rara 4 2015 deutsch

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rara DAS MAGAZIN VON PROSPECIERARA AUSGABE 4 /2015

NEUE ALTE RASSEN Seite 5

SORTEN BESCHREIBEN, UM SIE ZU RETTEN Seite 12

VIREN IM PFLANZGUT Seite 14

DEM AROMA AUF DER SPUR Seite 16

Schweizerische Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren 1


Die Kupferhalsziegen gehören zu den Walliserziegen. Diese unterscheiden sich in Bezug auf ihre Genetik stark von allen anderen Schweizer Ziegenrassen. Bild: Eine der grössten Kupferhalsziegen-Herden lebt bei Laurent Simon in Villargiroud.

DANKESCHÖN ! Ihre Unterstützung bringt unsere Arbeit voran: Gönnerschaft Plus à CHF 120.– /Jahr Gönnerschaft à CHF 70.– /Jahr Paargönnerschaft à CHF 90.– /Jahr Juniorgönnerschaft (bis 25 Jahre) à CHF 35.– /Jahr Tier-Patenschaft à CHF 150.– bis CHF 450.– /Jahr Baum-Patenschaft à CHF 250.– /Jahr Für Spenden: PC 90 -1480-3 IBAN CH29 0900 0000 9000 1480 3 BIC POFICHBEXXX

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Die Organisation ProSpecieRara

ist seit 1997 ZEWO-zertifiziert. www.prospecierara.ch/de/spenden

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Editorial

Béla Bartha, Geschäftsführer

Verschiedene Charaktereigenschaften innerhalb eines Teams – Sie werden auf den ­folgenden Seiten einige erkennen – sind für eine erfolgreiche Erhaltungsarbeit unerlässlich.  Überzeugungskraft und Kreativität sind gefragt, wenn es gilt, für die bei uns beheimateten Rassen einen ­neuen Platz in der heutigen Welt zu finden. Beharrlichkeit und Besonnenheit sollte man bei der Absicherung der Bohnenvielfalt mitbringen, gerade dann, wenn Viren das Erhalter-Leben schwer machen. Und Neugier sowie Unternehmergeist stehen meiner Meinung nach für den jungen Koch, der sich mit ProSpecieRara auf den Weg macht, in die riesige Gemüsevielfalt ­einzutauchen und diese neu zu entdecken. Die genannten Eigenschaften gepaart mit der Fähigkeit, mit vielen Partnern konstruktiv zusammenarbeiten zu können und einem grossen inneren Feuer für die Vielfalt zeichnen das ProSpecieRara-Team aus. Lassen Sie sich von diesem Feuer anstecken ! 3


CAPRA GRIGIA Die Capra Grigia oder Graue Bergziege, deren Fellfarbe mit derjenigen des gebrochenen Calanca-Granits verglichen wird, hat in den südlichen Tessiner Alpentälern nur knapp überlebt. Heute helfen auch Züchter nördlich der Alpen bei ihrer Erhaltung mit. Die Porträts der anderen neun ProSpecieRara-Rassen finden Sie auf den folgenden Seiten. 4


Fokus

Neue alte Rassen Philippe Ammann, Bereichsleiter Tiere

Während die Biodiversität sowohl in der freien Natur als auch unter den Nutztieren und Kulturpflanzen stetig abnimmt, entdecken wir neue alte Ziegenrassen. Wie ist das möglich ?

«Hast Du wieder einmal eine neue Rasse ­erfunden ?», bekam ich kürzlich zu hören, als ich über den aktuellen Stand bei den ­Grüenochte Geissen berichtete. Grüenochte Geissen ? Diese Ziege findet man ausser auf der ProSpecieRara-Homepage (noch) auf keiner anderen Rassenliste ! 2006 sind wir auf die letzten Kupferhalsziegen aufmerksam geworden. Im Verlauf des Erhaltungsprojektes sind wir auch auf ihre grauweissen und reinweissen Schwestern gestossen, die wir ebenfalls in unser Erhaltungsprogramm aufnahmen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Zuwachs auf unserer Rassenliste bei gewissen Ziegen­ freunden Skepsis hervorruft. Als wir das Kupferhalsziegenprojekt starteten, gab es anfänglich ebenfalls kritische Stimmen. In einer Zeit, in der man meinte, 5


STIEFELGEISS

PFAUENZIEGE Die Pfauenziegen faszinieren mit einer markanten Körperzeichnung. Die durch ihre Augen verlaufenden schwarzen Bänder heissen im Fachjargon «Pfaven». Der Rassename geht auf einen Schreibfehler eines Journalisten zurück, der aus der Pfavenziege die Pfauenziege machte.

alle Schweizer Rassen zu kennen und sauber voneinander getrennt in systematischen Schubladen inventarisiert zu haben, kam ­unsere Ankündigung von der Entdeckung der Kupferhalsziegen unerwartet. Solche ­Walliser Schwarzhalsziegen, die vorne nicht schwarz, sondern rotbraun gefärbt sind, gab es einst in grösseren Herden. Historische Informationen und ältere Züchter belegen, dass es schon immer Walliserziegen gab, die vorne eben nicht schwarz, sondern braun, grau oder weiss waren.

