www.laudatio-verlag.de
16,00 €
ISBN 978-3-941275-92-8
Laudatio
Reiner Dittrich
Reisen in ferne exotische Länder, arbeiten, wo andere Urlaub machen, Abenteuer an beeindruckenden Naturschauplätzen weltweit bestehen: Wer träumt nicht von solch einem Leben? Doch Reiner Dittrich, Projektmanager im Entwicklungsdienst a. D. stellt in diesem Buch klar: Dieses und mehr kann jeder erreichen, der sich Ziele setzt, die ambitioniert genug sind und Schritt für Schritt darauf hinarbeitet. In seiner Autobiografie berichtet der heute 74-jährige Technische Betriebswirt von organisatorisch-diplomatischen Glanzleistungen und leidenschaftlichen Begegnungen in Zeiten internationaler politischer Umbrüche. Er nimmt uns mit auf spannende Expeditionen nach Asien, Afrika und Europa und zeigt, wie man mit der nötigen Entschlossenheit und Zielstrebigkeit auch unter widrigsten Bedingungen zum Schmied seines eigenen Glückes werden kann, getreu dem Motto: „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum!“
allein k c Glü genügt nicht! Mit Entschlossenheit, viel Mut und etwas Glück zu einem erfüllten Leben
Laudatio
allein k c ü l G genügt nicht!
Glück allein genügt nicht!
Reiner Dittrich
Laudatio
Impressum Alle Rechte vorbehalten © 2016 Laudatio Verlag, Frankfurt am Main Autor: Reiner Dittrich Lektorat: Andreas Grunau Korrektorat: Manfred Enderle Umschlagbilder: © byrdyak, © subinpumsom (fotolia.de) Wenn nicht anders bezeichnet: © Reiner Dittrich Map of Europe: © Carlosblh, Africa: © Andreas 06, Russia © carol, USA © Spitfire 19, India © Shinas, Greece © SilentResident, Philly boy92, (wikimedia.org) ISBN 978-3-941275-92-8 www.laudatio-verlag.de
Inhalt Lebe jetzt – und tue was du willst!
5
Der Entschluss
9
Marine – der erste Schritt, vielleicht der wichtigste
10
Wem Gott will rechte Gunst erweisen
13
Wieder so ein mutiger Entschluss
14
„Blanke Lust“, statt blanker Hans
15
Ankunft in Indien
21
Ein Kühlschrank auf Abwegen
23
Tigerjagd statt Kühlschrank
25
Mahandri
28
Mit Maggie im Paradies
30
Ein paar neue Schuhe mit Zugabe
33
Weiter auf dem Weg rund um den Globus
34
Ein kurzes Wiedersehen mit Sylvia
36
Entschlossenheit
37
Mit Anzug und Krawatte in den 7. Stock
39
Die schöne Bettina, Hauptfach neben BWL
43
1973 – Brief – Maggie – Gedanken
49
Die falsche Entscheidung
54
Wieder mal eine positive Entscheidung
58
Glück gehabt?
59
Liebe mit Umwegen
61
Endlich angekommen – mein Traumjob
66
Die unglaubliche Umsackaktion
71
Von Indien nach Afrika
77
Wie Abenteuer von innen aussehen
78
Warum tue ich das?!
85
An einem der schrecklichsten Orte
85
Noch einmal (fast) ein Neubeginn
91
Wieder zurück nach Indien
91
Ein Gesundheitscheck der besonderen Art
92
Fallschirmspringen
101
Ein Fazit und eine Zwischenbilanz
108
Wie wichtig klare Anweisungen sind
111
Jetzt auch Projekte in Osteuropa
117
Das letzte Großprojekt in Russland
123
Abschied vom Berufsleben
127
Rede beim Ausscheiden aus der GTZ
128
Auf den Kilimandscharo
131
Die Alpenüberquerung
136
Der heilige Berg Athos und die Folgen
139
Vielleicht so etwas wie ein Fazit
152
Lebe jetzt – und tue was du willst!
Es gibt viele unglückliche Versuche, glücklich zu werden. Doch Glück allein genügt nicht, um glücklich zu werden. Viele dieser alten – uralten – Weisheiten von Zarathustra und Konfuzius habe ich gelesen und versucht zu verstehen, auf mich zu beziehen. Mein Ergebnis ist: Mach es doch einfach! Tue, was du willst. Aber was willst du?! Stelle dich vor den Spiegel und frage dich das jeden Tag und immer wieder: „Was will ich? Nehme ich die Treppen oder den Fahrstuhl, laufe ich heute bei miesem Wetter meine zehn Kilometer oder warte ich, bis die Sonne mal wieder scheint? Muss ich dem aktuellen Trend hinterher jagen, das neueste Handy besitzen, nur weil andere es schon haben, oder erfüllt das alte noch voll und ganz meine Bedürfnisse? Bestimme ich, was ich will – oder bestimmen andere, das Wetter, die Medien, meine Freunde, die Umwelt, was ich zu tun habe? Bin ich Fatalist oder Determinist? Kann ich eh nichts ändern? Bin ich schon ein toter Fisch, der nur noch mit der Strömung treibt oder bestimme ich die Richtung?“ In der modernen Welt mit dieser Flut an Medien – die alle nur Geld an uns verdienen wollen – geht es immer nur darum, mir zu suggerieren, was ich tun soll, damit sie davon profitieren. Man muss nicht zurückgezogen und alleine im Wald leben, sich Stöpsel in die Ohren stopfen oder sich Scheuklappen anlegen, um seine Persönlichkeit zu leben, sich Wünsche zu erfüllen, möglichst frei zu sein von Manipu5
lationen. Im Gegenteil: Gestalte dein Leben nach deinen Vorstellungen! Nutze die Chancen, die dir heute geboten werden! Mach dich frei von dem, was andere von dir wollen, von dir erwarten, von dir verlangen! Ich habe mal einer Frau geantwortet, als sie mich anflehte: „… aber ich brauche dich doch!“ „Wieso und wozu brauchst du mich? Mach dich stark, dann brauchst du mich nicht.“ Der einzige Mensch, den du wirklich brauchst, bist du selbst. Schon in der Bibel heißt es: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Nur wenn du dich selbst liebst, kannst du andere lieben, nur wenn du selbst stark bist, kannst du Schwachen deine starke Schulter anbieten, nur wenn du schwimmen kannst, kannst du Ertrinkende retten. Diese Einstellung ist kein Egoismus, denn egoistisch zu sein bedeutet, zulasten und auf Kosten anderer zu leben. Nein, das meine ich aber nicht. Das besser passende Wort lautet: selbstzweckorientiert. Ich setze voraus: „Der wichtigste Mensch bin ich.“ Also: Glaube an dich! Steck dir jeden Tag kleine, neue Ziele, – auch solche, die dir zunächst unerreichbar erscheinen! Auch wenn du sie vielleicht erst in einigen Jahren, Jahrzehnten erreichen wirst. Behalte sie im Kopf, in Erinnerung, sie geben dir den nötigen Antrieb für den heutigen Tag, die nächsten Tage, Wochen und dafür, dein Ziel irgendwann tatsächlich zu erreichen. Mit 16 wollte ich die Welt umrunden, einmal um den Globus. Damals völlig unvorstellbar. Bereits mit 26 war ich einmal rund um den Erdball und hatte mir diesen Traum erfüllt! Als 18-Jähriger hatte ich es mir in den Kopf gesetzt, irgendwann einmal in die „Etosha-Pfanne“ in die damalige Republic of South Africa (heute: Namibia) zu reisen. 6
Im Alter von 72 Jahren war ich dann tatsächlich dort gewesen. Warum ich dorthin wollte, hatte ich zwischenzeitlich längst vergessen. Und was habe ich dort gesehen? Nichts! Nichts als eine Salzebene, 120 mal 60 Kilometer, 7200 Quadratkilometer, 13-mal größer als der Bodensee. Egal, ich war dort, ich hatte mein Ziel erreicht. Darum geht es: Setz dir Ziele, viele kleine jeden Tag und auch große. Jedes Ziel, das du dir steckst und erreichst, macht dich reicher, stärker und selbstbewusster: „Heute habe ich wieder die vier Etagen zu meinem Büro zu Fuß bewältigt – und nicht den Fahrstuhl genommen. – „Ich habe mir heute nicht die Zigarette direkt nach dem Essen angesteckt, wie sonst immer, sondern erst eine Stunde danach.“ – „Ja, ich habe es gemacht und ich bin stolz auf mich! Wieder ein kleiner Sieg!“ Und Siege, mögen sie auch noch so klein sein, machen stolz – und glücklich. Natürlich gehört zum Glücklichsein auch ein bisschen Glück. Das Glück, in einem Land geboren worden zu sein und aufwachsen zu können, das nicht, wie viele andere Länder, wie etwa Bangladesch oder Nigeria von Hunger, Dürre und Krieg gezeichnet sind. Das Glück, weitestgehend gesund und unversehrt an Leib und Leben sein zu dürfen. Das Glück, von vernünftigen Eltern abzustammen, mit mittlerer Intelligenz und einer normalen durchschnittlichen körperlichen Gestalt ausgestattet zu sein. Manche glauben auch, dass es Glück sei, zum Beispiel im Sternzeichen Zwillinge mit Aszendent Waage geboren zu sein oder das Pech zu haben, als erstgeborener Sohn nach drei älteren Schwestern das Licht der Welt zu erblicken. Reiche Eltern zu haben ist keine Voraussetzung, um glücklich zu sein. Im Gegenteil, es kann eine unerträgliche Last 7
oder eine Verführung zum Unglück sein, eine Verführung zum Müßiggang. Was bezeichnen Sie für sich als Glück in Ihrem Leben? Ich möchte Sie mit meinen folgenden Aufzeichnungen einladen, ein paar Erinnerungen aus meinem Leben mit mir zu teilen und anschließend selbst zu urteilen: War das alles nur pures Glück oder haben meine Entscheidungen und entschlossenen Handlungen einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass ich heute, im fortgeschrittenen Abschnitt eines reichen und erfüllten Lebens, von so vielen Momenten der Glückes berichten kann? Vielleicht entdecken Sie ja die eine oder andere Parallele zu Wegkreuzungen oder Umwegen in Ihrem eigenen Leben? Oder Sie bekommen Lust, den einen oder anderen Weg, den ich in meinem Leben zum Glück eingeschlagen habe, auf Ihre eigene Art und Weise selbst zu verfolgen? Haben Sie den Mut, sich eigene Ziele zu setzen. Dann hätte sich das Aufschreiben meiner Lebenserinnerungen für mich noch einmal mehr gelohnt und Sie könnten ebenso wie ich feststellen: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“ (Cicely Saunders)
8
Der Entschluss
Von meinem Schraubstock in der Lehrwerkstatt der Werkzeugmacherei – Herzstück jedes Produktionsbetriebes – sah ich auf die lange Werkbank mit den Gesellen. Vorn die Jung-Gesellen, hinten mit 63 Jahren Emil, der Alt-Geselle. Alle im „Blaumann“, dem klassischen blauen Arbeitsanzug. Ganz hinten, am Ende der Werkstatt befand sich die Glasbude, darin Meister Schürmann im grauen Kittel. Ab und zu kam jemand im weißen Kittel aus dem Zeichenbüro und brachte neue Pläne oder Zeichnungen, die Meister Schürmann dann prüfte und an einen Gesellen weitergab. Ganz selten kam ein Herr im Anzug mit Krawatte. Dann wurde getuschelt: „Der Herr Ingenieur!“ Das wollte ich auch erreichen. Ich wollte später einmal der Mann mit Anzug und Krawatte sein. Doch wenn sich nichts veränderte, sollte meine Zukunft anders aussehen: Ich dürfte mich die nächsten 40 bis 45 Jahre an der langen Werkbank langsam immer einen Platz weiter nach hinten dienen. Nein, dazu war ich nicht geschaffen. Die Angestellten im weißen Kittel und im Anzug kamen und gingen durch die Tür ins Hochhaus. Wir, die aus der Werkstatt, gingen durch das Werkstor. Ja, ich wollte auch durch die Tür ins Hochhaus gehen. Dies zu erreichen, war ich fest entschlossen!
