3| 2013
ProSpecieRara-Bulletin
ProSpecieRara mit allen Generationen Ein stabiles Netz f端r die Vielfalt
ProSpecieRara | Editorial
Ein sicheres Netz
Schweizerische Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren www.prospecierara.ch ProSpecieRara Deutsche Schweiz Hauptsitz, Unter Brüglingen 6, 4052 Basel, Schweiz Telefon +41 61 545 99 11, Fax +41 61 545 99 12 info@prospecierara.ch ProSpecieRara Suisse romande c/o Conservatoire et Jardin botaniques de Genève Case postale 60, 1292 Chambésy, Schweiz Tel. 022 418 52 25, Fax 022 418 51 01 romandie@prospecierara.ch ProSpecieRara Svizzera italiana Via al Ticino, 6592 S. Antonino, Schweiz Tel. 091 858 03 58, Fax 091 858 03 03 vocedelsud@prospecierara.ch ProSpecieRara Centro di San Pietro Vicolo Sta. Lucia 2, 6854 S. Pietro, Schweiz Tel./Fax 091 630 98 57 masseria@prospecierara.ch
Impressum Das Bulletin erscheint drei Mal jährlich in deutscher, französischer und italienischer Sprache | Herausgeberin Stiftung ProSpecieRara, Basel, Schweiz | Texte Béla Bartha, Philippe Ammann, Nicole Egloff | Redaktion Nicole Egloff, Anna Kornicker | Layout und Satz Esther Schreier, Basel; Basisgestaltung Titelseite: Reaktor AG, Aarau | Druck Binkert Buag AG, Laufenburg | Papier Cocoon 100% Recycling 120g/m2 | Auflage 19 500 Expl. Fotos ProSpecieRara | Fotos Titelseite (v.l.n.r.) Früh übt sich – eine junge Schwarzhalziegen-Halterin (Foto: Michelle Howald); Gemeinsames Saatgutreinigen am Dreschtag; Enge Beziehung zwischen Evolèner Rind und seinem Halter; Ein Querschnitt durch das ProSpecieRara-Netzwerk.
«Hallo Herr Bartha!», begrüsst mich ein stattlicher junger Mann freudig. Ich schaue ihn fragend an – seine Gesichtszüge kommen mir irgendwie bekannt vor. Nach kurzer Zeit dämmert es mir. Er war der Junge, der vor 18 Jahren an der Seite seines Vaters stolz die Stiefelgeissen an der ProSpecieRara-Rassenschau in Brugg präsentierte. Später habe ich ihn hinter einem Verkaufsstand am Reutenmarkt in Zofingen gesehen und heute treffe ich ihn wieder am Eröffnungsfest unseres Hauptsitzes beim Erdbeeren Degustieren. Seit vielen Jahren begleitet ProSpecieRara ihn und auch mich. Die Aufgaben haben sich geändert, unsere Begeisterung für die Tierrassen und Kulturpflanzen ist geblieben. An Anlässen wie dem Setzlingsmarkt im Frühling und dem Reutenmarkt im Herbst treffen sich Menschen aller Generationen. Kinder wollen Tiere streicheln und frisch geschlüpfte Küken in ihren Händen halten und so in Beziehung zum Lebendigen treten. Junge Erwachsene
entdecken die Biodiversität über die Bewegung des urban gardening und setzen sich ganz praktisch mit gesellschaftsrelevanten Themen wie Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität auseinander. Andere besuchen Weiterbildungen für Tierzüchter, Samenbaukurse und verbessern ihre Fähigkeiten beim Obstschnitt oder bei der Vermehrung von Stauden und vertiefen damit ihr Wissen im Bereich der Erhaltungsarbeit. Familien und ältere Generationen helfen jedes Jahr bei den Dreschtagen oder betätigen sich als geübte Sortenbetreuer/-innen. Diese Motivationen von vielen verschiedenen Leuten bündelt ProSpecieRara und webt damit ein gut funktionierendes Netz zur Sicherung einer faszinierenden Vielfalt. Schön, dass Sie auch dabei sind! Das ProSpecieRara-Team wünscht Ihnen eine besinnliche Weihnachtszeit.
