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Lily Gladstone
Dieses Jahr hätte beinahe ein ganzer Stamm amerikanischer Indigener einen der wichtigsten Oscars gewonnen. Lily Gladstone von den Blackfoot war für „Killers of the Flower Moon“ als beste Hauptdarstellerin nominiert. Und wenn sie gesiegt hätte, dann nicht für sich allein: „Ich hätte diesen Preis für die ganze Stammesgemeinschaft gewonnen“, sagt Gladstone. Denn Indigene denken in anderen Kategorien als die westlichen Gesellschaften, in denen sich das Leben vorwiegend um individuelle Selbstverwirklichung dreht.
Gemeinsam sind wir stark
„Natürlich spüre ich auch meinen persönlichen Ehrgeiz“, so die 38Jährige, „aber ich weiß: Ich habe alles nur geschafft, weil ich aus einer Gemeinschaft komme, die mich auf meine Stärken hingewiesen und mich stets ermutigt hat, meinen Weg zu verfolgen.“ Und sie ergänzt: „Wenn du unter den Blackfoot aufwächst, dann lernst du von Kindesbeinen an, wo dein Platz in der Gruppe ist und welchen Zweck du darin erfüllst. Wenn du erwachsen wirst, dann weißt du genau, wer du bist und dass der Sinn dieses Lebens darin besteht, einem größeren Ganzen zu dienen und die Kultur deiner Gemeinschaft an künftige Generationen zu weiterzugeben.“
Deshalb war ihr auch die Vorstellung, wie die meisten hoffnungsvollen Schauspielkollegen nach Los Angeles oder New York zu ziehen, völlig fremd. „Ich wollte lieber in Montana in meiner Community und in dem Landstrich bleiben, wo ich glücklich war.“
Konzept der Geschichte komplett geändert: Die Perspektive der Indigenen wurde viel stärker berücksichtigt, Lily Gladstone erhielt die Rolle von Leo DiCaprios Frau. Und gleich bei der Premiere des Films bei den Filmfestspielen von Cannes 2023 erkannte die Weltpresse, welch außergewöhnliche schauspielerische Kraft sie dabei entfaltete.
Der Hype begann.
Tanz der Generationen
Nach Abschluss ihrer Universitätsausbildung mit dem Bachelor of Fine Arts begann sie zunächst in ihrer indigenen Gemeinde als Schauspiellehrerin zu arbeiten: „Mir war es wichtig, jungen Menschen Schauspieltechniken beizubringen, mit denen sie ein neues Selbstbewusstsein aufbauen konnten.“ Dabei stützte sie sich insbesondere auf das von dem Brasilianer Augusto Boal entwickelte „Theater der Unterdrückten“. „Du kannst darin die Traumata ausdrücken, die eine Gemeinschaft erlebt hat, und wenn du das schaffst, dann erlangst du Kontrolle über diese Traumata. Das hat etwas sehr Heilendes.“
An Leos Seite
Obwohl sie nicht die große Karriere in Hollywood anstrebte, landete sie dann doch an der Seite von keinem Geringeren als Leonardo DiCaprio in Martin Scorseses „Killers of the Flower Moon“. Bis dahin hatte sie unabhängige Produktionen gedreht, Auszeichnungen bekam sie lediglich für ihre Rolle als verzweifelte Rancharbeiterin in „Certain Women“.
Starregisseur Scorsese rollte ihr aber nicht sofort den roten Teppich aus. Denn ursprünglich war ihr Part nicht sonderlich groß angelegt, insgesamt hatte sie nur drei Seiten Dialog. Aber dann wurde das
Aktuell ist Lily Gladstone in „Fancy Dance“ (auf Apple TV+) zu sehen – einem Film, der ihre Sicht auf das Leben sogar noch stärker widerspiegelt. In dem Drama um eine Dreizehnjährige vom Stamm der SenecaCayuga spielt ein großer Tanz beim PowWow, einem Kulturtreffen amerikanischer Indigener, eine zentrale Rolle. Und auch der ist geprägt vom Gemeinschaftsdenken: „Wir tanzen dabei auch für diejenigen, die nicht dabei sein können“, so Gladstone. „Für die Vorfahren, für die künftigen Generationen, für die Vermissten, für die Alten. Das ist eine ultimative Feier des Lebens, wo du die Verbundenheit mit allen anderen spürst.“
So ist die Karriere von Lily Gladstone auch eine sympathische Bestätigung der alten Weisheit, dass der Erfolg genau zu denjenigen kommt, die ihm nicht egoistisch hinterherjagen. Mit Solidarität, Geduld und Bescheidenheit gelangt man ofenbar eher ans Ziel. Und letztlich geht es ihr gar nicht primär um den Erfolg. Deshalb wird sie auch ihren Wurzeln immer treu bleiben und sich nicht in der Blase des Showbusiness verlieren: „Vor zwei Jahren habe ich mit einem kanadischen Kollegen gearbeitet, der mich wieder daran erinnert hat, worum es in der Schauspielerei eigentlich geht: Du machst das, weil du es liebst. Aber du brauchst es nicht. Was du brauchst, das ist deine Familie und deine Leidenschaft. Du brauchst es, ein glücklicher Mensch zu sein. Und ich kann nicht glücklich sein, wenn ich von den Menschen getrennt bin, die ich liebe.“
Instagram: @lilygladstone
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