9
Marine – der erste Schritt, vielleicht der wichtigste
Meine Lehre hatte ich mit gut bzw. sehr gut bestanden und war mit 17 ins wehrpflichtige Alter gekommen. Der Abschied vom Leben als Jugendlicher, der Übergang zum Mann fiel mir schwer. Ich hatte Pickel und mein krauses, wildes Haar eignete sich nicht zur Elvis-Locke. Mit meinem Freund Jimmy, der eigentlich Frank Peter heißt, fuhren wir mit unseren Rädern richtige Radrennen – eine Not, denn unsere Eltern erlaubten uns kein Moped. Das war gut so, denn so gerieten wir nicht in kleinkriminelle Cliquen, die Autos knackten und andere Straftaten begingen. Jimmy und ich beschlossen, uns freiwillig zur Bundeswehr zu melden und nicht zu warten, bis man uns zu den „Grauen“ holen würde. Jimmy wollte unbedingt zu den Fallschirmspringern, ich zur Marine, weil ein Onkel von mir bei der Marine war und mir erklärt hatte, dass man bei der Marine das beste Essen, die schickste Uniform und das meiste Geld bekäme. Außerdem reizte mich die Möglichkeit, fremde Länder zu bereisen. So bewarb ich mich und wurde zur dreitägigen Musterung nach Wilhelmshaven eingeladen. Mit wenig Hoffnung, denn ich hatte inzwischen erfahren, dass zwei Drittel aller Bewerber durchfielen. Es gab einfach noch zu wenig Schiffe im Verhältnis zu der Menge an Anwärtern. Doch ich wurde genommen. Glück gehabt? Gerade 18 Jahre alt geworden, fuhr ich also am 30. Juni zur Grundausbildung nach Glückstadt an der Elbe. Es folgten drei sehr harte Ausbildungsmonate in einem heißen Som10
mer. Hat man uns schikaniert, geschliffen? Nein! Provoziert, ja! Ich war durch mein Radfahren topfit und entschlossen, diese Ausbildung zu überstehen. Ja, man wollte auch aussortieren. Doch wir waren ja freiwillig hier und hätte man mich heimgeschickt, wäre das für mich eine Niederlage gewesen. Nach der Grundausbildung, die mir alles abverlangt hatte, und dem ersten technischen Lehrgang von noch einmal drei Monaten in Kiel gab es über Weihnachten den ersten Urlaub in Bielefeld. Ich ging einen alten Freund besuchen, dessen Eltern einen Friseursalon hatten. Als ich den Laden betrat, sah ich ein Mädchen, das gerade damit beschäftigt war, den Fußboden zu wischen. Ich wollte sie fragen, wo ich den Juniorchef finden könne, doch als sie mich ansah, vergaß ich meine Worte. Sie hatte grüne Augen, wunderbar rote Haare und eine Haut fein wie Samt, zart wie Pfirsich. Ich muss sie angestarrt haben, als sei sie ein außerirdisches Wesen, doch sie schaute mit ihren grünen, klaren Augen einfach nur zurück. Plötzlich wurde sie verlegen und blickte hinab auf den Scheuerlappen in ihrer Hand. Es war ihr sichtlich peinlich, dass ich sie bei dieser niedrigen Arbeit antraf. „Was möchten Sie, bitte?“ „Ach, äh, ich möchte zu Herrn L.“ „Gehen Sie bitte durch, er ist in der Wohnung.“ Ich fragte meinen Freund, wer das Mädchen sei, das draußen den Fußboden scheuerte. „Sie ist Kosmetikerlehrling im zweiten Jahr. Tolles Mädchen, was? Habe sie auch schon ein paar Mal eingeladen, wird aber zu Hause sehr streng gehalten. Gefällt dir wohl? Übermorgen geben wir für die Angestellten eine Weihnachtsfeier. Wenn du willst, lade ich dich ein, wir haben eine Menge netter Mädchen.“ 11
„Mich interessiert im Moment nur diese eine.“ Auf jeden Fall saß ich zwei Tage später bei der Weihnachtsfeier neben ihr. Ihr Name war Sylvia. Es fiel mir schwer, ein Gespräch mit ihr anzufangen. Obwohl ich sonst anderen Mädchen gegenüber immer sehr aufgeschlossen und nicht schüchtern war, verspürte ich eine eigenartige Befangenheit. Zum Glück brachte mein Freund das allgemeine Gespräch schließlich auf mich. Zwar erzählte er etwas übertrieben, dass ich einer von wenigen Bewerbern sei, die man bei der Marine angenommen hatte. Er lobte meine früheren sportlichen Leistungen, meinen Mut aus der Jungenzeit und meine Ausdauer, Dinge zu tun, die ich mir einmal vorgenommen hatte. Mir war das nicht angenehm, dass er mich vor all den Mädchen in so ein Licht stellte. Was mochten die von mir denken? Sollte ich mal eine näher kennenlernen, könnte ich sie vielleicht zu schnell enttäuschen. Die ganze Zeit hatte die kleine Kosmetikerin neben mir gesessen und mich angehimmelt. Als die Unterhaltung dann endlich wieder auf ein anderes Thema wechselte, fragte sie mich nach Einzelheiten und so entstand doch noch ein flüssiges Gespräch mit ihr. Bevor wir uns verabschiedeten, verabredete ich mich mit ihr für einen der nächsten Tage. In den folgenden zwei Wochen Urlaub holte ich sie hin und wieder abends vom Geschäft ab, wir gingen spazieren oder saßen in einem kleinen, netten Lokal. Aber immer musste sie schon um zehn Uhr zu Hause sein. Noch nie zuvor hatte ich ein Mädchen so gerne geküsst wie sie. Nun ja, ich hatte ja auch kaum Erfahrung. Ihre Küsse waren voller Zärtlichkeit und Verlangen. Aber es blieb nur bei diesen Küssen und als ich schließlich an Bord 12
ging, schrieb sie mir Briefe, mit roter Tinte auf grünem Papier, voller Liebe und Sehnsucht. Anfang Januar trat ich mein erstes Bordkommando in Cuxhaven beim „Ersten Ausbildungsgeschwader“ auf der „Bremse“ an. Drei Monate lang sollten wir mit 150 Kadetten mehrere europäische Länder besuchen. Genau am 12. Januar fuhren wir durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Kiel in den Tirpitzhafen ein und am 15. Januar liefen wir von dort zu unserer ersten Auslandsreise aus. Auf dem Pier spielte bei miesem Schneeregen die Kapelle „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“. Gott würde mir in meinem Leben wahrlich noch viel Gunst erweisen! Doch das konnte ich an diesem Tag noch nicht ahnen. Ja, ich gebe es zu, ich hatte Tränen in den Augen und musste mehrfach schwer schlucken.
Wem Gott will rechte Gunst erweisen Unser erster Hafen war Karlskrona in Schweden. Es war fürchterlich kalt. Ohne Eisbrecher wären wir gar nicht in den Hafen gekommen. Sehr herzlich und mit großer Ankündigung wurden wir im kühlen Schweden empfangen. Meine zunächst dreijährige Verpflichtung hatte ich noch mal um drei Jahre verlängert. Es war eine wilde Zeit mit viel Bier, rauen Seefahrten bei Sturm, Eis und Schneetreiben, Tag- und Nachtfahrten mit bis zu 40 Std. ohne Schlaf. Fahrten bis an die Grenze der Sowjetunion zu den Inseln Dagö und Ösel, dem heutigen Estland. Ich fuhr zunächst drei Monate auf einem Ausbildungsschiff, dann auf verschiedenen Schnellbooten, hauptsächlich in der Ostsee. Später zwei Jahre auf der Fregatte 13
„Augsburg“. Dazwischen machte ich immer wieder Fortbildungen und technische Lehrgänge. Als junger Mensch hatte ich gelernt, Verantwortung für Material und für Menschen, „Untergebene“, zu übernehmen. Trotzdem wusste ich nach den sechs Jahren immer noch nicht genau, was ich anschließend machen wollte. Die Stimmung bei der Marine war nicht mehr so toll; wir fühlten uns nicht mehr als „Auserwählte“, es gab inzwischen auch „Gezogene“ auf dem Schiff, was für das Klima nicht gut war.
Wieder so ein mutiger Entschluss Nach sechs Jahren Dienstzeit hatte ich also die Wahl zwischen einer Abfindungssumme oder der Erlangung der Fachschulreife. Ich entschied mich für die Weiterbildung. Dazu bekam ich in den letzten 18 Monaten mehrere Wochen dienstfrei und musste nach Ablauf meiner Dienstzeit anschließend noch für drei Monate in Cuxhaven auf die Bundeswehrfachschule gehen, um schließlich meinen Fachschulabschluss zu machen. Das tat ich gern und es war, wie sich später herausstellen sollte, eine kluge Entscheidung. Doch was nun? Ich erfuhr, dass der Deutsche Entwicklungsdienst DED junge qualifizierte Menschen für zwei Jahre ins Ausland vermittelt. Ich bewarb mich und musste etwa 20 Seiten Bewerbungsunterlagen ausfüllen. Kurz darauf wurde ich aufgefordert, mich in Hamburg im Tropeninstitut auf Tropentauglichkeit untersuchen zu lassen. Ich wurde für in allen Punkten für tauglich befunden und im Oktober zu einem dreitägigen Einstellungstest nach Bad Godesberg eingeladen. Ich wurde genommen. Glück gehabt? 14
„Blanke Lust“, statt blanker Hans Ein wichtiger Abschnitt in meinem Leben ging zu Ende und auch der Abschied von Dagmar rückte näher. Dagmar war ein etwas burschikoses Mädchen. Sie war gerade aus Frankreich zurück, wo sie ein Jahr als Au-pair-Mädchen tätig war, und sie arbeitete jetzt in der Cuxhavener Niederlassung einer Hamburger Brauerei. Kennengelernt hatten wir uns gut ein Jahr vor Ende meiner Dienstzeit bei der Marine. Cuxhaven mit der „Alten Liebe“ und den Ortsteilen Döse und Duhnen ist im Sommer ein beliebter Urlaubsort. In den Sommermonaten gingen wir – meine Freunde und meistens Dagmar als einziges Mädchen – so oft es ging an den Strand. Mein Freund Ali, der eigentlich Albert heißt, ein kräftiger Kerl, der nur Einsen in der Schule schrieb, nahm mich artistisch stehend auf seine Schultern und so gingen wir am Strand entlang, bis Ali ein paar Mädchen sah. Dann stolperte er und ich purzelte von ganz oben herunter, direkt zwischen die Mädchen. Ein Riesenspaß, den wir in der Folge, so oft es ging, wiederholten. Wegen dieser und anderer netter Scherze, die ich mir mit den Mädchen erlaubte – wobei ich aber nie ordinär oder gar aufdringlich wurde –, war ich in Cuxhaven bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Jeder – oder jede – kannte auch mein Auto: ein weißer VW-Käfer, Kennzeichen: CUX-N 9. Nach besonders heißen Tagen, in milden Nächten, gingen wir nachts baden – wenn bei Flut Wasser da war. Wir zogen uns aus – viel hatte man ja nicht an –, deponierten unsere Sachen in einem Strandkorb und rannten ins Wasser. Ein bisschen planschen, viel lachen und Spaß und zurück in den Strandkorb. Wir umarmten uns und versuchten, uns 15
trocken zu reiben. Dagmar setzte sich auf meinen Schoß, doch ich konnte nicht in sie eindringen: Uns war es zu kalt. Sie sprang von meinem Schoß, kniete sich vor mich auf die Fußstütze des Korbes und sagte: „Komm, ich wärme dich ein bisschen.“ Ich fasste es nicht. Das hatte ich noch nie erlebt. Ich holte ganz tief Luft, hielt sie an und zog den Bauch ein. Das Gefühl in der Lendengegend war unbeschreiblich. War es Lust, war es Schmerz, war es gut, war es böse? Sie stand auf, gab mir einen flüchtigen Kuss und sagte: „Das hab ich in Paris gelernt. Komm, lass uns anziehen, mir ist kalt.“ Dagmar war eine Frau, die gern mal energisch die Führung übernahm. Aber sich auch gern willenlos hingab. „Mach es mir, mach, was du willst“, sagte sie dann. Doch meistens waren unsere Spielchen ausgeglichener Natur. Einmal, als ich sie von zu Hause abholte – sie wohnte im Haus ihrer Eltern, aber in einer eigenen kleinen Wohnung –, kam ich zu früh. Sie sagte: „Ach, du bist schon da? Ich wollte mir gerade noch die Beine etwas rasieren.“ „Das kann ich doch machen“, sagte ich frech. „Dann hättest du eher kommen müssen.“ „Dann komme ich nächstes Mal eher.“ Also kam ich, wie verabredet, zwei Wochen später eher. Sie war im Bademantel. „Die Haare müssen erst eingeweicht werden.“ Sie ging und ließ Wasser mit viel Schaum in die Wanne einlaufen. Ich hatte umsichtig mein Rasierzeug mitgebracht und am Wannenrand bereitgelegt. „Ordentliches Werkzeug“, bemerkte sie. Wir kletterten in die Wanne und tauchten in den Schaum. Unter Wasser war alles warm und weich. 16
Es war deutlich angenehmer als in der kalten Nordsee. Nach einer Weile streckte sie ein Bein aus dem Schaum und legte ihren Fuß auf meine Schulter: „Und nun? Ans Werk!“ Ich tat, was ich versprochen hatte. Viel war nicht zu rasieren, ich verstehe nicht, warum so viele Frauen das tun. Das hatte sie wohl auch in Paris gelernt. Nach wenigen Minuten war ich fertig. Ich fuhr mit beiden Händen unter Wasser ihre Schenkel hoch bis zum Schambein. „Und hier?“, lächelte ich sie an. Sie sagte nichts, rutschte mit ihrem Po auf meine Beine, sodass der Schamhügel gerade aus dem Wasser ragte. Ganz langsam, ganz vorsichtig machte ich mich daran, alle Haare zu entfernen. „Wehe, du tust mir weh!“ Aufmerksam beobachtete sie meine Arbeit. Für mich war es wieder so ein erstmaliges, einmaliges Erlebnis. Wir trockneten uns gegenseitig ab. Mit dem rechten Arm griff ich durch ihre Beine bis zur Taille, mit dem linken Arm um ihre Schulter und trug sie in ihr Schlafzimmer aufs Bett. Sie bat mich, sie mit einer Lotion einzureiben. Was sie von mir bekam, war eine All-inclusiveGanzkörpermassage, die sie sich gern gefallen ließ – und bedauerte, dass ich schon fertig war, obwohl ich einige Stellen ihres Körpers mit meinem Rasierbalsam besonders ausführlich behandelt hatte. Dieses Ritual wiederholten wir alle vier bis sechs Wochen. Einmal kam ich zu ihr und zog mich gleich aus. Ich hatte mich auch total rasiert. Als sie das sah, fing sie unglaublich an zu lachen: „Das ist ja toll! Super! Die blanke Lust! Jetzt wirkt er größer – noch größer!“ A- und V-Rasur und „blanke Lust“ blieben unser geheimer Code. 17
Im Dezember verabschiedeten wir uns voller Wehmut und mit vielen Tränen, aber ohne Drama. Mitte Dezember verließ ich endgültig Cuxhaven, verbrachte Weihnachten mit meinen Eltern in Bielefeld. Gelegentlich traf ich Sylvia und wir gingen gemeinsam ins Kino. Anfang Januar flog ich dann nach Berlin zum DED-Vorbereitungsseminar, was für mich eine völlig andere Welt darstellte. Ich habe Dagmar nie wieder gesehen. Ein paar Briefe nach Indien, wo ich später hinreisen sollte, erhielt ich noch von ihr, doch dann hörten wir nichts mehr voneinander. Über einen Marinefreund, der eine Cuxhavenerin geheiratet hatte, erfuhr ich später, dass auch Dagmar geheiratet hatte und ein schickes Einzelhaus mit ihrer Familie bewohnte. Ob sie wohl noch manchmal an mich und die „blanke Lust“ dachte?