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Charakteristisch für die Stiefelgeiss sind die Grannenhaare auf dem Rücken (Mänteli) und der Hinterhand (Hösli), die häufig dunkler sind als der Rest der Behaarung. Je nach Beinfärbung spricht man von «Schwarzstiefeln» oder «Braunstiefeln».

WENN SIE NIEMAND WILL, GIBT ES SIE NICHT. «Eine Rasse ist, wenn genügend Leute ­sagen, dass es sie gibt», lautet eine auf den ersten Eindruck banale Definition. Aber falsch ist sie nicht. Erst wenn eine genügend grosse Anzahl Ziegenzüchter dasselbe Ziel vor Augen hat, entwickelt sich über ­Ziegengenerationen eine homogene Rasse. Bei den Walliser Schwarzhalsziegen funk­ tionierte dieser Mechanismus. Den Züchtern gefiel die schwarz-weisse Version am besten. Sie erhielt deshalb den Status einer ­offiziellen Schweizer Ziegenrasse und wurde entsprechend intensiv gezüchtet. Leider gilt in Sachen Rassenbildung auch der Umkehrschluss: Hat niemand mehr ­Interesse an einer Ausprägung, so geht sie


NERA VERZASCA Die traditionelle Ziegenhaltung in der Verzasca-Region formte eine widerstandsfähige, gut bemuskelte und sehr berggängige Rasse. Auf der Suche nach den beliebten Alpenkräutern steigen die Tiere oft in grosse Höhen trotz extremem Gelände.

Diese Postkarte von 1930 zeigt die ­damalige Vielfalt in einer Walliser ­Ziegenherde. Schwarzhälse vom alten Typ mit weniger langen Haaren laufen zusammen mit helleren und ganz ­weissen Tieren. Auffällig sind auch die weiss gegurteten Sattelziegen. 7


BÜNDNER STRAHLENZIEGE APPENZELLERZIEGE Ihr weisses, mittellanges Haarkleid verleiht der Appenzellerziege eine spezielle Eleganz. Sie ist ein schönes Beispiel für die kulturelle Verankerung einer Rasse in ihrem Ursprungsgebiet. In den Appenzeller Halbkantonen übernimmt traditionell eine Gruppe von sechs Appenzellerziegen den Vortrab beim Alpauftrieb und -abtrieb.

«Indem wir Rassen

einen Namen geben, schaffen wir ihnen Identität. Nur so ­gelangen sie auch ins Bewusstsein der ­Menschen und haben letztlich eine Über­ lebenschance. Philippe Ammann 8

»

Die Strahlenziege ist eine ausgesprochene Gebirgsrasse. Lange Wege für die Futtersuche und harte klimatische Bedingungen machen ihr wenig aus. Ihren Namen hat sie von den «Strahlen», den weissen Abzeichen, die ihren Kopf schmücken.

verloren. Den weniger glücklichen Schwestern der Schwarzhalsziege erging es so. ­Ihnen öffnete man kein Zuchtbuch und sprach ihnen offiziell keine Existenz zu. ­Damit verschwanden die grauen Grünochten, die reinweissen Capra Sempione sowie die Kupferhalsziegen von der Hauptbühne der Ziegenzucht und tauchten nur noch ver­ einzelt auf. Viele von ihnen wurden aus ­Unkenntnis als vermeintlich fehlfarbige Tiere abgestempelt und überlebten Ostern nicht. Als wir 2013 für die Grünochte und die Capra Sempione eine Abteilung in unserem Walliserziegen-Zuchtbuch eröffneten, war der Bestand der Kupferhalsziegen seit 2006 von anfänglich 28 Tieren wieder auf 225 Tiere angewachsen. Die Kupferhälse hatten sich in der Zwischenzeit einen Namen


CAPRA SEMPIONE Auch ganz weisse Walliserziegen gab es schon früher. Sie waren wohl mit ein Grund dafür, dass der Begriff «Gletschergeiss» zu einem Synonym für Walliserziegen wurde. Erstaunlich, dass diese aparte Ziege lange Zeit in Vergessenheit geriet und fast ausstarb.

