E R S C H L I E Ă&#x; U N G S B A L K O N E
Rebecca Tritscher B A L C O N O L O G Y
E R S C H L I E ß U N G S B A L K O N E am Beispiel Brunnenstraße, Kölner Brett, Eigelstein von B&K+
Zusammenstellung der Ergebnisse Untersuchungen zum Wahlmodul Rebecca Tritscher
balkonology Wahlmodul im SS 2012 angeleitet und betreut durch Tim Klauser RWTH Aachen Fakult채t f체r Architektur Lehrstuhl und Institut f체r Wohnbau und Grundlagen des Entwerfens Univ.-Prof. ir. Wim van den Bergh
E R S C H L I E ß U N G S B A L K O N E am Beispiel Brunnenstraße, Kölner Brett, Eigelstein von B&K+
Seite Einleitung.............................................2/3/4 B&K+ Brunnenstraße.......................6/7/8/9/10/11/28/29 B&K+ Kölner Brett..............12/13/14/15/16/17/18/19/30/31 B&K+ Eigelstein......................20/21/22/23/24/25/32/33 Fazit..................................................26/27 Bilder.....................................28/29/30/31/32/33 Brunnenstraße.....................................28/29 Kölner Brett......................................30/31 Eigelstein........................................32/33 Quellenangaben............................................34
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Balkone sind Übergangsräume im Außenraum. Sie bilden eine Schwelle zwischen Außen und Innen. Je nachdem, wie privat der angeschlossene Innenraum ist, vermittelt der Balkon eine semi-private Nutzung in den öffentlichen Raum: Der Balkon ist das Aushängeschild der angeschlossenen Nutzung im inneren. Nach Nutzung kategorisiert, hat jeder Balkon seine Aussage und seinen Zweck. Um das Bild des Aushängeschildes wieder aufzunehmen, ist es notwendig die unterschiedlichen Kategorien zu benennen. Es gibt Repräsentations-Balkone, die auch Erscheinungsbalkone genannt werden. Wie der Name erahnen lässt, handelt es sich um der Öffentlichkeit zugewendete Plattformen, die bühnenähnlich dem Nutzer die Möglichkeit geben, erhöht zur Öffentlichkeit Kontakt aufzunehmen. Historische Beispiele zeigen die Wirkkraft, wie bei der Ausrufung der Republik durch Karl Liebknecht 1918 vom Balkon des Berliner Stadtschlosses. Wirtschaftsbalkone stellen demgegenüber den krassen Kontrast dar. Sie dienen rein praktischem Nutzen, den der Außenraum mit sich bringt. Hier wird Wäsche getrocknet und Müll gelagert. Der Wirtschaftsbalkon soll nicht repräsentieren und doch ist es ein Aushängeschild der Nutzer(„Frau Maier trägt rosa Frottee-Schlüpper“). Wirtschaftsbalkone orientieren sich weg von der Öffentlichkeit, zu Innenhöfen und ähnlichen, bereits semi-privaten Außenräumen. Die wohl bekannteste Kategorie ist der Privatbalkon, Freisitz, oder im allgemeinen Sprachgebrauch lediglich Balkon genannt. Direkt an den Wohnraum angegliedert, wird die Wohnung um die Vorteile des Außenraumes erweitert. Die Nutzung ist mehrschichtig und verschieden, weshalb die Abgrenzung zum Wirtschaftsbalkon fließend ist. Von Abstellraum über Raucherbereich, Garten und Terrassen ähnliche Adaption, Meinungsportal, Darstellungsmittel, reinem Austritt, bis zum Wohnzimmer, ist alles möglich und erlaubt. Grenzen werden lediglich laut Mietrecht und privatrechtlichem Immissionsschutz ( § 906 BGB) gesetzt. Der Schmuckbalkon, als kritische Kategorie des Überbegriffs „Balkon“, kann nicht als Außenraum genutzt werden. Er nimmt kaum Fläche ein, bietet meist nicht mehr als eine Handbreit Auftrittsfläche und dient mehr der übergeordneten Fassadengestaltung, wie dem Nutzer. Eine klassische (und veraltete) Nutzung ist das das Bettwäsche-Lüften. Im Prinzip handelt es sich um eine hübsche Absturzsicherung bei großen
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Verglasungen. Die folgenden Untersuchungen zum Thema Balkon sind auf die Kategorie der Erschließungsbalkone fokussiert. Diese vereint die Erschließung des Wohnraumes mit einer Plattform. Der Eingangsbereich zeichnet sich dabei durch eine großzügige Freifläche aus. Ob die Doppelung der Schwelle, als Eingangsbereich und als semi-privater Raum, funktioniert wird an den Beispielen des Büro und Atelierhaus Brunnenstraße (Berlin), dem Wohn- und Geschäftshaus Eigelstein (Köln) und dem Wohnhaus Kölner Brett (Köln) untersucht. Alle drei Beispiele stammen aus dem Architekturbüro B&K+.
