DAS MAGAZIN FÜR WIRTSCHAFT / DESIGN / NACHHALTIGKEIT
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JAN-MÄRZ
2013
DEUTSCHE VORBILDER
Die Gewinner des Deutschen Nachhaltigkeitspreises! FERNSEHEN / Das neue TV-Design ARBEITEN /// Das nachhaltige Büro FAHREN /// Die Autos specken ab
MENSCHEN IN PURE ////////////////////////////////// Ulrich Hackenberg ENTWICKLUNGSVORSTAND
Dagmar Fritz-Kramer
ÖKOHAUS-PIONIERIN /////////////////////
Markus Halbig
MANAGER //////
//// Anders Sundt Jensen MARKENCHEF // Holger Stromberg NATIONALMANNSCHAFTS-KOCH
Markus Jehs + Jürgen Laub
DESIGNER /////////
Andreas Engelhardt
TEXTILSPEZIALIST ////////
Weniger Gewicht. Mehr Dynamik. Der neue Audi R8 mit Audi ultra Leichtbautechnologie. Der neue Audi R8 ist noch agiler, leichter und dynamischer. Dass er gleichzeitig außergewöhnlich effizient ist, wird durch die Audi ultra Leichtbautechnologie des Audi Space Frames (ASF) ermöglicht. Eine Bauweise, die weit mehr ist als eine Technologie: Sie ist eine Einstellung, die uns immer weiterdenken lässt. Sie verkörpert Fahrdynamik und Sportlichkeit. Und sie ist die Essenz unserer Erfahrung im Motorsport, in dem wir immer wieder neue Grenzen überwunden haben. Der neue Audi R8. Weniger Gewicht. Mehr Dynamik. www.audi.de/r8
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Heimkino 10-11/2012 überragend video 10/2012
sehr gut
HiFi Test 5/2012
sehr gut
Satvision 9/2012
sehr gut
EDITORIAL
Die neue Individualität LANGE ZEIT SAHEN ALLE FERNSEHER GLEICH AUS – plötzlich haben die Hersteller das individuelle Design wiederentdeckt. Wer vom individuellen Wohnen in der Natur träumt – jetzt gibt es maßgeschneiderte Lösungen. NUR INDIVIDUELLE MOBILITÄT SOLL MORGEN NICHT MEHR MÖGLICH SEIN? Spannende Antworten auch hierauf
Wenn die dritte Dimension verloren geht: Als die voluminösen Röhrenfernseher ausstarben und schicke Flachbildschirme in die Wohnzimmer einzogen, hatte nicht nur die traditionelle Schrankwand keine wirkliche Aufgabe mehr – auch die TV-Designer schienen überflüssig. Ein möglichst großer Bildschirm mit einem schwarzen oder silberfarbenen Rahmen außen herum: Mehr benötigt ein Flat-TV offensichtlich nicht. Jedenfalls sahen fast alle Fernsehgeräte plötzlich uniform aus. Nach einer gestalterischen Pause haben die Designer den Fernseher jetzt aber endgültig wiederentdeckt. Als Skulptur, die selbstbewusst im Raum steht, als individuell auf die Wünsche des Besitzers sowie die Einrichtung abgestimmtes Objekt oder in maximaler Reduktion mit kaum noch wahrnehmbarem Edelstahlrahmen um den vollflächigen Bildschirm. Auch in puncto Aufstellmöglichkeit hat sich viel bewegt: Ob auf dem Boden oder Sideboard stehend, an der Wand oder von der Decke hängend – alles ist möglich und erlaubt, damit auch wirklich kein Grund mehr besteht, der Schrankwand nachzutrauern. „Der Verlust der dritten Dimension“ heißt unser Thema zum TV-Design (ab Seite 36).
Wenn natürliche Wohnträume wahr werden: Sie träumen von Freiheit und einem Leben mitten in der Natur, möchten aber nicht im Reisemobil oder Stahlcontainer unterkommen? Wie wäre es mit einem Häuschen aus Holz, das Sie beim Wohnortwechsel einfach mitnehmen oder bei Familienzuwachs ergänzen können? Mobile Systeme wie die preisgekrönte „HomeBox“ verbinden die genormten Maße eines Frachtcontainers mit den ansprechenden Eigenschaften des nachwachsenden Rohstoffs Holz und den Vorteilen einer Nomadenbehausung. So entsteht ein schlichter Wohnturm, der wenig Platz braucht und sich mit gewöhnlichen Hebe- und Transportmitteln ohne großen Aufwand versetzen lässt. Das ist aber erst der Anfang vom freien Leben in der Natur. Inzwischen experimentieren nämlich zahlreiche Designer und Architekten mit dieser neuen Form von Holzbauten: Sie entwerfen kubusförmige Nomadenhäuser, drehbare Gebäude, die sich nach der Sonne richten. Cabrio-Häuser, deren Bedachungen sich auf Knopfdruck öffnen und schließen. Oder Schlittenhäuser, die auf Kufen zu neuen Standorten gleiten – die architektonisch anspruchsvollsten Lösungen für Vagabunden stellen wir ab Seite 60 vor. Und nicht vergessen: Holz als Baumaterial ist vorbildlich nachhaltig.
Wenn kein Platz mehr für Autos ist: Staus in Städten oder auf Autobahnen gehören längst schon zum deutschen Verkehrsalltag. Verglichen mit der Verkehrsdichte in sogenannten Megacitys wie Mumbay oder Rio fallen sie aber vergleichsweise harmlos aus – dort geht nämlich im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr viel. Wie kann individuelle Mobilität auch morgen noch funktionieren? Wie lassen sich die Megacitys vor dem Verkehrsinfarkt retten? Wird das Auto immer mehr zum Problem – oder vielleicht sogar Teil der Lösung? Im Rahmen des zweiten „Audi Urban Future Award“ haben sich weltweit fünf Architektenteams auf die Suche nach neuen Verkehrskonzepten und Lösungen für die weiter zunehmende Verkehrsdichte begeben. Die Initiative geht, wie schon der Name verrät, ausgerechnet von einem Autohersteller aus – von Audi (ab Seite 100).
Klaus-Peter Bredschneider // Herausgeber
INHALT // 01|13
Sie gestalten (auch) interkulturelle Sofas. Dogmen mögen sie nicht. Anregungen freuen sie. Und bevor ein neuer Entwurf entsteht, streiten sie sich oft, die stillen Helden des deutschen Designs ...
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JEHS + LAUB
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Schreibtische ohne Kabelsalat, intelligent gestaltete Rückzugszonen – und alles aus langlebigen, wiederverwendbaren Materialien: Das Büro als „Open Space“ öffnet sich dem neuen Wertebewusstsein, wie unser Gang durch die diesjährige Messe zeigt ...
Bei Kleidung und Wohntextilien ist sie einfach unser Favorit. Und beim Bezahlen im Supermarkt unentbehrlich. Über die Begleiterscheinungen ihrer Produktion möchten wir uns lieber nicht den Kopf zerbrechen ... oder? 10
BAUMWOLLE
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ORGATEC
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Design 28
GROSSE DESIGNER: JEHS UND LAUB
Das schwäbische Duo spielt mit seinen Entwürfen auch in puncto Nachhaltigkeit in der obersten Liga.
Wissen 10
Sie bekleidet uns, macht unser Heim gemütlich – und dient uns als Zahlungsmittel. Aber wie wird sie produziert, die Wunderwatte?
Produkte 20
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BAUMWOLLE
AUSGEZEICHNETE VORBILDER:
Ab sofort zeichnet pure in jeder Ausgabe 10 Produkte für nachhaltiges Design mit dem pure Quality Award aus.
FLACHBILDFERNSEHER
Designer kämpfen gegen die zunehmende Uniformität unserer Fernsehgeräte – mit Erfolg. 66
ORGATEC 2012: INSELN DER RUHE
Rückzugszonen zur Konzentration und Entspannung in Großraumbüros
Wohnen 50
TABLEWARE
12 Klassiker aus Porzellan, Glas und Edelstahl, gut kombinierbar für den perfekt gedeckten Tisch
Ob als Turm oder Wurm, ob mit Cabriodach oder auf Kufen: Transportabel konzipiert, sind sie vollwertige Eigenheime für Singles wie Familien. Und machen jeden Wohnortwechsel mit – wenn es die Baubehörde erlaubt ...
Es sind nicht viele Dinge, die wirklich auf den Tisch müssen. Aber die sollten Ihren guten Geschmack zeigen, funktional sein und edel verarbeitet . Wir machen Ihnen die Wahl leicht. ... 50
TABLEWARE
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HOLZHÄUSER
Viele trinken es aus verseuchten Tümpeln. Einige aus mit Swarovski-Kristallen verzierten Flaschen. Nicht wenige verleihen ihm die Aura des Mythischen. Unzählige schätzen es (noch) gering. Für alle ist es lebenswichtig ... 84
WASSER
Geht‘s noch dünner? An Flachbild-Fernsehern, ist außer einem nur noch millimeterdicken Bildschirm kaum mehr was dran. Raum für individuelle Gestaltung findet sich trrotzdem ... 36
TV-DESIGN
Architektur 58
MOBILE HOLZHÄUSER
Ökologisch korrekte Eigenheime fürs private oder berufliche Vagabunden-Dasein
Menschen 18
MARKUS JEHS
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MARKUS HALBIG
Der Revox-Werksleiter über Nachhaltigkeit in der Unterhaltungselektronik 56
Food 84
Unternehmen 42
Die Chefin von Baufritz über die gute Luft in Holzhäusern 73
Wirtschaft 70
ANDERS SUNDT JENSEN
74 MICHAEL UND PHILIPP KETTERER
Die Bierbrauer über das Geheimnis ihres Mineralwassers
LAUREUS STIFTUNG
Unter maßgeblicher Förderung von Mercedes-Benz geben prominente Sportler benachteiligten Kindern neue Lebensperspektiven
Der Mercedes-Markenkommunikator über die Laureus-Stiftung für Kinder 90
REVOX
Bandmaschinen verhalfen diesem Namen zum Ruhm, heute steht er für Unterhaltungselektronik, die Maßstäbe setzt
CHRISTIAN HAAS
DAGMAR FRITZ-KRAMER
WASSER
Der Quell des Lebens zwischen Mangel und Überfluss, Kult und Kommerz
Der Produktdesigner über sein Rezept gegen Wegwerfmentalität 64
FLORIAN WECKER
Der Macher des Deutschen Nachhaltigkeitstages über Glaubwürdigkeit
Der Möbelgestalter über nahtlose Sofas und kritische Ehefrauen 48
ULRICH HACKENBERG
Der VW-Chefentwickler über DiätKuren bei Autos
ANDREAS ENGELHARDT
Der Textilspezialist über die Baumwollproduktion und ihre Zukunft 35
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DEUTSCHER NACHHALTIGKEITSPREIS
pure warf bei der fünften Vergabe einen Blick hinter die Kulissen und stellt die Gewinner und Nominierten vor
Mobilität 92
GEWICHT
Autos müssen abspecken, da geht‘s um jedes Gramm. 100 AUDI URBAN FUTURE AWARD
Fünf ausgezeichnete Ideen für die Gestaltung des Verkehrs in Megacitys von morgen
Reise 106 URLAUB IM GLEICHGEWICHT
In Spanien ist ein Luxushotel entstanden, das viel mehr verspricht als nur Luxus – nämlich Gesundheit.
Rubriken 05 EDITORIAL 110 BILDBÄNDE 114 VORSCHAU // IMPRESSUM
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WISSEN // Baumwolle
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DESIGN / NACHHALTIGKEIT `
25 Mio. Tonnen Baumwolle werden jährlich verarbeitet – vor allem zu Bekleidungs- und Wohntextilien. Ein riesiger Weltmarkt, der sich nur sehr langsam in Richtung Nachhaltigkeit bewegt
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INDIGO BLUE Ein Stoff und ein Farbton, den man sofort wiedererkennt: Arbeitskleidung aus Jeansstoff, aufgeschichtet zur Installation „Indigo Blue“ von der amerikanischen Künstlerin Ann Hamilton .
Wunderwatte VON UNSEREN ERSTEN LEBENSTAGEN AN TRAGEN WIR SIE WIE EINE ZWEITE HAUT AM LEIB. Sie schützt, wärmt und reinigt uns auf angenehme Art, bekleidet und schmückt uns in vielerlei Formen und Farben, macht unser Heim gemütlich – und dient uns beim Einkaufen als Zahlungsmittel. Gründe genug, sie einmal genauer zu betrachten – DIE BAUMWOLLE
von Sandra Makowski
Es ist ein bisschen wie Flippern, wenn man sich vor Kathrin Passigs Zufallsshirt-Maschine setzt. Ein Klick mit der Maus – und zack erscheint ein neues T-Shirt. Mit einem sinnigen Spruch, einem brustfüllenden Schlagwort oder einem skurrilen Piktogramm. In einer wahllos herausgepickten Farbe. Man wird fast süchtig danach, mit dem Zeigefinger per „Neues T-Shirt“-Befehl ein Modell nach dem anderen auf dem Bildschirm erscheinen zu lassen. Doch Obacht: Wer seine Chance nicht gleich ergreift, den bestraft das Konzept. Denn jedes, wirklich jedes der hier angebotenen Designs taucht nur einmal auf. Wer sich also nicht sofort entscheidet für das graue Shirt mit dem Aufdruck „Gott strickt nicht“ oder für das Leibchen mit stilisierter Schneeflocke und dem Spruch „Kompromiss zwischen Reichweite und Design“ oder für das Oberteil, das salopp fragt „Was soll schon sein?“, der kann dann nicht einfach wiederkommen und es genau so bestellen. Man hat die Qual der Wahl aus grob geschätzt 30 Billionen möglichen Motiven, wovon eben jedes in der bestimmten Kombination aus Schrifttyp, Bild und Text nur ein einziges Mal kommt ... Obwohl: Wenn man einige Jahre lang geduldig klicke, meint Kathrin Passig, erscheine das gleiche Baumwoll-Shirt vielleicht doch noch mal ... Ein T-Shirt aus Baumwolle ist eigentlich ein einfaches Kleidungsstück. Und doch auf jedem Parkett einsetzbar. Selbst höchste Repräsentanten der Modebranche tragen so ein schlichtes Stück unter dem Anzug. Werner Baldessarini etwa, Modedesigner und ehemals Vorstand der Hugo Boss AG, tut das nicht nur gelegentlich. Er prägte auch den viel zitierten Satz: „Ich sage immer: lieber ein schönes T-Shirt als eine mittelmäßige Krawatte.“ Das simple Baumwoll-Oberteil kann dezent bleiben, durch Farbigkeit Blicke auf sich ziehen oder die persönliche Einstellung seines Trägers kundtun. Vielleicht mit einer Warhol‘schen Banane auf Weiß, mit Che Guevaras Konterfei auf Rot, mit dem Superman-Logo oder eben mit einem effektvollen Spruch aus Passigs T-Shirt-Maschine. Wer bei Kathrin Passig (Schriftstellerin und Journalistin, IngeborgBachmann-Preisträgerin, Person des Internets und Ikone der „digitalen Bohème“) ein T-Shirt bestellt, bekommt auf Baumwolle Aussagen, die von ihr selbst stammen oder von Autoren wie Holm Friebe und Ira Strübel – oder aber aus der „Riesenmaschine“, jenem mit dem Grimme-Preis gewürdigten, kollaborativen Blog der „Zentralen Intelligenz Agentur“. Auf Stoff gedruckte Gedanken, mal abseitig, mal undurchschaubar, mal banal.
WISSEN // Baumwolle
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BUNDLED
ACORN
Der italienische Designer Giorgio Biscaro experimentierte mit Faserplatten aus Baumwolle. „Wenn man sie nass biegt und knickt, bleibt die neue Form auch nach der Trockung erhalten.“ Wie bei dieser feuerfesten Lampe
Gewebt? Gestrickt? Geknüpft? Nein: gewickelt! Baumwollseile mit griffiger Haptik und einfacher Ästhetik windet der ukrainische Designer Vasiliy Butenko um eine Flasche. Ganz einfach. Man muss nur auf die Idee kommen
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DIESEL WITH MOROSO Der Jeans-Riese und der führende italienische Möbelhersteller brachten gemeinsam eine Kollektion von Möbeln auf den Markt, wovon manche Stücke – wie die hier gezeigten – Fans des DenimLooks begeistern werden
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ORGANIC COTTON Der Sportartikelhersteller adidas, Gründungsmitglied der „Better Cotton Initiative“, hat sich das sportliche Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2018 nur noch nachhaltige Baumwolle zu verwenden – wie bei diesem Shirt
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Baumwolle: Eine Welt ohne sie ist kaum vorstellbar. Unterwäsche, Kleidung, Bettwäsche, Vorhänge, Handtücher, Hygieneartikel, Verbandsmaterial ... so viele unentbehrliche Dinge des täglichen Lebens liefert uns diese Naturfaser. Ja sogar als Zahlungsmittel verwenden wir sie: Unsere Eurobanknoten sind aus (gentechnisch veränderter) Baumwolle hergestellt. STAMMT BAUMWOLLE VON BÄUMEN? „Es gibt wild wachsende Bäume, aus deren Frucht man eine Wol-
le gewinnen kann, die die Schönheit und Qualität der Schafwolle weit übertrifft“, notierte der griechische Geschichtsschreiber Herodot im fünften Jahrhundert vor Christus – und war dabei aus botanischer Sicht nicht ganz korrekt, denn Baumwolle wächst nicht auf Bäumen, sondern an Sträuchern (die ursprünglich allerdings bis zu sechs Meter hoch wurden). Sie zählen zu den Malvengewächsen. Beim Anblick eines Feldes voll reifer Baumwolle, aus deren aufgesprungenen Fruchtkapseln die Samenhaare quellen, könnte man meinen, ein Fluzeug habe eine riesige Ladung Wattebäuschchen abgeworfen. Diese watteähnlichen Samenhaare sind es, die uns als Rohmaterial für zahlreiche Produkte dienen. Es gibt übrigens auch farbig wachsende Baumwolle, die – ganz ohne den Einsatz von Färbemitteln – ein Stoffmuster aus eierschalenund cappucinofarbenen Streifen entstehen lässt. Die Kultivierung der Pflanze nahm schon vor Jahrtausenden ihren Anfang – an verschiedenen Enden der Welt. Wilde Baumwolle wuchs in afrikanischen Savannen und auf indischen Feldern. In Indonesien, in den Anden, im Süden Afrikas begann man unabhängig voneinander, sie als Nutzpflanze einzusetzen. Die aus ihr hergestellten Stoffe eroberten den ganzen Globus. Vor fünfhundert Jahren galt Baumwolle in Europa noch als luxuriös, denn die sehr aufwendige Verarbeitung sorgte für Preise, die ähnlich hoch waren wie die von Seide. Vielerorts setzte man für die anstrengende Arbeit auf den Feldern Sklaven ein. Dass sie sich beim Ernten der scharfkantigen Samenkapseln Verletzungen zuzogen, gehörte zum Arbeitsalltag der schwarzen Baumwollpflücker, deren Schicksal Literatur-Klassiker wie „Onkel Toms Hütte“ oder „Vom Winde verweht“ schildern.
Baumwolle ist weniger edel als Seide oder Leinen, weniger glatt als Viskose, weniger dehnbar als Lycra, weniger atmungsaktiv als Funktionstextilien. Aber einfach zu bekommen, robust, hautfreundlich, feuchtigkeit- und geruchabsorbierend – also sehr vielseitig verwendbar. Ein Allerweltsstoff im besten Sinn. Es ist noch kein halbes Jahrhundert her, da bestanden vier Fünftel aller in amerikanischen Shops verkauften Textilien aus Baumwolle. Diese Vormachtstellung endete durch die Synthetik-Revolution abrupt. Gegen all die neuen Fasern sah das natürlich wachsende Material plötzlich alt aus. „1970 war der Marktanteil von Baumwolle auf gerade mal 34 % abgestürzt“, erzählt Mark Messura, Senior Vice President von Cotton Incorporated, einer Organisation, zu der sich amerikanische Baumwollzüchter damals zusammenschlossen, um dem Trend zu elastischem Kunstfaser-Glitzer gemeinsam entgegenzutreten. „Die Züchter begriffen schnell, dass sie verstärkt auf Forschung und Marketing setzen mussten, um mit der neuen Konkurrenz zurechtzukommen.“ DAS POPULÄRSTE TEXTIL DER WELT Mit Slogans wie „Wenn es nicht zu 100 Prozent aus Baum-
wolle ist, ist es keine Jeans“ nahmen sie den Kampf auf – und waren erfolgreich. Die für Wohn- und Bekleidungstextilien mit Abstand am häufigsten eingesetzte Naturfaser ist heute immer noch Baumwolle. Ein Durchschnittseuropäer verbraucht rund 20 Kilo Textilien im Jahr. Für Vorhänge ebenso wie für Kissen, Wäsche, Kleidung oder Accessoires. Für Hochwertiges ebenso wie für billigen Plunder. Denim (jener besonders kräftige Baumwollstoff, aus dem seinerzeit Levi Strauss die erste Jeans schneiderte und der jetzt oft mit Stretch kombiniert wird) steht als populärstes Textil der Welt an der Spitze. Dagegen kommen bislang selbst wasserfeste Outdoor-Textilien, farbechte Synthetikstoffe und federleichter, warmer Fleece nicht an. Aber: „Innovation ist auch bei Baumwolle von sehr hoher Bedeutung“, erklärt Mark Messura. Deshalb arbeitet man zum Beispiel an der Entwicklung neuer Herstellungstechnologien, die beim Färben des Textils neben weniger Energie auch weniger Wasser erfordern
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WISSEN // Baumwolle
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REMEMBERME
CROCHET CHAIR
KUYICHI
Geknautschte Stoffe, in Harz getränkt und ausgehärtet, ergeben die Oberfläche eines Stuhls. Entwickelt von dem Produktdesigner Tobias Juretzek für Casamania
Mittels Gießharz verband hier Marcel Wanders, einer der renommiertesten europäischen Designer, Baumwoll-Häkeldeckchen zu einem außergewöhnlichen Sitzmöbel
Mode aus Bio-Baumwolle. Als die Initiative „Solidaridad“ in Südamerika für Fair-Trade-Kaffee kämpfte und dabei das Ausmaß der Umweltverschmutzung durch Baumwolle sah, gründete sie kurzerhand ein eigenes Label
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BLUE JEANS
T-SHIRT CHAIR
POCKET RUG
Ein Urgestein der Mode: Beinkleider aus blauem Denim. Baumwollspezialisten von Cotton Inc. setzen auf Innovation – damit die Hosen zum Beispiel schneller trocknen
40 T-Shirts. 40 Geschichten. Daraus wird ein Stuhl. Die schwedische Designerin Maria Westerberg gewann mit ihrer originellen Idee den „Green Furniture Award“
Ein wilder Mix von Jeanstaschen mit den charakteristischen fünf Ecken. Der amerikanische Designer Benjamin Rollins Caldwell nutzt die farbliche Varianz von Kettköper-Demin
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und damit auch die Abwassermenge reduzieren. Oder an Kombinationen von Baumwolle mit anderen Fasern, um einen wasserabweisenden, dehnbaren oder atmungsaktiven Stoff zu erzeugen. „Wir wollen die Grenzen des Materials weiter ausdehnen“, erklärt Messura. Baumwollfasern können bis zu 65 % ihres Gewichts an Feuchtigkeit aufnehmen. Allerdings bleibt das saugfähige Material auch lange nass. Zusammen mit weltweit bekannten Sportartikelherstellern bemüht man sich daher, das Feuchtigkeitsmanagement von Baumwolle zu verbessern. Das Spinnen der Fasern erledigen heutzutage Hightech-Maschinen. Eine sogenannte Egreniermaschine trennt zunächst die Fasern von den Samen, moderne Anlagen saugen dabei auch gleich alle Flusen weg. Gesponnene Garne werden mit einer Geschwindigkeit von 360 Stundenkilometern aufgewickelt. Auch vor dem direkten Zulieferer, der Pflanze, macht der Fortschritt nicht halt. Immer stärkere, immer längere Fasern werden gezüchtet, mit immer konsistenteren Eigenschaften. Perfekt auf die Anforderungen der Textilienproduktion zugeschnitten. „Um die Qualität der Stoffe zu optimieren, muss man auch die Qualität der Faser verbessern“, sagt Messura. DIE ANGESAGTESTEN BEINKLEIDER ... ... aus Baumwollstoff sind nach wie vor Bluejeans. Der Schöpfer
der Ur-Jeans, der Oberfranke Levi Strauss, kam zur Zeit des Goldrausches als mittelloser Einwanderer nach Amerika, verkaufte anfangs Kurzwaren und Stoffe, erkannte aber bald eine Marktlücke: Die Goldsucher brauchten Hosen, die nicht kaputtgingen, wenn ihre Träger auf der Suche nach dem Edelmetall auf den Knien herumrutschten oder in Flüssen wateten. Er ergriff die Chance und experimentierte zunächst mit Hanf. Dann entwickelte er Beinkleider aus dem besonders dicht und fest verwebten Demin („Gewebe aus Nîmes“). Gefärbt mit tiefblauem Indigo. Das Modell „501“ gilt heute als die berühmteste Jeans auf dem Globus. Und ist längst zur Uniform für Großstadtcowboys geworden, die aber wahrscheinlich eher das geradlinige Design als das unverwüstliche Material zu schätzen wissen. Das typische Erscheinungsbild des klassischen blauen Jeansstoffs kommt übrigens durch eine Mischung aus blauen und weißen Fäden zustande. Denn für traditionelles Denim wird nur der sogenannte Kettfaden gefärbt, der sich durch die weißen Schussfäden schlängelt und so dem Stoff die charakteristische Textur und Färbung gibt – mit einer besonderen Tiefe. KUNSTOBJEKT JEANS Die Hose mit den Nieten, den fünf Taschen, gleichsam der Pop-
star unter den Beinkleidern, regt offenbar auch die Kreativität von Künstlern an. Das zeigen zum Beispiel die aus den aufgenähten Taschen von Jeans gestalteten Teppiche des Amerikaners Benjamin Rollins Caldwell oder die Landschaft „A place called big nothing“, für die Heike Klussmann Reste aus der Hosenproduktion verwendete, oder auch „Indigo Blue“, eine raumgreifende Installation der Amerikanerin Ann Hamilton, wo der Betrachter den speziellen Jeans-Farbton sofort wiedererkennt. ERINNERUNGSTRÄGER Mit welchem Teil aus unserem Kleiderschrank identifizieren wir
uns am stärksten? Meist ist das eine „Lieblingsjeans“ – oder ein Baumwoll-T-Shirt. Interessanterweise scheint sich gerade auf die-
se Kleidungsstücke besonders viel von unserer Individualität, unserer von Erfahrungen und Eindrücken geprägten Persönlichkeit zu übertragen. Liegt das daran, dass wir sie, weil sie so bequem und angenehm sind, am häufigsten anziehen – oder besitzt Baumwolle womöglich sogar die Fähigkeit, auch unsere Geschichte(n) in sich aufzunehmen? Die junge schwedische Designerin Maria Westerberg, die mit ihren Entwürfen Einzigartiges aus Gebrauchtem entstehen lässt, faszinierte jedenfalls dieses Thema derart, dass sie es in ihrer Arbeit aufgriff. Sie bat 40 Freunde, Kommilitonen, Bekannte um deren abgelegte Lieblingsshirts, fotografierte die Spender (mit Namensschild) darin, setzte jeweils eine Erklärung dazu, warum dieses Stück Stoff für jenen Träger von so besonderer Bedeutung war, und knüpfte die Baumwoll-Shirts dann auf ein Stuhlgestell. Der so kreierte „T-Shirt Chair“ gewann in Schweden den Green Furniture Award und machte die junge Designerin über Nacht zu einem Namen in der Einrichtungsbranche. „Bei dem T-Shirt Chair ging es darum, Erinnerungen zu bewahren“, erklärt Westerberg, deren Entwurf weltweit in den Designmagazinen zu finden war. Warum sie gerade T-Shirts ausgesucht hat? „Klassische T-Shirts sind unisex. Außerdem spiegeln sie oft die Persönlichkeit des Trägers wider, etwa wenn ein Aufdruck aufgebracht wurde, der mit dem Träger in Verbindung steht.“ Das bevorzugte Fußballteam, der verehrte Künstler, ein sinniger Slogan ... ÖKOLOGISCH KORREKT? Baumwolle als Rohstoff, für den kein Tier seine Haut lassen muss
und der nicht in Labors hergestellt wird, sondern auf Feldern wächst, hilft unter anderem mit, die weltweite boomende Nachfrage nach immer neuen Kleidungsstücken zu befriedigen. Aber bei aller Natürlichkeit des nachwachsenden Materials: Wer Kleidung aus Baumwolle trägt, ist damit nicht automatisch ökologisch korrekt, denn die Auswirkungen des Baumwollanbaus auf die Umwelt sind vielerorts massiv. Die Pflanzen benötigen für ihr Wachstum große Mengen Wasser. Regnet es in einer Anbauregion nicht genug, wird für die Baumwollproduktion wertvolles Trinkwasser verwendet. Eine bedenkliche Praktik, wenngleich sie nur selten so extreme Formen annimmt wie einst am zentralasiatischen Aralsee, dem man zugunsten der Baumwollfeldbewässerung über Jahre so viel Zufluss entzog, dass er fast um die Hälfte schrumpfte – mit den bekannten Folgen für Mensch und Tier. „Rund die Hälfte der weltweit produzierten Baumwolle braucht gar keine künstliche Bewässerung“, betont Elke Hortmeyer von der Bremer Baumwollbörse. Ein weiteres Problem, das sich durch die weitflächigen Monokulturen noch verstärkt: Baumwolle ist so wie kaum eine andere Pflanze von Schädligen bedroht, der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln entsprechend hoch. Auf kein anderes landwirtschaftliches Anbauprodukt weltweit wird so viele Gift versprüht wie auf Baumwolle. Befürworter der Gentechnik argumentieren hier (zu Recht?), dass sich durch gentechnisch verändertes Saatgut Pflanzen erzeugen ließen, die insektenresistent seien, wodurch man mehr Ertrag erziele und im Anbau weitgehend auf Chemie verzichten könne. Selbst dann bleiben aber noch die Chemikalien, die bei der weiteren Verarbeitung von Baumwollprodukten eingesetzt werden – und zwar häufig auf unsachgemäße Weise, wie Umweltschützer kritisieren. Zum Beispiel beim Färben. So müssen Jeans im all-
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SASH CORD STUDIES
DIRIGIBLE UND KNIT CHAIR
Dicke, farblich wunderbar harmonierende Baumwollstoffe näht Künstler und Designer Doug Johnston einfach mit der Nähmaschine zusammen. Das Ergebnis: schlicht-schöne Körbe
Holz, handvernäht mit schnurdickem Baumwollfaden. Dieser Faden, die perfekte Kombination aus Flexibilität und Stärke, sei die ideale Lösung gewesen, verrät Designer Emiliano Godoy. „Es hat ein Jahr gedauert, bis ich einen Anbieter fand, dessen Material zu 100 Prozent aus Baumwolle besteht.“ Sie hat sich gelohnt, diese ausdauernde Suche: Die wie das Holz biologisch abbaubare Baumwollschnur bildet ein optisch bestechendes Detail – sowohl bei dem zeltartigen Bett „Dirigible“ (das freilich nicht an Baumwollschnüren, sonden an NylonKletterseilen frei im Raum hängt) als auch bei dem Stuhl „Knit Chair
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KNITTED CHAIR Es gibt gestrickte Bezüge, die aus hochmodernen 3-DStrickmaschinen kommen und über Designerstühle gezogen werden. Und es gibt handgemachte Möbel, zusammengefügt mit überdimensionalen Nadeln. „Ich wollte es wirklich auf die Spitze treiben“, gesteht die Kopenhagener Designerin Miriam Ortwed
seits begehrten „Used Look“ erst tiefblau gefärbt, dann durch „Stone Washing“ gebleicht werden. Mit Sandpapier werden die Stoffe mühsam in Handarbeit aufgeraut oder kurzerhand mit Chemikalien besprüht. Dass die Arbeiter in den Fabriken gesundheitsschädliche Dämpfe einatmen, damit in den reicheren Ländern kunstvoll auf alt und abgewetzt getrimmte Jeans pünktlich zur Herbstsaison in die Läden kommen, dass die modischen Farbeffekte meist nur mit Hilfe von Chemie erreicht werden: Davon erfahren die Käufer normalerweise nichts – oder wollen es vermutlich auch lieber gar nicht wissen. Die Masse giert nach billigen Hosen für den schnellen Gebrauch. Es dürften nicht viele Kunden sein, die beim Anprobieren im Laden daran denken, dass irgendwo in Asien für dieses Hosenmodell Abwässer
voller Chemikalien ungefiltert aus den Fabriken geflossen sind – etwa in China. „Blue Jeans – eine Katastrophe für Chinas Umwelt“, urteilt Greenpeace. Allerdings ist es für den Endverbraucher auch schwierig, sich Orientierung zu verschaffen im heterogenen Baumwoll-Weltmarkt, der sich von den USA über China bis Pakistan erstreckt und kleine, ökologisch ausgerichtete Farmer ebenso umfasst wie konventionell wirtschaftende Global Player. Woran es nämlich in der Bekleidungsbranche im Gegensatz etwa zum Lebensmittelmarkt immer noch fehlt, sind wirklich verlässliche Gütesiegel, die den Käufer umfassend über Herkunft und Herstellungsbedingungen eines Produkts informieren.
So bilden Modelle wie die von Katrin Kummer in jeder Hinsicht Gegenstücke zu billiger Wegwerfmode, für die im Herkunftsland ein hoher Preis in Form von Umweltschäden bezahlt wird.
25 MILLIONEN TONNEN Baumwolle ist ein Massenprodukt für einen ewig hungrigen Markt.
BETTER COTTON INITIATIVE Was sich aber ebenfalls – wenn auch langsam – entwickelt, ist ein
Rund 25 Millionen Tonnen werden weltweit alljährlich produziert. Zum Beispiel in China, in Indien, in den USA, aber auch in Usbekistan und Australien. Aber nur ein verschwindend kleiner Teil davon entspricht heute „Bio“-Kritierien. Angesichts des Jahresbedarfs an Baumwollprodukten wird klar, dass sich eine solche Menge nicht so leicht ohne Einsatz von Chemie (oder Gentechnik, die mittlerweile den Baumwollanbau beherrscht) erzeugen lässt. Andererseits spricht jedoch gerade die Größe dieses Markts für ein Umsatteln auf umwelt- und sozialverträgliche Produktionsmethoden.
Bewusstsein für bessere, ökologisch weniger bedenkliche Baumwolle. Und das nicht nur bei Herstellern, die aus der Öko-Nische kommen. „Das Thema Nachhaltigkeit und die Reduzierung unserer Umweltauswirkungen über die komplette Wertschöpfungskette spielen eine ganz zentrale Rolle“, sagt Lars Mangels, Pressesprecher bei „adidas“. Der Weltkonzern aus Herzogenaurach, eines der Gründungsmitglieder der „Better Cotton Initiative“ (BCI), hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2018 nur noch Baumwolle aus nachhaltigen Quellen zu beziehen. Die britische Modeschöpferin Stella McCartney, ein Superstar ihrer Branche und bekannt dafür, „vegane“ Kleidung ohne Pelz und Leder zu realisieren, gestaltete für das Unternehmen eine Kollektion aus nachhaltigen Materialien. Doch auch bei eigenen Entwürfen will adidas auf Nachhaltigkeit setzen. Selbst bei jenem Material, das früher in Gestalt der Jogginghose allgegenwärtig war. „Baumwolle ist nach wie vor der beliebteste Stoff bei den Konsumenten“, erklärt Mangels, „allerdings ist die Leistungsfähigkeit von Baumwolle aus Sicht der Sport Performance sehr eingeschränkt.“ Bei ambitionierten Sportlern haben synthetische Materialien, die die Feuchtigkeit von schwitzender Haut abtransportieren und dabei trocken bleiben, Baumwolle inzwischen sogar den Rang abgelaufen. Doch manchmal, sagt Mangel, gelinge es, eine Brücke zu schlagen zwischen Hightech-Materialien und dem angenehmen Tragegefühl klassischer Baumwolle.
Wie groß die Schritte sein werden, mit denen sich der Baumwollmarkt Richtung mehr Nachhaltigkeit bewegt, hängt nicht zuletzt davon ab, inwieweit Konsumenten bereit sind, umzudenken und den höheren Preis für nachhaltig produzierte und fair gehandelte Baumwolle zu bezahlen. Bislang ist Bio-Baumwolle nur für wenige Käufer eine Selbstverständlichkeit. ATTRAKTIVE GEGENSTÜCKE Für diesen Kundenkreis mit gehobenen Ansprüchen bietet der Öko-
modemarkt inzwischen attraktive Baumwoll-Kollektionen. Etwa die raffinierten Entwürfe aus Katrin Kummers „Studio Ecocentric“ – zeitlose Stücke, Modelle, die auch Grace Kelly oder Audrey Hepburn getragen hätten. Klassische Schnitte werden hier durch die Verwendung von Originalteilen wie seltenen VintageKnöpfen betont. Kummer entwirft Kleider im Retro-Jeans-Look oder sorgsam geschneiderte, tiefschwarze Modelle mit weißen Details. Die klaren Designs bringen die verwendeten Stoffe voll zur Geltung. Wenige Farben, dezente Muster, prägnante Formen. Und alle Teile werden konsequent aus Bio-Baumwolle gefertigt – obwohl das nicht immer leicht fällt. „Es ist eine enorme Einschränkung der Auswahl im Vergleich zu konventionellen Materialien“, gesteht Katrin Kummer. Über ein Jahr lang habe das Team recherchiert, um die passenden Rohstoffe für die Kollektion zu bekommen. „Ein Stoff aus einer biologisch angebauten und weiterverarbeiteten Baumwolle ist ja nicht automatisch ein hochwertiger Stoff.“ Bisher gebe es nur sehr wenige Anbieter, die in der Lage seien, erstklassige Baumwollstoffe aus biologischem Anbau zu liefern. „Immerhin steigt aber das Angebot an GOTS-zertifizierter Baumwolle.“ Dieses Biosiegel steht für den „Global Organic Textile Standard“, der hohe Anforderungen an Anbau und Weiterverarbeitung stellt. Und die Ästhetik des Stoffes? Sie muss natürlich zum Entwurf passen. „Ein festerer Bio-Baumwolldenim eignet sich für ein körpernah geschnittenes Kleid“, erklärt Kummer. Qualitativ hochwertige Stoffe und ein über Jahre tragbares Design tun ein Übriges.
SPEKULATIONSOBJEKT BAUMWOLLE Apropos Geld: Vor einigen Monaten erschütterte den Baumwoll-
markt ein massiver Preisanstieg, der nicht allein durch erhöhte Nachfrage, vorübergehende Versorgungsengpässe und Missernten bedingt war, sondern auch dadurch, dass Baumwolle mittlerweile zu einem beliebten Spekulationsobjekt geworden ist, so dass sich die Preise abgekoppelt von der physischen Realität nach oben entwickelten.
Ja, angenehm fühlt sie sich an, hübsch sieht sie aus und so enorm vielseitig ist sie, die Wunderwatte der Baumwollsträucher – ob nun als buntes Wohntextil, als edles Designermodell, als heißgeliebte Jeans oder eben bedruckt mit einem Motiv aus Kathrin Passigs Zufallsshirtmaschine. Man muss nur im richtigen Moment die Maustaste drücken. Bingo!
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Cotton Inc. Ann Hamilton: indigo blue, Foto: John McWilliams / Ann Hamilton Foto: Giorgio Biscaro Studio Acorn: Foto: Vasiliy Butenko Diesel with Moroso: Foto: Alessandro Paderni Foto: adidas Atelier Tobias Juretzek, rememberme, Foto: Tania Feghali Crochet Chair: Mit freundlicher Genehmigung von Marcel Wanders Studio und Friedman Benda Kuyichi Cotton Inc. Maria Westerberg Design Benjamin Rollins Caldwell, BRC Designs Doug Johnston, Foto: Michael Popp Miriam Ortwed Emiliano Godoy: Dirigible 2007 / Knit Chair 2004
MENSCHEN // Interview Andreas Engelhardt
„Es geht um die Kommunikation mit dem Verbraucher“ TEXTILSPEZIALIST ANDREAS ENGELHARDT WEISS, DASS ES NACHHALTIGKEIT NICHT ZUM NULLTARIF GIBT. Auch dann nicht, wenn es um Kleidung geht, deren Rohmaterial auf Pflanzen wächst. Ein von ihm verfasstes Buch zum Thema vermittelt detailreiche Einblicke in die BAUMWOLLPRODUKTION, DIE FÜR KNAPP ZEHN PROZENT DES WELTWEITEN EINSATZES VON PESTIZIDEN URSÄCHLICH IST INTERVIEW | ANDREAS ENGELHARDT
pure: Herr Engelhardt, Ihr Unternehmen berät weltweit Kunden in der Textilindustrie. Kürzlich haben Sie das „Schwarzbuch Baumwolle“ veröffentlicht. Wie steht es derzeit um diesen Rohstoff? Engelhardt: Wir haben heftige Turbulenzen auf dem Weltmarkt
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hinter uns. Der Baumwollpreis beläuft sich aktuell auf etwa 1,80 US $ pro kg, das ist rund ein Drittel des historischen Höchststandes vom März 2011. Der jüngsten, auch durch Spekulationen verursachten Preisexplosion folgte rasch ein Preisverfall, begleitet von rückläufigen Verbrauchsmengen Ein Grund hierfür ist die wirtschaftliche Unsicherheit beispielsweise in Europa, einer Region mit überdurchschnittlicher Fasernachfrage.