WICHTIGE BÖCKE

gemacht, was 2013 an der nationalen ­Ziegenschau in Wattwil darin gipfelte, dass der imposante Ziegenbock Laurin in der ­Kategorie Publikumsliebling die Schnauze ganz vorne hatte. Ich musste ob diesem charmanten Erfolg schmunzeln. Nicht, weil ein Kupferhals den alteingesessenen Rassen die Schau stahl, sondern weil nach sieben Projektjahren ­Kupferhalsziegen völlig selbstverständlich als Schweizer Rasse an einer namhaften Schau teilnahmen. Noch wenige Jahre vorher wäre dies undenkbar gewesen. Die Grüenochte und die Capra Sempione sind heute noch daran, ihre Plätze im Kreis der Schweizer Rassen zu besetzen. Was zu ­Beginn eines Projekts z. T. als dreist kritisiert wird, nämlich, dass wir alter, vergessener

Nur mit einer genügend grossen Auswahl an genetisch unterschiedlichen Vatertieren kann der Genpool erhalten bleiben und die Inzucht tief gehalten werden. ­Alois Graf (im Bild mit seinem Kupferhals-Bock Laurin) hält in Kirchberg /SG eine grosse Gruppe Walliser Böcke und unterstützt das Projekt, indem er sie Züchtern in seiner Region ausleiht.

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KUPFERHALSZIEGE

GRÜENOCHTE GEISS Dass es im Walliserdeutsch für grau gezeichnete Ziegen die Bezeichnungen «Grüenochte Geiss» oder «Grüenochti» gibt, zeigt, dass der graue Schlag der Walliserziegen eine lange Geschichte hat. Ihre Gitzi sind zu Beginn oft hell und nur meliert und dunkeln später nach.

Genetik einen Rassenamen geben und ­somit Aufmerksamkeit sowie Identität schaffen, ist eine essentielle Strategie bei der Rettung und Erhaltung alter Nutztierrassen.

SCHLÄGE ODER RASSEN ? Alle vier Farbvarianten der Walliserziegen ­bilden eine Gruppe, die sich genetisch ­gesehen stark von den übrigen Schweizer Ziegenrassen abgrenzen lässt. Obwohl alle vier miteinander verwandt sind und auch als Farbschläge bezeichnet werden könnten, führen wir sie aus mehreren Gründen als einzelne Rassen. Zum einen orientieren wir uns bei der Zucht der Kupferhalsziegen, den Grüenochten und den Capra Sempione am alten Walliserziegentypus. Dieser ­unterscheidet sich mit kürzerem, besser 10

Die rotbraune Fellfarbe wurde oft mit derjenigen von Schwarzhalsziegen verwechselt, die von der intensiven Alpsonne ausgebleicht wurde. Mit dem 2006 gestarteten Rettungsprojekt konnten Menschen in der ganzen Schweiz für die Erhaltungszucht der stolzen Ziegen gewonnen werden.

zu pflegendem Haar und einem weiter vorne verlaufenden Farbwechsel vom modernen Schwarzhalsstandard. Zum anderen hilft die klare Positionierung der verschiedenen Ausprägungen durch eigene Rassenamen bei der Identitätsbildung ungemein, was für die nachhaltige Absicherung des Genpools aller Schläge wertvoll ist. Weil es zahlenmässig nur wenige Tiere gibt, führen wir die Variationen im selben Zuchtbuch. In einer Zuchtkonvention, die auf unserer Webseite einsehbar ist, haben wir die gemeinsame Verpaarungsstrategie ­vorerst so festgelegt, dass grundsätzlich ­innerhalb der Farbschläge verpaart werden sollte, Paarungen zwischen den Schlägen ­jedoch möglich sind. Die verschiedenen Farbschläge wurden von den Züchtern ange-


WALLISER SCHWARZHALSZIEGE Die schwarz-weisse Version ist die bekannteste und häufigste unter den Walliserziegen. Die grosse und eher schmale Gebirgsziege wurde mit ihren sehr langen Haaren und den kräftigen Hörnern zu einer sympathischen Kulturträgerin im Wallis.

