinen Raum wie das Bad im Obergeschoss hell und großzügig.

dern. Beim Oak Tree House, das so heißt, weil auf dem Gelände eine imposante alte Eiche steht, hat sie ihre Vor­ liebe für die Architektur der Moderne auch im Interior auf raffinierte Weise kultiviert und mit einem warmen Mix an Farben und Materialien in die Gegenwart ge­ beamt. Sie stellte Raues wie Stahl und Beton neben Holz und kleinteilige Terrazzo­Elemente. Auch die schwarzen Kacheln, die sie im offenen Kochbereich verlegen ließ, geben der Küche nicht etwa nur aufregenden dark glamour. Ihre Fugen sind Teil eines Geflechts aus grafischen Linien und geometrischen Mustern, das sich in den un­ terschiedlichen Erscheinungsformen durch das ganze Haus zieht. „Kontraste“, erklärt die Architektin, „habe ich deswegen so gern, weil sie uns in einen Zustand erhöhter Aufmerksamkeit versetzen. Sie schärfen die Wahrneh­ mung.“ Nach diesem Prinzip suchte sie die Möbel aus.

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Ihre eigenen Maßanfertigungen erinnern an minimalisti­ sche Skulpturen des Bildhauers Donald Judd – Nolan kombinierte sie mit Klassikern wie Thonets Stühlen vom Typ „A811“, die Josef Hoffmann und Josef Frank in den 20ern entwarfen. Mit Stücken von Alvar Aalto und von DCW éditions, die die 50er­Jahre ins Gedächtnis rufen. Und mit lustigen, doppelt mit Drahtblechen überwölbten Leuchten von Mario Botta aus den Eighties. Nur in einem Punkt musste Nolan Abstriche machen. Eigentlich wollte sie das Schwimmbad am Ende des Grundstücks ins Freie verlegen. Doch Melbourne hat den zweifelhaften Ruf, dass man vier Jahreszeiten an ei­ nem einzigen Tag durchleben kann – nun hat der Pool ein Dach. Und es ist tatsächlich der einzige Aspekt des Umbaus, an dem Konzept und Komfort nicht so gekonnt zusammenkommen wie Backstein und Beton.


Rachel Nolan

„Die Familie vertraute uns völlig. Trotzdem war der Umbau für alle eine große Sache, gerade für die Kinder.“

Am Arbeitsplatz in einer Nische im ersten Stock des Anbaus steht ein Sekre­ tär von Temperature De­ sign aus Melbourne. Die Deckenleuchte „Gras“ fand Nolan bei DCW éditions aus Paris. Der Stoff für den Vorhang aus festem Leinen stammt aus der „Eternal“­Linie von Mokum.


London

Märchenhaft: Handgemalte Blüten und Zweige (auf einer Tapete von de Gournay) umranken das Schlafzimmer. Die Bank und zwei Kissen ließ Hannah Cecil Gurney (rechte Seite, auf einem settee in Dedars Velours „Nouvelles Vagues“ in einer Ecke des Essbereichs) mit „Les Ecailles“ von Le Manach beziehen.


Magnolien und Schildkröten Alles fließt, sprießt und rankt: Als Tochter des Gründers von de Gournay wuchs Hannah Cecil Gurney zwischen handbemalten Tapeten auf. Deren Zauber will sie nun mit ihren Kindern teilen.

Tex t Jane Keltner de Valle Fotos Douglas Friedman

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Eins der Kinderzimmer schm체ckt eine Savannenszene in Grisaille. Einbauten und Fensterrahmen sind in leuchtenden Prim채rfarben gehalten. Den Tisch und die Elefantenst체hlchen aus Buche fertigte die d채nische Firma EO, der Teppich aus Schafwolle und Mohair ist von Christopher Farr.

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Die Einbauten der „Kuschelecke“ im ersten Stock (o.) ließ Gurney in Benjamin Moores „Raspberry Truffle“ lackieren. Die Wandbe­ spannung ist handbestickt. Das Kinderbett von Sohn George (rechts) steht in einer ima­ ginären Unterwasserwelt. Unten die gold­ grundierte Barnische in der offenen Küche.



Linke Seite oben: In der Küche kontrastiert der Magentaton der Fronten mit Arabescato-Marmor, die Leuchte hing einst über einem Billardtisch. Stühle von Janus et Cie. U.: Selbst das Bad ist in eine De Gournay-Tapete gehüllt. Hähne von Catchpole&Rye, Appliken von The Urban Electric Co.

Das Esszimmer wurde neu zur Küche ergänzt und mit derselben bestickten Seide ausgekleidet, das Dessin setzt sich im Oberlicht fort. Die Stühle am antiken Eichentisch tragen bedrucktes Leinen von Bennison Fabrics; sie sind wie auch die banquette maßgefertigt. Schwenkleuchten von Balineum.

Ha n n a h C eci l Gu r ney

„Unser Haus ist eine Sammlung ausgemusterter Sachen, denen ich neues Leben eingehaucht habe.“

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W ie sehr Dekor Räume verwandeln kann, war Hannah Cecil Gurney immer bewusst. Als Tochter von Claud Cecil Gurney, dem Gründer der Firma de Gournay, war sie schließlich schon als Kind von glamourösen handbemalten Tapeten umgeben. Nie zuvor aber war ihr die Macht der Einrichtung so deutlich geworden wie in dem Moment, als ihr heute dreijähriger Sohn George sein erstes Wort sagte: „turtle“ – Schildkröte. Das kam nicht von ungefähr: Sein Kinderbett steht mitten in einem virtuellen Aquarium – genau auf Augenhöhe schwimmt eine Riesenschildkröte über die