Baumwolle ist in manchen Bereichen von raffinierteren Materialien verdrängt worden, etwa im Bereich der Sportkleidung. Heute sieht man kaum noch jemanden im Baumwoll-Jogginganzug durch den Wald laufen. Wie wird Baumwolle in Zukunft verwendet werden? Sie wird dank ihrer positiven Eigenschaften wie gute Feuchtigkeitsaufnahme und Hautfreundlichkeit auch in Zukunft eine führende Rolle auf dem Bekleidungssektor spielen. Da aber die Baumwollproduktion seit Jahrzehnten langsamer wächst als die weltweite Fasernachfrage, wird ihr Weltmarktanteil von derzeit knapp 30 % weiter sinken. Das führt zu Versorgungsengpässen, die langfristig wieder einen Preisanstieg bewirken. Um dies zu kompensieren, werden Mischungen von Faserstoffen weiter an Bedeutung gewinnen.
Aus welcher Region kommt die beste Rohware? Gibt es sozusagen ein Burgund oder Bordeaux der Baumwollproduktion? Da die Erzeugerländer häufig unterschiedliche Sorten anbauen, kann man nicht so einfach eine Korrelation zwischen Anbaunation und Baumwollqualität herstellen. Einige Länder sind bekannt für ihre langstapeligen, besonders feinen Sorten. Jedoch sind diese Sorten mengenmäßig von untergeordneter Bedeutung.
Der Hunger nach Baumwolle ist riesig. Kann der technische Fortschritt den Druck auf den Markt mindern? Etwa durch gentechnisch veränderte, ertragreichere Pfl anzen oder durch effektivere Faserverarbeitung ? Verbesserungen der Erträge sind durchaus möglich, aber nicht in signifikantem Ausmaß. Das haben wir mit der Einführung gentechnisch manipulierter Baumwolle Mitte der 1990er Jahre erlebt. Die dominiert aber mittlerweile ohnehin den Markt.
Was kann man als Käufer beitragen, damit sich der Baumwollmarkt positiv verändert? Enthält Ihr Buch auch hierzu Anregungen? Eine Botschaft in meinem Buch ist, dass die Nachfrage nach
Fasern für Bekleidung und andere Einsatzzwecke weiter zunehmen wird. Die Gründe sind Bevölkerungswachstum, überproportional steigende Einkommen in bevölkerungsreichen Entwicklungsund Schwellenländern, neue Produktanwendungen und verkürzte Modezyklen. Daraus leitet sich die zweite Botschaft ab: Diese Bedarfszunahme wird zu strukturellen Veränderungen auf der Faserseite führen. Baumwolle wird zwar weiterhin in der Größenordnung von 25 bis 30 Millionen Tonnen zur Verfügung stehen, doch ihr unterdurchschnittliches Wachstum impliziert ein stärkeres Wachstum anderer Fasertypen. Hier kommen vor allem Chemiefasern (namentlich die heute volumenmäßig dominierenden Polyesterfasern) ins Bild wie auch vornehmlich auf Holz basierende Zellulosefasern, die bereits seit 10 Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung erleben. Daher habe ich versucht, das Image von Chemiefasern zu relativieren, indem ich aufzeige, was bei den Rohstoffen möglich ist und für die Umweltschonung wünschenswert wäre. Da eine entsprechende Beratung nicht in allen Bekleidungsgeschäften stattfindet, regt das Buch vielleicht zum Nachdenken an und gibt dem Käuferverhalten Impulse.
Wird es bei Bekleidungsmode jemals so einfach sein, zwischen Gut und Schlecht zu unterscheiden – wie etwa bei Eiern oder Kaffee? Ja, davon bin ich überzeugt. Es wird zwar noch ein wenig mehr Zeit in Anspruch nehmen. Nachhaltigkeit und Nachvollziehbarkeit entlang der textilen Wertschöpfungskette sind aber die aktuellen Themen. Auf dem Baumwollmarkt gibt es Initiativen wie BCI, Cotton made in Africa, Fairtrade Cotton oder auch Organic Cotton. Allerdings ist ihr Anteil, gemessen am Baumwoll-Gesamtausstoß, noch sehr gering. Die Vielzahl an Labels mit teilweise nicht offengelegten Bewertungskriterien macht dem Laien das Differenzieren nicht leichter. Also geht es hier vor allem um die Kommunikation mit dem Verbraucher. Das 2006 eingeführte, unabhängige Öko-Siegel GOTS (Global Organic Textile Standard) mag hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Ebenso hervorheben möchte ich die Sustainable Apparel Coalition, eine Gruppe mit über 60 Schwergewichten der internationalen Bekleidungsindustrie.
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Der Faserexperte Andreas Engelhardt, Jahrgang 1964, Autor des im Deuticke-Verlag erschienenen Titels „Schwarzbuch Baumwolle: Was wir wirklich auf der Haut tragen“, berät mit seinem nahe dem schweizerischen St. Gallen ansässigen Unternehmen „The Fiber Year“ Textilfirmen in aller Welt. Auch in China, dem mengenmäßig wichtigsten Produktionsland für Baumwolle.
Intelligente Gebäudetechnik trifft Home-Entertainment Gira Revox Studios
Die Gira Revox Studios bieten die Gelegenheit, das Zusammenspiel von intelligenter Gebäudetechnik und Home-Entertainment live zu erleben. In gehobenem Ambiente lassen sich die vielfältigen Möglichkeiten von intelligenter Gebäudesteuerung und erstklassigem Multimedia-Erlebnis anschauen und ausprobieren. Zur ausführlichen Beratung und auch zur Erweiterung bestehender Installationen stehen Fachleute wie Entertainment-Spezialisten und System-Integratoren bereit. Mehr Informationen unter www.gira-revox-studios.de
Abb. unten: Re:system M100 modular audio video system
Abb. oben: Gira Control 19 Client, Glas Schwarz / Aluminium
PRODUKTE // Wahre Werte kaufen
VON
AUSGEZEICHNET FÜR NACHHALTIGES
10 DESIGN
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AUSGEZEICHNETE VORBILDER AB SOFORT ZEICHNET PURE PRODUKTE FÜR NACHHALTIGES DESIGN AUS, DIE NACH ÜBERZEUGUNG DER REDAKTION SOWIE NACH DEN STRENGEN KRITERIEN DER JURY IN IHRER GESTALTERISCHEN WIE ÖKOLOGISCHEN QUALITÄT MASSSTÄBE SETZEN: Vorbilder in Design und Nachhaltigkeit.
Nachhaltige Kriterien wie schonender Ressourcen-Einsatz, energetische Effizienz, Recycling-Fähigkeit sowie Material- und Verarbeitungsqualität fließen ebenso in die Bewertung ein wie Funktion, Emotion, Innovationsgrad sowie als gestalterische Maxime langlebiges Design. MIT JEDER AUSGABE ZEICHNET PURE EXAKT 10 PRODUKTE MIT DEM PURE QUALITY AWARD AUS – so können wir der Vielzahl an Produkt-Erscheinungen gerecht werden und verhindern gleichzeitig eine Inflationierung des Siegels. Der pure Quality Award soll eine exklusive Auszeichnung bleiben, die wirklich vorbildlichen Produkten vorbehalten ist. DAMIT STEHT DER PURE QUALITY AWARD FÜR QUALITÄT UND WERTHALTIGKEIT.
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SCHALLZAHNBÜRSTE SONICARE DIAMONDCLEAN VON PHILIPS Bei sogenannten Schallzahnbürsten schwingt der Borstenkopf mit 30.000 - 40.000 Bewegungen pro Minute und damit etwa 10-mal schneller als bei einer normalen elektrischen Bürste; zusätzlich werden noch 8.800 Seitwärtsbewegungen ausgeführt. Derartig hohe Schwingungen haben nach überwiegender Expertenmeinung neben der Reinigungswirkung auch noch positive Effekte auf das Zahnfleisch, indem sie die Zellaktivierung anregt. Schallaktive Zahnbürsten wie die Philips Sonicaire ermöglichen damt eine ebenso sanfte wie gründliche Reinigung und überlegene Zahnpflege. Die Philips Sonicare DiamondCare bietet fünf verschiedene Putzeinstellungen, cleveres induktives Aufladen wie durch „Zauberhand“ und last but not least ein tragbares Reise-Etui mit USB-Anschluss zum Nachladen. `
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DIGITALKAMERA LEICA X2 À LA CARTE Die kompakte Leica X2 weckt nicht nur äußerlich Erinnerungen an die legendären Messsucherkameras aus dem Hause Leica, sondern besitzt auch (umgerechnet auf Kleinbild) die für die Reportagefotografie fast schon legendären 35 Millimeter Brennweite. Mit ihrem Hochleistungsobjektiv Leica Elmarit 1:2,8/24 mm ASPH sowie einem Bildsensor mit 16 Megapixeln verspricht sie eine Bildqualität, die auf sehr, sehr lange Sicht keine Wünsche offen lassen sollte. Das gilt zweifelsfrei auch für die Material- und Verarbeitungsqualität der einzigen digitalen Kompaktkamera „made in Germany“. Als X2 à la carte wird das Gehäuse in drei Ausführungen und mit zehn verschiedenen Belederungsvarianten angeboten. Mit persönlicher Gravur wird sie zum Unikat. `
www.leica-camera.com
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DIE BEGRÜNDUNG DER JURY: Mit extrem hochwertiger Verar-
beitung, klassisch-zeitlosem Design und hoher Bildqualität ragt die LeicaX2 weit heraus aus der Masse der Kompaktkameras. À la carte und mit Gravur wird sie vollends zu einer nachhaltigen Investition.
DIE BEGRÜNDUNG DER JURY: Mit der Sonicare DiamondClean hat Philips das innovative Prinzip der Schalltechnolgie mustergültig umgesetzt. Hinzu kommt das elegante Design mit intuitiver Bedienung über das intelligent gesteuerte LED-Display.
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LED-LEUCHTE „FALLING LEAF“ VON TOBIAS GRAU Die Hängeleuchte FALLING LEAF besticht durch die Kombination aus poliertem Aluminium und mattem hochwertigem Kunststoff in verschiedenen Farben sowie einer optischen Linse. Durch diese wird das brillant warm-weiße LED-Licht blendfrei und optimal gestreut. Die Leuchte ist nicht Stückwerk, sondern ein Ganzes; Tobias Grau gelingt der Übergang von Kunststoff (Hals), poliertem Aluminium (Korpus) und optischer Linse (Unterseite) geradezu spielerisch, so dass die Leuchte eine extrem stimmige, schöne und robuste Erscheinung erhält.
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www.tobias-grau.com
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DIE BEGRÜNDUNG DER JURY: Die „Falling Leaf“ übersetzt die kom-
pakte Bauart der LEDs in eine schlüssige Formensprache für Leuchten und kann durch verschiedenfarbige „Hälse“ auf die Umgebung abgestimmt werden. Hochwertige Materialien, sorgfältige Verarbeitung, zeitloses Design.
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„UNVERSITY OF COPENHAGEN“ VON RONAN & ERWAN BOUROULLEC FÜR HAY Die Möbelkollektion wurde für die Universität von Kopenhagen entworfen und umfasst einen universell einsetzbaren Stapelstuhl, einen Schreibtisch sowie eine Sitzbank. Die Zielvorgabe: Die Studenten sollen länger in der Universität verweilen und sich dort zu Hause fühlen. Das Möbel ist damit mehr als ein typischer Schulstuhl: Es verbindet eine warme, hochwertige Materialität aus Formholz mit enormer Robustheit für eine lange Lebensdauer. Ideal überall dort, wo Möbel auch daheim oder im Büro stark beansprucht werden und dennoch raffiniert sein sollen. Markantes Element: Die zweigeteilte Sitzschale besteht aus einem kurzen Vorderstück sowie einem längeren Rückteil, das direkt in die Rückenlehne übergeht. Durch ihre doppelte Biegung kann die Rückenlehne stärker federn und erhöht den Sitzkomfort. Ein weiterer Vorteil: Die Stühle lassen sich beliebig in die Höhe stapeln und platzsparend verstauen. Bei den Tischen kann die Mulde zwischen den beiden Tischhälften zudem als Kabelschacht genutzt werden. `
www.hay.dk
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DIE BEGRÜNDUNG DER JURY: Die vollständig aus Bugholz gefertig-
te Kollektion verspricht mit ihrer Robustheit eine lange Lebensdauer. Hoher Innovationsgrad trotz der reduzierten, zeitlosen Formensprache.
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ACTIVEWATER ECO² GESCHIRRSPÜLER VON BOSCH Die ActiveWater Eco²-Baureihe verbindet das extrem sparsame Wassermanagement des ActiveWater Eco mit der stromsparenden Zeolith®-Trocknungstechnologie. Dabei wird das Silikatmineral Zeolith im Trocknungsprozess als Wasser- und Wärmespeicher eingesetzt. Mit einem Jahres-Stromverbrauch von 194 kWh und einem Jahres-Wasserverbrauch von 1.960 Litern im Eco-50-Normprogramm unterbietet der ActiveWater Eco² den Grenzwert zur Energieeffizienzklasse A+++ um 10 Prozent. Das Zeolith-Geheimnis liegt in der natürlichen Fähigkeit des Materials, Feuchtigkeit zu speichern und als Wärmeenergie wieder abzugeben. Wird der Wasserdampf am Ende des Spülgangs durch das Zeolith geleitet, nehmen die Kügelchen die Feuchtigkeit völlig auf. Zurück bleibt heiße und trockene Luft, die das Geschirr blitzschnell trocknet.
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„BELL TABLE“ VON SEBASTIAN HERKNER FÜR CLASSICON Auf der imm cologne im Januar 2012 vorgestellt und schon im jetzt ein neuer Klassiker. Der junge Designer Sebastian Herkner (geb. 1981) aus Offenbach am Main stellt das Möbel konzeptionell auf den Kopf. Ein gläserner Fuß in der namengebenden Glockenform wird von einer Tischplatte aus Metall gekrönt. Durch den formell sehr gelungenen Übergang zwischen Metall- und Glasteil wirkt das Möbel als harmonisches Ganzes, als ein zusammenhängendes Stück – trotz der Unterschiedlichkeit der verwendeten Materialien. > Langlebigkeit durch Hochwertigkeit: Transparenz im Möbelbereich wird derzeit eigentlich nur mit transparentem Kunststoff erreicht. Herkner bringt ein fast vergessenes Material zurück, das im Gegensatz zu Kunststoff auch nach 20, 30 Jahren noch ansehnlich wirkt und alles andere als billig. Auch die Tischplatte aus Metall vermag den Spuren der Zeit besser zu widerstehen und erhält mit der Zeit eine Patina. Denn Kratzer auf Metall sind charmant, auf Kunststoff sind sie unansehnlich. `
www. classicon.com
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DIE BEGRÜNDUNG DER JURY: Das Möbel interpretiert eine sehr
traditionelle, handwerkliche Herstellungsweise mit einer aktuellen und dennoch zeitlosen Formensprache. Der Einsatz natürlicher, langlebiger und hochwertiger Materialien verspricht Langlebigkeit.
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www.bosch-home.com
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DIE BEGRÜNDUNG DER JURY: Die Kombination aus ressourcenschonendem Wassermanagement und energiesparender Trocknungstechnologie machen den ActiveWater Eco² zum nachhaltigsten Geschirrspüler.
PRODUKTE // Wahre Werte kaufen
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REEDITION DES SESSELS 620 VON DIETER RAMS VON VITSOE Re-Edition eines absoluten Sesselklassikers (Original-Entwurf von Rams 1962), der unter anderem auch im Berliner Kanzleramt steht. Vitsoe legt Wert darauf, auch das Innenleben zu optimieren (Einsatz natürlicher Vliese unter den Polstern) und das Gewicht zu reduzieren. Die Stärke des Sessels liegt in seiner Modularität: Das „Sesselprogramm 620“ ist nämlich ein wirkliches System (bestehend aus einem Sockel mit Massivholzrahmen und Federung, darüber liegt die Sesselschale aus glasfaserverstärktem Polyester). Die Polster sind mit Daunenfedern gefüllt und in zwei Lederarten erhältlich, darunter auch ein 1,5 mm starkes, offenporiges Nappaleder mit natürlich-warmer Ausstrahlung. Der Clou: Alle Teile sind austauschbar, so dass das Möbel auch nach Jahrzehnten wieder repariert werden kann und von einer Generation zur nächsten wandert.
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www.vitsoe.com
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DIE BEGRÜNDUNG DER JURY: Bemerkenswert sorgfältige Reedition
eines Klassikers . Bei der Neuauflage wurde nicht nur Wert auf Originalität gelegt, sondern auch auf ebenso hochwertige wie natürliche Materialien. Durch Modularität wie gemacht für das „ewige Leben“. 08
DUSCHFLÄCHE XETIS VON KALDEWEI Die neue Duschfläche Xetis verschmilzt mit ihrem integrierten Wandablauf förmlich mit dem Badezimmerboden und kommt so dem Anspruch moderner Badarchitektur nach Gestaltung bodengleicher Duschen entgegen. Erstmals stört kein Ablauf das puristische Design der fugenlosen Duschfläche, die Technik verschwindet in der Wand. Xetis ist in 13 unterschiedlichen Abmessungen von 90 x 90 cm, über 120 x 120 cm bis zu 100 x 180 cm erhältlich. Neben glänzendem Alpinweiß sorgen die exklusiven Farben dafür, dass sich die emaillierte Duschfläche harmonisch mit Oberflächen aus Holz und Stein kombinieren lässt. `
www.kaldewei.de
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DIE BEGRÜNDUNG DER JURY: Die Duschfläche Xetis bietet mit ihrem innovativen Wandablauf neue ästhetische Möglichkeiten im Bad. Verschiedene Formate und die breite Farbpalette bieten vielfältige Einsatzmöglichkeiten, die Materialität Stahl-Emaille ist extrem robust, langlebig sowie vorbildlich nachhaltig.
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› Thema Qualität 09
VIDEOWAVE® II ENTERTAINMENT SYSTEM VON BOSE Klangspezialist Bose hat mit dem VideoWave® II Entertainment System Fernseher vorgestellt, die man nicht nur sehen, sondern vor allem auch hören muss. Was nämlich auf den ersten Blick aussieht wie ein ganz normaler HD-Fernseher, ist tatsächlich ein komplettes Home Entertainment- und Musiksystem. Mit frappierend räumlichem Filmton und packender Musikwiedergabe lässt das VideoWave® auf ein ganzes Lautsprecher-Arsenal im Wohnzimmer schließen – das es aber nicht gibt, weil sich die raffinierte Klangtechnik komplett im TV-Gehäuse verbirgt. Überzeugend auch das ebenso intuitive wie integrative Bedien-Konzept (steuert Zuspieler wie iPod oder Blu-ray mit) und die an die Traumakustik anpassbare Klangwiedergabe. `
www.bose.de
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DIE BEGRÜNDUNG DER JURY: Ein Home-Entertainment-System, das mit wenig Platz und ganz ohne zusätzliche Komponenten auskommt – und allein dadurch zum ressourcenschonenden und energiesparenden Vorbild wird. Hinzu kommen vorbildliche Ausstattung und Bedien-Komfort.
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RUGGED USB 3.0 THUNDERBOLT VON LACIE
Keine Ahnung, wie lange unsere Möbel halten. Uns gibt es ja erst seit 58 Jahren. Gemessen an der Evolutionsgeschichte sind 58 Jahre ein Klacks. Gemessen an einem durchschnittlichen Sofa-Leben eine Ewigkeit. Damit unsere Polstermöbel lange Freude bereiten, fertigen wir sie mit so viel Sorgfalt, dass es in der Regel Jahrzehnte dauert, bis mal ein Sitzpolster erneuert werden muss. Das ist nicht nur schön für die Besitzer, sondern auch vorbildlich in Sachen Nachhaltigkeit (ein Begriff, mit dem vor 58 Jahren übrigens nur wenige etwas anfangen konnten). Erst neulich hatten wir einen COR Sessel von 1972 in unserer Servicewerkstatt. Nach der Restaurierung war er wie neu. Und auch wenn wir keine Ahnung haben, wann wir ihn wiedersehen: Von Qualität verstehen wir was. DA SITZT ALLES.
Natürliche Feinde der Nachhaltigkeit sind bekanntlich Technologien, die veralten und damit Produkte nutz- und wertlos machen. Unter dieser Maßgabe ist die Rugged USB 3.0 Thunderbolt von LaCie mit SSD-Laufwerk nicht nur die derzeit schnellste Festplatte – sondern auch die nachhaltigste. Ihre SSD-Speichertechnologie macht sie schneller, mechanisch robuster und deutlich energieeffizienter. Mit Thunderbolt™ und USB 3.0 verfügt sie zudem über sämtliche neuen Anschlusstechnologien. In dieser Kombination ist sie momentan konkurrenzlos und damit zugleich eine Investition in die Zukunft wie nur wenige technische Produkte. Überzeugend auch das ebenso funktionale wie frische Design von Neil Poulton. `
www.lacie.com
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DIE BEGRÜNDUNG DER JURY: Die neue, mobile Rugged-Festplatte
von LaCie vereint erstmals sämtliche nachhaltigen Technologien mit einem ebenso funktionalen wie frischen Design.
Noch mehr über die COR Qualität erfahren Sie unter www.cor.de/innere-werte
Strom fließt nicht mehr, er fährt. Mercedes-Benz SLS AMG Coupé Electric Drive. Der erste Supersportwagen, der nichts außer einem bleibenden Eindruck hinterlässt. Ein Traumwagen mit Traumwerten: in 3,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h. 0 Liter Verbrauch auf 100 km und ein CO₂ -Ausstoß von 0,0 g. Mit dem SLS AMG Coupé Electric Drive bringt Mercedes-Benz den ersten in Serie gefertigten Elektro-Supersportwagen auf die Straße. www.mercedes-benz.com
DESIGN // Große Designer: Markus Jehs und Jürgen Laub
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/ IN EINER SERIE STELLT PURE DIE WICHTIGSTEN ZEITGENÖSSISCHEN DESIGNER VOR
Markus Jehs +
Jürgen Laub
Alles außer Hochdeutsch SIE SIND SO ETWAS WIE DIE STILLEN HELDEN DES DEUTSCHEN DESIGNS. Sie entwerfen interkulturelle Sofas, wohnzimmertaugliche Krustentiere oder schwebend leichte Tischprogramme. DAS SCHWÄBISCHE DESIGNER-DUO JEHS + LAUB SPIELT MIT SEINEN EBENSO LANGLEBIGEN WIE ZEITLOSEN ENTWÜRFEN AUCH IN PUNCTO NACHHALTIGKEIT IN DER OBERSTEN LIGA
von Norman Kietzmann
Es gibt Designer, die versuchen krampfhaft, etwas aus dem Ärmel zu schütteln. Andere dagegen lassen die Dinge lieber laufen und finden dennoch zu keineswegs banalen Entwürfen. Die Designer Markus Jehs und Jürgen Laub gehören zu dieser Kategorie. Ihre Arbeiten kommen mit einer Selbstverständlichkeit daher, als wären sie schon immer da gewesen – selbst dann, wenn sie gerade eine Innovation auf den Markt führen. Würde man die Entwürfe der beiden Stuttgarter mit einem Kleidungsstück vergleichen, wären sie wie ein gut geschnittenes weißes Hemd. Allrounder eben, die sich in jede Umgebung einfügen können. Sie sind zeitlos, ohne darum bemüht zu wirken. Was sie auszeichnet, ist ihre gestalterische Konsequenz und Lässigkeit, die das Zeitliche weit hinter ihnen lässt. Doch genau an diesen Punkt zu gelangen, ist bei aller Lockerheit dann doch weit mehr als eine Fingerübung.
DESIGN / NACHHALTIGKEIT `
Die Produkte von Jehs + Laub sind Allrounder, die sich in jede Umgebung einfügen. Mit ihrer konstruktiven Leichtigkeit und gestalterischen Konsequenz sind sie dem Zeitlichen enthoben. Sie sind gemacht, um lange zu halten
Die Welt von Jehs + Laub ist das Sitzen. Keine gewöhnlichen Sessel oder schwerfälligen Sofa-Ungetüme entspringen ihrem Studio, sondern wohlproportionierte Volumina mit Langzeitwirkung. Wie ihnen das gelingt, zeigt das Sitzprogramm „Shrimp“ für Cor (2012). Von außen werden die Sessel und Stühle von einer dünnen Schale aus Formholz umschlossen, die leichte Reminiszenzen an das Design der Sechzigerjahre einfängt, ohne in den Verdacht von Retro zu geraten. Die Schalen schmiegen sich um den Körper wie schützende Kokons und sind dennoch von einer konstruktiven Leichtigkeit, die die Möbel filigran im Raum positioniert. Für Aufruhr gesorgt haben Markus Jehs und Jürgen Laub vor allem mit ihrem Sofa „Jalis“ (2010, ebenfalls für Cor), das den Orient schnurstracks in europäische Wohnzimmer transferierte. „Wir waren fasziniert davon, wie die Menschen in den arabischen Ländern Kissen auf den Boden oder auf Podeste werfen und darauf sitzen. Natürlich mussten wir diese Idee transformieren, damit sie hier auch angenommen wird“, erklärt Jürgen Laub das Konzept. „Jalis“ gleicht einem großen Kissen, das auf einem Podest ruht. Was auf den ersten Blick recht einfach wirkt, ist das Ergebnis eines aufwendigen Prozesses. In monatelanger Arbeit wurden unzählige
DESIGN // Große Designer: Markus Jehs und Jürgen Laub
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JALIS STUHL / 2011 Familienbande: Passend zu ihrem Sofa „Jalis“ (2010) entwarfen Jehs + Laub einen Stuhl, einen Armlehnenstuhl und einen Tisch für Cor sowie ein dazugehöriges Bett für Interlübke
HOC / 2012 Weiche Kante: Für den deutschen Möbelhersteller Brunner haben Jehs + Laub den Barhocker „Hoc“ um einen Tisch in zwei Höhen sowie um eine passende Sitzbank aus Formholz ergänzt
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BEND / 2011 Vielseitig einsetzbar: Das Aluminiumgestell des Stapelstuhls „Bend“ von MDF Italia kann mit einer Netzschale, einer Holzschale sowie mit stoffbespannten Polsterschalen kombiniert werden
Prototypen angefertigt, um herauszufinden, wie das Möbel die Natürlichkeit eines gefalteten Kissens erhält und nicht den Eindruck eines müden Sacks.
Thonet entwerfen und sich gleichzeitig mit Knoll International, Fritz Hansen, Cassina, Stelton oder MDF Italia auch auf internationaler Bühne fest verankert haben.
Auch für Thonet, Cassina, MDF Italia oder Wilkhahn haben Jehs + Laub Sofas entworfen, ohne zu Wiederholungstätern zu werden. Während „Blox“ (2002 für Cassina) mit klaren, kubischen Kanten daherkommt, verfügt das Sofa „4004“ (2006 für Thonet) über markant abgerundete Ecken und eine Thonet-typische Schale aus Bugholz. Dass es ihnen gelungen ist, mit ihren Sitzmöbeln in einer Domäne zu punkten, die in den letzten vierzig Jahren fast ausnahmslos in italienischer Hand lag, ist kein Zufall. Denn Jehs + Laub bringen wie Konstantin Grcic oder Stefan Diez das Selbstverständnis einer neuen deutschen Designergeneration auf den Punkt.
Kennen gelernt haben sich Markus Jehs (Jahrgang 1965) und Jürgen Laub (Jahrgang 1964) während des Industriedesign-Studiums an der Hochschule Schwäbisch Gmünd. Nachdem sie ihr Diplom in der Tasche hatten, eröffneten sie 1994 in Stuttgart ihr Designbüro. Design ist für sie ein Prozess mit offenem Anfang und Ausgang. Denn Rollenbilder oder Zuständigkeiten haben sie untereinander keine verteilt. Ein Projekt beginnt mit einem Gespräch, bei dem einer der beiden die Ideen per Hand skizziert oder gleich am Computer visualisiert. „Wir streiten uns auch oft, weil wir unterschiedlicher Meinung sind. Durch diesen Streit entsteht aber häufig etwas Neues“, beschreibt Markus Jehs den Prozess. Ideen werden wie beim Pingpong im Raum hin und her geworfen, bis ein Projekt Gestalt annimmt und sich einer der beiden Designer um die weitere Ausführung kümmert. Unterstützung bekommen sie lediglich von zwei Assistenten, die vor allem in die Ausarbeitung digitaler oder plastischer Modelle involviert sind.
Anstatt sich am Erbe von Bauhaus und Ulm mühsam abzuarbeiten, verfolgen Sie einen unbefangenen Zugang, der von Dogmen oder gar Denkverboten nichts mehr wissen will. Ein Produkt ist für sie weit mehr als die Summe konstruktiver Einzelteile oder reiner Ausdruck industrieller Fertigung. Dennoch sind die Entwürfe von Jehs + Laub keine Hirngespinste oder formale Spielerei. Was sie verbindet, ist ihre Erscheinung als stimmig durchkomponiertes Ganzes, das selbst Gegensätze in Einklang bringt. Leichtigkeit trifft hier auf Dichte, Filigranität auf Volumen, fließende Linien begegnen präzise gesetzten Aussparungen. Nicht ohne Grund zählt Jehs + Laub zu den wenigen deutschen Designbüros, die für heimische Hersteller wie Cor, Interlübke, Wilkhahn oder
Das Entwerfen ist für sie stets Teamarbeit und keine Einzelleistung. „Wenn jemand eine gute Idee hat, und sei es selbst der Lieferant, sind wir immer froh über solche Anregungen. Wir bestehen nicht darauf, dass alle guten Ideen von uns sein müssen. Wichtig ist, dass das Produkt gut ist“, erklärt Markus Jehs. Ihr Design entsteht im Machen. Und dafür ist es wichtig, dass sie die Werkzeuge
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JALIS SOFA / 2010 Orientalisches Sitzen: Nach ReiseEindrücken aus arabischen Ländern entstand das Sofa „Jalis“ für Cor. Als Vorbild dienten einfache Sitzkissen, die auf dem Boden oder auf Podesten platziert werden
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MELL / 2012 Offene Ecke: Das Sitzprogramm „Mell“ von Cor benötigt lediglich ein einfaches, kubisches Grundmodul, das durch simple Drehung zu vielfältigen Sitzgruppen arrangiert wird
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SHRIMP SESSEL / 2012 Fließender Übergang: Der Sessel aus der „Shrimp“-Familie von Cor erinnert mit seinen voluminösen Armlehnen an einen Rochen und wird um eine passende Ottomane ergänzt 11
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beherrschen. Haben sie anfangs stets mit Modellen aus Pappe und Papier die Tauglichkeit einer Idee überprüft, arbeiten sie nun direkt am Computer. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit, denn viele Designer reklamieren zwar die Ideenfindung für sich, überlassen die Ausführung dann jedoch fast ausnahmslos ihren Mitarbeitern. Dass Jürgen Laub und Markus Jehs selbst mit den digitalen Medien vertraut sind, mag einer der Gründe sein, warum ihre Arbeiten untereinander stimmig wirken, ohne einer plakativen Handschrift oder einem wiedererkennbaren Stil zu folgen. Dass auch der Zufall mitunter eine Rolle spielt, zeigt ihre Wanduhr „Stelton Time“ (2012). Während der Arbeit an einem anderen Projekt hatte es plötzlich klick gemacht: „Der Entwurf ist uns einfach zwischendurch eingefallen, ohne dass wir ein Briefing hatten. Wir
GRAPH TISCH + STUHL Scharf geschnitten: Der 2008 vorgestellte Konferenzstuhl „Graph“ von Wilkhahn überzeugt mit seinen durchweg fließenden Konturen. 2012 wurde das passende KonferenztischSystem hinzugefügt
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SHRIMP STUHL / 2012 Flexibel einsetzbar: Mit einem VierfußMetallgestell ist der Stuhl aus der „Shrimp“-Familie von Cor stapelbar und kann im Wohnzimmer wie im Objektbereich zum Einsatz kommen 09
A-CHAIR / 2012 Hoch hinaus: Der „A-Chair“ von Brunner ist speziell für den Einsatz im Objektbereich konzipiert und kann in Reihen miteinander verkettet, aber auch gestapelt werden 12
STELTON TIME / 2012 Punktgenau: Die Wanduhr „Stelton Time“ bringt die Sehgewohnheiten durcheinander. Während sich der Stundenzeiger frei dreht, ist der Minutenzeiger mit dem kreisförmigen Rahmen verbunden
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MELL / 2012 Architektur des Sitzens: Das Programm „Mell“ von Cor kann mit passenden Tischen kombiniert werden, deren Füße in Höhe und Profilstärke exakt den Polstermöbeln entsprechen
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JALIS SOFA / 2010 Raumwandler: Die freistehende Version des „Jalis“Sofa von Cor ist kein fliegender Teppich, jedoch ein komfortables Kissen, das schwebend im Luftraum des Wohnzimmers thront 13
ASIENTA / 2012 Nahtlos sitzen: Das Sitzprogramm „Asienta“ von Wilkhahn verfügt über einen Rahmen aus Aluminium, um den die Polsterung gewickelt wurde, was sichtbare Nähte bei Stoffbezügen überflüssig macht
haben alles in 15 Minuten fertiggemacht, an Stelton abgeschickt und die haben dann mit uns die Uhr gemacht“, gibt Markus Jehs offen zu. Trotz der Spontanität des Einfalls hat es ihr Entwurf in sich: Während der Stundenzeiger auf konventionelle Weise seine Runden dreht, ist der Minutenzeiger mit einem umlaufenden Ring verbunden, der ein imaginäres Ziffernblatt um die Zeiger herum erschafft. Obgleich es mit dem Auge kaum zu erkennen ist, dreht sich der Ring in jeder Stunde einmal um die eigene Achse und erzeugt durch seinen Abstand zur Wand ein differenziertes Schattenspiel. In seiner Prägnanz ist dieser Entwurf einmalig in der keineswegs knappen Geschichte der Uhrengestaltung. Über die Resonanz auf ihren Entwurf waren Jehs + Laub schließlich selbst überrascht. Nachdem sie dazu einen Newsletter versendet
MENSCHEN // Interview Markus Jehs
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HOC / 2012 Moderner Schemel: Der Barhocker „Hoc“ von Brunner besteht aus drei baugleichen Formholzteilen mit runden Kanten, die wie ein Kleeblatt zu einer sechseckigen Sitzfläche verbunden werden
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CLOTH / 2010 Fließendes Kurvenwunder: Durch Reißverschlüsse an den Außenkanten können der obere und untere Bezug des Sessels „Cloth“ von Cassina wie bei einem Kleidungsstück einfach abgenommen werden
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hatten, klingelte das Telefon plötzlich Sturm. So etwas war ihnen bei anderen Arbeiten noch nie passiert – und kam andererseits doch wenig überraschend. Schließlich lag der Fokus der beiden Stuttgarter klar auf großen, voluminösen Produkten wie Sofas oder Sesseln, während sie um kleinere, „handliche“ Dinge bislang einen weiten Bogen zu machen schienen. Eine Ausnahme bildet hierbei ihr Porzellanservice „Connect“ (2011) für Schönwald, das die zwei Designer speziell für den Einsatz in der Profigastronomie entwickelten. Vor allem bei Banketten kommt die Modularität dieses 46-teiligen Systems zum Tragen, das sich sowohl leicht stapeln als auch mit sicherem Griff transportieren lässt. „Uns interessieren immer Dinge, die wir noch nicht gemacht haben. Wenn man jungfräulich an etwas herangeht, hat das schon seine Vorteile“, sagt Markus Jehs. Dass sie mit vielen Kunden eine langfristige Zusammenarbeit verbindet, ist vor allem ihrem gesunden Pragmatismus zu verdanken. „Wenn man etwas Nettes entwirft und es nachher zu viel kostet, kauft es niemand. Damit ist dann keiner glücklich und das Produkt verschwindet schnell wieder aus dem Sortiment“, erklärt Jehs. Zur Aufgabe des Gestalters gehört in ihren Augen, die Dinge bezahlbar zu machen oder zumindest in eine bezahlbare Richtung zu lenken. Gewiss, nicht mit jedem Hersteller und jedem Produkt ist dies umsetzbar. Doch den Kostendruck im Nacken zu spüren kann auch zu kreativeren Lösungen führen, als wenn man frei von Einschränkungen ans Werk geht. Ein Beispiel: Die Polsterung ihres Sofaprogramms „Asienta“ (2012) für Wilkhahn wurde mitsamt dem Bezug um einen Rahmen aus Aluminium gewickelt. Weil man dadurch auf sichtbare Nähte verzichten kann, erhält zum einen das Möbel eine markante, puristische Erscheinung, zum anderen ist dank dieser Technik weniger Handarbeit vonnöten, was wiederum die Herstellungskosten deutlich reduziert.
Wie die Umsetzung eines Entwurfs auf den letzten Metern durchaus ins Stocken geraten kann, zeigt die Entwicklung des heutigen Sofa-Bestsellers „Jalis“. Das Produkt überzeugte am Rechner. Doch als die ersten Prototypen gebaut wurden, ähnelte das Ergebnis eher einem deformierten Schlauchboot. Auch ein erneuter Versuch scheiterte, so dass das Projekt für längere Zeit auf Eis gelegt wurde und unklar war, ob es überhaupt jemals umgesetzt würde. Jürgen Laub und Markus Jehs fuhren daraufhin zum Unternehmen und veranstalteten dort einen mehrtägigen Workshop mit den Polsterern, der schließlich zum Durchbruch führte. „Bei Cor haben sie gesagt, dass sie noch nie so viele Prototypen von einem Sofa gebaut haben wie von diesem Entwurf. Es sind oft die einfachen Dinge, die so schwierig sind“, bringt Markus Jehs die Herausforderung auf den Punkt. Vor allem die letzten fünf Prozent einer Produktentwicklung bilden häufig den heikelsten Punkt. Denn nicht jeder Hersteller ist bereit, einen zeit- und kostenaufwendigen Prototypenbau trotz mehrfacher Rückschläge weiterzuverfolgen. Dass Jehs + Laub bislang noch keine Ausflüge in Richtung Automobilbau unternommen haben, mag für zwei Designer aus Stuttgart ungewöhnlich erscheinen. Abgeneigt wären sie einem solchen Projekt nicht: „Das Problem an Autos ist, dass 300 Leute daran arbeiten. Der eine macht das Lenkrad, der andere die Lüftungsschlitze. Das Ergebnis ist kein großes Ganzes, sondern Stückwerk“, kann sich Markus Jehs echauffieren. Wie ein Fahrzeug aus ihrer Hand aussehen würde? Es wäre zweifelsohne wohnlicher als das, was bislang die Straßen dominiert. Und es wäre klar, dass nur sie beide die Konturen von Karosserie bis Innenleben überwachen würden. Doch schon an dieser Stelle schließt sich für die Gestalter der Kreis: „Wenn man sich ein Auto anschaut, sind darin ja Sessel und Sofas. Da könnten wir also noch einiges machen“, lacht Jehs.
„Wir denken gerne in Papier“ MARKUS JEHS UND JÜRGEN LAUB ARBEITEN SEIT 1994 ALS TEAM. Zu Hause fühlen sich die Stuttgarter Designer auf nationaler wie internationaler Bühne. Beim Gedanken-Pingpong finden sie gemeinsam zu neuen Ideen. MARKUS JEHS ÜBER NAHTLOSE SOFAS, GEFALTETE SESSEL UND KRITISCHE EHEFRAUEN
INTERVIEW | MARKUS JEHS
pure: Herr Jehs, Sitzmöbel scheinen Sie einfach nicht loszulassen. Auf der Büromöbelmesse Orgatec haben Sie Mitte Oktober das Sofa- und Sesselprogramm „Asienta“ für Wilkhahn vorgestellt. Worin unterscheidet es sich von Ihren früheren Entwürfen? Jehs: Die meisten unserer Sofas haben wir für klassische Polstermöbelhersteller wie Cor oder Cassina entworfen. Wilkhahn kommt dagegen vom Drehstuhl und der Technik. Darum wollten wir hier einen anderen Weg gehen. Wir haben eine modulare Aluminium-Konstruktion entwickelt mit Beinen aus Gussteilen, die mit Strang-Pressprofilen verbunden werden. Die Sofas lassen sich in ihrer Länge und Sitztiefe beliebig variieren, so dass sie als Universalmöbel in jede Architektur passen. Auch wenn die MetallKonstruktion im Inneren verborgen bleibt, haben wir sie an der Vorderseite sichtbar gemacht. Daher laufen die beiden Vorderbeine bis zur Lehne hoch und setzen sich von den Bezügen ab.
Anders als bei den meisten Polstermöbeln steckt kein Schaum „unter der Haube“ dieses Programms. Warum? Weil sich Komfort auch mit deutlich weniger Materialaufwand erzeugen lässt. Wir haben dafür ein Gewebe genommen, das normalerweise im Innenleben von Bürostühlen verwendet wird, und dieses um das Aluminiumgestell im Karree gespannt. Darüber wurde ein Bezug mit einer dünnen Polsterung gefaltet. Der Vorteil dieser Lösung ist, dass wir überhaupt keine sichtbaren Nähte benötigen, da der Stoff nur gewickelt wurde. Dadurch spart man sehr viel Handarbeit und damit auch Geld. Eine Naht ist ja immer teuer. Nur in der Lederversion gibt es Nähte, da Rinderhäute schließlich nicht unendlich groß sind.
Dass Sessel mit geradezu filigranen Qualitäten überzeugen können, haben Sie bereits 2012 mit Ihrem Programm „Shrimp“ für Cor unter Beweis gestellt. Wie ist Ihnen die Leichtigkeit der Formholzschale gelungen? Das liegt vielleicht daran, dass wir gerne in Papier denken. Papier hat eine enorme Leichtigkeit und lässt ein Ding auf eine natürliche Art seine Form annehmen. Durch die Spannung des Materials ergeben sich automatisch wunderschöne Formen und Radien. Da muss man als Designer gar nicht mehr so viel machen (lacht).
sondern mit „Cinema 4D“. Das ist eine Visualisierungs-Software, mit der sich auch Animationen erzeugen lassen. Wenn man eine Idee hat, kann man damit genauso schnell eine dreidimensionale Skizze erzeugen wie mit Papier. Oft haben wir schon nach 15 Minuten ein anschauliches Ergebnis, für das man mit „Solid Works“ fast eine Woche gebraucht hätte. Auf die Weise sind wir recht schnell geworden und können auch mehrere Projekte gleichzeitig betreuen. Die Daten schicken wir dann weiter, sie werden dreidimensional ausgedruckt oder von den Ingenieuren der Hersteller nachgebaut.