Das Büro B&K+, Arno Brandlhuber (B) und (&) Berd Kniess (K) denkt und produziert seit 1996 in Zusammenarbeit (+) mit verschiedenen Künstlern, Fotographen, Theoretikern, Forschern, Musikern etc., die den jeweiligen Projekten zuträglich waren. Das Mitwirken der verschiedenen Partner ist charakteristisch für die Bauten und gibt ihnen eine Entwurfs- und Standortbezogene Eigenheit. „Therory, whether from philosophy, mathematics, or the social sciences, serves likewise not to underpin a project, but is overlaid as a dissolving picture with the projet and its structure.”
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Am 1.Juni 2012 stand ich in Berlin an der Brunnenstraße, am 14. Juni 2012 in Köln am Kölner Brett und am Eigelstein, um eine Bestandsaufnahme durch zu führen. Jeder Blumentopf sollte dokumentiert und analysiert werden, sofern ich überhaupt eine solche Einrichtung vorfinden würde, da es nach der Buch-Recherche nicht sicher schien, ob die Erschließungsbalkone der Beispiele überhaupt als Balkone genutzt werden. Die entstandenen Bilder und Fundstücke sind eine Momentaufnahme des jeweiligen Datums. Die vorangegangenen Tage des Jahres 2012 waren durchwachsen. Im März und Mai gab es einige Tage mit hochsommerlichen Temperaturen, eine anhaltende Sommer-Stimmung ist jedoch bis dato nicht eingetreten. Die Temperatur lag bei 18 Grad im Schatten.
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Berlin 2007-2010 4 Geschosse plus Dach- und Untergeschoss Wohnen (3.OG und Dachgeschoss) Arbeiten (1.OG/2.OG) Atelier (1.OG/EG/UG) Polycarbonat/Sichtbeton/Spritzbeton/Glas
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Ausblick vom ersten Obergeschoss (Eingang Galerie KOW)auf den balkonรถsen Vorplatz und die dicht herantretende Hinterhofbebauung
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Aufbauend auf ein brachliegendes Investoren-Vorhaben in der Brunnenstraße, dessen Sockel bereits exsistierte, führen B&K+ in den 90er Jahren das Vorgefundene zu einem dem Wohn- und Atelierhaus. Im städtischen Kontext bricht die Polycarbonat-Fassade aus der Materialität der Nachbarschaft aus, schafft allerdings eine Verbindung zwischen den angrenzenden Häusern, indem es den Höhenversprung zum Thema macht und in die Gestaltung einbezieht. Auf jedem Geschoss ist der Höhenunterschied als Stufe zu erleben. Zudem ist die Hofdurchfahrt zu den Hinterhäusern der Brunnenstraße ein Thema. Die Erschließung des Wohn- und Atelierhauses ist an die Rückseite verlagert, so scheint das gesamte Gebäude von der Straße gesehen als Tor zum Hinterhof. Das auffällige Dach ist ebenfalls nur von der Rückseite aus erkennbar. Eine gerade Kante, wie bei einem Flachdach, gibt die Straßenseite vor und entwickelt sich doch zum Hinterhof zu einer wilden Dachlandschaft, die der Sonneneinstrahlung folgt. So sollen die Nachbarhäuser und der Hof die bestmögliche Belichtung erhalten. Der Erschließungsapparat auf der Hofseite bleibt jedoch ständig im Dunkel der Eigenverschattung.