18
Ankunft in Indien
Beworben hatte ich mich für Brasilien, denn ich hatte viele Abenteuerromane über die grüne Hölle und Smaragdsucher gelesen. Doch man bot mir an, nach Indien zu gehen. Indien, wo ist das denn, fragte ich mich im Stillen. Doch dann dachte ich mir: Na gut, erst Indien, dann Brasilien! Und so fuhren wir – zehn Männer für zehn verschiedene Projekte – nach gründlicher dreimonatiger Vorbereitung in Berlin und im Schloss Wächtersbach am 30. April ab Rotterdam mit einem holländischen Stückgutfrachter, der „Abbekerk“, über Marseille, Genua, Port Said, durch den Suezkanal, Port Sudan und Aden, wo wir am 30. Mai zu meinem Geburtstag vor dem Gate of India vor Anker gingen. Nach dem Ausschiffen und den Einreiseformalitäten reisten wir in 14 Stunden mit dem Zug von Bombay nach New Delhi. Im Anschluss an einen dreitägigen Aufenthalt und weitere Einweisungen durch Dr. Brigge, den Leiter des DED-Büros, fuhren Uli Sch. und ich noch einmal zehn Stunden über Nacht weiter nach Osten in unser Einsatzgebiet. 21
In Lucknow, der Hauptstadt des Staates Uttar Pradesh, sollte ich in einer Fabrik, die Wasseruhren, Mikroskope und andere feinmechanische Geräte herstellte, eine Lehrwerkstatt einrichten. Uli Sch. sollte in einem Forschungsinstitut einen Traktor entwickeln, der so viel leistete wie ein Wasserbüffel, aber billiger ist. Anfangs war es eine harte Zeit für uns alle: Diese Hitze, keine Klimaanlage, nur die Deckenventilatoren, die den Körper noch schneller austrockneten. Täglich musste man bis zu zehn Liter Wasser trinken, dazu viel Salz zu sich nehmen, denn mit dem Schwitzen verliert der Körper auch Salz, welches das Wasser im Körper bindet. Einmal wöchentlich gönnte ich mir eine Flasche Bier, mehr war als Entwicklungshelfer auch finanziell für mich nicht möglich. Lucknow war und ist eine große Stadt, damals mit fast einer Million Einwohnern, heute fast drei Millionen, eine typisch indische Großstadt, noch gestaltet von den Briten. Es hatte Vorteile, aber auch Nachteile, in der Stadt zu leben: Es war immer laut, hektisch und oft sehr schmutzig. Verstümmelte Bettler an jeder Ecke, an deren Anblick man sich erst gewöhnen musste. Im Sommer herrschten Temperaturen von über 40 Grad im Schatten und 70 bis 80 Grad über dem Asphalt. Dann der Monsunregen und 100 % Luftfeuchtigkeit bei immer noch über 30 Grad. In dieser Zeit sterben die meisten Menschen. Die Toten werden an den Straßenrand gelegt, mit dem Leiterwagen abgeholt und am Fluss verbrannt, sodass die Seelen entweichen können. Gräber gibt es für Hindus nicht.
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Ein Kühlschrank auf Abwegen Zwei aus unserer Zehn-Mann-Truppe waren von New Delhi weitergereist nach Norden in ihre Projekte im VorHimalaya-Gebiet. Dort gab es eine Landwirtschaftliche Universität, an der u. a. auch neues Saatgut und neue Anbaumethoden erforscht wurden. Karl W., ein bayerischer Vize-Zehnkämpfer, sollte für die Studenten ein Sportprogramm entwickeln und leiten. Rainer D. sollte für den gesamten Uni-Campus das Telefonnetz ausbauen. Die Versorgung, besonders mit Lebensmitteln und Fleisch – die meisten Inder in dieser Gegend waren Vegetarier oder gar Veganer – gestaltete sich schwierig, sie besaßen nicht mal einen Kühlschrank und Strom gab es auch nicht immer. So besorgten wir, Uli Sch. und ich, unter großen Schwierigkeiten in Lucknow einen Kerosin-Kühlschrank. Karl hatte uns Folgendes mitteilen lassen: In der Nähe der Landwirtschaftlichen Universität gäbe es einen Eisenbahn-Haltepunkt. Kein Bahnhof, nur eine Rampe, an der Aus- und Einsteigen und das Entladen von Waren möglich sei. Uli und ich luden also den Kühlschrank auf eine Fahrrad-Rikscha. Auf einer zweiten Rikscha fuhren wir der wertvollen Ladung hinterher zum Bahnhof in Lucknow, von wo aus wir unsere Fracht mit dem zweimal wöchentlich verkehrenden Zug in Richtung Norden weitertransportieren wollten. Dafür hatten wir uns extra Plätze reservieren lassen. Unser Plan war, etwa zwei Wochen im Norden zu bleiben. Reisen in Indien mit viel – und vielseitigem – Gepäck ist normal. Wir hatten den Kühlschrank mit großer Mühe 23
auf den Bahnsteig bugsiert und vor dem Gepäckwaggon abgestellt. Ich ging in das Abteil zu unseren reservierten Plätzen, Uli blieb beim Kühlschrank und wartete auf den Bahn-Gepäckmann. Nach einer Weile kam Uli zu mir und strahlte: „Alles klar, hab den Kühlschrank persönlich in den Gepäckwaggon geladen.“ Wir fuhren die ganze Nacht. Die Züge in Indien fahren langsam und halten oft an. Gegen 6 Uhr erreichten wir den Haltepunkt der Uni. Wir vereinbarten, dass Uli sofort aus dem Zug springen sollte, um den Kühlschrank auszuladen. Ich wollte mich um unser Handgepäck kümmern. Der Gepäckwagen war am Ende des Zuges, zu dem Uli hinrannte. Ich war ausgestiegen und stand neben der Rampe. Der Zug fuhr wieder an. Ich sah aber keinen Uli und keinen Kühlschrank. Als der Gepäckwaggon an mir vorbei fuhr, sah ich Uli, der in der offenen Schiebetür stand und rief: „Der Kühlschrank ist weg.“ Und weg war im nächsten Moment auch Uli mit dem Zug. Mir blieb der Mund offen stehen. Was sollte ich nun tun? Nach einer Weile kam Uli schließlich wieder zum Haltepunkt zurück – zu Fuß. Er war in der nächsten Kurve, in der der Zug noch ganz langsam fuhr, abgesprungen. Fassungslos ob des Verlustes des Kühlschranks schrie er mehrfach: „Ich habe ihn doch persönlich eingeladen.“ Nun ja, aber was war jetzt zu tun? Vor dem Eisenbahn-Haltepunkt lauerte noch ein einsamer Rikschafahrer. Was blieb uns anderes übrig? Wir nahmen die Rikscha. „Wohin?“, fragte er. Es gab hier nur einen zivilisierten Posten, die Agrar-Uni. Also setzten wir uns mit unserem Gepäck auf die Rikscha und der Fahrer strampelte los, weg von der Rampe auf 24
die schmale, aber gut asphaltierte Straße. Rechts von uns befand sich der Dschungel und circa zwei Meter hohes Elefantengras. Auf der linken Straßenseite, schon Unigelände, ebenfalls etwa zwei Meter hoher Mais. Die Straße war absolut leer. Es war noch früh am Morgen und kalt. Plötzlich knackte es und die Rikscha kippte nach vorn. Die Gabel des Vorderrades war gebrochen! Weiterfahren ging nicht mehr. Wir packten unsere Sachen und gingen zu Fuß weiter. Rechts das hohe Gras, links der hohe Mais. Schließlich erreichten wir die ersten Bauten vom Campus. Von Weitem sahen wir Rainer mit seiner Vespa. Er wusste, dass wir heute kommen sollten und war uns entgegengefahren. Zu dritt auf der Vespa mit unserem Gepäck erreichten wir sein Haus. Später erfuhren wir, dass in der Gegend ein Tiger lebte, der schon mindestens 15 Menschen gefressen hatte. Jetzt wurde uns auch klar, warum die Straße so leer war und was für ein Glück wir hatten. Auf der nach beiden Seiten blickdicht gesäumten Straße wären wir für das Raubtier eine leichte Beute gewesen.