Béla Bartha, Geschäftsführer
Danke für Ihre Unterstützung! PC 90-1480-3, ProSpecieRara, 4052 Basel IBAN CH29 0900 0000 9000 1480 3 BIC POFICHBEXXX
Ihr Testament zugunsten der Vielfalt Die Organisation ProSpecieRara ist seit 1997 ZEWO-zertifiziert.
Mit der Berücksichtigung von ProSpecieRara in Ihrem Testament setzen Sie ein Zeichen, vergleichbar mit dem Pflanzen eines Hochstammbaumes. Wer Bäume setzt, wird ihre majestätische Grösse kaum mehr erleben – dennoch ist man gewiss, dass etwas Wertvolles über das eigene Dasein hinaus Bestand haben wird. ProSpecieRara bietet viele Möglichkeiten, zukünftige Generationen zu beschenken. Die Vielfalt, welche wir in Gärten und Ställen erhalten, ist Garant für unsere Nahrungssicherheit und somit eine würdige Investition in die Zukunft. Herzlichen Dank, dass Sie an sie denken. Unser Geschäftsführer Béla Bartha steht Ihnen für weitere Auskünfte gerne zur Verfügung. Telefon 061 545 99 21
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Foto Markus Zuber, 5024 Küttigen
Stiftung ProSpecieRara
ProSpecieRara | Weihnachtsbulletin 2014
Blauwale im Prättigau Damit Menschen sich für gefährdete Nutztiere wie zum Beispiel für Pfauenziegen oder Evolèner Rinder einsetzen, müssen sie erst mal wissen, dass es solche gibt. Es braucht dafür die Kenntnis, dass vor unserer Haustüre Tierrassen leben, die Gefahr laufen, für immer zu verschwinden. Die letzten Blauwale im Prättigau und die wenigen, verbliebenen Berggorillas im Oberwallis, quasi. Nur wer sich dessen bewusst ist, kann handeln, kann Projekte unterstützen oder über den Kauf von Wolle, Fleisch oder Käse die Rassenvielfalt bewahren. Eine essentielle Grundlage für die Erhaltungsarbeit ist darum die Sensibilisierung der Menschen für die seltenen Rassen und für die Wichtigkeit, diese zu schützen. Und weil es dafür nie zu früh sein kann, möchten wir schon die kleinen Tierfreundinnen und -freunde für das Thema begeistern.
Fotos ?? Fotos ??
Die Idee funktioniert Am Eröffnungsfest des ProSpecieRaraHauptsitzes Ende Juni in Basel war auch eine kleine Gruppe Kupferhalsziegen zu sehen. Sie können sich vorstellen, dass es sehr bewegend war, Kinder zu beobachten, die beim Anblick der stolzen Tiere «schau da ist Konrad Kupferhals!» riefen. Zusätzlichen Rückenwind erhielten wir vom bekannten Holzspielzeughersteller Trauffer. Weil er für eine spezielle ProSpecieRara-Ziegenserie gewonnen werden konnte, wird nun in den Kinderzimmern hie und da auch eine Pfauenziege grasen oder eine Capra Grigia gemolken werden. Dass pro verkaufter Holzziege ein Franken an die Projekte für die lebenden Pendants geht, ist sympathisch. Unbezahlbar jedoch ist, dass die Ziegenrassen und damit die Biodiversität zum Thema bei den Kindern und ihren Eltern und Freunden werden. Wenn die Familie auf der nächsten Wanderung beim Erblicken einer Ziegenherde darüber diskutiert, um welche Rasse es sich handeln könnte, sind wir einen grossen Schritt weiter auf dem Weg zur Sicherung der Vielfalt.
Fotos ??