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Tapete. „Wir hatten immer gerufen: ‚Hallo, Mister Turtle!‘“, erzählt Gurney. „Und auch wenn George jetzt ein wenig älter ist, fasziniert ihn die Schildkröte noch immer.“ Als Hannah Gurney, Direktorin für Global Marketing und Entwicklung bei de Gournay, und ihr Mann Eddie Harden – er besitzt und verwaltet Nanhoron, ein Anwesen in Wales, auf dem seine Familie seit 700 Jahren lebt – das Haus im Stadtteil Battersea vor vier Jahren kauften, waren sie frisch verheiratet, und George war noch nicht unterwegs. „Wir kamen aus einer kleinen Wohnung in dieses große Haus“, schildert sie, „und seit wir eingezogen waren, fühlte ich mich unter Druck, all diese Räume irgendwie füllen zu müssen.“ Heute,

kurz nach der Geburt ihrer Zwillinge Oscar und Scarlet, ist die Perspektive eine ganz andere: „Wenn ich mir jetzt das Haus anschaue, denke ich: ‚Ist es nicht zu klein? Vielleicht sollten wir aufs Land ziehen.‘“ Der viktorianische Bau nahe dem Battersea Park hatte eine respektable Grundstruktur, war aber einer „seltsamen Modernisierung“ zum Opfer gefallen, wie Gurney es ausdrückt. „Mein Mann fragte: ‚Warum möchtest du ausgerechnet das hier? Lass uns doch etwas suchen, das schon schön hergerichtet ist.‘ Aber dann zieht man in das Haus von jemand anderem.“ Also überzeugte sie ihn von dem Potenzial, das in den Räumen schlummerte, und verbrachte die folgenden Jahre damit, sie in ihren frü-


Die Chinoiserien an den Wohnzimmerwänden sind auf mattes Reispapier gemalt, dafür schimmern der Lüster und die Appliken – Vintages aus Carlo Scarpas Muranoglas-Serie „Poliedri“. Sofas, Kissen und Vorhänge stammen von de Gournay, der wollene Webteppich ist von Jennifer Manners.

heren Zustand zurückzuversetzen – mit epochengerechten Gesimsen, Tischlerar­ beiten und Schiebefenstern. Das gesamte Haus zu renovieren und einzurichten war allerdings intensiver, als Hannah Gurney es sich vorgestellt hatte. „Nun träume ich nicht mehr davon, als Interiordesignerin zu arbeiten“, scherzt sie. Es überrascht nicht, dass sie die meisten Räume von den Wänden ausgehend gestal­ tete. „Mir macht es Spaß, Tapeten zu ver­ wenden, die man nicht so häufig sieht“, sagt Gurney. Eine Chinoiserie in leuchten­ dem Korallenorange kleidet den Master­ bedroom, dessen Teppich und Vorhänge von koketten Muschelsäumen gefasst sind. Für das Bad der beiden wählte sie eine Ta­

pete mit rosafarbenen Flamingos, die oben Während die einzelnen Tapeten akribisch in zartes Bernsteingelb übergeht – sogar ausgewählt und maßgefertigt wurden, ist um die Dusche schmiegt sich die Wandver­ das Mobiliar des Hauses eher ein Sammel­ kleidung. Im Wohnzimmer dominiert scho­ surium – allerdings ein ganz reizendes. koladenbraune Chinoiserie auf mattem Gurney und Harden füllten einen Umzugs­ Reispapier – eine Hommage an Coco Cha­ wagen mit georgianischen Erbstücken – nels Pariser Apartment. „Ich habe oft erlebt, Beistelltischchen, Lehnstühlen – aus Nan­ wie sich Kunden eigentlich von diesem horon, und ihr Vater steuerte Accessoires Dessin angezogen fühlten, dann aber Angst aus seinem Haus in Kent bei. Ein anti­ vor dem eigenen Mut bekamen – also be­ kes Bett ließen sie auf Kleinkindgröße zu­ schloss ich: Ich werde den Salon damit rechtsägen und in Dedar­Streifen kleiden; tapezieren und zeigen, wie unkompliziert ein neoklassizistisches Sofa (ein Prototyp eine Farbe wie Schokobraun sein kann.“ von de Gournay) holten die beiden aus der Der einzige Raum im Haus, dessen In­ Scheune hervor und stellten es ins Wohn­ terior nicht von der Tapete ausging, ist zimmer. Wo noch Lücken geblieben wa­ die gemütliche „Kuschelecke“ im ersten ren, kamen Fundstücke vom Antikmarkt Stock. „Ich wollte mir schon immer eine zum Zuge, die Gurney neu beziehen ließ. dunkelrote Bibliothek einrichten, also be­ „Vieles davon war trial and error“, erklärt sie. gann ich dort mit den Tischlerarbeiten, und „Unser Haus ist eigentlich eine Sammlung alles andere folgte.“ Die Firma de Gournay ausgemusterter Sachen, denen ich neues hatte kurz zuvor in Kalkutta ein Stickerei­ Leben eingehaucht habe.“ Studio gegründet, und diese Handwerks­ Auch Freunden gefällt das; jedes Wo­ kunst ließe sich hier angemessen präsen­ chenende kommen Gäste. Ihren Mann, den tieren, fand Gurney. Sie entschied sich Koch in der Familie, charakterisiert Gurney für einen Entwurf von Alessandra Branca als „Stubenhocker – das Gegenteil von in ihrer Wunsch­Farbkombination: Petrol, mir!“. Die Küche wurde unter Mitarbeit der Scharlachrot und Safrangelb. Architekten Simon Smith und Michael Bis Hannah Gurney zum zweiten Kin­ Brooke erweitert und geöffnet, „damit der derzimmer vorgedrungen war, hatte sie Koch dort nicht allein ist, während sich die bereits fast alle Farben des Regenbogens Gäste nebenan amüsieren“. Die Kinder zie­ verwendet. Also entstand dort eine afrika­ hen sich allerdings lieber in die Kuschel­ nische Landschaft in Grisaille, akzentuiert ecke zurück. „Gestern hatten wir Freunde von Tupfern knalliger Primärfarben: ko­ zu Besuch und ließen George eine halbe baltblaue Vorhänge, gesäumt von tomaten­ Stunde lang mit einem Pixar­Film allein. roten Pompons, und kanariengelbe Einbau­ Er fand einen Stift und bemalte sich von ten und Fensterrahmen. Und dann ist da oben bis unten mit ,Tattoos‘.“ noch das Kinderbad mit seiner komplett Da drängt sich die Frage auf: Hat sie kei­ individuell gestalteten Tapete. Inspiriert ne Angst, dass er seine künstlerischen Ver­ vom Hyde Park und der legendären „Be­ suche auf die exquisiten Tapeten ausweiten melmans Bar“ im New Yorker Hotel „The könnte? „Da wäre er nicht der Erste“, sagt Carlyle“, sieht man dort Eichhörnchen Seil sie lachend. Am Tag, an dem in der Kü­ springen und Füchse Fußball spielen, wäh­ che mit dem Verkleben der Tapeten begon­ rend Mäuse Eiskarren vorbeischieben. „Es nen wurde, gingen ihr Mann und sie zum ist absolut bezaubernd!“, schwärmt Han­ Abendessen aus. Ein paar Stunden später nah Gurney. „Ich war nicht sicher, ob kehrten sie zurück an den Schauplatz ei­ George sich besonders dafür interessieren nes Verbrechens: Ihre beiden Hunde hatten würde, doch an dem Tag, als die Tapeten die noch nicht verklebten Ecken abgekaut. angebracht wurden, kam er vom Kinder­ „Der Kleister enthält Zucker“, erklärt Gur­ garten nach Hause und rief sofort: ‚Mami! ney – da konnten die beiden nicht wider­ Mami! Schau dir mal meine Tapete an!‘ Es stehen. „Unglaublich, aber die Tapezierer ist so schön zu sehen, wie sich Kinder für haben es geschafft, die fehlenden Stücke etwas begeistern können. Wenn er badet, zu ersetzen, und einer unserer Designer tun wir jetzt immer so, als wäre die Szene­ hat sie neu bemalt. Seitdem bin ich ganz rie echt, und ich muss ihm dann ein Eis aus entspannt. Ich habe erlebt, wie gut man dem Eiskarren kaufen. Wer weiß, vielleicht improvisieren kann.“ Zur Not schwimmt will er eines Tages doch für de Gournay dann eben noch eine Schildkröte mehr arbeiten und nicht Traktor fahren!“ zwischen den Fischen herum.