B A L K O N A U F N A H M E In die schattigste Ecke des Hinterhofes gebaut, treppt sich das Erschließungstierchen vom Straßenniveau hoch bis zum dritten Obergeschoss. Oftmals ändert es seine Richtung, fängt mit zum Lauf schräg gestellten Stufen an, biegt ab dem zweiten Obergeschoss zum Gebäude ab, um schlussendlich wieder in der horizontalen zurück zu führen. Auf dem ersten Podest ergießt es sich zum Eingang der Galerie fast wellenartig mit einer großen (Sitz-) Stufe. Ein Level weiter vergrößert es seine Form, läuft konisch zum Gebäude und bildet so den Eingang zum Büro. Ganz oben angekommen bleibt es fast brav in einer rechteckigen Form und schlängelt sich schmal und unauffällig an der Fassade des Wohngeschosses entlang. Aufgeräumt und kahl wirkt es. Im Erdgeschoss parken Autos (1). Über den ersten Lauf erreichen Besucher die Galerie KOW, nachdem sie zunächst die Sitzstufe (4) auf Ebene des Treppenpodests wieder herabgestiegen sind. Auf der Erschließungsplattform der Galerie gibt es einen grauen Aschenbecher (2) aus Metall und einen leeren Pflanzkübel (3) aus Beton.
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Bei genauerem Hinsehen findet der Besucher drei Steckdosen, die in die Sitzstufe (4) nahe des Eingangs eingelassen sind. Die Angestellte der Galerie KOW gibt ein Kurzes Interview (sinngemäß wiedergegeben): Guten Tag –Hallo (Ich erkläre den Grund meines Besuchs)Ich frage mich, ob die Sonne eine Chance hat den Erschließungsapparat zu belichten –Nein, leider haben wir hier nie Sonne. Nur die oberste Treppe bekommt direktes Licht, und der vordere Teil der Plattform (im 2.OG). Liegt es daran, dass keine Pflanze im Pflanzkübel zu finden ist? –Ich denke da hat sich nur keiner drum gekümmert. Generell ist eigentlich nur ein Aschenbecher ein Zeichen für temporären Aufenthalt, wird der Bereich nur zum Rauchen genutzt? –Ja, das ist wohl überwiegend so, aber wir haben im Sommer auch ein paar Versammlungen geplant, die zusammen mit der Galerie auf dem Bereich stattfinden. Etwas in der Art wie ein Grillen oder Sommerfest? –gegrillt wurde schon einmal, genau. Wir wollen die Fläche mehr nutzen. Sie bietet sich an. Auf der Eingangsfläche zum Büro ist der Aufenthalt architektonisch nicht angedacht, einfach weil die Sitzstufe fehlt. Hier beobachte ich über einen Zeitraum von etwa einer halben Stunde, wie zwei Angestellte des Büros telefonieren. Das Wetter ist gut, so schlendert eine Angestellte langsam mit dem Mobiltelefon am Ohr zur Treppe, nestelt mit der Fußspitze an der Seilstruktur des Treppengeländers herum, und verschwindet wieder. Bei Nässe spendet der darüber liegende Balkonteil ein wenig Schutz. Nachdem die Angestellte wieder im Büro verschwunden ist, will auch ich mir die Aussicht von der zweiten Ebene gönnen. Noch nicht ganz dort angelangt sehe ich, wie die Frau in der Galerie nach mir schaut. Oder ich bilde mir das nur ein. So oder so fühle ich mich plötzlich als Eindringling. Ein kleiner Architekturstudent, wie ein Voyeur im schlimmsten Fall, der die Ebene der Öffentlichkeit verlassen hat und in einen Bereich tritt, der den Angestellten des Büros zugeordnet ist, einer Auswahl an Befugten. Die letzte Treppe scheint deshalb wie eine unüberwindbare Hürde. Sie ist die Steigerung zu der bisher erfahrenen. Sie ist die letzte Schwelle zur Privatheit des Wohngeschosses. Ob Brandlhuber wohl geschmunzelt hat, wie ich abrupt innehielt, noch einmal einen Blick riskierte, ein schüchternes Foto schoss und schleunigst wieder in die Öffentlichkeit schlich?