GEZIELTE FÖRDERUNG nommen und entwickeln sich nach und nach zu grösseren Beständen. Mit unserer Erhaltungsstrategie haben wir die Weichen so gestellt, dass sich aus ihnen eigen­ ständige Rassen entwickeln können und das alte Kulturgut sowohl mit seiner optischen als auch seiner übrigen z. T. noch ­unbekannten, genetischen Vielfalt für kommende Generationen erhalten bleibt. www.prospecierara.ch/de/tiere

ProSpecieRara greift ein, wenn Not am Mann resp. an der Ziege ist. Wir bringen die letzten Züchter zusammen, erfassen deren Tiere in Zuchtbüchern, koordinieren die Erhaltungszucht und fördern die ­Bildung von Rassevereinen. Diesen helfen wir bei der Suche nach neuen Züchterinnen, erleichtern die Tiervermittlung und vermitteln Fachwissen für Expertinnen und Tierhalter. Mit dem ProSpecieRaraGütesiegel zeichnen wir seriöse Erhaltungszucht aus und helfen bei der Vermarktung von Produkten rarer Rassen.

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Obst

Sorten beschreiben, um sie zu retten Christoph Köhler, Projektleiter Obst

Obstsortenerhaltung bedeutet nicht, bloss Bäume zu pflanzen, ­sondern auch die Eigenschaften der einzelnen Sorten zu dokumentieren. Einerseits für die gezielte Erhaltungsarbeit, andererseits aber auch, um die Sorten vor Aneignung durch Dritte zu schützen. Seit mehreren Jahren leitet ProSpecieRara im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft ein Sortenbeschreibungsprojekt im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur ­Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen (NAP-PGREL). Christoph Köhler, Mitar­ beiter von ProSpecieRara Suisse romande, ist für dieses Projekt verantwortlich. Der Herbst ist eine arbeitsintensive Zeit bei mir, denn jetzt sind die meisten Früchte reif. Damit die Sorten mit Bild und Text in der Nationalen Datenbank, deren Informa­ tionen frei zugänglich sind, erfasst werden können, sind einige Schritte nötig. Während unser Obstexperte Frits Brunner für die ­Beschreibungen der Sorten zuständig ist, kümmere ich mich um die Fotos und die ­Koordination. Folgende Schritte stehen auf meiner To-Do-Liste:

UNBEKANNTE FRÜCHTE IN SAMMLUNGEN PFLÜCKEN In den Einführungssammlungen in BadenMünzlishausen /AG und Büron /LU *, welche viele noch unbestimmte Sorten beherbergen, sammle ich jedes Jahr rund 100 Sorten. Ausgerüstet mit einem genauen Plan, auf dem alle Bäume eingezeichnet sind, ernte ich von den reifen Früchten jeweils ungefähr sechs Stück und gebe sie nach Sorten ­getrennt in beschriftete Plastiktüten. Über

Nach genauen Vorgaben werden die Früchte fotografiert und präsentiert. ­Aufgeschaltet werden sie in der ­Nationalen Datenbank, zu finden ­unter www.bdn.ch.

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die meisten der unbestimmten Sorten ist kaum etwas bekannt. Dank den Erfahrungswerten der Sammlungsbetreiber Meinrad Suter und Christian Steiger kann ich dennoch die meisten Sorten zum richtigen Zeitpunkt ernten.

DIE SORTEN FOTOGRAFIEREN Die Früchte müssen nach ganz bestimmten Vorgaben fotografiert werden (von oben, von unten, von der Seite und als Schnittbild), so dass sie nachher miteinander verglichen werden können. Ein mit Stativ, Reflektor, Blitz und Vorrichtungen zum Positionieren der Früchte ausgerüstetes Mini-Fotostudio steht mir dabei zur Verfügung. Jetzt muss ich «nur» noch eine Frucht nach der anderen präparieren und fotografieren – immer ­darauf bedacht, auch die Sortennummer und einen Massstab, der Auskunft über die Grösse gibt, mit abzulichten.

NACHBEARBEITUNG UND ­EINGABE IN DIE DATENBANK Zurück im Büro geht’s an den Computer. Mittels Bildbearbeitungssoftware schneide ich die verschiedenen Ansichten der ein­ zelnen Sorte aus und vereine sie in einem einzigen Bild auf neutralem Hintergrund. Auch hier kommen der Massstab und verschiedene Informationen zur Herkunft der Frucht wieder mit aufs Bild. Das fertige Bild speise ich in die Nationale Datenbank ein, wo es zur Sorten-Info hinzugefügt wird. Gleichzeitig kommt das Bild natürlich auch in unsere ProSpecieRara-Datenbank.