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Ton, Steine … Tex t L arissa B eham Produk tion Thomas Skroch Fotos Elias Hassos

München

Erst war es nur ein Tisch, den Evelyn Greite im Laden von Philipp Vogt entdeckte. Doch dann ließ sie den Münchner Interiordesigner das ganze Haus umgestalten.


Assistenz Produktion: Isa Lim

Evelyn Greite (hier auf ihrer Terrasse neben Hund Ludwig und Interiordesigner Philipp Vogt) wohnt nicht weit vom Nymphenburger Schlosspark entfernt. Der Tisch in ihrem Esszimmer (li. Seite) wurde aus dem Holz einer gefällten Eiche des Parks gefertigt, hinten re. ist ein Gemälde der Künstlerin zu sehen.

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In ihrem Atelier arbeitet Evelyn Greite an Gemälden, für die sie in Schichttechnik Pigmente und Erden auf Leinwände aufträgt. Auf der Werkbank, einem table de lavandière aus dem 19. Jahrhundert, stehen Vogelnester, die die Künstlerin selbst gesammelt hat. Die Pilzmodelle kaufte sie bei Vogt.

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Spiegel der Zeiten: Im Schlafzimmer (rechts) hat der Dekadentismus mit der Wandfarbe „Fin de Siècle“ von Flamant Einzug gehalten. Das Bett gestaltete Vogt selbst, er fand auch Bank und Stühle für die Terrasse (g. re.) beim Hersteller Anton Damen und kombinierte sie mit einem Tisch vom Antikmarkt im Kloster Fürstenfeld.

Die Liebe der Hausherrin zu Devotionalien (li. eine kleine Empore im Treppenhaus mit Altarleuchter und Madonna) gründet nicht im Glauben, sondern der Vorliebe für Stücke mit Patina. Die offenbart sich auch im Gäste-WC (o.), mit Midcentury-Spiegel und antikem Hocker. Ein Bewegungsmelder lässt Vögel zwitschern.

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D ie einstige Sommerresidenz der Wittelsbacher Kurfürsten liegt bloß fünf Minuten entfernt, aber Evelyn Greites Zuhause im Münchner Stadtteil Nymphenburg ist eine gänzlich andere Welt. Statt Rokokoromantik, Deckenfresken und goldverzierter Salettl lösen sich hier Nuancen ab, die scheinbar von ganz woanders hergeschwemmt wurden. Von der Nordsee vielleicht, wo sich Gezeitengrau und Schlickbeige abwechseln – Töne, die eher zur Ebbe gehören als zur Flut. Eine Urfarbe, die in vielen Schattierungen und etlichen Texturen aufscheint. Überall zersplittern die Kanten, offenbaren Oberflächen markante Risse, erzählen lädierte Kerzenleuchter oder eine massivraue Tischplatte (gefertigt aus einer alten Eiche des Nymphenburger Schlossparks) Geschichten der Vergänglichkeit. „Das musst du

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aber schon mal machen lassen“, sagen die Leute dann zu Evelyn Greite, wenn sie irgendwo einen Sprung entdecken. Die Hausherrin jedoch reagiert amüsiert: Denn natürlich wirkt hier die Lehre des belgischen Einrichtungs-Apologeten Axel Vervoordt und seinen aus Japan entliehenen Wabi Sabi-Prinzipien nach. Mit seinen Idealen vom Schlichten, Stillen, Unperfekten befassten sich Evelyn Greite und der Gestalter Philipp Vogt lange und unabhängig voneinander. Das Ergebnis ihrer späteren gemeinsamen Anstrengungen sind diese weltenthobenen Räume, die anmuten, als hätte man seinen Geist und seine Gegenwart gerade von allem Überflüssigen befreit: „All das hat etwas Ruhevolles, Erdverbundenes und Meditatives“, betont Greite. Ja, man traut den lehmfarbenen Wänden sogar zu, dass sie Schall schlucken können – der Anstrich ist fast überall im Haus derselbe, heißt „Dauphin“ und ist von Flamant. Nur ein paar sorgsam ausgesuchte Bilder und Skulpturen durchbrechen das kontemplative Schweigen.