Kinder lieben Vielfalt. Sie wollen erkennen, lernen und sammeln. Es ist immer wieder faszinierend, mit welcher Leidenschaft kleine Buben und Mädchen Automarken, Pokémon-Fantasiewesen oder Dinosaurierarten auswendig aufzählen und sich für deren unterschiedlichen Eigenschaften begeistern können. Auch die Grossverteiler wissen das und nutzen die Neugier der Kinder für ihre Verkaufsstrategien, indem sie künstliche Vielfalt in Form von Plastikspielzeug oder Spielkarten schaffen und damit bei den kleinen Sammlern und Jägern garantiert ins Schwarze treffen.
«Konrad Kupferhals» als Botschafter Schnell war klar, dass uns dabei unser bisheriger Argumentenfundus nicht weiterbringt. Denn welches Kind lässt sich mit dem Wert der Agrobiodiversität und der Notwendigkeit eines breiten Genpools fesseln? Eine komplett andere Sprache musste her. Entstanden ist das Bilderbuch «Konrad Kupferhals» mit der Geschichte eines kleinen Ziegenbocks, der loszieht, um anders zu werden, auf seiner Reise mit Grauvieh und Wollschwein zusammenspannt und zu sich selber findet.
Foto Josef Grüter
Anstatt Pokémon-Eigenschaften auswendig wissen, die acht gefährdeten Schweizer Ziegenrassen aufzählen können – dieses Ziel verfolgen wir mit dem ersten ProSpecieRara-Kinderbuch und den dazu passenden Holzziegen. Weihnachten naht, warum nicht einmal Biodiversität fürs Kinderzimmer schenken?
Fotos ??
Vielfalt ins Kinderzimmer!
▲ Mit dem Kinderbuch und den Holzziegen entdecken bereits die kleinen Tierfreunde die Vielfalt der Nutztiere. Zum Kinderbuch ist eine Broschüre entstanden mit Infos zu den Kupferhalsziegen und den weiteren gefährdeten Rassen – kindgerecht und interaktiv aufbereitet. Sie kann kostenlos heruntergela-
Philippe Ammann, Bereichsleiter Tiere und Autor
den werden. Bestellmöglichkeiten und weitere
von «Konrad Kupferhals»
Infos unter www.prospecierara.ch/de/kinder.
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Die Begeisterung für ProSpecieRara kennt keine Altersgrenze
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Der Stadt-Tomaten-Bauer
2012 habe ich mit Freunden den Tomatensetzlingsmarkt in der Stadtgärtnerei Zürich besucht. Dort wurde ich auf das Projekt «Stadt-Tomaten» aufmerksam.
Ich war begeistert von der Vielfalt, die angeboten wurde und fand es spannend, dass diese Sorten sogar selber vermehrt werden können. Umso mehr fuxte es mich, dass ich weder Balkon noch Terrasse hatte, wo ich Tomaten hätte pflanzen können. Noch im gleichen Jahr bin ich aber in Zürich in eine Parterrewohnung mit Sitzplatz gezogen. So stand meinem Tomatenprojekt nichts mehr im Weg. Ich bestellte das Stadt-Tomaten Starter-Kit, welches die Anleitung von der Setzlingsanzucht bis zur Samenernte und auch eine kleine Portion Samen beinhaltet, kaufte weitere Samen und besuchte, um die Sortenvielfalt zu vergrössern, auch den ProSpecieRara-Setzlingsmarkt auf Schloss Wildegg. Da ich die Setzlinge sehr erfolgreich angezogen habe, wuchsen ganze 30 kräftige Pflanzen – viel zu viele für meine Terrasse. So habe ich meine Nachbarn, Kollegen und auch meinen Vater mit Setzlingen versorgt. Ich hab in meinem ersten Tomatenjahr viel gelernt und werde in Zukunft einiges anders machen. Dennoch bin ich mit meiner ersten Ernte mehr als zufrieden. Und das Saatgut fürs kommende Jahr hab ich aus meinen eigenen Tomaten geerntet.