Tigerjagd statt Kühlschrank Die Tigerjagd ist seit vielen Jahren in Indien verboten. Nur Menschenfresser, sogenannte „meneater“, dürfen getötet werden. Ein wohlhabender Farmer aus der Nachbarschaft, Mr. Singh, ein stattlicher Mann, ein echter Sikh mit Bart und Turban sowie dem obligatorischen Metallreifen am Handgelenk, hatte die Erlaubnis, besser den Auftrag, den Tiger zur Strecke zu bringen. 25
Bei einem abendlichen Beisammensein erzählte uns Mr. Singh von den unglaublich dreisten Beutezügen des meneaters, und dass er schon mehrfach versucht hätte, den Tiger zu erlegen, aber bisher immer vergebens unterwegs gewesen war. Ich erwähnte, dass ich sehr gut mit einer Waffe umgehen könne und so schlug er spontan vor, mich am folgenden Abend zur Tigerjagd mitzunehmen. Mr. Singh war darüber einigermaßen erfreut, handelte es sich dabei doch um eine Aufgabe, die keiner mehr gern machen wollte. Doch das reizte mich. „Klar, mache ich!“, sagte ich kurz entschlossen. Am nächsten Tag fuhren wir noch vor Anbruch der Dunkelheit los, im offenen Willys-Jeep: vorn der Fahrer und Scout (Fährtenleser), daneben Mr. Singh, der Jäger, und hinten ich. Man hatte mir eine doppelläufige Schrotflinte mit Elefantenschrot in die Hand gedrückt. Und ab ging es ins Gelände. Mehrere Stunden fuhren wir herum, oft abseits der Wege und Trampelpfade. Dabei wickelte sich Elefantengras um die außen liegende Kardanwelle und der Fahrer musste mehrmals aussteigen, um sie mit einem Messer wieder freizumachen. Währenddessen hielt ich mit meiner Schrotflinte Wache. Nach Mitternacht fuhren wir zurück. Gesehen hatten wir keinen Tiger, doch der Scout versicherte uns, dass der Tiger uns gesehen hatte – ganz sicher! Auf dem Rückweg lief uns eine Kuhantilope über den Weg, die Mr. Singh schoss. Wir fuhren mit dem Jeep neben das Tier, Mr. Singh drücke mir ein großes Messer in die Hand und forderte mich auf, der Antilope den Hals aufzuschneiden, damit das Blut ausrinnt. Er beschrieb mir genau, was ich zu tun hatte. Widerspruch wagte ich nicht. 26
Oder sollte ich hier im Dschungel eine Diskussion mit ihm anfangen? Ich nahm also das Messer, kletterte aus dem Jeep, beugte mich über das noch warme Tier, zog an einem Horn den Kopf zurück und stach seitlich in den Hals. Das warme Blut spritze mir über die Hand, trotzdem schnitt ich weiter bis zur Kehle. Mir war nicht wohl dabei. Aber es musste getan werden. Ich dachte bei mir: Du weißt nicht, was du kannst, bis du es tust, tun musst! Mr. Singh hatte derweil die Wache übernommen. Der Fahrer breitete im Jeep eine Plane aus und wir wuchteten das ca. 50-60 kg schwere Tier ins Auto und deckten es zu. Sicher hatte der Tiger den Schuss gehört, und leicht hätte er auf die Idee kommen können, uns die Beute wegzuschnappen oder gar einen von uns als Beute zu holen. Tiger sind perfekte Jäger. Sie springen aus dem Stand bis zu acht Meter weit, und ohne Probleme bis zu vier Meter hoch, klettern gar auf Bäume oder durchschwimmen selbst größere Flüsse. Durch ihre Streifenmuster sind sie im hohen Gras perfekt getarnt. Wunderschöne Tiere, die man bis vor ein paar Jahren aus lauter Lust am Töten oder für einen Pelzmantel einfach abgeknallt hat. Irgendwie war ich also auch erleichtert, dass wir ihn nicht erwischt hatten und froh, als wir wieder zurück im Haus waren mit dem Antilopenfleisch für die Sikh-Familie und die deutschen Entwicklungshelfer für die nächste Woche. Nach etwa zehn Tagen fuhren wir von der Bahnrampe mit dem Zug wieder zurück nach Lucknow. Wir mussten uns ja noch um den verschwundenen Kühlschrank kümmern. Doch wie sich herausstellte, gab es kein Problem. Der Kühlschrank stand noch im Lagerhaus auf dem Bahnhof in Lucknow und wurde Tage später ohne Komplika27
tionen geliefert, am Bestimmungsort ausgeladen und auf die Rampe gestellt, wo Karl und Rainer ihn dann abholen konnten. Wieso der Kühlschrank wieder ausgeladen und erst Tage später nachgeliefert wurde, haben wir nie erfahren.
Mahandri In Lucknow ging ich ein-, zweimal pro Woche in die englische Library. Dort sah ich gelegentlich eine attraktive Inderin mit ungewöhnlich kurzen Haaren. Als ich sie eines Tages ansprach, war sie überraschend offen. Nach einigen weiteren Treffen in der Bibliothek lud ich sie für Samstagnachmittag zu mir nach Hause zum Tee ein. Sie kam in einer Rikscha mit Vorhang. In meinem Zimmer näherte ich mich ihr dann eindeutig. Sie nahm meine Zärtlichkeiten gern entgegen und nach kurzer Zeit wickelte sie sich freiwillig aus ihrem Sari. Sie legte das knappe Oberteil ab und stand in ihrem weißen Unterrock vor mir. Ohne zu zögern, legte sie auch diesen ab – ein Höschen hatte sie zu meiner großen Überraschung gar nicht an – (das ist auch nicht üblich unter dem Sari) und war nun ganz nackt. „Eine frische Rasur von heute Morgen“, sagte sie. Wirklich ein sehr schöner Anblick, dieser leicht braune, total nackte, sehr gepflegte Körper. Doch das sollte es auch schon gewesen sein. Denn im weiteren Liebesspiel verhielt sie sich vollständig passiv. Sie erzähle mir, dass ihre Eltern für sie einen Ehemann ausgesucht hatten, der in Großbritannien lebe. Es ist so üblich in Indien, dass die Eltern den passenden Ehepartner aussuchen. Mit ihrer Tante war sie über Rom, Paris, Wien und Heidelberg nach Großbritan28
nien geschickt worden, um ihren Zukünftigen kennenzulernen. Doch sie hatte diesen Mann abgelehnt. Damit war sie für den indischen Heiratsmarkt „wertlos“ geworden. Deshalb suchte sie Anschluss an einen europäischen oder amerikanischen Mann und deshalb auch die kurzen, europäischen Haare. Noch zwei, drei Mal kam sie zu mir. Oder wir gingen mit Platzkarten ins Kino und saßen dann wie zufällig nebeneinander. Denn eine „anständige“ Frau trifft sich in Indien in der Öffentlichkeit nicht mit einem Mann, schon gar nicht mit einem Ausländer. Einmal fuhren wir zwar im gleichen Zug, aber in unterschiedlichen Abteils nach New Delhi und stiegen getrennt im Hotel ab. Zusammen gingen wir am Abend ins OberoiInterconti-Hotel in das Dachrestaurant. Ich trug meinen mitternachtsblauen Trevira-Anzug, sie einen wunderschönen Sari und für einige Zigtausend Dollar Familienschmuck. Unbemerkt hatte sie dem Ober einen Musikwunsch zugesteckt und als die Band wieder anfing zu spielen, bat sie mich, mit ihr zu tanzen. So tanzten wir beide – zunächst allein auf der Tanzfläche – eng umschlungen, sie zu mir aufschauend, zu „Strangers in the Night“. Diese Situation wird mir immer unvergesslich bleiben: Um uns herum gedämpftes Licht, fast nur Männer, meistens Ausländer mit ihren indischen Geschäftspartnern, und ich allein auf der Tanzfläche mit Mahandri in den Armen zu dieser Melodie tanzend. Dabei bin ich ein schlechter Tänzer. Doch es war ein großartiges Gefühl. Nach der Rückkehr in unser gemeinsames Hotel, doch zunächst in getrennte Zimmer, klopfte ich kurze Zeit später an ihre Tür. Aber leider blieb es wieder bei dieser passiven, leidenschaftslosen Verklemmtheit, so nach dem Motto: 29
„Wasch mir den Pelz – aber mach mich nicht nass!“ Hätte sie doch wenigstens einmal im „Kamasutra“ geblättert … Einmal besuchte ich sie in ihrem Haus. Sie hatte mir vorher alles genau geschildert. So fuhr ich mit meinem VespaRoller an die beschriebene Mauer, kletterte hinüber, wo der Gärtner bereits auf mich wartete. Mit ihm schlich ich bei Dunkelheit durch den Garten in ihr Zimmer. Sie zog sich sehr schnell aus, hatte wieder nichts unter dem Sari und war ganz frisch rasiert – was nicht sie selbst, sondern ihre Amme erledigte, wie sie mir so nebenbei erzählte. Es wurde immer komplizierter, sich mit ihr zu treffen, und so nahm ich mehr und mehr Abstand.
Mit Maggie im Paradies Nach etwa 12 Monaten in Indien kamen zwei US-Amerikanerinnen als Senator-Fulbright-Scholarship-Studentinnen an die Uni nach Lucknow – die blonde Maggie und die dunkle Judith. Da unter den etwa 20 bis 30 Ausländern jeder jeden kannte und Frauenmangel bestand – circa 90 % der ausländischen Studenten und Entwicklungshelfer waren männlich –, luden wir Maggie und Judith in die größere Wohnung der anderen drei Deutschen zum Tee ein. Maggie war eindeutig die Schönere, Aufgeschlossenere und Aktivere der beiden Mädchen (kurzes blondes Haar, blaue Augen, ein freundliches Lächeln). Jeder der anwesenden fünf Männer balzte um die Gunst der Damen. Ich bot Maggie an, sie am nächsten Tag abzuholen, um mit ihr die Anmeldeformalitäten in der Stadt zu erledigen, was sie dankend annahm. 30
Nach den „Dienstgängen“ am folgenden Tag ging ich mit ihr Eis essen und teilte ihr mit, dass in vier Wochen bei deutschen Freunden eine Party stattfinden würde und ich sie dazu mitnehmen wolle. Die Partys der Deutschen in Lucknow – etwa zweimal pro Jahr – waren bekannt und beliebt bei allen anderen Ausländern. Auch die Russen, mit Serge, Elena und Marina, die genau wie Maggie an der Uni Sanskrit studierten, eine altindische und indogermanische Sprache, die aber bereits seit Jahrhunderten vor Christus ausgestorben ist, wurden selbstverständlich eingeladen. Maggie war die schönste Frau des Abends und sie bekannte sich ganz klar vor den anderen Männern zu mir. Ich war sehr zufrieden und trank vielleicht etwas zu viel – ich war ja seit der Marine nichts mehr gewohnt. Weit nach Mitternacht bat ich Maggie, mit mir zu gehen. Wir fuhren ohne Umweg direkt zu mir, obwohl das vorher nicht besprochen wurde. Später sagte Maggie, dass meine direkte Art, nicht zu bitten oder gar zu betteln, sondern einfach entschlossen zu handeln, für sie völlig neu und ungewöhnlich, aber beeindruckend war. Kein amerikanischer Mann hätte es je gewagt, so direkt über sie zu verfügen. Mit Maggie begann die schönste Zeit für mich in Indien. Beim für deutsche Bürger zuständigen indischen Arzt, Dr. Madan, hatte Maggie sich die Pille besorgt. Befreit hatten wir meist in meiner Wohnung eine harmonische sexuelle Beziehung. Manches Mal rauchten wir Haschisch und hoben ab in die fünfte Dimension. Ein Orgasmus im Haschrausch übersteigt jede Vorstellungskraft. Über Weihnachten und Neujahr fuhren wir mit dem Zug, 3. Klasse, in etwa 25 Stunden über Bombay nach 31
Goa. In Calangute gab es ein kleines, sauberes Haus für Regierungsgäste. Maggie hatte sich – heimlich – in Lucknow einen „französischen Bikini“ schneidern lassen, den sie mir am Strand stolz vorführte. Doch der Bikini blieb wenig genutzt. Nur wenige Meter vom Gästehaus entfernt waren wir allein an diesem herrlichen traumhaften Strand unter Palmen. Andere Europäer, Hippies, die einige Hundert Meter von uns entfernt lagen, waren alle nackt, wie wir bald bemerkten. So legte Maggie zuerst im Wasser das Oberteil ab, dann war sie am Strand oben ohne, danach folgte das Höschen – zuerst im Wasser, dann am Strand. Am zweiten Tag setzte sie sich im Wasser auf meinen Schoß. Alles war so warm und weich, dass ich kaum merkte, wie ich in sie eindrang. Ganz langsam, im Rhythmus der Wellen, bewegte sie sich auf und ab. Die Tage im „Paradies“ waren herrlich, nur zum Frühstück und zum Dinner trugen wir Tücher um die Hüften. Nach dem Strand wuschen wir uns mit Wasser aus Eimern – die Duschen funktionierten nicht – und cremten uns dann gegenseitig sorgfältig und in aller Entspanntheit mit Bodylotion ein. Unsere gemeinsame Zeit in Goa werden wir beide wohl nie vergessen. Damals konnte ich nicht ahnen, dass ich Jahrzehnte später hier ein weiteres einmaliges Erlebnis haben würde. Im April waren meine zwei Jahre in Indien zu Ende. Längst hatten wir beschlossen, zusammenzubleiben. Vom Heiraten und Kinderkriegen war die Rede. Meine Vorstellung war wie folgt: Sie käme aus Amerika, ich aus Europa, wir träfen uns in Asien, heirateten in Afrika und in Australien würde unser Kind geboren werden, ein echter Weltenbürger also. 32
Maggie musste bis Juni noch an der Uni in Lucknow bleiben. Über New Delhi und Kalkutta reiste ich allein nach Bangkok und besuchte dort unser Büro, um Erfahrungen auszutauschen.