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1997-2000
4 Geschosse plus Dachterasse Wohnen (alle Geschosse) Arbeiten (EG/1.OG) GFK/Sichtbeton/Glas
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E N T W U R F Das architektonische Prinzip kann reduziert wiedergegeben werden und ist doch nicht so aussagekräftig wie ein Besuch vor Ort: Ein Hauptvolumen, das Haus, wird über ein zweites Volumen, den Vorbau, rückseitig erschlossen. Das Haus besteht aus 12 Modulen a 140qm, jedes Modul aus einer stehenden und einer liegenden Box.
Der Vorbau sind zwei Plattformen, die sich aus Stegen zusammensetzen, die zum einen (parallel zum Haus) mit Treppen als vertikale Erschließung und Außenanlage dienen, und zum anderen (im 90° Winkel zum Haus) zum Eingang der Lofts führen. Auf dem Dach ist eine Dachterasse für die oberen Lofts ausgebildet. Unter dem Vorbau ist eine Fläche, die zum Parken genutzt werden kann. Die Immobilie „Kölner Brett“ war ein Bauvorhaben (Baukosten 3,3 mio DM) mit vielen Hindernissen von der städtischen Seite aus. Die Flexibilität der Grundrisse erschwierigte die Einordnung in Wohn-/Büro-/Geschäftshaus...Den Käufern gefiel gerade diese Adaptabilität, die Lofts waren noch vor Fertigstellung verkauft. F Ü R W E N Die Idee findet bei Berufsgruppen der Kategorie „Kreativberufe“ (Immobilienmaklerkategorien), wie Werber, Designer, Fotografen, etc. besonderen Anklang. Ein grundlegendes Vorstellungsvermögen wurde von den Kunden auch verlangt, da die Lofts nicht ausgebaut, ohne Sanitäreinrichtungen übergeben wurden. Diese ungewöhnliche Vorgehensweise hat den positiven Effekt, dass die Baukosten hiervon nicht in die Höhe getrieben werden und der individuellen Gestaltung lediglich die Wände, Fußböden und Treppen als Grenzen gesetzt sind. Die Räume sind gut proportioniert und variieren in Höhe und Ausrichtung. Ermutigt von dem Flexibilitätsgedanken, dem Raumangebot und letztlich dem Zwang, die Grundrisse auszubauen entstanden spannende Konstellationen. Raum in Raum, Aneignung, Übergriffe: High-Tech-Bäder, eine hängende Gästetoilette, ein Tonstudio, und neben dem Hochbett mit Personenaufzug erscheint die klassische Galerie als langweiliger Standard. Wirkliche Umbaumaßnahmen hat es seit dem Erstbezug wohl
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nicht gegeben, berichtet ein Bewohner. Dies zeugt von einem guten und vor allem zeitlosen Geschmack der ersten Ausbauer. Ein Glück und Kompliment an und für die Architektur des Kölner Bretts. M A T E R I A L Glasfaserverstärkte Kunststoffgitter (GfK Gitter) werden sowohl als Treppengeländer, als auch an den Fenstern und der Dachterrasse zur Absturzsicherung eingesetzt. Dank der Festigkeit des Materials kann auf eine eigene Tragkonstruktion verzichtet werden. Der Bauwelt Artikel interpretiert die Leichtigkeit des Erscheinungsbildes als Gegenüberstellung von Filigranität zu der Schwere des BetonVorbaus. D E R B A L K O N Der Vorbau, auch Bauchladen genannt, dient der Erschließung und konstruktiv dem Ableiten der Schubkräfte des Hauses durch die Treppen. Er ist von der Grundfläche abgehoben. Die Masse scheint zu schweben, da auf Stützen verzichtet