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Karola Obojes-Wahler: Lebenslanges Lernen

KAROLA OBOJES-WAHLER Lebenslanges Lernen

Karola Obojes-Wahler beschäftigt sich seit ihrem Studium mit Viren und ist bis heute fasziniert, zu was sie allem in der Lage sind. Eine Pandemie hätte die Wissenschaftlerin, die in St. Vigil aufgewachsen ist, in diesem Ausmaß nicht erwartet. „Auch wenn neuartige Viren und Endemien immer wieder auftauchen werden”, wie sie sagt. Im Interview erzählt die 46-Jährige, wie sie zur Virologie gekommen ist, ob Virologen mit einer Pandemie gerechnet haben und was sie an Südtirol besonders schätzt, seit sie nicht mehr hier lebt.

PZ: Nach bald zwei Jahren Pandemie kennt jeder Virologen wie Christian

Drosten und Sandra Ciesek. Wie kam eine gebürtige Gadertalerin mit der Virologie in Kontakt?

Karola Obojes-Wahler: Durch Zufall habe ich als Jugendliche im Fernsehen eine Reportage über Robert Gallo gesehen. Der US-Virologe ist Entdecker der ersten menschlichen Retroviren und gehört zu den Mit-Entdeckern der HIV-Viren. Dass Viren in der Lage sind, Menschen außer Gefecht zu setzen, hat mich von Beginn an fasziniert und ich sagte zu meiner Mutter: Wenn ich groß bin, werde ich Virologin. Sie wusste überhaupt nichts damit anzufangen und tat das als Spinnerei ab. Davon ließ ich mich nicht beirren. Ich besuchte das Realgymnasium in Bruneck mit anschließendem Studium der Biologie.

Haben Sie in dieser Zeit schon versucht, mehr über Viren zu erfahren? Mein erstes Buch über Virologie schenkte mir damals eine Bekannte bei einem Sommerjob in St. Vigil in Enneberg, da ich sie die ganze Zeit mit diesem Thema genervt hatte. Um mich über Viren zu informieren, habe ich sämtliche Bücher und Zeitschriften zum Thema gekauft oder in der Stadtbibliothek in Bruneck ausgeliehen. Damals hatte ich ja noch keinen Computer und kein Internet.

Sie haben in Innsbruck und Salzburg studiert.

Innsbruck als Studienort zu wählen, war zunächst eine pragmatische Entscheidung, weil ich das Stipendium des Landes Südtirol erhalten habe. Ich hatte den Studiengang der allgemeinen Biologie schnell abgeschlossen und hätte für die Fortsetzung des Studiums aber warten müssen, weshalb ich nach Salzburg gewechselt bin. Dort gab es damals schon den neuen Studiengang Genetik mit Virologie. Meine Diplomarbeit habe ich über Coronaviren geschrieben. Die gibt es seit eh und je, halt eben andere Stämme. Karola Obojes-Wahler, Jahrgang 1975, wächst in St. Vigil in Enneberg auf. Nach dem Besuch des Realgymnasiums in Bruneck studiert sie Mikrobiologie in Innsbruck und wechselt dann an die Universität Salzburg, wo sie das Studium der Genetik mit Virologie abschließt. Ihre Diplomarbeit über Coronaviren wird mit dem Sackler-Preis ausgezeichnet. Im Anschluss geht sie nach Würzburg, wo sie ihre Doktorarbeit über Masernviren schreibt und promoviert. Es folgen zwei Jahre als postdoktorale Stipendiatin in Laval (Kanada) und ein Postdoc in Würzburg. Seit 2008 arbeitet sie bei einer Pharmafirma in Mannheim, zunächst als (Senior) Applikationsspezialistin und seit Februar 2022 als Referentin für biologische Sicherheit. Zurzeit absolviert Obojes-Wahler, die Mitglied des Netzwerks Südstern ist, berufsbegleitend ein MBA-Studium am Management Center Innsbruck (MCI). //

den größten Genomen. Die ersten Coronaviren wurden schon in den 60er-Jahren beschrieben. Ihren Namen verdanken sie ihrem Aussehen, das einer Sonnenkorona ähnelt. Vertreter dieser Virenfamilie verursachen bei allen vier Klassen der Landwirbeltiere, also Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Amphibien, sehr unterschiedliche Erkrankungen. Sie sind genetisch hochvariabel, deswegen müssen wir uns in der jetzigen Pandemie mit so vielen Varianten auseinandersetzen.

In der Doktorarbeit haben Sie sich dann mit Masernviren auseinandergesetzt.