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Iwan Strub (24) ist im St. Galler Rheintal – ohne Bezug zum Gemüse garten – aufgewachsen und beendet zur Zeit seinen Zivildiensteinsatz bei «Züri rollt».
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Eine Familie im Bann der seltenen Rassen
Mein Mann und ich sind beide auf dem Bauernhof aufgewachsen, der Umgang mit Tieren ist uns also sehr vertraut. Als Kind habe ich mir immer eine Ziege gewünscht, diese aber nie bekommen. Diesen Wunsch habe ich mir jetzt erfüllt. Aber zuerst waren die Hühner. Wir wollten eine Rasse, bei der die Tiere nicht schon nach einem Jahr wieder ersetzt werden müsen, wie das bei den Hochleistungsrassen oft der Fall ist. Auf der ProSpecieRara-Website sind wir auf das Schweizerhuhn gestossen und sind dann via Züchterverein auch schnell zu Tieren gekommen. Schon bald haben wir auch gebrütet und Küken aufgezogen zum Weitergeben. Durch Kurse habe ich mir mehr Wissen angeeignet und jetzt bin ich sogar emmentaler Regionalbetreuerin für die Schweizerhühner.
Es ist toll, wenn man so direkt mithelfen kann, dass eine Rasse überlebt. Denn es ist wahnsinnig, was heute mit dieser intensiven Landwirtschaft alles verloren geht. Nach und nach sind dann noch Skudden-Schafe und Capra Grigia dazugekommen. Auch diese haben regelmässig Junge, welche wir wenn immer möglich, lebend verkaufen. Ab und zu gibt es auch mal ein Böckli, für das wir keinen Abnehmer finden. Diese essen wir. Die Tiere sind jedoch reines Hobby, mein Mann arbeitet vollzeit auswärts, während ich Haus und Hof in Schuss halte.
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Esther Schmid (36) lebt zusammen mit ihrem Mann Florian (39) und den vier Kindern (2–8) in Biembach im Emmental.
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Ein junger Schaf-Götti
Ich finde Schafe und Ziegen schon lange toll. Die sind einfach lustig. Zuhause spiele ich immer Bauernhof mit meinen Holztieren. Auf meinen vierten Geburtstag hat mir dann mein Götti eine Patenschaft für Flora geschenkt. Flora ist ein Engadinerschaf. Das sieht man daran, weil sie so schön braun ist und Lampiohren hat. Flora lebt im gleichen Dorf wie ich, so kann ich sie ab und zu besuchen gehen. Wenn Dani (der Besitzer) dabei ist, darf ich auch auf die Weide gehen und Flora und ihren Kolleginnen hartes Brot geben. Das haben sie megagern.
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Die engagierte Sortenretterin
Mein Herz hat schon immer für die Landwirtschaft geschlagen, ich bin als Bauerntochter aufgewachsen. Aus gesundheitlichen Gründen konnte ich jedoch nicht in diesem Bereich arbeiten. Ich habe schon früh beobachtet wie die Natur rund um die Bauernhöfe immer eintöniger wurde. Das hat mich beunruhigt. Mit Mitte 40 konnte ich eine Wohnung mit grossem Garten mieten. Dieser Garten war eine einzige Ödnis, völlig überdüngt. Ich hab dann nach und nach auf eine Düngung mit biodynamischen Präparaten umgestellt. Von Freunden habe ich Blauen Emmer bekommen. Diesen habe ich Anfang der 1990er Jahre an ProSpecieRara geschickt. So bin ich mit der Stiftung in Kontakt gekommen. Seither sorge ich in meinem Garten dafür, dass der Blau-Emmer, der seither unter der Nummer GT-831 bei ProSpecieRara verzeichnet ist, nicht ausstirbt. Ich vermehre ihn Jahr für Jahr. Zusätzlich habe ich einige Bohnen- und weitere Getreidesorten in Obhut genommen – alles Kulturen, die nicht allzu viel Arbeit verursachen. Regelmässig schicke ich vom geernteten Saatgut einen Teil an die Samenbibliothek zurück, so dass dort immer frisches, keimfähiges Saatgut lagert. Mir ist es ein grosses Anliegen, dass das Saatgut Allgemeingut bleibt, denn es ist die Grundlage für unsere Ernährung. Und diese möchte ich nicht in den Händen von ein paar wenigen Grosskonzernen wissen.