werden konnte und lediglich die Treppe auf den Grund reichen. Hier wird geparkt und die Mülltonnen gelagert. Besteigt man die auslegerartige Treppe, befindet man sich „im“ Vorbau. Er ist offen. Besteht aus zwei BetonPlattformen, die übereinandergelegt, verbunden mit der Treppenanlage aus dem Haus heraus züngeln. Mittels der Dimension von etwa 1/2 Grundfläche der Grundrisse im Innern spannen die Plattformen einen Raum auf, der mit dem Haupthaus eine Einheit bildet. Zwei gleichgestellte Volumen, die gegensätzliche Formensprachen folgen: Während das Haupthaus mit GfK-Fassade transparent und leicht scheint, zelebriert der Vorbau mit Stahlbeton die Schwere. Letzterer dient mit seinen Erschließungsstegen als Balkon für die Bewohner. In die Betonstruktur eingelassene Beete lassen Spielraum für Individualität. „non-city-like quality of a multilevel front garden“2 Der Verkehrsraum wird tatsächlich als Balkon genutzt. Die Beete sind bewachsen und transportieren eine Behaglichkeit: Der grobe und schlecht gepflegte Beton wird durch das Grün aufgewertet. die Ablagerungen auf der Fläche werden kaschiert. Als Gegensatz zu der klaren Formensprache der Plattformen erstreckt sich die Natur in Form von Bambus, Grasgewächsen und Büschen auf dieser. Sie bietet Schutz vor Blicken und trennt Zonen voneinander. Beispielsweise ist der Fahrradabstellplatz mit wilder Bewachsung klar von der
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liebevollen Beetanlage eines Eigentümers zu unterscheiden. Je weiter man nach oben gelangt, desto privater wird der Verkehrsraum. Zum einen liegt dies an der abnehmenden Zahl der Passanten, zum anderen ist im ersten Obergeschoss eine Zahnklinik, die wenig private Nutzung als "Bewohner" mitbringt. Vielmehr braucht diese Art der Nutzung Stellflächen für die Angestellten und Kunden.
B A L K O N A U F N A H M E Zunächst nähere ich mich der Struktur des Vorbaus von Weitem. Ich versuche einen Blickwinkel zu finden, von dem ich die gesamte wuchtige Erscheinung fassen kann. Es funktioniert nicht. Die Nachbargebäude stehen zu nah, die Straße (mit dem Namen Kölner Brett) ist eine Anwohnerstraße und damit relativ schmal und es gibt viel zu viele Hecken, Büsche, Beete, die meinen Bewegungsradius einschränken. Das Gebäude von B&K+ sitzt wie ein ruhender, freundlicher, ausgeglichener Buddha mitten in der heterogenen Umwelt. Es scheint sich sogar fast an meinen Versuchen, ein Foto, auf dem die gesamte rückseitige Fassade zu erkennen ist, zu amüsieren. Der Bauchladen, welcher –um im Bild des Buddhas zu bleiben- dem Bauch entspräche, ist so unfassbar massig. Staunend nähere ich mich. Das gesamte Volumen liegt auf dem Fußpunkt der Treppe auf. Ich schlüpfe unter den Bauch. Die Decke ist relativ niedrig. Ich kann den sich bildenden Raum unter dem Körper klar vom Außenraum trennen. Er ist dunkel und wegen des Betons, an dem der Zahn der Zeit genagt hat, bietet er kaum Aufenthaltsqualitäten. Mülltonnen lagern hier (1) und Autos parken. Zur Fassade öffnet sich der Bauch zu Stegen. Durch die großzügigen Deckenlöcher (11) von ca. 4m x 7m fällt Licht von oben bis zu den Eingängen der Einheiten im Erdgeschoss.
