Einblicke
Einblicke Objektanalyse in Kraftfahrzeugen Intermediate Projekt Nebenthema Fachhochschule Kรถln Kรถln International School of Design Betreuer: Prof. Paolo Tumminelli Lehrgebiet: Design Concepts Anne Katharina Elisabeth Hegge SoSe 2013 BA Integrated Design
Inhalt Einleitung 04 Untersuchungsmethode 07 Die Objekte 26 Die Fahrzeuge 36 Kö vs Chorweiler 65 Der Tempel 73 Gender 99 Ausblick 111 Literaturverzeichnis 119 Selbstständigkeitserklärung 123
Im Folgenden wird für eine bessere Lesbarkeit des Textes auf die Nennung von männlicher und weiblicher Form verzichtet. Wenn Sie diese Arbeit gelesen haben oder nicht lesen wollen, nehmen Sie alle doppelseitig bebilderten Seiten heraus. Mischen Sie die Karten und testen Sie Ihren Blick, Ihr Wissen und Ihre Vorurteile beim Erraten, welches Objekt sich in welchem Wagen befindet oder welches Fahrzeug welche Objekte in sich trägt.
Einleitung
1
Tumminelli zit. in: Interview mit Paolo Tumminelli: „Das komplexeste Produkt, das man auf einmal erwerben kann.“ 2 Schefer, Philosophie des Automobils, 2008, S.23
Das Automobil ist in der westlichen Gesellschaft allgegenwärtig. Zum Zwecke der Fortbewegung entwickelt, ging es früher darum „ob man ein Auto fährt, später darum, was für ein Auto man fährt. Heute geht es darum, wie man ein Auto fährt.“ 1 In dieser Arbeit, geht es darum, was im Auto mitfährt. Niklaus Schefer beschreibt das Automobil in seiner Philosophie des Automobils als „ein Gerät voller Technik, eine wichtige Verkörperung der Individualität, eine Art mobiler Wohnung.“2 Dem Begriff der mobilen Wohnung folgend, ist das Automobil nicht bloß ein Objekt, sondern ein Ort, ein Raum, der besonders ausgeschmückt, gestaltet, eingerichtet und gepflegt wird. Die persönliche Gestaltung des Raumes erfolgt an seiner äußeren Hülle sowie im Innenraum. Durch hinzugefügte oder fehlende Symbole und Zeichen in Form von Gegenständen wird das Automobil zum Vermittler von Kommunikation. Das Auto sowie Teilaspekte des Automobildesigns als Symbole an sich sind als „primäres Kommunikationsmittel“ bereits vielzählig aufgearbeitet worden. Von Studien zum Wachstum des Kühlergrills bis zur Vokalanwendung in Modellnamen wird analysiert, was das Auto dem Menschen bewusst oder unbewusst vermitteln soll.
Interessanterweise gehen diese wissenschaftliche Untersuchen nicht tiefer als bis zur Textur der Fuร matte. Doch was liegt darunter? Sei es eine Zigarettenkippe oder der vor der Gattin versteckte Sparstrumpf, diese Arbeit soll Einblicke in den Innenraum des vornehmlich privat genutzten PKW geben. Dabei geht es nicht um Interieurdesign, technische Styling- oder Tuningelemente, sondern um die nutzlosen, funktionalen, vergessenen, stรถrenden oder geliebten Objekte, die Autobesitzer in diesen Ort transportieren. Inhalt des Projekts ist es, stichprobenartig das Panorama aller kommunikativen Objetivationen (Symbole, Zeichen, Signale) zusammenzutragen und zu typisieren. Leitfragen Im Mittelpunkt stehen folgende Fragen: Welche Objekte gibt es (Cluster)? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Objekt, Fahrzeug und Fahrer? Gibt es Unterschiede in Bezug auf Gender, untersuchte Stadtteile oder Fahr- zeugfabrikate? Wie kommunizieren die Objekte ? Welche designrelvanten Arbeitsfelder kรถnnen sich daraus ergeben?
In dieser Arbeit sollen Objekte im Auto als unbeachtetes Alltagsphänomen dargestellt, analysiert und interpretiert werden. Nach der Darstellung der technischen und methodischen Untersuchungsgrundlage werden im Hauptteil zunächst die Objekte analysiert, Cluster gebildet und mit sozio-kulturellen Phänomenen in Verbindung gebracht. Darauf aufbauend werden einzelne Aspekte, Auffälligkeiten oder Klischees untersucht und kritisch hinterfragt. Die Untersuchungsergebnisse fließen abschließend in einen Ausblick auf designrelevante Arbeitsfelder ein.
Untersuchungsmethode
Untersuchungsmethode
Marotzki, Niesyto, Bildinterpretation und Bildverstehen, 2006, S. 7 4 ebda.: S. 7 5 Mitchel, Picture Theory, 1994, S. 2-3 3
„Bilder und Bilderfahrungen sind heute zentraler Bestandteil der Wahrnehmung, der Wirklichkeitserfahrung und des kommunikativen Austauschs [...].“3 Neben der Quantität hat auch die qualitative Bedeutung von Bildern in der heutigen Kommunikation stark zugenommen. In den Medien wird ein Ereignis erst durch das Bild zu einem Ereignis, die Macht der Bilder ist allgegenwärtig. Während die kritische Reflexion von Texten ein elementarer Bestandteil der Schulbildung ist, wird die Fähigkeit, Bilder des Alltags zu lesen und zu interpretieren, nicht vermittelt. „Zwar gibt es ausgearbeitete Traditionen für die Bildinterpretation in der Kunstwissenschaft und für die Filminterpretation in der Filmwissenschaft, aber hier liegen andere Fragestellungen zugrunde.“4 Die Rückständigkeit unserer Fähigkeit, Bilder zu lesen, beschreibt W.J.T. Mitchel als das Problem des 21. Jahrhunderts, „What we need is a critique of visual culture that is alert to the power of images [...].5 Der methodische Ansatz dieser Studie beinhaltet die Bildanalyse und Interpretation von eigenen fotografischen Aufnahmen. Grundlage dieses Ansatzes bildet das von Marotzki und Stoetzer entwickelte Modell, das in der qualitativen Sozialforschung angewendet wird. Im Rahmen von empirischen, sozialwissenschaftlichen orientier-
ten Forschungsprojekten werden von den Forschern selbst gemachte Fotografien in vier Stufen ausgewertet:
1. Objektebene 2. Ordnung der Objekte 3. Inszenierung der Objekte 4. Bildtheoretisch orientierte Analyse der Selbstund Weltreferenzen Marotzkis und Stoetzers Modell beruht im Wesentlichen auf dem von Erwin Panowski entwickeltem Modell von 1962 aus seinem zentralen Aufsatz „Studien zur Ikonographie“6. Da diese etablierte Methode der Bildanalyse das wissenschaftliche Fundament der vorliegenden Arbeit bildet, soll im Folgenden anhand eines Beispiels auf die vier Stufen der Bildauslegung detailliert eingegangen werden.