Die Lage ist zwar dramatisch, aber ich bin überzeugt, dass wir alle etwas dafür tun können, dass sie sich verbessert.
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Heidi Schenkel (69) ist pensioniert. In ihrem naturnahen Garten in Gossau/ZH pflegt sie die Sorten- und Artenvielfalt.
Selber haben wir als Tier nur Zwirbel, unser Büsi. Der ist zwar auch lieb, aber
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ein Büsi haben ja alle. Aber ich hab eben noch ein Schaf, das ist cool. Flavio (5) lebt mit seinen Eltern im Aargauer Reusstal wo er den Kindergarten besucht.
Mehr zu den Patenschaften unter www.prospecierara.ch/de/Patenschaften
Aufgezeichnet von Nicole Egloff, Medienverantwortliche ProSpecieRara
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ProSpecieRara | Weihnachtsbulletin 2014
Sortenwissen in die Zukunft retten
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Mit den alten Sorten und Rassen ist immer auch eine Mengen Wissen verbunden. Wissen um Pflege, Verarbeitung oder schlicht um die Eigenheiten der Vielfalt – Wissen, das ProSpecieRara u.a. in Kursen weitergibt.
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Am Obstsortenbestimmungskurs lernt man ganz genau hinzuschauen.
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Leittrieb, Seitentrieb, Stammbildner, Kopfveredelung – nur ein paar Begriffe, die nach dem Baumpflegekurs geläufig sind.
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In ihrem Element: Gertrud Burger gibt ihr Wissen rund um die alten Obstsorten gerne weiter.
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Der über 100-jährige Legibirnenbaum in Gertruds Obstgarten in Freienwil/AG
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Neben Samenbau-, Schafzuchts-, Staudenvermehrungs- und vielen anderen Kursen bietet ProSpecieRara auch Kurse im Bereich Obst an; zurzeit ein Baumpflege- und ein Sortenbestimmungskurs. Gertrud Burger leitet den Pflanzenbereich bei ProSpecieRara, ihr Kerngebiet ist das Obst. Entsprechend hat sie die beiden modular aufgebauten Kurse ins Leben gerufen und leitet sie auch teilweise. Nicole Egloff: Warum bietet ProSpe cieRara einen Obstsortenbestimmungs kurs an? Gertrud Burger: Ohne Grund stehen wir Menschen kaum für etwas ein. Sorten werden nur erhalten, wenn man auch ihre Eigenschaften kennt und schätzt. Vielleicht ist es der nussige Geschmack der bis in Mittelalter zurückreichenden ‹Goldparmäne› oder die Erinnerung an den grossmütterlichen Kirschenkompott mit der ‹Basler Adlerkirsche›, die uns motivieren, die Sorten weiter zu pflegen. An wen richten sich die Kurse? An alle Obstinteressierten. Vor einigen Jahren, als wir mit den Kursen angefangen haben, waren dies primär ältere Menschen. Menschen, welche die alten Sorten noch aus ihrer Kindheit kannten und den Sortenverlust bemerkten. In den letzten Jahren sind immer mehr auch jüngere Personen dazugekommen. Sei es, weil sie einen Obstgarten übernommen haben, in einer Landschaftsschutzkommission einer Gemeinde sitzen oder schlicht Freude an der immensen Vielfalt unserer rund 2000 Obstsorten haben. Sie alle spüren eine Verantwortung diesem kulturellen Erbe gegenüber. Bringen diese Leute Vorkenntnisse mit? Das ist ganz unterschiedlich. Sortenbe-