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Über die Treppe (2) gelange ich auf die erste Plattform des Bauches. Nebenbei bemerkt ist das formschöne Gitter aus GfK gleichzeitig Absturzsicherung und Geländer, da es ohne Handlauf funktioniert (Was wohl der Sicherheitsbeauftragte der Stadt dazu gesagt hat?). Auf der Ebene angekommen blicke ich gegen eine Betonwand, die einen Teil des Bauches zum privaten Außenraum (4) macht, da sie zu einem großen Teil keine Blicke zu lässt. Dennoch kann der interessierte Mensch leicht erkennen wie man sich dort eingerichtet hat. Die Wand reicht nicht über die volle Tiefe, sondern lässt Durchgänge frei. Dieser Durchgang ist mit einem mini Zäunchen, einer Beetbegrenzung „versperrt“. Ich sehe hängende Bambuskörbe zum hineinsetzen und einen ausgerollten Kunstrasen. Es ist ein zweites Wohnzimmer im Außenraum. Die Erschließung der dazugehörigen Wohnung ist straßenseitig. Einmal umgedreht (3) fallen die vielen Fahrräder ins Auge, die auf Holzplatten anstelle der Bepflanzung wuchern. Wie bereits erwähnt, bilden diese im Gegensatz zu vorherig beschriebener Szene, eine Fläche für alle. Jeder scheint sein Fahrrad bei Bedarf abstellen zu können. Die ungepflegte Bepflanzung drum herum zeugt von fehlender Zugehörigkeit zu Verantwortlichen oder/ und Desinteresse: Der Abstellplatz muss lediglich Platz bieten. Auf der zweiten und damit obersten Plattform gibt es definitiv keine Unklarheiten über Verantwortlichkeitsbereiche. Jede Wohngemeinschaft hat ihr eigenes Fleckchen hergerichtet, mit Möbeln von Bierbank (8) über Rattan- (13), Teakholz- (12), Metallbestuhlung (6), bis zur Kinderküche aus Plastik (7). Unzählige Blumentöpfe (10) in größter Formen- und FarbenVielfalt ergänzen das freundliche Ensemble. Ein Grill (14) strotzt voll Nachbarschaftsfrieden und der Sandkasten nahe der Kinderküche (7) symbolisiert die Harmonie der spielenden Kinder. Auch hier ist eine Abstufung vom Öffentlichen zum Privaten durch die Architektur des Weges vollzogen. Wie bei der Brunnenstraße nimmt die Privatheit nach oben zu. Allerdings ist diese durch die ineinander übergehenden Bereiche von mehreren Wohngemeinschaften begrenzt. Es handelt sich eigentlich um einen großen gemeinsamen Balkon. Verglichen mit der Brunnenstraße fühlte ich mich dort ähnlich, wie noch nicht ganz auf der zweiten Plattform: Mit der Nase in der Halböffentlichkeit. Gesundes Misstrauen der Bewohner, „Darf ich Fotos machen?“ –„Jenachdem wofür!“, löste sich in ein kurzes Gespräch mit dem Fazit „Wir nutzen den Außenraum jeden Tag, außer bei Regen“ auf.