Fotoanalyse und Bildinterpretation
Panofsky, Studien zur Ikonologie, 1980, S. 29-61
6
1. Objektebene
Vorikonographische Beschreibung
7
Vgl.: Marotzki, Stoetzer, 2011, S. 18
Die von Erwin Panofsky beschriebene „vorikonographische Beschreibung“ ist die reine Identifikation von unmittelbar sichtbaren Gegenständen. Im Vorgang des reflektierenden Identifizierens liegt die Gefahr einer unbewussten, vorschnellen Identifizierung (kolonialisierender Blick)7 sowie das unterbewusste Hinzufügen einer kulturellen Bedeutung. Daher soll im ersten Schritt der Objektebene lediglich die Aufzählung und Benennung der einzelnen Objekte erfolgen. Mittels Linien und Flächen kann das Bild beschrieben und eingeteilt werden. Dadurch kann ein Zugang zu zunächst nicht zusammenpassenden Objekten geschaffen werden. Es wird verhindert, dass Objekte übersehen werden und fremde Bedeutungsgehalte können aufgedeckt werden.
Panofski bezeichnet den zweiten Schritt der Bildinterpretation als „Ikonographische Analyse“. Durch die Erfassung der Ordnung der Objekte können Bedeutungshypothesen erzeugt und auf deren Grundlage Sinnzusammenhänge konstruiert werden. Zur Entschlüsselung der konventionellen Bedeutung von Objekten im Bild ist ein Wissen über den (sub-)kulturellen Hintergrund wichtig. Marotzki und Stoetzer nennen hier als Beispiel die Geste des „Hutziehens“ als konventionelle Form der Begrüßung sowie den speziellen Gruß, der in der Science Fiction Serie „Star Trek“ verwendet wird.8 Ist die Bedeutung innerhalb des spezifischen Kulturkreises identifiziert, kann ein Zusammenhang und eine Ordnung der Dinge hergestellt werden. Dadurch wird das „ikonographische Thema des Bildes“ ermittelt (z. B. Marktstand, Studentenwohnung, Bushaltestelle). Zusammen mit dem Entstehungsdatum und –ort kann eine raum-zeitliche und soziale Situierung oder Kontextualisierung erfolgen, die die Grundlage der Bildinterpretation bildet.9
2. Ordnung der Objekte
Ikonographische Analyse
Vgl.: Marotzki, Stoetzer, 2011, S. 20 9 Vgl.: ebda.: S. 22 8
Sinn Um den Sinn hinter einem Bild zu erkennen, entwi-
10
Marotzki, Stoetzer, 2011, S. 22
ckeln Menschen eine Geschichte im Sinne von „StoryKonstruktionen“10, die dargestellte Personen, Objekte und Sachverhalte zusammenfügt. Während bis ins 19. Jahrhundert mit Bildern Geschichten erzählt wurden („kodifizierte Narrationen“ z. B. auf Grundlage der Bibel oder der klassischen Mythologie), sind im heutigen, alltäglichen Kontext häufig Bilder zu finden, zu denen es keine eindeutig kodierte Narrationen gibt. Visuelles Material hat heutzutage nur in wenigen Fällen eine eindeutige Sinnstruktur und lässt eine Vielzahl von Lesearten zu. Daher liegt ein Schwerpunkt der Bildanalyse gerade darin, die Vielfältigkeit zur Geltung zu bringen. Verbindet man die kulturelle Bedeutung und die sinnhaften Zusammenhänge der Objekte, ergibt sich eine Story. Anhand der Lesearten zur Ordnung der Objekte und deren Zusammenhänge (Narration) entwickelt sich die Gesamtinterpretation, die im nächsten Schritt um die Analyse formaler Elemente erweitert wird.
Die Analyse zur Inszenierung der Objekte zielt darauf ab, zu begreifen, was in einem Bild zu sehen ist und wie es präsentiert wird. Der Blick richtet sich auf das Setting (Landschaften, Räume, Hintergründe) Farbe und Licht, Staging (Einstellungsgrößen, Perspektive) und die Komposition. Diese Aspekte sind die Darstellungselemente der Formalanalyse. Sie haben eine inhaltliche Funktion, das heißt, dass diese als „Symbole[...] von etwas dargestelltem umgedeutet werden sollen“11 Die Analyse der mise-en-scène deckt die formalen Strukturen des Bildes, also das Bildhafte des Bildes, auf. Die Formalanalyse kann die im Punkt 2 analysierten Sinnzusammenhänge unterstützen und ist somit ein wichtiger Faktor zur Untermauerung der Hypothesen innerhalb der Bildanalyse.
3. Inszenierung der Objekte
Mise-en-scène
Marotzki, Niesyto, Bildinterpretation und Bildverstehen, 2006, S. 25
11
4. Analyse der Selbst- und Weltreferenzen
12 vgl.: Marotzki, Niesyto, Bildinterpretation und Bildverstehen, 2006, S. 12 13 Panofsky, Studien zur Ikonologie, 1962, S.33
Der vierte Schritt der Bildanalyse ist die bildtheoretisch orientierte Analyse der Selbst- und Weltreferenzen. In dieser Interpretationsstufe wird der gesellschaftliche Gehalt des Bildes herausgearbeitet. In der auch als „ikonologische Interpretation“ bezeichneten Interpretationsstufe zielt auf die Bestimmung des Gehalts eines Phänomens ab. Das dargestellte oder entschlüsselte Phänomen soll in einen geistesgeschichtlichen Zusammenhang gebracht werden, das Bild wird zum symbolischen Ausdruck seiner Zeit. Allgemein gesagt, soll das Phänomen in einem Bild als Ausdruck für eine Person, ein Milieu, eine Gesellschaft oder einer ganzen Zeitepoche entschlüsselt werden. Laut Panofsky geht es um die eigentliche Bedeutung des Phänomens.12 Sie „wird erfasst, indem man jene zugrunde liegenden Prinzipien ermittelt, die die Grundeinstellung einer Nation, einer Epoche, einer Klasse, einer religiösen oder philosophischen Überzeugung enthüllen, modifiziert durch eine Persönlichkeit und verdichtet in einem einzigen Werk.“13
Durch die Anwendung von Marotzki und Niesyto Modell kann somit in dieser Interpretationsstufe die Weltanschauung des Menschen im Kontext sozio-struktureller Gefüge von Gemeinschaften und Gesellschaften ermittelt werden.
Die Anwendung des Interpretationsmodells von Marotzki und Niesyto kann im Kontext qualitativer Sozialforschung eine Hilfe sein, visuelles Material (vornehmlich Fotos, die soziale Situationen darstellen) zu interpretieren. Im ersten der vier Schritte zur Fotoanalyse werden Objekte und Motive bestimmt und mit dem kulturellen Bedeutungsgehalt verknüpft und dadurch hohe interkulturelle Sensibilität entwickelt. Im zweiten Schritt können durch die kulturelle Situierung Bedeutungsund Sinnzusammenhänge entwickelt werden. Daraus ergeben sich Bildinterpretationshypothesen, die in der Formalanalyse des dritten Schritts ausgearbeitet werden. Im vierten Schritt des Interpretationsmodells erschließt sich somit der gesellschaftliche Gehalt oder die eigentliche Bedeutung des Fotos.