Masernviren sind im Gegensatz zu den Coronaviren ausschließlich humanpathogen. Das bedeutet: Das einzige Reservoir ist der infizierte Mensch. Sie zählen zu den sogenannten neurotropen Viren, die entlang der peripheren Nerven über die Blut-HirnSchranke in das Zentralnervensystem eintreten und deshalb zu neurologischen Komplikationen führen können.

Hätten Sie sich je vorstellen können, dass sich einmal so viele Menschen für

Viren interessieren?

Sobald ich gehört habe, dass es Viren gibt und dass diese winzigen Dinger salopp gesagt den Menschen außer Gefecht setzen

können, war ich fasziniert davon. Dass uns das Thema nun alle auf der ganzen Welt schon so lange beschäftigt, hätte ich nicht für möglich gehalten. Es ist klar, dass es immer neuartige Viren geben wird und dass Endemien ausbrechen können. Aber eine Pandemie in diesem Ausmaß, damit haben wir Virologen nicht gerechnet. Durch die Corona-Pandemie haben Menschen auf der ganzen Welt gelernt, was ein Virus überhaupt ist und wie man sich gegen Viren schützen kann. Es ist sehr wichtig, dass die Menschheit versteht, was Viren oder auch Bakterien sind. Auch meine Eltern haben erst durch diese Pandemie wirklich verstanden, was ich eigentlich beruflich mache. Mein Vater arbeitet auch als Berg- und Skiführer und wenn Kunden ihn früher gefragt haben, was ich beruflich mache, war seine Antwort immer: Sie arbeitet irgendwas…

Seit 2008 arbeiten Sie bei einer Pharmafirma. Gerade sind Sie von der Corona-Hotline in den Bereich als Referentin für biologische Sicherheit gewechselt. Was erfüllt Sie an Ihrem

Beruf?

In meinem Beruf habe ich tagtäglich die Möglichkeit, mich mit meinem Lieblingsthema Viren zu beschäftigen und in der Hotline Kunden weiterzuhelfen. Ich würde mir wünschen, dass sich die Jugend mehr mit der Thematik Virologie auseinandersetzen würde. Aktuell absolviere ich auch ein MBAStudium am Management Center in Innsbruck. Dabei lerne ich viel über Management und Digitalisierung. Als Mitglied der deutschen Gesellschaft für Virologie weiß ich, wie wenig Management-Erfahrung wir Virologen mitbringen. Ich kann deshalb jedem mit naturwissenschaftlicher Ausbildung dieses Studium empfehlen.

Faszinierend und gefährlich: das Coronavirus. Fusion Medical Animation/Unsplash

Ihr Mann ist Bauingenieur in Würzburg, Sie arbeiten in Mannheim.

Wir haben uns während meiner Doktorarbeit auf einer Faschingsfeier kennengelernt. Nach meiner Promotion bin ich für meinen Postdoc zwei Jahre nach Kanada. Das war unsere Bewährungsprobe. An getrennten Orten zu arbeiten, gehört bei uns irgendwie dazu.

Bleibt Südtirol Heimat?

Ich versuche dreimal im Jahr nach Südtirol zu kommen. Dann besuche ich meine Familie und meine Freundinnen. Ich möchte zudem auch etwas von der Welt sehen. Meine 30 Urlaubstage muss ich mir also gut einteilen.

Sie leben seit über 20 Jahren im Ausland und blicken mit anderen Augen auf Südtirol. Wie hat sich das Land seither verändert?

Südtirol ist ein reich gesegnetes Land mit seiner wunderschönen Bergwelt. Ich würde mir wünschen, dass sich die Südtiroler mehr auf Regionalität besinnen und sich glücklich schätzen, in so einer Gegend zu leben und zu arbeiten. Seit ich in Industriestädten lebe, schätze ich die frische und gesunde Luft in Südtirol umso mehr.

Immer mehr Frauen gehen in Forschung und Naturwissenschaft. Leicht haben Sie es in diesem Bereich nicht.

Was sind Ihre Erfahrungen?

Als Frau in der Wissenschaft gibt es zahlreiche Hürden. Ich empfehle, sich diesen Weg gut zu überlegen, denn man muss auf vieles verzichten. Besonders die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wegen der Arbeitszeiten und der Arbeitslast sehr schwierig zu bewerkstelligen. Zudem muss man seine Kompetenz als weibliche Person ständig unter Beweis stellen, was mit lebenslangem Ler-

nen einhergeht. // Interview: Verena Duregger

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