DIE LEIDEN DES JUNGEN KOLUMBUS BIOWARE / ELECTRONIC ARTS Wenn Sie als Fan der bisherigen drei «Mass Effect»-Teile von «Andromeda» nicht enttäuscht werden wollen, dann klammern Sie das «Mass Effect» im Titel am besten aus. Je länger Sie den neuen Ableger der Sci-Fi-Reihe spielen, desto klarer wird: Er ist anders als die umjubelte Trilogie. Und Sie werden sich lange nicht sicher sein, ob Sie das nun gut finden sollen. von Schimun Krausz
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ie Story von «Andromeda» beginnt zwischen den «Mass Effect»-Teilen zwei und drei, als die Milchstrasse von den völkermordenden Reapern einen heftigen Kinnhaken kassiert hatte und bereits vom galaktischen Ringrichter angezählt wurde. In der Hoffnung, in einer anderen Ecke des Universums mehr Glück zu haben, schickten vier Völker je 20‘000 Vertreter ihrer Spezies los in Richtung Andromedanebel, um dort eine neue Heimat zu finden. Blöd nur: In den 600 Jahren, welche die Reise im Kälteschlaf dauerte, hat dort ein Geissel getauftes Phänomen die einst als geeignet gehandelten Planeten zu unwirtlichen Klumpen verkrüppelt. Ihre Aufgabe als sogenannter Pathfinder ist es, die bewohnbare Nadel in diesem Scherben-Heuhaufen zu finden.
hochmodern anmutenden Bauten eines Volkes, das Relikte genannt wird, üben eine ähnliche Faszination aus wie die Szene in «Prometheus», in der Michael Fassbender das Gewölbe mit der Karte unseres Sonnensystems findet. Und die oft lebensfeindliche Umgebung zwingt Sie dazu, nicht nur stets die Augen nach aggressivem Getier, sondern auch verstrahlten Gegenden und grimmigen Aliens offen zu halten. DER CHEERLEADER-EFFEKT
Nach und nach gewöhnen Sie sich an die konstante Bedrohung, die neuen Eindrücke nehmen ab und unter der glänzenden Oberfläche zeichnen sich die rauen Ecken und ungeschliffenen Kanten von «Mass Effect: Andromeda» ab. Manchmal sehen Fussspuren in Wüstensand und Schnee entzückend aus, manchmal werden sie gar nicht dargestellt. Manchmal zaubern die Lichteffekte ein stimmiges Ganzes, manchmal macht das Beleuchtungssystem Pause und Die ersten Stunden des Science-Fiction-Brockens fühlen sich noch erzeugt Szenen, über die sich sogar BioWares 14 Jahre altes Roldurchaus nach Bekanntem an – einfach um ein Vielfaches intensiver, lenspiel «Star Wars: Knights Of The Old Republic» scheckig lachen «Mass Effect» auf Steroide und Speed, sozusagen. Statt der nahen würde. Milchstrasse ist die 2,5 Millionen Lichtjahre entfernte Andromeda-Galaxie ihre neue Spielwiese. Statt ziemlich lineare Missionen In Verbindung mit den fragwürdigen Gesichtsanimationen der Chawarten riesige Open-World-Planeten auf Sie. Statt mit ein paar Cha- raktere – unsere selbsterstellte Hauptfigur hat die Gesichtszüge eirakter-Werten jonglieren Sie neu mit tiefergehenden RPG-Möglich- nes Froschs – wirkt «Andromeda» unangenehm oft altbacken. Hässkeiten, weitreichenden Forschungsoptionen und einem komplexen liche Ecken entdecken Sie im neuen «Mass Effect» immer wieder Crafting-System herum. – wie eigentlich in jedem Game mit Open-World-Elementen –, aber wenn Sie einen Schritt zurück machen und die Grafik als Gesamtes STUNDEN DES STAUNENS betrachten, ist der Sci-Fi-Action-RPG-Titel richtig hübsch geraten. Der Philosoph Barney Stinson bezeichnete dies als Cheerleader-EfDiese erweiterten Gameplay-Elemente in Kombination mit deren fekt. sehr dürftiger Erklärung rufen ein Gefühl der Hilflosigkeit hervor, das auch Ihre Spielfigur überkommen haben muss, als sie über NICHT ALLES IST SCHEISSE ihr neues Aufgabengebiet als Pathfinder informiert wurde. Entsprechend befriedigend ist es, wenn sich Ihnen nach und nach er- Viele weitere Kleinigkeiten lassen die eigentlich schimmernde Fasschliesst, wie die verschiedenen Mechaniken ineinandergreifen und sade des Spiels ebenfalls bröckeln. Die Framerate bricht dann und wie Sie sie für sich nutzen können. wann ein – auch auf einer PlayStation 4 Pro. Charaktere verschwinden oder erscheinen unwillkürlich, reagieren manchmal nicht auf In dieser Zeit des Entdeckens bleibt Ihre Kinnlade stets in Boden- einen. Und das Questlog ist so übersichtlich wie die jüngste US-Pränähe. Die Dimensionen des ersten offenen Gebiets auf dem Wüs- sidentschaftswahl. Auch wenn diese und viele andere kleine Dinge tenplaneten Eos wirken einschüchternd – später merken Sie, dass in der Summe durchaus Gewicht haben, brechen sie «Mass Effect: dessen Gesamtfläche sogar noch grösser ist. Die alten und trotzdem Andromeda» jedoch nie das Genick.
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RCKSTR MAG. | #144 | APRIL 2017