Zusammenfassung
Bedeutung der Bilder
14
vgl.: Brandes, Erlhoff (Hrsg.), My Desk is my Castle, 2011, S.25-26
Fotografien können somit durch die Anwendung eines adäquaten Interpretationsmodells nicht nur Aufschluss über die Wirklichkeit geben, mit Fotos wird kommuniziert und Wirklichkeit konstruiert. Bis ins 20. Jahrhundert wurde qualitative Forschung mit der Analyse von Texten gleichgesetzt. Die Bedeutung der Bildanalyse wurde über lange Zeit unterschätzt und auch in der Designforschung wenig angewendet. Der „linguistic turn“ des 20. Jahrhunderts wurde erst seit kurzem vom „iconic“ oder „visual turn“ abgelöst. Begründen lässt sich dies in der Präsenz der Bilder, die in der heutigen medialen Welt stark zugenommen hat. Bildinterpretationsmodelle und ikonografische Analysen erleben dementsprechend eine Wiedergeburt und finden auch im Bereich Design ihre Anwendung. 14 In der vorliegenden Arbeit wird die Methode der Fotoanalyse und -interpretation praktisch angewendet. Das heißt, das Foto wird als visuelles Datenmaterial genutzt und bildet die Forschungsgrundlage. Wichtig dabei zu erwähnen ist, dass das Medium Fotografie hier als Werkzeug genutzt wird und weniger illustrativen oder ästhetischen Zwecken dient. Da die Besitzer der Fahrzeuge unwissend über die Ablichtung ihrer Objekte sind und keinen Einfluss hatten,
haben die Fotos ein authentisches Wesen oder einen fast naiven Charakter, da sie gewöhnliche Situationen oder Schnappschüsse aus dem Alltag zeigen. Dieser Aspekt ist besonders interessant, da wir aufgrund des Vorherrschens von „bearbeiteten“ Fotos schon lange den ideologischen Glauben aufgegeben haben, dass Fotos die Realität oder Wahrheit zeigen. Neben der qualitativen Methode der Bildinterpretation wurde das Bildmaterial auch zur quantitativen Datenanalyse genutzt. Interpretationshypothesen aufgrund qualitativer Analyse wurden mit der quantitativen Auswertung verglichen und konnten dadurch untermauert werden. Anderseits schärfte die quantitative Auswertung mittels Excel und SPSS Statistics den Blick, einzelne Aspekte auch qualitativ untersuchen zu wollen. Die Forschungsgrundlage bildeten Fotos von 206 Fahrzeugen, die aus verschiedenen Gesichtspunkten ausgewertet wurden. Die Ergebnisse sowie auffällige Teilaspekte werden im Hauptteil detailliert beschrieben. Nach einer kritische Reflexion der Datenerhebung soll im Folgenden auf technische Aspekte und weitere Ansätze zur Datenerhebung eingegangen werden.
qualitativ/ quantitativ
Kritik
Die vorgestellte Untersuchungsmethode und Datenerhebung soll hier selbstkritisch dargestellt werden. Es kann keinesfalls von repräsentativen Forschungsergebnissen gesprochen werden, da nicht die gleiche Anzahl von Kfz einer Klasse, Marke, eines Preissegments oder an einer Fundstelle aufgenommen und ausgewertet wurden. Es handelt sich mehr um eine stichprobenartige Untersuchung mit klarem Schwerpunkt auf einer qualitativen anstatt quantitativen Auswertung. Ebenso sind die Interpretationsansätze beeinflusst von meinem eurozentrischen Blick. Daher könnten Objekte oder Phänomene in Fahrzeugen multikultureller Verkehrsteilnehmer auch falsch gedeutet oder missinterpretiert worden sein. Die Schwierigkeit jeder empirischen Untersuchung liegt dem sehr ideologischen Anspruch von Objektivität und Wahrheitsgehalt gerecht zu werden. Allein durch die Formulierung eines Untersuchungsthemas ändert sich der Blick auf das Untersuchte. Die erkenntnistheoretische Forschungsinteresse verändert das, was untersucht wird. Dieses Verhalten ist oft unvermeidbar. Eine Forschungsarbeit verliert jedoch nicht ihren wissenschaftlichen Charakter, solange sich der Forscher seines subjektiven Betrachtens bewusst wird.
Geht man tiefer in die Ansichten der empirischen Sozialforschung, so wird klargestellt, dass es bei einer qualitativen Datenanalyse keine objektive Aussage geben kann.15 Die Interpretation von visuellen Daten (Fotografien) ist jedoch nicht willkürlich, eher das Gegenteil. Anders als bei einem Interview kann ein Foto distanziert vom untersuchten Objekt analysiert werden. Während in Literatur der Inhalt im Text kodiert liegt, „spricht“ das Foto direkt zum Betrachter. Die qualitative Bildinterpretation eignet sich für diese Untersuchung als „instrument for organising visual knowledge“16, jedoch soll damit kein Anspruch auf Vollständigkeit, Objektivität oder absoluter Wahrheit erhoben werden. Viel wichtiger ist, dass durch diese Arbeit Interesse für das Thema erzeugt wird, kritische Fragen auftauchen und die Diskussion angeregt wird.
15 vgl.: Luhmann, Art as a Social System, S.103 16 Kraimer, Fotoanalyse, 2011, S. 1
Technische Ausrüstung Was man braucht: 1. einsehbare Fahrzeuge 2. 1. auf öffentlich zugänglichem Grund 3. einen klaren Himmel 4. Zeit 5. Spiegelreflexkamera 6. Objektiv 7. Polarisationsfilter 8. Stativ 9. Schwarze Pappe 10. Oder statt 5.-9.: ein flaches Smartphone mit Kamera 11. Schwarze Kleidung 12. Gute Argumente und etwas Charme bei Kontakt mit entrüsteten Fahrzeugbesitzern, der Polizei und Mitarbeitern des Ordnungsamtes
Technische Herausforderung
Die größte technische Herausforderung beim Fotografieren der Kfz und deren Innenräume lag in der Vermeidung von Reflexionen. Beim Fotografieren des gesamten Fahrzeuges konnte durch den Einsatz eines Polarisationsfilters ein Großteil der Reflexion vermieden werden. Jedoch zeigte sich, dass bei Aufnahmen Nahe der Fensterscheibe der Polfilter keine nennenswerte Wirkung erbrachte. Daher wurde versucht, mit einer großflächigen schwarzen Pappe und dunkler Kleidung störende Reflexionen zu vermeiden. Trotz des Einsatzes von kostspieligem Gerät zeigte die Nutzung der Kamera eines iphones 4 die besten Ergebnisse. Durch das direkte Auflegen des Smartphones auf die Scheibe löste sich das Problem der ungewollten Reflexionen von selbst. Auch wenn die Qualität der HDR-Fotos natürlich nicht mir den RAWAufnahmen der Spiegelreflexkamera zu vergleichen sind, erwies sich diese Methode als schneller und unauffälliger als die Arbeit mit der zuvor genutzten Fotoausrüstung und wurde situationsabhängig als Alternative eingesetzt.
Aufgrund der widrigen Umstände, bei Schneeregen, Hagel, Schneefall und Regen fotografische Aufnahmen durch die Fensterscheiben von stehenden Kfz zu machen, wurde der direkte Kontakt zum Fahrer gesucht, um diesen um einen uneingeschränkten Einblick ins Innenleben des Fahrzeugs zu bitten. Als zweckmäßiger Ort wurden zwei stark frequentierte Tankstellen im äußeren Ring Kölns aufgesucht. Nach Absprache mit dem Tankstellenbesitzer bzw. -pächter wurden KfzFahrer während des Tankstellenbesuchs gefragt, ob es möglich sei, eine Außen- und Innenaufnahme ihres Kfz zu machen. Selbst nach Klärung des Sachverhalts (Arbeit innerhalb des Studiums) und Versicherung der Anonymisierung von Daten, die Rückschlüsse auf den Kfz -Besitzer geben könnten (Kennzeichen, Dinge mit persönlichen Daten wie etwa Rechnungen etc.) sowie das Angebot, die entstandene Arbeit per E-Mail zuzusenden, negierte ein Großteil der Verkehrsteilnehmer die Bitte, so dass von diesem Ansatz zur Datenerhebung abgesehen wurde. Neben der Aussage, „keine Zeit“ zu haben, erklärten interessanterweise die befragten Personen ihre Entscheidung am häufigsten damit, dass es „privat“ oder „persönlich“ sei (17 von 43 Befragten) oder ihr Wagen unaufgeräumt sei, und daher kein Foto erwünscht ist.