Allerdings sah es in dem Bau aus den 1920er-Jahren auch schon Und der ist geradezu außergewöhnlich in einer Stadt, die vom Bamal ganz anders aus. „Mein Vater, der das Haus 1951 kaufte, hatte rock, der Nähe zu Italien und dem Alpenländischen geprägt ist. noch ein kardinalrotes Wohnzimmer, oben mit Gold abgesetzt“, Philipp Vogt wuchs in Süddeutschland auf, seine Vorliebe für erzählt die Hausherrin. „Und ich selbst habe mir in den Achtzigern nordeuropäische, genauer: flämische Landhausinterieurs begann eine Bibliothek aus weißem Schleiflack anfertigen lassen.“ sich aber erst zu entwickeln, als die belgische Einrichtungskette Vielen Besuchern gefalle aber auch das Jetzt nicht, fährt sie Flamant in Hamburg einen Laden eröffnete. Dass seine Eltern irfort. „Wenn sie das Haus zum ersten Mal betreten, rufen die meis- gendwann nach Sylt zogen, wo sich Friesenhäuser unter graubrauten: ‚Oh, hier ist’s aber dunkel!‘ Und dann kurz darauf: ‚Ach, und ne Reetdächer ducken, brachte ihn weiter auf diese Spur. die Decke auch!‘“ Gestalter Philipp Vogt lacht. „Das ist mein Mar2008 machte Philipp Vogt sich in seiner Wahlheimat Münkenzeichen, dass ich die Decke mitstreiche“, erklärt er gut ge- chen als Interiordesigner selbstständig. Er verkaufte erst nach dem launt. Oft hört man auch, seine Interiors würden ländlich wir- Vorbild belgischer Gestalter, indem er seine eigene Wohnung als ken. „Ich mache mir allerdings keine Gedanken darüber, ob das, Showroom nutzte. Die Münchner fanden das eher befremdlich: was ich anpeile, städtisch oder ländlich ist. Bloß darüber, ob mir „Sie dachten, sie würden mir ein Stück entreißen, wenn sie sich für das Resultat zusagt.“ Bei keinem anderen Objekt habe er sich so eines interessierten.“ Heute führt er ein gut verstecktes Geschäft konsequent verwirklichen können wie hier. „Wir haben nämlich in der Innenstadt, in dem er schwedische und französische Antiden gleichen Geschmack“, ergänzt Greite. quitäten und seine eigene Möbelkollektion anbietet – und chine-

Mit dem Wohnzim­ mertisch fing es an: Er war das erste Ob­ jekt von Philipp Vogt im Haus von Evelyn Greite (rechts). Später gestaltete der Desi­ gner das ganze Wohn­ zimmer (links) um. Sofa und Sessel ließ er in Belgien fertigen, chinesische Vasen brachte Vogt mit Lei­ nenschirmen zum Leuchten – wesentli­ cher Bestandteil des flämischen Stils.

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sische Keramik, die manchmal jahrhundertealt ist. Daraus gestaltet er seine Räume. Der Laden wirkt auf viele so anheimelnd, dass sie gleich einziehen möchten. „Er ist der schönste in München“, findet Evelyn Greite. Und obwohl sein Stil hier immer noch als exotisch genug wahrgenommen wird, ist er mittlerweile äußerst erfolgreich: Philipp Vogt stattet viele Tegernseer Landhäuser aus. Evelyn Greite verliebte sich zuerst in einen Tisch im Schaufenster, eigentlich eine alte spanische Tür, die jetzt auf hölzernen Kuben ruht. Sie „besuchte das Stück immer wieder“, bevor sie es irgendwann kaufte. Heute ist es das Herz ihres Wohnzimmers, der Chef persönlich lieferte es aus. Das beeindruckte Evelyn, wie auch die Ideen, die Vogt kommen, sobald er einen Raum betritt. „Von Anfang an gab es da eine so große Übereinstimmung, dass ab 2014 das ganze Haus umgestaltet wurde. Dienstag war unser Jour fixe, und eins nach dem andern ergab sich von selbst“, erinnert sie sich. Zwischen den beiden entstand ein enge Freundschaft, und weil Evelyn Greite Künstlerin ist, arbeiten die beiden heute sogar zu-

sammen: Ihre mit Naturpigmenten, Erde und Asche hergestellten Bilder verschmelzen mit Philipp Vogts Einrichtungsobjekten zu neuen Ensembles. Und Vogt verkauft sie gleich mit, ist inzwischen also so etwas wie ihr Galerist. Das harmonische Ton in Ton wird nur in einem Raum aus dem Gleichgewicht gebracht: dem Atelier der Hausherrin, das ihre Sammelleidenschaft ausstellt. Das auch hier wiederkehrende Schildpatt ist ein weiteres gemeinsames Faible von Evelyn Greite und Philipp Vogt. Doch vor allem diese Vitrinen, manche mit heruntergewehten Vogelnestern, in anderen sind trockene Pilze, dazu viele Kruzifixe – dieser Raum ist verspielter, ja fantastischer als der Rest des Hauses. Im fleckenweise fernöstlich beeinflussten Garten heben sich die Skulpturen matt gegen das Vorfrühlingsdunkel ab, sodass es hier nun doch an den nahen Nymphenburger Park mit seinen Naturgottheiten aus Marmor erinnert. „Ludwig!“, ruft Evelyn Greite plötzlich ihren kleinen Hund. Und dann ist der bayrische Adel eben doch wieder näher als gedacht.

Philipp Vogt

„Nirgendwo sonst habe ich mich bisher so konsequent verwirklichen können wie in diesem Haus.“

Der Blaue Salon (re. S.) dient als Bibliothek und Fernsehzimmer. Das Leinensofa aus Vogts „Home Collection“ und der Samtsessel wurden mit Stoffen von Lizzo bezogen, das Regal aus antikem Fichtenholz neu gefertigt. Im Garten links kniet der „Weinende Jüngling“ von Maria Munz-Natterer vor Oktobersilberkerzen.

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High Society Mit Respekt und Chuzpe schreibt der Interiordesigner Francis Sultana die Geschichte des sagenhaften Albany fort.