DOKUMENTIEREN, UM ZU ERHALTEN Die Beschreibungen dienen dazu, identische Sorten, die bis anhin als einzelne soge­ nannte Herkünfte geführt wurden, aufzu­ spüren, damit sie für die weitere Erhaltung als eine Sorte behandelt werden können. Zudem bilden die Bäume in den Einführungs­ sammlungen auch das Ausgangsmaterial für die Vermehrung. Hier werden Reiser ge-

In den Einführungssammlungen sind die oftmals noch unbestimmten Sorten platzsparend auf Niederstammbäumen gepflanzt. Christoph Köhler sammelt hier Früchte für die fotografische Beschreibung.

schnitten, um daraus neue Bäume dieser Sorten zu machen. Dass es dabei wichtig ist, die genaue Sorte jedes Baumes zu ­kennen, versteht sich von selbst. Die Beschreibung möglichst vieler Eigenschaften ist aber auch wichtig, um die Sorte zu schützen. Theoretisch könnte nämlich eine Firma in einer freien Sorte eine Eigenschaft entdecken und diese zum Patent anmelden. Somit wären alle Sorten, die diese Eigenschaft enthalten, nicht mehr frei verfügbar (siehe rara 3 /2015). Haben wir aber diese Eigenschaft bereits vorher entdeckt und festgehalten, gilt die Firma nicht mehr als Entdecker dieser Eigenschaft und kann sie entsprechend nicht patentieren lassen. *  Die beiden Einführungssammlungen werden im Rahmen des NAP-PGREL durch das Bundesamt für Landwirtschaft unterstützt und sind Teil der ­Nationalen Genbank der Schweiz.

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Garten- und Ackerpflanzen

Viren im Pflanzgut Philipp Holzherr, Bereichsleiter Garten-, Acker- und Zierpflanzen

Dass Pflanzenkrankheiten über das Saatgut weitergegeben werden können, ist eine bekannte Tatsache und muss bei der Sorten­ erhaltung entsprechend beachtet werden. Im Privatgarten unserer Sortenbetreuer sind betroffene Pflanzen manchmal nur schwer zu erkennen. Macht aber eine Saatgutfirma wie die Sativa Rheinau einen Vergleichsanbau, wird einem bewusst, wie dringend gewisse Sorten saniert werden müssen. Die Mitteilung von Amadeus Zschunke, ­Geschäftsführer von Sativa Rheinau tönt alarmierend: «Leider hab ich schlechte ­Neuigkeiten zu euren Bohnen. ’Jacob’s ­Cattle’ – sehr starker Virusbefall, ’Braune Auskernbohne’ – starker Virusbefall, ­’Kievitsbohne’ – mittlerer Virusbefall, …». Von 10 getesteten Bohnensorten wurde ­keine ohne Virus gefunden.

Viren sind in der Pflanzenwelt alltäglich, sie werden durch saftsaugende Insekten wie z. B. Blattläuse übertragen. Es sind Krankheiten, die Wachstum, Erscheinungsbild und nicht zuletzt den Ertrag massiv beeinflussen können – nota bene aber keinen Einfluss auf die Gesundheit des Menschen haben. Viren werden bei Bohnen und anderen ­Leguminosen über Samen weitergegeben,

Denise Altenbach von Bioreba erklärt Philipp Holzherr, wie die Virenuntersuchung bei Bohnenblättern funktioniert. 14


so dass ein Landwirt durch befallene Saat eine Infektion seines ganzen Bestandes ­befürchten muss.

LÖSUNGEN SIND GEFRAGT ! Im ProSpecieRara-Team machen wir uns deshalb auf Lösungssuche. In einem Bundesprojekt wurden bereits 2005 einige ­Bohnen auf Viren geprüft und saniert, sprich «gesund gemacht». Im Projektbericht ist zu lesen, wie die jungen Pflanzen optisch und mit einer Labormethode auf Viren getestet wurden, um die als virenfrei identifizierten Pflanzen anschliessend zur Weitervermehrung zu nutzen. Für eine erfolgreiche Sanierung müssen also mindestens noch ein paar virenfreie Samen im Bestand sein. Amadeus Zschunke vermutet, dass nicht alle Sorten gleich stark von Viren befallen sind: «Es gibt Sorten, die erst auf dem Feld stärker kontaminiert werden und solche, die schon von Anfang an massiv befallen sind.» Es besteht also Hoffnung, dass die Suche nach gesunden Pflanzen bei einigen Sorten erfolgreich sein wird, doch das muss systematisch überprüft werden. So besuchen wir das Labor «Bioreba AG» in Reinach BL. Denise Altenbach, wissenschaftliche Leiterin, führt uns durch ihre Arbeitsstätte und erklärt die Analysemethoden: «Für die Erkennung von Bohnenviren braucht man 1 g ­eines frischen Blattes. Die Analyse eines Blattes ist einfacher als diejenige eines ­Samens, und sie ermöglicht, einzelne Pflanzen zu analysieren.» Prima, das ist genau das, was wir brauchen !