Alternative Ansätze zur Datenerhebung
Einsendungen aus: Bogotá, Kolumbien Gummersbach, NRW Pul-e-Khumri, Afghanistan
Diese Aussagen verwundern dahingehend, dass sie darauf schließen lassen, dass der Innenraum eines Fahrzeugs vom Fahrer selbst als „privat“ und nicht für die Öffentlichkeit einsehbar wahrgenommen wird. Neben direkten Anfragen wurde in verschiedenen Internet-Foren sowie Seiten von regionalen Automobilclubs ein Aufruf zur Einsendung von Fotos gestartet . Auch hier war die Rückmeldung gering, sodass allein auf die Auswertung eigener Fotografien fokussiert wird.
Die Objekte
Die Position
Bevor die einzelnen Gegenstände in Bezug zur Fahrzeug ausgewertet werden, wird zunächst die Lage der Gegenstände im Fahrzeug betrachtet. Die Innenausstattung eines Pkw beinhaltet Stauräume und Fächer die zur Abgabe von Transportgegenständen oder Utensilien gedacht ist. Der Kofferraum, Handschuhfach, Seitenfächer und die Mittelkonsole sind hierfür vorgesehen. Die Auswertung der Position der Gegenstände im Fahrzeuginnenraum zeigt, dass Objekte außerhalb der dafür vorgesehen Ablagemöglichkeiten positioniert werden. Deutlich wird, dass die größte Objektdichte in unmittelbarer Nähe des Fahrers ist. Obwohl der Kofferraum das größte Volumen birgt, häuft sich das Vorkommen von Gegenstände zur Frontscheibe hin. In weniger als 5% der untersuchten Autos wurden die hinteren Seitenfächer genutzt, in 81% der Fälle wurden Objekte in der Mittelkonsole gefunden. Im vorderen Bereich des Kfz handelt es sich vornehmlich um persönliche Gegenstände im Sichtfeld oder unmittelbarer Reichweite des Fahrers. Es sind keine Transportgüter sondern Objekte aus den Clustern dekorative/persönliche Elemente sowie Getränke und Snacks, Hygiene und Technik. Auf diese Objekt-Cluster soll nun näher eingegangen werden.
Die Position von Gegenst채nden im Kfz
H채ufigkeit von Gegenst채nden in %
<5
5- 50
> 50
Die Objekte
Zunächst wurden alle Objekte aller 206 Fahrzeuge identifiziert und in Gruppen zugeordnet. Die Darstellung gibt einen Einblick in die Vielzahl und Bandbreite der verschiedenen Gegenstände. Durch die Bildung von Cluster konnte das Auftreten von bestimmten Objektgruppen in typischen Fahrzeugklassen analysiert und visualisiert werden. Zur Einordnung dienten Eigenschaften wie funktional - dekorativ, temporär - dauerhaft, Materialeingenschaften, Volumen, Geldwert, Erinnerungswert, etc. Die Cluster veranschaulichen den fließenden Übergang der Gruppen und verdeutlichen die Schwierigkeit der präzisen Einordnung.
Dokumente Briefe Einkaufszettel
Notizzettel
Visitenkarten
Bücher Reiseatlas Aktenordner Rechnungen Schreibblöcke
Persönliches
Trophäen Fotos Schutzengel Plastikfiguren Fan-Maskottchen Plüschtiere Handtasche Pokale Fanschals
Freizeit
Zeichnungen Golfbälle Kleidung Lebewesen Badehose Spielzeug
Laptoptasche Werkzeug
Rucksack
Kletterausrüstung Fotoequipment Turnschuhe
Sicherheitsschuhe
Umzugskisten
Baumaterial
Arbeit
Fußball
Komfort
Kopfhörer Videokamera Ladekabel CDs
Navi Mp3-Player
Technik
Decken Kassetten Nackenstütze Tierboxen Kissen Kindersitze Sichtschutz Hundedecken Duftbäume Sitzbezüge Deo Hygiene Kämme Erste-Hilfe-Kit Taschentücker Kleenex Eiskratzer Toilettenpapier ReinigungsHandcreme Kondome mittel Bürsten Parfum
Lippenstift
Einkauf Nahrungsmittel Getränkekisten
Abfall
Geschenke Altpapier Plastiktüten Pfandflaschen Altglas Zigarettenkippen Kaugummis Zigaretten Snacks und Schokolade Getränke Fastfood Energydrinks
Verpackungen Essensreste
Safttüten Kaffeebecher Müsliriegel Proseccodosen Hundetrinknapf Backwaren Bonbons Wasserflachen Bierflaschen Coca-Cola Dosen Trinkpäckchen Babynahrung
Fahrzeugklassen
Nach der Bildung von Clustern einzelner Objektgruppen, ist es möglich, Unterschiede zwischen verschiedenen Fahrzeugklassen zu bestimmen. Im folgenden Abschnitt werden anhand von vier Beispielen verdeutlicht, welche Objekte wo in welchen Fahrzeugklassen auftreten.
Der Kleinwagen
Im Kölner Studentenviertel sowie im Stadtteil Chorweiler sind Kleinwagen der unteren Preisklasse (bis 10.000 €) ein fester Bestandteil des Straßenbildes. Trotz des geringem Volumens finden hier nicht nur eine Vielzahl an Objekten sondern auch eine Große Breite an Objketgruppen Platz. Besonders auffällig ist, dass die Gegenstände vom Fußboden bis zur Fensterscheibe breit im Fahrzeug verteilt sind. Im Vergleich zu den anderen Fahrzeugklassen sind hier die meisten Gegenstände mit dem geringsten Volumen und weicher Materialeigenschaft wie Schonbezüge und Stofftiere. Große Fenster bieten Einblick auf deutlich sichtbare, farbenfrohe persönliche Objekte.
Sportwagen
Der Sportwagen
Der Sportwagenfahrer scheint seinem Fahrzeug nichts hinzuzufügen wollen. Die wenigsten Objekte wurden in Sportwagen gefunden. Das junge, dynamische Imgage des Sportwagenfahrers wird durch Energydrinks und moderne Technikelemente unterstrichen. Dauerhafte persönliche Objekte sind klein, metallisch und werden minimalistsich verwendet. Demonstrativ wird die offene Markenhandtasche oder der Rassehund im gepflegten Wagen zurückgelassen.
SUV
Das SUV
SUV- und Sportwagenfahrer zeigen die Gemeinsamkeit des Minimalismus. Das Ausbleiben von Objekten ist gerade im geräumigen SUV bemerkenswert. Fraglich bleibt, was hinter den getönten Scheiben liegt. Die Fahrzeughöhe, ein hoher Blechanteil im Vergleich zur Glasfläche sowie der Sichschutz demonstrieren eindeutig, dass der SUV-Fahrer sein Privatleben verbergen will. Lediglich die Coca-Cola Dose verrät, dass sich in dieser kühlen Neuwagenathmosphäre auch Menschen aufhalten.