Inter view Andreas KĂźhnlein

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Fotos Simon Upton


London

Kunstvoll: Der Interiordesigner hat das Apartment für sich und seinen Partner, den legendären Galeristen David Gill, eingerichtet. Im Blauen Salon, in dem einst „Flair“-Redakteurin Fleur Cowles mit Queen Elizabeth Geburtstag feierte, liegt Mattia Bonettis Blumenteppich – als blühende Verbeugung vorm Livingroom der Rockefellers in New York. Die Stuckdecke ist das Original von William Chambers, darunter hängen bemalte Spiegel von Michelangelo Pistoletto. Li. Seite: die klassizistische Fassade der Villa.


Herr der Spiegel: Mattia Bonetti entwarf das goldgefasste Auge o. li. eigens für den Blauen Salon und machte aus dem Treppenhaus (re. S.) ein verwirrend schillerndes Spiegelkabinett. Mit postmodernem Schalk blickt im Flur o. re. ein Porträt von George Condo auf einen Tigerteppich von Madeleine Castaing, den es in diesem Gelbgrün nur dieses eine Mal gibt. Die Bank dazu ist ebenfalls von Bonetti.

A

Einem solchen Bau muss man einfach mit Respekt begegnen. Des­ halb haben wir uns ganz an die üblichen Techniken der Zeit gehal­ ten. Die Wände sind zum Beispiel mit Stoff verkleidet, der mit lbany blickt auf eine lange, faszinierende Geschichte zurück … Glutinleim verklebt wurde. Hier authentisch zu sein war uns sehr Sie beginnt 1771. Sir Peniston Lamb, Viscount Melbourne, hat das wichtig. Und trotzdem brauchte es Boiler, eine neue Elektrik, neue Haus erbaut, sein Architekt war kein Geringerer als Sir William Bäder. 16 Monate haben wir gebraucht, um die Wohnung zu res­ Chambers, und für die Möblierung engagierte er einen weiteren taurieren und so zu modernisieren, dass man wieder darin leben berühmten Schotten: Robert Adam. Ein Glanzstück der georgia­ kann. Das in einem Haus von derartiger historischer Bedeutung nischen Ära. Ein Jahrhundert später wurde die Anlage dann in anzugehen kann einschüchternd sein – ich fand es wunderbar. Apartments aufgeteilt, als der Herzog von York es verkaufte. Hier Wie sind Sie dabei vorgegangen? wohnten Lord Byron, Bruce Chatwin, Margaret Thatcher … In manchen Räumen mussten wir Verkleidungen aus diver­ Eine beeindruckende Ahnenreihe, in die Sie sich da einreihen. sen Zeiten in Schichten abtragen. So stießen wir aus den Fünf­ Ich wohne schon seit 16 Jahren in der Gegend, bis zuletzt aber in zigern erst in die Dreißiger vor, dann in die Zeit Edwards VII, einem Nebengebäude von 1804, im einstigen Garten des Anwe­ bis wir schließlich beim georgianischen Original anlangten. Ei­ sens. Als die mansion im Haupthaus frei wurde, war ich Feuer und ne Zeitreise durch all die Moden und Stile, in denen die Räume Flamme. Ich kannte das Apartment und auch seinen letzten Be­ einst umgestaltet wurden, und ein beinahe archäologisches Un­ wohner. Seit Mitte der Fünfziger war hier nichts mehr gemacht terfangen. Im Blauen Salon kam unter der Verkleidung die Ori­ worden. Höchste Zeit also für ein gewisses Maß an Zuwendung. ginal­Stuckdecke von William Chambers zum Vorschein. Die Nicht einmal eine Zentralheizung gab es! Wasserfarbe, die er hier verwendete, ist heute Teil der Samm­ Lässt sich die in einem solchen Haus einfach so einbauen? lung des Victoria and Albert Museum. Solche Details hat das Einfach so nicht, die Villa ist streng denkmalgeschützt, sodass Apartment an vielen Stellen, und wir haben uns sehr bemüht, jede Veränderung von höchster Stelle abgesegnet werden muss. so historisch korrekt wie möglich zu bleiben.

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Wie schreiben Sie die Geschichte weiter? Wir leben nicht in der Vergangenheit, und so sehr ich Antiquitäten liebe, ich will mich nicht nur damit umgeben. Ich entwickle aus der Historie lieber meine eigene Geschichte. Deshalb beauftragten wir Mattia Bonetti mit vielen Entwürfen. Er hat die Inspiration, die von all den Originaldetails ausgeht, sofort verstanden, dem Ganzen aber auch einen zeitgemäßen Twist verliehen. Gemeinsam mit André Dubreuil und mir selbst entwickelte er Dinge, die sich Stück für Stück in eine neue Erzählung dieser Räume fügten. Können Sie uns ein Kapitel daraus beschreiben? Einer der wunderbarsten Salons des 20. Jahrhunderts ist jener, den Jean-Michel Frank für Nelson Rockefeller in New York einrichtete. Wir nahmen die Teppiche, die Christian Bérard dafür entworfen hat, als Ausgangspunkt. Aber eher so, als würden wir dabei durch Andy Warhols Brille schauen. So entwickelte sich ein kreativer Dialog, respektvoll, aber nicht eingeschüchtert. In einem Haus wie diesem muss man schon selbstbewusst mit den eigenen Ideen sein. Weil Sie zur Historie eine eigene Sprache finden mussten? Genau. Die Pinktöne, die Blautöne, das Grün und Gelb, das ist eine starke Palette für mich, aber in gewisser Weise folgen wir damit den Fußspuren, die Robert Adam hier hinterlassen hat. Wir haben das neu erfunden, könnte man sagen, uns in der Geschichte umgesehen und sie dann ins Heute gedreht. Wie entstand daraus der Farbflow, der die Räume durchzieht? Der ergab sich fast automatisch. Der Blaue Salon behielt sein Wedgwood-Blau, der Stuck trägt wieder das Blassrosa, das wir unter den Farbschichten vorfanden. Wo solche Spuren fehlten, wur-

Endlich hohe Decken! Auch für raumgreifende Stücke findet Kunstsammler Francis Sultana (rechte Seite) spielend Platz: Die Skulptur ist von Franz West, daneben eine Leuchte von Bonetti, der auch den Tisch o. entwarf. Die Stühle sind von Sultana selbst.