stimmen ist etwas ziemlich Komplexes. Deshalb bieten wir am ersten Kurstag einen Theorieteil an, der erklärt, was z.B. eine Kelchgrube oder eine Deckfarbe ist und worauf geachtet werden muss. Tag zwei und drei sind dann von Workshops bestimmt, die oft auch von Kursteilnehmern der vorherigen Jahre besucht werden. Diese können so kostenlos ihr Wissen auffrischen. Es ist schön zu sehen, wie Einzelne richtigen Ehrgeiz entwickeln. In Hausaufgaben gilt es jeweils Äpfel aus dem Kurs zu bestimmen. Für Ungeübte ist es fast unmöglich, alle Sorten richtig zu bestimmen. Es gibt aber immer wieder Personen, die nicht locker lassen, bis sie am Ziel sind. Was verbindet dich mit dem Thema alte Obstsorten? Durch die Übernahme des elterlichen Bauernhofs kam ich in den Besitz eines schönen Obstgartens. Zum Glück habe ich von meiner Mutter und Grossmutter noch mitbekommen, wie man z.B. die ‹Legi birne›, welche bei mir auf einem über 100-jährigen Baum wächst, verarbeitet. Diese ist zum Frischessen nicht sehr attraktiv und wird schnell teig. Gedörrt und zu Birnenweggen verarbeitet ist sie aber unschlagbar. Dann bräuchte es eigentlich auch einen Obstsorten-Verarbeitungskurs, um solches Wissen lebendig zu erhalten... Das ist so. Ideen gibt es viele, im Moment haben wir dafür aber leider keine Kapazität. Aber wenn die Bäume in der neuen Obstsammlung bei unserem Hauptsitz in ein paar Jahren genügend Früchte tragen, könnte man das durchaus anbieten. Bis dahin sammeln wir solche Infos und publizieren sie z.B. in unserem Online-Sortenfinder. Der Sortenbestimmungskurs findet jeweils im Herbst statt, der Baumpflegekurs an 5 Tagen im Winter. Die aktuellen Kursdaten finden Sie auf www.prospecierara.ch/de/veranstaltungen. Den erwähnten Sortenfinderg gibt es auf www. prospecierara.ch/de/sortenfinder.
ProSpecieRara | Weihnachtsbulletin 2014
Seltene Sorten für Bauerngärten und Stadtbalkone
660 Sorten für Neugierige und Erhalter Diese Samenbibliothek dient als eigentliches Verteilzentrum für Saatgut. Hierhin gelangen die Samen, welche unsere Samengärtnerinnen vermehrt haben und von hier werden sie nach einiger Zeit, wenn die Keimfähigkeit nachzulassen droht, wieder an Vermehrer geschickt. Von einem Teil dieser Sorten können auch ProSpecieRara-Gönner Saatgut beziehen und so mithelfen, dass diese lebendig erhalten bleiben. Bestellt wird das Saatgut direkt bei den Vermehrern, die so auch gleich Tipps rund um Pflege und Verarbeitung weitergeben können. Dieses System hat sich mit kleinen Anpassungen über die letzten 25 Jahre bewährt und ist stetig gewachsen. Über 660 Sorten Gemüse, Zierpflanzen, Beeren, Kräuter, Kartoffeln und Getreide stehen für 2014 zum Bestellen bereit – der grösste Teil davon gratis, angeboten von rund 80 Hobbygärtnern und -gärtnerinnen. Wer über unser Netzwerk Saatgut bestellt, ist sich der Problematik rund um die schwindende Vielfalt meist bewusst und tut mit dem Anbau und dem Konsum dieser Sorten sowie mit der finanziellen Unterstützung unserer Arbeit das Seine, damit die Vielfalt erhalten bleibt.