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Transporter
Der Transporter
Transporter stellen einen Sonderfall dar, da sie nicht zu den Privatwagen gezählt werden können. Obwohl der Fahrer des Wagens nicht der Besitzer ist, findet sich hier, anders als im Dienstwagen eines Büroangestellten, eine große Objektvielfalt. Besonders auffällig ist die Masse an Papier in Form von Aktenordnern, Rechnungen, Zeichnungen und Zettelbergen. Es wird deutlich, dass im Armaturenbrett eines Handwerkerwagens Elemente zur Organisation eines mobilen Büros fehlen. Obwohl der Transporter insgesamt großen Stauraum bietet, wirkt die Fahrerkabine aufgrund von Arbeitsmaterialien und Nahrungsmitteln in Griffnähe des Fahrers beengt. Eine klare Unterscheidung zwischen Abfall und Gebrauchsgegenständen ist oft nicht möglich.
KĂ&#x2013; vs Chorweiler
Nach der allgemeinen Typisierung von häufig auftretenden Merkmalen in verschiedenen Fahrzeugklassen soll im Folgenden Bezug auf den Aufnahmeort genommen werden. Anders als bei der Analyse von Fotos, die in der bürglichen Mitte Köln aufgenommen wurden, sollen hier zwei Extrema aufgezeigt werden. Dazu wurden zwei gegensätzliche urbane Orte ausgewählt, die sich grundlegend unterscheiden aber dennoch vergleichbar sind. An zwei aufeinanderfolgenden Samstag Nachmittagen in zwei Städten am Rhein wurden die ersten 45 Fahrzeuge an einem Straßenzug mit vielfältigen Einkaufsmöglichkeiten fotografiert. Zum einen im Stadtteil Chorweiler im Norden Kölns, zum anderen auf der Königsallee in der Düsseldorfer Innenstadt. Der Quadratmeterpreis einer Mietwohnung in Köln, Chorweiler lag laut Mietspiegel.de die letzten 12 Monate gleichbleibend unter 6€, rund um die Düsseldorfer Königsallee bei 12€ pro Quadratmeter. Aufgrund der Attraktivität und Bekanntheit der Kö kann davon ausgegangen werden, dass nicht nur Düsseldorfer oder direkte Anwohner hier ihr Auto während des Einkaufs abstellten. Mehr als die Hälfte der Fahrzeuge hatte kein Düsseldorfer Nummernschild (28 von 45), sieben der Fahrzeuge sind außerhalb NordrheinWestfalen registriert. In Vergleich dazu zeigt der Staf-
KÖ vs Chorweiler
dtteiler Chorweiler weniger Auswärtige anzuziehen, lediglich sechs Pkw kamen aus anderen Kreisen oder kreisfreien Städten. Da sich die Fahrzeuge mit auswärtigem Kennzeichen in das Bild integrieren und keine starke Abweichung in Fahrzeugtyp und gefundenem Inhalt von den lokalen Fahrzeugenzeigen, wurde nicht nur hier, sondern in der gesamten Studie der Zulassungsort der Fahrzeuge nicht weiter untersucht. Wie nicht anders zu erwarten, befanden sich in der Kö deutlich mehr Fahrzeuge die in das obere und gehobene Preissegment einzuordnen sind, in Chorweiler dominiert die Masse im unteren bis mittleren Preissegment. Während der Aufnahmen in Düsseldorf wurde ich von 4 Passanten und Besitzern der fotografierten Autos freundlich bis forsch angesprcohen, in Köln-Chorweiler von zwei Polizisten. Auf der Kö war die geringe Vielfalt an Objekten besonders deutlich. In Chrorweiler ist besonders die Masse an Objekten aus verschiedenen Clustern auffällig. Genauso vielfältig wie die Objektgruppen ist auch die auch die Markenvielfalt in Chorweiler. Ein heterogenes Bild aus 23 verschiedenen Automarken. An der Spitze der häufigsten Automarke steht VW (6 Polos), danach ist eine große Streuung von französischen und asiatischen Marken zu erkennen. Im Gegendatz dazu ist
das Straßenbild auf der Kö sehr homogen, Von 45 Wagen sind 10 der Marke Mercedes Benz, darauf folgen 6 Land Rover und die Marken VW, Audi und BMW. Bis auf die Ausnahme des britischen Herstellers ist eine Dominanz von deutschen herstellern zu erkennen. Obwohl anzunehmen ist, dass in Chorweiler sowie auf der Kö mit der Absicht des Einkaufens geparkt wurde, sind in den Wagen auf der Kö auffällig wenig Objekte zu erkennen. Das liegt daran, dass eine Vielzahl der Wagen getönte Scheiben hat. Während der hintere Wagenteil im verborgenen bleibt, ist einsehbare Vorderberich sehr aufgeräumt und nur durch wenige, dafür ausgewählte Objekte bestückt.Als Beispiel seien hier hochpreisige Handtaschen, Lederhandschuhe oder auch Rassehunde zu nennen. Es scheint, dass die Fahrer dieser Autos sher bedacht darauf sind, was sie der Öffentlichkeit präsentieren. Dies gleicht sich mit dem Image der Fahrzeuge, die im oberen Preissegment angesiedelt, ein Zeichen des Wohlstands setzen. Es wird deutlich, dass nicht nur das Fahrzeug selbst verschiedene Nutzungszwecke von Prestigeobjekt bis Transportmittel hat, sondern sich dies auch in den Objekten im Auto widerspiegelt. Der Chorweiler Kleinwagen lässt sich, überzogen ausgedrückt, mit einer günstigen Plattenbau-Mietwohnung vergleichen, die eigentlich einer Kernsanierung
bedarf. Ein unscheibares, billiges äußeres enthält auf kleinstem Raum einer Vielzahl von Gegenständen aus allen Nutzungsbereichen. Das Auto muss mehrere Funktionen im Alltag erfüllen, auf Ästhetik und Hygiene wird weniger Wert gelegt. Konträr dazu zeigt sich das Auto auf der Kö als Ausstellungsobjekt, in dem lediglich das zur Schau gestellt wird, was das Image des Fahrers und des Wagens unterstreicht, „denn den Wohnraum mit Gepäck zu teilen, gilt grundsätzlich als vulgär.“17 17 Tumminelli, A7 – ein Hybrid zwischen Statik und Dynamik, 2010
Der Tempel Symbole für Glaube, Geld und Kraft? Fiat Siena, polnisches Kennzeichen, Nähe Arbeitsamt Köln
Phänomen Schutzengel
Krauss, Die Engel: Überlieferung, Gestalt, Deutung, 2005, S. 8 - 9 19 VDStra., Christophorus Schutzpatron der Straßenwärter, 2011, S. 4 18