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den andere Häuser der Ära zur Referenz; Kenwood House etwa lieferte die Vorlage für das Grün im Esszimmer. Dazwischen schaffen weiche Grautöne den Übergang. Es geht immer darum, etwas zu finden, das die eigene Vorstellungskraft anregt und mit dem Vorhandenen verbindet. So kann man auch zu einem Haus aus dem 17. Jahrhundert einen zeitgemäßen Zugang entwickeln. Haben Sie größere strukturelle Eingriffe vorgenommen? Kaum, nur die Küche haben wir verlegt. Einst war sie nur für die Bediensteten gedacht, heute ist sie ein freundlicher, einladender Raum. Überhaupt haben wir vor allem die Nutzung der Zimmer modernisiert. Das Esszimmer war zum Beispiel mal das Schlafzimmer, es gibt neue Bäder, hier und da mussten wir die Böden verstärken. Das Haus hat einiges hinter sich, nach dem Krieg hatte man die Decken abgehängt, um Heizkosten zu sparen, ein Fenster zugemauert, weil es auf einen Bombentrichter hinausging. Bestimmte Entscheidungen versteht man nur, wenn man sich den Kontext vergegenwärtigt. Auch darüber habe ich hier viel gelernt. Welche Rolle spielt die Kunst in Ihrem Zuhause? David und ich sammeln seit gut 25 Jahren, und in dieser Zeit hat sich unsere Kollektion immer wieder verändert und weiterentwickelt. Kunst braucht das richtige Umfeld – hier haben wir zum ersten Mal die richtige Deckenhöhe für manche Stücke. Wir lieben es beide, Dinge immer wieder umzuhängen, und diese Räume geben uns dafür eine Menge Freiheit. Fällt es nicht wahnsinnig schwer, einmal gestaltete, dichte Kompositionen wieder zu verändern? Ich glaube nicht an das Perfekte. Perfektion ist ein Dämon. Wir Menschen verändern uns ständig, und mit der Persönlichkeit sollte sich auch ein Zuhause entwickeln. Wenn man im Leben versucht, einen Zustand unverändert zu erhalten, lebt man in der Vergangenheit. Das gilt auch für Räume. Sich diese Freiheit zuzugestehen ist der Kern unserer Existenz – you’ve got to live a bit! Was die Farben und Teppiche im Blauen Salon angeht, würde ich sagen: Viel besser geht es nicht. Der Weiße Salon dagegen ist ein Sammlerraum, der sich permanent entwickeln wird. Am Ende des Tages ist auch ein Zuhause wie dieses nie wirklich fertig. Was ist Ihnen bei der Gestaltung von Räumen besonders wichtig? Exquisites Handwerk spielt eine große Rolle, oder? In meinen Designs greife ich viele Techniken, Materialien und Finishes aus den letzten Jahrhunderten auf. Und das hat sehr viel mit Handwerk zu tun – die Nachttische hier sind mit Mica-Laminat furniert, das Leder in der Ankleide ist handgeprägt von MériguetCarrère in Paris. Nur die besten ihrer Zunft können solche Dinge umsetzen, das sind Künstler. Mir gefällt der Gedanke, dass meine Arbeit hilft, solch hoch spezialisierte Berufe und Techniken zu bewahren und lebendig zu halten. Ich liebe es, diese Leute in ihren Ateliers zu besuchen und ihnen über die Schulter zu schauen. Dann versteht man, dass hier ein unschätzbarer Wert liegt! Der Wert menschlicher Zeit, investiert in außerordentliche Dinge. Den man nur mit entsprechendem Wissen schätzen kann? Ja, das hat mit Bildung zu tun, deshalb engagiere ich mich im V&A und anderen Institutionen. Denn Wertschätzung führt auch zu mehr Nachhaltigkeit: Wir brauchen weniger, aber bessere Dinge, die zu bewahren sich lohnt. Design kann das fördern, aber das bedeutet auch Verantwortung. Ich versuche, Dinge von Dauer zu schaffen. Dass ich dabei mit so außergewöhnlichen Menschen arbeiten kann, ist eines der größten Geschenke in meinem Leben.


Fr a ncis Su lt a n a

„Dieses Projekt fühlt sich für mich zum ersten Mal durch und durch britisch an – mit einem Hauch Barock, der einfach zu meiner Persönlichkeit gehört.“

Soeben erschienen die fulminanten Werke des maltesisch-britischen Interior-Doyens in Buchform. „Francis Sultana, Designs & Interiors“, Vendome Press, 256 Seiten, 50 Pfund. vendomepre s s.com, francis sultana.com


AD Summaries

Berlin (p. 108) Dimore Studio creates an Italian enclave in the heart of the German capital.

Color hits you as soon as you enter this central Berlin apartment – first pale pink, then powder blue, then a Campari red interspersed with jungle-scene greens. “We wanted a warmer, more southern European feel,” say the owners, who recently relocated from Stuttgart. Milan was the starting point, and Milan-based Emiliano Salci and Britt Moran, aka Dimore Studio, the perfect partners. Known for their inventively eclectic style, the duo married vibrant hues with art deco flair, Bauhausesque geometries, and Italian mid-century designs. Material-wise, brass and velvet figure prominently – be it in the kitchen’s brass-clad island and low ocher armchairs or the library's Azucena sofa and Dimoredesigned brass-and-wood shelving. The master bathroom’s ribbed walnut paneling, meanwhile, calls to mind fashionable Milanese cafés and boutiques.

Copenhagen (p. 118) A hodgepodge villa gains interiors that are the very essence of harmony.

The exterior is “really quite ugly”, Jonas Bjerre-Poulsen admits – his home in the former fishing village of Vedbæk comprises an Alpine-style summer residence from 1910 plus stylistically incongruous extensions. Inside, though, it had great potential and retained a certain historic aura. The rooms were well proportioned, had sea views, and boasted period paneling and plasterwork, though their many different levels (seven in total) needed tackling. The architect minimized the number of steps and further harmonized the interiors, laying floors of dark-gray magnesite, using mostly furniture by his own practice, and painting the walls a neutral gray-beige. “Friends asked if I didn’t want more color,” says Bjerre-Poulsen, “but the world is loud enough already. It’s nice to come home to a haven of calm.”