Wie groß ist Ihr Team? Ganz klein. Wir sind zu zweit und haben zwei Assistenten. Wir wollen auch nicht größer werden, da wir uns selbst um jedes einzelne Projekt kümmern wollen. Unsere Assistenten recherchieren und bauen am Rechner natürlich auch Modelle. Sehr wichtig ist das Formulieren von Varianten. Denn selbst wenn man eine gute Idee hat, muss man sicher sein, dass es nicht links und rechts noch etwas Besseres gibt. Wenn wir mit einem Projekt anfangen, reden wir erst einmal darüber. Ich muss dann immer durch den Raum laufen und mir die Sache verbal erklären. Wenn wir ein paar gedankliche Ansatzpunkte gefunden haben, beginnt einer von uns parallel zu zeichnen oder direkt am Rechner etwas zu bauen.
Gibt es unter Ihnen eine klar definierte Aufgabenverteilung? Nein, wir sitzen an einem großen runden Tisch. Jeder hat seinen Rechner und einen großen Bildschirm. Dort arbeitet jeder an einem Projekt. Wenn einer keine Lust mehr hat, macht der andere daran weiter. Aber wir besprechen uns auch ständig. Es kann sein, dass wir alle fünf Minuten den anderen zu Hilfe rufen. Das Gute daran ist, dass der andere mit Abstand auf die Sache schaut. Er kann dann sagen: Mach doch mal so oder so. Dabei ist es entscheidend, dass man das Ganze nicht so wichtig oder gar persönlich nimmt. Denn jede Kritik hat einen Grund, über den man diskutieren kann. Wir streiten uns auch häufig, weil wir unterschiedlicher Meinung sind. Aber durch diesen Streit entsteht oft etwas Neues.
Wie kann man sich das vorstellen: Sie sind in Ihrem Studio also vor allem mit dem Cutter anzutreffen?
Kritik lässt sich unter Partnern ja weit offener äußern als zwischen Angestellten und dem Chef. Denn keiner fühlt sich gezwungen, ein Blatt vor den Mund zu nehmen ...
Das haben wir früher gemacht. Wir haben anfangs alle Entwürfe erst einmal aus Pappe oder Papier gebaut. Aber nach über 15 Jahren Modellbau haben wir gesagt: Wir wissen, was wir tun, und können gleich am Rechner entwerfen. Wir arbeiten jedoch nicht mit klassischen Industriedesigner-Programmen wie „Solid Works“,
Ja, das stimmt. Als ein einzelner Designer kann man sein Ego sicher schneller aufblasen, als wenn man zu zweit ist. Wenn eine Idee schlecht ist, bekommt man das nur von der Ehefrau oder von seinem Büropartner zu hören – oder auch von den eigenen Kindern (lacht).
DESIGN // Flachbild-Fernseher
BEOVISION 11 In diesem High-EndFernseher aus der aktuellen B&O Kollektion lebt die Design-DNA des 2002 von David Lewis entworfenen Modells BeoVision 5 weiter
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Der Verlust der dritten Dimension
Sehen Flachbild-Fernseher nicht alle gleich aus? Welchen gestalterischen Spielraum haben Designer überhaupt noch angesichts immer flacherer Panels? Die jüngste Geräte-Generation weist eine erfrischende Vielfalt zwischen zeitloser und individuell anpassbarer Gestaltung auf
ALS DIE KLOBIGEN RÖHRENGERÄTE AUSSTARBEN, SAHEN PLÖTZLICH ALLE FERNSEHER GLEICH AUS: Ein flacher Bildschirm mit einem schwarzen Rahmen außen herum. Inzwischen haben die Designer der drohenden Uniformität aber erfolgreich den Kampf angesagt UND DAS FERNSEHGERÄT ALS INDIVIDUELLES MÖBEL WIEDERENTDECKT
von Reinhart Buchner
Als der Fernseher in den 60er Jahren zum Allgemeingut in deutschen Wohnzimmern wurde, entwickelten Konsumenten und Hersteller gleichermaßen Zukunftsperspektiven, wie man diesen „Zauberkasten“ – wobei man den Begriff Kasten durchaus wörtlich nehmen kann – noch attraktiver machen könnte. Farbige Bilder waren seinerzeit der wichtigste Wunsch. Doch sollte der Bildschirm auch größer und die Bautiefe geringer werden. Der damalige „HÖR ZU“-Chefredakteur und Fernsehpionier Eduard Rhein träumte bereits von wandhängenden TV-Geräten. Bis dahin war es allerdings
noch ein weiter Weg. Konstruktionsbedingt wurden die RöhrenFernseher mit wachsender Bilddiagonale immer tiefer und schwerer, so dass an eine Wandmontage überhaupt nicht zu denken war. Die Designer versuchten stattdessen mehr oder weniger erfolgreich, die enorme Bautiefe der immer klobigeren Geräte zu kaschieren. Zwei gelungene Beispiele aus den 1990er Jahren sind der B&O Avant und der Loewe Art, die insbesondere durch die sich stufenweise verschlankende Rückpartie bestechen und so im Raum Präsenz erzeugen.
DESIGN // Flachbild-Fernseher
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SAMSUNG ES 9090 Dieser LED-TV hat eine Bautiefe von knapp 3,6 cm. Sein hauchdünner Rahmen, in Rose Gold gehalten, steht in farblichem Kontrast zum schwarzen Display
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Wenig später kamen die ersten Plasmafernseher auf den Markt und zu Beginn des neuen Millenniums war es der japanische Hersteller Sharp, der LCD-TVs serienreif machte. Mit diesem technologischen Fortschritt standen die Designer aber vor einer neuen großen Herausforderung – wurden sie doch in ihren Gestaltungsmöglichkeiten plötzlich der dritten Dimension beraubt. So hat zum Beispiel der kürzlich auf der IFA vorgestellte Samsung 9500 mit OLED-Technologie nur noch eine Tiefe von 4,3 mm. Dank modernster Ansteuertechnik wird auch der Rahmen um den Bildschirm immer schlanker. Bereits 2010 leiteten Sharp mit seiner Quattron-Technologie und Toshiba mit den VL748-Modellen diese Entwicklung ein. Für das Toshiba Design wurde kein Geringerer als Jacob Jensen gewonnen, der von 1965 bis 1991 das Design der Bang & Olufsen Produkte prägte. Die Modelle von Toshiba zeichnen sich, ganz in dieser Tradition, durch klare Linien und hochwertige Materialien aus. Statt Knöpfen und Schaltern dient, wie auch bei den Quattron-Modellen von Sharp, ein in die Front integriertes Touch Panel als Bedienelement. Das Konzept des schmalen Rahmens wurde dann von Samsung mit dem 2012 auf der IFA vorgestellten Modell ES8090 auf die Spitze getrieben. Mit nur acht Millimeter Rahmenstärke hält dieser
Fernseher momentan den Rekord und Samsung hat eigens dafür die Bezeichnung „ultra-thin zero bezel“ kreiert und so eine Designvorgabe geschaffen, der zahlreiche andere Hersteller, beispielsweise der koreanische Wettbewerber LG, folgen. Je schmaler der Rahmen aber wird, desto geringer die markenspezifische Fernwirkung, denn die Frontansicht des Gerätes besteht zu 99 Prozent aus dem eigentlichen Display, das sich der Gestaltungsmöglichkeit des Designers entzieht. Der damit häufig einhergehende Verlust des Markencharakters tritt besonders bei hängend angebrachten Geräten zutage, weil dann nur noch ein vor der Wand schwebendes Display wahrgenommen wird. Tatsache ist allerdings, dass nur etwa 10 Prozent der Käufer eines Flachbildschirmes diesen an der Wand montieren. Die absolute Mehrheit stellt ihr Heimkino-Display nach wie vor auf ein Sideboard oder, in selteneren Fällen, einfach auf den Boden. Da ein Flachbildfernseher per se nicht alleine stehen kann, benötigt er einen Standfuß oder ein andersartiges, innovatives Aufstellungskonzept, das dem Designer wiederum eine Möglichkeit zur gestalterischen Diversifikation bietet. Samsung, Bang & Olufsen sowie Loewe haben diese Chance erkannt und auf unterschiedliche Weise umgesetzt.
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BANG & OLUFSEN BEOPLAY V1
LOEWE REFERENCE ID
LOEWE STRENESSE CONNECT
Neben einem filigranen Standrahmen gibt es für den BeopPlay V1 eine innovative Aufhängung an vier dünnen Stahlseilen, die den Fernseher nahezu im Raum schweben lässt
Der exklusive Flat-TV glänzt durch seine meisterhafte Verarbeitung, edle Materialien und extreme Individualisierbarkeit bis hin zum Einzelstück
Loewe goes fashion: Der TVHersteller und das Mode-Label Strenesse sind eine Partnerschaft eingegangen. Unter Leitung von Gabriele Strehle, Chefdesignerin von Strenesse, entstand diese limitierte Edition für das Loewe Fernsehgerät Connect ID
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LG 42LM670S
SHARP 3-D-TV-AQUOS
PANASONIC TX-P55VT50
TOSHIBA YL985
BOSE VWII
Der LG 42LM670S steht für die neue LG Designausrichtung mit einem auf das Minimum reduzierten Displayrahmen. Neben einer konventionellen Fernbedienung lässt sich dieses Modell auch mit intuitiver Gestensteuerung bedienen
Sharp, der Pionier des LCD-TV, lässt auf seinen nur 3,95 cm dicken Aquos-Geräten zumindest das Bild dreidimensional erscheinen
Der Plasma-Fernseher in dieser Auswahl kommt mit einem Gehäuse aus Glas und Metall im eleganten One-Sheet-of-GlassDesign
Das dänische Designstudio Jacob Jensen, das für ein klares und puristisches Design steht, lieferte den Entwurf für das nahezu rahmenlose Gehäuse der YL985-Serie
Der Ton macht die Musik: Bose bietet mit dem VideoWave® II einen HD-Fernseher, in den ein komplettes Bose Home Entertainment- und Musiksystem integriert ist. Der hohe qualitative Anspruch des Sound-Spezialisten zeigt sich auch im hochwertigen Aluminiumrahmen
Samsung setzt bei seinem bereits angesprochenen Modell ES8090 auf den Kontrast von Geraden und Kurven. Der minimalistische Bildschirm mit seinem schlanken Aluminiumrahmen wird von einem organisch geformten Fuß in der Schwebe gehalten, was dem Produkt einen fast skulpturalen Charakter verleiht. Einschränkend muss aber gesagt werden, dass dieses Designmerkmal nur der Premiumkategorie innerhalb der Samsung Produktlinie vorbehalten ist und daher nicht als Wiedererkennungsmerkmal für die gesamte Marke taugt. Einen komplett anderen Weg beschreitet der dänische Hersteller Bang & Olufsen beim neuen BeoPlay V1. Neben einem filigranen Standrahmen kann man für das Gerät auch eine Deckenhalterung ordern. In diesem Falle wird der Fernseher – höhenverstellbar und kippbar – von vier dünnen Stahlseilen gehalten, ein wirklich innovatives Konzept. Leider gibt es aber auch bei B&O noch keine drahtlose Stromübertragung, so dass man zusätzlich noch ein Netzkabel benötigt. Dies wird aus gutem Grund auf den offiziellen Fotos nicht gezeigt. Loewe wiederum setzt bereits seit Jahren bei seiner IndividualLinie auf vielfältige Positionierungsmöglichkeiten – mit Standfüßen für Bodenaufstellung wie auf dem Sideboard und mit der Möglichkeit, den Fernseher an einer zwischen Boden und Decke eingespannten Stange hängend zu befestigen. Auch hier macht der Individual seinem Namen also alle Ehre. Neben dem guten Bild erwartet der Kunde von einem Luxus-Fernseher auch überzeugenden Klang. Anordnung und Konzept der Lautsprecher haben einen signifikanten Einfluss auf das Design. Verfolgt man, wie Samsung, ein minimalistisches Designkonzept, treten die Lautsprecher optisch überhaupt nicht in Erscheinung, denn sie sind in der Rückwand versteckt. Individuelle Ausbau- und Gestaltungsmöglichkeiten bietet auch hier vor allem Loewe. Die Bildschirme der Individual-Reihe verzichten auf integrierte Lautsprecher und lassen sich stattdessen mit auch im Design maßgeschneiderten Lautsprecher-Lösungen bis hin zum aufwendigen Mehrkanal-Heimkino-System aufrüsten. Den entgegengesetzten Weg geht Klangspezialist Bose mit seinen VideoWave® Entertainment Systemen, die – typisch für die Philosophie von Bose – ein Klangerlebnis wie im Kino ohne sichtbare Lautsprecher bieten. Was nach Magie und Klangzauber klingt, verbirgt sich in Form raffinierter Technik vollständig hinter dem eigentlichen Bildschirm und lässt diesen nur um wenige Zentimeter tiefer werden. Minimalistischer kann man ein hochwertiges HomeEntertainment-System wohl kaum darstellen. Dass man noch einen anderen Weg gehen kann, hat B&O schon 2002 mit dem BeoVision 5 bewiesen, der noch vom kürzlich verstorbenen Designer David Lewis entworfen wurde. Bei diesem Ansatz hat die Lautsprecherfläche exakt die gleiche Größe wie der Bildschirm, was dem Fernseher eine quadratische Form gibt. Die-
ses Konzept steht für die Bedeutung, die das Unternehmen dem Klang seiner Geräte gibt. In einem Umfeld, in dem andere Hersteller fast jährlich ihr Design ändern, ist es erstaunlich, dass die Grundform des BeoVision 5 bis heute im BeoVision 11 weiterlebt, auch wenn der Plasmabildschirm des Originals inzwischen durch ein LCD-Panel ersetzt wurde. Ein Beweis, dass ein schlüssiges Designkonzept auch in Zeiten einer extrem schnellen technischen Entwicklung noch über viele Jahre seine Gültigkeit behalten kann. Mit dem BeoVision 5 übernahm B&O aber noch eine weitere Vorreiterrolle: Das Gerät leitete den Trend zur Individualisierung des Designs ein. Der Kunde konnte für die Lautsprecherverkleidung aus acht Farben wählen und so seinen Fernseher optimal auf das persönliche Wohnumfeld abstimmen. Auch Loewe setzt verstärkt auf persönliche Individualisierung. Beim Modell ID (steht für Individual Design) ergeben sich über Farb-, Aufstell- und Ausstattungsvarianten theoretisch 2.160 Kombinationsmöglichkeiten. Der Kunde kann sich im Internet sein persönliches Exemplar zusammenstellen. Die entsprechende Internetseite orientiert sich an einschlägigen Neuwagen-Konfiguratoren. Am Ende des Konfigurationsprozesses kann sich der Kunde eine 3-D-Darstellung seines individuellen Fernsehers angucken und ausdrucken. Mit dem auf der diesjährigen Funkausstellung vorgestellten Modell Reference ID geht der deutsche Hersteller aber noch einen Schritt weiter: Er bietet die Möglichkeit an, Unikate zu erwerben. In Zusammenarbeit mit der italienischen Klaviermanufaktur Fazioli produziert der Fernsehgerätehersteller Einzelstücke, bei denen nur ausgesuchte Materialien zum Einsatz kommen – zum Beispiel Holz von Rotfichten aus dem Fleimstal, das bereits beim Bau der weltberühmten Stradivari-Geigen verwendet wurde. Für solvente Käufer, denen selbst dieser Grad der Individualisierung noch nicht ausreicht, setzt Loewe noch eins drauf: Der Kunde kann seine eigene Gestaltungsidee skizzieren. Als Basis für seine Designambitionen dient ein minimalistisches Gehäuse mit Aluminiumrahmen, schwarzer Lautsprecherbespannung und ebenfalls schwarzer Rückseite. Der Kundenentwurf wird dann mittels Gravur oder besonderer Oberflächentechnik in der Loewe Manufaktur in Kronach umgesetzt. Ein aufwendiger Produktionsprozess stellt sicher, dass bei jedem Einzelstück die hohe Verarbeitungsqualität, für die der Premiumhersteller steht, gewährleistet ist. Ob aber jedes Kundendesign auch dem hohen gestalterischen Anspruch des Unternehmens gerecht wird, muss sich erst noch zeigen. Diese Momentaufnahme des TV-Designs zeigt, dass der Verlust der dritten Dimension und ein fast rahmenloses LC-Display nicht zwangsläufig zum Verlust einer Designidentität führen müssen und sich der Kunde auch in Zukunft noch auf einige gestalterische Highlights freuen darf.
UNTERNEHMEN // Revox
Zeitreise: Zwischen der legendären Bandmaschine B77 und dem modularen Audio-Video-System M51 liegen rund drei Jahrzehnte. Beide Geräte stehen gleichermaßen für den Qualitätsanspruch und die Innovationskraft von Revox
Mit Tradition in die Moderne 42 43
FRÜHER HAT REVOX BANDMASCHINEN PRODUZIERT, DIE SO PRÄZISE UND ÜBERLEGEN WAREN, DASS SIE DER MARKE ZU WELTRUHM VERHALFEN. Heute steht der Name für Unterhaltungselektronik, die mit intuitiver Bedienung, intelligenter Steuerung und nachhaltiger Modularität Maßstäbe setzt. Revox musste sich neu erfinden – UND IST SICH DOCH GLEICHZEITIG TREU GEBLIEBEN
von Klaus-Peter Bredschneider
Wer Revox hört, hat vielleicht immer noch die mächtigen Bandmaschinen mit ihren großen, silbernen Aluminiumspulen vor Augen, die sich mit stoischer Gleichmäßigkeit drehen und dabei Ton in höchster Präzision auf Magnetband fixieren. Wer damals Musik in bester Qualität aufzeichnen und wiedergeben wollte, war praktisch auf Revox angewiesen. Beziehungsweise auf Studer, wie die Profilinie für den Studiobereich nach Willi Studer, dem Gründer und Inhaber von Revox, benannt wurde. Der legendäre BeatlesLongplayer „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, das wohl innovativste Popalbum seiner Zeit, wurde beispielsweise 1967 in den Londoner Abbey Road Studios mit der Studer J37 aufgenommen. Über Jahrzehnte dominierten die Schweizer Präzisionsspezialisten die Studiotechnik – und wer daheim nur das Beste wollte und sich leisten konnte, der war glücklicher Besitzer einer Revox Bandmaschine. Einer A77 zum Beispiel, von der zwischen 1967 und 1977 allein 350.000 Exemplare produziert und jeweils für stolze 2.000 Deutsche Mark verkauft wurden. Aus dem Bestseller A77 erwuchs bereits damals ein ganzes System optisch zueinanderpassender Geräte mit Verstärker und Radio. Später, in den 1980er Jahren, kam dann mit der neuen B-Serie
ein innovativer Plattenspieler mit quarzgesteuertem Direktantriebgerät und Tangential-Tonarm zum System. Dieser B 790 ließ sich sogar fernbedienen, was damals, im Zeitalter manueller Tonarme, einer kleinen Revolution gleichkam. Mit ihren gebürsteten Aluminiumfronten, den massiven Kippschaltern und aus dem Vollem gefrästen Drehreglern verkörpern die Geräte ein Design, das auch heute noch anspricht und kein bisschen verstaubt wirkt. Eine klare, funktionale Designsprache hat eben Bestand. Seit den 70er Jahren beschäftigte man sich bei Revox zudem erfolgreich mit Lautsprechern. Musikliebhaber werden sich mit besonderer Hochachtung an die Scala 3.6 erinnern, die Mitte der 1990er Jahre als einer der ersten aktiven Digitallautsprecher das bei analogen Schallwandlern unvermeidliche Problem der Laufzeitverzögerung lösen konnte. Der Klang dieser technisch bestechenden, gertenschlanken, aber fast zwei Meter hohen Lautsprecher-Ikone begeistert noch heute, weil er dem Live-Erlebnis ziemlich nahe kommt. Wenn schon von Meilensteinen die Rede ist: Bereits 1983 hatte Revox als eines der ersten Unternehmen weltweit ein Multiroom-System eingeführt, mit dem sämtliche Räume in der Wohnung oder im Haus über eine einzige Audio-Anlage indivi-
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Eigentlich ist Nachhaltigkeit in einer von technischem Fortschritt geprägten Branche wie der Unterhaltungselektronik nicht möglich. Revox beweist das Gegenteil – mit modularen Konzepten, die sich technisch nachrüsten lassen und so modern bleiben
UNTERNEHMEN // Revox
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Alles im Griff: Bedienungskomfort hat bei Revox hohe Priorität. Sämtliche Systeme und Komponenten (auch von Fremdherstellern) lassen sich deshalb bequem vom Sofa aus mit einer einzigen Fernbedienung steuern
duell bespielt werden konnten. Bei den Meilensteinen darf aber auch die Evolution keinesfalls fehlen: Mit diesem revolutionären HiFi-System betrat Revox nämlich 1990 gleich in mehrfacher Hinsicht Neuland: Sämtliche Komponenten waren über ein Bussystem verbunden, wodurch ein systemübergreifendes Bedienkonzept realisiert werden konnte. Die Integration von Softkeys in die Bedienphilosophie war richtungweisend, die einzigartige Gestaltung mit „hängenden“ Modulbausteinen stammte von frogdesign, dem damals erfolgreichsten Designstudio der Welt, das auch Fernseher für Sony oder den ersten „Mac“ für Apple entworfen hat. Damit war Revox ganz weit vorne, wenn nicht sogar seiner Zeit zu weit voraus. Die 1990er Jahre sollten nämlich ein ziemlich turbulentes Jahrzehnt für den Klangspezialisten werden, der nicht nur – wie viele andere Audiounternehmen auch – mit dem Über-
Anlagen fürs Leben: Das modulare HiFi-System Re:system M100 (großes Bild und unten Mitte) wächst mit den Ansprüchen bis hin zur kompletten MultiroomLösung, der Joy (rechts) erschließt sämtliche digitalen Musikquellen in beeindruckender Qualität – und alles bleibt selbst über die Haussteuerung komfortabel bedienbar
gang von der analogen zur digitalen Musikwelt zu kämpfen hatte, sondern zusätzlich mit wechselnden Besitzverhältnissen. Willi Studer hatte das Unternehmen 1990 aus Altersgründen an einen Investor verkauft, der die Mitarbeiterzahl in nur vier Jahren von über 2.000 auf knapp 200 herunterschrumpfte. Werke, darunter auch das größte im badischen Löffingen, wurden geschlossen. Es war ein Ausverkauf, bei dem schlussendlich die beiden Marken unterschiedliche Käufer fanden: Studer ging an Harman International, Revox wurde reprivatisiert. Sitz der Muttergesellschaft, der Revox AG, ist seitdem Regensdorf bei Zürich, während Entwicklung, Produktion, Kundendienst und weltweiter Vertrieb nach Villingen, in die großzügigen Produktionsflächen des ehemaligen Saba-Fernsehwerkes verlagert wurden. Unablässig wird wieder am Erfolg gearbeitet. Die Schlüsselrolle kommt dabei einem Produkt zu, das wie kein zweites die Tradition, die Tugenden und auch die Philosophie von Revox verkörpert – der M51 oder genauer in der offiziellen Schreibweise: das Re:system M51. Vorgestellt wurde es im Jahre 2002, erfolgreich verkauft wird es bis heute – und allein diese Kontinuität lässt in einer Welt immer schnellerer Modellzyklen und neuer Technologien bereits erahnen, dass da ein sehr außergewöhnliches Gerät die Welt der Unterhaltungselektronik erblickt haben muss. Der M51 war schlichtweg das weltweit erste vollständig modular aufgebaute Audio-Video-System und damit ein Gerät, das im Grunde nicht veralten kann, weil es sich kontinuierlich „updaten“ lässt. Was wir inzwischen in Form von Software-Updates kennen- und schätzen gelernt haben, lässt sich in Form von Modularität nämlich auch auf Hardware übertragen – exakt so wie sich ein PC mit Steckkar-
ten auf- und nachrüsten lässt. Der Kunde hat so die Gewähr, dass er über Jahre Module nachkaufen kann, die neue Funktionalitäten integrieren. – zum Beispiel die iPod-Steuerung mit einem Gerät, das bereits auf dem Markt war, als der iPod noch eine unbekannte Größe war. Oder das „Streamen“ von Musik – als der M51 auf den Markt kam, war das noch ein Fremdwort in deutschen Wohnzimmern. Heute holt sich der M51-Besitzer einfach über einen Hardware-Einschub nachträglich auch diese Funktionalität und damit Musik vom Server – ohne dass sich an der Optik und Bedienung etwas geändert hätte. Warum ausgerechnet Revox mit so einem zeitlosen Konzept als Erster aufwarten konnte? Vermutlich auch, weil man aus der Studiotechnik kam und sehr genau wusste, wie zuverlässig funktionierende Steckkontakte auszusehen haben – die Tradition lässt auch hier grüßen „Nachhaltigkeit bedeutet für uns, dass wir unseren Kunden Lösungen bieten, die auch nach Jahren noch funktionieren“, fasst Markus Halbig, der Revox in Deutschland verantwortet, das LangzeitKonzept des M51 zusammen. Der M51 lässt sich zudem mit einem Schraubenzieher schnell in Aluminium-, Blech- und Elektronikteile zerlegen – auch das ist ein weiterer Beweis für das nachhaltige Konzept. Halbig: „Unser ökologischer Anspruch bedeutet aber auch, dass wir möglichst wenig Plastik einsetzen und stattdessen vor allem Materialien, die sich wiederverwerten lassen.“ Auch Individualität gehört zu den Werten, die Revox inzwischen ebenso bewusst wie erfolgreich propagiert. Dank der Modularität kann sich der Kunde sein Revox MultiroomSystem ganz nach Wunsch zusammenstellen: Legt er auf Internet-
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Höchste Kompetenz: Wolfgang Kelpin leitet seit vielen Jahren die Entwicklungsabteilung. Meilensteine wie der Lautsprecher Scala oder der M51 tragen wesentlich seine Handschrift
Radio Wert, bekommt er ein entsprechendes Modul. Will er seine Musik von einem NAS-Laufwerk holen, gibt es die geeignete Karte. Individualität bleibt aber nicht auf die Modularität beschränkt, lässt sich vielmehr bei Lautsprechern über so ziemlich jeden Wunschfarbton besonders intensiv ausleben – sogar eine KuhfellBelederung im Bauhaus-Stil der berühmten Corbusier-Liege bietet Revox an. Hinter all dieser Qualität und Individualität verbirgt sich am Standort Villingen ein vergleichsweise kleiner Stamm von gut 70 Mitarbeitern – davon allerdings allein ein gutes Dutzend in der Entwicklungsabteilung. Während die Fertigungstiefe früher schier unendlich war und bis zum eigenen Schraubendrehen ging, wird heute bei hoch spezialisierten Zulieferern eingekauft: Blech bei Metall verarbeitenden Betrieben, Holzgehäuse bei Schreinereien. Die Lautsprecher-Chassis entwickelt Revox selbst und lässt sie mit ganz konkreten Vorgaben, was die Auslegung von Korb und Magnet oder die Materialität und Dicke der Membranen anbelangt, von Spezialisten fertigen. „Entscheidend ist“, wie Halbig betont, „dass wir die Teile prüfen, montieren und final wieder prüfen.“ Ein Großteil der Zulieferer kommt aus dem näheren Umkreis in Deutschland, alles also „made in Germany“, auch wenn das Unternehmen in Schweizer Besitz ist.
Werte „made in Germany“: Erst werden die einzelnen Bauteile geprüft, dann wird jedes einzelne Gerät nochmals geprüft, bevor es das Werk verlassen darf
Und immer wieder wird die traditionelle Innovationskraft der Marke deutlich. Seit 2004 lassen sich die Audio- und VideoKomponenten in ein Haussteuerungssystem integrieren, das zusammen mit dem Schalterspezialisten Gira entwickelt wurde. So können auch Bild und Ton – wie Licht, Klima oder Jalousien – zentral gesteuert werden bis hin zu der Möglichkeit, ganze Szenen auf Knopfdruck abzurufen. Auch die umfassende Anbindung des Revox Multiroom-Systems ans Internet sowie an die MultimediaWelt ist längst Realität. Internet-Radio, Musik vom iPod oder von jeder beliebigen Festplatte können bei einfachster Bedienung über das System angesteuert werden. Die Bedienbarkeit – inzwischen sollte man besser von „Beherrschbarkeit“ sprechen – wird mehr und mehr zu einem Schlüsselthema, weil immer neue Quellen hinzukommen, die beherrscht werden wollen. War es früher nur die Lautstärkeregelung oder die Fernbedienung des CD-Players, so geht es heute auch darum, ganze Archive auf Festplatte oder im Internet nach Musik oder Filmen zu durchforsten. Der Anspruch und die Antwort von Revox: Auch das geht einfach und bequem mit der gewohnten Fernbedienung vom Sofa aus. In den letzten Jahren hat Revox das Innovationstempo nochmals erhöht: 2011 konnte mit dem Re:system M100 ein kompaktes und puristisch-elegantes HiFi-System eingeführt werden, das modular aufgebaut ist und sich mit wachsenden Wünschen bis zur kom-
pletten Multiroom-Lösung ausbauen lässt. Mit dem Joy hat Revox jüngst seinen ersten reinen Netzwerk-Receiver vorgestellt – und auch das in der gewohnten Verarbeitungs- und Klangqualität. Revox ist mit seinen rahmenlosen Einbau-Lautsprechern erfolgreich im Installations-Geschäft unterwegs und verblüfft sogar mit völlig unsichtbaren Lautsprechern: Jetzt wird nämlich die Wand selbst zum Schallwandler. Eine wirklich pfiffige Entwicklung, die sich für Trockenbau-Wände anbietet und für Beschallungen, die nicht unbedingt audiophilen Ansprüchen genügen müssen. Sie untermauert im wahrsten Sinne des Wortes die LautsprecherKompetenz von Revox, die vom ausgewachsenen Standlautsprecher für höchste klangliche Ansprüche über verschiedene Einbaulautsprecher bis hin zum unsichtbaren Lautsprecher stets die passende Lösung parat hält. Wie schafft Revox dieses Innovationstempo? Ebenso kompetente wie hoch motivierte Mitarbeiter sind die eine Seite, Flexibilität und schnelle Entscheidungswege die andere. Und: Man sieht sich als „real-innovatives“ Unternehmen. Das „real“ deshalb, weil neue Technologien erst dann eingesetzt werden, wenn klar ist, dass sie sich am Markt auch durchsetzen. Schließlich will Revox seinen Kunden möglichst langlebige Produkte verkaufen. Alles andere wäre ja nicht nachhaltig.
MENSCHEN // Interview Markus Halbig
Lösungen für viele Jahre
INTERVIEW | MARKUS HALBIG
MARKUS HALBIG, LEITER DES REVOX WERKES IN DEUTSCHLAND, über Nachhaltigkeit in der Unterhaltungselektronik, individuelle Kundenwünsche und DIE BEHERRSCHBARKEIT DES INTELLIGENTEN HAUSES
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pure: Revox ist mit Spulen-Tonbandgeräten groß geworden und zählt zu den ganz großen Traditionsmarken in der Unterhaltungselektronik. Für welche Werte steht die Marke heute? Halbig: Auch die Werte einer Marke unterliegen im Laufe der Zeit Veränderungen. Heute sind für uns vier Parameter entscheidend: Nachhaltigkeit, Bedienbarkeit, Klangqualität und Individualität.
Wie können Sie Nachhaltigkeit in einer Produktwelt realisieren, die von Innovationen und schnellen Modellwechseln geprägt ist?. Was heute in der Unterhaltungselektronik „State of the Art“ ist, gilt häufig morgen schon als überholt und veraltet ... Nachhaltigkeit bedeutet für uns in einem Markt, in den immer schneller neue Technologien fließen, dass wir unseren Kunden Lösungen bieten, die auch nach Jahren noch funktionieren. Das erreichen wir zum Beispiel in der M-Serie über Modularität. Der Kunde hat so die Gewähr, dass er über Jahre Module nachkaufen kann, die neue Funktionalitäten integrieren – zum Beispiel den iPod. Den können Sie bei Revox mit einem Gerät steuern, das bereits auf dem Markt war, als noch keiner wusste, wie man iPod buchstabiert.
Sie führen auch die gute Bedienbarkeit als ein Charakteristikum von Revox an. Was machen Sie anders und besser? Auch hier haben sich die Ansprüche gerade in den letzten Jahren massiv verändert, weil wir heute ganz andere Quellen beherrschen müssen und beispielsweise große digitale Musikarchive durchforsten wollen. Unsere Antwort und Philosophie ist, dass der Kunde nach wie vor über seine gewohnte Fernbedienung vom Sofa aus sein System beherrschen kann. Dies erreichen wir zum Beispiel durch automatisierte Vorgänge, die auf Tastendruck abrufbar sind.
Inwieweit fließt diese Philosophie auch in die Kooperation mit Gira und damit in die intelligente Haussteuerung ein? Mit Gira wird aus der komfortablen Steuerung unseres Revox Systems Beherrschbarkeit in Vollendung, weil sich jetzt auch Licht, Jalousien oder der Projektor eines Heimkino-Systems mitsteuern lassen. Die Jalousien fahren automatisch herunter, gleichzeitig wird die Leinwand ausgerollt, das Licht gedimmt – so stehen ganze Szenen auf Knopfdruck automatisch zur Verfügung. Auch Fernsehgeräte von Loewe, Metz und anderen TV-Marken sind in die Systemsteuerung integrierbar. Wir denken immer in Lösungen.
Gerade von hochwertigen Produkten verlangen Kunden Individualität. Welche Erwartungen können Sie hier erfüllen?
heute
Vor allem bei Lautsprechern, die ja auch Einrichtungsgegenstände sind, bieten wir umfangreiche Möglichkeiten der Individualisierung. Wir erfüllen so ziemlich jeden Farbwunsch – wenn der Kunde jenseits der Standardfarben Silber und Weiß einen bestimmten Farbton wünscht, bieten wir ihm einen Preis und eine Lieferzeit an. Bei unseren Lautsprechern haben wir darüber hinaus die Möglichkeit der Belederung aus einem Farbfächer heraus mit Schwarz, Weiß und Rot als Standardfarben, bieten aber zum Beispiel auch eine Kuhfell-Variante an.
Wie lange muss man auf einen individuellen Lautsprecher warten? Das sind in der Regel 8 bis 10 Wochen Lieferzeit. Wir können auch schneller – aber dann wird es teurer.
Der gute Klang kommt bei Revox aber serienmäßig mit dazu? Selbstverständlich. Das wird uns von der Fachpresse auch regelmäßig bestätigt, wobei uns auch die Bestätigung der Tester sehr wichtig ist, dass das Klangerlebnis bei uns sehr praxisgerecht erreicht wird – also ohne aufwendige Raumakustik und Verkabelung. Wir wollen uns schließlich auch weiter mit guter Audioqualität differenzieren.
Wohin geht die Entwicklung in der Unterhaltungselektronik und damit auch bei Revox? Wir sind überzeugt, dass die Verteilung der Medien im Haus künftig digital, also über ein Computernetzwerk, erfolgen muss. Wir bewegen uns in einem Netzwerk, in dem unterschiedliche Geräte kommunizieren und Informationen austauschen. Die Herausforderung an uns wird sein, auch diese Geräte so zusammenzubringen, dass weiterhin alles komfortabel und intuitiv bedienbar bleibt.
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Markus Halbig (45) ist seit 1995 für Revox tätig. Zunächst im Vertrieb, später im Produktmanagement, schließlich als Leiter des Werkes in Villingen. Der gelernte Diplom-Ingenieur Elektrotechnik hat den Wiederaufstieg von Revox maßgeblich mitbestimmt.
Architektur Ikone 03 griechisch ikóna: Bilder, die eine Kultur prägen.
TOLOMEO LED design MICHELE DE LUCCHI UND GIANCARLO FASSINA INNOVATION, QUALITÄT, DESIGN TOLOMEO LED ist Ausdruck der Artemide Philosophie von Innovation, Qualität und Design. So ist die Tolomeo – die durch ihre Einzigartigkeit einen unvergleichlichen Siegeszug um die ganze Welt gefeiert hat – bestückt mit neuer LED Technologie. Qualität und Design sind unverändert geblieben als ein Zeichen unserer Wertschätzung gegenüber einer Form, die sich einer wohl einmaligen Beliebtheit erfreut. Die TOLOMEO LED Familie umfasst: Tolomeo Led, Tolomeo mini Led, Tolomeo micro Led. Informationen unter: www.artemide.de/tolomeo-led
WOHNEN // Tableware
DESIGN / NACHHALTIGKEIT `
Kaufen und nie wieder hergeben möchte man unsere zwölf Klassiker für den Tisch. In Deutschland oder im europäischen Ausland teilweise in Handarbeit aus Porzellan, Glas oder Edelstahl gefertigt, zeichnen sie sich durch hohe Funktionalität und zeitlose Formgebung aus und sind deshalb auch gut miteinander kombinierbar
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KLASSIKER
für den Tisch
ES SIND NICHT VIELE DINGE, DIE WIRKLICH AUF DEN TISCH MÜSSEN. Gerade deshalb kommt Geschirr, Besteck oder Gläsern eine besondere Bedeutung zu – SCHÖN, FUNKTIONAL, HOCHWERTIG UND LANGLEBIG SOLLTEN SIE SEIN. Wir stellen Ihnen Klassiker für die perfekt gedeckte Tafel vor, die diese Ansprüche mühelos erfüllen
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„CYLINDA-LINE“ ARNE JACOBSEN HERSTELLER: STELTON Arne Jacobsen zeichnete als Art Director verantwortlich für einen der zeitlosen Klassiker des dänischen Herstellers Stelton: Diese Edelstahlkanne, die er 1967 als Bestandteil der „CylindaLine“ entworfen hat, liegt gut in der Hand
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CYLINDA-LINE | ARNE JACOBSEN
WOHNEN // Tableware
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GLASS FAMILY | JASPER MORRISON
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SAVOY | ALVAR AALTO
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„GLASS FAMILY“ JASPER MORRISON HERSTELLER: ALESSI Schlicht und schlüssig: Die vom britischen Designer Jasper Morrison 2008 für Alessi entworfene „Glass Family“ wird ergänzt durch ein ebenfalls von Morrison gestaltetes Tafelservice und Besteck. Zur Serie gehören Gläser für Rot- und Weißwein, Wasser und Longdrinks
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„SAVOY“ ALVAR AALTO, HERSTELLER: IITTALA Für das Restaurant Savoy in Helsinki schuf Alvar Aalto 1937 neben dem gesamten Interior-Design auch die gleichnamige Vase, die vom finnischen Hersteller Iittala produziert wird. Zum 75. Geburtstag des wellenförmigen Kultobjekts hat das Unternehmen im letzten Jahr auch Miniaturen für Sammler aufgelegt
„SOMMELIERS“ HERSTELLER: RIEDEL Bordeaux, Burgunder oder doch Rosé? Jedes Glas der 1973 lancierten Serie „Sommeliers“ des österreichischen Herstellers Riedel ist eine Einzelanfertigung, bei der die Oberteile in Formen geblasen und Stiel sowie Boden von Hand gefertigt werden
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„PLANET EARTH“ CHRISTIAN HAAS HERSTELLER: KRISTALLMANUFAKTUR THERESIENTHAL Poetisch anmutend ist die von Christian Haas für Theresienthal gestaltete Kollektion „Planet Earth“, die aus einem Krug und verschiedenfarbigen Bechern besteht. Hier trifft ein honiggelber Becher mit „Bienenschwarm" auf ein graues Wabenglas, das wiederum kombiniert wird mit einem klaren, abstrakt gemusterten Glas
von Claudia Simone Hoff
Genau in der Nische zwischen Massenproduktion und rein handwerklicher Herstellung hat sich die Porzellanmanufaktur Hering Berlin positioniert. Stefanie Hering ist es gelungen, den etablierten Herstellern mit einem auf das Wesentliche konzentrierten Konzept Paroli zu bieten. Mit verantwortlich ist der Mut zum Weglassen. Denn ganz ehrlich: Wann essen wir zu Hause ein komplettes Menü? Und wann haben wir zuletzt eine Sauciere verwendet oder gar ein Messerbänkchen? Der Konsument von heute will flexibel sein, das Vorhandene um etwas Neues ergänzen, ohne gleich alles auszutauschen. Bei Hering Berlin arbeitet man mit weißem Biskuitporzellan, das sich gut erweitern lässt um Stücke mit den Dekoren „Puls“ oder „Piqueur“. Stefanie Hering, deren fragile Porzellanschönheiten in der Thüringer Porzellanmanufaktur Reichenbach hergestellt werden, bezieht klar Position zum Standort: „Wir zeigen Handwerk in Hochform und stehen dazu, dass wir unsere Produkte in Deutschland fertigen. Ich finde, die Deutschen könnten stolzer sein auf das handwerkliche Können im eigenen Land.“
Um handwerkliches Können geht es seit jeher auch bei Meissen, der wohl berühmtesten deutschen Porzellanmanufaktur – wie das Teeservice „Tea with the Dragon“ beweist. Denn wer sonst könnte einen roten Drachen so elegant auf Porzellan bringen? Auch wenn das Komplettservice ein Auslaufmodell ist: Bei einigen Entwürfen lässt es sich nur schwer widerstehen. Da ist beispielsweise das Service „Urbino“ aus dem Hause KPM, das Trude Petri 1931 entworfen hat. Mit seiner auf den Grundformen Kreis und Kugel basierenden Gestaltung zählt es zu den bekanntesten Produkten des Berliner Unternehmens. Die schnörkellose Funktionalität des Services steht ganz in der Tradition von Deutschem Werkbund und Bauhaus und konterkariert die zu seiner Entstehungszeit üblicherweise beim Gestalten von Geschirr und Besteck verwendeten historischen Formen. Ähnlich licht und leicht präsentiert sich das 2010 lancierte Service „Lightscape“ von Ruth Gurvich für Nymphenburg. Auf
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SOMMELIERS | RIEDEL
den ersten Blick mag man kaum glauben, dass die Schalen, Vasen und Teekannen wirklich aus Porzellan gefertigt sind, erinnern sie mit ihren Knicken, Falten und Fasern doch eher an Papier. Die insgesamt 28 Teile sind außer in der klassisch weißen Version auch mit einem hellgrünen, asiatisch inspirierten Dekor zu haben. Ebenfalls am besten in Weiß kommt ein anderes Porzellanservice zur Geltung: „Suomi“. 1976 vom finnischen Designer Tapio Wirkkala für die Studio-Line von Rosenthal entworfen, fällt es durch seine abgerundete Form, vor allem aber durch die Kombination von weißem Porzellan und Metall ins Auge. Dank der formalen Reduktion eignet sich „Suomi“ für den täglichen Gebrauch und ist gut mit anderen Stücken kombinierbar. So beispielsweise mit der Edelstahl-Teekanne, die Arne Jacobsen Ende der Sechzigerjahre für Stelton entworfen hat. Ergonomisch geformt, kann das Teil aus der „Cylinda-Line“ des dänischen Herstellers auch um eine Zuckerschale und eine Wasserkanne ergänzt werden. Zu einem schönen Porzellanservice gehört immer auch das passende Besteck. Universell einsetzbare Stücke hat der Designer Peter Raacke 1958 mit „mono-a“ kreiert. Ein großer Wurf gelang ihm damit, denn dieses Tafelbesteck ist sein bis heute bekanntestes Design – was sicherlich mit der geradlinigen, Jahrzehnte überdauernden Form zusammenhängt. Das Besteck aus Edelstahlblech ist kostensparend und technisch relativ einfach herzustellen, denn Heft und Schneide des Messers sind aus einem Stück gefertigt. Im Lauf der Zeit wurde „mono-a“ erweitert um „mono-e“ mit Ebenholzgriffen, „mono-t“ mit Teakholzgriffen und (zum 50-jährigen Jubiläum des Entwurfs) um Versionen in Sterling, Gold, Schwarz und Titan. Neben dem Besteck sind auch die richtigen Gläser unverzichtbarer Teil einer schön gedeckten Tafel. Denn ein edles Getränk will aus einem Gefäß genossen werden, das seine Geschmacksnote zur
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PLANET EARTH | CHRISTIAN HAAS
Geltung bringt und visuell ansprechend ist. Gerade beim Wein hat diese Philosophie zu Höhenflügen geführt, was nicht zuletzt der österreichischen Glasmanufaktur Riedel zu verdanken ist. War es doch Claus J. Riedel, der erkannte, dass Bouquet, Geschmack und Abgang eines Weines von der Form des Glases abhängt. Die 1973 präsentierte, handgefertigte Serie „Sommeliers“ umfasst Gläser für Bordeaux, Burgunder, Whisky, Champagner oder Grappa. Künstlerisch experimenteller geht es bei Theresienthal zu. Christian Haas hat für die bayerische Kristallmanufaktur mit der Serie „Planet Earth“ summende Bienen, fliegende Astronauten und allerlei Meeresgetier aufs Glas gebracht. Gläser und Karaffen bestechen durch wunderbare Gravuren und Schliffe. Wer es schlichter mag, dem sei ein anderer Entwurf ans Herz gelegt: Adolf Loos’ „Trinkservice No. 248“. 1931 für die American Bar in Wien entworfen, wird es seither von Lobmeyr hergestellt. Das geradlinige Becherservice mit dem seidenmatt polierten Brillantschliff wurde zum 80. Geburtstag von Stefan Sagmeister und Jessica Walsh um beinahe frivole Illustrationen der sieben Todsünden ergänzt. Dass gutes Design seinen Preis hat, aber nicht unbedingt teuer sein muss, beweist Alessi mit der von Jasper Morrison entworfenen Glasserie „Glass Family“, Sie wird unter dem Label „A di Alessi“ verkauft, das sich mit seinen ansprechenden und bezahlbaren Entwürfen die Demokratisierung des Designs auf die Fahnen geschrieben hat. Alberto Alessi spricht von Morrisons „Suche nach ‚Normalität’ und Anti Glamour“. Und was könnte diese Gläser besser ergänzen als eine Vase von Alvar Aalto, dem Meister des finnischen Designs? 1936 entworfen, wird „Savoy“ noch heute von Iittala produziert. Verkaufszahlen des Klassikers gibt das Unternehmen nicht heraus – aber wen interessieren die schon, wenn in dem wunderbaren Glasgefäß bunte Tulpen blühen?