WER BEZAHLT DAS ? Eine Analyse im Labor kostet. Und wie sieht es mit dem Aufwand im Gewächshaus und auf dem Feld aus ? Wir entwerfen ein Sze­ nario: Man könnte pro Sorte 100 Pflanzen aufziehen, darunter 10 Pflanzen suchen, die keine Virensymptome zeigen und diese im Labor analysieren lassen. Dann werden die gesunden Pflanzen, vor Blattläusen ge-

schützt, im Feld angebaut, um davon einen neuen Samenbestand zu ernten. Das hört sich einfacher an, als es wohl ist, und auch dafür braucht es Infrastruktur und Fachkenntnisse, die finanziert werden müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass es in der Sammlung von ProSpecieRara rund 150 Bohnensorten zu analysieren gibt. Und eine ganz wichtige Frage: Wie können die sanierten Sorten künftig virenfrei gehalten werden ? All diese Fragen zu klären und ­Partner sowie Sponsoren für die Sorten­ sanierungen zu finden, sind unsere erklärten Ziele für die kommenden Monate. Denn gehen wir das Problem jetzt nicht an, werden wir einige Sorten nicht mehr ­sanieren können und sie verlieren. www.prospecierara.ch/de/projekte/sorten-sanieren

BOHNENVIREN IM EIGENEN GARTEN

Weisen die Blätter Ihrer Bohnen ungewöhnliche Verfärbungen auf (z. B. so wie auf dem Bild) oder sind die Schoten ­deformiert, kann das ein Anzeichen für Virenbefall sein. Das Eliminieren von ­befallenen Pflanzen hilft, die Verbreitung einzudämmen. Grössere Abstände zwischen den Pflanzen erleichtern das ­Erkennen und Ausreissen. Bei Stangenbohnen empfiehlt es sich, pro Stange nur eine Pflanze klettern zu lassen. Samen für die Weiterzucht werden von möglichst gesunden Pflanzen geerntet. Um die Übertragung durch Insekten in den Griff zu bekommen, können Bohnen auch unter Insektenschutznetzen angebaut werden.

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Kulinarik

Dem Aroma auf der Spur Interview: Nicole Egloff

Auch aus gastronomischer Sicht bieten die alten Sorten ein riesiges Potential – aber es gilt, dieses zu erforschen. Im Rahmen von Sortensichtungen am ­ProSpecieRara-Hauptsitz testet der Koch Tobias Zihlmann verschiedene Gemüsesorten, vergleicht sie miteinander und versucht, sie in die Küchen der Schweizer Restaurants zu bringen.

WOHER KOMMT DEINE FASZINATION FÜR ALTE SORTEN ? Tobias Zihlmann: 2012 und 2013 konnte ich Praktika in zwei renommierten skandinavischen Restaurants machen (Matsalen, Stockholm und Maaemo, Oslo). Dort wurde extrem viel Wert auf Herkunft und Qualität der Produkte gelegt. Das hat mich beeindruckt und überzeugt, so dass ich es mittlerweile sehr bedenklich finde, dass man im Laden nur noch «die Gurke» bekommt – Sorte total egal. Das höchste der Gefühle ist die Unterscheidung zwischen einer langen Salat­ gurke und einer knubbligen Nostrano. So sieht es bei allen Gemüsearten aus. Dabei gibt es so viele Varianten, die alle ganz ­unterschiedliche Vorzüge bieten. Dass diese in der Küche meist ausser Acht gelassen werden, finde ich sehr schade. Deshalb wollte ich mich vermehrt mit den Eigenschaften der verschiedenen Gemüsesorten auseinandersetzen, und da war ProSpecieRara als Partner die logische Wahl.

