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JESSICA PILZ
Sie setzt schwierige Puzzles zusammen, löst gerne Sudokus – und wurde so zu Österreichs bester Kletterin
Jessica Pilz, genannt Jessy, klettert die senkrechte, manchmal überhängende Wand empor. Wie in Trance und mit unglaublicher Kraft – die sich ganz plötzlich zeigt, etwa wenn ihr ganzer Körper nur an den Fingerspitzen einer Hand hängt. Manchmal hält sie einen Augenblick inne und geht im Kopf alle möglichen Lösungswege durch. Jessy, 27, ist Österreichs erfolgreichste Kletterin, und die schwierigsten Stellen – jene, vor denen sie innehält – mag sie am meisten.
Sie gegen die Wand, das ist ihr ewiges Duell. „Die Wand ist mein Gegner, ich will sie ja bezwingen“, sagt Pilz. Nach einer kurzen Pause lacht sie plötzlich auf und sagt: „Bis ich es geschafft habe. Dann ist sie mein bester Freund.“ Und vor allem anderen ist für sie die Wand das Rätsel, das es zu entschlüsseln gilt.
Die Lust am Problem
In der Vorbereitung zähle zunächst die Quantität – erst Kraftaufbau, dann Ausdauertraining –, der Feinschliff kommt später. „Beim Bouldern braucht man vor allem Kraft, Sprungkraft und Koordination – und den Willen, das Problem zu lösen.“ Und das macht Pilz auch zwischen den Sessions: In ihrer Freizeit löst sie leidenschaftlich Rätsel und Sudokus oder puzzelt sich durch den Tag. „Es macht mir Spaß, und es ist ein guter Antrieb für mich, auch im Klettern Lösungen zu finden. Ich bin ein Wettkampftyp. Und wenn es unter Druck etwas zu lösen gilt, leg ich immer noch ein bissl was drauf“, sagt Pilz. Und Rätsel sind dafür das beste Trockentraining.
Bouldern, das Klettern ohne Sicherung in Absprunghöhe zum Boden, ist für Pilz wie der Weg zur Vervollständigung eines komplexen Puzzles. Der auf maximal vier Meter Höhe gesteckte Kurs verläuft jedes Mal anders. „Es kann gut laufen – oder eben nicht“, sagt Pilz. „Manchmal ist die Route perfekt für einen, und alles geht auf. Und manchmal klappt einfach gar nichts, man steckt an einer Stelle fest, und die Minuten verrinnen.“
Im Vorfeld sieht man den Kurs einmal kurz, ab dann darf man auch den Konkurrentinnen nicht mehr zusehen, wenn sie klettern, um sich nichts abzuschauen. Der Weg muss allein gefunden werden. Im vergangenen Jahr ging das Rätsel für Pilz perfekt auf: Sie qualifzierte sich bei der Kletterweltmeisterschaft in Bern erneut für die Olympischen Spiele –nach jenen in Japan im Jahr 2021, wo sie knapp eine Medaille verpasst hatte. Diesmal also 2024 in der Kombination – dem Bouldern wie auch dem Lead, dem Klettern entlang einer Route mit Seilsicherung von unten.
Kaum Chancen, kaum Stress
„An dem Tag gab es nur drei Tickets für Paris zu vergeben“, erzählt sie. „Ich hab mir kaum Chancen ausgerechnet und bin vielleicht auch deshalb leicht und mit wenig Druck in den Bewerb gegangen. Es hilft im Kopf, wenn man nicht zu verbissen ist.“ Nach dem Bouldern war sie Vierte, und das war eine gute Ausgangslage. „Im Lead war ich früh an der Reihe, das ist für die Nerven fein, weil man nicht zu lange warten muss. Als ich an die Wand ging, war ich gut nervös, also ein bisschen, das brauch ich für den Biss – und ich war sehr konzentriert.“
Mit Erfolg, denn runter kommt Pilz als ZwischenzeitFührende und verlässt die Halle mit einer WM-Silbermedaille.
Wenn sie losklettert, übernimmt der Instinkt. „An der Wand bin ich extrem fokussiert. Ich denke nur an die nächsten Züge, die vor mir liegen.“ Da hänge viel vom Training ab, also davon, wie gut man gewisse Bewegungen intuitiv kennt – aber auch vom Kopf: Kann man sich auf Situationen schnell einstellen, denkt man – wortwörtlich – um die Ecke. „Oft gibt es mehrere Wege und manchmal nur den einen“, sagt Pilz. Die Wand, der Gegner, das Rätsel, der Freund. „Man hat dann diese fünf Minuten Zeit, und in denen muss man kreativ sein.“
Der Tanz der Knirpse Intuition hat Pilz ausgezeichnet, seit sie mit dem Klettern begonnen hat. Mit acht stand sie in den Sommerferien für einen Kletterkurs auf der Warteliste. Der Trainer ließ alle Kandidaten antanzen und suchte sich die Talente raus. Pilz war dabei, und seither hat sie die Leidenschaft nie wieder losgelassen. Sie selbst sagt, alles sei irgendwie so entstanden, nie war der große Druck da.
Sie absolvierte regionale Wettkämpfe, nationale, schließlich internationale. 2023 holte sie sich dann den Gesamtweltcup im Lead. Und dann? Für die Zeit nach dem Klettern hat sie gerade per Fernstudium ihren MBA gemacht, also ein Studium, das sie für Berufe im höheren Management qualifiziert. Als ob Wettkampf-Klettern auf Pilz-Level nicht ohnehin schon höheres Management wäre.
Instagram: @jessy_pilz