Neben rein zufällig oder temporär platzierten Dingen ist der Gegenstand in Form oder Symbol eines Schutzengels in seinen diversen Ausführungen eine besondere „Erscheinung“, die aufgrund ihres häufigen Auftretens (39 von 206 KFZ) näher betrachtet werden soll. Während vorwiegend am Heck eines Kfz neben einem Fische-Symbol ein Aufkleber mit der Aufschrift „Fahre nicht schneller, als dein Schutzengel fliegen kann“ aufzufinden ist, finden sich weit mehr SchutzengelFiguren, die direkt im Auto mitfahren. Der Glaube an einen Schutzengel ist nicht nur im christlichen Glauben, sondern auch in anderen abrahamitischen Religionen wie dem Judentum und dem Islam vertreten; Schutzgeister finden sich auch im Buddhismus, in der Esoterik und der griechischen Mythologie wieder. 18 Christopherus, der als Heiliger in der katholischen und orthodoxen Kirche verehrt wird, ist einer der vierzehn Nothelfer und in dieser Funktion ein Helfer gegen einen unvorbereiteten Tod. Als Schutzpatron der Reisenden, insbesondere der Autofahrer und Straßenwärter19 wird Christopherus in der Ikonographie als Hüne dargestellt, der das Jesuskind auf seinen Schultern durch die Schnellen eines reißenden Flusses trägt. Nicht nur die Bayerische Lebensrettungsmedaille 2. Klasse heißt „Christophorusmedaille“ selbst das
Magazin des Sportwagenherstellers Porsche trägt den Namen Christophoros.20
Vom Schutzpatron zum Schutzengel
Aktuelle Artikel des Christophoros Magazins sind online verfügbar unter: www. porsche.com/germany/accessoriesandservices/n18/ 21 N.N., Kein Glaube ohne Kirchensteuer, 2011 22 Persönliche Erfahrung innerhalb meines einjährigen Aufenthalts in einer Missionarsstation in Mosambik 23 vgl. N.N., Religion im Auto, 2011 20
„Seit 1990 gibt es jährlich mehr als 100.000 Austritte aus der katholischen Kirche, im Jahr 2011 waren es insgesamt 126.488.“21 bekundet die Süddeutsche Zeitung; innerhalb der Studie konnte lediglich eine Christopheros-Plakette fotografisch dokumentiert werden, - in einem Polo. Der Rosenkranz und die Kreuzkette sind jedoch noch sehr existent im Lebensraum Auto. Während der Rosenkranz besonders von sehr gläubigen Verkehrsteilnehmern genutzt wird, um vor einer langen und/oder beschwerlichen Reise ein (Rosenkranz-)Gebet zum Wohlausgang dieser zu sprechen22, wollen Aussteller von Kreuzketten oder Schutzengeln nicht ihren Glauben damit bekunden.23 In einer entchristitianisierten Gesellschaft finden Püppchen und Figürchen, die den gleichen Effekt des „Helfers gegen einen unvorbereiteten Tod“ haben sollen, ihren Stellenwert. Festgeklebt und ausgerichtet auf den Fahrer eines Familienwagens der Mittelklasse (8 von 13 Fällen), ist dieser perfekt auf die Eventualität einer Notsituation vorbereitet.
„In Renault-Fahrzeugen könne man eine bunte Mixtur aller erfassten religiösen Gegenstände feststellen.“25
Interessanterweise scheinen doch gerade diese Fahrergruppen im Vergleich zu jungen Kleinwagenfahrern weniger vom Unfalltod gefährdet. Oder gerade deswegen? Deutlich sichtbar ist jedenfalls, dass die religionsfreie Figur eines Schutzengels die Funktion des Christopherus-Abbilds übernommen haben könnte. Laut der Studie „Religion im Auto“ von Prof. Michael N. Ebertz vom Zentrum für Kirchliche Sozialforschung an der Katholische Hochschule Freiburg24 befinden sich in jedem zehnten Pkw religiöse Symbole. Engel, Rosenkränze, Kreuze und Aufkleber mit dem FischSymbol seien am häufigsten anzutreffen. Während die meisten religiösen Symbole an und in Fahrzeugen der Marken VW, Opel, Ford, Renault, Mercedes und Audi zu finden seien, dominierten Engelsfiguren in den Wagen von Honda, Nissan und Citroen. Kreuze oder Kreuzketten finden sich gehäuft in Pkw der Marken Mercedes, Peugeot und Mazda, während keine Kreuze bei den Marken Nissan, Citroen, BMW, Hyundai, Fiat und Honda zu finden seien.
24 vgl. N.N., Religion im Auto, 2011 25 vgl. N.N., Religion im Auto, 2011
Zusammenfassend kann dieses Phänomen aufgrund der geringen Anzahl an erfassten Fahrzeugen quantitativ weder belegt noch widerlegt werden. Als Ergebnis der qualitativen Fotoanalyse ist jedoch deutlich geworden, dass die Marke eng mit der sozialen Milieuzugehörigkeit der Fahrer zusammenhängt und die Milieus unterschiedliche religiöse Vorlieben haben. Eine Vielzahl der Privatwagen enthält - milieuunabhängig - deutliche Elemente eines modernen Tempels. Ist der Aufenthalt im Auto vielleicht eine Substitution des früheren Kirchengangs bei dem –zumindest in der katholischen Kirche - Ikonen um Kraft und Beistand gebeten werden? Gleicht der aufgerichtete Blick zum Kreuz am Rückspiegel dem Blick auf das über dem Alter schwebenden Kruzifixes? Ist der Pkw ein Ort der Ruhe und Zurückgezogenheit, abgeschottet vom direkten Kontakt zu Mitmenschen; ein durch Kraft und Glück spendende Objekte personalisierter Tempel? Ist der Aufenthalt im Auto die Ego-Kirche als Zeichen von Individualisierung der Gesellschaft?
Deutlich wird, dass die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv einer Religionsgemeinschaft in dem Glauben der Menschen und somit in ihren Accessoires immer weniger Zuwendung findet und eine zunehme Individualisierung der Objekte, die vom gemeinen Schutzpatron über den Schutzengel zum Glückbringer hin trivialisieren, zu erkennen ist. Der Glücksbringer, vornehmlich am Rückspiegel baumelnd oder in der Nähe des Fahrers im Cockpit positioniert, kann Auskunft über die Hobbys, sportlichen Aktivitäten, Interessen, den (gewünschten) Status und das Geschlecht einer Person geben. Nicht auf das Geschlecht sondern auf den Ausdruck der Geschlechterrolle durch das Medium Fahrzeug soll im folgenden Kapitel eingegangen werden.
25
Vom Heilsbringer zum Glücksbringer
Gender
Genderaspekte
Die geschlechterspezifische Einordnung von Automarken ist markant: Porsche, gefolgt von Mercedes Benz, Audi und BMW wird ein m채nnliches Image zugesprochen. Smart ist die Frauenmarke schlechthin, mit weitem Abstand folgen Fiat, Renault und Peugeot als Marken mit einem weiblichen Image.26 Bei der Wahl der Marke und Modell eines Automobils scheiden sich die Geschlechter. Auch wen es kein typisches Frauenauto und kein typisches M채nnerauto gibt, sind geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Autoauswahl durchaus erkennbar.27 Markant werden genderspezifische Unterschiede bei der Gestaltung des Autoinnenraums. Im Rahmen der vier Schritte innerhalb des Modells zur qualitativen Bildanalyse wurden geschlechtsspezifische Merkmale analysiert und konnten R체ckschl체sse auf die Geschlechterrolle des Fahrers gemacht werden.