WOHNEN // Tableware
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„SUOMI“ TAPIO WIRKKALA HERSTELLER: ROSENTHAL Made in Finland: Zu den erfolgreichsten PorzellanServicen von Rosenthal zählt „Suomi“, das der finnische Designer Tapio Wirkkala 1976 für die Studio-Line des Unternehmens entworfen hat. Es erinnert in seiner Form an glatte, runde Kieselsteine
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„PULS“ STEFANIE HERING HERSTELLER: HERING BERLIN „Puls“ nennt sich das meistverkaufte Dekor der Porzellanmanufaktur Hering Berlin. „Wir drehen unsere Teller mit Maschinen in Formen ein, womit wir die immer gleiche, perfekte Form erhalten. Dann wird jede Oberfläche von Hand gearbeitet und jedes Stück wieder zum Unikat." 10
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„LIGHTSCAPE “ RUTH GURVICH HERSTELLER: PORZELLAN MANUFAKTUR NYMPHENBURG Zum 300-jährigen Jubiläum der Erfindung des weißen Goldes sorgte 2010 dieses wie Papier anmutende Porzellanservice von Nymphenburg für Furore. „Lightscape“ gibt es in reinem Weiß oder in einer Version mit hellgrünem, aquarellartigem Dekor
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PULS | STEFANIE HERING
„URBINO“ TRUDE PETRI HERSTELLER: KPM Trude Petri gestaltete das mit vielen Designpreisen ausgezeichnete Porzellanservice „Urbino“ Anfang der Dreißigerjahre für KPM. Es ist auch mit verschiedenen Dekoren erhältlich, aber der Klassiker ist die rein weiße Version. Spannung erhält diese durch einen goldenen, silbernen oder schwarzen Rand
TRINKSERVICE NO. 248 ADOLF LOOS HERSTELLER: LOBMEYR Das „Trinkservice No. 248“ stammt aus der Feder des Architekten Adolf Loos, der bekanntlich alles Ornamentale ablehnte, ja sogar als Verbrechen bezeichnete. 1931 für die American Bar in Wien entworfen, wird es bis heute von Lobmeyr produziert
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SUOMI | TIMO SARPANEVA
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URBINO | TRUDE PETRI
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„MONO-A“ PETER RAACKE HERSTELLER: SEIBEL DESIGNPARTNER Vom Ladenhüter zum Designklassiker: Das Tafelbesteck „mono-a“ entwarf der gelernte Silberschmied Peter Raacke Ende der Fünfzigerjahre. Es folgt ganz seinem Motto: „Design ist die Einfachheit moderner Technologie und die Kunst der Proportion.“
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TEA WITH THE DRAGON, HERSTELLER: PORZELLANMANUFAKTUR MEISSEN „Tea with the Dragon“ nennt sich ein fragiles Teeservice der Porzellanmanufaktur Meissen. Das klassischzeitlose Dekor mit dem flammend rot gemalten Drachen auf feinem weißem Porzellan lässt den Preis von 780 Euro für zwei Tassen, eine Teekanne sowie ein Schälchen schnell vergessen
TRINKSERVICE NO. 248 | ADOLF LOOS
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MONO-A | PETER RAACKE
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LIGHTSCAPE | RUTH GURVICH
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TEA WITH THE DRAGON | MEISSEN
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MENSCHEN // Interview Christian Haas
INTERVIEW | CHRISTIAN HAAS
„Gut und Böse lassen sich nicht so leicht auseinanderhalten“ 56 57
Der Produktdesigner Christian Haas hat sich mit Entwürfen für Theresienthal, Villeroy & Boch und Nachtmann als Tableware-Spezialist etabliert. Mit pure sprach er ÜBER PARADIESISCHE ARBEITSUMSTÄNDE, NEU INTERPRETIERTE KLASSIK UND SEIN REZEPT GEGEN DIE WEGWERFMENTALITÄT
pure: Herr Haas, sind kostspielige Tableware-Produkte gerade in Krisenzeiten eine gute Geldanlage? Haas: Das sehe ich emotionaler. In erster Linie sollten Produkte
den Verantwortlichen und Handwerkern ist paradiesisch für einen Designer. Ideen können schneller und unkomplizierter ausprobiert werden als in großen Organisationen.
rund um den gedeckten Tisch Freude machen. Luxus bedeutet für mich, solche Produkte täglich einzusetzen und nicht nur zu besonderen Anlässen. Kaufen, in die Vitrine stellen und warten, dass das Objekt irgendwann mehr Geld wert ist – das finde ich falsch gedacht. Limitierte Editionen und Sammlerstücke können natürlich im Wert steigen, aber als klassische Geldanlage sehe ich diese Produkte nicht.
pure: Hersteller wie Theresienthal, Lobmeyr oder Hering Berlin haben einen künstlerischen Anspruch, bei dem das Handwerk eine große Rolle spielt. Können diese kostspieligen Nischenprodukte jemals eine größere Käuferschicht erreichen? Haas: Das Exklusive trägt ja gerade den Namen, weil es den
pure: Wie gestaltet sich Ihre langjährige Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Villeroy & Boch? Haas: Ich schätze an Villeroy & Boch das große Vertrauen, das mir dort entgegengebracht wird. Außerdem die fundierte und konzeptionelle Herangehensweise bei der Produktentwicklung. Der Kunde und seine Bedürfnisse stehen immer im Mittelpunkt. Um ihn herum wird ein schlüssiges Lifestyle-Konzept kreiert – da geht es nicht nur um ein neues Tischservice. Diesen ganzheitlichen Ansatz finde ich sehr smart und der Erfolg gibt der Firma recht.
Anspruch haben sollte, von der breiten Masse zwar begehrt, aber nicht unbedingt gekauft zu werden. Dass Manufakturware bis zu einem gewissen Grad zu einem Nischenmarkt geworden ist, liegt an der gesunkenen Bereitschaft der Kunden, für Produkte des gedeckten Tisches Geld zu investieren. Aber der Nische gehört die Zukunft der Konsumwelt.
pure: Was ist so faszinierend am Handwerk? Haas: Die unmittelbare Umsetzung einer Idee in ein greifbares Produkt und die Spezialisierung auf ein bestimmtes Betätigungsfeld. Ein großes Know-how und Erfahrung mit dem Material imponieren mir.
pure: Sie haben bereits als junger Designer für die Kristallmanufaktur Nachtmann gearbeitet. Wie kam es dazu? Haas: Als Diplomarbeit hatte ich eine Home Collection mit
pure: Welche Eigenschaften muss ein Designer besitzen, der Produkte für den gedeckten Tisch entwirft? Haas: Er sollte sich als Generalist verstehen und Empathie für
Tabletts, Votivständern, Kerzenhaltern und Lederkissen für den Modehersteller Marc O’Polo konzipiert, die dann auch produziert wurde. Der Marketingleiter von Marc O’Polo wechselte dann ein paar Jahre später zu Nachtmann und holte mich ins Boot.
die Firma entwickeln, für die er entwirft. Visionäre Tendenzen, ganzheitliches Denken, Perfektionismus und Umgänglichkeit sind mit Sicherheit ebenso förderlich.
pure: Ist es ein Unterschied, ob man mit einem Massenhersteller wie Rosenthal zusammenarbeitet oder mit einer Manufaktur wie Theresienthal, für die Sie künstlerisch ambitionierte Produkte in kleiner Stückzahl entworfen haben? Haas: Natürlich. Die künstlerischen Freiheiten sind bei Manufakturen größer und die unmittelbare Zusammenarbeit mit
pure: Ist die Durchsetzung eines eigenständigen Formenvokabulars überhaupt möglich, wenn man für ganz unterschiedlich positionierte Hersteller arbeitet? Haas: Ich denke schon, dass meine Entwürfe eine eigene Handschrift tragen, auch wenn sie für unterschiedliche Hersteller konzipiert sind. Mein Kopf und das persönliche ästhetische Empfinden lassen sich ja nicht einfach abschalten beim Arbeiten.
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1974 geboren, studierte Christian Haas Industriedesign in München. Seit zwölf Jahren ist er selbstständig mit Büros in Paris und München und hat für seine Produkte zahlreiche Designpreise gewonnen. Vorwiegend im Bereich Porzellan und Glas tätig, arbeitet er auch als Interior-Designer und entwirft unter seinem eigenen Label die viel beachtete Leuchtenedition „Ropes“. Haas betrachtet die Arbeit mit archaischen Gefäßen und deren Proportionen als wichtig für die Entwicklung eines eigenständigen Formenvokabulars.
Im Idealfall lässt eine gute Serie die DNA der Firma und die Handschrift des Designers erkennen. Bei den Editionen von Theresienthal ist das meiner Ansicht nach so.
pure: Wie wichtig sind Designernamen in der Porzellan- und Glasindustrie? Haas: Das Produkt sollte immer der Hero sein. Denn wenn es nicht überzeugt, bringt auch der schillerndste Name nichts.
pure: Die Produktwelten von heute bewegen sich zwischen Luxus- und Billigsegment. Haas: Beides hat seine Daseinsberechtigung. Ich denke, dass Luxus- und Billigwaren zukünftig stärker als bisher miteinander gemischt werden. Da sehe ich Parallelen zur Mode und ich finde die Kombination von günstigen und teuren Produkten auch gut und unserer Zeit entsprechend. Günstig ist ja nicht per se schlecht und Teuer kann wiederum geschmacklos sein. Gut und Böse lassen sich nicht so leicht auseinanderhalten.
pure: Wo sehen Sie die Trends für den gedeckten Tisch? Haas: Haptik und Stofflichkeit für den gedeckten Tisch werden meiner Ansicht nach immer interessanter, gerade auch für ein breiteres Publikum. Gimmicks und trendiges junges Design wirken dagegen eher gestrig. Neu interpretierte Klassik und archaischunkomplizierte, authentische Konzepte mit einer gewissen Griffigkeit sehe ich auf dem Vormarsch.
pure: Spielt dabei das Thema Nachhaltigkeit eine Rolle? Haas: Wenn Nachhaltigkeit nicht nur zum schmückenden Trendbegriff ohne Inhalt wird, dann ja. Vernünftiges Entwerfen in Bezug auf die Fertigung und vor allem ästhetische Langlebigkeit der Produkte sind für mich die besten Mittel gegen die Wegwerfmentalität.
pure: Sie sind vor drei Jahren mit Ihrem Designbüro von München nach Paris gezogen. Warum? Haas: Um neuen Input zu bekommen. In einem anderen Land zu leben und zu arbeiten ist aufregend. Damit verändert sich die Herangehensweise an das Entwerfen automatisch. Es ist einfach spannend.
pure: Was ist Ihr persönlicher Tableware-Klassiker? Haas: Die Vasen, die Alvar Aalto für Iittala entworfen hat. Sie sind an Perfektion nicht zu überbieten. In so einer Vase sieht selbst ein einfacher Bund Ranunkeln vom Markt fantastisch aus.
In jahrzehntelanger Forschung haben wir ein ganzheitliches Konzept für gesundes Wohnen entwickelt, das weit mehr umfasst als schadstoffgeprüfte Materialien: wirkungsvollen Schutz vor Belastungen durch Elektrosmog dank der einzigartigen Xund-E-Schutzebene oder auch ein ausgeglichenes Raumklima aufgrund von atmungsaktiven Außenwänden. Lassen Sie sich von unserem ganzheitlichen Gesundheitskonzept überzeugen. Und von unserem StilweltenKatalog inspirieren unter Telefon 0 83 36 - 9000, www.baufritz-pu.de
ARCHITEKTUR // Holzhäuser
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Ein Haus, das als Ganzes kommt. Und als Ganzes geht: „Add a room“ schafft neuen Wohnraum. Wo immer man möchte. Das funktioniert, weil Holz so stabil wie leicht ist. (Fotos: Johan Robach und Matti Marttinen)
Nomaden aus Holz Sie möchten nicht im Reisemobil, Caravan oder Stahlcontainer wohnen, träumen aber von einem Eigenheim, das Sie bei Wohnortwechsel mitnehmen und bei Familienzuwachs ganz einfach ergänzen können? VOILÀ! Wählen Sie aus einer Vielfalt VARIABLER HOLZGEBÄUDE FÜRS PRIVATE ODER BERUFLICHE VAGABUNDEN-DASEIN
DESIGN / NACHHALTIGKEIT `
Gut gestaltete und ausgestattete transportable Holzhäuser, nach Bedarf durch weitere Module ergänzt, kommen den rasch veränderlichen Lebensumständen in der modernen Welt entgegen
von Sandra Makowski
Dass Han Slawik sich früh auf eine Bauweise konzentrierte, bei der Module zusammengefügt und nicht Stein und Mörtel mit beharrlicher Geduld aufeinandergeschichtet werden, liegt unter anderem an seinen ernüchternden ersten Erfahrungen auf der Baustelle. Zu Beginn seiner Karriere erlebte Slawik, der später Professor für Architektur werden sollte, die kaum zu vermeidenden Nachteile der herkömmlichen Bauweise hautnah mit: Abfälle, die irgendwie entsorgt wurden. Bauschutt, der in der Baugrube landete. Alle Pläne durcheinanderbringende Zwangspausen bei schlechtem Wetter. „Da ist bei mir die Überzeugung gereift, möglichst viele Bauteile im Werk vorzufertigen und auf der Baustelle schnell zu montieren.“ Heute gehört Han Slawik zu den Wegbereitern einer noch jungen Form der Baukunst: der Containerarchitektur. Sie nutzt die Stapelbarkeit genormter Kisten aus Stahl oder Holz. Schichtet ausrangierte Frachtbehälter aufeinander, stellt Quader hochkant. Die Wiederholung der Maße prägt einen durchgängigen Stil, dessen Ästhetik das Rechteck bestimmt. „Es ist sicher schwieriger, mit den gegebenen Restriktionen gute Architektur zu realisieren“, räumt
der Professor ein. Schließlich sei man bei der Wahl der Materialien und Formen eingeschränkt. „Aber es geht.“ Es geht, wenn man es macht wie er – also nicht einfach nur reiht und stapelt, „sondern mit architektonischen Mitteln auch erlebbare Außen- und Innenräume schafft“. Bei seinen Entwürfen setzt Slawik, der bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten mit stählernen Frachtbehältern experimentiert und schon 1986 in den Niederlanden einen Wettbewerb zum Thema Temporäres Wohnen gewann, auch auf jenes Material, bei dem viele eher an zünftige Hütten, an Fachwerk oder an rote Häuschen in schwedischen Kriminalfilmen denken: Holz. „Ein Stahlcontainerbau lässt sich natürlich leichter realisieren, aber in einem Holzhaus lässt es sich angenehmer wohnen und leben.“ Die Balken in Slawiks Holzcontainern sind tatsächlich tragend – und nicht nur eine hübsch gemaserte Fassade. Dadurch ist die Holzbox allerdings schwerer als ein Stahlcontainer, schließlich muss man bei einem Holzbalken mit anderen Dimensionen kalkulieren als bei schmalen Elementen aus Metall. „Wenn man auf die Materialeigenschaften und Konstruktionsmöglichkeiten von Holz
ARCHITEKTUR // Holzhäuser
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eingeht, kann man interessante und wirtschaftliche Module mit einem hohen Gebrauchswert realisieren.“ Schiffscontainer, Frachtbehälter – sie stehen als Symbol für Weltläufigkeit, Wagemut, Internationalität. Für die allermeisten Auftraggeber seien allerdings, so der Architekt, allein die praktischen Vorteile, die vergleichsweise niedrigen Kosten und die potenzielle Mobilität der aus solchen Modulen gestalteten Behausungen ausschlaggebend. „Nur wenige Bauherren nehmen das Image eines Containers als Ausgangspunkt für ihre Entscheidung.“ Mobile Systeme wie die „HomeBox“, die in Kooperation mit der Leibniz Universität Hannover entstand, wo Slawik Entwerfen und Konstruieren lehrt, verbinden die international genormten Maße eines Frachtcontainers mit den ansprechenden Eigenschaften des nachwachsenden Rohstoffs Holz und den Vorteilen einer Nomadenbehausung. So entsteht ein schlichter Turm, der mit seinen gerade mal 290 x 240 Zentimetern wenig Platz braucht und sich mit gewöhnlichen Hebe- und Transportmitteln ohne großen Aufwand versetzen lässt. Als der Bund Deutscher Architekten das Minihaus mit dem „BDA Preis Niedersachsen“ auszeichnete, stand in der Projektbeschreibung bezeichnenderweise „ortlos“. Slawik, der in dem Buch „Container Atlas“ herausragende ContainerBauwerke aus aller Welt zusammengetragen hat, schuf mit dieser hölzernen Box ein transportables Gebäude für verschiedenste Bedarfssituationen: Als einzelnes Modul bietet es Menschen, die Hausbesitz nicht mit Sesshaftigkeit verbinden wollen oder können, ein bequemes Eigenheim. Zu beliebig großen Gruppen zusammengestellt bildet es temporäre Herbergen bei Großveranstaltungen. CABRIO- UND SCHLITTENHÄUSER Auch andere Architekten und Designer experimentieren mit ei-
ner neuen, mobilen Form von Holzbauten: Sie setzen Bretter, Leisten und Balken zu Häusern zusammen, die fast so leicht zu verschieben sind wie ein Seefrachtcontainer und viel einfacher
umzubauen oder zu reparieren als mobile Pendants aus Stahl. Sie entwerfen kubusförmige Nomadenhäuser. Drehbare Gebäude, die sich nach der Sonne richten und durch die Fenster ein Maximum an Tageslicht hereinlassen. Cabrio-Häuser, deren Bedachungen sich auf Knopfdruck öffnen und schließen. Oder Schlittenhäuser, die bei Bedarf auf ihren Kufen zu neuen Standorten gleiten – wie zum Beispiel „Sled House“, das Feriendomizil einer fünfköpfigen Familie vor der Küste der neuseeländischen Halbinsel Coromandel, erbaut vom Architekturbüro Crosson Clarke Carnachan. Schottendicht gegen die raue See. Mit schlichter, variabel aufklappbarer Holzfassade. Der Clou: Die Baumaterialien sind nachhaltig, die Abfallentsorgung übernehmen Würmer in einem Tank, die im Lauf der Jahre ergrauenden Bretter fügen sich auch optisch in die Dünenlandschaft ein. Und droht zum Beispiel mal ein gefährlicher Sturm, kann das auf zwei mächtigen hölzernen Kufen ruhende Haus einfach weggezogen werden. Hinter die Düne oder auf einen Lastkahn. Bei solchen Holzbauten genügt ein stabiler Unterboden, um sie heben und transportieren zu können. So sind sie eine mögliche Antwort auf den privaten Drang oder beruflichen Zwang zur Mobilität. Dazu kommen die ökologischen Vorteile des natürlich wachsenden Materials Holz, das in Form von Wäldern Erholungsräume bildet und gesundes Klima schafft, in Form von Baustoff dauerhaft CO² bindet und nach Ablauf der Gebäude-Nutzungsphase einfach für neue Objekte wiederverwendet oder als Brennmaterial in Wärmeenergie verwandelt werden kann. WOHNWURM Auch für den schwedischen Architekten Torsten Ottesjö sind das
Gründe genug, sich mit Holz zu befassen und es in mobilen Bauwerken neu zu interpretieren. Wie bei dem spektakulären „Hus1“, einem wurmförmigen Gebilde, das gut in die Landschaft des westlichen Schwedens passt. Mit gewölbten Wänden, einem zweistu-
Wohnwurm: Im „Hus 1“ von Torsten Ottesjö lässt sich‘s gemütlich hausen (Foto: David Jackson Relan)
Wohnturm: Das auf Kufen ruhende „Sled House“ kann man einfach wegziehen – zum Beispiel wenn ein schlimmer Sturm droht (Foto: Crosson Clarke Carnachan Architects)
figen Boden im Inneren, einer eindrucksvollen Fensterfront nach vorne. Ottesjös Ziel war es, einen Raum zu schaffen, der sich harmonisch in die Umgebung einfügt, einen freistehenden Bau, der sich problemlos verschieben lässt. „Das Haus kann überallhin versetzt werden“, erklärt der Architekt, „und trotzdem soll es das Gefühl vermitteln, als sei es einfach hier gewachsen.“
meschutzverglasung dient das Palettenhaus zum Beispiel als Feriendomizil in Österreich und mit einfachen Kunststoffelementen versehen als vergleichsweise komfortabler Wohnraum in einem Kairoer Slum. Und stets punktet es dabei mit den Vorteilen eines standardisierten Materials, das bei jeder Erweiterung eine gewisse Symmetrie ermöglicht.
PALETTEN-KONZEPT Eine gerade unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit besonders be-
BLICKFANG-ARCHITEKTUR Wer auf der Suche ist nach transportablen Behausungen, wird in-
merkenswerte Idee hatten die Architekten Gregor Pils und Andreas Claus Schnetzer (damals noch Studenten an der TU Wien): Aus 800 ausrangierten Transportpaletten entwickelten sie eine selbsttragende Holzkonstruktion, die, gedämmt mit Materialien wie Zellulose, Stroh und Sand, eine im Grundriss flexible, einfach auf- und abbaubare Behausung ergibt. Der spröde, aber eindrucksvolle Entwurf, erstmals 2008 bei der Architekturbiennale in Venedig vorgestellt, fand international Beachtung – auch weil es sich hier um ein multiplizierbares, sowohl in Industriestaaten als auch in armen Ländern nutzbares Konzept handelt: Mit Wär-
zwischen weltweit fündig. Es gibt auf diesem Sektor viele spektakuläre Bauten – etwa das „Manifesto“-Haus von Infiniski, einem Architektenbüro, das in Santiago de Chile und in Madrid Niederlassungen hat: Schiffscontainer wurden hier mit Transportpaletten verkleidet, die, mal quer, mal hochkant verbaut, eine unruhig wirkende Oberflächenstruktur ergeben. Oder der erdverbundene und dennoch bewegliche Entwurf „Yeta“ des italienischen Architekturbüros „Lab Zero“, der von hinten aussieht wie ein rechteckiger Stapel aus Stämmen. Unbehandeltes Holz. Mit einem traumhaften Blick durch die vollverglaste Front.
ARCHITEKTUR // Holzhäuser
Diese Antithesen zur Blockhütte schaffen Freiräume mit variablem Ausblick: Oben links: „Archipod“
(Foto: „archipod“) Oben rechts: Modulhaus „D‘eva“ von Riko
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Rechts: der von Werner Aisslinger gestaltete „Fincube“ (Unterinn/Ritten, Italien, Foto: Steffen Jänicke, www.fincube.eu)
Fast immer sind es modulare Bauwerke. Wie die Systeme von „Riko“, einem auf Holzbauten spezialisierten slowenischen Unternehmen. Sein Minihaus „D‘eva“ mit großzügiger Glasfront und Holzverkleidung, kann als Solitär beispielsweise einen Rückzugsort im Garten bilden, aber – nach Bedarf um weitere Module ergänzt – auch zum Familienhaus heranwachsen. Und im Falle eines Umzug mitgenommen werden. Das Unternehmen baut außerdem imposante Unikate. Eines davon steht in den slowenischen Alpen: eine Villa mit diagonal und senkrecht vor einer Glasfront verlaufenden, dunklen Balken. EIN-RAUM-BEHAUSUNG – ODER HAUSBOOT Das Prinzip einer flexibel an veränderte Bedürfnisse anpassbaren
Behausung, die zunächst nur aus einem Raum besteht, übernimmt auch das Konzept „add a room“, gestaltet von dem dänischen Architekten Lars Frank Nielsen, gefertigt von Zimmermännern. Dieses Bauwerk aus skandinavischem Holz kommt als Ganzes (mit Veranda und Pergola). Und geht auch als Ganzes. Zu einem neuen Wohnort, einem neuen Besitzer – der es dann vielleicht auf ein Floß setzt (auch das ist möglich) und als Hausboot nutzt. Die Wahl des Materials Holz spielt Architekten und Designern bei solchen Konzepten in die Hände. Etwa bei dem von Werner Aisslinger gestalteten „Fincube“, der nicht nur durch seine gerundete Form wirkt, sondern auch durch das unbehandelte Holz. Sonnenstrahlen dringen durch markante Holzlamellen ins Innere. Ist die
Wohneinheit bei Dunkelheit innen beleuchtet, strahlt das Licht durch das Skelett aus Lärchenholz und betont dessen warme Farbe. Ein solches Objekt, abgesetzt in einer bewaldeten Umgebung mit einem weiten Blick in die Natur: atemberaubend. Dabei muss nur ein kleiner Fleck Boden versiegelt werden, um fast 47 Quadratmeter Wohnfläche entstehen zu lassen: Das sockelartige Fundament beansprucht gerade mal zwei Quadratmeter. Die sind leicht zu renaturieren, falls das nomadische Gebäude mal weiterzieht – etwa zu einem Platz mit einer noch schöneren Aussicht. Architektonische Lösungen für Vagabunden gibt es in vielfältiger Form. Wie den von Holzschindeln umhüllten Kugelbau „Archipod“, der sich beispielsweise als Büro im Garten aufstellen lässt. Oder das „House Arc“ von Joseph Bellomo Architects, ein als „Flatpack“ gelieferter, luftiger Bau aus Zedernholz und recyceltem Stahl, unter dem die Luft zirkuliert, denn er steht auf schmalen Betonfüßen. IMAGE-TRANSPORT Sofort in Auge fällt auch „Flak“, ein transportables Holzhäuschen.
„Das Nomadenhafte an unserem Konzept ist sicher einer der Gründe für den Erfolg des Hauses“, erklärt Pauline Husson vom französischen Architekturbüro „Olgga Architects“, wo dieser Entwurf entstand. „Menschen interessieren sich aus unterschiedlichen Gründen für solch ein Haus – es dient als Rückzugsort zum Lesen, als Gartenhütte, als zusätzliches Zimmer.“ Oder als Location für den temporären Auftritt eines Unternehmens, etwa für eine Mar-
Links: „Movit“ – Luxus von Pircher Oberland (Foto: Pircher Oberland) Rechts: Einfache Bauten aus Transportpaletten – etwa als Ferienhäuser oder Notunterkünfte geeignet www.Palettenhaus.com
ketingkampagne. Schließlich eignet sich der Bau, ein zweigeteilter Block aus Stämmen, ideal, um ein außergewöhnliches Image zu transportieren. Und auf unverwechselbare Weise aufzufallen. Und die minimalen Maße? Machen es die nicht schwierig für die Architekten von „Olgga Architects“, die sonst an Großbauten arbeiten? „Nein, auf die Größe kommt es nicht an“, sagt Husson. Die Konstruktion müsse immer ebenso passen wie die Form – egal mit welchen Maßstäben man es zu tun habe. UMZUG OHNE MÖBELWAGEN ... ... geht das? „Ja! Wer umziehen will, muss nur die Möbel um-
legen und das Porzellangeschirr in Kisten packen“, schwört Andreas Ernst, Geschäftsführer des ostwestfälischen Unternehmens „SmartHouse“, das nach dem Baukastenprinzip erweiterbare, mobile Holz-Fertighäuser herstellt. Ein Flachbildfernseher etwa bleibt hingegen einfach an der Wand hängen, wenn eine „SmartHouse“Mobilie mit 80 Stundenkilometern über Nacht zu ihrem neuen Standort gebracht wird. Dort ist sie dann sofort bezugsbereit, denn die Fixierung des Bauwerks erfolgt per Schraubfundament. „Das funktioniert wie bei einem Christbaumständer.“ „Aber kann man denn das komplette Holzgebäude tatsächlich einfach so über die Landstraße transportieren, ohne dass es Schaden nimmt?“, fragt der ängstliche Laie. „So ein Holzkörper verzeiht auch mal ein Schlagloch“, beruhigt Profi Ernst. Seiner Erfahrung nach schätzen die Kunden bei den Gebäuden von „SmartHouse“ in erster Linie das überschaubare Risiko. Ein Haus, das komplett in einer Halle gefertigt und dann geliefert wird, lässt nervösen Bauherren eben weniger Schauer über den Rücken laufen als ein Bauprojekt, das sich Monate hinzieht und ständig durch wetterbedingte Zeitplanveränderungen bedroht ist. „Der zweite große Pluspunkt ist, dass man mit den Häusern so einfach umziehen kann.“ Viele modulare und transportable Bauten seien eher Designstudien, der Markt für die praktische Anwendung werde oft unterschätzt, erklärt Ernst. Doch die Fachwelt erkennt die Vorteile solcher Entwürfe: Der frei kombinierbare „SmartHouse“Wohnkubus wurde 2009 mit dem renommierten Designpreis „red dot“ ausgezeichnet, wobei ihn die Jury als Ausdruck des Traums vom mobilen Leben würdigte. Für eine mobile Lebensform eignen sich auch die Häuser, die das Südtiroler Holzbauunternehmen „Pircher Oberland“ unter der
Marke „Movit“ in Zusammenarbeit mit dem internationalen Designstudio „Hangar Design Group“ entwickelt hat. Allesamt massive Holzkonstruktionen, die durch ihre Gestaltung ebenso bestechen wie durch ihre hochwertige, nach ökologischen Gesichtspunkten ausgewählte Ausstattung. STREICHHOLZSCHACHTEL-PRINZIP Manchmal bezieht sich die Beweglichkeit auch nur auf einen Spiel-
raum von wenigen Metern. Wie bei „Sliding House“, entworfen vom Londoner Architekturbüro „drMM“. Eine Streichholzschachtel, die es in sich hat. Großzügiger Wintergarten gewünscht? Oder ein voll mit Holz verkleidetes Haus? Je nach Laune des Besitzers lässt sich der Korpus aus Holz hin und her schieben – und bietet so zwei völlig verschiedene Bauwerke in einem. Eine Verschiebung mit überraschendem Effekt. Ein Haus, in dem Sonnenlicht viel klüger genutzt werden kann, als das gemeinhin möglich ist. Und ein architektonischer Coup, vielfach preisgekrönt. Die Jury des „Grand Designs Award“ prämierte das Gebäude als „Haus des Jahres“ und bezeichnete den Entwurf als „großen Geniestreich“. Für seine Macher war das „Sliding House“ weit mehr als nur eine besonders originelle Fingerübung: „Diese experimentellen Projekte sind die Basis für die Entwicklung von großen Holzbauprojekten“, erklärt Jonas Lencer, einer der Architekten von drMM. SPIELVERDERBER BAUBEHÖRDE Einfach mitnehmen. Das ganze Haus. Nicht Abschied nehmen
müssen von den vertrauten vier Wänden, keinen Käufer finden müssen für die Immobilie, wenn einen das Leben in eine andere Stadt, ein anderes Land verschlägt. An geeigneten Behausungen für die Verwirklichung dieses Traums mangelt es nicht, wie man sieht. Dennoch dürfte die Zahl derer, die ein potenziell bewegliches Eigenheim besitzen und diese Mobilie auch wirklich als solche nutzen, zumindest in Deutschland noch gering sein. „Viele Menschen finden mobile Häuser, die auch tatsächlich mit umziehen können, sehr spannend“, sagt der Pionier der Containerarchitektur, Han Slawik. „Den Schritt zur echten Mobilität tun allerdings die wenigsten.“ Wohl auch weil die Bürokratie hierzulande vor einen schwunghaften Ortswechsel die Bauordnung gesetzt hat, die rigoros auch mobile Gebäude erfasst. Andernorts eine Aufstellgenehmigung zu bekommen, sei meist ein langwieriger Prozess, weiß Slwawik. „Da spielen die Behörden nicht mit.“ Aber vielleicht ändert sich das ja irgendwann ...
MENSCHEN // Interview Dagmar Fritz-Kramer
„Die Leute wollen eine gute Luft im Haus!“ BAUFRITZ BAUT HOLZ-FERTIGHÄUSER – NACH STRENGEN ÖKOLOGISCHEN MASSGABEN. Für sein Umweltengagement wurde der Betrieb schon mehrfach ausgezeichnet – so auch mit dem „Deutschen Nachhaltigkeitspreis“. UNTERNEHMENSCHEFIN DAGMAR FRITZ-KRAMER ÜBER KUNDEN-ERWARTUNGEN UND UNBEGRÜNDETE BEDENKEN IN BEZUG AUF DEN BAUSTOFF HOLZ
pure: Welches Motiv haben Kunden, bei Produkten auf ökologische Werte zu achten? Sind es eher Umweltaspekte oder der Wunsch, selbst besser und gesünder zu leben? Dagmar Fritz-Kramer: Unsere Kunden haben oft ein sehr breites
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Verständnis und denken durchaus auch an die ökologischen Auswirkungen ihrer Entscheidung. Früher, Anfang der Siebzigerjahre, kamen noch richtige „Hardcore-Ökos“ zu uns – die wussten bei jedem Baum genau über dessen Herkunft Bescheid. Das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sicher ein bisschen verschoben. Insgesamt überwiegt heute, glaube ich, das Bedürfnis nach einem gesunden Wohnumfeld. Die Eisbären auf der Scholle sind einem eben doch nicht ganz so nah wie die eigene Umgebung.
Was erwarten sich denn Häuslebauer vom Baustoff Holz? Die Leute wollen eine gute Luft im Haus! Wenn Sie normalerweise ein Haus bauen, haben Sie diesen typischen Hausgeruch. Aus den Wandfarben, den Teppichen, den Möbeln emittieren sogenannte „Volatile Organic Compounds“ (VOCs), also flüchtige organische Verbindungen. Wir untersuchen jedes Bauteil auf mögliche Schadstoffe. Wer sich für ein Holzhaus entscheidet, kann sicher sein, einen natürlichen Werkstoff um sich herum zu haben.
INTERVIEW | DAGMAR FRITZ-KRAMER
Deutschlands ist der Anteil doch recht hoch. Leider denken viele Leute, wenn sie „Holzbauweise“ hören, an die windigen USamerikanischen Versionen. Moderner Holzbau spielt aber in einer ganz anderen Liga – das wird glücklicherweise immer mehr erkannt.
Gibt es bei den Kunden typische Bedenken? Oh ja! Fast immer kommt die Frage nach dem Brandrisiko. Dass bei Holzhäusern kein höheres Risiko besteht als bei konventionellen Gebäuden zeigt sich aber schon an den gleich hohen Versicherungstarifen. Es gibt effektive Brandschutzmittel – in unserem Fall sind sie ökologisch basiert. Wenn Sie einen Feuerwehrmann fragen, in welcher Art von Haus er im Brandfall die Lage besser einschätzen kann, wird er wahrscheinlich das Holzhaus nennen – denn da sieht er genau, welcher Balken noch trägt, und muss nicht damit rechnen, dass irgendwo der tragende Stahl schmilzt. Viele Kunden fragen auch nach der Haltbarkeit von Holz, gerade im Außenbereich. Dabei bestehen die ältesten Gebäude der Welt aus Holz. Wir verwenden für die Fassade Lärchenund Fichtenholz. Das können Sie nach Belieben streichen, aber notwendig ist das nicht. Die Patina, die das Gebäude mit der Zeit bekommt, schützt das Holz. Wen der Vergrauungsprozess nicht stört, der muss gar nicht für Holzschutz sorgen.
Ist denn der Geruch von Holz nicht auch ein Problem beim Wohnen? Man darf im Innenbereich nicht die gleichen Hölzer verwenden wie außen. Lärche und Kiefer etwa sind für die Fassade wunderbar, hier finden sich aber auch viele Terpene. Der Geruch von Terpenen mag bei einem Erkältungsbad als angenehm empfunden werden, aber ganz sicher nicht im Wohnzimmer. In geschlossenen Räumen sollte man eher das Holz von Nussbaum oder Kirsche verwenden.
Und schadet Regen nicht auf die Dauer? Holz hat den Vorteil, dass es rasch trocknet. Nach einem Hochwasserschaden ist ein Holzhaus schneller wieder trocken als ein Steinhaus. Holzschutz findet auf konstruktive Weise statt, das heißt, man achtet darauf, dass der Regen nicht in die Balken eindringen kann und immer abfließt. Hinzu kommen moderne Methoden wie hinterlüftete Fassaden.
Was genau ist an einem Holzhaus „grün“? Abgesehen davon, dass die „Fabrik“, die den Baustoff für so ein Haus hervorbringt – also der Wald – unserer Erholung und der Umwelt förderlich ist und dass das CO², das ein Baum während seines Lebens in seinem Stamm gespeichert hat, im Bauholz weiterhin gebunden bleibt, erfordert ein Holzhaus deutlich weniger Dämmstoffe (wir verwenden Späne). Auch die Entsorgung stellt kein Problem dar. Konventionelle Gebäude brauchen dagegen sehr viel Energie und produzieren sehr viel Müll. Man muss sich die Dimension mal vor Augen führen: Der bundesdeutsche Müllberg besteht zu rund 56 Prozent aus Bauschutt!
Haben Sie schon mal daran gedacht, mobile Häuser zu bauen? Mobile Häuser sind eine sehr gute Idee, schließlich planen Kunden nicht immer für ein ganzes Leben. Wir haben gerade mobile Anbauteile entwickelt, die, auf Zeit geleast, ein festes Kernhaus ergänzen können. Diese Elemente, die zum Beispiel als Homeoffice dienen, kommen und gehen als Ganzes. Da Holz relativ leicht ist, bereitet der Transport kein Problem.
