RCKSTR Mag #157 | Festival Guide | Juni 18

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KNOPFDRUCKDRAMA

DETROIT: BECOME HUMAN

PRESS X FOR EMOTIONS

QUANTIC DREAM/SONY

#157 | JUNI 2018

Wenn uns körperlich überlegene Androiden auch kognitiv überflügeln, dann ist die Kacke ordentlich am Dampfen. Wie heiss sie aber dampft, bestimmt ihr – im bisher entscheidungslastigsten interaktiven Kino-Adventure von Quantic Dreams. von Schimun Krausz

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Vom Gameplay her wagt Quantic Dreams mit «Detroit: Become Human» keine Experimente: Wie schon in «Beyond: Two Souls», «Heavy Rain» und «Fahrenheit» bewegt ihr euren Character mit dem linken Stick durch die 3D-Levels und führst mit dem rechten (und manchmal einem Button) angezeigte Aktionen aus. Die rund vier Jahre Entwicklungszeit wurden demnach weniger für die simple Steuerung aufgewendet, sondern mehr für die wunderhübsche Optik, das aufwendige Casting und Motion-Capturing von über 250 Schauspielern und das mit unzähligen Entscheidungsmomenten gespickte Drehbuch; mit allen Notizen und Diagrammen umfasst es 5000 bis 6000 Seiten, wie Autor David Cage gegenüber dem britischen Magazin «GamesTM» sagte. EINE MENGE KREUZUNGEN Erstmals macht Quantic Dreams am Ende eines Kapitels transparent, welchen Pfad ihr mit euren Entscheidungen und Aktionen eingeschlagen habt und wie viele andere Möglichkeiten und Handlungsstränge es noch gegeben hätte – ohne sie zu spoilern, es werden nur die Verzweigungen angezeigt und nicht, was dabei passiert. Das erhöht die Wiederspielbarkeit von «Detroit» enorm, da ihr bei erneuten Durchgängen bewusst andere Routen nehmen könnt und dabei Teile des Spiels seht, die ihr vorher verpasst habt. In unserem extremsten Fall blieben uns aufgrund bestimmter Entscheidungen (auch schon früher im Spiel, die Konsequenzen können weitreichend sein) satte 85 Prozent (!) eines Kapitels vorenthalten. Eine Rückspulfunktion oder einen Reload-Button sucht ihr übrigens vergebens, was jedem Entschluss zusätzliches Gewicht verleiht. Wenn ihr euch mal falsch entschieden habt – weil unüberlegt, weil nur kurzes Zeitfenster zur Verfügung oder weil die Auswahlmöglichkeiten kryptisch beschrieben sind –, lebt (oder sterbt, ha!) ihr eben damit und geniesst, in welche Richtung euer Unvermögen die Geschichte lenkt. FIGUR-HOPPING Viele Konsequenzen verschleiert Quantic Dreams nämlich meisterlich. Wie im echten Leben habt ihr oft eine ungefähre Ahnung, wie euer Handeln das Gegenüber oder Ihre Umwelt beeinflussen können, aber sicher sein könnt ihr euch nie. Wie ihr selbst alle paar Minuten, steht auch die Menschheit in «Detroit» an einem Scheideweg: 2038 gehören täuschend human wirkende Androiden zum Alltag, übernehmen ungeliebte Aufgaben, sorgen damit für eine hohe Arbeitslosigkeit – und entwickeln plötzlich emotionale Intelligenz. Pflege-Bot Markus (gespielt von Jesse Williams) sieht seinen Kunden Carl als Vater, Haushaltshilfe Kara (Valorie Curry) schützt die

kleine Alice vor ihrem jähzornigen Drogenvater und RoboCop Connor (Bryan Dechart) sollte solche abtrünnigen Androiden eigentlich zur Strecke bringen, empfindet jedoch bald Verständnis und Sympathie für sie. ABSURD GUT Obwohl «Detroit» beinahe mehr interaktives Drama denn Videospiel ist, sorgen die Entwickler dafür, dass eure Finger immer etwas zu tun haben. Connor analysiert Tatorte und befragt Verdächtige, Kara schleicht sich zum Ziel und Markus kämpft sich in happigen Knopfdruck-Quicktime-Events an die Spitze der Robo-Revolution. Jedes Kapitel spielt sich anders, aber: In der Regel drückt ihr eben doch einfach den angezeigten Knopf. Besonders absurd wird das, wenn ihr dadurch weitreichende Entscheidungen über Leben und Tod trefft – aber hey: Immer noch besser, als einfach zuschauen zu müssen. Auch die Story hat ihre absurden Momente, das bringt die «Wir Roboter haben jetzt auch Gefühle und wollen gleich wie die Menschen behandelt werden»-Thematik eben mit sich – speziell im letzten Handlungsdrittel, wenn die Ereignisse sich überschlagen. Vor allem zu Beginn des Spiels zeigt Quantic Dreams aber viel Gefühl für die drei Protagonisten und behandelt Probleme wie häusliche Gewalt sensibel und erwachsen. Und selten haben wir so heftig mit gewissen Entscheidungen gerungen wie in «Detroit» – diesen emotionalen Thrill soll den Entwicklern erst mal jemand nachmachen.

8 ; jetzt für PS4


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