Ein paar neue Schuhe mit Zugabe Am zweiten Tag in Bangkok lernte ich in einem Schuhgeschäft ein nettes Thai-Mädchen kennen. Ich musste endlich ein paar feste Schuhe kaufen, denn in Indien hatte ich fast nur Sandalen getragen, besohlt mit alten Autoreifen. Die einheimische Verkäuferin bot an, mir am nächstem Tag ihre Stadt zu zeigen. Nach der Stadtbesichtigung am folgenden Tag führte sie mich in ein schickes, typisch einheimisches Lokal direkt am Fluss. Sie wählte die Speisen aus, ich bezahlte selbstverständlich – etwa die Hälfte von dem, was Touristen sonst bezahlten. Viele Lokale haben eine Extrapreisliste für Nichtthais. Wie selbstverständlich kam sie mit in mein – mieses – Hotel. Es wurde eine der härtesten Liebesnächte meines Lebens, mit wenig Schlaf. Morgens, kurz vor 10 Uhr, weckte sie mich mit Zärtlichkeiten. Sie hatte schon geduscht, roch verführerisch frisch und wusste sehr gut, wo und wie sie mich berühren musste, um mich erneut in Erregung zu versetzen. Ein letztes Mal bezwang sie mich. Ich hatte die Augen geschlossen und gab mich einfach nur der Lust hin. Gemeinsam frühstückten wir in einem Straßencafé. Plötzlich stand sie auf, gab mir einen flüchtigen Kuss und wollte gehen. Sie musste ja wieder in ihr Schuhgeschäft. 33
Zum Abschied bot ich ihr etwas Geld an, das sie zwar nicht verlangt hatte, aber gern annahm. Mit dem Zug fuhr ich weiter in den Süden Thailands an den Strand, um mich zu „erholen“. Schließlich wollte ich mich mit Maggie in acht Tagen treffen, um gemeinsam weiterzureisen. In unserem Büro in Bangkok hatte ich meine Adresse im Süden hinterlassen. Prompt tauchte am Wochenende die deutsche Krankenschwester auf, die mich schon in Bangkok abfangen wollte, bevor ich an das Thai-Mädchen geriet. Sie beklagte sich bei mir: „Alle Männer reden hier vom Bumsen, so selbstverständlich wie anderswo vom Biertrinken und Essen gehen. Sie (die europäischen Männer) nehmen mich auch mit, doch dann schicken sie mich heim und gehen mit den ThaiMädchen ins Bett.“ Nun versuchte sie es bei mir – doch ich musste mich erholen, schließlich kam Maggie bald …
Weiter auf dem Weg rund um den Globus Mit Maggie reiste ich ab Thailand durch Kambodscha – Angkor Wat, Saigon/Vietnam. Wir trafen dort ihren Bruder, der beim AFN-Radiosender tätig war, es ging weiter auf die Insel Taiwan in die Hauptstadt Taipei und schließlich nach Hongkong. Dort arbeitete ein ehemaliger College-Mitschüler von ihr bei einer Versicherung, der zuvor in Vietnam Pilot bei der US Air Force gewesen war und Napalm abgeworfen hatte. Ich spürte gleich, dass er etwas gegen Deutsche hatte. Wir wohnten bei ihm und seiner Frau in einem schönen Haus in einer privilegierten Lage außerhalb von Hongkong. Am zweiten Abend in seinem Haus fing er nach reichlich Alko34
hol an, mich als Nazi zu beschimpfen. Maggie stellte sich dazwischen und versuchte zu schlichten. Nach einem heftigen Wortgefecht ging ich ins Zimmer, Maggie kam nach, wir schrien uns an, mir rutschte die Hand aus und ich knallte ihr eine, so sehr, dass sie gegen den Schrank flog. Ich packte meine Tasche und verließ unter heftigen Beschimpfungen des Hausherrn gegen 2 Uhr nachts das ungastliche Haus. Hätte er mich angefasst, wäre es ihm nicht gut ergangen, als Judoka weiß ich mich gut zu wehren. Aber dazu war er zu feige. Nicht zu feige war er, Napalm auf wehrlose Menschen abzuwerfen. Die Nacht verbrachte ich frierend auf der Landstraße, mehr oder weniger im Straßengraben an einer Bushaltestelle. Mit dem ersten Bus gegen 7 Uhr fuhr ich in die Stadt und hockte mich auf meine Tasche vor das American-Express-Büro, bis dieses um 9 Uhr öffnete, denn ich hatte kein Geld mehr. Gegen 10.30 Uhr bat ich in Kowloon bei der Heilsarmee um ein Zimmer. Ich war so kaputt, dass der Portier mir die Tasche die Treppe hochtragen musste. Am zweiten Tag meldete ich mich bei Maggie, sie war stinksauer. Wir vereinbarten aber, dass wir trotzdem gemeinsam weiterreisen wollten. Bereits in Japan, wo wir in einem typischen japanischen Haus wohnten, gingen wir gemeinsam ins japanische Bad, obgleich unsere Beziehung noch gestört war. Über Hawaii, San Francisco, Los Angeles, San Diego und durch Arizona reisten wir zu Maggies Eltern nach Farmington in New Mexico. Einige Wochen blieb ich bei ihren Eltern. Die Mutter wollte nicht glauben, dass Maggie fest entschlossen war, mit mir nach Deutschland zu gehen und schlug deshalb 35
tatsächlich vor, den frisch geschiedenen Zahnarzt aus dem Ort doch mal „unverbindlich“ zum Tee einzuladen … In und um Farmington stellte Maggie mich all ihren Freunden vor. Ich musste viel über Indien und natürlich über Deutschland erzählen. Es ist erschreckend, wie wenig der normale US-Amerikaner über Deutschland und den Rest der Welt weiß. Dann reiste ich über Denver und New York – ohne Bares, aber mit der Lufthansa – nach Köln/Bonn zurück. Wie war das möglich? Ein Vertreter der LH hatte auf mein schriftliches Ehrenwort hin bei meiner Bank in Cuxhaven angerufen, sich dort bestätigen lassen, dass ich dort Geld hatte und mir daraufhin ein Ticket ausgestellt. Sicher wieder in Deutschland gelandet, meldete ich mich an einem Freitagnachmittag in unserem DED-Büro in Bad Godesberg. Das Büro hatte offiziell schon geschlossen, sodass ich mich nicht formal zurückmelden konnte. Zum Glück traf ich aber noch eine Sekretärin an, die mir (ich war von meiner Weltumrundung mit gerade mal 2.- DM zurückgekehrt) aus ihrer eigenen Tasche etwas Vorschuss gab. Wieder war ein großer Jugendtraum in Erfüllung gegangen: Ich war jetzt einmal um den Globus gereist.
Ein kurzes Wiedersehen mit Sylvia Gleich am Samstagmorgen rief ich Sylvia an – jene mit den grünen Augen und den roten Haaren –, die inzwischen in Calw wohnte. Wir trafen uns am Sonntagnachmittag in Worms in einem kleinen Hotel direkt am Rhein und liebten uns am Abend, in der Nacht und am Morgen. 36
Sie liebte mich aktiver und leidenschaftlicher, als ich es von Maggie gewohnt war. Ich konnte mich entspannen, Sylvia machte es mir. Wir hatten das Fenster geöffnet und die Morgensonne schien direkt auf ihren zarten, ganz nackten Körper, denn ihr Schamhügel war blank wie der eines ganz jungen Mädchens. Als Kosmetikerin hatte sie sich dauerhaft enthaart: Ein wunderschöner Anblick, den ich nie mehr vergessen werde. Es war die einzige Nacht mit Sylvia. Sie bat mich, sie nicht wieder anzurufen, denn sie sei jetzt fest liiert. Tat ich auch nicht, denn Maggie hatte mir mitgeteilt, dass sie tatsächlich endgültig beschlossen hatte, zu mir nach Deutschland zu kommen.
Entschlossenheit – der nächste Schritt, der mir sehr schwerfiel Drei Monate später: Ich war jetzt 27 Jahre alt und hatte mehr erlebt als alle meine Jugendfreunde zusammen. Aber nun musste ich mich um mein berufliches Leben kümmern. Schon von Indien aus hatte ich mich zu einem Maschinenbau-Studium angemeldet. In der Nähe von Hannover bezog ich ein möbliertes Zimmer, das ich zunächst mit einem Kommilitonen teilte, und wartete auf Maggie. Nach Abschluss ihres Studiums in Stanford kam sie im Herbst zu mir nach Hannover, wo ich nun also Maschinenbau studierte. Die Zeit war nicht sehr angenehm. Ich hatte kein Geld, Maggie fand keine richtige Arbeit, um etwas zu verdienen. So beschloss Maggie nach etwa einem Jahr zurückzugehen und ich sollte nach Abschluss meines Studiums sofort nachkommen, und zwar nach Kanada, da ich nicht 37
in die USA wollte. „I don’t like the American way of life“, war mein Argument gewesen. Mit meinem alten Opel Rekord fuhr ich sie nach Luxemburg, von wo aus sie mit einem Billigticket der Island Airline in die USA flog. Die Nacht vor ihrer Abreise verbrachten wir in einem kleinen Hotel in einem Zimmer unter dem Dach. Es war kalt und ungemütlich, trotzdem liebten wir uns – ein allerletztes Mal. Nach Maggies Abreise erging es mir elend: Kein Geld und keine Liebe, eingeengt in dieses Studium, nach Jahren der Freiheit und der Weltumrundung. In einer Möbelfabrik verdiente ich mir am Nachmittag etwas Geld dazu. Einmal schickte mir Maggie einen 20-Dollar-Scheck. Doch der Ton in unserer Korrespondenz wurde immer kühler. Schließlich brach ich den Briefwechsel ab, denn ich hatte mittlerweile Gudrun kennengelernt … Dann kam doch wieder ein Brief von Maggie: „… bin schwanger, werde heiraten …“ Ich fing an zu rechnen. Sollte es das Produkt unserer letzten Liebe in Luxemburg gewesen sein? Ich habe es nie erfahren. Habe aber auch nie danach gefragt. Etwa fünf Jahre später erreichte mich über meine Eltern ein weiterer Brief von Maggie: „… lebe in Scheidung, komme für circa ein Jahr nach Freiburg und würde mich freuen, dich zu treffen.“ Wir trafen uns in Freiburg und umarmten uns ganz fest. Sie weinte und schluchzte unter Tränen: „Noch nie hat mich mein Mann so fest in den Arm genommen.“ Sie gestand mir, dass ihr Mann etwa zehn Jahre älter sei, und sie gern wieder mit mir zusammen sein wolle, denn ich sei der Mann, den sie anbete, der einzige, den sie je geliebt habe. Wenn ich es wollte, würde sie sich sofort scheiden lassen. 38
Leider musste ich sie enttäuschen, denn ich stand kurz vor der Hochzeit mit meiner Kristina. Sie war darüber sehr niedergeschlagen, denn einige Monate vorher war ihre Mutter gestorben und ihr Bruder hatte sich scheiden lassen. Dies war eine sehr traurige Phase in ihrem Leben. Noch einmal kam sie vor ein paar Jahren mit ihrer Freundin Jane auf einer Europarundreise nach Deutschland. Beide führte ich auf das Frankfurter Weinfest aus. Wieder erkundigte sich Maggie nach meinem Familienstand, wieder erhielt sie eine – für sie – negative Antwort. Über all die Jahre schrieben wir uns Postkarten und Briefe, sodass jeder über den anderen Bescheid wusste. Häufig war sie in Europa und einmal sonntags rief sie mich vom Flughafen Frankfurt aus an. Sie war etwa zwei Wochen in Deutschland. Ob sie noch immer hoffte …? Auf jeden Fall hatte sie sich doch nicht scheiden lassen, aber immer ihren Familiennamen Bellmaine behalten. Inzwischen war sie Professorin für britische Literatur. Zuletzt konnte ich sie persönlich auch nicht mehr telefonisch erreichen. Im Herbst 2015 erfuhr ich – auf meine Rückfrage – von ihrem Mann Warren, dass sie an Alzheimer erkrankt ist.