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In Deutschland sind Holzhäuser ja immer noch die Ausnahme ... Ich denke, das ist historisch gewachsen. In Österreich hat man einen Holzbauanteil von 40 Prozent und auch in den Alpenregionen
Dagmar Fritz-Kramer (41), Geschäftsführerin des streng auf ökologische Bauweise ausgerichteten Fertighausherstellers „Baufritz“ in Erkheim, setzt als studierte Innenarchitektin und Dekorateurin auf ein variantenreiches, modernes Design – mit dem natürlichen Werkstoff Holz. www.baufritz.com/de/
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DESIGN // Büromöbel
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LINK Smartes Holz: Um die Sitzschale des Stuhls „Link“ für La Palma aus einem Stück Formholz herzustellen, spaltete Designer Hee Welling den Rücken in zwei Teile und verband diese mit einem Clip
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AIRPAD Möbel auf der Leinwand: Der Drehstuhl „AirPad“ von Andreas Krob und Joachim Brüske für Interstuhl ist im neuen James-BondAbenteuer „Skyfall“ zu sehen: im Büro von Bonds Chefin „M“
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DESIGN / NACHHALTIGKEIT
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Neues Wertebewusstsein auch am Arbeitsplatz: Mit leichten, langlebigen und wiederverwendbaren Materialien setzt man bei den neuen Büromöbeln bewusst auf Nachhaltiges
Inseln der Ruhe DIE BÜROMÖBEL-LEITMESSE „ORGATEC“ GIBT ALLE ZWEI JAHRE DIE THEMEN FÜR DEN ARBEITSPLATZ VON MORGEN VOR. Dieses Mal sehen sie so aus: Der Trend zu wohnlichen Qualitäten hält weiter an. Gleichzeitig sorgen Rückzugszonen, wo sich konzentriert arbeiten oder entspannen lässt, für Ausgleich zum Stimmengewirr im Großraumbüro von Norman Kietzmann
Das heutige Büro ist ein dichter Nebel an Aktivität. Waren Aufgaben, Anwesenheitszeiten und Hierarchien früher klar definiert, ist der Arbeitsplatz nun zu einer Grauzone mutiert, die alles auf einmal sein soll: Werkbank, Spielplatz, Leseecke, Klassenzimmer, Literaturkaffee, Kongresszentrum und für einige Unglückliche sogar ein Gefängnis auf Zeit. Das Büro ist weder Fisch noch Fleisch. Es ist als Arbeitsraum gedacht, will aber nicht danach aussehen. Es soll Spaß machen, dabei aber dennoch Ernsthaftes entstehen lassen. Um diese Widersprüche unter einen Hut zu bringen, griffen die Bürogestalter zu einem verlässlichen Mittel: zum Spielfeld, dem wandelbarsten aller Räume. Die kleinen, schattigen Einzelbüros mit Behördenmief wurden ausgemustert und gesamte Unternehmen im Großraum zusammengeführt. Im „Open Space“ sind alle gleich. Der Chef sitzt neben den Mitarbeitern, statt von einer Empore auf sie herabzublicken. Man sieht einander, keiner versteckt sich. Es wird gelacht, man tauscht sich aus, die Kommunikation vervielfacht sich. Und plötzlich ist es da, dieses Gefühl einer Gemeinschaft, das die Arbeit weniger nach Arbeit schmecken lässt und Prozessen zusätzliche Dynamik verleiht.
Doch das Großraumbüro bedeutet nicht nur einen Zugewinn an Licht, Raum und Gespräch. Es bedeutet ebenso Stress für all diejenigen, die sich konzentrieren oder Dinge tun müssen, die nicht jeder sehen oder hören soll. Wo lassen sich vertrauliche Unterredungen führen? Und wo ein privates Telefonat? Damit man zu solchen Zwecken nicht vollends von der Bildfläche verschwinden, in ein Besprechungszimmer, in den Fahrstuhl oder gar auf den Parkplatz flüchten muss, hat sich der „Open Space“ jetzt für eine neue Lösung geöffnet: die halbprivate Insel. Von derartigen Rückzugszonen wimmelte es auf der diesjährigen „Orgatec“ geradezu. „Workbay“ heißt ein flexibles Raumteilersystem, das Ronan & Erwan Bouroullec für Vitra entworfen haben und das seinem Namen durchaus alle Ehre macht. Wie kleine, private Buchten wirken die Arbeitsplätze, die von organisch geschwungenen Wänden nur so weit umschlossen werden, dass eine Öffnung den Blickkontakt zum Großraum nicht vollständig unterbricht. Die Stärke dieser MicroArchitektur, die vom Einzelarbeitsplatz bis hin zu Konferenzlösungen erweitert werden kann, liegt in ihrer Weichheit. Gefertigt werden die textilen Wände aus gepresstem Polyestervlies, das extrem
DESIGN // Büromöbel
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KITOS Schluss mit dem Kabelsalat: Die Arbeitsplatte des Tischprogramms „Kitos“ von USM Haller lässt sich als Ganzes nach vorne ziehen und macht den Technikschacht leicht zugänglich
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robust und gleichzeitig sehr leicht ist. Es filtert Umgebungsgeräusche und sorgt für einen warmen wie sinnlichen Raumeindruck. Einen Raum im Raum schafft auch das System „MeetYou“, das der Stuttgarter Designer Michael Schmidt für Haworth konzipiert hat. Werden zwei Module stehend miteinander verbunden, entsteht ein schützender Bogen, der einen einzelnen Schreibtisch aufnimmt. Wird mehr Platz benötigt, kann ein Deckenmodul den Bogen in die Länge strecken. Und werden die gekurvten Bausteine liegend auf dem Boden platziert, verwandeln sie sich in freistehende Wände, die das Großraumbüro durch Schlangenlinien untergliedern und endlos erweitert werden können. Um die Handhabbarkeit der Module zu erhöhen, wurde radikal an deren Gewicht gespart. So verbirgt sich unter der textilen Bespannung eine dreidimensional gepresste Styropor-Schale, die nur halb so viel auf die Waage bringt wie konventionell gebaute Teile aus Formholz. Dass fluide Formen das Layout der Büro-Arbeitswelt auch in Überkopfhöhe beeinflussen können, zeigt Tobias Grau mit seiner Leuchte „Move“. Diese steht als Ring oder Stab zur Auswahl und wirkt auf den ersten Blick, als hätte eine chromglänzende Schlange mit kurzen Unterbrechungen eine ganze Mäusefamilie verspeist. Was sich im Bauch der Schlange befindet, sind aber besonders warm leuchtende und leistungsstarke LEDs. Dass deren Licht nicht blen-
SESSEL 520 Bodenständiges Sitzen: Der Sessel „520“, den der Londoner Architekt Sir Norman Foster für Walter Knoll entwarf, verfügt über eine schützende Schale aus gemasertem Kernleder
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ALCOVE Intimer Arbeitsplatz: Als Ergänzung zu ihrem Sofaprogramm „Alcove“ haben Ronan & Erwan Bouroullec für Vitra einen Schreibtisch mit gepolsterten SichtschutzWänden vorgestellt.
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MOVE Fluides Lichtobjekt: Die Leuchte „Move“ von Tobias Grau sorgt für einen sinnlichen Auftritt. Durch optische Linsen wird das Licht von warm leuchtenden LEDs blendfrei abgeleitet
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PLAU Aus einem Stück: Der Sessel „Plau“ von Gabriele und Oscar Buratti für Tecno besteht aus einer einzelnen, dünnen Polsterschicht, die geschnitten und anschließend gefaltet wurde
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WORKBAY Inseln der Konzentration: Die „WorkBays“ von Ronan & Erwan Bouroullec für Vitra verfügen über textile Wände aus schallschluckendem Vlies und können in ihrer Größe variiert werden
det, sondern direkt auf den Tisch oder das Sideboard unter ihnen gelenkt wird, ist dem Einsatz optischer Linsen zu verdanken. Eine runde Sache bildet der Konferenztisch „Graph“, den die Stuttgarter Designer Markus Jehs und Jürgen Laub als Ergänzung ihres gleichnamigen Konferenzstuhls für Wilkhahn entworfen haben. „Häufig wirken große Besprechungstische so, als hätte man mehrere kleinere Tische zusammengestellt. Wir wollten, dass der Tisch wie ein Tisch aussieht, egal wie groß er ist“, erklärt Markus Jehs den Ansatz. Ihr Entwurf verfügt über schlanke Beine aus Aluminiumdruckguss, die mit Strangpressprofilen beliebig in Länge und Breite variiert werden können. Eine ovale Tischplatte, die sich entlang der Außenkante verjüngt, sorgt selbst bei großen Besprechungsrunden für direkten Blickkontakt untereinander. Leichtbau ist nicht nur eine Frage des Gewichts, sondern ebenso der visuellen Präsenz. Filigran zeigt sich der Drehstuhl „Physix“, den Alberto Meda als Weiterführung seiner früheren Drehstuhlfamilien für Vitra konzipiert und mit einem hauchdünnen Netzrücken versehen hat. Nahezu unsichtbar wirkt die Rückenlehne des Drehstuhls „AirPad“ von Interstuhl. Zum Einsatz kam hier eine elastische, transparente Membran aus Polyamid, die zwischen einen Rahmen gespannt wurde und sich der Rückenform direkt anpasst. Der von Andreas Krob und Joachim Brüske entworfene Stuhl über-
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MEET YOU Raum im Raum: Das System „MeetYou“ von Michael Schmidt für Haworth dient stehend als schützender Bogen und verwandelt sich liegend in endlos erweiterbare, freistehende Wände
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OTTOBOX Dynamik im Büro: Die „Ottobox“ von Burkhardt Leitner ist ein rundum verglaster MeetingRaum, der auf Rollen frei bewegt werden kann und über bodengeführte Schiebetüren verfügt
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GRAPH TABLE Aus einem Stück: Der Konferenztisch „Graph“ von Jehs + Laub für Wilkhahn überzeugt mit einem filigranen Aluminiumgestell und einer ovalen Tischplatte, die sich nach außen verjüngt.
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zeugt zudem mit einer Recyclingquote von 98,5 Prozent. Auch bei der Fertigung wurde auf den Einsatz wiederverwerteter Materialien geachtet. So besteht jedes Fußkreuz zu 70 Prozent aus den Überbleibseln ausgemusterter Pendants. Eine technische Innovation in Holz zeigte der italienische Möbelhersteller La Palma mit seinem Stuhlprogramm „Link“, dessen Sitzfläche und Rückenlehne aus einem Stück gefertigt wurden. Ließen sich bislang nur Sitzschalen mit einem flache Rücken aus Formholz erzeugen, griff der dänische Designer Hee Welling nun zu einem Trick: Um seinem Drehstuhl einen hohen Rücken zu geben, fügte er einen Einschnitt in das Holzstück ein und verformte es. Den zweigeteilten Rücken verband er schließlich mit einem stählernen Clip, der im Kongress- oder Konferenzbereich zudem mit Platznummern bestückt werden kann. Natürlich darf auch die Technik im Büro nicht fehlen. Doch sie wird zunehmend aus dem Blickfeld verbannt. USM Haller präsentierte mit „Kitos“ ein Tischprogramm, das Kabeln den Krieg erklärt. Während der Tisch mit Hilfe stabiler Säulen, Traversen und Trägerrohre für ein minimales Schwingverhalten sorgt, kann die Tisch-
platte in Höhe und Neigung an die Vorlieben und Körpermaße des Nutzers angepasst werden. Eine Alternative zu den üblichen Technikklappen bietet die Ausführung „E Advanced“, bei der die gesamte Tischplatte gelöst und nach vorne gezogen werden kann. Der Vorteil dieser Lösung liegt auf der Hand: Auch ohne komplizierte Fingerübungen kann eine Vielzahl elektronischer Geräte gleichzeitig angeschlossen werden, während reichlich Platz für überflüssige Kabellängen bleibt. Eine Mischung aus Loungemöbel für den Wartebereich und bequemem Fernsehsessel fürs Wohnzimmer hat Walter Knoll nach Köln gebracht. Entworfen wurde der Sessel „520“ vom Londoner Architekten Norman Foster, der einen schweren, mit Kernleder bezogenen Korpus mit einem weich gepolsterten Innenleben verband. Statt konstruktiver Leichtigkeit stand hier die Erdung des Möbels im Mittelpunkt, das Vertrautheit, Komfort und Wohlbefinden ausstrahlen soll. Doch keine Sorge: Gearbeitet wird im Büro auch weiterhin – selbst dann, wenn es sich in Inseln der Ruhe kurz versinken lässt.
WIRTSCHAFT // Laureus Stiftung
“SPORT HAT DIE KRAFT, DIE WELT ZU VERÄNDERN. ER HAT DIE KRAFT, ZU INSPIRIEREN. ER HAT DIE KRAFT, MENSCHEN ZU VEREINEN, WIE ES SONST NUR WENIGES KANN. SPORT KANN HOFFNUNG ERWECKEN, WO VORHER NUR VERZWEIFLUNG WAR.“ Nelson Mandela, Laureus World Sports Awards, Monaco 2000
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Sportler für eine bessere Welt IMMER MEHR UNTERNEHMEN ERKENNEN, DASS SIE NICHT NUR DEM WIRTSCHAFTLICHEN ERFOLG VERPFLICHTET SIND, SONDERN AUCH DER GESELLSCHAFT – und fördern wohltätige Organisationen wie etwa Laureus. Mit Sportidolen wie Boris Becker, Franz Beckenbauer oder Katarina Witt AN DER SPITZE WILL DIE LAUREUS STIFTUNG BENACHTEILIGTEN KINDERN HELFEN UND SO DIE WELT VERBESSERN
von Klaus-Peter Bredschneider
Die Vision, die Nelson Mandela 2000 bei den ersten Laureus World Sports Awards formulierte, bildet die Grundmaxime für die Arbeit der Laureus Sport for Good Foundation. Das internationale Netzwerk aus einer globalen und neun nationalen Stiftungen hat sich zum Ziel gesetzt, die Welt für möglichst viele sozial benachteiligte Kinder kontinuierlich ein kleines Stück besser zu machen. Um ihnen – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion, sozialer Schicht oder gesundheitlichen Einschränkungen – zu mehr Selbstwertgefühl und besseren Zukunftschancen zu verhelfen, setzt die Organisation auf die Universalsprache Sport. Mit sozialpädagogischer Unterstützung nehmen Projektleiter und prominente Paten aus der internationalen Sportszene die Kinder an die Hand und unterstützen sie im Umgang mit gesellschaftlichen Herausforderungen wie Integration, Diskriminierung oder Drogenmissbrauch. Unter dem Namen Laureus Academy setzt sich ein exklusiver Kreis von 46 internationalen Spitzensportlern für die Ziele und Inhalte
der Stiftung ein. Einmal jährlich vergeben die Academy-Mitglieder die Laureus World Sports Awards für herausragende sportliche Leistungen – ein beeindruckendes Mega-Event, bei dem sich nicht nur internationale Prominenz versammelt, sondern auch Spenden in Millionenhöhe für den guten Zweck generiert werden. Die nächsten Laureus World Sports Awards werden im März 2013 in Rio de Janeiro stattfinden. Die Laureus Sport for Good Stiftung Deutschland/Österreich unterstützt insgesamt elf Eigenprojekte, für die sich 22 prominente Botschafter engagieren, darunter Sportgrößen wie Franziska van Almsick, Vitali und Wladimir Klitschko, Jens Lehmann und Maria Höfl-Riesch. Neben dem Hauptsponsor Mercedes-Benz unterstützen auch zahlreiche weitere Sponsoren aus verschiedenen Wirtschaftsbereichen die Laureus Stiftung. Auf diese Art entsteht ein leistungfähiges Social-Sponsoring-Netzwerk, das dazu beiträgt, die Lebensbedingungen sozial benachteiligter Kinder nachhaltig zu verbessern.
Durch Sport zu mehr Selbstbewusstsein: Die LaureusBotschafter Vitali Klitschko (o.) und Boris Becker (u.) engagieren sich f端r sozial benachteiligte Kinder
MENSCHEN // Interview Anders Sundt Jensen
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pure: Muss ein Unternehmen wie Mercedes nur wirtschaftlich erfolgreich sein – oder hat es auch eine gesellschaftliche Verpflichtung? Jensen: Ein Unternehmen in unserer Größenordnung ist immer auch ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wir haben schon deshalb eine klare soziale Verantwortung und die Aufgabe, uns zu engagieren und etwas an die Gesellschaft zurückzugeben. Wir können nicht alles der Politik überlassen, wir müssen uns auch gesellschaftlich deutlich positionieren.
Welche Anforderungen stellen Sie an soziale Engagements, wenn Sie sich – wie mit der global agierenden Laureus Stiftung – deutlich positionieren? Zunächst müssen wir bei Engagements sicherstellen, dass die Mittel auch dort ankommen, wo sie hingehören, und nachhaltig eingesetzt werden. Das setzt wiederum voraus, dass die Projekte seriös gemanagt werden, dass man es mit Menschen und Organisationen zu tun hat, die diese Seriosität belegen können. In der Regel unterstützen wir soziale Sportprojekte, die an uns herangetragen werden. Da entscheiden wir anhand klarer Beurteilungskriterien über eine Unterstützung.
Warum zieht gerade der Sport so viele Sponsoren an – auch für wohltätige Engagements? `
Seit November 2008 ist Anders Sundt Jensen Leiter Markenkommunikation Mercedes-Benz Cars. Weiterhin ist er Geschäftsführer bei Laureus und Vorstandsmitglied der globalen Laureus Sport for Good Foundation. Mit all ihrer Kraft und dem Einfluss ihrer prominenten Botschafter setzt sich die Laureus Sport for Good Stiftung Deutschland/Österreich für den sozialen Wandel durch Sport auf der ganzen Welt ein.
Sport hat weltweit für praktisch alle Menschen etwas Verbindendes. Beim Sport spielt die Herkunft nur eine untergeordnete Rolle, es ist nicht entscheidend, ob man arm oder reich ist oder welcher Religion man angehört. Sport schafft vor allem Respekt für die Leistung und die Menschen, die sie erbringen. So werden über den Sport Werte und Normen vermittelt, weshalb wir auch sehr viel von ihm lernen können. Das ist ja auch der Grundgedanke von Laureus.
„Es geht darum, die Werte des Sports zu vermitteln“ Von Franz Beckenbauer über Edwin Moses bis zu den Klitschkos unterstützen Sportidole die maßgeblich von Mercedes-Benz getragene Laureus Sport for Good-Stiftung als Botschafter. Anders Sundt Jensen, Leiter der Markenkommunikation von Mercedes-Benz Cars, über die soziale Verantwortung von Unternehmen, DIE VERBINDENDE ROLLE DES SPORTS UND DEN GRUND, WARUM SICH CHARITY FÜR ALLE BETEILIGTEN MEHR ALS „AUSZAHLT“ INTERVIEW | ANDERS SUNDT JENSEN
Wenn über Laureus berichtet wird, steht stets die Sportprominenz von Boris Becker bis Franz Beckenbauer im Rampenlicht. Kommt da Mercedes in der öffentlichen Wahrnehmung nicht zu kurz?
geht es nicht darum, Spitzensport zu fördern – uns liegt vielmehr daran, die Werte des Sports zu vermitteln.
Wir haben eine Vielzahl von Marketingaktivitäten, die dazu da sind, Produkte zu platzieren, Produkteigenschaften zu kommunizieren und Menschen zum Kauf unserer Produkte zu animieren. Das Wohltätigkeitsthema verfolgt da einen ganz anderen Zweck – schließlich ist und bleibt das primäre Ziel hier die Hilfe für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt.
Welche Rolle spielen die Sportstars als Idole und Vorbilder bzw. Botschafter, wie sie in der Laureus Stiftung heißen?
Da wären wir wieder bei der unternehmerischen Verantwortung innerhalb der Gesellschaft ... ... die sich nicht kurzfristig für eine Marke auszahlen muss. Ich bin allerdings überzeugt, dass sich Anständigkeit und wohltätige Aktivitäten langfristig auch finanziell auszahlen, weil auf lange Sicht durchaus wahrgenommen wird, wer hier ein guter gesellschaftlicher Partner ist – und wer nicht. Es ist aber keine kurzfristig angelegte Marketing-Initiative.
Sie begleiten Laureus, seine Projekte und prominenten Botschafter ja sehr eng. Was hat Sie persönlich im Umgang mit den Sportlern und Kindern am meisten beeindruckt? Wir betreuen inzwischen als globale Organisation über 100 Projekte in der ganzen Welt, davon allein elf in Deutschland und Österreich. Ausnahmslos mit Kindern, die aus benachteiligten Milieus kommen, dazu muss man also nicht immer gleich nach Afrika oder Südamerika gehen. Bei diesen Projekten geht es darum, sozial benachteiligten Kindern wieder Hoffnung zu geben, ihnen beizubringen, dass es Dinge gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt. Bei „Kick im Boxring“ in Berlin – unterstützt übrigens von den Klitschko-Brüdern als Schirmherren – geht es buchstäblich darum, Jugendliche mit Gewaltpotenzial von der Straße zu holen. Wir wollen diesen jungen Menschen mit Hilfe des Sports beibringen, wie sie sich gegenseitig respektieren und soziale Probleme gewaltfrei lösen können. Bei Laureus Sport for Good
Zunächst möchte ich betonen, dass sich sämtliche Sportler absolut unentgeltlich bei Laureus engagieren. Das sind Menschen, die sehr viel erreicht haben und einen Teil davon zurückgeben möchten. Für mich ist es immer wieder beeindruckend, zu erleben – ganz gleich ob bei einem Projekt in Berlin oder in Afrika –, wie diese Sportlegenden mit den Kindern und Jugendlichen umgehen. Das ist einfach fantastisch!
Laureus ist jetzt 13 Jahre alt ... Ja, und seit Beginn steht das Thema „Sport for Good“ mit seinen vielen sozialen Projekten eindeutig im Mittelpunkt. Übrigens auch in der Berichterstattung, die sich inzwischen überwiegend auf diese Projekte bezieht und damit auf das Herzstück von Laureus – und weniger auf die Sportlegenden. Aktuell unterstützen wir mit unseren gut 100 Projekten rund 1,5 Millionen Kinder und haben hierfür bereits mehr als 55 Millionen Euro gesammelt. Es ist schon außergewöhnlich, wenn es – wie beim Charity-Abend in München – gelingt, an einem einzigen solchen Abend in Deutschland 1,5 Millionen Euro einzusammeln. Das stimmt mich auch deshalb sehr positiv, weil es zeigt, dass wir gewillt sind, unserer Verantwortung gerecht zu werden.
Ihre spürbare persönliche Begeisterung für das Projekt lässt vermuten, dass Sie sportlich sehr aktiv waren? Ich bin ja Norweger und habe Skifahren bis ins Studium hinein wettbewerbsmäßig betrieben. Deshalb kann ich gut beurteilen, was hartes Training bedeutet. Sport hat mir ungeheuer viel gebracht, hat meine Konzentration verbessert, mein Wettbewerbsgefühl gestärkt, die Freude am Umgang mit anderen Menschen. Die Gemeinsamkeit durch Sport ist etwas ganz Elementares.
WIRTSCHAFT // Deutscher Nachhaltigkeitspreis
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Nachhaltig aus Prinzip ER IST DIE BEDEUTENDSTE UND BEGEHRTESTE AUSZEICHNUNG FÜR NACHHALTIGES ENGAGEMENT IN DEUTSCHLAND: der Deutsche Nachhaltigkeitspreis. Keine Institution hat es geschafft, nachhaltige Impulse ähnlich effektiv zu setzen und dem Thema derartige Relevanz zu verleihen. Dabei messen sich die Organisatoren auch selbst an höchsten Nachhaltigkeitsmaßstäben. PURE WARF BEI DER FÜNFTEN VERGABE DES PREISES EINEN BLICK HINTER DIE KULISSEN, ZEIGT BEISPIELE AUF UND STELLT DIE GEWINNER UND NOMINIERTEN VOR
von Henrik Pfeiffer
Nie zuvor war der Tagungsort, das Düsseldorfer Maritim Hotel, zum Veranstaltungszeitpunkt so gut besucht wie beim fünften Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Stefan Schulze-Hausmann, Vorsitzender der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis e.V. und Initiator der Auszeichnung, gelang es erneut, ein Spitzenaufgebot aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Medien zum Event zu versammeln, das sich erstmals über zwei Tage erstreckte – jeweils bestehend aus einem Tageskongress und einer Preisverleihung am Abend. Der erste Tag war dem öffentlichen Sektor mit Städten und Gemeinden gewidmet, während am zweiten Tag die Wirtschaft im Mittelpunkt stand. Wissens- und Erfahrungstransfer mit Vorträgen und Podiumsdiskussionen tagsüber, festliche Awardveranstaltung am Abend – mit diesem Erfolgsrezept schafften es die Veranstalter, 2012 erneut einen Besucherrekord mit insgesamt rund 2.000 Besuchern aufzustellen und Nachhaltigkeit wiederum ein Stück tiefer in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu verankern. Es liegt in der Natur von Großveranstaltungen dieser Art, dass sie mit Blick auf ihre nachhaltigen Eigenschaften oft problematisch sind. Einer der Hauptgründe dafür ist die große Besucherzahl. Mobilität, Transport, Energie- und Wasserverbrauch, Abfallmanagement – die Betrachtung dieser Aspekte im großen Maßstab macht
Prominente Gäste: Ronald Pofalla (o.l. mit Initiator Stefan Schulze-Hausmann) verlieh Unternehmenspreise für nachhaltige Zukunftsstrategien; Ehrenpreise für nachhaltiges Engagement erhielten u.a. die mexikanische Außenministerin Amb. Patricia Espinosa Cantellano sowie der Sänger José Carreras
deutlich, dass sich der Deutsche Nachhaltigkeitspreis, bezogen auf Organisation und Ausrichtung, Jahr für Jahr den gleichen Problembereichen stellen muss wie seine Adressaten: Unternehmen, Städte und Gemeinden. Daher achteten die Organisatoren präzise auf die Einhaltung der Regeln nachhaltiger Entwicklung. Als Orientierungsgrundlage diente der Leitfaden für die Organisation von Großveranstaltungen des Bundesumweltministeriums. Die durch die Reiselogistik des Events entstehenden CO2-Emissionen werden berechnet und kompensiert. Die Partner für die einzelnen Veranstaltungsleistungen wurden sorgfältig ausgewählt, um in jedem Bereich das jeweils führende Unternehmen in Sachen nachhaltiges Wirtschaften heranzuziehen. Auf diese Art entstand ein Gesamtkonzept, das mit Blick auf Ressourcenschonung und Energieeffizienz durchweg als vorbildlich zu bezeichnen ist und den CO2-Fußabdruck dieser Großveranstaltung auf ein Minimum reduzierte. Die Gesamtleistung zu beschreiben, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen, denn das nachhaltige Konzept umfasst tatsächlich alle Bereiche, inklusive vieler Partner und Sponsoren des Events. Besonders beeindruckt haben uns die folgenden Beispiele.
DAS CATERING: ERNÄHRUNGSBEWUSST, RESSOURCENSCHONEND, EXKLUSIV Die Prominenz, die zugegen war, reichte bis in die Küche: Unter Holger Strombergs Leitung wurde am Abend des zweiten Veran-
staltungstages ein Galamenü für rund 1.200 Personen zubereitet. Die Mitwirkung des bekannten TV-Kochs und Küchenchefs der Deutschen Fußballnationalmannschaft garantierte auch das nötige Verständnis für die Ansprüche einer exklusiven Gästeschaft, die großen Wert auf Nachhaltigkeit legt. Für das Drei-Gänge-Menü kamen Zutaten aus regionalem, saisonalem und ökologischem Anbau auf den Teller. Zu den zertifizierten Lieferanten zählten die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall sowie die Fischmanufaktur Deutsche See, „Deutschlands nachhaltigstes Unternehmen 2010“. Fruchtsäfte stellte die Traditions-Obstkelterei Van Nahmen, die heimische Früchte nach bewährter Mostertradition verarbeitet; die angebotenen Weine stammten von Alois Lageder, einem der renommiertesten Winzer Europas, bekannt für Spitzentropfen aus biologisch-dynamischem Anbau. Die Bio-Biere „Fidelio“ und „Landzüngle“ steuerte die Allgäuer Brauerei Clemens Härle bei, ein Branchenpionier, der Produktion und Vertrieb als erste deutsche Brauerei zu 100 % klimaneutral gestaltet.
DAS INFORMATIONSMATERIAL: NICHT VON PAPPE Der Bereich Kommunikationsmittel ist bei Großveranstaltungen ein sensibles Thema, wenn Nachhaltigkeitsfragen in die Bewertung einfließen. Die Gründe liegen auf der Hand: Noch immer lässt sich die Information großer, mobiler Personengruppen am effektivsten und günstigsten durch Gedrucktes gewährleisten. Die Herstellung des dafür benötigten Papiers verschlingt jedoch große Mengen
WIRTSCHAFT // Deutscher Nachhaltigkeitspreis
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AUF GLEICHEM KURS:
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PARTNER DES DEUTSCHEN NACHHALTIGKEITSTAGES
CCS DIGITAL_FABRIC GMBH DRUCKSTUDIO GRUPPE DÜSSELDORF `
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Papier wird beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis weitgehend vermieden. Wo das nicht möglich ist, haben die Organisatoren 2012 erneut die Düsseldorfer Druckstudio Gruppe als Projektpartner für Printprodukte ausgewählt. Das Unternehmen (rechts Geschäftsführer Werner Drechsler), Branchenvorbild in Sachen Nachhaltigkeit, stellte als weltweit erste Druckerei seine Produktion durchgängig auf die umweltfreundlichen Verbrauchsmaterialien aus der Saphira Eco-Linie der Heidelberger Druckmaschinen AG um. Druckstudio ist nach den anerkannten Normen für Qualitäts-, Umwelt- und Energiemanagement zertifiziert und wurde vielfach ausgezeichnet – zum Beispiel als einzige Druckerei zum vierten Mal im Wettbewerb als „Deutschlands bester Arbeitgeber“ sowie für sein Engagement bei Jugendhilfsprojekten.
HOLGER STROMBERG `
`
Bereits mit 23 Jahren, und damit als jüngster Koch Deutschlands, erhielt Holger Stromberg, der einer Gastronomenfamilie mit über 180-jähriger Geschichte entstammt und seine Ausbildung in Sterne-Restaurants wie Le Crocodile in Straßburg und Der Schwarze Adler in Oberbergen durchlief, einen Michelin-Stern. Seit 2007 gehört er als Küchenchef der Deutschen Fußballnationalmannschaft zum offiziellen Betreuerstab des DFB. Mit seiner Firma Stromberg Catering bietet er europaweit Gastronomie für Großveranstaltungen an. Seine Aktivitäten sind vielfältig: Er ist als TV-Koch tätig, verfasst Magazinbeiträge, Kochbücher sowie die Online-Kolumne „Nachgesalzen“ bei Zeit Online und war sogar schon Foto-Model in Zeitschriften. Beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis trat er jedoch in seiner gewohnten Paraderolle in Erscheinung: Als Catering-Chef am zweiten Veranstaltungstag kümmerte er sich um das leibliche Wohl der 1.200 Gäste.
Ein Debüt der besonderen Art gab in diesem Jahr ein vergleichsweise kleiner, aber bemerkenswerter Partner: die CCS digital_fabric GmbH (im Bild die Geschäftsführer Jürgen Hansen und Peter Zöller). Sie produziert großformatige digitale Textildrucke für die Raumgestaltung. Vom Wandbild bis zum hinterleuchteten Komplettmessestand realisiert CCS seit 1982 Großbilder für unterschiedlichste Kunden. Alle Verfahren und Produkte des Düsseldorfer Unternehmens zeichnen sich durch umweltfreundliche Eigenschaften aus. Zum Vorreiter der Branche in Bezug auf Umwelt- und Ressourcenschonung wurde CCS aber vor allem durch die Entwicklung der Hochleistungstextilie CCSPET sowie des modularen Aluminium-Rahmensystems fabric_frame – also jener beiden ressourcenschonenden und wiederverwendbaren Produkte, die auch für die Raumdekoration beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgewählt wurden (siehe oben).
ALOIS LAGEDER `
Er hat den biodynamischen Weinanbau in Südtirol gegen viele Widerstände erfolgreich eingeführt und gilt längst als Vorreiter einer nachhaltigen Entwicklung, die inzwischen das ganze Land erfasst hat. Überzeugt von den Idealen und der organisatorischen Konsequenz des Deutschen Nachhaltigkeitspreises, beliefert er die Veranstaltung mit ebenso nachhaltig erzeugten Weinspezialitäten. Alois Lageder über seine Beweggründe: „Seit Anfang der 90er Jahre, als wir begonnen haben, den Neubau im Ansitz Löwengang (Margreid) zu planen, haben wir es uns zum Ziel gesetzt, nachhaltig zu handeln. Das Thema Nachhaltigkeit ist uns ein sehr wichtiges Anliegen; die Gesellschaft sollte vermehrt für diese Aspekte sensibilisiert werden – daher haben wir auch mit großem Interesse die Entscheidung von Stefan Schulze-Hausmann und Dr. Florian Wecker begrüßt, diese Veranstaltung ins leben zu rufen, und dafür unsere Unterstützung gezeigt.“
Prickelnde Erfrischung, selbst gemacht! Holz oder andere Zellulosematerialien, Farbe und vor allem Wasser. Hinzu kommt, dass die verwendeten Printmedien nach der Veranstaltung meist Makulatur sind und entsorgt werden. Beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis verzichtete man daher, wo möglich, auf papierne Kommunikationsmittel oder setzte mit dem Blauen Engel zertifiziertes Recyclingpapier ein. Es bildete die Grundlage für die ansprechend gestalteten Karten, Pläne und Broschüren, die dazu dienten, die Gäste und Teilnehmer des Deutschen Nachhaltigkeitspreises zu informieren und zu inspirieren. Hergestellt hat diese Printmedien auch dieses Mal wieder die nicht nur in puncto Nachhaltigkeit vorbildliche Düsseldorfer Druckstudio Gruppe (siehe unten „Partner des Deutschen Nachhaltigkeitstages“).
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kein lästiges Schleppen
UND DIE WICHTIGSTE NEBENSACHE: PRÄSENTATION Was wären Veranstaltungen wie der Deutsche Nachhaltigkeitspreis ohne stil- und stimmungsvolles Ambiente? Beeindruckend gestalten lassen sich die Veranstaltungsräume am besten durch großflächige Wandbilder, effektvoll bedruckt mit Fotos und Grafiken. Allerdings bringen solche Großbilder, die zumeist nur ein einziges Mal verwendet werden, normalerweise auch etliche Probleme mit sich: Sie erfordern einen hohen Transportaufwand und die für sie benötigten Materialien und Farben enthalten häufig ausdünstende Chemikalien, vom anfallenden Verpackungsmüll ganz zu schweigen. Um all dies zu vermeiden bzw. auf ein Minimum zu reduzieren, wurden die repräsentativen Bereiche wie Foyer, Empfangsbereich sowie der Logohintergrund der Red-Carpet-Area des Deutschen Nachhaltigkeitspreises mit der Recycling-Textilie CCSPET und dem modularen, transporteffizienten Rahmensystem fabric_frame dekoriert. Beide Produkte hat die in Düsseldorf ansässige CCS digital_fabric GmbH entwickelt. Für die Eventausstattung, Beleuchtung und Beschallung war auch in diesem Jahr die Firma satis&fy zuständig. Aus gutem Grund nehmen die Organisatoren seit 2008 die Dienstleistungen der Firma mit Hauptsitz in Karben in Anspruch: Als eines von wenigen Unternehmen seiner Branche schafft es satis&fy, Messen und Großveranstaltungen mit einem ausgesprochen niedrigen CO2-Footprint auszurichten, ohne dabei repräsentative Aspekte außer Acht zu lassen. So kam das Ur-Rednerpult des ersten Deutschen Nachhaltigkeitstages auch 2012 zum Einsatz, ein Herzstück der Veranstaltung, das inklusive seiner Transportverpackung von vornherein so konzeptioniert wurde, dass es immer wieder verwendet werden kann. Überhaupt stehen Energieeffizienz, Wiederverwendung und Wiederverwertbarkeit bei satis&fy im Mittelpunkt der Planung von Veranstaltungen. Teppiche werden im Anschluss zu Polstern und Verpackungen recycelt, ebenso werden erzeugte Abfälle und Verpackungen auf ein Minimum reduziert. Transportwege werden so kurz und effizient wie möglich gehalten, Abgase der eigenen LKWFlotte mithilfe der innovativen AdBlue-Technik gereinigt – und zu guter Letzt werden die dank des ressourcenschonenden Systems von CCS ohnehin schon umweltfreundlich gestalteten Druckfarben- und Dekomaterialieneinsätze auf kluge Weise minimiert: Die beeindruckende Hauptbühnengestaltung gelingt anstatt durch bedruckte Vorhänge durch Projektionen.
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WIRTSCHAFT // Deutscher Nachhaltigkeitspreis
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DEUTSCHE VORBILDER ZUM FÜNFTEN MAL WURDE IM DEZEMBER DER DEUTSCHE NACHHALTIGKEITSPREIS VERGEBEN. Die Rekordzahl von 680 teilnehmenden Unternehmen belegt den enormen Stellenwert des Themas für die deutsche Wirtschaft. Ausgezeichnet wurden Unternehmen, die wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Verantwortung und umweltschonender Produktion verbinden. IN EINEM AUFWENDIGEN AUSWAHLVERFAHREN WURDEN KONSEQUENTES NACHHALTIGKEITSMANAGEMENT, ZUKUNFTSWEISENDE PRODUKTE UND NACHHALTIGKEITSTHEMEN IN DER MARKENFÜHRUNG BEWERTET
Zusätzlich zu den bisherigen Kategorien des Wettbewerbs gab es in diesem Jahr neben dem BMBF-Forschungspreis „Nachhaltige Entwicklungen“ und der Auszeichnung „Deutschlands papierfreundlichste Unternehmen“ erstmals auch den „Blauer Engel-Preis“. Mit diesen neuen Preiskategorien prämierte der Deutsche Nachhaltigkeitspreis Forscher und Forscherteams, die „Sustainability made
in Germany“ voranbringen; außerdem Firmen, die vorbildlich mit der Ressource Papier umgehen sowie Unternehmen, die sich in herausragender Weise für den Blauen Engel einsetzen. pure präsentiert an dieser Stelle die Top 3 der Unternehmen in jeder Kategorie und würdigt dabei besonders ausführlich die Sieger – die nachhaltigsten Unternehmen 2012 in Deutschland.
KATEGORIE „DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE UNTERNEHMEN“ In dieser Kategorie wurden Unternehmen mit durchgehend herausgezeichnet. Mit seinen multidisziplinären Anforderungskriterien stellt
KATEGORIE „DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE MARKEN“ Ein Preis für Unternehmens- oder Produktmarken bzw. Unternehmen
dieser Preis den wohl wichtigsten und bedeutendsten der Veranstal-
mit herausragendem Nachhaltigkeitsmanagement, die in besonderer
tung dar.
Weise Nachhaltigkeitsaspekte in der Markenführung berücksichtigen.
„DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTES UNTERNEHMEN 2012“:
„DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE MARKE 2012“:
ragender Nachhaltigkeitsleistung in allen relevanten Bereichen aus-
GLS BANK
FROSTA TIEFKÜHLKOST GMBH Seit 2003 bildet das postulierte „Reinheitsgebot“ des mittelstän-
Als erste sozial-ökologische Universalbank der Welt finanziert die GLS
dischen Herstellers von Tiefkühlkost, das einen Verzicht auf sämtliche
Bank ausschließlich sozial-ökologisch orientierte Geschäftsmodelle
Zusatzstoffe, also Farbstoffe, Aromazusätze und Geschmacksverstär-
und fördert nachhaltige Projekte durch gezielte Kreditvergaben. Dabei
ker, bedeutet, den Markenkern des Unternehmens. Mit dieser Selbst-
setzt das Unternehmen konsequent und erfolgreich Nachhaltigkeit im
verpflichtung begann die Umstellung zum nachhaltigen Unternehmen
Kerngeschäft um. Im Vergleich zu konventionellen Finanzprodukten
– obwohl dies zunächst erhöhte Produktionskosten und deutliche
haben die Sparangebote der GLS Bank ein CO2-Reduktionspotenzial von 67 %. Mit dem „Bio-Bodenfonds“ setzt sie sich für die Erhaltung
Umsatzverluste erzeugte, hielt FRoSTA an der Strategie fest. Das
des größten ökologisch bewirtschafteten Ackerbaugebiets Europas
liche Unternehmensentscheidungen. Diese nachhaltigkeitsorientierte
ein.
Positionierung mit Schwerpunkt auf gesunder Ernährung wird intern
Durch ihre Investitionen gestaltet die Bank die Energiewende proaktiv
durch Instrumente wie ein Markenbuch, entsprechende Verpackungs-
mit. Ihre Kunden können bei jeder Geldanlage die Mittelverwendung
regeln, etwa die gute Lesbarkeit der Zutatenliste, sowie eine schriftlich
mitbestimmen. Die internen Betriebsabläufe werden ständig zuguns-
fixierte „Entwicklungspolicy“ umgesetzt und von einer offenen Unter-
ten der Umwelt verbessert, etwa durch Papiervermeidung, Dienstfahr-
nehmenskultur flankiert. Letztere zeigt sich beispielsweise im seit 2005
räder und Klimaneutralität des Unternehmens. Um gemeinnützige
existierenden FRoSTA-Blog, in dem sich Mitarbeiter unzensiert zu
Einrichtungen zu unterstützen, entwickelte die GLS Bank ein spezielles
verschiedensten Themen öffentlich äußern. Die Markenwerte werden
Finanzierungsangebot, das günstige Darlehenskonditionen für die
konsequent umgesetzt, unter anderem durch den ausschließlichen
Institutionen ermöglicht. Darüber hinaus vergab sie bis Anfang 2012
Bezug von MCS-zertifiziertem Fisch. Die Markenkommunikation ist
Mikrokredite an über 6.000 Klein- und Kleinstunternehmen in Deutsch-
von Offenheit und Transparenz geprägt. Die Wandlung von einer kon-
land. Spekulative Geschäfte finden bei der GLS Bank nicht statt, damit
ventionellen zu einer erfolgreichen nachhaltigen Marke hat bei Konsu-
setzt die GLS Bank als Vorreiter im Bereich nachhaltiger Bankdienst-
menten und Stakeholdern zu einer positiven Wahrnehmung geführt,
leistungen ein deutliches Zeichen.
die sich ebenso günstig auf den Unternehmenserfolg auswirkt.