26 Laut einer vom AXA Konzern AG in Auftrag gegebene Studie von 2003 27 Laut einer Studie der Hochschule Niederrhein von 2013
Gender als terminus technicus der Sozial- und Geisteswissenschaften und bedeutender Aspekt der Designausbildung und Gestaltungspraxis bezeichnet an-
ders als das biologische Geschlecht die „soziale und kulturelle Konstruktion von Geschlechterrollen“28. Aufgrund der Tiefe und Breite des Themengeflechts Gender und Objekte, bzw. Gender und Design wird hier auf die Forschungsansätze und -ergebnisse von Prof. Uta Brandes verwiesen29, um nicht durch die Darstellung diverser theoretischer Ansätze den Rahmen der vorliegenden Arbeit zu sprengen. Da „Gestaltung ohne die Reflexion von Geschlecht unvollständig ist“30, sollen im Folgenden die Bedeutung von alltäglichen Objekten, ihre Darstellung und Wirkung genauso wie die Besitzer, die mit Objekten ihre Genderrolle definieren und darstellen, analysiert werden. Objekte sind kulturelle Zeichen und Symbole, die zur sozialen Distinktion und kommunikativen Zwecken eingesetzt werden. Autobesitzer markieren durch Objekte nicht nur ihren Besitz, sondern kommunizieren auch ihre Geschlechterrolle. Brandes und Erlhoffs Forschungsprojekt „My Desk is my Castle“ zeigt, dass außenstehende Betrachter anhand einer Fotografie eines Arbeitsplatzes mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit das richtige Geschlecht des Schreibtischnutzers identifizieren konnten.31
Gender und Design
28 Joost, Gender-Aspekte in der Designausbildung, S. 135 29 Als vergleichende Literatur sei hier u.a. Designtheorie und Designforschung (2009), Sex und die Stadt (2007) sowie My Desk is my Castle zu nennen (2011). 30 Brandes, zit. in: Weil Gender einfach nicht mehr zu leugnen ist
Stereotypen
31
vgl.: Brandes, Erlhoff, My Desk is my Castle, S. 99 32 vgl.: ebda., S. 102
Diese Allgenwärtigkeit des „doing gender“32 findet sich auch im Behältnis Auto wieder. Die Auswahl und das Arrangement der Objekte spiegeln nicht nur einzelne Lebensgeschichten wieder, sie sind auch Kommunikationsmittel im Alltag des Straßenverkehrs. Objekte haben eine private und öffentliche Funktion. Wir umgeben uns mit Objekten, um eine familiäre, gemütliche Atmosphäre zu kreieren, ein Stück Heimat zu markieren. Sieht man die stereotype Geschlechterrolle der Frau als familiengerichtet, häuslich und emotional, so spiegelt sich dies erschreckend oft in Fahrzeuginnenräumen wieder. Betrachtet man pinke Farbtöne oder Pastellfarben, organische, runde Formen und weiche kuschelige Materialien als typisch weiblich, präsentieren Frauen ihre Geschlechterrolle überdeutlich in ihren Fahrzeugen. Als Beispiele seien hier an erster Stelle Kuscheltiere in allen Variationen, dann pinkfarbene Schonbezüge, florale Dekorationen, Kosmetikartiel und natürlich – die Handtasche – zu nennen. Frauen richten sich in ihrem Auto ein. Der typische Kleinwagen einer Hausfrau/jungen Arbeitnehmerin/Studentin wird durch Kuscheltiere, Mode- und Kosmetikartikel und Objekte mit Erinnerungswert als gemütlicher Sammelort zur Unterstreichung der emotionalen Persönlichkeit genutzt. Der Autoinnenraum ist eine mobile Erweiterung der heimischen Privatwohnung.
Um es weiter zu überspitzen, spielt das Fahrzeug und Fahrwerk eine geringe Rolle, wichtig ist, was drin ist. Für die Frau ist „das Auto wie eine Vase, und sie ist die Blume darin.”33 Lutz Fügener, Professor für Transportation Design an der Hochschule Pforzheim stellt zudem fest, dass Frauen dementsprechend wesentlich freier in der Auswahl des Autos seien: „Schon bei den Farben sind sie mutiger, wie bei ihrer Kleidung.“34 Diese Aussage unterstreicht die These, dass Frauen ihr Auto eher als modisches Accessoire sehen, eine mobile Handtasche, die außen farblich abgestimmt, alle (wichtigen) Utensilien des Alltags beinhaltet. Um offensiv zu polarisieren: Frauen haben eine Tendenz, Ihren Wagen durch Anhäufung von Objekten mit emotionalem Wert für sich einzunehmen; Männer hingegen streben dahin, ein Teil der Maschine zu werden. „Für den Mann ist das Auto eine Prothese, ein zusätzlicher Muskel, ein Panzer“35 Das Auto ist keine Höhle des Sammlers sondern ein Medium der Jagd, Ausdruck von Stärke und Macht. Dementsprechend finden sich in Autos von männlichen Fahrern generell weitaus weniger Objekte als bei Frauen. Sieht man dunkle oder metallische Farben, geometrische Formen und kühle, harte Materialien als typisch männlich, so erfüllt sich dieses Klischee auch
Jäger und Sammler
Fügener zit. in: Die deutschen fahren Kitsch, 2011, S.1 34 ebda.: S.2 35 ebda.: S.2 33
in Autoinnenräumen. Eine Ausnahme bilden hierbei Fanartikel aus dem Fussballsport: Fanschals und Geißbockplüschtiere. Das männliche Pendant zum weiblichen Stofftier ist sind die am Rückspiegel baumelnden Miniatur-Boxhandschuhe (in 8 (!) von 206 Fahrzeugen). Diese bilden eine Erkärung zur zweiten Funktion von Objekten. Neben der privaten besitzen Objekte auch eine öffentliche Funktion. Besonders exponiert gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern tummeln sich auf der Rückbank oder am Rückspiegel zur Schau gestellte Objekte. Anders als bei nach innen gerichteten Objekten in Autos weiblicher Besitzer kommunizieren diese Objekte nach draußen und sind Symbole zur Unterstreichung der Stärke (Boxhandschuhe) oder Zugehörigkeit (Fanschals). Zusammenfassend ist deutlich geworden, dass der Autoinnenraum für den Mann grundsätzlich etwas ganz anderes darstellt als für die Frau. Frauen und Männer nutzen oder entfremden das Behältnis Auto auf verschiedene Weise, sodass es seinen gewünschten Zweck erfüllt. Autobesitzer spiegeln und demonstrieren aktiv ihre soziale Geschlechterrolle durch die (fehlende) Präsenz von Objekten wieder.