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6 Geschosse plus Dachterasse Wohnen (2.OG/3.OG/4.OG/5.OG) Arbeiten (EG/1.OG) Glas/Holz/Metall/Sichtbeton
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D E R E N T W U R F Eine Einkaufsstraße, eine Baulücke und eine Idee in die gegebenen 2,56m ein Haus zu setzen. Wahnwitzig und immer wieder betont, finden auf dieser Breite ein Büro und drei Appartements Raum. Konstruktiv wird die Breite durch Auflager der Geschossdecken in den angrenzenden Nachbargebäuden weitestgehend erhalten. Auf der Homepage von brandlhuber.com heißt es: Der baurechtlichen Forderung nach konstruktiver Unabhängigkeit eines jeden Gebäudes wurde mit einer Verweisbaulast begegnet, wonach bei Abriss der Nachbarbebauung alle Massnahmen zum Fortbestand des Hauses auf Kosten seines Eigentümers erfolgen. „The building code“2 geht davon aus, dass jedes Gebäude eine unabghängige Struktur hat. Im Beispiel von Eigelstein stehen hierfür die Wünsche des Bauherren eine kostengünstige Variante und das Raumangebot der schmalen Baulücke im Vordergrund. Die Erschließung ist in ihrer Einfachheit keineswegs einfach. Der Eingang erstreckt sich längs durch das Haus, überwindet zunächst ein Geschoss und leitet weiter zu der rückseitig angestellten Stahltreppe. Diese erschließt jedes Appartement. Mit großzügigen Plattformen vor jeder Eingangstüre bietet sich eine Freifläche, die, ähnlich einem Balkon, die Schwelle vom Außen zum Innenraum darstellt. Durch die Erschließung über die Rückseite erhalten die Schwellenräume eine Privatheit. Zudem sind sie der einzige Außenraum der Appartements. Eine Balkonnutzung ist somit denkbar und räumlich angelegt. Ein Hund kommt mir entgegen, groß und kräftig. Er kämpft sich die Stahltreppe hinauf, windet sich leicht irritiert von meiner Person an mir vorbei. Die Besitzerin folgt mit ähnlichem Blick. Ich frage sie, ob sie hier wohne, setze sie über den Grund meiner Anwesenheit in Kenntnis und erkläre ihr kurz die Theorie der balkonähnlichen Schwellenräume. „Das ist eine Treppe, über die ich in meine Wohnung komme“, sagt sie und mit dem Satz „wir sind das schon gewohnt, dass hier Leute hin und wieder Fotos machen“ ist das Gespräch beendet. Der Hund scheint auf der Plattform vor der entsprechenden Wohnung angekommen zu sein. Ein metallisches Klirren, vermutlich vom Halsband auf dem Gitter, versöhnt mich ein wenig. Sollte die Bewohnerin ihren Schwellenraum nicht als Balkon wahrnehmen, so benutzt ihn zumindest der Hund in diesem Sinne.
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B A L K O N A U F N A H M E Vom obersten Geschoss hat man die beste Aussicht, keine Einschränkung des Raumes über sich und vor allem keine Passanten, die die Plattform als Verkehrsweg nutzen. Das sind wohl die Gründe, weshalb ich auf eben diesem obersten Geschoss tatsächlich eine typische Balkon Einrichtung vorfinde: Ein Tisch mit zwei Stühlen (1) und Pflanzen in Pflanztöpfen(2). Dazwischen Utensilien für einen Wirtschaftsbalkon, wie Feger(3), Wischlappen(4), Plastikwanne(5) und ein prall gefüllter Müllbeutel(6). Das Ensemble ist in seiner Einfachheit oft auf Balkonen zu finden, allerdings hat es schon etwas naiv verspieltes, die durchlaufende Ecknische (7) mit gelbleuchtender, großer Neonröhre der Architekturplanung, als praktisches Klemmelement für Haushaltsgeräte aller Art zu nutzen. Die übrigen Bewohner bleiben bei einfachen Bastmatten(8) mit daneben stehender Pflanze(2). Im Unterschied zu den letzteren zwei Schwellenräumen individualisiert der Erste deutlich. Das Aushängeschild aus der Einleitung sei hier noch einmal erwähnt. Die Aussage: Innerhalb der gegebenen Architektur mache ich, was mir gefällt. Ironischer Weise folgt diese Art der Nutzung der Intention der Architekten, den gegebenen Raum zu nutzen, anstelle der stilsicheren, puristischen und sicherlich an der Architektur orientierten Formensprache und Aussage eines einzelnen Pflanztopfes der anderen Art der Nutzung. Allerdings ist die Anlage zum Balkon im obersten Geschoss wirklich gegeben, wohin gegen die unteren Etagen mit Verschattung und Verkehrswegen zu kämpfen haben. Eine Terrasse auf dem Garagengeschoss ist für alles zugänglich und bietet die Möglichkeit den Außenraum zu nutzen.