EBENFALLS UNTER DEN TOP 3 „DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE UNTERNEHMEN 2012“:
EBENFALLS UNTER DEN TOP 3 „DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE MARKEN 2012“:
HIPP WERK GEORG HIPP OHG Die Jury beeindruckte, wie umfassend HiPP sich seit den 1960er Jah-
ENTEGA Die Jury würdigte sowohl die konsequente Markenpositionierung als
ren für Nachhaltigkeit einsetzt. Sie würdigte das insgesamt beeindru-
auch insbesondere die diskurs- und aufmerksamkeitsstarke Marken-
ckende Engagement von HiPP mit einer Nominierung in der Katego-
kommunikation von entega durch eine Nominierung für die Kategorie
rie „Deutschlands nachhaltigste Unternehmen“.
„Deutschlands nachhaltigste Marken“.
SCA HYGIENE PRODUCTS SE SCA als größter privater Waldbesitzer Europas setzt für die Gewin-
SPEICK NATURKOSMETIK Die seit Generationen konsistent nachhaltige Markenpositionierung,
nung von Zellstoff ausschließlich auf FSC-zertifizierte Waldbewirt-
die starke interne Verankerung der Markenwerte wie auch die sehr gu-
schaftung. Die Unternehmensinitiative Tissue Europe Wood Sourcing
ten Markenwirkungen unter Berücksichtigung beschränkter Budgets
Policy berücksichtigt Aspekte wie Rückverfolgbarkeit, Einhaltung von
bezeichnete die Jury als vorbildlich. Daher wurde die Unternehmens-
ökologischen und sozialen Kriterien und die Dokumentation der Pro-
marke SPEICK unter die Top 3 in dieser Kategorie gewählt.
duktkettenzertifizierung (FSC, PEFC), so die Jury-Begründung für die Nominierung.
Reinheitsgebot gilt für alle Produkte und bildet die Basis für sämt-
WIRTSCHAFT // Deutscher Nachhaltigkeitspreis
KATEGORIE „DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE ZUKUNFTSSTRATEGIEN“ In dieser Kategorie wurden jeweils ein großes (Konzern) und ein kleines bzw. mittelständisches Unternehmen (KMU) ausgezeichnet, die jeweils durch ihre strategische Ausrichtung in besonderer Weise aktuelle und künftige Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung adressieren.
„DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE ZUKUNFTSSTRATEGIE (KONZERN) 2012“:
„DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE ZUKUNFTSSTRATEGIE (KMU) 2012“:
AFB GEMEINNÜTZIGE GMBH UNILEVER DEUTSCHLAND GMBH
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Die AfB GmbH ist ein Sozialunternehmen, das ein Geschäftsmodell zum Weiterverkauf gebrauchter IT-Hardware realisiert und Menschen
Unilever ist einer der weltweit größten Anbieter von Konsumgütern in
mit Behinderung beschäftigt. Das Konzept basiert auf Patenschaften
den Geschäftsfeldern Foods, Personal Care und Home Care. Durch
großer Konzerne, mittelständischer Unternehmen, öffentlicher Ein-
die Einführung seines „Sustainable Living Plan“ hat das Unterneh-
richtungen und Banken, die ihre nicht mehr benötigte IT-Hardware
men ein weltweites, ambitioniertes Nachhaltigkeitsprogramm eta-
an AfB übergeben. Das Unternehmen gewährleistet im Gegenzug
bliert, das Zielvorgaben bis 2020 beinhaltet, unter anderem in den
die Abholung, inventarisiert, testet und repariert die Geräte, die an-
Bereichen Gesundheit und Wohlbefinden, Umwelt und Verbesse-
schließend in eigenen Niederlassungen oder im Online-Shop wieder
rung der Lebensgrundlagen. Zu den erklärten Zielen zählen etwa die
preiswert verkauft werden.
Halbierung des ökologischen Fußabdrucks bei Herstellung und Ge-
Damit löst AfB ein nach wie vor kritisches Problem: Unternehmen erset-
brauch der Produkte (Treibhausgase, Abfall, Wassereinsatz) sowie der
zen ihre EDV in der Regel nach drei bis vier Jahren. Dadurch entstehen
Bezug landwirtschaftlicher Rohwaren aus ausschließlich nachhaltigem
immer mehr Altgeräte, wovon etwa die Hälfte einfach entsorgt wird,
Anbau. Unilever hat bereits einige beeindruckende Projekte realisiert,
obwohl der Großteil noch voll funktionsfähig wäre. Eine sachgerechte
zum Beispiel ein eigenes System zur Zertifizierung von Rohwaren, für
Verwertung ausgemusterter IT-Hardware ist teuer und führt daher häu-
die bislang keine anerkannten internationalen Zertifizierungssysteme
fig über Zwischenhändler in Entwicklungsländer, wo sie unter widrigen
existierten.
Umständen in ihre Bestandteile zerlegt wird. Durch das AfB-Modell
Durch die 2011 entwickelten „5 Levers for Change“ soll zudem eine
verlängert sich die Lebensdauer gebrauchter IT um zwei bis drei Jah-
nachhaltige Veränderung des Verbraucherverhaltens gefördert wer-
re und vermeidet die problematische Entsorgung von Altgeräten in
den, das bis zu 70 Prozent des CO2-Fußabdrucks ausmacht. Ein weiterer Teil des „Sustainable Living Plan“ ist die Einbindung von mehr
Entwicklungsländern. Damit adressiert AfB zwei wichtige ökologische
als 500.000 Kleinbauern und -händlern in die Lieferantenkette. Zielver-
Menschen mit Behinderungen, für die spezielle Ausbildungskonzepte
einbarungsbasierte Bonizahlungen an Führungskräfte, gesteigertes
und Prozessinnovationen geschaffen wurden. Eine vorbildliche Stra-
Gesundheitsengagement für die Mitarbeiter, die Reduktion von Ver-
tegie, die alle drei Säulen der Nachhaltigkeit berücksichtigt: Soziale
packungsmaterial sowie eine umweltgerechtere Energieversorgung
und ökologische Maßnahmen führen auf gleicher Höhe erfolgreich zu
für Gebäude komplettieren die Nachhaltigkeitsstrategie von Unilever.
ökonomischen Vorteilen.
EBENFALLS UNTER DEN TOP 3 „DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE ZUKUNFTSSTRATEGIEN (KONZERN) 2012“
EBENFALLS UNTER DEN TOP 3 „DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE ZUKUNFTSSTRATEGIEN (KMU) 2012“
EBM-PAPST MULFINGEN GMBH & CO. KG Als „grünes Ventilatoren-Unternehmen“ stellt ebm-papst ein wesent-
SOCIAL FASHION COMPANY GMBH Die Jury überzeugte der erfolgreiche Ansatz der Social Fashion Com-
liches Differenzierungsmerkmal im globalen Wettbewerb. Die Jury
pany, mit Fairtrade-Mode ihrer bekannten Marke armedangels, nach-
beeindruckte auch die gute Quantifizierbarkeit der Angaben des Un-
haltiges Bewusstsein in einer jungen, modebewussten Zielgruppe zu
ternehmens. Daher hat das Gremium ebm-papst für diese Kategorie
steigern.
Probleme der heutigen Zeit. Die Hälfte der Belegschaft besteht aus
nominiert.
REMONDIS AG & CO. KG Die Jury beeindruckte der langfristig orientierte strategische Ansatz
VOELKEL NATURKOSTSÄFTE Wirtschaftlich erfolgreich erreicht Voelkel den Einklang zwischen ökologischen und sozialen Faktoren. Daher würdigte die Jury den Natur-
der Firma, der mit dem Recycling unterschiedlichster Abfallstoffe und
kostsäfte-Pionier mit einer Nominierung in der Kategorie „Deutsch-
der Wiederbereitstellung hochwertiger Rohstoffe einige der drin-
lands nachhaltigste Zukunftsstrategien (KMU)“.
gendsten ökologischen und gesellschaftlichen Probleme adressiert. Sie würdigte dies mit einer Nominierung in der Kategorie „Deutschlands nachhaltigste Zukunftsstrategien (Konzern)“.
„DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE PRODUKTE, DIENSTLEISTUNGEN UND INITIATIVEN“ Sonderpreise für einzelne besonders nachhaltige Produkte und Dienstleistungen, spezielle Leistungen in einzelnen Wertschöpfungsstufen sowie herausragende Nachhaltigkeitsinitiativen.
„DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTES PRODUKT 2012“ (PRODUKTE UND DIENSTLEISTUNGEN):
„DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE INITIATIVE 2012“:
KÜBLER GMBH FÜR DIE ENERGIE-
SYMRISE AG –
Die 1989 gegründete Kübler GmbH hat sich auf die Entwicklung
FÜR DIE VERANTWORTUNGSVOLLE BESCHAFFUNG VON VANILLE AUF MADAGASKAR Die Symrise AG mit Sitz im niedersächsischen Holzminden ist ein
von Hallenheizungssystemen spezialisiert. Dabei steht die Optimie-
globaler Anbieter von Duft- und Geschmacksstoffen, kosmetischen
rung der Energieeffizienz im Vordergrund. Im Fokus ihrer innovativen
Grund- und Wirkstoffen sowie funktionalen Inhaltsstoffen. Hier entste-
Produktentwicklung: Heizungssysteme, die Wärme mittels Infrarot-
hen in Kooperation mit den Kunden des Unternehmens neue Ideen
strahlung übertragen. Mit dem 2009 eingeführten Heizungssystem
und marktfähige Konzepte für Produkte des täglichen Lebens. Dazu
H.Y.B.R.I.D. gelang Kübler das bislang effizienteste Wärmekonzept
zählen unter anderem Parfums, Körperpflegeprodukte, Waschmittel
für Großräume. Das System ist eine Kombination aus Infrarotheizung
und Haushaltsreiniger, Getränke, Snacks oder Süßwaren – insgesamt
und konventioneller hydraulischer Warmwasserheizung. Die Infra-
mehr als 30.000 Produkte für Kunden in über 150 Ländern. Aufgrund
rotheizung ist mit 73,5 Prozent Direktwärme am Arbeitsplatz einer der
dieser Dimension ist Symrise einer der weltweit größten Abnehmer
effizientesten Infrarotstrahler auf dem Markt. Bis zu 15 Prozent der
von Bourbon-Vanille, die aus der Gewürzorchidee Vanilla Planifolia
Restwärme lassen sich für die Warmwasserheizung in angrenzenden
gewonnen wird. Rund 80 % des Weltbedarfs der Pflanze werden auf
Büroräumen nutzen. Gesteuert wird das Heizungssystem mit einer
Madagaskar angebaut, von wo auch Symrise ihre Rohstoffe bezieht.
Digitalsteuerung, die vom Computer aus bedient wird und so einen
Madagaskar ist geprägt durch hohe Armut und ein stark bedrohtes
Effizienzgewinn von bis zu 20 Prozent des Primärenergieeinsatzes
ökologisches Gleichgewicht. Symrise arbeitet vor Ort mit vielen tau-
ermöglicht. Durch die Kombination der verschiedenen Techniken
send Vanillebauern zusammen und produziert als einziges Unterneh-
werden mit H.Y.B.R.I.D. über den Lebenszyklus die CO²-Emissionen um bis zu 70 Prozent reduziert und damit gegenüber herkömm-
men der Branche Vanilleextrakte vor Ort, um zur lokalen Wertschöp-
lichen Systemen auch Ressourcen eingespart. Das Heizungssystem
lokalen NGOs und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen verbessert
H.Y.B.R.I.D. ist vielseitig einsetzbar und bietet für Kunden neben
das Unternehmen die Situation der madagassischen Bauern. Symrise
einem optimal abgestimmten Raumklima auch finanzielle Vorteile
gewährt ihnen kurzfristige Kredite, zahlt Krankenversicherungen und
durch die niedrigen Energiekosten. Spezielle Vertragsangebote er-
investiert in die Bildungsinfrastruktur, fördert aber auch den Anbau
lauben überdies eine Anschaffung ohne hohe Anfangsinvestitionen.
von Ergänzungskulturen wie Kakao und Nelken, um den Bauern zu-
SPARENDE HALLENBEHEIZUNG H.Y.B.R.I.D.
fung beizutragen. Durch die enge Zusammenarbeit mit Vanillebauern,
sätzliche Einkommensmöglichkeiten aufzuzeigen und die Biodiversi-
EBENFALLS UNTER DEN TOP 3 „DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE PRODUKTE/ DIENSTLEISTUNGEN 2012“ PROCTER & GAMBLE DEUTSCHLAND FÜR PAMPERS ACTIVE FIT WINDELN Procter & Gamble konnte die Lebensdauer seiner Verbrauchsgüter
tät zu stärken.
EBENFALLS UNTER DEN TOP 3 „DEUTSCHLANDS NACHHALTIGSTE INITIATIVEN 2012“:
unter Nachhaltigkeitskriterien innovativ verlängern und insbesondere
BERLINER STADTREINIGUNGSBETRIEBE AÖR (BSR) FÜR DIE SAMMLUNG UND VERWERTUNG VON BIOGUT Mit ihrer Initiative hat die BSR ein umfassend nachhaltiges Konzept
bei der Babywindel Active Fit über die Hälfte des Eigen- und über
entwickelt. Die Jury würdigte daher das vorbildliche Projekt zur ener-
zwei Drittel des Verpackungsgewichts einsparen. Die Jury würdigte
getischen Abfallnutzung und Kreislaufführung durch eine Nominie-
dies neben den konsequenten Nachhaltigkeitsanstrengungen von
rung in der Kategorie „Deutschlands nachhaltigste Initiativen“.
Procter & Gamble durch die Top-3-Platzierung in dieser Kategorie.
RESOPAL GMBH – FÜR RE-Y-STONE® Neben der festen Verankerung von Nachhaltigkeit im Kerngeschäft
FOLLOWFISH (FISH & MORE GMBH) Mit der Marke „followfish“ führte das Unternehmen Anfang 2008 Deutschlands erste Bio-Fischmarke für den Lebensmitteleinzelhandel
von Resopal würdigte die Jury das Produkt Re-Y-Stone® als Raumge-
ein, welche die Nachhaltigkeitskriterien des WWF vollständig erfüllt.
staltungsmaterial, das vollständig aus umweltfreundlichen Rohstoffen
Verbraucher können jedes Fischprodukt bis zu seinem Ursprung im
(recycelten Kern- und Dekorpapieren sowie Naturharz) besteht. Es lässt
Wasser online zurückverfolgen. Es ist das derzeit am stärksten wach-
sich in mehreren Stufen nutzen, zum Beispiel am Ende der Nutzungs-
sende Unternehmen in der Tiefkühlbranche mit nachhaltig geprägter
phase als Füllstoff in sogenannten Holz-Kunststoff-Verbundstoffen.
Wachstumsstrategie.
WIRTSCHAFT // Deutscher Nachhaltigkeitspreis
„BLAUER ENGEL-PREIS“
SONDERPREIS „DEUTSCHLANDS RECYCLINGPAPIERFREUNDLICHSTE UNTERNEHMEN“
Mit diesem Sonderpreis, 2012 zum ersten Mal vergeben, werden zusammen mit der Jury Umweltzeichen, dem Bundesministerium für
Mit diesem Sonderpreis soll die Bedeutung von Recyclingpapier
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, dem Umweltbundes-
als Leitbild verantwortlichen Wirtschaftens unterstrichen werden.
amt und der RAL GmbH Unternehmen gewürdigt, die sich in he-
Er würdigt Haltung und Handeln von Unternehmen, die Recycling-
rausragender Weise für das Umweltzeichen Blauer Engel einsetzen.
papiereinsatz in ihren Nachhaltigkeitsstrategien verankert haben.
„BLAUER ENGEL-PREIS“ 2012:
„DEUTSCHLANDS RECYCLING-PAPIERFREUNDLICHSTES UNTERNEHMEN 2012“:
J.W. OSTENDORF GMBH & CO. KG
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JACK WOLFSKIN GMBH & CO. KGAA
Durch ihr Nachhaltigkeitsmanagement ist die J.W. Ostendorf GmbH
Jack Wolfskin, der Anbieter von Outdoor-Bekeidung und -Ausrüstung,
& Co. KG ein wegweisendes Vorbild für ihre Branche. Der Farbenher-
hat sich zum Ziel gesetzt, die von ihm verursachten Umweltauswir-
steller entwickelt, produziert und vertreibt umweltfreundliche Farben, Lacke und Lasuren und ist erfolgreicher Vermarkter von Handelsmar-
kungen nachhaltig zu reduzieren und den CO²-Ausstoß deutlich zu senken. Seit 2010 ist das Unternehmen Mitglied der Fair Wear Foun-
ken. Seit der Erstkennzeichnung eines Produkts mit dem Blauen Engel
dation (FWF). Wichtiger Bestandteil des ökologischen Engagements
im Jahr 1984 hat das Unternehmen mittlerweile mehr als 680 Produkte
ist die nahezu ausschließliche Verwendung von Recyclingpapier mit
angemeldet. Damit ist es heute der größte Zeichennehmer des Blau-
dem Blauen Engel sowohl bei Büropapier als auch bei Katalogen. Die
en Engels im Bereich Farben, Lacke und Lasuren. Im Gegensatz zu
gezielte Nutzung des Umweltzeichens auf den Katalogen signalisiert
anderen Lacken haben die mit dem Blauen Engel ausgezeichneten
Kunden und Stakeholdern die Relevanz des Themas Papier für die
Lacke einen höheren Wassergehalt, sind wasserverdünnbar, enthalten
glaubwürdige Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien.
weniger umweltschädliche Stoffe und die Verwendung von Gefahr-
Der Wolfskin-Katalog ist die „Visitenkarte“ des Unternehmens und
stoffen ist nahezu ausgeschlossen. Der Einsatz emissionsarmer Pro-
erscheint zweimal jährlich mit einer Auflage von 1,6 Millionen Exem-
dukte mit dem Blauen Engel reduziert mögliche Gesundheitsgefahren
plaren. Die bewusste Entscheidung für die Verwendung von Recy-
auf ein Minimum.
clingpapier ist von besonders hoher Symbolkraft, denn sie zeigt einem
J.W. Ostendorf hat den größten Teil seines Produktsortiments nach
großen Adressatenkreis, dass sie höchste Druckqualität ermöglicht,
der RAL-UZ 12a für schadstoffarme Lacke sowie nach der RAL-UZ 102
und verdeutlicht, welche Rolle Papier für eine umfassende Nachhaltig-
für emissionsarme Wandfarben mit dem Blauen Engel zertifizieren
keitsstrategie spielt. Damit widerlegt Jack Wolfskin gängige Vorurteile
lassen. Dabei hat sich das Unternehmen bei der Weiterentwicklung
und sendet ein wichtiges Signal weit über die eigene Branche hinaus.
seiner Produkte konsequent an den strengen Kriterien des Blauen
Die umfassende Verwendung von Recyclingpapier durch Jack Wolf-
Engel orientiert und sich zudem an der Überarbeitung der Vergabe-
skin lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Produktsegment, in dem ökolo-
grundlagen engagiert beteiligt. Durch die Betonung des Umweltzei-
gische Einsparpotenziale bisher kaum genutzt werden. Das Unterneh-
chens in der Markenkommunikation trägt J.W. Ostendorf zu dessen
men zeigt vorbildlich, dass die Werbung vor allem im Katalogbereich
Bekanntheitssteigerung bei und multipliziert die Reichweite innerhalb
hohes Potenzial zur Ressourcenschonung birgt.
der Industrie.
EBENFALLS UNTER DEN TOP 3 „BLAUER ENGEL-PREIS“ 2012: HELLER-LEDER GMBH & CO. KG Als Vorreiter inspirierte das Unternehmen andere Mitbewerber der
EBENFALLS UNTER DEN TOP 3 „DEUTSCHLANDS RECYCLINGPAPIERFREUNDLICHSTE UNTERNEHMEN 2012“:
Branche, sich ebenfalls zertifizieren zu lassen, unterstützt Interessierte
ETHIKBANK Für die mustergültige Umsetzung des Nachhaltigkeitsengagements
beim Zertifizierungsprozess und unterhält enge Beziehungen zu zerti-
der EthikBank im Bereich Recyclingpapier erhielt das Unternehmen
fizierten Kunden. Die Jury würdigte diesen konsequenten Einsatz für
eine Nominierung für den Sonderpreis „Deutschlands recyclingpa-
den Blauen Engel daher mit der Nominierung unter die Top 3 „Blauer
pierfreundlichste Unternehmen“.
Engel-Preis“.
HÜLSTA-WERKE GMBH & CO. KG Als erster Zeichennehmer der Möbelproduktion ist hülsta Vorreiter
GREENPEACE ENERGY EG Das Engagement des Unternehmens ist vorbildlich und lenkt die Aufmerksamkeit auf oftmals in der Unternehmenswelt noch unterschätz-
in der Branche. Über die Mitwirkung in der Deutschen Gütegemein-
te Einflussmöglichkeiten, den Einsatz und das Bedrucken von Papier
schaft Möbel konnte hülsta erreichen, dass wesentliche Anforderun-
nachhaltiger zu gestalten. Die Jury würdigte mit der Nominierung die
gen des Blauen Engels in die Güte- und Prüfbestimmungen übernom-
beispielhaften Leistungen von Greenpeace Energy.
men wurden. Aufgrund dieser vorbildlichen Bemühungen hat die Jury hülsta nominiert.
Nachhaltigkeit richtet sich auch nach innen
INTERVIEW | DR. FLORIAN WECKER
MIT GUTEM BEISPIEL VORANGEHEN: Der Mitinitiator des Deutschen Nachhaltigkeitstages über Glaubwürdigkeit, den Anspruch, Nachhaltigkeit insgesamt nach vorne zu tragen, sowie eine in vielen Unternehmen immer noch stark unterschätzte Entwicklung
pure: Sie wollen die Nachhaltigkeit von Unternehmen vergleichbar und messbar machen, was ein hohes Maß an Transparenz und Glaubwürdigkeit voraussetzt. Wie glaubwürdig ist der Deutsche Nachhaltigkeitspreis? Leben Sie das Thema selbst vor? Wecker: Voraussetzung für unsere Glaubwürdigkeit ist zunächst eine herausragende Methodik, die nachvollziehbar ist und nach außen glaubwürdige Preisträger generiert. Diese Methodik haben wir über die letzten fünf Jahre mit unseren Partnern stets weiterentwickelt (Anmerkung der Redaktion: der Deutsche Nachhaltigkeitspreis arbeitet mit den Methodikpartnern AT Kearny, Prof. Dr. Meffert/ Prof.Dr. Baumgarth sowie dem Wuppertal Institut zusammen).
Wie aber leben Sie Nachhaltigkeit selbst, wie gehen Sie hier mit gutem Beispiel voran? Wir veröffentlichen jedes Jahr ein Logbuch, mit dem wir dokumentieren, was wir selbst tun, um CO² zu vermeiden. Nehmen Sie den Deutschen Nachhaltigkeitstag, wo wir nur mit Partnern zusammenarbeiten, die unser Nachhaltigkeitsverständnis teilen und unsere Anforderungen erfüllen. Zum Beispiel Holger Stromberg, der Koch der Fußballnationalmannschaft, der am Galaabend ein regionales, nachhaltiges Menü für ca. 1.200 Gäste zaubert.
Wie sieht es aber mit Partnern wie dem Coca-Cola Konzern aus, der nicht unbedingt auf den ersten Blick für lückenlose Nachhaltigkeit steht? Wir sind als Deutscher Nachhaltigkeitspreis auch im Sinne von Transparenz und Glaubwürdigkeit verpflichtet, alle Branchen mit ihren unterschiedlichen Unternehmensgrößen umfassend über die Methodik, aber auch in Bezug auf eine Zusammenarbeit abzudecken. Wenn dem nicht so wäre, könnten wir es uns einfach machen und uns auf Unternehmen konzentrieren, die allein aufgrund ihrer Produktausrichtung in einer Marktnische ohnehin schon nachhaltig sind. Dann hätten wir es vermutlich überwiegend mit kleinen Unternehmen zu tun. Wenn man dagegen wie wir den Anspruch verfolgt, das Thema gesamthaft und branchenübergreifend nach vorne zu treiben, muss man sich auch mit größeren Unternehmen beschäftigen, die im Regelfall größere Schwierigkeiten haben, Nachhaltigkeit gesamthaft anzugehen und umzusetzen, aber schlussendlich auch einen deutlich größeren Hebel haben. In diesem Kontext arbeiten wir beispielsweise auch mit Coca-Cola zusammen, die noch einen langen Weg vor sich haben (Anmerkung
der Redaktion: wie übrigens alle anderen Unternehmen auch), die sich aber bewusst sind, was Nachhaltigkeit für das Unternehmen bedeutet – für die Mitarbeiter, die Kunden und vor allem für die Produkte. Sie haben diesen Weg über unterschiedlichste Projekte eingeschlagen und setzen das Thema sukzessive operativ um.
Öko-Nischen sind gut fürs Image, treiben aber den Wandel nicht wirklich voran? Sie müssen es auch so sehen: Wenn Coca-Cola bei seinen Kühlgeräten weltweit eine Energieeinsparung von zehn Prozent schafft, hilft das unserem Klima mehr als sämtliche Anstrengungen der Öko-Nischenanbieter zusammengerechnet. Deshalb ist es so wichtig, gerade die Großen mitzunehmen – auch wenn man ihnen dabei etwas mehr Zeit einräumen muss.
Wie suchen Sie Partner für die Veranstaltung aus? Voraussetzung ist ein ähnliches Nachhaltigkeitsverständnis, wir müssen da einfach zusammenpassen. Für uns ist es aus besagten Überlegungen eher zweitrangig, wie weit diese Unternehmen in ihren Nachhaltigkeitsbestrebungen bereits sind. Wir als Nachhaltigkeitspreis versuchen hier vor allem zu motivieren und zu unterstützen, damit wir das Thema gemeinsam voranbringen und so gesamthaft einen möglichst großen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten.
Der Deutsche Nachhaltigkeitspeis besteht jetzt seit fünf Jahren. Was hat sich in dieser Zeitspanne verändert, welche Fortschritte können Sie erkennen? Immer mehr Unternehmen erkennen, dass Nachhaltigkeit nicht eine Randbedingung oder Modeerscheinung ist, sondern Bestandteil der Kernwertschöpfung. Diese Erkenntnis bedeutet zunächst für das einzelne Unternehmen richtig viel Arbeit. Dann ist aber auch entscheidend, dass man mit Nachhaltigkeit nicht nur beschwerliche Arbeit verbindet, sondern das Thema emotional so positiv auflädt, dass die Mitarbeiter einbezogen und motiviert werden und sich in noch stärkerem Maße mit dem Unternehmen identifizieren. Das ist übrigens eine Entwicklung, die von vielen noch stark unterschätzt wird – nachhaltig aufgestellte Unternehmen bekommen auch die entsprechenden Bewerber und können ihre Mitarbeiter besser binden. Nachhaltigkeit richtet sich zunehmend auch nach innen.
FOOD // Wasser
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DESIGN / NACHHALTIGKEIT `
Ohne Wasser kein Leben – diese Tatsache verleiht dem glasklaren Urelement eine beinahe mythische Aura, die schon unzählige Künstler, Designer und Wissenschaftler in Bann geschlagen hat
„DAS PRINZIP ALLER DINGE IST DAS WASSER, DENN WASSER IST ALLES UND INS WASSER KEHRT ALLES ZURÜCK.“ Thales von Milet
Quell des Lebens SO UNGLEICH WIE SEINE VERTEILUNG ÜBER DIE KONTINENTE IST AUCH DER UMGANG MIT UNSEREM ZWEITWICHTIGSTEN LEBENSMITTEL: Die einen verschwenden es bedenkenlos, die anderen umkämpfen es als kostbares Gut. Viele trinken es aus verseuchten Tümpeln, einige aus strassbesetzten Flaschen. Als Spitzenverbraucher erweist sich ein afrikanischer Staat. WASSER ZWISCHEN MANGEL UND ÜBERFLUSS, KULT UND KOMMERZ von Dr. Thomas Hauer
H2O – zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom. Diese einfache chemische Verbindung ist der Grundbaustein des Lebens. Denn es war das Wasser, das die Rolle des Geburtshelfers spielte bei der Entstehung der ersten organischen Verbindungen, die sich vor Jahrmilliarden in den Ur-Ozeanen – vermutlich in der Nähe unterseeischer Vulkanschlote – aus einem anorganischen Chemikaliencocktail entwickelten. Im Lauf der Zeit wurden diese Moleküle dann immer komplexer, bis daraus schließlich die ersten Bakterien wurden – der Beginn der Evolution. In jeder lebenden Zelle ist Wasser seither unentbehrliches Medium für den Ablauf zahlreicher Stoffwechselreaktionen, verleiht Proteinen ihre Struktur, hält unseren Blutkreislauf in Gang und reguliert über die Schweißbildung die Körpertemperatur. Ja unser Körper insgesamt besteht – je nach Alter, Geschlecht, Trainingszustand und Körperfettanteil – zu 40 bis 75 % aus nichts anderem als Wasser, und im Gegensatz zur Nahrungszufuhr, auf die wir im Notfall wochenlang verzichten können, bedeuten bereits wenige Tage ohne Flüssigkeitszufuhr den sicheren Tod. Unseren täglichen Flüssigkeitsbedarf, der für einen erwachsenen, in gemäßigten Breiten lebenden Mann mit etwa 75 Kilogramm Körpergewicht bei normaler Tätigkeit rund 2,4 Liter beträgt, decken wir zu etwa 50 % aus Getränken, zu 15 % aus dem Wasseranteil fester Speisen und zu 35 % aus Oxidationswasser, das bei der Umwandlung von Fetten, Proteinen und Kohlehydraten während der Verdauung entsteht. Ausgeschieden werden in 24 Stunden etwa 1,4 Liter Wasser in Form von Urin und Kot und noch einmal dieselbe Menge über Lunge (Ausatmung) und Haut (Schweiß). Mehr als 70 % der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt – und wäre die globale Landmasse gleichmäßig verteilt, das heißt, gäbe es keine Gebirge und würden die Polkappen komplett abschmelzen, wäre unser Planet rundum von einem 2.000 Meter tiefen Ozean bedeckt. Die weltweiten Wasserreserven belaufen sich nach aktuellen Schätzungen auf etwa 1,4 Milliarden Kubikkilometer, die in einem ständigen Kreislauf zirkulieren – der Motor des Weltklimas. 97 % dieser Gesamtmenge befinden sich in den Weltmeeren, das heißt, lediglich 3 % sind Süßwasser. Aber nur 0,3 % der globalen Wasservorräte stehen Menschen und Tieren tatsächlich als Trinkwasser zur Verfügung, der Rest ist an den Polkappen oder in den Permafrostböden der Tundra zu ewigem Eis erstarrt und aufgrund
seiner Zusammensetzung ungenießbar oder so unzugänglich, dass es nicht genutzt werden kann. MANGEL UND ÜBERFLUSS Gleichzeitig sind diese Wasservorräte sehr ungleichmäßig über die
Kontinente verteilt. So herrscht in manchen Regionen ein enormer Wasserüberschuss, in zahlreichen Ländern, insbesondere in Teilen Afrikas, aber auch Südeuropas, auf der Arabischen Halbinsel, im Nahen Osten oder im Stadtstaat Singapur und auf vielen Karibikinseln besteht dagegen akuter Wassermangel, der nur durch eine ausgeklügelte Infrastruktur ausgeglichen werden kann, über die sich das wertvolle Nass aus weit entfernten Reservoirs in die Mangelgebiete transportieren lässt. In Entwicklungsländern steht so eine Infrastruktur aber oft gar nicht zur Verfügung. Im internationalen Vergleich liegen die Deutschen mit einem durchschnittlichen privaten Pro-Kopf-Wasserverbrauch von rund 122 Litern pro Tag (wobei es allerdings erhebliche regionale Unterschiede gibt) gemessen an anderen europäischen Ländern eher auf einem der hinteren Plätze, sind also vergleichsweise sparsam im Umgang mit dem kostbaren Rohstoff. So liegt der Verbrauch in Norwegen mit etwa 260 Litern mehr als doppelt so hoch. Doch besitzen solche Zahlen nur eine bedingte Aussagekraft, denn im dünn besiedelten, wasserreichen Skandinavien würde auch ein dreimal so hoher Verbrauch kein Problem darstellen. Anders sieht es in Spanien aus, wo aktuell fast 270 Liter pro Tag verbraucht werden, obwohl dort in vielen Regionen seit Jahren akuter Wassermangel herrscht. Mit am höchsten liegt der Verbrauch aber ausgerechnet in einer der trockensten Regionen der Erde – nämlich in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo pro Tag und Kopf rund 500 Liter Wasser in Anspruch genommen werden. Hauptsächlich zum Bewässern von Golfplätzen, Gärten und für private Swimmingpools. Sollte diese Entwicklung ungebremst weitergehen, fürchten Experten, dass Wasser – wie Erdöl – in absehbarer Zukunft zum Gegenstand neuer kriegerischer Auseinandersetzungen werden könnte. Schon heute ist etwa der Nahostkonflikt zwischen Palästinensern und Israelis auch ein Streit ums Wasser, denn auch Israel gehört zu den Wassermangelgebieten. Und längst versuchen multinatio-
FOOD // Wasser
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Mangel und Überfluss: Die weltweiten Süßwasserressourcen sind sehr ungleich über den Erdball verteilt. Ein möglicher Auslöser für bewaffnete Konflikte der Zukunft?
nale Konzerne wie Nestlé oder Danone Waters sich weltweit die Rechte an diesem lebenswichtigen Rohstoff zu sichern, dessen Verkauf sich zu einem milliardenschweren Markt entwickelt hat. Insgesamt gesehen stehen heute rund 1,1 Milliarden Menschen nicht einmal 20 Liter Wasser pro Tag zur Verfügung, und mehr als 400 Millionen Menschen leben in Ländern, in denen Wasser bereits ein knappes Gut ist. Tendenz steigend: Es ist davon auszugehen, dass im Jahr 2050 ein Drittel der Weltbevölkerung unter chronischem oder wiederkehrendem Süßwassermangel leiden wird. Von den 122 Litern, die wir Deutschen verbrauchen, wird übrigens gerade einmal 1 Liter getrunken – meist in Form von Kaffee und Tee oder purem Leitungswasser. Mehr als 90 % fließen beim Baden und Duschen, beim Putzen, beim Geschirr- und Wäschewaschen und beim Toilettenspülen durch die Leitungen. VIRTUELLES WASSER Der private Wasserverbrauch macht am Ende aber nur einen Bruch-
teil der Wasserbilanz eines Landes aus – nämlich rund 3,8 %. Weitere 4,7 % werden in der Industrie verbraucht, aber fast 92 % landen in der Landwirtschaft und dienen der Bewässerung von Feldern und der Viehzucht. So liegt der tatsächliche Verbrauch von Wasser pro Einwohner und Tag in Deutschland inklusive Industrie und Landwirtschaft nicht bei 122 Litern, sondern bei 4.100 Litern, in den USA bei mehr als 7.000 Litern. Absoluter Spitzenreiter sind aber die Nigerianer mit 9.500 Litern. Wie kann das sein? Die Antwort lautet: virtuelles Wasser. Das ist die Menge, die im Verlauf der Erzeugung eines bestimmten Pro-
duktes verbraucht wird. Man unterscheidet dabei zwischen grünem virtuellem Wasser (das sind Niederschläge und natürliche Bodenfeuchte) und blauem virtuellem Wasser (künstliche Bewässerung bzw. Industriewasser). So werden für die Produktion von einem Liter Milch zwischen 100 und 400 Liter Wasser benötigt – je nachdem ob die Kuh auf der grünen Wiese Alpenkräutlein knabbert oder im Stall mit Hochleistungssoja gefüttert wird. Für ein Kilogramm Rindfleisch sind dagegen 15.000 Liter Wasser notwendig. Aber auch die Erzeugung von Konsumgütern verschlingt jede Menge Brauchwassser: die Herstellung eines DIN-A4-Blatts Papier 10 Liter, die eines modernen Mikrochips 32 Liter und die eines BaumwollT-Shirts stolze 1.200 Liter. PROBLEM TRINKWASSERQUALITÄT Doch nicht nur die Menge des verfügbaren oder tatsächlich ver-
brauchten Wassers ist von Bedeutung. Eine entscheidende Rolle spielt auch seine Qualität. Die ist in Europa und Nordamerika, wo Trinkwasser scharfen Kontrollen unterliegt und bei Bedarf mit Hilfe physikalischer oder chemischer Aufbereitungsverfahren behandelt wird, sehr gut. Ganz anders sieht es dagegen in Afrika, aber auch in weiten Teilen Asiens und Südamerikas aus. In der Dritten Welt gehen 80 % aller Erkrankungen auf verschmutztes Trinkwasser zurück. In Ländern wie dem Chad, Zambia oder auf Madagaskar haben weniger als 30 % der Einwohner Zugang zu sicherem Trinkwasser. Insgesamt sind mehr als 2 Milliarden Menschen weltweit durch verschmutztes Trinkwasser bedroht. Die hohe Bedeutung sauberen Wassers erleben aber auch Menschen in „zivilisierten“ Regionen. Zum Beispiel nach Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Überschwemmungen. Dann nehmen
Eine weitere, sehr energieaufwendige Methode ist das industrielle Entsalzen von Meerwasser in gas- oder ölbefeuerten Entsalzungsanlagen – in den Golfstaaten die Hauptquelle für die Trinkwassergewinnung. Die etabliertesten technischen Verfahren sind dabei die Umkehrosmose, die Membrandestillation und die mehrstufige Entspannungsverdampfung. MINERALWASSER UND CO. Das meiste Wasser, das in Industrienationen heute getrunken wird,
auch dort Erkrankungen wie Typhus, Cholera und Ruhr, die durch verunreinigtes Trinkwasser übertragen werden, oft epidemische Ausmaße an. ERSCHLIESSUNG VON RESERVOIRS Doch wo kommt Trinkwasser überhaupt her? Normalerweise unter-
scheidet man drei etablierte Verfahren zur Erschließung von Trinkwasservorkommen: Da ist zum einen das Bohren von Brunnen, mit denen oberflächennahe Grundwasserreservoirs, aber auch Tiefenwasser erschlossen werden können. Man unterscheidet dabei Schachtbrunnen für Grundwasser in Tiefen von maximal 10 Metern und Bohrbrunnen für Wasser in Tiefen von maximal 400 Metern. Die zweite Möglichkeit ist die Nutzung von Quellen, aus denen Grundwasser auf natürlichem Wege hervortritt. Geeignet für die Trinkwassergewinnung sind aber nur Quellen, die Tiefenwasser zu Tage fördern, da oberflächennahes Wasser, das erst kurz zuvor versickert ist, mit zahlreichen Umweltgiften und Schadstoffen belastet sein kann. Deshalb werden Trinkwasserquellen auch durch großräumige Trinkwasserschutzgebiete gegen Verunreinigungen von der Oberfläche her abgesichert. Zuletzt gibt es noch die Möglichkeit, Trinkwasser aus Oberflächengewässern wie Flüssen, Seen und Talsperren zu gewinnen. Bekanntestes Beispiel in Deutschland ist die Versorgung des Großraums Stuttgart mit Bodenseewasser: Aus einer Tiefe von rund 60 Metern wird vor dem Örtchen Sipplingen durch drei gewaltige Rohrleitungen Wasser angesaugt, mit Hilfe von Mikrosieben, Ozon- und Sandfilteranlagen aufbereitet und anschließend durch ein Fernleitungsnetz in die Schwabenmetropole gepumpt, die in einer vergleichsweise wasserarmen Zone liegt.
kommt aber längst nicht mehr aus der Leitung, sondern aus der Flasche. Wasser ist das neue Kultgetränk. So hat sich der Pro-KopfAbsatz von Mineralwasser in Deutschland in den letzten vierzig Jahren von jährlich etwa 12 Litern auf aktuell rund 136 Liter mehr als verzehnfacht – das entspricht mehr als 10 Milliarden Litern. Alleine hierzulande wurden 2011 mit dem Verkauf von Mineralund Heilwasser rund 3,1 Milliarden Euro umgesetzt. Aber wie entsteht Mineralwasser? Alles beginnt mit Niederschlägen, die vor Jahrzehnten, Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden auf die Erdoberfläche gelangt und dann versickert sind. Beim Durchqueren unterschiedlicher Gesteins- und Erdschichten wird das Wasser zunächst auf natürlichem Wege gefiltert und von allen gegebenenfalls darin gelösten Fremdstoffen gereinigt. Im Laufe vieler Jahre löst es dann auf seinem weiteren Weg durch das Erdinnere aus den dabei durchquerten Schichten wieder Mineralien und Spurenelemente, die sich in ihm anreichern. Da Zusammensetzung und Mächtigkeit dieser Schichten stark variieren, ergeben sich unterschiedliche Durchlaufzeiten, Quelltiefen und Mineralienprofile. Selbst Quellen, die nur wenige Meter auseinanderliegen, können deshalb eine ganz unterschiedliche Zusammensetzung haben. Um schließlich als Mineralwasser verkauft werden zu dürfen, muss ein Wasser verschiedene Kriterien erfüllen, die in der Deutschen Mineral- und Tafelwasserverordnung aufgeführt sind. Mineralwasser muss, im Gegensatz zu sogenanntem Quell- und Tafelwasser, ein amtliches Anerkennungsverfahren mit mehr als 200 Einzeluntersuchungen durchlaufen. Heilwässer, eine deutsche Spezialität, unterliegen dagegen dem Arzneimittelrecht. Die Qualität von Trinkwasser wird nochmals in einer eigenen Verordnung geregelt. VOM LEBENSMITTEL ZUM KULTOBJEKT Begonnen hat der unaufhaltsame Aufstieg der gesunden Erfri-
schung zum Lifestylegetränk in den frühen 1980er Jahren mit dem französischen Prickelwasser Perrier, an dem sich 218 v. Chr. schon Hannibal vor seiner Alpenüberquerung gelabt haben soll und das nun, abgefüllt in markante grüne Flaschen, innerhalb weniger Jahre zum global vertriebenen Lebenselixier einer ganzen Yuppie-Generation avancierte. Der Skandal um eine angebliche Verunreinigung mit hochgiftigem Benzol stoppte zwar den kometenhaften Aufstieg dieses flüssigen Goldes Ende der 80er Jahre jäh. Doch der nunmehr geweckte Mineralwasserdurst der Deutschen fand bald Alternativen. Die EU tat ein Übriges, indem sie die bis 1996 in Deutschland geltende Vorschrift, wonach ein Wasser pro Liter mindestens ein Gramm an Mineralien und Spurenelementen aufweisen musste, um sich mit dem Titel „Natürliches Mineralwasser“ schmücken zu dürfen, kurzerhand durch eine europaweite Verordnung ersetzte, die den deutschen Markt für oft sehr schwach mineralisier-
FOOD // Wasser
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te ausländische Wässer öffnete. Damit begann der Siegeszug von Volvic, Evian und Co. – alles stille Mineralwässer, die nur sehr wenige gelöste Mineralstoffe enthalten, aber eine stetig wachsende Fangemeinde haben. Heute machen stille Wässer rund 11 % am Mineral- und Heilwassermarkt aus. Sie sind unter anderem ideal zur Zubereitung von Babynahrung und Kaffee geeignet. Teeliebhaber werden damit allerdings nicht glücklich, verlangt Tee doch nach kalkreichem, eher hartem Wasser. Auf jeden Fall sind die milden Franzosen ideale Essens- und Weinbegleiter, weil sie eher neutral schmecken und das feine Aroma edler Tropfen oder Speisen zum Beispiel nicht durch einen ausgeprägten Salzgeschmack beeinträchtigen, der viele natriumreiche deutsche Mineralwässer auszeichnet. Auch stark sprudelnde Wässer passen nicht zum Wein und vertragen sich eher mit Bier und deftigen, fetten Speisen. Zu fruchtigen Weißweinen passen leicht sprudelnde Wässer allerdings meist besser als ihre stillen Pendants.
kräftig zur Verschmutzung des Rests der Welt beiträgt, locker mehr bezahlen als für eine Flasche leidlich guten Weines.
