alt-J # 146
| JUNI 2017
MUT ZUR KÜRZE
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Knapp drei Jahre nach «This Is All Yours» veröffentlicht das Art-Rock-Trio alt-J aus Leeds sein drittes Studioalbum «Relaxer». Wir haben mit Keyboarder und Sänger Gus Unger-Hamilton telefoniert, als er gerade mit dem Taxi von der Bandprobe nach Hause tuckerte und dabei erfahren, was die neuen Songtexte mit Safewords bei BDSM-Sexspielen zu tun haben. von Schimun Krausz Gus, ihr wart für euer neues Album «Relaxer» gerade einen ganzen Monat lang auf Promo-Tour durch die USA, Australien und Europa. Langsam wird’s etwas absurd, nicht? Es ist verrückt, alle wollen immer mehr und mehr und mehr. Ich beschwere mich nicht, wir können uns wirklich glücklich schätzen und haben einen grossartigen Job, aber es ist schon erstaunlich, dass mittlerweile jedes Medium da draussen exklusive Inhalte von einem haben möchte und wenn man ihnen nicht noch zusätzlich eine spezielle Performance liefert, sind sie unzufrieden. Dann sind wir gespannt, was du Exklusives für uns vorbereitet hast. Ich werde euch ein Gedicht vorlesen, an dem ich gerade schreibe (lacht). Wir geben uns auch mit Geschichten aus der Produktion der neuen Platte zufrieden, die du sonst noch niemandem erzählt hast. Beim Text von «Deadcrush» haben Joe und ich zusammengespannt und stellten uns bei jeder Strophe eine tote Persönlichkeit vor. Er hat sich für Lee Miller (Fotografin) entschieden und ich mich für Anne Boleyn (zweite Ehefrau von König Henry VIII). Ich bin dann in die National Portrait Gallery in London gegangen und habe mich von den Portraits von Anne Boleyn inspirieren lassen. Den Liedtext so zu entwickeln, war sehr aussergewöhnlich – und richtig cool. Welcher ist euer liebster Song auf dem Album? Der letzte, «Pleader». Wir mögen das Hymnische. Er ist nicht nur so hymnisch, weil wir ihn in der Kathedrale von Ely (in Cambridgeshire) zusammen mit deren Knabenchor aufgenommen haben, auch die Struktur unterstützt diesen Eindruck: Der Song besteht aus drei Strophen und alle beginnen mit der gleichen Zeile; er basiert auf dem Buch «How Green Was My Valley» von Richard Llewellyn. In «Hit Me Like That Snare» und «Last Year» kommen japanische Textzeilen vor – was hat es damit auf sich? Das hat als Witz in der Band angefangen: Wir haben uns vorgestellt, dass das Safeword bei BDSM-Sexspielen sein könnte, auf Japanisch von Eins bis Zehn zu zählen. Es ist ja urkomisch unpraktisch, wenn man sich sowas merken muss, um bei solch einer Aktivität das Stopp-Signal geben zu können. Wie gut ist dein Japanisch? Abgesehen vom Zählen von Eins bis Zehn? «Hallo» und «Danke» (lacht). Damit kommt man zurecht.
Auf «Relaxer» sind gerade mal acht Songs zu hören… Das letzte Album war ein bisschen zu lang und hatte wohl ein paar Momente zu viel, bei denen man abschweifen konnte. Diesmal wollten wir etwas direkter, bestimmter sein. Vielleicht auch ein Zugeständnis ans heutige, Song- und nicht Album-orientierte Musikhören? Vielleicht. Ich verstehe die Leute jedenfalls: Ich schaue, lese oder höre immer lieber etwas, das kürzer ist. Sogar wenn ich eine Band live schaue, bin ich normalerweise nach einer halben Stunde schon ziemlich gelangweilt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man sich in sehr viel kürzerer Zeit mindestens so gut ausdrücken könnte, wenn man wollte. Es wird also nicht so schnell zweistündige Konzerte von alt-J geben. Auf keinen Fall. Wir spielen etwa eine Stunde und 20 Minuten – das ist in unseren Verträgen festgelegt. Am liebsten würde ich nur so vier, fünf Minuten spielen, das wäre mein Traum. Ihr habt eine Menge Fans in Israel, ihr spielt in Indien vor 10'000 Leuten, verkauft den Madison Square Garden aus – das Unternehmen alt-J ist ordentlich gewachsen. Wie hat das euer Schaffen beeinflusst? Ich glaube, gar nicht. Wir sind immer sehr auf dem Boden geblieben. Jedes Mal, wenn wir ein Album machen, suchen wir uns dafür einen Ort, der sehr einfach eingerichtet und billig zu mieten ist. Es soll normal sein. Wir wollen nicht nach L.A. fliegen und dort mit Rick Rubin arbeiten. Du sagst, dass ihr absolut auf dem Boden geblieben seid – und fährst dann mit dem Taxi von der Bandprobe nach Hause? (Lacht laut) Echt jetzt: Normalerweise nehme ich den Bus. Aber wenn ich wie jetzt gerade zwei Stunden lang Telefon-Interviews führe, lasse ich mir vom Label ein Taxi bezahlen – das ist mein Deal. Vielleicht ist mir das Ganze ja doch ein bisschen zu Kopf gestiegen.
; Neues Album «Relaxer» (Infectious/BMG/Musikvertrieb) jetzt erhältlich. ; Live: 23./24./25.6. Southside/Hurricane Festival, 30.6. Montreux Jazz Festival, 1.7. OpenAir St. Gallen, 2.7. Rock Werchter, 23.7. Lollapalooza Paris