WIE KAM ES ZUR ZUSAMMENARBEIT ? ProSpecieRara kann seit 2013 in den Merian Gärten in Basel vertieft Sorten sichten *. Dabei geht es auch um die Prüfung der kulinarischen Eigenschaften der alten Sorten. Gerade für die Gastronomie ist dies eine 16

wichtige Grundlagenarbeit. Durch Vermittlung von Spitzenköchin Tanja Grandits, die beim Projektstart dabei war und die ich aus meiner Ausbildung kenne, stiess ich zum Projektteam und bin seit diesem Jahr für die kulinarischen Tests zuständig. Zwar verdiene ich damit nicht das grosse Geld, aber die Erfahrungen, die ich hier sammeln kann, sind Gold wert, zumal ich daran bin, mein eigenes Unternehmen aufzubauen, das qualitätsbewusste Gastronomen beraten und eigene Produkte entwickeln wird. Zudem möchte ich Gastronomen und Landwirte zusammenbringen und so gegenseitiges Verständnis fördern.

WIE GEHST DU VOR ? Zusammen mit ProSpecieRara definiere ich, welche Sorten getestet werden sollen. ­Diese werden dann in einem ProSpecieRaraGarten angebaut. Sobald sie reif sind, ­degustiere ich sie gemeinsam mit einigen Mitarbeitern der Stiftung in rohem, gedämpftem und gebratenem Zustand. Natürlich ohne Gewürze. Dann füllen wir einen Fragebogen aus, der sowohl Geschmack, Aussehen, Konsistenz etc. als auch Vermarktungsmöglichkeiten eruiert: Ist die Sorte für den Direktverkauf ab Hof geeignet, für den ­Detailhandel oder eher für die Gastronomie ? Diese Fragebogen werte ich aus und stelle


Empfehlungen zusammen. Gepaart mit den agronomischen Erkenntnissen, die Fach­ leute im Feld machen, gibt das eine ziemlich gute Einschätzung der Marktfähigkeit der einzelnen Sorten. Zusätzlich versuche ich meine Kollegen aus der Kochszene von den Neuentdeckungen zu überzeugen, wobei die Verfügbarkeit der alten Sorten im grösseren Stil zurzeit noch ein Hindernis darstellt.

WELCHE HIGHLIGHTS HAST DU SCHON ENTDECKT ? Sehr spannend war z. B. die Fenchel-Degu. Der ’Bologneser’ schmeckt stark nach einer Mischung aus Pastis, Anis und natürlich

Fenchel. Da er sehr faserig ist, eignet er sich aber kaum für die Zubereitung als ­«normaler» Fenchel. Nutzt man ihn jedoch als Gewürz oder Saft, kann er zartere ­Fenchel, die ein nicht so ausgeprägtes ­Aroma haben, perfekt unterstützen. Der ­’Bologneser’ ist nur ein Beispiel dafür, dass es oftmals nicht ein riesiges Vorwissen braucht, um alte Sorten zu verwenden, sondern vielmehr Kreativität.

*  Neu erhaltene Sorten werden angebaut, um einen ersten Eindruck von ihren Eigenschaften zu bekommen. Diese Ergebnisse fliessen in die Entscheidung, ob eine Sorte ins Erhaltungs­ programm aufgenommen wird, mit ein.

Tobias Zihlmann und Samenbibliothekarin Mira Langegger degustieren verschiedene Kohlsorten, um ihre versteckten kulinarischen Eigenschaften aufzuspüren. 17


Kolumne

Tipps

Ziegenstapeln Nils Althaus, Liedermacher, Kabarettist und Schauspieler Neuere geometrische Untersuchungen zeigen, dass Noah auf seine Arche ausschliesslich Ziegen mitnehmen konnte. 1200 Ziegenrassen mal zwei, also 2400 Ziegen hat er in der dichtesten Kugelpackung angeordnet und bei der gekrümmten Reling die Lücken ­jeweils mit vertikalen Ziegen verkeilt. Dies war punkto artgerechter Haltung bereits ein deutlicher Fortschritt zu der damals üblichen Praxis, Ziegen in 10er-Bündeln auf­ zutürmen und mit langen Ziegen querzuverstreben. In dieser Anordnung liessen sich die Ziegen 40 Tage lang Sturzbäche auf den Pelz schütten und verliessen dann unter ­lautem Gemecker wieder das Deck. Was dann geschah, ist zurzeit noch Gegenstand weiterer Untersuchungen, aber die wahrscheinlichste Hypothese lautet, dass sich sämtliche Tier-, Pflanzen-, Pilz- und Bakterienarten irgendwie aus diesen Ziegen entwickelt haben. Diese neuen Forschungsergebnisse ­zeigen (Experten schätzen ca. zum acht­ hunderttaustendsten Mal), dass die Artenvielfalt schon ziemlich alt sein muss und dass niemand auch nur den blassesten Dunst hat, in welchen Schlamassel wir uns reinreiten, wenn wir sie weiter so dezimieren.