WASSERWELTMEISTER Übrigens hält die Bundesrepublik im Hinblick auf das Mineral-
GLAS ODER PLASTIK? Damit keine Missverständnisse aufkommen: Natürlich schmecken
wasserangebot mehrere Rekorde. So verkaufen die im Verband der Deutschen Mineralbrunnen e.V. zusammengeschlossenen mehr als 200 Brunnenbetriebe, die in sieben Regionen gegliedert sind, mehr als 500 verschiedene Mineral- und mehr als 40 Heilwässer: Von A wie Aachener Kaiserbrunnen bis Z wie Zwestener Löwensprudel, von den salzreichen Wässern aus der Vulkaneifel bis zu den milden von der Spree. Und auch das mineralienreichste Wasser der Welt, das gerade eben noch genießbar ist, kommt aus deutschen Landen. Genauer aus der Bad Mergentheimer Albertquelle: 42 Gramm Mineralstoffe und Spurenelemente sind in einem Liter gelöst. Natürlich schmeckt dieses Wasser scheußlich, ist rein medizinischen Zwecken vorbehalten und wird dazu in fingerhutgroßen Portionen konsumiert. Der römische Autor und Naturforscher Gajus Plinius erkannte schon um die Zeitenwende herum, dass es dieser Gehalt gelöster Inhaltsstoffe ist, der den Wert eines (Mineral-)Wassers ausmacht. Seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde Mineralwasser dann zu einem echten Exportschlager, war jedoch zunächst dem Adel vorbehalten. Von den königlichen und fürstlichen Höfen Europas eroberten die von Ärzten gepriesenen Heilund Mineralwässer dann aber auch die bürgerlichen Wohnzimmer und wurden, in Maßen genossen, gegen Ende des 19. Jahrhunderts fast für jedermann erschwinglich. Das erste Mineralwasser, das in Flaschen, genauer in flaschenförmigen Tonkrügen, verkauft wurde, war übrigens Chateldon aus dem französischen Zentralmassiv, das Lieblingswasser Ludwig XIV., das sich der Sonnenkönig nach Versailles liefern ließ. Noch heute wird dieses Wasser mit dem Namen seines prominentesten Konsumenten beworben. Richtig entbrannt ist der Hype ums Wasser aber erst Ende der 1990er Jahre, als findige Marketingstrategen erkannten, dass Wasser von exotischen Orten, in schicke Flaschen gefüllt und mit ein paar flotten Werbesprüchen unters Volk gebracht, eine regelrechte Lizenz zum Gelddrucken darstellt. Seither kann man im Laden für eine Flasche Voss aus „der unberührten Wildnis Norwegens“ oder für artesisches Fidjiwasser aus der Südsee mit dem „Taste of Paradise“ und selbstverständlich „frei von jeder Verschmutzung“, das dank PET-Verpackung aber hauptsächlich nach Plastik schmeckt und dank zwölftausend Kilometer Transportweg doch immerhin
Mineralwässer unterschiedlicher Provenienz sehr verschieden und haben (einen entsprechenden Mindestgehalt an Mineralstoffen und Spurenelementen vorausgesetzt) vermutlich auch eine gesundheitliche Wirkung. Aber die Konsumenten solcher Luxuserfrischungen sollten sich klarmachen, dass praktisch keines dieser Wässer eine Verpackung hat, die über ein deutsches Mehrwegsystem entsorgt werden kann. Und Wasser in Plastikflaschen sollte man überhaupt nicht kaufen. Nicht nur wegen des Abfalls (jedes Jahr landen weltweit Abermilliarden von Einweg-PETs in der Landschaft) oder wegen der aufgrund des langen Transportweges vernichtenden Ökobilanz, sondern vor allem wegen des Geschmacks: Wer je ein Glas Evian oder Volvic aus Glas- und Plastikflasche miteinander verglichen hat, sollte eigentlich schon aus purem Egoismus nie mehr zur Plastikflasche greifen – auch wenn sich der unangenehme süße Beigeschmack, für den im Wasser gelöstes Acetaldehyd verantwortlich ist, durch den Zusatz neuartiger Blocker zum PET-Granulat in den letzten Jahren abgeschwächt hat. Liebhaber sprudelnden Mineralwassers wissen aus Erfahrung, dass PET einfach nicht dieselbe Gasdichtigkeit besitzt wie Glas und kohlesäurehaltige Getränke in Plastikflaschen deshalb viel schneller abstehen. Trotzdem sprechen die aktuellen Branchenzahlen eine andere Sprache: Nur rund 25 % des Mineralwassergeschäfts entfallen noch auf Glas-Mehrwegverpackungen, 20 % dagegen auf PET-Mehrweg, 9 % auf die Konkurrenz von PETCYCLE und 45 % auf PET-Einwegverpackungen. Tendenz gerade im Einmalbereich weiter steigend – den 25 Cent Pfand pro Flasche zum Trotz.
Zu den neuen Lieblingen zahlungskräftiger Mineralwasserapostel gehören auch das japanische Finé, das neuseeländische Antipodes, das Heartease aus Wales, das gar Liebeskummer verscheuchen soll – oder das Cloud Juice aus Tasmanien. Eine Flasche davon enthält angeblich 9.750 Tropfen Regenwasser, das mit Hilfe riesiger aufgespannter Planen gesammelt wird. Aber es geht noch abstruser – mit Bling. Dieses Wässerchen aus dem amerikanischen Tennessee zeichnet sich einzig durch eine mit Swarovskikristallen verunzierte Flasche aus. Als wäre das nicht schon per se eine geschmackliche Entgleisung, schlägt es im Restaurant auch noch mit 75 bis 98 Euro zu Buche. Nicht pro Hektoliter, versteht sich, nein pro Flasche. Wer hier mittrinkt, ist selbst schuld oder gehört zur amerikanischen Hip-Hop-Szene – dort ist das müde Wässerchen nämlich Kult.
MINERAL- ODER LEITUNGSWASSER? Immer wieder wird im Zusammenhang mit Mineralwasser aber
auch die Frage diskutiert, ob es überhaupt Sinn macht, in Regionen, wo erstklassiges Leitungswasser zur Verfügung steht, zu vergleichsweise teuerem abgefülltem Mineralwasser zu greifen. Schließlich kostet die einem Kasten Wasser vom Getränkemarkt entsprechende Menge Wasser aus dem Hahn nur wenige Cent. Und stimmt es etwa nicht, dass Trinkwasser aus der Leitung das am besten kontrollierte und überwachte Lebensmittel überhaupt ist? Ja hat nicht eine aktuelle Untersuchung der Stiftung Warentest gerade wieder einmal belegt, dass die meisten stillen Mineralwässer
BUCHTIPPS
DIE WELT DES WASSERS `
Kann man in einer Blindprobe unterschiedliche Mineralwässer erschmecken? Welches Wasser passt zu welchem Gericht? Wie ist die Trinkqualität des deutschen Leitungswassers? Was ist lebendiges Wasser? Was macht eigentlich ein Wassersommelier? „Die Welt des Wassers“ lässt keine Fragen offen. Die Autoren Rose-Marie Donhauser und Jerk Martin Riese begleiten das Wasser von seinen Quellen in aller Welt bis zum Gourmetrestaurant. Sie beschreiben verschiedene Mineral-, Heil- und Tafelwässer, erläutern die gesundheitlichen Aspekte von – innerlich oder äußerlich angewendetem – Wasser, geben auch aus literarischer und philosophischer Sicht ungewöhnliche Einblicke in das nasse Element und stellen Berufe rund ums Wasser sowie dessen sinnliche Aspekte anschaulich dar.
Die deutsche Normbrunnenflasche (ganz links), ein Entwurf von Günter Kupetz aus dem Jahr 1968, ist mit ihren charakteristischen Noppen ein moderner Klassiker des Produktdesigns
Rose-Marie Donhauser und Jerk Martin Riese: Die Welt des Wassers. Erschienen 2009 im Umschau-Verlag, Neustadt/Weinstraße 192 Seiten, 19,90 Euro. ISBN: 978-3865286666.
nicht besser als Leitungswasser sind und oft sogar weniger Mineralstoffe enthalten, dafür aber teilweise gefährliche Keime, Reste von künstlichen Süßstoffen und das schon erwähnte Acetaldehyd? Vor diesem Hintergrund hat sich auf dem Markt ein System von Heimsprudelgerätschaften etabliert, das es erlaubt, für ein paar Cent pro Liter aus schalem Hahnwasser spritziges Sodawasser zuzubereiten. Denn es stimmt: Deutsches Leitungswasser ist eines der sichersten und qualitativ hochwertigsten Lebensmittel der Welt – nicht gänzlich frei von Verunreinigungen und Rückständen, doch die finden sich auch in zahlreichen Mineralwässern, wie auch eine Untersuchung von ÖKO-TEST zeigte: Im Juli 2011 wurden in 31 von 105 Mineralwasserproben Pestizidrückstände nachgewiesen. Allerdings sind die Grenzwerte für Mineralwasser deutlich strenger als für Trinkwasser aus der Leitung und zahlreiche der Substanzen und Verfahren, die bei der Aufbereitung von Trinkwasser zum Einsatz kommen, sind für Mineralwasser streng verboten. Außerdem gibt es auch bei Leitungswasser ein Problem: Gerade in älteren Gebäuden mit Bleirohren kann das Wasser unter ungünstigen Umständen Bleipartikel in bedenklicher Menge aus den Leitungen aufnehmen. Bei Dauerkonsum sind Gesundheitsschäden nicht auszuschließen, weshalb auch das Bundesumweltamt den Austausch alter Bleileitungen befürwortet. Da bei unsachgemäßer Installation der Leitungen oder wenn Wasser länger darin steht auch eine Verkeimung nicht auszuschließen ist, empfiehlt es sich gerade in Altbauten, morgens erst einmal einen oder zwei Liter Wasser ungenutzt aus dem Hahn laufen zu lassen.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden Mineralwässer wie das berühmte Selterswasser bevorzugt in flaschenförmige Tonkrüge abgefüllt und schon damals weit über die Abfüllregion hinaus nach ganz Europa exportiert
MENSCHEN // Interview Michael und Philipp Ketterer
„Wasser hat eine ganzheitliche Qualität“ Das Wasser für ihre Brauerei kommt aus einer spektakulären Quelle und hat innerhalb weniger Jahre einen geradezu legendären Ruf erlangt: MICHAEL UND PHILIPP KETTERER ÜBER DAS, WAS BEI MINERALWASSER DEN QUALITÄTSUNTERSCHIED AUSMACHT INTERVIEW | MICHAEL UND PHILIPP KETTERER
pure: Sie führen gemeinsam Ihre Familienbrauerei im Schwarzwald, haben 2002 als Tochterunternehmen die Hornberger Lebensquell GmbH gegründet und vertreiben seit 2005 auch ein artesisches Mineralwasser unter diesem Etikett. Wie kamen Sie auf die Idee, Ihr Brauwasser auch als Mineralwasser zu verkaufen? Michael Ketterer: Das war eigentlich nie so geplant. Als wir bei
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den Arbeiten zur Quellfassung für unser Brauwasser unvermutet auf einen unterirdischen Quellstollen stießen, der Fachleuten zufolge wahrscheinlich aus der Römerzeit stammt und in etwa 25 Jahren Arbeit von Hand in den Sandstein des Berges geschlagen worden ist, fragten wir uns: „Wie kostbar muss ein Wasser sein, für das unsere Vorfahren einen derart gigantischen Aufwand getrieben haben?“ Das war der Beginn von Hornberger Lebensquell.
pure: Was unterscheidet Hornberger Lebensquell von anderen Mineralwässern auf dem deutschen Markt? Philipp Ketterer: Einzigartig ist neben der spektakulären Herkunft die Kombination der besonderen Eigenschaften von Hornberger Lebensquell. Das Wasser tritt frei aus der Quelle aus. Der Sandstein des Quellstollens filtriert es auf natürliche Art so rein und weich, dass wir es völlig unbehandelt abfüllen können. Es ist sehr leicht mineralisiert und dadurch angenehm weich und neutral im Geschmack. Es erfüllt auch die strengen gesetzlichen Kriterien für die Zubereitung von Babynahrung. Wir füllen diesen Schatz der Natur ausschließlich in Glas-Mehrwegflaschen ab.
pure: Im Vergleich zu Ihren Mitbewerbern ist Ihr Unternehmen winzig. Wie behaupten Sie sich gegen die übermächtige Konkurrenz? Michael Ketterer: Wir fühlen uns in der Nische sehr wohl. Uns interessiert zuallererst, wie wir unseren Kunden etwas Einzigartiges anbieten können. Wir fragen uns ständig, wie wir noch besser werden können. Das erachten wir als sinnvoll, das treibt uns an, und der wirtschaftliche Erfolg ist dann fast so etwas wie die logische Konsequenz. Hoffentlich! (lacht) Dass wir mit 26 Mitarbeitern „nur“ ein kleiner Mittelständler sind, empfinden wir nicht als Nachteil. Im Gegenteil! Unser Quellwasser tritt außerdem in einer natürlich begrenzten Menge zutage. Wir pumpen es nicht künstlich aus der Quelle, es fließt frei und natürlich heraus. Uns ist der Wert dieses Wassers sehr bewusst, daher distributieren wir auch nur über den Naturkost- und ausgesuchten Getränkefachhandel.
pure: Unter guter Wasserqualität verstehen Lebensmittelchemiker heute vor allem die Freiheit von mikrobiologischen oder sonstigen Verunreinigungen Welche Qualitätsaspekte gibt es bei der Bewertung von Wasser noch? Philipp Ketterer: Ich denke, dass wir als Brauer ein ganz gutes Verständnis für Wasser und dessen Bedeutung mitbringen. In den letzten zehn Jahren haben wir allerdings unglaublich viel dazugelernt. Wasser hat nach unserem Verständnis auch eine ganzheitliche Qualität, die von den üblichen chemisch-
physikalischen und mikrobiologischen Analysen nicht erfasst wird. Ich denke hier beispielsweise an die Biophotonenanalyse, bei der Weizenkeimlinge in das zu untersuchende Wasser gelegt und begutachtet werden. Oder an die Kristallanalytik, nach der sich für jedes Wasser ein charakteristischer Fingerabdruck abbilden und zumindest empirisch interpretieren lässt.
pure: Immer wieder wird behauptet, Mineralwasser in Flaschen sei Luxus, da das deutsche Leitungswasser qualitativ mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar besser sei als viele Mineralwässer. Was halten Sie davon? Philipp Ketterer: Wenn wir in Deutschland über die Unterschiede zwischen Leitungs- und Mineralwasser diskutieren, dann reden wir über Qualitäten auf einem hohen Niveau. Allerdings gibt es „das deutsche Leitungswasser“ so ja nicht. Das ist, je nachdem wo man sich aufhält, schon sehr unterschiedlich und der Zustand des jeweiligen Leitungsnetzes kann die Wasserqualität auch beeinflussen. Wichtig ist grundsätzlich, täglich genügend Wasser zu trinken. Inwiefern die großen Unterschiede bei Wasser jeglicher Art relevant sind, muss jeder für sich entscheiden.
pure: Abgefülltes Wasser über große Strecken zu transportieren, ist ökologisch bedenklich, gibt es Wasser hierzulande doch überall im Überfluss ... Michael Ketterer: Hornberger Lebensquell ist aber eine Mineralwasserspezialität, die es eben nicht überall und im Überfluss gibt. Wasser ist nicht gleich Wasser! Uns liegt die Umwelt wirklich am Herzen, deshalb haben wir uns ganz bewusst für den Vertrieb in Glas-Mehrwegflaschen entschieden und waren 2004 auch die erste Brauerei in Baden-Württemberg, die ihren gesamten Wärmebedarf komplett von Öl auf klimaneutrale Holzhackschnitzel umstellte.
pure: Sie haben für Ihr Wasser eine formschöne Flasche designen lassen ... Michael Ketterer: Ja, denn die Verpackung ist der erste Kontakt mit dem potenziellen Kunden. Für uns ist die hochwertige Flasche auch eine Wertschätzung ihres besonderen Inhalts – der dann aber auch unbedingt halten muss, was die Verpackung verspricht.
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Michael Ketterer, Jahrgang 1949, ist seit 1969 Geschäftsführer der Familienbrauerei M. Ketterer in Hornberg. Die nachhaltig positive Entwicklung des Familienunternehmens sowie die nachweisbar höchste Qualität der Erzeugnisse sind sein Lebensinhalt und Verdienst.
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Philipp Ketterer, Jahrgang 1974, ist seit 2008 im Betrieb seines Schwiegervaters ebenfalls Geschäftsführer. Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen im Marketing und Vertrieb der Qualitätsprodukte des Familienbetriebes.
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Kraftstoffverbrauch des neuen Golf in l/100 km: kombiniert zwischen 5,2 und 3,8; CO2-Emissionen in g/km: kombiniert zwischen 122 und 99. Abbildung zeigt Sonderausstattung gegen Mehrpreis.
MOBILITÄT // Gewicht
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So schwer kann leicht sein AUTOS MÜSSEN ABSPECKEN – weil EU wie Umwelt nach sparsameren Motoren verlangen. Und weil kommende Elektroautos zusätzliches Gewicht in Form schwerer Batterien mit sich zu schleppen haben. DOCH DIE GEWICHTSSPIRALE UMZUDREHEN, IST FÜR INGENIEURE HARTE ARBEIT
Leichtbau mit Stahl: Das auf 950 Grad Celsius erhitzte Rohmaterial wird warm umgeformt und schockartig abgekühlt. So entstehen ultrahochfeste Stähle, die extrem dünne Wandstärken erlauben
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Global betrachtet wollen immer mehr Menschen an individueller Mobilität teilhaben. Doch gleichzeitig soll der Energiebedarf sinken. Das kann nur gelingen, wenn Autos leichter werden
von Hans-Joachim Rehg
Der Jo-Jo-Effekt beschäftigt nicht nur Menschen, die eine Diät hinter sich haben. Auch Autobauer kennen dieses Phänomen. Bei jedem Modellwechsel sparen sie irgendwo Gewicht ein. Trotzdem werden Autos immer schwerer. Weil die mühsam errungenen Sparerfolge schnell wieder einkassiert werden. Von Kunden, die sich mehr Raumkomfort und mehr Ausstattung wünschen. Von den Experten des europäischen Norm-Crashtests Euro NCAP, die ihre Anforderungen an die aktive und passive Sicherheit hochschrauben. Und von schärferen Abgas-Grenzwerten, die nur mit massivem Elektronikeinsatz zu erfüllen sind. Alles nachvollziehbare Wünsche und Ziele. Doch so kommt eine Gewichtsspirale in Gang, an deren Ende stärkere Motoren stehen, weil niemand auf gewohnte Fahrleistungen verzichten möchte, was wiederum größere Bremsscheiben und einen leistungsfähigeren Bremskraftverstärker erfordert. Dass nun alle großen Hersteller von einer Umkehr dieser Gewichtsspirale reden, hat einen guten Grund. Nach Richtlinien der EU sollen neu zugelassene Autos ab 2020 im Durchschnitt nicht mehr als 95 Gramm CO² pro Kilometer ausstoßen. Dieser ehrgeizige
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BMW 6er Gran Coupé: Türen, Motorhaube und Fahrwerk in Alu-Leichtbau, vordere Seitenwände in Thermoplast, Kofferraumdeckel in Glasfaserverbundwerkstoff
Wert ist nur mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen erreichbar. Und obwohl immer wieder beschworen wird, dass der konventionelle Verbrennungsmotor noch nicht am Ende seiner Entwicklung sei, gilt sein Sparpotenzial augenblicklich als ziemlich ausgereizt. Spartechnologien wie Direkteinspritzung, weniger Hubraum kombiniert mit sanfter Turboaufladung, weniger Zylinder, Start-StoppAutomatik, verbesserter Freilauf und Zylinderabschaltung können zwar den Verbrauch reduzieren, nicht aber grundsätzlich das physikalische Gesetz aushebeln, wonach Verbrennungsmotoren den größeren Teil ihrer Leistung in Form von Wärme abgeben. Folgerichtig beschäftigen sich die Techniker heute und in Zukunft noch intensiver mit den Fahrwiderständen. Dabei spielt das Gewicht eine große Rolle. Eine Faustregel besagt, dass pro einhundert Kilogramm Gewichtsreduzierung der Verbrauch um 0,3 bis 0,4 Liter sinkt. Das Gewicht erfordert nicht nur beim Beschleunigen Kraft, sondern fließt indirekt auch in den Rollwiderstand ein. Denn je stärker ein Rad belastet wird, desto mehr verformt es sich. Wie viel Raum das Thema bereits in der Entwicklung eingenommen hat, zeigen die automobilen Neuheiten der letzten Wochen. Der neue Golf sei bis zu 100 Kilogramm leichter, verkündet VW. Er habe nun wieder das Niveau eines Golf IV aus dem Jahr 1997. Genauso erfolgreich hat der Renault Clio abgespeckt mit einer Heckklappe aus Polypropylen und leichteren Stahlsorten. Betrachtet man den absoluten Wert, ist der neue Range Rover so etwas wie der DiätKönig: Er bringt bis zu 420 Kilogramm weniger auf die Waage. Bei einem Leergewicht von aktuell rund 2,6 Tonnen hat es dafür auch ausreichend Spielraum gegeben.
Allein die Monocoque-Karosserie aus Aluminium – sie ist um 39 Prozent leichter als eine vergleichbare Stahlkarosse – spart bei dem neuen Range Rover 180 Kilogramm ein. In der Produktion kann Rover auf Erfahrungen von Jaguar zurückgreifen. 1,3 Milliarden Euro hat das Unternehmen in den Alu-Leichtbau investiert und dabei neue Niet- und Klebetechniken entwickelt, die brandaktuell dem neuen F-Type zugutekommen. Die Aluminium-Rohkarosserie des zweisitzigen Roadster, der die E-Type-Legende aufleben lässt, wiegt nur 261 Kilogramm. Als Karosseriebleche verwendet Jaguar hochfeste Aluminium-Legierungen, die 15 Prozent dünner und zugleich 20 Prozent fester sind als beim Modell XK. Hieraus resultiert eine interessante Schnittstelle zum Design. Das reduzierte Material lässt sich leichter formen und erlaubt um 50 Prozent verkleinerte Radien. So erweitert intelligenter Leichtbau den Spielraum der Designer, die mit ihrer Entscheidung für ein klassisches, leichteres Verdeck aus Stoff ebenfalls zur Gewichtseinsparung beigetragen haben. Auch der neue Mercedes CLS „Shooting Brake“ nutzt Aluminium zur gezielten Gewichtsreduktion. Die rahmenlosen Türen sind aus tiefgezogenen Alu-Blechen gefertigt. Das leichte Baumaterial kommt außerdem bei Hecktür, vorderen Kotflügeln, Motorhaube und diversen Trägerprofilen zum Einsatz. Bei Fahrzeugen, die bereits in der Basisversion knapp 62.000 (Mercedes) oder knapp 90.000 Euro (Rover) kosten, gibt es für den Einsatz teurer Materialien natürlich wesentlich mehr finanziellen Spielraum als bei einem Golf. Volkswagen stand daher vor der Herausforderung, das Gewicht zu senken, ohne das Preisgefüge des kompakten Best-
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RANGE ROVER
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Ein Urgestein speckt ab
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Gewaltig an Gewicht verlieren und trotzdem noch über zwei Tonnen wiegen. Das glückt nur einem schwergewichtigen Range Rover, der bislang ganz andere Ziele verfolgte, als leicht und sparsam zu sein. Aber nun hat der Zeitgeist auch dieses Urgestein eingeholt – mit ordentlichem Erfolg. Weil 420 Kilogramm eingespart wurden, kann sich Land Rover erlauben, neben zwei V8-Modellen auch einen Sechszylinder-Dieselmotor anzubieten. Mit der serienmäßigen Start-Stopp-Automatik liegt der kombinierte Normverbrauch bei 7,5 Liter. Der neue Range Rover kostet ab 89.100 Euro.
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BMW I3
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Mit dem Werkstoff der Zukunft?
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Mit dem i3 wagt sich BMW auf unerforschtes Terrain. Die Karosserie aus carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK) soll jenes Mehrgewicht kompensieren, mit dem der Elektroantrieb inklusive Stromspeicher das Fahrzeug belastet. Für BMW ist CKF das leichteste Material, das sich ohne Sicherheitseinbußen im Karosseriebau einsetzen lässt. Beim i3 addiert sich der Einspareffekt auf rund 300 Kilogramm. Allerdings gilt die Herstellung des neuen Werkstoffs als enorm energieintensiv, kompliziert und teuer. Auch Fragen der Reparaturfähigkeit einer CFK-Karosserie sind noch nicht endgültig geklärt. Der i3 startet 2013.
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420 kg 300 kg
PEUGEOT 208
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Kleiner, aber geräumiger
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Selbst bei Kleinwagen gibt es diesen ziemlich unsinnigen Wachstumstrend. Peugeot beweist mit dem 208 den Mut, in die andere Richtung zu gehen. Das neue Modell ist kürzer als der 207 und im Schnitt ausstattungsbereinigt 110 Kilogramm leichter. Dabei spielt eine neue Motorengeneration eine Rolle, die konsequent auf kleinere Hubräume setzt. Interessant ist, dass die Schrumpfkur das Raumangebot nicht beeinträchtigt. Im 208 gibt es sogar mehr Beinfreiheit im Fond und einen größeren Kofferraum als beim Vorgänger. Die Preisliste des neuen 208 beginnt bei 11.600 Euro.
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JAGUAR F-TYPE
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RENAULT CLIO
MERCEDES CLS
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Das Vorbild ist unerreichbar
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Sicherheit bleibt unberührt
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Für Jagdausflüge viel zu schade
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Auf dem Genfer Salon 1961 wurde der Jaguar E-Type vorgestellt, der wie kein anderes Modell den Mythos der Marke prägte. Kurz darauf gab es eine Lightweight-Version mit AluminiumBlechen, die lediglich 920 Kilogramm wog. Dieses Traumgewicht liegt für den ersten legitimen Nachfahren des legendären Klassikers in weiter Ferne. Obwohl auch beim Jaguar F-Type Aluminium zum Einsatz kommt. Trotz des leichten Materials bringt der neue Roadster knapp 1,6 Tonnen auf die Waage. Mit einem 340 PS starken V6-Kompressormotor soll er 73.400 Euro kosten.
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Eine der Befürchtungen beim modernen Leichtbau ist, dass die Sicherheit unter dem Spardiktat leiden könnte. Dass dies auch bei kleineren Fahrzeugen nicht der Fall sein muss, zeigt der neue Clio eindrucksvoll. Er ist bis zu 100 Kilogramm leichter und hat dennoch beim EuroNCAPCrashtest Bestwertungen eingefahren. Renault setzt hier eine Heckklappe aus Polypropylen ein, hat aber auch die Tankkapazität von 45 auf 40 Liter reduziert. Die Reichweite beeinflusst das nicht, da aufgrund des geringeren Gewichtes auch der Verbrauch sinkt. Preis: ab 12.800 Euro.
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„Shooting brake“ nannte der britische Landadel leichte Kutschen, mit denen man zur Jagd fuhr. Später übernahmen Sportwagen mit praktischer Heckklappe diesen Namen. Für das viertürige CLS-Coupé mit Kombiheck hat Mercedes die Bezeichnung reaktiviert. Dass das sparsamste Modell der Baureihe, der CLS 250 CDI, mit einem Normverbrauch von 5,3 Liter Diesel auskommt, ist auch Folge eines konsequenten AluminiumLeichtbaus. Türen, Heckklappe, vordere Kotflügel, Motorhaube und Teile des Fahrwerks sind aus dem leichten Baumaterial. Preis: ab 61.761 Euro.
sellers anzutasten. Ein Grund dafür, dass Aluminium oder gar Teile aus sündhaft teurem Carbon nicht in Frage kamen. Trotzdem ist die Karosserie des Golf VII im Vergleich zum Vorgängermodell 23 Kilogramm leichter. Was beweist, dass selbst im „Ur-Material“ des Automobilbaus, dem Stahl, noch erhebliches Entwicklungspotenzial schlummert. Dabei führten zwei unterschiedliche Technologien zum gewünschten Erfolg. Sogenannte Tailor Rolled Blanks, also „maßgeschneiderte“, ausgewalzte Stahlbleche mit variabler Dicke, haben immer exakt nur die Wandstärke, die an einer bestimmten Stelle für die Stabilität benötigt wird. So entsteht beispielsweise ein leichterer Stahl-Querträger mit elf Zonen unterschiedlicher, jeweils optimierter Blechdicke. Auch bei der zweiten Technologie geht es darum, die Materialstärke zu reduzieren. Weil das niemals auf Kosten der Stabilität und damit der Crashsicherheit gehen darf, kommt hier ein Verfahren zum Einsatz, das gepressten Stahlteilen eine sechsmal höhere Festigkeit verleiht. Dazu wird das Rohmaterial auf 950 Grad Celsius erhitzt, warm umgeformt und schockartig abgekühlt. So entstehen formgehärtete Stahlteile, deren Zugfestigkeit mit der von Seilen einer Hängebrücke vergleichbar ist. Ein einzelner Draht eines solchen Seils mit einem Querschnitt von einem Quadratmillimeter kann über 150 Kilogramm Gewicht tragen. Teile aus warm umge-
formtem, sogenanntem ultrahochfestem Stahl erlauben extrem dünne Wandstärken, was unmittelbar ins Gewicht einfließt. Beim neuen Golf haben sie einen Anteil von 28 Prozent an der Rohkarosserie. Beim Golf VI waren es lediglich sechs Prozent. Neben der Karosserie bietet der Innenraum eines Fahrzeugs vielfältige Möglichkeiten zur Gewichtsreduktion. Die Grundfrage, ob ein Instrumententräger so opulent sein muss, wie er bei modernen Autos gestaltet ist, beantworten Experten mit einem klaren Ja. Überraschend eng sei hier der Spielraum, weil jeder Kubikzentimeter eine klar definierte Funktion habe. Dort, wo früher ein schmales Radio, zwei Regler für Heizung und Lüftung und ein Handschuhfach untergebracht waren, ist Raum geschaffen worden für Airbags, Klimaanlage, Entertainment- und Navigationssysteme und neue Bedienelemente. Zusätzlich gibt es diverse Sicherheitsbestimmungen, beispielsweise aus den USA, wonach weiche Aufprallzonen für nicht angeschnallte Passagiere vorhanden sein müssen. Insgesamt keine guten Voraussetzungen, um an dieser Stelle den Rotstift anzusetzen. Dass es trotzdem gelingen kann, zeigt ebenfalls der neue Golf. Allein bei den Sitzen konnten sieben Kilogramm gewonnen werden – vor allem auch durch dünnere, hochfeste Bleche. Wie um jedes Gramm gerungen wird, verdeutlicht die Instrumententafel. Die tragende Struktur der Tafel, ein Thermoplast-Schaumspritz-
MENSCHEN // Interview Ulrich Hackenberg
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guss, wurde sandwichartig mit einem Treibmittel aufgeschäumt, damit die mittlere Ebene des Materials ähnlich wie ein Hefeteig aufgeht und damit leichter wird. Die Ersparnis von 400 Gramm ist bei einem Fahrzeug, das fast 1,2 Tonnen wiegt, zwar verschwindend gering. Aber ohne Mühe im Detail, sagen die Techniker, wäre man niemals auf die angestrebten 100 Kilogramm gekommen. Reine Aluminium-Konstruktionen, wie es sie bei Audi, Jaguar und Land Rover gibt, sind in der automobilen Landschaft Unikate geblieben. Viel häufiger trifft man auf Kombinationen aus ganz unterschiedlichen Materialien. Für einen recht exotischen Mix hat sich BMW beim neuen 6er Gran Coupé entschieden. Türen und Motorhaube sowie ein Großteil der Fahrwerkstechnik sind aus Aluminium gefertigt. Die vorderen Seitenwände dagegen bestehen aus Thermoplast, der Kofferraumdeckel aus Glasfaserverbundstoff. Grundsätzlich stellt jeder Material-Mix erhöhte Anforderungen an die Fertigung. Eine Karosserie, die allein mit Schweißpunkten fixiert ist, gibt es im modernen Automobilbau nicht mehr. Neue Niet- und Klebetechniken stabilisieren die selbsttragende Struktur und erlauben eine noch vor wenigen Jahren unerreichte Festigkeit. Wobei Klebstoffe nicht nur die Aufgabe haben, extrem feste Verbindungen zu gewährleisten. Sie müssen auch verhindern, dass Metalle unterschiedlicher Güte aufeinandertreffen. Ansonsten droht die Kontakt-Korrosion, die in der Anfangsphase dieser Technologie tatsächlich sehr gefürchtet war. Die Umkehr der Gewichtsspirale zeigt zwar erste Erfolge. Doch Leichtgewichte sind die neuen Autos deshalb noch lange nicht. Das elegante, viertürige BMW Gran Coupé und der nicht minder attraktive Mercedes CLS „Shooting Brake“ bringen immer noch über 1,8 Tonnen auf die Waage, der neue Range Rover sogar über 2,1
VW GOLF
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Jagd nach jedem Gramm
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Beim neuen Golf galt es, die Gewichtsspirale umzudrehen, ohne das Modell durch den Einsatz alternativer Werkstoffe zu verteuern. Das Ziel, das Gewicht um 100 Kilogramm zu senken, bezeichnet VW deshalb als eine Jagd nach jedem Gramm. Akribisch wurde festgehalten, wo man wie viel eingespart hat. Die Karosserie steuert hier mit 37 Kilogramm den Löwenanteil bei. An zweiter und dritter Stelle stehen das Fahrwerk und die Motoren (26/22 kg). Am Ende der Skala ist die 400 Gramm leichtere Instrumententafel aufgeführt, was beweist, dass es wirklich auf jedes Gramm ankam. Der Golf kostet ab 16 975 Euro.
Tonnen. Der finale Kampf gegen den Jo-Jo-Effekt steht erst noch bevor, wenn künftige alternative Antriebstechnologien zusätzliche Masse in Form schwerer Stromspeicher in die Fahrzeuge bringen. Da wünscht sich mancher Ingenieur einen Big Bang, einen großen Durchbruch, der Pfunde wegschmelzen lässt wie bei den Weight Watchers. Mit Carbon könnte es gelingen. Bauteile aus CFK (carbonfaserverstärkter Kunststoff) sind 50 Prozent leichter als Stahl – bei gleicher oder sogar höherer Festigkeit. 300 Kilogramm Gewicht will BMW beim Elektro-Stadtauto i3 mit einer CFK-Karosserie einsparen und damit das komplette Mehrgewicht der Lithium-Ionen-Akkus ausgleichen. Doch die Herstellung des Materials ist energieintensiv, seine Verarbeitung anspruchsvoll. Bevor die Stoffbahnen mit Harz getränkt und in Form gebracht werden können, muss die aus reinem Kohlenstoff bestehende Faser bei 1.300 Grad Celsius gebacken werden. Das erfordert einen derart hohen Energieeinsatz, dass BMW die Faserproduktion nach Moses Lake in den USA ausgelagert hat. Dort steht preisgünstiger Strom aus Wasserkraft zur Verfügung. Die Weiterverarbeitung zu Stoffbahnen erfolgt in Wackersdorf. CFK-Teile entstehen in Landshut und Leipzig. Weil CFK nachträglich nicht mehr verformt werden kann, ist bei jedem Arbeitsschritt höchste Präzision erforderlich. Nicht unproblematisch ist auch, dass Carbonfasern aus Erdöl gewonnen werden. Es ist wahrlich keine beneidenswerte Aufgabe, Gewicht zu reduzieren, ohne Komfort, Sicherheit oder designerische Raffinesse anzutasten, ohne den Kostenrahmen zu sprengen oder nachhaltige Aspekte zu vernachlässigen. Ganz neu ist diese Erkenntnis nicht. Klaus Klages, Verleger und Satiriker, erkannte schon vor Jahren: Wer Gewicht reduzieren will, braucht Waagemut.
INTERVIEW | DR. ULRICH HACKENBERG
„Man muss die Gesamtbilanz sehr genau im Auge behalten“ VW-Chefentwickler Dr. Ulrich Hackenberg über die Notwendigkeit der Gewichtseinsparung beim Autobau, die Problematik neuer Materialien und die Frage, WARUM AUCH DER NÄCHSTE GOLF NICHT SO LEICHT WERDEN KANN WIE DER ERSTE
pure: Herr Dr. Hackenberg, Sie haben beim neuen Golf bis zu 100 Kilogramm Gewicht eingespart. Ist das nun der Anfang oder das Ende der Entwicklung? Dr. Hackenberg: Nein, nicht das Ende. Die Entwicklung wird weitergehen. Ab 2020 gilt ein Grenzwert von 95 g/km für die durchschnittlichen CO²-Emissionen. Dieses Ziel können wir nur erreichen, wenn klassische Verbrennungsmotoren sowie alternative Antriebe und Fahrzeuge dazu beitragen, und zwar jeweils etwa ein Drittel. Beim Fahrzeug geht es um alle Fahrwiderstände, also auch um das Gewicht. Einsparungen beim Material werden hier nicht ausreichen. Auch das gesamte Package eines Fahrzeuges muss auf den Prüfstand, ebenso das Design. Die Verglasung im Fahrzeug ist beispielsweise erheblich schwerer als dünne Stahlflächen, was dafür spricht, Glasflächen dort, wo sie für die Übersichtlichkeit nicht unbedingt notwendig sind, eher zu reduzieren.
viel kleineres Auto war und zudem nicht die heutigen Komfortund Sicherheitsanforderungen erfüllen musste. Ich halte beim Golf ein Einsparpotenzial von weiteren 60 bis 80 Kilogramm auf Sicht bis 2020 für realistisch.
Beim Thema Gewichtsreduktion geht es meist um Motoren, Fahrwerke und Karosserie. Kann denn aber nicht auch der Innenraum eines Fahrzeuges dazu beitragen? Ja, durchaus! Beim neuen Golf haben wir bereits durch ein speziell aufgeschäumtes Armaturenbrett Gewicht eingespart. Diese Methode werden wir weiterentwickeln und beispielsweise auch bei den Türverkleidungen und anderen Kunststoffbauteilen anwenden. Bei den Sitzen konnten wir durch den Einsatz höchstfester Blechprofile einen signifikanten Gewichtssprung machen. Aber auch hier sind durch geeignete Konstruktionen – zum Beispiel mit geschlossenen Profilen – noch weitere Potenziale auszuschöpfen.
Müssen Sie, um die Ziele zu erreichen, nicht doch irgendwann teure Materialien wie Carbon oder Magnesium in Ihre Überlegungen einbeziehen? Magnesium verwenden wir bereits in kleineren Mengen. Das ist noch nicht ausgereizt. Das Problem sind die stark schwankenden Magnesium-Preise. Bei Carbon entstehen schon während der Produktion hohe Mengen an CO². Da muss man die Gesamtbilanz genau im Auge behalten. Grundsätzlich liegt die Kunst darin, das für die jeweils gefragten Eigenschaften richtige Material einzusetzen – und da bleibt auch Stahl interessant und konkurrenzfähig.