Ojai (p. 126) Studio Shamshiri redefines rusticity at an A-list couple’s country retreat.

“We were dealing with a Californian fantasy of a Swiss chalet,” says Pamela Shamshiri of this 1906 hunting lodge, now home to actress Anne Hathaway and jewelry designer Adam Shulman. “We tried to maintain its

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sweetness while adding new layers of texture and furnishings from different eras,” she explains. Such layering is particularly evident in the large music room, where an Yves Klein Monogold table, a piano, and an array of cozy seating gather beneath an early 20th-century disco ball, all bathed in peach and burgundy tones that illustrate the couple’s adventurous color sense (also evident in the soft pink of their bedroom). For Hathaway and Shulman, however, it's in the house's less tangible assets that the real magic lies – in the scale of its rooms, its circular floor plan, and its subtle connections with the surrounding landscape.

Melbourne (p. 132) A modest Victorian residence is revitalized via a radical extension.

Small and narrow they may be, but the terraced houses of Fitzroy North boast long plots that make them sought-after properties. To one such urban oasis, Rachel Nolan has added a spectacular extension that maximizes space without sacrificing the intimacy of the brick original. Arranged around two courtyards, it is shaded by a striking grid of red oxidized steel running the length of the exterior. The geometric theme continues both in the external detailing and in the interiors, the square black kitchen tiles, for instance, creating a grid pattern of their own. These Nolan juxtaposed with warm oak and pale-gray cement plus a table of two-tone granite. Elsewhere, classics such as Thonet chairs and Aalto stools mix with minimalist own-design pieces that call to mind the sculptures of Donald Judd.

London (p. 140) This beautiful Battersea home is a love letter to artisan wallpaper.

The house still had respectable bones, despite having undergone a “weird modern renovation”. After convincing an initially skeptical husband, Hannah Cecil Gurney spent the next couple of years restoring its Victorian charm – via period-appropriate windows, cornices, and joinery. A director at wallpaper specialists de Gournay and the daughter of the firm's founder, she unsurprisingly developed the decors around carefully planned wallcoverings. A bright coral chinoiserie thus lines the master bedroom, the bathroom gained a pink flamingo-motif paper (glazed shower walls included), while the snug has a teal, scarlet, and saffron take B y Iain Reynolds

on an Alessandra Branca design. When it came to the furniture, however, the couple adopted a more ad hoc approach, mixing Georgian heirlooms, antique finds, and rescued or resuscitated pieces in charmingly nonchalant fashion.

Munich (p. 148) How a new coffee table led Evelyn Greite to launch a full-scale home makeover.

The splendor of Nymphenburg Palace is just a few minutes away, but, aesthetically, Evelyn Greite’s 1920s home is a whole different world. Here, walls in earthy gray and beige hues make for a decidedly more muted look, while the many cracked edges and rough surfaces echo Axel Vervoordt’s ideas on beautiful imperfection. Like her interior designer Philipp Vogt, the artist had long followed Vervoordt’s Japaneseinfluenced work, though it was a coffee table in Vogt’s Munich store (actually an old Spanish door resting on wooden-block legs) that sparked their collaboration. After delivering in person, Vogt was asked to revamp the entire house. Now the table takes pride of place in a living room featuring Belgian-made seating and Chinesevase lamps, while the library sets linen and velvet fabrics against a custom bookcase of antique fir.

London (p. 156) Francis Sultana updates a storied English apartment with conviction and care.

Dating from 1771, the London mansion known as Albany is a true Georgian gem. Designed by Sir William Chambers with interiors by Robert Adam, it was built as an aristocrat's home but later converted into apartments, one of which was recently acquired by decorator Francis Sultana and gallerist David Gill. Untouched since the 1950s and lacking even central heating, the property needed a full-scale renovation, during the course of which period details such as an ornate original ceiling and traces of Adam’s color schemes came to light. The latter were reinstated wherever possible (witness the Blue Salon's Wedgwood-blue walls and pale-pink plasterwork) and combined with grays for softer transitions. Sultana's aim, though, wasn’t simply to recreate the past: instead, modern art and bespoke Mattia Bonetti furnishings lend the decors a distinctly contemporary edge.


Adressen

15236 Sieversdorf

33602 Bielefeld

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AD Design Award-Gewinner: Emma Olbers, Espen Surnevik, Luc van Hoeckel, Axel Kufus, Arne Petersen, Ellen Berglund, Anna Gudmundsdottir

Stefan Diez

„Ich glaube, wir haben uns vor 20 Jahren begeistert in die Globalisierung gestürzt und dabei verpasst, die Regeln für alle festzulegen.“

Stefan Diez

Guter Sound von AD Design Summit-Sponsor Burmester

Rossana Orlandi, Oliver Jahn

Moodboard von AD Design AwardGewinnerin Emma Olbers

Andrea Latten, Sophie Seidenath

Heitere Konzentration

Vor der Alten Kongresshalle wartet die Elektroflotte von AD Design Summit-Sponsor, der BMW Group

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Annika Murjahn

Tyler Brûlé


AD Design Summit-Sponsor Caparol Icons lässt es blühen

Oliver Jahn, Enzo Enea, Martin Bergmann, Harald Gründl

Jessica Peppel-Schulz

AD Design Summit

Fotos: Hannes Rohrer

Klimaschutz ist in aller Munde. Der dritte AD-Gipfel kreiste um die Frage: Welchen Beitrag dazu kann Design leisten? „Weniger ist mehr“ lautet einer der berühmtesten Sätze der Designgeschichte. Drei Worte, die nicht nur eine jahrzehntealte formale Debatte beschrei­ ben, sondern auch eine vernünftige Lebensregel formulieren. Und zugleich eine sinnvolle Antwort auf die Klimakrise? Zum dritten Design Summit hatte AD Impulsgeber aus diversen Gestaltungs­ disziplinen nach München eingeladen, um heraus­ zufinden, ob Stilbewusstsein zu einem nachhalti­ geren Konsumverhalten beitragen kann. In acht inspirierenden Vorträgen und drei ange­ regten Diskussionsrunden wurde vor allem eines klar: dass es reichlich kluge Ansätze, aber we­ nig einfache Antworten gibt. Vom jungen Design­ kollektiv Malmö Upcycling Service bis hin zur Mailänder Grande Dame Rossana Orlandi war man sich auf und neben der Bühne zumindest in diesem Punkt einig: Wenn Gestalter und Produ­

AD Design Summit-Sponsor USM im Empfangsbereich

Friederike Weißbach, Katja Kleebach

Andreas Kühnlein, Antonia Altweger

Benedikt von Poschinger, Thomas Biswanger

Trophäen von E15, Sessel von Victor Foxtrot

Dr. Hauschka-Team mit Nicoline Woehrle (2. v. re.)