Mit Anzug und Krawatte in den 7. Stock Im letzten Semester des Maschinenbau-Studiums stapelten sich im Foyer die Angebote und Einladungen von Firmen, die uns Absolventen ködern wollten. Obwohl ich meinen Abschluss nur mit „befriedigend“ geschafft hatte, war ich heilfroh, bestanden zu haben. Wieder war ein wichtiges Ziel erreicht. Doch was wollte ich als Nächstes machen? 39
Neben dem Studium hatte ich gegen Extrabezahlung einen Kurs „Technischer Verkauf “ und „Technisches Englisch“ belegt. Ich sah mich also nicht in einem Konstruktionsbüro hinter dem Zeichenbrett oder in einem Forschungslabor. In einer Anzeige einer internationalen Produktionsfirma in der Pfalz wurde ein Jungingenieur für den „Zentralverkauf Export“ (ZVE) gesucht. Ich bewarb mich und wurde aufgrund meiner guten Englischkenntnisse und umfangreichen Auslandserfahrungen genommen. Mit mir als Jungingenieur wollte man etwas Neues wagen: Bisher wurde den kaufmännisch ausgebildeten Mitarbeitern, die im Verkauf tätig waren, nach und nach das nötige technische Know-how beigebracht. Mit mir wollte man nun erstmalig genau anders herum verfahren. Ich war entschlossen, mich dieser Aufgabe zu stellen. Der Versuch ist geglückt. Obwohl ich nur mit „befriedigend“ abgeschnitten hatte, bekam ich von allen Abgängern das höchste Anfangsgehalt. Habe ich mich gut verkauft? Oder wieder mal Glück gehabt. Wie so oft im Leben galt für mich auch hier wieder die Devise: „Es kommt eben darauf an, was man daraus macht.“ Jetzt ging ich in Anzug und Krawatte zur Arbeit – ins Büro, ins Hochhaus, 7. Stock. Die Tätigkeit gefiel mir sehr. Ich betreute ausländische Kunden, die zur technischen Abnahme kamen. Zu den Privilegien meiner Stellung gehörten ein Dienstwagen und Spesen, wenn ich Gäste ausführte. Unsere Abteilung bestand aus zehn Männern aus sechs verschiedenen Nationen. Sie waren aus den Auslandsvertretungen für ca. zwei Jahre in das Stammwerk eingeladen worden. Deutsch stellte die einzige gemeinsame Sprache dar, was für Inder, Araber, Südamerikaner, Engländer und Franzosen nicht immer leicht war. 40
Es war an mir, diese Truppe einmal wöchentlich zu trainieren und am Freitag nach Feierabend mit ihnen Fußball zu spielen. Zudem ging ich zweimal in der Woche zum Judotraining und betreute die kleinen Judokas. Meistens verloren wir das Fußballspiel – wegen interner Kommunikationsprobleme. Jeder regte sich auf und schimpfte über den Mannschaftskameraden in seiner Sprache: Muchfuth schimpfte auf Deutsch-Arabisch und Francois antwortete auf Deutsch-Französisch, Radi versuchte auf DeutschHindi zu schlichten. Wir hatten viel Spaß in dieser internationalen Truppe. Und wenn ich mal zu viel getrunken hatte, fuhr mich Inge nach Hause. Inge war unsere Sekretärin. Ihre katholischen Eltern hatten sie quasi verstoßen, weil sie mit 17 von ihrem ersten Mann schwanger geworden war. Sie hatte eine unglaublich hübsche Tochter von vier Jahren, mit großen blauen Augen und schwarzen Haaren. Ab und zu ging ich mit beiden im Kurpark von Bad Dürkheim spazieren. Spontan blieben Leute – meist Frauen – stehen und bewunderten das schöne Kind. Natürlich hielt man mich für den Vater. Doch auch Inge und ihre Tochter konnten mich nicht halten. Es war ein entspanntes Leben in der Pfalz am Rande der Weinstraße. Ingeborg, eine Winzerstochter, hatte mir inzwischen auch den Unterschied zwischen Riesling, Silvaner und Müller-Thurgau deutlich gemacht. So hätte es doch bleiben können. Ein interessanter Job in einer der schönsten Gegenden in der Mitte Deutschlands, mitten in Europa. Meine Vorgesetzten erkannten schnell, dass ich mich sehr gut in die Tätigkeit eingearbeitet hatte. Ich konnte mehr als nur Zahlen und Fakten aus Listen und Tabellen und tech41
Nach diesem Gespräch wurde ich in das Sekretariat des für uns künftig zuständigen Geschäftsführers gebracht. Herr Dr. H., vielleicht 15 bis 20 Jahre älter als ich, empfing mich mit knappen Worten, setzte sich an den riesigen Tisch im Besprechungszimmer, bat mich mit einer kurzen Geste, ebenfalls am Tisch Platz zu nehmen. Er sagte nichts und blätterte stumm in meinen Bewerbungsunterlagen. „Sie waren bei der Marine?“ „Ja“, war meine kurze Antwort. „Wie war es da?“, brummte er. „Schön. Toll!“ Wieder gab ich nur eine kurze Antwort. Noch zwei, drei kurze Sätze und ich konnte gehen. Mit einem guten Gefühl fuhr ich heim. Viel später hörte ich, dass Dr. H. in den letzten Kriegsjahren U-Boot gefahren war und zu den 4.000 Überlebenden zählte – etwa 32.000 Marine-Soldaten waren gefallen. Nach nur wenigen Tagen bekam ich den Anstellungsvertrag mit der Bitte, möglichst bald anzufangen. Hurra! Hatte ich einfach wieder mal nur Glück gehabt!? Mit meinem bisherigen Arbeitgeber wurde ich bald einig über ein vorzeitiges Ausscheiden. Schließlich machte ich einen Arbeitsplatz frei, der keine Berechtigung mehr hatte. Die Menschen in der GTZ waren das genaue Gegenteil zu den Angestellten meines vorherigen Arbeitgebers. Fast alle hatten Auslandserfahrung, waren mehrsprachig, offen, freundlich und meist vielseitig interessiert. Es herrschte ein sehr angenehmes Betriebsklima. Ich wurde mir nach relativ kurzer Zeit darüber im Klaren: „Hier bin ich richtig!“ Ja, es war wirklich mein Traumjob. Noch heute bin ich davon überzeugt, eine der spannendsten und interessantesten Tätigkeiten in Deutschland gehabt zu haben.
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Die unglaubliche Umsackaktion – die erste Bewährungsprobe
Eine meiner ersten Aufgaben bestand darin, für etwa zehn Länder der Sahelzone, die unter einer jahrelangen Dürre gelitten hatten, von Mauretanien bis zu den Komoren angepasste Lebensmittel wie etwa Reis, Mais, Weizen, Hirse und Speiseöl zu beschaffen, diese in die zum Teil entlegenen Gegenden zu transportieren und für eine sichere Auslieferung zu sorgen. Dazu musste gewährleistet werden, dass alle Säcke, Kisten und Kartons mit folgender Aufschrift versehen waren: „Geschenk des Königreichs Saudi-Arabien an die Menschen in …“ Das Ganze in Arabisch, Englisch und der Landessprache. Dazu die saudische Flagge, in der die erste Sure, also das islamische Glaubensbekenntnis, stand. Auch das Königreich Nepal, in dem es nur einen geringen islamischen Bevölkerungsanteil gibt, sollte eine Lieferung von 10.000 Tonnen Reis und 5.000 Tonnen Weizen erhalten. Den Weizen hatten wir in Europa gekauft und in den entsprechend gekennzeichneten Säcken von Hamburg nach Kalkutta verschifft. Von dort sollte eine Lkw-Karawane die Säcke über die Berge nach Kathmandu transpor71
tieren. Alles war von mir über einen in Kalkutta ansässigen Spediteur organisiert worden. Doch dann geschah etwas Unglaubliches, Unvorhersehbares. Die Reederei schickte ein „brandeiliges“ Telex: „EILT, EILT! Schiff liegt in Kalkutta im Hafen. Arbeiter weigern sich, die Säcke zu entladen. Was tun?“ In komplizierten Telefongesprächen über mehrere Zeitzonen und Telefaxen mit dem indischen Spediteur kam heraus, dass die Hafenarbeiter, offensichtlich Muslime aus Bengalen, sich weigerten, „mit ihren nackten schmutzigen Füßen“ die Säcke mit den heiligen islamischen Symbolen zu betreten. Weder der lokale Iman noch der saudische Handelsattaché in Kalkutta konnten die Hafenarbeiter umstimmen. Was sollte ich also nun machen? Zunächst dirigierte ich das Schiff weg von Kalkutta nach Madras im Südosten Indiens. Aufgrund meines früheren Aufenthaltes in Indien wusste ich, dass die Menschen in Madras keine Muslime sind. Ausgestattet mit einer Blankovollmacht von der Geschäftsleitung, die mir in dieser Angelegenheit volle Handlungsfreiheit gewährte, reiste ich zunächst nach Kalkutta. Beim Abflug in Frankfurt herrschten eisige 20 Grad minus, beim Aussteigen in Kalkutta empfingen mich brütende 40 Grad plus bei hoher Luftfeuchtigkeit. Das bedeutete für meinen Körper einen Temperaturunterschied von etwa 60 Grad Celsius innerhalb von nur knapp zehn Stunden. Inzwischen war das Schiff in Madras entladen worden und 5.000 Tonnen Weizen, das sind 50.000 Säcke mit je 100 Kilogramm, lagen in einer Lagerhalle. Das andere Schiff mit dem Reis aus Thailand wurde von mir dorthin zurückbeordert und vor Ort umgesackt. 72
Doch Madras war laut den Schiffspapieren nicht der Bestimmungshafen. In tagelangen, unglaublich anstrengenden und ernüchternden Verhandlungen in Kalkutta und Madras – in Räumen ohne Klimaanlage und bei nahezu 40 Grad – mit dem Zoll, den Spediteuren, dem Iman, dem saudischen Wirtschaftsattaché, der fast täglich eine Flasche Whiskey auf sein Zimmer bestellte, und mit einer Sonderzahlung an die Gewerkschaft der Hafenarbeiter erreichte ich Folgendes: 50.000 Säcke wurden in der Halle ausgeleert und auf den blanken Boden geschüttet. 50.000 neutrale Säcke mussten beschafft und in einer Sonntags- und Nachtschicht gefüllt werden. Dann wurden die Säcke auf die Bahn verladen und in den Freihafen von Kalkutta gefahren. Dort konnte die Ware, 50.000 Säcke Weizen, dann offiziell zolltechnisch abgewickelt und für den Weitertransport per Lkw nach Nepal freigegeben werden. Ich machte zur Auflage, dass die alten Säcke verbrannt und nicht wieder verwendet wurden. Total erschöpft, doch mit einem guten Gefühl reiste ich in das noch immer sehr winterliche Frankfurt zurück, wo ich meinem Geschäftsführer ausführlich berichtete. Ich hatte meine Bewährung als „Projektmanager für Großund Sonderprojekte“ bestanden. Seine Sekretärin berichtete mir später mal: „Ich bin ehrlich – Ihr Reisebericht ist der Einzige, den ich bis zu Ende gelesen habe. Er war spannend wie ein Krimi.“ In den folgenden Jahren und bei passender Gelegenheit bat mich der Geschäftsführer immer wieder mal, die Geschichte mit der „Umsackaktion“ zu erzählen. Es gab in der GTZ nur drei Personen für Sonderaufgaben. Alle firmeninternen Ressourcen standen uns bzw. 73
dem jeweiligen Projektteam zur Verfügung. Jedem Abteilungsleiter war klar, dass wir die volle Unterstützung der Geschäftsleitung hatten. Externen Sachverstand konnten wir jederzeit nach Abstimmung mit der hauseigenen Fachabteilung einkaufen. Die komplette Kompetenz und Verantwortung lag beim Projektmanager. Es gab nur zwei Bedingungen: kein Bargeld an die Empfänger (also kein Schmiergeld) und keine Budget-Überschreitung. Das hört sich zwar traumhaft an, aber nicht jeder ist bereit – besonders in schwierigen Situationen – Verantwortung zu übernehmen. Es gibt genügend Beispiele von unqualifizierten Projektleitern, die sich überschätzt haben und von verfahrenen oder gescheiterten Projekten.
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Von Indien nach Afrika
Ein weiteres interessantes Projekt hatte ich in Uganda: Dem Land, in dem Milch und Honig fließen. Zu Sondierungsgesprächen reiste ich nach Kampala. In einer Audienz beim Obermufti, den ich nicht persönlich ansprechen durfte, nur über einen Dolmetscher, erläuterte ich mein Vorgehen in diesem Projekt. Er stimmte zu – er hätte eh keine andere Wahl gehabt –, bestand aber auf der Notwendigkeit einer „Transportation for Management“. Er wollte eine Mercedes-Limousine. In hartnäckigen Verhandlungen gelang es mir, ihm diesen Wunsch auszureden. Gleichzeitig versprach ich, über die Lieferung eines anderen Fahrzeugs nachzudenken. Nach kurzer Zeit, beim dritten Besuch, stellte sich heraus, dass vor Ort tatsächlich Fahrzeuge fehlten. Gleich nach meiner Rückkehr aus Kampala bestellte ich ein Fahrzeug, einen VW-Bus T3, robuste Afrikaausführung, mit Allradantrieb sowie Mittel-Vorder- und Hinterachs-Differenzialsperre. Ich ließ das Auto nach Mombasa in Kenia verschiffen. Da das Fahrzeug dringend in Kampala gebraucht wurde, entschloss ich mich, nach Mombasa zu fliegen, das Fahrzeug 77
schnellstens durch den Zoll zu bringen und sofort persönlich und sicher ins Projekt zu bringen. Ich hatte ein paar Freunden angeboten, mit mir diese Reise quer durch Kenia, mit vielleicht ein paar Umwegen, zu machen. Doch wie so oft in meinem Leben, wenn ich etwas Ungewöhnliches vorhatte, erfuhr ich Zweifel, Bedenken und Absagen. Nur mein alter Freund Hubert, den ich von der Akademie Meersburg kannte, selbst ein wenig Abenteurer und Sportflieger, sagte zu. Und so flog ich zunächst allein über Nairobi nach Mombasa. Nach drei Tagen hatte ich die Zollformalitäten erledigt und konnte Hubert schon mit dem Bus vom Airport abholen. Unser gemeinsames Abenteuer konnte beginnen.