BAUERNHOF-APP Die ProSpecieRaraTiere haben den Sprung ins Smart­phone gewagt. VideoFarm ! ist ein liebevoll illustrierter Bauernhof mit integrierten Tierfilmen für Kinder. Appenzeller Spitzhauben füttern, mit jungen Sennenhunden ­tollen oder die ProSpecieRara-Ziegen richtig zusammensetzen – für infor­ mative Unterhaltung ist gesorgt. VideoFarm ! für iOS ist bis Mitte Dezember gratis, danach für CHF 3.– im App-Store ­erhältlich.

EINE PATENSCHAFT ZU WEIHNACHTEN

Ein ganzes Schaf passt schlecht unter den Weihnachtsbaum, eine Patenschaft dafür aber umso besser. Suchen Sie für Ihre Liebsten die passende Rasse, wir suchen Ihnen dann ein konkretes Tier, das Sie besuchen dürfen. Der Betrag von CHF 150.– bis 450.– kommt den Erhaltungsprojekten ­zugute. Ein nachhaltiges Geschenk für Gross und Klein. Bestellung bis 16. Dezember 2015 auf Telefon 061 545 99 11 oder www.prospecierara.ch/de/patenschaften

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IMPRESSUM Das Magazin «rara» für Gönnerinnen und Spender von ProSpecieRara erscheint viermal jährlich in deutscher, französischer und italienischer Sprache. Herausgeberin: Stiftung ProSpecieRara, Basel, Schweiz Redaktion: Nicole Egloff, Anna Kornicker Texte: Béla Bartha, Philippe Ammann, Christoph Köhler, Philipp Holzherr, Nicole Egloff, Nils Althaus Fotos: ProSpecieRara Gestaltung: Reaktor AG, Kommunikationsagentur ASW, Aarau Druck: SuterKeller Druck AG, Oberentfelden Papier: Cocoon 100 % Recycling 90 g /m2 Auflage: 31 000 Ex. deutsch, 8000 Ex. französisch, 1200 Ex. italienisch Weiblein und Männlein: Um die Lesbarkeit zu vereinfachen, verwenden wir jeweils entweder die weibliche oder die männliche Form, selbstverständlich sind immer beide Geschlechter gemeint.

RARA BESTELLEN Gefällt Ihnen unser Magazin rara ? Falls Sie es nicht bereits zugeschickt bekommen, können wir dies künftig gerne tun. Melden Sie sich für ein unverbindliches Probeabo an. info@prospecierara.ch, Telefon 061 545 99 11

KLARSTELLUNG Im Artikel «Wer bestimmt, was wir essen ? » im rara 3 /2015 hätte der Eindruck entstehen können, die Firma Plan SAS, Besitzerin der Firma Samen Mauser, sei ein Agrochemiekonzern. Die Firma Samen Mauser hält fest, dass sie ein reines Handelsunternehmen sei.

STIFTUNG PROSPECIERARA Schweizerische Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren. ProSpecieRara Hauptsitz Unter Brüglingen 6 4052 Basel Schweiz Telefon +41 61 545 99 11 Fax +41 61 545 99 12 info@prospecierara.ch www.prospecierara.ch

ProSpecieRara Suisse romande c/o Conservatoire et Jardin botaniques de Genève Case postale 60 1292 Chambésy Suisse Téléphone +41 22 418 52 25 Fax +41 22 418 51 01 romandie@prospecierara.ch www.prospecierara.ch

ProSpecieRara Svizzera italiana Via al Ticino 6592 S. Antonino Svizzera Telefono +41 91 858 03 58 Fax +41 91 858 03 03 vocedelsud@prospecierara.ch www.prospecierara.ch

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Taten statt Worte Nr. 138

Wir betreiben auch Ahnenforschung. Alte Sorten neu entdeckt. Traditionelle Gemüsesorten erfahren zurzeit eine Renaissance. Dazu tragen wir gern unseren Teil bei. Schon seit 1999 unterstützen wir die Stiftung ProSpecieRara bei ihrer Arbeit, die wichtige Vielfalt von Nutzpflanzen und -tieren zu erhalten. Darum finden Sie bei uns über 120 Artikel, die mit dem Gütesiegel von ProSpecieRara ausgezeichnet sind. Und ausgezeichnet ist übrigens auch der Geschmack.

Alles über das Nachhaltigkeits-Engagement von Coop auf: taten-statt-worte.ch

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