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Carolin Sangha, Katharina Hesedenz, Michael Reß

Anja Kaehny

Elektrisch unterwegs: AD Design SummitSponsor BMW Group

AD Design Award-Ausstellung

Marie-Therese Adam, Hakim El Kadiri, Susanne Müller

zenten bereit sind, mehr Verantwortung zu über­ nehmen, können sich unerwartete Perspektiven auftun. In der Alten Kongresshalle wurde geballter Tatendrang spürbar – auf Seiten der eingeladenen Speaker wie auch unter den 480 Gästen. Acht kreative Konzepte wurden an der The­ resienwiese vorgestellt und anschließend auf den Panels diskutiert. Eine junge Generation Desi­ gner und Entrepreneure wagt sich mit Experimen­ tierfreude und innovativen Herangehensweisen an die großen Umweltproblematiken unserer Zeit. 20 Entwerfer und Büros waren für den AD Design Award 2019 nominiert. Die Gewinner Espen Surne­ vik, Pop­Hub, Emma Olbers, Super Local und Mal­ mö Upcycling Service machten deutlich: Für den Planeten gibt es Hoffnung – und für die Design­ branche eine Menge Herausforderungen. CW Wir danken unseren Sponsoren: LG Signature, BMW Group, USM, Rado, Burmester und Caparol Icons. Und unseren Partnern: Ambiente Direct, Campari, E15, Victor Foxtrot, Igepa Group, Mono Tee, RMO Druck GmbH und dem „Wirtshaus am Bavariapark“.

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Viel zu besprechen im Foyer der Alten Kongresshalle

Stefan Höglmaier, Andrea Latten

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Sarah Haugeneder, Bastian Lerdon

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AD Apropos

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Chief Executive Officer Roger Lynch Chief Operating Officer & President, International Wolfgang Blau Global Chief Revenue Officer & President, U.S. Revenue Pamela Drucker Mann U.S. Artistic Director and Global Content Advisor Anna Wintour Chief of Staff Samantha Morgan Chief Data Officer Karthic Bala Chief Client Officer Jamie Jouning CONDÉ NAST ENTERTAINMENT President Oren Katzeff Executive Vice President–Alternative Programming Joe LaBracio Executive Vice President–CNÉ Studios Al Edgington Executive Vice President–General Manager of Operations Kathryn Friedrich CHAIRMAN OF THE BOARD Jonathan Newhouse WORLDWIDE EDITIONS France AD, AD Collector, Glamour, GQ, Vanity Fair, Vogue, Vogue Collections, Vogue Hommes Germany AD, Glamour, GQ, GQ Style, Vogue India AD, Condé Nast Traveller, GQ, Vogue Italy AD, Condé Nast Traveller, Experienceis, Glamour, GQ, La Cucina Italiana, Vanity Fair, Vogue, Wired Japan GQ, Rumor Me, Vogue, Vogue Girl, Vogue Wedding, Wired Mexico and Latin America AD Mexico, Glamour Mexico, GQ Mexico and Latin America, Vogue Mexico and Latin America Spain AD, Condé Nast College Spain, Condé Nast Traveler, Glamour, GQ, Vanity Fair, Vogue, Vogue Niños, Vogue Novias Taiwan GQ, Interculture, Vogue United Kingdom London: HQ, Condé Nast College of Fashion and Design, Vogue Business; Britain: Condé Nast Johansens, Condé Nast Traveller, Glamour, GQ, GQ Style, House & Garden, LOVE, Tatler, The World of Interiors, Vanity Fair, Vogue, Wired United States Allure, Architectural Digest, Ars Technica, basically, Bon Appétit, Clever, Condé Nast Traveler, epicurious, Glamour, GQ, GQ Style, healthyish, HIVE, Pitchfork, Self, Teen Vogue, them., The New Yorker, The Scene, Vanity Fair, Vogue, Wired

Jessie Weiß war Bloggerin, bevor es Instagram gab, und Influencerin, bevor das ein Berufsbild wurde. Wir haben die Gründerin des Modeblogs „Journelles“ und ihre Familie (o. mit Mann Johan Fink und den Söhnen Levi und Louis) für unsere neue Serie „ThirtySomething“ in Berlin besucht. Mehr auf admagazin.de

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S. 107: Mattia Bonetti, Spiegel, Tisch

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S. 91: Edward Hopper, Gemälde

S. 157: Mattia Bonetti, Teppich S. 158: Mattia Bonetti, Spiegel, Teppich

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Bekanntmachung gemäß Art. 8 Absatz 3 Bayerisches Pressegesetz: Alleinige Gesellschafterin der Condé Nast Germany GmbH ist die Condé Nast International Ltd., London, UK, deren alleinige Gesellschafterin die Condé Nast International Inc., London, UK ist.

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Benjamin Franklin war nicht nur Gründervater der Vereinigten Staaten, sondern auch Apologet lebensbejahender Aphorismen. „Early to bed and early to rise, makes a man healthy, wealthy, and wise“ lautete seine Maßgabe für bedingungslosen Erfolg. Dass Frank­ lin kein Freund von Langschläfern war, ist angesichts seines außerordentlich schlechten Schlafs kaum verwunderlich. In unruhigen Nächten – „und jede meiner Nächte ist unru­ hig“ – zog er um die Betten, derer er gleich mehrere hatte. Zwischendurch schrieb Frank­ lin viel beachtete Essays – und an den Grundfesten der amerikanischen Verfassung. FS

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