Wie Abenteuer von innen aussehen Wir waren bei unserer Routenplanung völlig frei, zudem an keine Zeit gebunden. Unser erstes Ziel sollte der Nationalpark Tsavo-Ost sein. Auf der Fahrt dorthin, nur Schotterpiste, teils einspurig, hatten wir den ersten Platten. Na, dachten wir, das fängt ja gut an. Wir erreichten deshalb das Camp, eine Ansammlung von sechs Militärzelten, erst in der Dunkelheit. Nachdem wir etwas zu essen bekommen hatten, wies man uns unsere Pritschen in einem Zelt zu. Natürlich gab es kein elektrisches Licht, sondern nur Laternen. Als wir wach wurden, es war schon hell, entdeckten wir, dass die Zelte mehrfach geflickt waren. Sie standen nahe an einem Fluss und keine zehn Meter von den Zelten entfernt lagen mehrere Krokodile. 78
Zum Frühstück bekamen wir unter anderem auch frische Mangos. Doch ehe wir uns versahen, hatten die Affen die Früchte von unserem Teller gestohlen. Im Laufe unserer folgenden Reise besuchten wir alle Tierparks: Tsavo-West, Masai Mara, Amboseli, Mount Kenia und Lake Nakuru. Hubert machte mit seiner übergroßen, veralteten Kamera, die ich spöttisch den Ü-Wagen nannte, beeindruckende Filmaufnahmen. Dazu fuhren wir einmal am flachen, kilometerlangen Ufer des Sees im Kriechgang entlang. Über die offene Tür und das geöffnete Seitenfenster waren wir während der Fahrt auf das Autodach geklettert. Das war nicht ganz ungefährlich. Von dem dann führerlos und langsam dahinhoppelnden Fahrzeug beobachteten wir die Flamingos, die Warzenschweine, wie sie im seichten Uferschlamm nach Futter schnüffelten, lachten herzhaft und erfreuten uns des Lebens. Meist nahmen wir zu unseren Expeditionen einen lokalen Ranger mit. Diese waren jeweils sehr froh darüber, da sie selbst über nur wenige eigene Fahrzeuge verfügten, und wir hatten einen kostenlosen ortskundigen Führer. Im Amboseli waren wir jedoch allein unterwegs. Wir hatten einigermaßen Kartenmaterial mit eingezeichneten Pisten, denen wir, so gut man sie erkennen konnte, folgten. So endete eine der Pisten an einem Fluss, der in einer Breite von etwa zehn Metern und einer Tiefe von gut einen halben Meter schnell fließendes, rotbraunes Wasser mit sich führte. Wenn die Piste hier in den Fluss führt, geht sie auf der anderen Seite weiter, war unsere Logik, also eine Furt. So fuhr ich die Böschung hinunter in den Fluss. Nicht direkt gegenüber, sondern vier, fünf Meter weiter flussabwärts sollte die Piste aus dem Fluss weiterführen. Ich musste also zunächst ein Stück im Fluss fahren, um die pas79
sende Stelle der „Auffahrt“ zu finden. Ich machte jedoch den Fehler, die andere Seite der Furt schräg anzufahren, mit nicht ausreichend Schwung. So blieb ich am Hang hängen (deshalb heißt der Hang ja auch Hang). Ich setzte zurück in den Fluss, um erneuten Anlauf zu nehmen. Doch das war fatal, noch schlimmer als mein vorheriger Irrtum. Durch das Anhalten im Fluss und das Wiederanfahren wühlte sich das Auto mit den vier angetriebenen Rädern bis zur Bodenplatte in den Schlamm. O Gott, was nun? Wir wussten, dass stecken gebliebene Fahrzeuge schon mal mehrere Tage auf Hilfe gewartet hatten, denn Funk oder gar Handys hatten wir nicht. Hubert und ich hatten beide eine gute technische Ausbildung und waren handwerklich geschickt. Uns musste nun etwas einfallen. Jedes unserer in die Projekte gelieferte Fahrzeug wurde mit einem Satz Ersatz- und Verschleißteilen ausgestattet (Keilriemen, Filter, Reserveöl, Bremsbeläge etc.). Doch dies alles half uns im Moment kein Stück weiter. Die Teile waren jedoch in einer fest vernagelten Holzkiste von etwa einem Kubikmeter Größe verstaut. Wir beschlossen also, die Holzkiste aufzubrechen, zu zerteilen und unter jedes Rad eine Kistenseite zu platzieren. Das war ohne Werkzeug gar nicht einfach. Ein Brecheisen, Hammer und Zange wären jetzt nützlich gewesen. Mit einiger Anstrengung gelang es uns aber schließlich doch. Nun versuchten wir, im fließenden Wasser, den Wagenheber anzusetzen, um das Auto anzuheben. Doch statt dass der Wagen sich hob, versank das Werkzeug im Schlamm. Eine Stabilisierung als Unterlage für den Wagenheber musste her! Das Reserverad schien uns dafür 80
ideal geeignet. Also schoben wir es mit vereinten Kräften unter das Auto. Doch obwohl der Heber sehr schmal einklappte, passte er nun nicht mehr unter unser Fahrzeug. Mühsam, im Wasser kniend, buddelten wir das Ersatzrad in den Schlamm, bis der Wagenheber endlich darunter passte. Ich tippte Hubert auf die Schulter, während er angestrengt im Schlamm buddelte: „Ja, was ist?“, bellte er mich an und sah kurz zu mir auf. Ich blickte ihm einen Moment lang schweigend in die Augen und sagte ganz ruhig: „Hubert, so sehen Abenteuer von innen aus!“ Ein schallendes Lachen brach aus beiden von uns heraus. Jahre später noch war dieser eine Satz wie ein Running Gag zwischen uns und wir haben noch oft bei der Erinnerung an dieses gemeinsame Abenteuer darüber gelacht. Jedenfalls gelang es uns nach Stunden, alle vier Räder auf die Bretterunterlage zu stellen. Inzwischen war es dunkel geworden, zum Glück jedoch eine helle Mondnacht. Am jenseitigen Ufer gingen die Löwen zur Jagd. Hubert stieg ins Auto, ließ den Motor an und legte alle DifferenzialSperren ein. Ich hatte noch das Abschleppseil vorn angebracht, stellte mich oben auf die Böschung, stemmte die Füße in die Erde und schrie: „Jetzt!!“ Hubert ließ die Kupplung kommen, gab Gas, ich zog wie irre. Der Bus fuhr von den Brettern durch den halben Fluss und kroch mit durchdrehenden Rädern den Hang hinauf. Wir schrien vor Freude und umarmten uns. Bis zur Lodge war es jetzt nicht mehr weit. Zu Fuß und dann auch noch des Nachts wäre es jedoch unmöglich gewesen. Mehr als Glück also, dass wir unser nächtliches Ziel mit unserem Wagen erreichen konnten. 81
Wie sich jeder vorstellen kann, sahen wir nach dieser Aktion fürchterlich aus: Dreckig, durchnässt und völlig erschöpft wurden wir an der Rezeption zunächst unfreundlich empfangen. Doch nachdem ich der Hotelmanagerin den Grund unseres sehr speziellen Erscheinungsbildes erklären konnte, bekamen wir sofort Bier, und noch eins… und trotz der späten Stunde sogar noch etwas Warmes zu essen. Nach einer ausgiebigen Dusche fielen wir total geschafft, aber um ein Abenteuer reicher in unseren Betten sofort in den Schlaf. Wir setzten unsere Fahrt in den nächsten Tagen durch verschiedene Nationalparks fort, sahen Hunderttausende Flamingos, jede Menge Löwen, riesige Büffelherden, Tausende von Antilopen, Zebras, Giraffen, Gnus, Elefanten und trafen viele nette, freundliche Menschen. Dabei überquerten wir mehrfach den Äquator und übernachteten am Victoriasee in einem Hotel, welches genau auf dem Äquator steht. Beeindruckend anzuschauen, wie die Sonne direkt senkrecht von oben im See verschwindet. Nun ging es weiter nach Uganda. Der Grenzübergang Kenia/Uganda ist ein ganz besonderer Ort. Eigentlich wie ein kleines Dorf, aber ohne irgendeine Organisation. Gut, es gab die zwei Zollhäuser rechts und links des Schlagbaumes, dazwischen ein paar Meter Niemandsland, vielleicht noch ein Toiletten- und Waschhaus. Und dennoch mussten hier alle Trucks (fast ausnahmslos Mercedes-Lkws) anhalten und teilweise tagelang warten. Unter einem Mangobaum gab es auch so etwas wie eine Werkstatt. Da lagen Autoteile, ja sogar Motorteile einfach so im Sand herum. Kaum zu glauben, dass daraus wieder ein funktionieren82
der Motor werden sollte. Es gab fliegende Küchen, die mal hier, mal dort ihren Stand aufstellten, und natürlich die Prostituierten, die zwischen den Trucks herumschlichen und besonders abends eine Bleibe für die Nacht brauchten. Die Kabinen der Trucks waren groß genug und hatten fast alle eine Koje. Schließlich war es „das Zuhause“ der Trucker. Doch die Mädels mussten sich jeden Abend eine andere Unterkunft suchen. So wurden die Prostituierten unweigerlich zu Verteilern von Krankheiten, die dann über die Trucker weiter ins Landesinnere, ins nächste Land und schließlich über ganz Afrika „verstreut“ wurden. Die kostenlose Ausgabe von Kondomen und Aufklärung hatten nur wenig Erfolg. Wer sollte diese Aufgabe auch übernehmen? Und wer hatte ein Interesse daran, wenn nicht ausländische Nichtregierungsorganisationen, sogenannte NGOs? Jedenfalls war ich entschlossen, den Zollbeamten davon zu überzeugen, dass ich ihm nicht die 10 US-Dollar dazulassen gedachte, die er in seine Schublade gelegt haben wollte. Ein wenig Palaver, ein paar Komplimente, ein paar Witze, ein Kugelschreiber und ein Feuerzeug genügten. Er ergriff den Stempel, donnerte ihn mindestens zehnmal auf das tintenarme Stempelkissen und dann auf meine Importdokumente, dass der Tisch nur so wackelte. Endlich durften wir weiterfahren. In Uganda, in dem wunderschönen, aber vom Bürgerkrieg zerrütteten Land, sind die Straßen nicht das, was wir bei uns darunter verstehen. Man kurvt um die Schlaglöcher der Schotterpisten und manches Mal weiß man nicht, ob Links- oder Rechtsverkehr ist. Auf einer Strecke durch einen Wald, rechts abfallend in eine Schlucht, lag plötzlich ein dicker Ast auf dem Weg. 83
Ich fuhr langsam und musste anhalten. Aus dem Busch kamen zwei Gestalten mit Kalaschnikows. Es waren noch Kinder, vielleicht zehn bis zwölf Jahre, wie ich bei ihrem Näherkommen bemerkte. Sie trugen ein sonderbares Sammelsurium von Kleidungsstücken, was entfernt an etwas wie eine Uniform erinnern sollte. Ich drehte die Scheibe nach unten und schaute – einfach nur freundlich. Der für Erwachsene ausgelegte, viel zu lange Schulterriemen der Kalaschnikow rutschte ihnen immer wieder runter. Die Kinder waren unglaublich dreckig, ihre Augen blutunterlaufen, übermüdet oder von Drogen gerötet. „Where you go?“, fragte einer der beiden forsch. „Kampala“, sagte ich kurz. Er schaute wichtig ins Auto. „Cigarettes?“ „I don’t smoke“, sagte ich und hustete etwas. „Whisky?“, war die nächste Frage. „I don’t drink, I’m Muslim“, bedeutete ich und legte die rechte Hand auf meine Brust. „Passport!“ Ich gab meinen Pass verkehrt herum. Belangvoll blätterte er darin. Als er zum Passfoto kam, merkte er, dass er den Pass falsch herum hielt. Dann drehte er ihn langsam, unauffällig richtig. Der Junge hatte nie eine Schule von innen gesehen. Er ging noch einmal bedeutungsvoll um das Auto herum, dann gab er mir den Pass zurück. „Go!“ Ich bedankte mich, grüßte freundlich, nicht ängstlich, nicht unterwürfig, legte den Gang ein und fuhr langsam davon. Den Ast hatte er zur Seite gezogen. Später in Kampala erzählte man uns, dass vor ein paar Tagen dort in der Nähe ein Schweizer und zwei Engländer 84
von Kindersoldaten erschossen wurden. Nun ja, Glück gehabt. Hubert reiste von Entebbe über Nairobi zurück nach Frankfurt. Ich war jetzt wieder dienstlich unterwegs in meinem Projekt. Uganda war nie eine Kolonie, es war britisches Protektorat. Die Universität in Kampala war die einzige afrikanische im ganzen Königreich, deren Abschlüsse auch in Großbritannien anerkannt waren. Es gab dort einen großen indischen Bevölkerungsanteil. Fast der gesamte Handel in Uganda und in ganz Ostafrika befand sich fest in indischer Hand. Idi Amin hatte alle Inder enteignet, aus dem Land gejagt und sich und seine Gefolgsleute in deren schöne Häuser gesetzt. Der Handel und die gesamte Wirtschaft brachen daraufhin zusammen. Als ihm sein Finanzminister sagte: „Feldmarschall“, so ließ er sich anreden, „wir haben kein Geld mehr“, soll er geantwortet haben: „Dann drucke welches!“ Die Inflation war unbeschreiblich: Eine Flasche Bier kostete fünf Bündel. Eine Plastiktüte wurde zum Portemonnaie.