Auf den ersten Blick lassen sich die Ergebnisse dieser Studie nicht direkt auf zukünftige Entwicklungen oder Bedarf im Design übertragen. Vielmehr dient diese Arbeit dazu, zunächst auf alltägliche Phänomene aufmerksam zu machen, einzelne Aspekte auszuleuchten, Fragen aufzuwerfen und somit als Inspirationsquelle für innovatives, intelligentes Design und Marketing-Strategien der Zukunft nützlich zu werden. Diese wissenschaftliche Untersuchung soll nicht als praktisches Handbuch für Anwendungsbereiche im Design verstanden werden, sondern ein erstes Verständnis darüber vermitteln, wie Menschen sich verhalten, welche Objekte sie wie und wo nutzen. Die Darstellung der verschiedensten Objekte im Innenraum Auto hat gezeigt, dass das Interieur des Fahrzeugs umgenutzt wird. Objekte finden sich an Plätzen wieder, die nicht für diesen Nutzen gestaltet worden sind: Ein Rückspiegel wird zum Aufhänger für den Glücksbringer, das Seitenfach zum Mülleimer, die Rückbank eine Pfandsammelstelle und der Beifahrersitz zum Aktenschrank umfunktioniert. Menschen adaptieren sich entsprechend ihrer individuellen Bedürfnisse an den vorgegeben Raum Auto. Deutlich wird, dass verschiedene Fahrergruppen verschiedene Ansprüche zur Nutzung des jeweiligen Kfz hat. Durch die Beobachtung, Analyse und Interpretation von Ob-
Ausblick: Ansätze für Design
jekten in Pkw sollte ein Verständnis dafür entwickelt werden, was Autofahrer in ihrem Wagen brauchen. Und das ist weit mehr als Produkte, die das Fahren ermöglichen. Der Designer sollte sensibilisiert werden, wie sein Produkt, das Fahrzeuginterieur, verwendet wird, um dies als Inspiration und Quelle zur Verbesserung der user experience zu nutzen. Gerade in Bezug auf Anwendererfahrung kann der wirkliche Nutzen des Produkts von Interesse für den Fahrzeughersteller sein. Das Produkt Pkw bietet nicht nur Mobilität, bei veränderten Rahmenbedingungen kann es zur Verbesserung und Erweitung der Nutzungsmöglichkeiten bieten. Neben Mobilität kann das Fahrzeug einen Raum der Kommunikation, Entertainment, einen Arbeitsplatz, Ruhe und Abgeschirmtheit oder Heimat vermitteln. In dieser Studie ist der reale Nutzen des Produkts Auto deutlich geworden, dass das Auto nicht nur zum Fahren genutzt wird, sondern in der Realität auch als Hundehütte oder Imbisstisch Verwendung findet. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse könnten neue, intelligente und nützliche Innraumkonzepte entstehen. Dazu wurde deutlich, dass jeder Fahrer andere Ansprüche an das Innenleben des Fahrzeugs hat; es gibt gravierende Unterschiede in Bezug auf soziales Milieu, Automodell, -klasse, Preissegment oder Gender. Würde man diese verschiedenen An-
sprüche als Nachfrage formulieren, könnten sich neue Märkte für verschiedene Nutzergruppen eröffnen. Das könnte einerseits zu einer größeren Produktvariation in Bezug auf das Interieur führen, oder zu einer Ausstattung, die durch multifunktionale Eigenschaften verschiedenen Anwendungsansprüchen gerecht wird. In beiden Fällen ist eine größere Hinwendung zum Detail nötig. Diese Studie soll einen ersten Anreiz auf die Untersuchung ungenutzter Räume oder Flächen geben. Ein Bespiel soll die Bedeutung der sozio-kulturellen Unterschiede erklären: Lange Zeit haben europäische Kühlschrankhersteller die Bedürfnisse von potenziellen Kunden in sehr heißen Klimaregionen nicht beachtet. In der typischen Aufteilung eines westeuropäischen Kühlschrankmodells ist es nicht vorgesehen, eine große Menge an Wasserflaschen oder –containern zu kühlen, dass der Nutzer in diesen Klimaregionen die Kühlschrankaufteilung für seine Zwecke ändern musste. Ein koreanischer Kühlschrankhersteller erkannte die verschiedenen Nutzungsbedürfnisse und bietete mit großen Erfolg verschiedenen Designs für verschiedene Länder an. Als Designer soll hiermit der Blick für individuelle Bedürfnisse geschärft werden und als Anregung dienen, dass diese Aspekte in den Designprozess miteinfließen sollten.
Durch den Blick auf die vielzähligen Nutzungsarten wird die Komplexität des Themas deutlich. Es stellt sich die Frage der Machbarkeit. Wie kann ein Massenprodukt verschiedenen Nutzergruppen gerecht werden? Neben fest definierten multifunktionalen Nutzen könnte auch offene Designkonzepte erfolgsversprechend sein. Ein Raumkonzept, dessen Einzelbereiche nicht die singuläre Funktion Sitzen, Verstauen oder etwa Einschließen besitzen, sondern ein offenes Raumkonzept, dass dem Menschen Freiraum gibt diesen entsprechend seiner Bedürfnisse zu nutzen. Somit würde nicht für jedes Interesse ein einzelnes Produkt entworfen werden, sondern ein Produkt könnte verschiedenen Interessen und Bedürfnissen gerecht werden. In diesem Stadium erscheint das als weit entferntes, abstraktes Ziel. Um sich diesem anzunähern wäre eine intensivere Auseinandersetzung mit der Interaktion zwischen dem Nutzer und Produkt, sowie Nutzen, Design und Herstellungsmöglichkeiten erforderlich. Zurück zu den Objekten in Autoinnenräumen: Es ist deutlich geworden, dass die Mehrzahl der gefundenen Objekte keinen direkten Nutzen für die reine Funktion „Fahren“ im Automobil hat. In erster Linie soll durch diese Studie diesen Objekten eine Bedeutung zuge-
sprochen werden. Als Designer mag es schwierig erscheinen, eine gewisse Wertschätzung den Objekten zu schenken, die oftmals leichtfertig als Kitsch betrachtet werden. Doch gerade mit diesen Objekten, sei es eine unscheinbare Kreuzkette oder ein pinkfarbener Plüschteddy, werden Wünsche oder Sehnsüchte (wie z.B. Sicherheit oder Geborgenheit) kommuniziert. Durch die Untersuchung von Objekten, die auf den ersten Blick belanglos, kitschig oder deplaziert erscheinen können somit designrelevante Fragestellungen aufdecken. Das Beispiel Auto hat gezeigt, dass Menschen das Bedürfnis haben, sich in ihrem direkten Umfeld auszudrücken, ihr Territorium zu markieren und somit Teil ihrer Identität zu werden. Neben der Untersuchung von Objekten wurde auch das Fehlen von persönlichen Gegenständen in Privatwagen analysiert. Es drängt sich somit die Frage auf, ob mobile Menschen einen personalisierten Ort der Mobilität einem öffentlichen Verkehrsmittel vorziehen. Wenn dem so sei wäre es eine Überlegung wert, inwieweit Betreiber öffentlicherVerkehrsmittel oder auch Car-sharing-Anbieter durch das Angebot eines personalisierten, intimen Raumes Autofahrer auf ihre Seite gewinnen könnten.
Auf Seiten der Automobilhersteller stellt sich nicht nur die Frage, ob und wie die Struktur des Autoinnenraumes angepasst werden kann sondern warum die Fenster lediglich für den Blick aus dem Fahrzeug heraus konzipiert werden. Anstatt Einblicke durch getönte Scheiben und Verringerung der Fenstergröße zu minimieren, könnte ein Perspektivenwechsel innovative Gestaltungsmöglichkeiten initiieren. Es ist zu hoffen, dass durch diese Arbeit mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden; der Blick und die Bedeutung für die alltäglichen, unscheinbaren Dinge geschärft wurde und ein Einblick in Arbeitfelder des Designs geschaffen wurde.
Literaturverzeichnis
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Selbstständigkeitserklärung Hiermit versichere ich, dass ich die Arbeit selbstständig angefertigt habe und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel genutzt habe. Zitate habe ich als solche kenntlich gemacht.
Anne Hegge Köln, 26.03.2013