Wenn nur ein kleiner Teil der über 6000 auf www.stadt-tomaten.ch Registrierten und der unzähligen weiteren Personen, die über die verschiedensten Kanäle mit der Problematik in Berührung gekommen sind, das Thema so umsetzen, wie es Iwan & Co. machen, haben wir schon viel erreicht.
Fotos ?? Fotos ??
Neues Publikum dank Stadt-Tomaten Das Projekt «Stadt-Tomaten», welches wir im Frühling 2012 lanciert haben, hat Personen im Fokus, die empfänglich sind für unsere Themen, bis jetzt aber wenig Berührungspunkte mit ProSpecieRara hatten. Persönliche Begegnungen mit StadtTomaten-Anbauern zeigen uns, dass wir mit den «Stadt-Tomaten» auf dem richtigen Weg sind. So berichtet uns ein junger Mann am diesjährigen Buuremärt in Basel stolz, dass er und seine Kollegen aus den Setzlingen, die sie an der Messe NATUR 2012 bekommen hatten, seltene Tomaten gezogen haben. Im Sommer haben sie, wie es das Projekt vorsieht, Samen aus den Früchten gewonnen und aus diesen wiederum Setzlinge angezogen. Dabei waren sie so erfolgreich, dass sie Sets mit Setzlingen verschiedener Sorten an Freunde weiterverschenken konnten. Ähnliches berichtet Iwan Strub (siehe Portrait auf Seite 4). Dass man sich mit dem durchaus ernsten, aber lustvoll aufbereiteten Thema, bei dem es um nicht weniger als unsere Ernährungssicherheit geht, in Zeitschriften und Radiobeiträgen einer völlig neuen Personengruppe präsentieren kann, ist ebenfalls ein positiver Effekt des Projekts.
Fotos ?? Foto Raja Läubli für die Schweizer Illustrierte Fotos ??
Wer gärtnert und neugierig ist, der kennt uns wahrscheinlich schon länger. Manch einer greift zu ProSpecieRara-Samen, damit rote Krautstiele, gelbe Randen und violette Tomaten gedeihen. Saatgut von einigen dieser Sorten gibt es bereits wieder bei unseren Partnern wie z.B. Coop oder Sativa Rheinau zu kaufen. Die nach wie vor grösste Auswahl lagert aber in unserer Samenbibliothek.
Wie aber begeistert man eine Bevölkerungsgruppe, die mit Gartenbau (bis anhin) wenig am Hut hat? Man beschreitet neue Wege.
Foto Josef Grüter
Das Thema schwindende Sorten- und Rassenvielfalt betrifft uns alle – denn diese Vielfalt ist die Grundlage unserer Ernährung. Noch längst nicht alle sind sich der Problematik jedoch bewusst. ProSpecieRara versucht auf ganz unterschiedlichen Wegen zu sensibilisieren.
▲ Eben noch Samen in der Samenbibliothek, ist diese Ernte nun der Stolz der Gärtnerin. ▲ Dank der prominenten Stadt-TomatenBotschafterin Jaël Malli (Frontfrau von Lunik) schafften es die Stadt-Tomaten auch in die Schweizer Illustrierte. ▲ Mit verschiedenen Promotions-Ständen konnte ein ganz neues Publikum auf die Problematik aufmerksam gemacht werden.
Nicole Egloff, Medienverantwortliche
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ProSpecieRaraSetzlingsmärkte Vielfalt für Ihren Garten. Der Grösste
Der Neueste
Der Bunteste
Setzlingsmarkt Wildegg, 3. & 4. Mai, 9 bis 17 Uhr, auf Schloss Wildegg, 5103 Wildegg /AG
Setzlingsmarkt Wil, 10. Mai, 9 bis 17 Uhr, in der Gärtnerei der Psychiatrischen Klinik, 9500 Wil /SG
Zierpflanzenmarkt Bern, 18. Mai, 9 bis 17 Uhr, Stadtgrün Bern, Elfenau, 3006 Bern
Weitere Infos auf www.prospecierara.ch Schweizerische Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren