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NEUE HORIZONTE

Was passiert, wenn sich eines der größten Segelteams der Geschichte mit dem amtierenden Formel­-1-­Weltmeister für die ultimative Regatta zusammenschließt?

Alinghi Red Bull Racing wagt sich in unbekannte Gewässer, um den America’s Cup zu gewinnen.

Februar 2003, im Hauraki Gulf vor der Küste Neuseelands. Team New Zealand (TNZ) ist der Titelverteidiger im 31. America’s Cup, dem Wettbewerb, der seit mehr als 150 Jahren den Maßstab im Hochgeschwindigkeits-­Yachtsegeln setzt. Die eigenwilligen Regeln verpflichten den Titelverteidiger, den Wettbewerb auszurichten – eine Tradition, die den neuseeländischen Champions einen erheblichen Vorteil im Duell gegen ihre Herausforderer verschafft, den Außenseiter Alinghi aus dem Binnenland Schweiz.

Das BoatOne von Alinghi Red Bull Racing vor der Küste von Barcelona.

Im Wettkampf überschlagen sich die Ereignisse: Das Boot von TNZ läuft in der ersten Runde nach technischen Problemen mit Wasser voll. Raue See, einmal zu viel Wind, dann gar keiner; neun Tage lang liegen die Boote vertäut im Hafen, warten auf ein Wetterfenster. Als sich dieses öffnet, bricht der Mast der Kiwis – und: Die Schweizer holen sich den Sieg. Erstmals gewinnt ein Binnenland – und erstmals ein Team bei seinem Debüt. Arnaud Psarofaghis erinnert sich gut daran. Er war damals 14 Jahre alt und lebte 200 Meter vom Genfersee entfernt. An dessen Ufer liegt auch die Société Nautique de Genève, der Yachtclub, unter dessen Flagge Alinghi 2003 antrat. Die Schweiz mag keinen Meereszugang haben, aber sie hat viele Seen – was wiederum auch Vorteile bringe, wie Psarofaghis sagt. „Im Vergleich zum Meer ist ein See ruhig. Man kann daher extremere Boote entwickeln.“

Er war dabei, als das Team die legendäre Auld-MugTrophäe in die Schweiz brachte, einer von über 40.000 Menschen, um die Rückkehr ihrer Helden zu feiern. „An diesem Tag begann mein Traum, eines Tages Teil dieses Teams zu sein.“ 2016 war es dann so weit. Er war auf Kurs, aber der des Teams hatte sich geändert.

Neuer Kurs

2007 verteidigte Alinghi seinen Titel erneut gegen TNZ. Doch 2010 verloren sie gegen das Oracle Team USA; ein umstrittener Kampf, der sowohl auf dem Wasser als auch – wegen Streitigkeiten über die Regeln – vor Gericht ausgetragen wurde. Nach den negativen Erfahrungen zog sich Alinghi aus dem Wettbewerb zurück. Elf Jahre später, 2021, kündigte Alinghi die Rückkehr zum Wettbewerb an. Gründer Ernesto Bertarelli versprach „etwas völlig Neues“: ein Joint Venture mit Red Bull zur Bildung eines neuen Teams, das sowohl auf die F1 als auch auf die SegelExpertise zurückgreift – Alinghi Red Bull Racing.

Als Pokalgewinner 2021 durfte TNZ den nächsten Austragungsort wählen und traf die ungewöhnliche Entscheidung, den Heimvorteil aufzugeben. Diesen Oktober wird vor der Küste Barcelonas gesegelt. Die Stadt blickt bereits auf eine große Segelvergangenheit zurück. Und im Hafen Port Vell, wo es ohnehin vor Bootshallen wimmelt, kamen 2023 noch ein paar mehr dazu, die Basen der Teams, die um den 37. America’s Cup kämpfen.

Arnaud Psarofaghis, einer der Segler, vor der Abfahrt im Hafen von Barcelona.

Die Base von Alinghi Red Bull Racing sticht mit ihrem rot-blauen Design hervor – F1-Fans kennen es. Davor steht aufgebockt das Boot in der Alinghi Red Bull Racing-Lackierung; eine AC75 – die Klasse der 20,5 Meter langen Einrumpfboote, mit der alle teilnehmenden Teams segeln werden. Das ist BoatZero –eines der Boote aus dem letzten Wettbewerb, von den Schweizern als Trainingsboot von TNZ angekauft. Es hat nun diesen Zweck erfüllt – das Team hat ein verbessertes Boot, das BoatOne, entwickelt. „BoatOne im Vergleich zum BoatZero – das ist wie Tag und Nacht“, sagt Silvio Arrivabene, Co-General-Manager für Design- und Segeloperationen des Teams. „Der Rumpf, die Foils, das Ruder, alles – Tag und Nacht.“ Der italienische Segler und Marinearchitekt war schon Teil der Alinghi-Konstruktionsmannschaft für das Rennen 2010. Er wechselte anschließend zu American Magic – dem Team des New York Yacht Clubs, dem ältesten Syndikat des Sports – und arbeitete an deren Boot für das Rennen 2021. Noch vor dem Ende des Wettbewerbs erhielt Arrivabene einen Anruf von Bertarelli. „Ernesto wollte unbedingt zurückkehren und fragte, ob ich interessiert sei“, erinnert er sich. „Es brauchte nicht viel, um mich zu überzeugen. Dieser eine Anruf reichte.“ Dass Arrivabene zuvor dem Team angehört hatte, sprach für ihn. Doch noch entscheidender war seine Erfahrung beim America’s Cup 2021. Denn in der Zwischenzeit hatte sich eine technologische Revolution im Sport vollzogen.

Hydrofoiling – der Gebrauch fügelartiger Strukturen, um ein Fahrzeug aus dem Wasser zu heben –gibt es schon länger: im Freizeitsport. Der Ansatz war im Kiteboarding beliebt, er wurde für eine Klasse von kleineren Segelbooten übernommen, etwa die Motte, eine Einhandsegelboot-Klasse. Aber es war TNZ, damals Herausforderer des Titelverteidigers Oracle Team USA, die sich entschieden, diese Technologie bei größeren Booten anzuwenden, speziell jenen Katamaranen, die sie im nächsten America’s Cupeinsetzen würden. „Bis 2013 waren America’s-CupBoote ans Wasser gebunden“, sagt Arrivabene. „Jetzt braucht man weder Kiel noch Ballast, es gibt kein Krängen mehr (Anm.: Schräglage des Boots). Die Segel sind Flügel. Und erst die Geschwindigkeit!“ Was Arrivabene beschreibt, ist ein Wechsel von der Hydrodynamik – der Physik der Bewegung durch Flüssigkeiten – zur Aerodynamik, dem Reisen durch die Luft.

Letzter Check: Bevor das BoatOne loslegt, prüft die Crew nochmals die Technik und alle Kommunikationssysteme.
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