Welches Einsparpotenzial sehen Sie beispielsweise bei der nächsten GolfGeneration. Könnte der Golf VIII so leicht werden wie der erste Golf? Nein, das ist schon deshalb nicht erreichbar, weil der Golf I ja ein
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Dr. Ulrich Hackenberg (geb. 1950), Mitglied des Markenvorstands Volkswagen, Geschäftsbereich „Entwicklung“, war nach Abschluss seines Maschinenbau-Studiums an der RWTH Aachen am Institut für Kraftfahrwesen tätig, wo er unter anderem den Forschungsbereich Fahrzeugdynamik leitete. 1985 wechselte Hackenberg zur Audi AG, 1998 zur Volkswagen AG. Im Verlauf seiner weiteren Karriere bekleidete er wichtige Positionen bei Audi und Volkswagen, zeichnete zum Beispiel verantwortlich für die Konzeption der Bentley-Modellreihe. Neben seinen Aufgaben in der Automobil-Industrie erfüllte er zeitweise auch einen Lehrauftrag zum Thema Fahrzeugtechnik an der Fachhochschule Konstanz.
MOBILITÄT // Audi Urban Future Award
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„Teilen statt Besitzen“ lautet das Fazit des zweiten „Audi Urban Future Award“. Sieger waren diesmal Höweler + Yoon mit einem Mobilitätskonzept für den Großraum BostonWashington
Mobile Visionen WIE FUNKTIONIERT INDIVIDUELLE MOBILITÄT MORGEN? Wie lassen sich Megacitys vor dem Verkehrsinfarkt retten? Wird das Auto zum Problem oder Teil der Lösung? Dass in Großstädten vor allem die Vernetzung von Transportmitteln zum entscheidenden Kriterium wird, ZEIGEN DIE ERGEBNISSE DES ZWEITEN „AUDI URBAN FUTURE AWARD“
von Norman Kietzmann
Die Fakten liegen auf dem Tisch: Schon heute leben mehr Menschen in Großstädten als auf dem Land – eine Entwicklung, die noch weiter an Dynamik gewinnen wird. Die Frage, wie das Leben in den Megacitys funktionieren soll und welche Qualitäten sie ihren Bewohnern bieten können, ist längst nicht mehr nur für Architekten, Städteplaner und Entwickler relevant. Auch die Automobilhersteller müssen herausfinden, wie ihre Rolle in der urbanen Mobilität der Zukunft aussehen wird. Fünf Büros wurden eingeladen, im Rahmen der „Audi Urban Future Initiative“ nach Lösungen für ihre Region zu suchen: Superpool aus Istanbul, Höweler + Yoon aus Boston, CRIT aus Mumbai, NUDE aus Shanghai und Urban-Think Tank aus São Paulo. Was die
Vorschläge verbindet, ist ihr Plädoyer fürs Teilen. Verkehrsadern werden in die Vertikale gestapelt, Brücken machen Highways für Fußgänger passierbar und Seilbahnen verbinden einst getrennte Stadtteile. Nicht jede Maßnahme braucht eine milliardenschwere Logistik. So wird auch das Potenzial sozialer Netzwerke wie Facebook analysiert, die oft in jenen Städten besonders stark genutzt werden, wo das alltägliche Verkehrschaos ein Treffen von Angesicht zu Angesicht zur logistischen Meisterleistung macht. In der Stadt mit Europas höchster Facebook-Dichte ist der „Audi Urban Future Award“ Mitte Oktober dann auch passenderweise verliehen worden: in Istanbul.
Eric Höweler und Meejin Yoon aus Boston wollen die Trennung zwischen Straße, Schiene, Flug- und Schiffsverkehr mit einer hocheffizienten Verkehrsader überwinden
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HOEWELER + YOON / BOSTON-WASHINGTON Vernetzung durch die Super-Schlagader Die Mobilität von morgen ist ein dickes Bündel. Das vertreten die Architekten Höweler + Yoon aus Boston mit ihrem Siegerkonzept des „Audi Urban Future Award“. Ihr Vorschlag beschreibt einen Ballungsraum, der weder auf dem Papier noch in den Köpfen seiner Bewohner existiert und dennoch längst Realität ist. „BoshWash“ nennen sie das 650 Kilometer lange Band, das sich zwischen Boston und Washington erstreckt und 57 Millionen Einwohner zählt. Um die Großstädte besser miteinander zu vernetzen, schlagen Eric Höweler und Meejin Yoon eine leistungsstarke Verkehrsader vor, die Straßen, Autobahnen und Bahntrassen direkt übereinanderschichtet. Der Mehrwert dieses „Shareway“ läge in der Vernetzung bislang getrennter Verkehrsträger, so dass ein Umsteigen zwischen Straße und Schiene erleichtert würde wie auch ein Wechsel zwischen Schnellstraßen und Wegen der lokalen Erschließung. Zwar ist das eigene Auto aus dieser Betrachtung nicht ausgeschlossen. Doch die Nutzung gemeinschaftlicher Ressourcen soll in „BosWash“ künftig im Vordergrund stehen. Um an diesen Punkt zu gelangen, schlagen Höweler + Yoon an den Bahnstationen eine ungewöhnliche Art von Parkplatz vor: Wie Rinderhälften beim Fleischer soll eine Flotte an Mietwagen platzsparend aufgehängt werden und zur Überbrückung der letzten Kilometer bis zur eigenen Haustür dienen. „Amerikaner würden niemals ein öffentliches Verkehrsmittel benutzen, wenn sie die letzte Meile laufen müssten. Unser Vorschlag ist eine Möglichkeit, diese Lücke zu schließen“,
macht Eric Höweler deutlich. Die Stärke ihres Vorschlags liegt weniger im Definieren einer grundlegend neuen Art von Mobilität. Er zeigt vielmehr, wie sich die bestehenden Verkehrswege besser miteinander kombinieren ließen. Dennoch darf ein wenig Utopie nicht fehlen. So könnte eine Kreuzung aus Hochsee- und Großflughafen einen Knotenpunkt der Superlative bilden. Als möglichen Standort des „Superhubs“ schlagen Höweler + Yoon den heutigen New Yorker Flughafen Newark vor. Dessen Landebahnen sind für den Airbus A380 zu kurz, während der örtliche Hafen von großen Frachtschiffen nicht angelaufen werden kann. Der „Superhub“ würde beide Transportmittel zusammenbringen, wenngleich enorme Investitionen vonnöten wären. Mitten im Wasser würde eine künstliche, kreisförmige Insel entstehen, deren Durchmesser der Länge der Landebahnen entspräche. Unterhalb des Flughafens könnten Frachtschiffe und Tanker anlegen und ihre Ladungen löschen, während über ihnen die Flugzeuge starten. Ein Netz aus Straßen und Bahngleisen würde den „Superhub“ durchziehen und direkt an den „Shareway“ anschließen. Das Ziel dieser Idee: die 611 Flüge, die heute zwischen Boston, New York, Washington oder Baltimore verkehren, zu drosseln und das Verkehrsaufkommen stattdessen über den „Shareway“ zu organisieren. Damit der Vorschlag keine Zukunftsmusik bleibt, müsste zunächst ein politischer Ruck passieren und die unzähligen Administrationen in „BosWash“ an einem Tisch zusammenbringen.
MOBILITÄT // Audi Urban Future Award
Rupali Gupte und Prasad Shetty von CRIT möchten mit einem System aus Fußgängerbrücken verstopfte Straßen und Schienenwege umgehen
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Hubert Klumpner und Alfredo Brillembourg von Urban-Think Tank wollen Fußgänger mit Hilfe von Rampen und Rolltreppen auf eine Meta-Ebene über den Straßen lenken
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URBAN-THINK TANK / SAO PAOLO
CRIT / MUMBAI
Flanieren auf der Meta-Ebene
Das Chaos als Chance
Unter den teilnehmenden Büros des „Audi Urban Future Award“ genießt Urban-Think Tank den höchsten Bekanntheitsgrad. Zuletzt haben dessen Gründer Hubert Klumpner und Alfredo Brillembourg mit der Dokumentation eines besetzten Hochhauses in den Slums von Caracas für Aufmerksamkeit gesorgt und wurden dafür mit dem „Goldenen Löwen“ der Architekturbiennale von Venedig 2012 ausgezeichnet. Auch diesmal haben sie einen Stadtraum untersucht, der auf chaotische Weise wuchert, sich unentwegt transformiert und nur schwer mit den Parametern konventioneller Städteplanung zu beschreiben ist.
Auch das Büro CRIT aus Mumbai erteilt großen Masterplänen eine Absage: „Architekten und Stadtplaner können mit ihren deterministischen Methoden, Analysen und stark verallgemeinernden Messwerten die Realität, mit der Mumbai heute konfrontiert wird, nicht mehr in den Griff bekommen“, sind Rupali Gupte und Prasad Shetty von CRIT überzeugt. In den vergangenen zwanzig Jahren hat die indische Metropole einen rasanten Wandel durchlaufen und ihr Stadtbild wie auch die Lebensweisen ihrer Bewohner auf den Kopf gestellt. Schon lange haben die großen Fabriken die Stadt verlassen. Immer mehr Menschen arbeiten als Kleinstunternehmer, die unentwegt in der Stadt unterwegs sind, um Waren zu transportieren, Kunden zu treffen und andere Dienstleistungen zu beanspruchen. 12,5 Millionen Menschen leben heute in Mumbai, das längst an die Grenzen seiner Infrastruktur gestoßen ist. „Es passiert mehr an jedem Ort in der Stadt. Das erzeugt einen enormen Druck auf die Mobilität“, erklären die Leute von CRIT, die jedoch das Chaos nicht als eine Bedrohung, sondern als eine Qualität betrachten.
20 Millionen Menschen wohnen zurzeit in São Paulo. Dass seit den 1930er Jahren allein dem Auto Vorrang gegeben wurde, führt heute zu einer absurden Situation. Denn viele Bewohner stecken aufgrund von chronisch überfüllten Straßen in ihren eigenen Vierteln fest, während die Reichen die Staus im Helikopter überwinden. „Wir interessieren uns für Mobilität nicht in erster Linie im Sinne einer Fortbewegung von A nach B, sondern im Sinne einer weiter gefassten Definition von Mobilität, die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aspekte mit einbezieht“, erklärt Urban-Think Tank. Der Vorschlag im Rahmen des „Audi Urban Future Award“ beschreibt eine Aktivierung des urbanen Raums über das Straßenniveau hinaus. Mit Rolltreppen und Liften soll für Fußgänger eine MetaEbene auf Höhe der ersten und zweiten Stockwerke erschlossen werden. Zudem könnten Seilbahnen die Stadtviertel wieder miteinander verbinden und so die räumliche Starre überwinden.
Statt großformatige Autobahnen zu bauen und somit die Strukturen und Netzwerke gewachsener Stadtviertel räumlich zu zertrennen, schlagen sie eine Vielzahl „taktischer Interventionen“ vor. So könnten Fußgängerbrücken den Passantenstrom über die Dächer und überfüllten Straßen hinwegleiten. Das Chaos wäre damit zwar nicht aufgelöst, doch es ließe sich von den Bewohnern Mumbais leichter handhaben.
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MOBILITÄT // Audi Urban Future Award
Heng Liu von NODE Architecture & Urbanism sucht nach einer postindustriellen Identität für die Region mit den meisten Fabriken Asiens
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Selva Gürdogan und Gregers Tang Thomsen von Superpool wollen die Menschen durch Internet-Diskussionsforen in die Wandlung ihrer Stadt einbeziehen
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SUPERPOOL / ISTANBUL
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NODE ARCHITECTURE & URBANISM / PEARL RIVER DELTA
Städteplanung durch soziale Netzwerke Schon beim Landeanflug wird deutlich: Istanbul ist keine Stadt, sondern vielmehr eine mäandernde Landschaft, die sich auf einer Länge von 115 Kilometern in ost-westlicher Richtung erstreckt. Fünfzehn Millionen Einwohner zählt der Großraum heute und erreicht in einigen Stadtvierteln eine Bevölkerungsdichte von 68.000 Einwohnern pro Quadratkilometer. (Zum Vergleich: Berlin kommt im Schnitt nur auf 3.927 Einwohner pro Quadratkilometer.) „Die Herausforderung für den Verkehr sind nicht nur die Nadelöhre über den Bosporus, sondern ebenso die Parksituation. Ich glaube, es gibt tatsächlich mehr Probleme durch wild geparkte Autos als durch den fahrenden Verkehr“, erklärt Selva Gürdogan von Superpool. Die hügelige Lage der Stadt und ihre dichte Bebauung erschweren das Verlegen von Bahnschienen. Zwar versucht die Stadtverwaltung, mit neuen Tunneln und Brücken dem Problem zu begegnen. Doch in den engen Gassen der Altstadt wird auch weiterhin kaum ein Durchkommen sein. Für die Bewohner von Istanbul wird der gegenwärtige Bauboom zunehmend zum Problem. Um die Entwicklung der Stadt nicht allein in die Hände von Investoren und Immobilienentwicklern zu legen, sieht Superpool in sozialen Netzwerken ein großes Potenzial für mehr Bürgerbeteiligung. Schließlich gibt es in keiner anderen europäischen Stadt so viele Facebook-Nutzer wie in Istanbul. Initiativen und Ideen von Privatpersonen und Kleinunternehmen könnten durch eine neue, virtuelle Plattform besser wahrgenommen und umgesetzt werden.
Die Suche nach einer neuen Identität Es gilt als größte Werkbank der Welt: das dreißig Kilometer breite Delta des Perlflusses im Süden Chinas. 42 Millionen Menschen leben dort in einem engen Stadtgeflecht, zu dem das 3.000 Jahre alte Guangzhou, die Sonderwirtschaftszone Shenzhen sowie die früheren Kolonien Hongkong und Macau gehören. Der Großteil aller chinesischen Elektroartikel, Textilien und Kunststoffprodukte wird dort hergestellt. „Unser Ziel ist es, eine neue Identität für das Pearl River Delta für die Zeit zu finden, in der ‚Ausbeuterbetriebe‘ der Vergangenheit angehören werden“, erklärt die Architektin Heng Liu von NODE Architecture & Urbanism. Der Weg zu besseren Lebensbedingungen wird in ihren Augen jedoch nur gangbar sein, „wenn wir auch der bruchstückhaften, wechselhaften und instabilen Natur der Megalopolis Rechnung tragen“. Das Problem der Region sei nicht ein Mangel an funktionierender Infrastruktur. Schließlich wurde bereits ein effizientes System aus Wasserstraßen, Autobahnen, Straßen und Schienen angelegt, um die produzierten Waren zu Häfen oder ins Landesinnere zu transportieren. „Doch Schnelligkeit und Effizienz sind nicht der einzige Maßstab, um die Qualitäten einer Stadt zu bewerten“, meint Heng Liu. Damit der Übergang zu einer Wissens- und Informationsgesellschaft gelinge, müsse den Bewohnern mehr Raum gegeben werden. So solle man Verkehrswege unter die Erde verlegen, um neue Parks, Freizeit- und Kulturangebote in der Region zu schaffen.
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Es gibt viele gute Gründe, in Urlaub zu gehen – ein weiterer könnte die eigene Gesundheit sein. Wer nachhaltig etwas für Körper und Seele erreichen will, findet im SHA ein einzigartiges Konzept
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Wahrer Urlaub AN DER SPANISCHEN MITTELMEERKÜSTE IST EIN ZIEMLICH EINZIGARTIGES URLAUBSANGEBOT ENTSTANDEN. Die SHA Wellness Clinic basiert auf einem ganzheitlichen Gesundheitskonzept und verspricht nachhaltige Erholung für Körper wie Seele. GANZ NEBENBEI BIETET SIE AUCH NOCH DEN VERWÖHNKOMFORT EINES LUXUSHOTELS
von Klaus-Peter Bredschneider
Gleich beim Frühstück wird deutlich – das kann kein gewöhnliches Luxushotel sein. Vom opulenten Buffet mit Rühreiern, Schinken, Lachs oder Käse und Obst weit und breit keine Spur. Stattdessen ein Teller mit Misosuppe, dem japanischen Nationalgericht aus Sojabohnenpaste, dazu eine weitere Schale mit einem Brei, der nach Porridge aussieht, aber nicht wirklich schlecht schmeckt. Kaffee? Kein Problem, aber wohl, wie ein verstohlener Blick auf die Nachbartische signalisiert, politisch nicht ganz korrekt. Also grüner Tee. Die Beschreibung gilt dem Kushi-Frühstück, das sich streng linientreu an der makrobiotischen Ernährungsphilosophie ausrichtet. Wer auf diese letzte Konsequenz keinen Wert legt, wählt die Biolight-Variante oder gar das SHA – dann gibt es sogar ein „richtiges“ Frühstück mit Brot und Aufstrich, selbstverständlich Vollwert und frei von raffiniertem Industriezucker. Die SHA Wellness Clinic liegt in El Albir, direkt über dem malerischen Städtchen Altea an der spanischen Mittelmehrküste. Wie ein mächtiges Schiff erhebt sich der terrassenförmig angelegte Bau strahlend weiß über den Ort und die felsige Küstenlandschaft. Die
Küstenregion zwischen den beiden Flughäfen von Alicante und Valencia ist vom milden Klima begünstigt, die Strände gelten als besonders feinsandig und schön. Vom „Pooldeck“ des SHA aus wirkt die nur wenige Kilometer Luftlinie entfernte Hotel-Skyline von Benidorm wie eine fremde Kulisse, wie Urlaub in einer anderen Welt. Das SHA ist exakt dort gebaut worden, wo die Familie Bataller, der der Komplex gehört, früher ihr Ferien- und Wochenendhaus über den Hügeln hatte. Früher, als Alfredo Bataller erfolgreich Immobilienprojekte hochzog und gleichzeitig mit immer größeren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte – bis ihn schließlich ein fernöstlich orientierter Arzt mit einer ebenso simplen wie radikalen Botschaft in wenigen Wochen kurieren konnte: Stress abbauen und die Ernährung umstellen – nämlich auf makrobiotisch. Aus dieser Erfahrung heraus wurde das Konzept für das etwas andere Wellness-Hotel geboren. Im Kern ist Makrobiotik viel mehr als nur Ernährung – nämlich eine Lebensphilosophie. Wir sind, was wir essen! Makrobiotik basiert
REISE // SHA
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Urlaub für Körper und Seele: Vitaler werden, sich jünger fühlen, besser aussehen – all das verspricht die SHA Wellness Clinic (www.shawellnessclinic.de)
auf der chinesischen Philosophie des Daoismus und handelt von Energien, die zwischen Yang und Yin fließen. Und von der Notwendigkeit, sich vornehmlich von dem zu ernähren, was sich energetisch zwischen diesen Polen bewegt: Vollwertkost, Gemüse oder pflanzliches Eiweiß etwa. Und es gilt umgekehrt das zu vermeiden, was außen an diesen Polen angesiedelt ist – weißes Mehl, Zucker, Fleisch und vor allem „Gift“ wie Kaffee oder Alkohol. Man muss die Makrobiotik nicht dogmatisch verfolgen und kann ihr trotzdem wertvolle Erkenntnisse abgewinnen. Vor allem lässt sich die SHA Wellness Clinic nicht auf das Essen reduzieren. Sie will viel mehr, nämlich – so der Anspruch – jahrtausendealte fernöstliche Kenntnisse mit den Errungenschaften der westlichen Medizin zusammenführen und so Körper, Geist und Seele wieder in ein Gleichgewicht bringen. Für die Naturheilkunde bedeutet Krankheit nämlich vor allem, dass diese aus dem Gleichgewicht geraten sind. Sie will die körpereigenen Kräfte zur Selbstheilung aktivieren. Akupunktur, Shiatsu, Yoga, Chi-Kung, Tai-Chi, Watsu, Physiotherapie, Lachtherapie, Reflexologie, Moxibustion oder Reiki sind nur einige der Behandlungsmöglichkeiten, die das SHA bereithält. Macht man im SHA Urlaub – oder weckt das schon Erinnerungen an einen Klinikaufenthalt? „Es ist so etwas wie ein intelligenter Urlaub“, sagt Alejandro Bataller Pineda, der Sohn des Gründers, der das Marketing verantwortet und sich aus Überzeugung einbringt. Immerhin acht Kilogramm will er in nur wenigen Wochen abgenommen haben, als er sich – damals neugierig geworden durch die „wundersame“ Heilung des Vaters – auf einen makrobiotischen Selbstversuch einließ. Auch Vater Bataller wirkt mit seinen knapp 70 Jahren agil und kernig, die beiden leben den Anspruch tat-
sächlich vor und sehen so richtig nach Gesundheit aus. Am Klima allein kann es ja kaum liegen. Wer hier seinen intelligenten Urlaub verbringt, kommt nicht unbedingt, weil er krank ist – sondern weil er sich nicht richtig wohl und gesund fühlt. Die Kilos, die man zu viel mit sich rumschleppt, der viele Stress und in Folge der zu hohe Blutdruck oder die vielen Zigaretten und die schlechte Haut – sind wir nicht fast alle irgendwie ein wenig krank? Und werden wir nicht alle älter? Anti-Aging ist in diesem Umfeld natürlich ein Thema. Die Verlangsamung des Alterungsprozesses wird im SHA über die Reaktivierung des eigenen Gesundheitspotenzials angegangen. Fachärzte für ästhetische Medizin sowie Zahnmedizin stehen ebenso zur Verfügung wie Spezialisten, die sich um die Wiederherstellung des gesunden Schlafes kümmern. Vielleicht ist ja auch eine AntiRaucher-Therapie angesagt? Das Ziel ist stets, Verhaltensweisen zu lehren, die der Gesundheit dienen und auch verinnerlicht werden – schließlich soll die Therapie langfristig und nachhaltig wirken. Wer unbedingt will, kann den ganzen Tag mit Therapien, Tagungen, Kursen und Aktivitäten verbringen. Man kann es aber auch ruhiger angehen und im mit internationalen Auszeichnungen dekorierten Spa-Bereich entspannen, den traumhaften Ausblick vom Pooldeck genießen oder sich einfach aufs nächste Essen freuen. Auf eine Karotten-Orangen-Suppe, ein Krabben-Carpaccio mit Makademia-Nüssen, eine gegrillte Rotbarbe mit Rote-BeteCouscous oder eine Mandelcreme mit Himbeeren. Ganz so übel ist die makrobiotische Küche als auch wieder nicht. Und auch die Frage, ob das hier Urlaub ist, hat sich inzwischen erledigt. Es fühlt sich an wie wahrer Urlaub.
„In acht Wochen ein neuer Mensch“
INTERVIEW | ALEJANDRO BATALLER PINEDA
IN SPANIEN IST MIT DER SHA WELLNESS CLINIC EIN LUXUSHOTEL ENTSTANDEN, das viel mehr verspricht als nur Luxus – nämlich Gesundheit. Wir sprachen mit dem Marketingchef Alejandro Bataller über wundersame Heilungen, DIE BEDEUTUNG DER ERNÄHRUNG SOWIE DAS (FAST) EWIGE LEBEN. pure: Die Entstehungsgeschichte des SHA hört sich wie ein Märchen an: Die Geschichte Ihres Vaters, der durch makrobiotische Ernährung wieder gesund wurde und diese elementare Erfahrung in Form einer WellnessKlinik weitergeben wollte ... Bataller: Es ist kein Märchen, sondern die Wahrheit. Mein Vater war über 30 Jahre lang herzkrank und hatte stets Magenprobleme. Als er schließlich vor über zehn Jahren zu einem Gesundheitscheck ging, wurde zusätzlich eine sich abzeichnende Krebserkrankung festgestellt. Da lernte er mit Dr. Juan Rubio einen Arzt kennen, der sich auch der fernöstlichen Medizin geöffnet hatte und ihm eine strikte Empfehlung gab: Du musst dein Leben ändern und deine Ernährung umstellen – weniger Stress, weniger Kaffee und eine strikt makrobiotische Ernährung. Damals haben wir zum ersten Mal überhaupt von der makrobiotischen Lebensphilosophie gehört. Nach acht Wochen war mein Vater ein neuer Mensch. Übrigens: Dr. Rubio arbeitet heute als Arzt für uns.
Ernähren Sie sich selbst auch makrobiotisch? Ich war erst skeptisch, dann neugierig. Schließlich habe auch ich meine Ernährung umgestellt und schnell acht Kilo abgenommen. Außerdem war meine chronische Migräne weg. Ich bin also Überzeugungstäter und habe mich auch deshalb entschlossen, meinen Vater beim SHA-Projekt zu unterstützen.
Die SHA Wellness Clinic gehört Ihrer Familie. Wie konnten Sie so ein gewaltiges Projekt in nur wenigen Jahren realisieren? Mein Vater kommt aus dem Immobiliengeschäft und wollte schon lange seine ganze persönliche Leidenschaft und Überzeugung in ein humanitäres Projekt stecken. So wurde – mit einem Investment über 60 Millionen Euro – aus einer Vision ein konkretes Projekt, das zunächst auf sehr viel Skepsis stieß. Heute, nach nunmehr vier Jahren, gibt uns aber auch der wirtschaftliche Erfolg Recht.
Letztendlich bestimmen genetische Veranlagung, Umwelteinflüsse und die Ernährung unsere Gesundheit und unser Alter. Davon können wir die Ernährung am schnellsten und einfachsten umstellen. Unser Körper verfügt ja über Alarmsysteme – meine Migräne war zum Beispiel so ein Alarm. Dann muss man das Problem an den Wurzeln packen – und das ist die Ernährung. Wir müssen viel mehr auf solche Alarmzeichen achten und die Ursachen erforschen. Exakt das gelingt uns im SHA offensichtlich überzeugend, was auch die Wiederholungsrate deutlich macht: Bereits nach vier Jahren können wir feststellen, dass zwei Drittel unserer Gäste immer wieder kommen – ein außergewöhnlich hoher Wert.
Wer kommt mit welcher Motivation zu Ihnen? „Klinik“ klingt im Deutschen nach Krankenhaus – verbringen Ihre Gäste also ihren Urlaub in einem Krankenhaus? Weltweit gibt es 86.000 Spas, dazu zählen wir uns nicht. Bei uns gibt es nicht nur aromatische Massagen, sondern auch professionelle medizinische Betreuung, Es ist einfach ein neues Konzept mit einem erweiterten Gesundheits-Verständnis, für das nicht nur die Abwesenheit offensichtlicher Krankheiten zählt, sondern vielmehr Vitalität, geistige Stimulation, gutes Aussehen, gesundes Altern. Wir gehen viel weiter und nennen uns deshalb ganz bewusst Clinic. Letztlich geht es darum, dass wir unser Potenzial ausschöpfen, schließlich können wir – rein organisch betrachtet –130 Jahre alt werden.
Wollen Sie wirklich so alt werden? Natürlich nicht wenn ich keine Energie mehr habe oder im Rollstuhl sitze. Wenn ich aber mit 90 noch reisen oder Tennis spielen kann, finde ich das schon erstrebenswert. Wir landen also immer bei der wichtigsten Voraussetzung – der Gesundheit.
Was unterscheidet das SHA von anderen Konzepten? Wen sehen Sie als Konkurrenz?
Was verbringen Ihre Gäste also im SHA? Ihren Urlaub oder einen Klinikaufenthalt?
Ich kenne kein Konzept, das auf vergleichbare Weise ärztliche Betreuung und fernöstliche Medizin mit der Qualität und dem Service eines Luxushotels vereint. Wir verfolgen unser Konzept konsequent und wollen nicht kopieren. Da war es wahrscheinlich von Anfang an hilfreich, dass wir uns nicht um Wettbewerber gekümmert haben und unseren ganz eigenen Weg gegangen sind.
Viele kommen zu uns, um einmal auf den Reset-Schalter zu drücken. Es ist so etwas wie ein intelligenter Urlaub, den unsere Gäste bei uns verleben.
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Zentrale Bedeutung kommt in Ihrer Philosophie der Ernährung zu. Warum ist das Essen so wichtig? Schon Plato hat gewusst, dass wir das sind, was wir essen.
Alejandro Bataller Pineda ist der Sohn des Gründers Alfredo Bataller Parietti und für das Marketing der im Familienbesitz befindlichen SHA Wellness Clinic verantwortlich. Zuvor war er innerhalb der LVMH Gruppe für Louis Vuitton tätig, bevor er auch voll innerer Überzeugung in das Projekt mit eingestiegen ist.
BILDBÄNDE // Buchtipps
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Wenn Bilder Bände sprechen PURE LIEBT UND SUCHT GUTE FOTOGRAFIEN. Diese neuen Bildbände haben uns fasziniert und zeigen auf dem Coffee Table immer auch das Format ihres Besitzers. VON DEN SCHÖNEN SEITEN DES LEBENS BIS ZUM BITTEREN NACHGESCHMACK
DESIGN / NACHHALTIGKEIT `
THE BIKE BOOK //
Lifestyle. Passion. Design. So lautet der Untertitel des neuen Bandes über Fahrräder, die alles Mögliche sind, nur nicht alltäglich. Die Deginder Cycle Manufactur in Berlin-Charlottenburg setzt dem Fahrrad Hörner auf und fertigt individuelle Designstücke wie hier den DCM Chopper mit sechs Zoll breiten FatBoy-Hinterreifen. Als Gegenentwurf dazu das reduzierte Ludwig XIV der Magdeburger Firma Schindelhauer: elegant, unauffällig, formschön. Ein klassisch-zeitloses Design für Liebhaber von Understatement. Der italienische Designer Ugo Fava von BYografia nimmt sich des Platzproblems auf den Straßen der Großstadt an und entwirft den Stauraum für die Wohnung. Eine freche und zugleich praktische Lösung ist es allemal, das Bookbike-Regal, bei dem das Fahrrad zum Wohnobjekt wird, neben Büchern und CDs.
Bei diesen Ikonen für den Wohnzimmertisch ist das Beste gerade gut genug: Die Crème des Interior-Designs, Sieger zweier Fotografie-Wettbewerbe, das wichtigste Werk der Kochkunst, die tollsten Fahrräder und die 50 nachhaltigsten Architekturbeispiele aus aller Welt
BILDBÄNDE // Buchtipps
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PRIX PICTET 04 POWER
THE BIKE BOOK
GREEN ARCHITECTURE NOW! VOL. 2
UNWELT UMWELT
GUTER RAD
SMARTES BAUEN
Man sucht nach den richtigen Worten. Vielleicht passt „Bedrücktheit“. Denn der neue Band von Prix Pictet erzeugt und hinterlässt ein Gefühl der Betroffenheit. Bilder aus Tschernobyl oder dem Kongo, von Kriegen in Bosnien oder Libyen. Durchweg tolle, eindrucksvolle Arbeiten. Aber Ziel des Prix Pictet ist es eben, durch Fotografien die Aufmerksamkeit der Welt auf Fragen der globalen Nachhaltigkeit zu richten, speziell auf den Bereich Umwelt. In seinem vierten Jahr steht der Preis unter der Überschrift „Power“ und umfasst damit Themen wie Energie, Gewalt und Macht. Da spielt politische oder gesellschaftliche Macht eine Rolle, auch Machtlosigkeit gegenüber politischen oder wirtschaftlichen Entscheidungen. Zwölf Künstler werden mit ihren Portfolios im Rahmen des Fotowettbewerbs vorgestellt, ergänzt durch thematisch passende Bilder anderer Fotografen. Das Ergebnis ist eine Fülle von Geschichten und Schicksalen, die ein schlimmes Bild von der Welt zeigen, manchmal auch ein wenig Hoffnung spenden. Der Prix Pictet wurde 2008 von der Genfer Privatbank Pictet & Cie ins Leben gerufen.
Bei aller Freundschaft – aber braucht man dieses Buch unbedingt? Gut, es ist schön aufgemacht, großformatig, ausgezeichnet verarbeitet, bestückt mit lupenreinen Bildern. Und es ist ja ein interessantes Thema – und genau das ist der springende Punkt: Muss man dafür ein Fahrrad-Freak sein? So wie sich Leute ein Autobuch kaufen, auch wenn sie nicht vier Autos besitzen, sondern nur eines, aber gerne mehr hätten und sie sich deshalb in gedruckter Manier ansehen. Man beschäftigt sich als Fan eben mit dem Thema, und zwar nicht nur im Internet, sondern mit einem nachhaltigen Druckerzeugnis. Es geht schließlich – und dies ist auch der Untertitel des neuen Bandes – um „Lifestyle, Passion, Design“. Genauer gesagt, um Sporträder und Stadträder, um E-Bikes und Spezialräder. Wunderbar ist auch das Kapitel mit den Accessoires, wirklich sehenswert allein die Seite mit den Fahrrad-Kappen. Präsentiert wird das Ganze mit erstklassigen, teils recht kreativen Aufnahmen von unfassbar schönen, zuweilen auch sehr ausgefallenen Zweirädern. Um es kurz zu machen: Für Liebhaber von Rädern aller Art ist das Bike Book ein Must.
Die auf 3.835 Meter Höhe gelegene Goûter-Hütte sieht aus wie ein überdimensionaler Teekessel aus Aluminium und Glas. Vorbei die Zeit der guten alten Holzhütte. Auf dem Weg zum Mont Blanc begegnen Bergsteiger diesem scheinbar extraterrestrischen Gebilde, entworfen vom Büro DécaLaage in Chamonix. Noch überraschender: Der Space-Stil ist auch noch ökologisch – ebenso wie die anderen Beispiele im neuen Band zur Serie „Architecture Now!“ Nie war Bauen mit gutem Gewissen interessanter. Grüne Architektur hat sich etabliert und nimmt zukunftsweisende Formen an, wie diese 52 Beispiele aus aller Welt belegen, darunter ein Büro, ein Hotel, mehrere Privatvillen, eine Bank, eine Bar, ein Museum und eine Schule. Stars wie Peter Zumthor oder Bernard Tschumi zeigen hier ihre Entwürfe, und die junge Architektengarde von Korea bis Kalifornien, von Vietnam bis Berlin hält dagegen – mit einem Tunnel aus Blumentöpfen von Olafur Eliasson oder mit einer vom Büro BIG (Bjarke Ingels Group) entworfenen Müllverbrennungsanlage mit Skipiste auf dem Dach. So smart kann nachhaltiges Bauen aussehen.
teNeues Verlag 25 x 32 cm, 136 Seiten 71 Farb- und 12 Schwarz-Weiß-Abbildungen 49,90 Euro ISBN 978-3-8327-9679-2
teNeues Verlag 25 x 32 cm, 220 Seiten 300 Farbabbildungen 49,90 Euro ISBN 978-3-8327-9605-1
Philip Jodidio Taschen Verlag 19,6 x 24,9 cm, 416 Seiten 29,99 Euro ISBN 978-3-8365-3589-2
HASSELBLAD MASTERS VOL. 3 EVOKE
ANDREW MARTIN INTERIOR DESIGN REVIEW VOL. 16
MODERNIST CUISINE
LASST BILDER SPRECHEN!
ES IST EINGERICHTET
EPOCHALES KOCHEN
Apparat. Ein schönes altes Wort. Vermutlich älter als die 61-jährige Firma Hasselblad. Apparat steht im Lexikon für „ein technisches Gebilde von höherer Komplexität“. Und genau das sind die Kameras, hochpräzise Apparaturen, mit denen nicht jeder umgehen kann. Die Menschen, die hinter dem Auslöser fungieren, sind in der Regel versiert im Umgang, einige sogar die Meister ihres Fachs. Das Masters hat wie schon seine Vorläufer wieder begnadete Fotografen gefunden. Sie stellten sich diesmal der Aufgabe „Evoke“, sollten also mit ihren Bildern etwas hervorrufen, an die Oberfläche bringen. Die Ergebnisse sind brillante Aufnahmen der unterschiedlichsten Themengebiete und hervorgebracht haben sie unter anderem einen brüllenden Gorilla, kühne und coole Architektur, Skateboard-Action in einem leeren Pool, Sträflinge in ihrem Gefängnisalltag, ein verlassenes Haus in Galicien, eine einsame Eislandschaft und Elefanten im Schlamm. Die teils dürftigen Bildbeschreibungen erklären sich durch die Aufgabenstellung: Diese Bilder sollen beim Betrachter einfach nur etwas evozieren, etwas bewirken. Das tun sie. Auch ohne viele Worte.
Der neue Band von Andrew Martin ist schlichtweg eine Bibel. Man sollte diesen Ausdruck nicht überstrapazieren, aber dieses Buch ist ein Über-1.000-Seiten-Schmöker. Und genau das kann man nach Herzenslust: darin schmökern. Der Andrew Martin Interior Design Review stellt rund 100 Designer vor und zeigt die unterschiedlichsten Stile aus aller Welt. Andrew Martin? Das ist eine der bekanntesten Einrichtungsfirmen der Welt mit Verkäufen in über 50 Ländern. Von der Sunday Times als „Oscar der Interior Design Welt“ geadelt, präsentiert das Standardwerk auch in diesem Jahr die führenden Interior-Designer und ihre Entwürfe, beziehungsweise ihre Resultate. Präsentiert werden Einrichtungen in Privathäusern, Hotels, Restaurants oder in Superyachten. Dabei lernt man: Die Geschmäcker sind verschieden. Und wie! Nichts scheint so individuell wie die eigenen vier Wände, zumindest diese hier vorgestellten Lösungen. Von cool bis plüschig, von protzig bis praktisch, klassisch oder extravagant, vom skandinavischen bis zum amerikanischen Stil, mit der Exotik Asiens oder dem Prunk Arabiens. Ein Bildband im Wortsinn, der Text beschränkt sich jeweils auf die Hard Facts.
„Dieses Werk wird unsere Vorstellung vom Kochen verändern“, sagt Ferran Adrià, der Großmeister der AvantgardeKüche. Allein beim Betrachten der fantastischen Bilder in den soeben erschienenen sechs Bänden über die moderne, experimentelle Kochkunst muss man dem ehemaligen Chef des weltbekannten Restaurants elBulli Recht geben. Die Autoren zeigen die wissenschaftlichen Hintergründe und erklären die innovativen Techniken der weltbesten Köche. Der Physiker Nathan Myhrvold, nach seiner Promotion bei Stephen Hawking lange als Technologiechef bei Microsoft tätig, arbeitete mehrere Jahre mit einem 20-köpfigen Team an „Modernist Cuisine“. Im Max-Planck-Institut Mainz gibt er mit Co-Autor Maxime Bilet exklusive Einblicke in Entstehung und Schwerpunkte des Kompendiums. Die zentrale Frage lautet: Kann ein Hobbykoch die Rezepte wirklich nachkochen? Myhrvolds Antwort: „Die meisten Gerichte können in einer ganz normalen Küche zubereitet werden.“ Kleiner Zusatz des Wissenschaftlers: „Wenn Sie sich einige preiswerte Geräte zusätzlich anschaffen, zum Beispiel eine Digitalwaage, einen Homogenisator, eine Zentrifuge und ein Sous-vide-Wasserbad.“
Andrew Martin – Interior Design Review Vol. 16, Text in englischer Sprache teNeues Verlag 512 Seiten, 1.067 Farb- und 47 SW-Abb. 49,90 Euro ISBN 978-3-8327-9606-8
Nathan Myhrvold mit Chris Young und Maxime Bilet sechs Bände im Acrylschuber Taschen Verlag 2.438 Seiten, über 3.200 Fotos, 399 Euro ISBN 978-3-8365-3256-3
teNeues Verlag 240 Seiten 79 Farb- und 42 Schwarz-Weiß-Fotografien 79,90 Euro ISBN 978-3-8327-9607-5
VORSCHAU
April / Mai / Juni DAS MAGAZIN FÜR WIRTSCHAFT/DESIGN/NACHHALTIGKEIT
Die nächste
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erscheint im März 2013
2013
VORSCHAU 10
UNSER FOOD-SPECIAL ist dem „Getränk der Nation“ gewidmet – KAFFEE. Mehr als 300 Millionen Tassen Kaffee werden täglich in Deutschland getrunken und machen das koffeinstrotzende Lebenselixier noch vor Mineralwasser und Bier zum beliebtesten Getränk hierzulande. ALS MATERIALTHEMA FOLGT MIT EMAILLE ein Stoff, der sich nach Omas Geschirr anhört und doch zeitgemäßer denn je ist: Mit Emaille behandelter Stahl ist praktisch „unkaputtbar“ – und wenn er doch einmal entsorgt werden muss, wird daraus wiederverwertbarer Stahl. In unserer Folge der wichtigsten Designer ist nunmehr endgültig der bereits für diese Ausgabe angekündigte JAMES IRVINE an der Reihe. Der Brite ist ein Schüler des legendären Ettore Sottsass, mit Studio in Mailand und Kunden von Ikea bis Thonet. DIE NEUEN WOHN- UND KÜCHENTRENDS kommen pünktlich zur nächsten pure von der IMM in Köln. UNSER ARCHITEKTURSCHWERPUNKT IST WIEDER DEM HOLZ GEWIDMET – jetzt allerdings richtig großen Häusern, für die zunehmend Holz als nachwachsender und damit nachhaltiger Baustoff eingesetzt wird. Wir sind im AUTOMOBILDESIGN der Frage nachgegangen, wie Hersteller Ikonen schaffen, die scheinbar nie alt aussehen. Wir stellen DIE WICHTIGSTEN E-BIKES UND PEDELECS vor und zeigen, wie sportlich und zeitgemäß Fahrräder mit Elektromotor sein können. In unserem Reise-Special dreht sich dieses Mal alles um eine der nachhaltigsten Regionen in Europa: SÜDTIROL. Dazu unsere festen Ressorts und wieder ZEHN PRODUKTE, DIE DEN PURE QUALITY AWARD FÜR NACHHALTIGES DESIGN VERDIENT HABEN. Bildnachweis: Soweit nicht anders erwähnt: Hersteller
UNSER ARCHIV – DIE EINZELHEFTBESTELLUNG Die Nachfrage freut uns – folgende Ausgaben von pure können Sie nachbestellen. (Je 9,80 € zuzüglich Porto, eine detaillierte Kostenaufstellung erreicht Sie vorab per Mail.) Auch hier gilt die Adresse unseres Service-Teams: info@premiumpark.de 01
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