Warum tue ich das?! – An einem der schrecklichsten Orte Monate später, auf einer der übernächsten Reisen, liehen wir uns den VW-Bus. Mit einem deutschen Tierfilmer, Peter Möller, und einem Wachmann der Deutschen Botschaft, ein GSG-9-Mann, wollten wir einen Wochenendausflug zu den Murchison-Wasserfällen machen. 85
Auf einer leichten Gefällestrecke merkte ich, dass die Bremse nicht griff. Ich riss die Handbremse senkrecht nach oben. Die Wirkung war gleich null. Die Fahrt verlangsamte sich nicht und ich bekam den zweiten, gar den ersten Gang nicht rein. Außerdem hatte ich ja nur zwei Hände, eine Hand am Steuer, eine am Schalthebel oder der Handbremse. Und auf den Weg, bergab, musste ich auch noch achten. Langsam, im ganz spitzen Winkel fuhr ich in den Graben. Hätte ich etwa ungebremst den nächsten unbekannten Hang hinabrasen sollen?! Auf der linken Seite, circa 45°, blieb das Auto liegen. Da war nichts mehr zu machen! Wir richteten uns einigermaßen ein und verbrachten die Nacht im Auto, das im Graben lag. Wer in der völligen Dunkelheit um unseren Bus schlich, wollten wir nicht wissen; wären es Tiere oder wieder Kindersoldaten? Wir trösteten uns mit der Vorstellung, dass es Nilpferde vom Fluss hätten sein können, der war ja nicht weit – und Nilpferde gehen bekanntlich nachts an Land zum Grasen. Die Nacht war schrecklich, wie soll man im afrikanischen Busch in einem Auto, das im Graben liegt, schlafen? Mit der Morgendämmerung war dann der Spuk Gott sei Dank überstanden. Und was galt es nun zu tun? Wir suchten nach der Ursache des Bremsenversagens. Doch wie macht man das mit einem Fahrzeug, das im Graben liegt? Nun hieß es warten, warten und nochmals warten. Am frühen Nachmittag kam dann ein Lkw angerumpelt. Natürlich hielt er an. Auf der Ladefläche kauerten 10 bis 15 halbnackte, meist junge Männer. Diese baten wir um Hilfe, das Auto aus dem Graben zu schieben. Die Männer sprangen von der Ladefläche. Eine Hälfte begann vorn zu schieben, die anderen hinten. Es gelang uns, die meisten Helfer 86
nach hinten zu dirigieren, und so bekamen wir das Auto wieder auf die Strecke. Danke!! Und nun? Der Motor sprang an, der Bus fuhr wieder. Aber es gab ja immer noch keine Bremse. Egal, wir mussten weiter. Peter Möller wollte fahren. Okay, langsam setzten wir uns in Bewegung. Ich hatte die Schiebetür offen gelassen, sodass ich notfalls abspringen konnte. Es ging noch ein paar Mal leicht abwärts durch kleine Bäche. Peter schaffte es immer rechtzeitig, runter in den ersten Gang zu schalten. So erreichten wir unser Ziel noch vor Einbruch der Dunkelheit. Es war ein Lager für Gefangene, meist Wilderer. Dort trafen wir auch die Helfer wieder, die uns aus dem Graben geschoben hatten. Ja, manches Mal können auch Wilderer hilfreich sein. Peter kannte, als Tierfilmer, den Aufseher. Noch einmal versuchten wir, den Schaden zu eruieren. Dabei hoben wir das Auto mit dem Wagenheber an und krochen darunter. Alle drei waren wir dreckig, staubig und schmierig. Bis zu den Knien im Fluss stehend versuchten wir, uns etwas zu waschen, wobei einer immer wachsam die Wasseroberfläche beobachtete, um eventuell vor anschwimmenden Krokodilen zu warnen. Wohl war mir nicht dabei, lieber wäre ich schmutzig geblieben. Nach einem fürchterlichen Abendessen, ein Brei, eine Pampe aus Maniok und Bananen, bot uns der Aufseher ein verdrecktes Militärzelt zur Übernachtung an. Doch im Zelt wimmelte es von Moskitos. Wir zogen unsere Pritschen ins Freie und schliefen sofort ein. In dieser Nacht habe ich mir die Malaria tropica eingefangen. Am nächsten Morgen wollte Peter eine Bootsfahrt auf dem Fluss, unterhalb der Murchison-Wasserfälle, machen. Das „Boot“ war ein Aluminiumrumpf von circa sechs bis sieben 87
Metern Länge mit einem Inboard-Motor. Das Ruderblatt bewegte der Bootsführer mit zwei Drahtseilen und einem Holzgriff. Ein Steuerrad gab es nicht, nicht mehr. Wir fuhren durch die starke Strömung von unten auf die Wasserkaskaden zu. „Warum mache ich das alles eigentlich?!“, ging mir durch den Kopf. Es war schlimm. Der Fluss war voll mit unglaublich vielen Nilpferden. Manches Mal fuhren wir fast über ein Tier. Es wäre sehr leicht möglich gewesen, dass uns solch ein Koloss umgekippt hätte – und dann?! Am Ufer lagen riesige Krokodile mit offenem Maul. Hier, unterhalb der Wasserfälle, gibt es die größten Krokodile Afrikas (bis zu 6 Meter lang). Die Nilbarsche, die bis zu 1,50 Meter groß werden, sind für die Krokodile leichte Beute, wenn sie benommen über die Kaskaden hinuntergerutscht sind. Idi Amin, der grausame Despot, hatte hier an einer Rampe, die noch deutlich zu sehen war, ganze LkwLadungen von Menschen den Krokodilen zum Fraß vorgeworfen. Man stelle sich dieses furchtbare Szenario einmal vor, da werden 20, 30, 50 Menschen in den Fluss gekippt und diese riesigen Krokodile stürzen sich auf die Leiber und zerreißen sie. Ein schrecklicher Gedanke und einer der unheimlichsten Orte, die ich je besucht habe. Mit einigen Widrigkeiten gelang es uns am nächsten Tag, auch ohne Bremse, nach Kampala zurückzukehren. Wie wir später feststellten, war die Hauptbremsleitung unterbrochen gewesen und später – mit ugandischen Mitteln – geflickt worden. Ja, ja, so sind sie, unsere schwarzen Brüder. Nach gut fünf Jahren war das Projekt beendet. Wir hatten einen Campus für eine pädagogische Hochschule gebaut (Teacher Training College) mit Unterrichtsräumen, Schlafräumen für die Schüler, Wohnungen für die Professoren 88
und Lehrer, einer Mensa mit einem kleinen Gebetsraum für die Moslems und einem kleinen Garten. Außerdem zwei Fabriken rehabilitiert, die jetzt wieder produzierten. Eine Fabrik stellte Briefumschläge aller Größen und Papiertüten her, die andere Bürsten, Pinsel und Besen. Es waren die einzigen Fabriken in der Wirtschaftsunion Kenia, Tansania und Uganda. Bei vernünftigem Management bestanden gute Chancen für eine erfolgreiche Entwicklung. Doch ich befürchtete, dass die „Verantwortlichen“ zu viel und zu schnell Kapital herausziehen würden, um sich selbst zu bereichern. Obwohl ich ihnen immer wieder die betriebswirtschaftlichen Regeln für einen langfristigen Erfolg erklärte und vorrechnete. Sollen wir immer auf die wirtschaftliche Entwicklung vieler afrikanischer Länder aufpassen? Ist das unsere Aufgabe? Ist das überhaupt gewünscht?! Ich hatte aus Deutschland zwei große Marmortafeln mit goldener Inschrift auf Arabisch und Englisch anfertigen und einfliegen lassen. Zur offiziellen Einweihungsfeier, die ich – nicht die Vertreter des Muslim Supreme Council – organisiert hatte, kamen der saudische Botschafter mit Anhang, Vertreter aus Saudi-Arabien als Geldgeber, natürlich Fernsehen und jede Menge Presse aus Ostafrika. Feierlich wurden die Marmortafeln enthüllt und ich sollte eine Rede halten, ohne Mikrofon, denn der Strom war gerade wieder einmal weg. Natürlich war ich vorbereitet und sprach 15 Minuten lang. Von den Saudis war keiner bereit, eine Rede zu halten. Es wäre unter ihrer Würde gewesen. In den folgenden Jahren hatte ich noch verschiedene Projekte in Somalia, im Tschad und im Niger. In Somalia, in Ostafrika, steht die Wiege der Menschheit. Es existieren 89
Gegenden in den Halbsteppen, da gibt es nur Sand, keine Steine. Aber an einigen Stellen riesige Monolithen, Steine, die so groß sind wie ein dreistöckiges Haus. In deren Schatten haben sich kleine Tümpel, Teiche und etwas Vegetation gebildet, eine Art Oase. An solchen Orten wurden und werden noch immer Spuren des Homo sapiens gefunden. Ich werde nie begreifen, warum immer wieder Völker aufeinander losgehen und sich brutal umbringen, ja abschlachten, oder sich mit der Machete zerhacken. Afrika an sich ist potenziell reich, niemand müsste hungern. Selbst in den meisten Wüstenstaaten harmonieren die Nomaden mit ihren Tieren und der Natur, und überleben seit Jahrhunderten, weil sie sich gut angepasst haben. Dann kommt irgendein Despot und bringt das gesamte Gleichgewicht durcheinander. Trotzdem liebe ich Afrika, es zieht mich immer wieder dorthin. Wegen der Menschen und der Naturwunder. Erst im letzten Jahr war ich wieder dort, habe mir einen Jugendtraum erfüllt und war endlich an der Etosha-Pfanne, habe einen Rundflug über das Okavangodelta und einen Hubschrauberflug über die Victoriafälle gemacht. Einfach grandios! Inzwischen war ich Ende 40, verheiratet und hatte endlich eine Tätigkeit, die ich hoffte, bis zu meiner Pensionierung ausüben zu können. Unsere Aufträge aus Saudi-Arabien waren erfolgreich abgeschlossen. Einen großen Erfolg erzielten wir noch in Nordzypern. Der Auftrag lautete, etwa 660 Wohneinheiten an fünf Standorten zu errichten. Und eine neue Straße durch die Berge zu sprengen. Durch geschicktes Management und umsichtige Finanz-/ Wechselkursplanung konnten mehr als 1.000 Wohneinhei90
www.laudatio-verlag.de
16,00 €
ISBN 978-3-941275-92-8
Laudatio
Reiner Dittrich
Reisen in ferne exotische Länder, arbeiten, wo andere Urlaub machen, Abenteuer an beeindruckenden Naturschauplätzen weltweit bestehen: Wer träumt nicht von solch einem Leben? Doch Reiner Dittrich, Projektmanager im Entwicklungsdienst a. D. stellt in diesem Buch klar: Dieses und mehr kann jeder erreichen, der sich Ziele setzt, die ambitioniert genug sind und Schritt für Schritt darauf hinarbeitet. In seiner Autobiografie berichtet der heute 74-jährige Technische Betriebswirt von organisatorisch-diplomatischen Glanzleistungen und leidenschaftlichen Begegnungen in Zeiten internationaler politischer Umbrüche. Er nimmt uns mit auf spannende Expeditionen nach Asien, Afrika und Europa und zeigt, wie man mit der nötigen Entschlossenheit und Zielstrebigkeit auch unter widrigsten Bedingungen zum Schmied seines eigenen Glückes werden kann, getreu dem Motto: „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum!“
allein k c Glü genügt nicht! Mit Entschlossenheit, viel Mut und etwas Glück zu einem erfüllten Leben
Laudatio
allein k c ü l G genügt nicht!
Glück allein genügt nicht!
Reiner Dittrich
Laudatio