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Die Qualität eines Balkons hängt von der Privatheit ab. Gelingt es nicht, einen Rückzugsort zu schaffen, an dem der Nutzer selbst entscheidet, wie weit er sich der Öffentlichkeit zur Schau stellen will, wird der Raum nicht von ihm adaptiert. Brandlhuber und Knies plus haben sich in allen drei untersuchten Beispielen für eine der Straße abgewandte Außenraum-Lösung entschieden. So wird dem sich dort Abspielenden die Prominenz genommen. Der Nutzer fühlt sich ein Stück weit unbeobachtet, solange ihm der angrenzende und im Beispiel Brunnenstraße und Kölner Brett gläserne Raum gehört, bzw. er der Nutzergruppe angehört. Dies ist meines Erachtens elementar bei den Beispielen. Die Blickbeziehung zwischen Innen und Außen und die Zugehörigkeit entscheiden mittels einer, der Architektur geschuldeten, ÜberwachungsAtmosphäre über die privaten und öffentlichen Zonen. Die Schwellen ergeben sich dazwischen und werden durch die vertikale Bewegung sowohl unterstützt als auch hervorgehoben. Das bedeutet, dass die Schwelle bei einem Wechsel von der Vertikalen in die Horizontale zu finden ist. Die Einsichtigkeit der Szene ist gemeint. Gehört man nicht der Nutzergruppe an, die die Aufsicht auf den jeweiligen Raum inne hat, so stellen sich Gefühle der Grenzüberschreitung ein. Um auf die Einleitung zurück zu kommen, die sich mit der reinen Klassifizierung von Balkonen beschäftigte, sollte nun die Beziehung der „Erschließungsbalkone“ zu den anderen Balkontypen herausgestellt worden sein. Dank der rückseitigen Lage der Balkone wird eine Grundstimmung erzeugt, die weg von der repräsentativen, hin zu der informellen, wirtschaftlichen Definition des Balkons weist. Der Balkon dient der Erschließung. Eine neue Dimension des Wirtschaftsbalkons und überhaupt, um beim Begriff der Dimension zu bleiben, eine Erweiterung der Form des horizontalen Balkons um die Vertikale.
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vom Erdgeschoss
Steckdosen auf dem ersten Obergschoss
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vom ersten Obergeschoss
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die Fassade vom Hof aus gesehen
Fahrradstellfläche im ersten Obergeschoss des Vorbaus
BlumentĂśpfe, zweites Obergeschoss des Vorbaus
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Grill
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Balkonnutzung/ zweites Wohnsimmer
vom dritten Obergeschoss
Balkonnutzung und Abstellfl채che im dritten Obergeschoss
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Lichtrรถhren im Eingangsbereich
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der Hinterhof/die Terasse
Text >Schneider, Till, Flexible Housing, Elsevir Inc/Ltd., 2007 >Mietrechtlexikon.de >Wikipedia.de >Lootsma, Raeder, B&K+ Brandlhuber & Kniess- Index Architecture, Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln, 2003 >Brandlhuber b&k+, 1992-2008, Verlag der Buchhandlung Walter König, 2009 >Martin Burckhardt, Brandlhuber-Eine Fiktion, Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln, 2005 >werk bauen und wohnen, balkone und loggien, 5/2012 >Publikation aus Bauwelt 33 von 2000, in Brandlhuber b&k+, 1992-2008,Verlag der Buchhandlung Walter König, 2009, Internet >goethe.de >brandlhuber.com >google maps >bauwatch.koelnarchitektur.de >www.arcguide.de >www.kow-berlin.info/works/arno_brandlhuber
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Eine Untersuchung der balkonähnlichen Erschließungsplattformen der Architektur des Büros B&K+ am Eigelstein (Köln), am Kölner Brett (Köln) und an der Brunnenstraße (Berlin) hinsichtlich der Nutzung; Und damit eine spannende Reise durch die Welt der privat genutzen Außenräume mit kriminologisch anmutendem Indizien-Fundus mit daraus resultierenden Nutzungs-Schemata und Rückschlüssen.